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Welche Universitäten für diese Krisen?
Transkript des Vortrags von Corinna Milborn, Audimax Universität Wien, 29.10.2009

Schönen Nachmittag, vielen Dank für die Einladung, hier im Audimax zu sprechen. Das freut
und ehrt mich. Anders als die KollegInnen vor mir hatte ich leider keine Zeit, für euch eine
Rede zu schreiben – ich werde also frei sprechen und hoffe, das ist ok.

Meine Themen sind Globalisierung, Wirtschaft – derzeit vor allem in Form von Krisen –
Migration, Ökologie, Frauen- und Menschenrechte. Ich möchte darüber sprechen, in welcher
multiplen Krise wir uns derzeit befinden und worin die Rolle der Universitäten bei ihrer
Bewältigung bestehen sollte.

Meine These ist, dass wir uns derzeit am Ende einer Ära befinden. Die Krisen, in denen wir
stecken, konnten klar vorausgesagt werden. Wie es nun aber weitergeht, ist offen: Es kann
sein, dass es uns gelingen wird, global ein solidarischeres und kooperativeres System zu
schaffen. Es ist aber auch gut möglich, dass die globale Kooperation scheitert, die Welt in
Faschismen zerfällt und darin die Gesellschaften zerfallen, so dass jede_r gegen jede_n
kämpft. Das wünschen wir uns alle nicht. Die Frage ist nun, welches Bildungs- und
Universitätssystem wir brauchen, um den Weg in eine gerechtere Welt einzuschlagen.

   1. Wirtschaftskrise

Beginnen wir mit der Wirtschaftskrise, die ja noch lange nicht vorbei ist, auch wenn die
Börsen und Bankendaten das suggerieren. Dennoch ist die Krise erst am Weg in die breite
Gesellschaft. Die Arbeitslosenzahlen steigen – innerhalb der EU geht die
Jugendarbeitslosigkeit in Richtung 30 Prozent, das bedeutet, dass jede_r dritte Europäer_in
unter 25 keinen Job findet. Global gesehen ist die Situation noch viel dramatischer. Dazu nur
eine Kennzahl: Die Zahl der Hungernden ist im Zuge dieser Krise von 800 Millionen auf über
eine Milliarde gestiegen. Das sind Menschen, die nicht einmal das tägliche Essen haben, und
das darf man nicht aus den Augen verlieren: Gesellschaften, die hungern, das bedeutet, es gibt
sehr viele Menschen, die nicht mehr genug Energie haben, um auch nur ihr eigenes tägliches
Überleben zu sichern. Kinder, die in ihrer körperlichen Entwicklung behindert sind und deren
Zukunft daher negativ vorbestimmt ist.

Wie ist das nun passiert? In dieser Krise platzte eine globale Finanzblase, die schon seit den
frühen 1980er Jahren aufgebläht wird. George Soros, der bekannte Hedgefonds-Manager,
nennt das die „Superbubble“ und warnt schon seit Jahren vor den Folgen dieser Entwicklung.
Seit dem Jahr 2001 hat sich diese Blase so stark aufgebläht wie historisch nie zuvor: Erstens
haben die Notenbanken nach dem Platzen der Dotcom-Blase und nach 9/11 so viel Geld zu
niedrigsten Zinsen ins System gepumpt wie kaum je zuvor. Zweitens haben die Banken diese
Situation genützt, um so viele billige Kredite zu vergeben wie nie zuvor – und haben damit
die Menge an Geld auf der Welt Jahr für Jahr stärker erhöht als die Wirtschaft gewachsen ist.
Es gab damit viel zu viel Geld, das verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten suchte, um
Renditen zu erzielen, die wiederum weit über dem realen Wirtschaftswachstum liegen
mussten.

Verschärft wurde diese Entwicklung dadurch, dass die Banken quasi den Stein der Weisen der
kurzfristigen Geldvermehrung fanden: Sie fanden eine Möglichkeit, das Kreditrisiko einfach
weiterzuverkaufen, indem sie Kredite – darunter viele uneinbringliche – bündelten und daraus
Finanzpapiere machten, die an den Finanzmärkten gehandelt wurden. Das ist natürlich extrem
gefährlich, denn es funktioniert nur so lange, so lange eben alle an den Aufschwung glauben,

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und bricht zusammen, sobald die Marktteilnehmer versuchen, diese Kredite wieder
loszuwerden, oder Konkurswellen eintreten. Das war den Banken durchaus bewusst. Ende des
Jahres 2006 war schon klar, dass dieses Spiel bereits überstrapaziert war. Die Frage war nun,
wer die heiße Kartoffel der gebündelten Risiken in der Hand hat zu jenem Zeitpunkt, an dem
in diesem Spiel, das nach dem Muster „Des Kaisers neue Kleider“ lief, der erste ruft: „Der
Kaiser ist ja nackt!“ Die großen Banken wie Goldman Sachs, Deutsche Bank usw. haben
daher schon im Herbst 2006 diese Papiere in großem Stil abgestoßen. Wer sich auskannte, hat
in dieser Zeit sehr viel Geld damit verdient. Und wer hat die heiße Kartoffel übernommen? Es
waren erstaunlich viele öffentliche Stellen: In Österreich etwa die Kommunalkredit, das
Finanzministerium, die ÖBB, und viele andere. Damit wurden schon vor dem Platzen der
Blase ein großer Teil der Risiken in den öffentlichen Bereich verschoben.

Als das Kartenhaus mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15.9.2008 in sich
zusammenfiel und eine Reihe von Banken und Versicherungen mitzog, hörte man von allen
Seiten – vor allem von der Politik, aber auch von renommierten Ökonomen:
Das war nicht vorherzusehen, das konnte niemand wissen.

Das ist natürlich nur ein Affront gegenüber all jener, die diese Krise seit vielen Jahren sehr
präzise vorausgesagt haben, und selbst gegen den gesunden Menschenverstand.

Zugleich wirft dieses breit geblökte „Das hat niemand kommen sehen“ ein sehr schlechtes
Licht auf die Universitäten und zwar in zweierlei Hinsicht: Auf die Lehre und Ausbildung
sowie auf die Analyse und Forschung. Nicht nur die Politik – auch die Universitäten haben in
dieser Krise spektakulär versagt.

In der Lehre haben die meisten Universitäten und Business Schools in den letzten Jahrzehnten
nichts weiter gemacht, als Human Ressources für ein System zu schaffen, von dem schon
absehbar war, dass es scheitern wird. Es wurde, anstatt freies Denken zu fördern, freies
Denken verhindert. Ich habe das selbst in einer französischen Business-Elite-Uni erlebt, in der
uns der Philosophieprofessor ein Jahr lang in Form einer Art Gehirnwäsche eingetrichtert hat:
Ethik ist eine Einbildung, Menschenrechte sind eine seltsame Spinnerei, Gut und Böse
existieren nicht, es zählt nur eines auf der Welt: Das ist der Gewinn.

Diese Art der universitären Ausbildung einer ganzen Generation von Managern ist
mitschuldig daran, dass die handelnden Personen verlernt haben, auf ihre Verantwortung zu
achten, ja auch nur ihren so genannten Hausverstand zu benützen, sondern ihr ganzes Streben
ausschließlich auf kurzfristigen Gewinn ausgerichtet haben: Ohne Rücksicht auf Verluste,
ohne Rücksicht auf den Rest der Welt – nach dem Motto: hinter ihnen die Sintflut. Die
Harvard Business School etwa hat nun einen Diskussionsprozess gestartet darüber, welche
Verantwortung diese Art der Ausbildung für die Krise trägt. Er hat erstmal dazu geführt, dass
ein Ethikkodex verabschiedet wurde.

Genau solche Universitäten können wir in Zukunft nicht brauchen. Das Andauern der Krise
zeigt sich nicht nur am Arbeitsmarkt – sie ist auch auf den Finanzmärkten durch riesige
Mengen öffentlichen Geldes nur verschoben. Die Blase wurde weiter aufgebläht, der nächste
Crash wird somit noch massiver ausfallen. Wir können keine Universitäten brauchen, die
ausschließlich Human Ressources für dieses System ausbilden und es verabsäumen,
Menschen darin zu bestärken, über den Tellerrand des Gewinns hinauszublicken.

Universitäten haben aber auch in der Forschung und der Analyse so sehr versagt, dass
kürzlich die Queen of England die Ökonomen der Londoner School of Economics zu sich

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zitiert hat, um sich erklären zu lassen, wie sie denn eine so massive Krise nicht kommen
sehen konnten. Und Paul Krugman, der Nobelpreisträger von 2008, betitelte seinen Essay
zum ersten Krisengeburtstag „How could we get it so wrong?“ „Wie konnten wir so falsch
liegen?“ Bezeichnenderweise gab derselbe Krugman in der Gratulation, die er seiner
Nachfolgerin beim Wirtschaftsnobelpreis – Elinor Ostrom, die abseits des Mainstream forscht
– zukommen ließ, offen zu, mit deren Arbeiten nicht vertraut zu sein. In seiner Antwort auf
die Frage, warum die Ökonomen so falsch lagen, konzentriert er sich wieder nur auf Alt
Bekanntes: Die beiden Pole Markt und Staat, Neoklassik und Keynesianismus.

Das ist bezeichnend für die Universitäten: Kritische Wissenschafter_innen wurden und
werden systematisch an den Rand und aus den Universitäten gedrängt. Übrig blieben
Wissenschafter_innen, die sich gegenseitig immer wieder versichern, dass ihre Rezepte – die
alle Jahrzehnte alt sind – die richtigen seien, obwohl sich die Welt seit den 50er Jahren
fundamental geändert hat.

Das hat sich in der Krisenbewältigung gezeigt. Auch dabei sind keine neuen Modelle
aufgekommen: Es gibt nur die beiden Denkrichtungen „Markt“ und „Staat“. Als nun der
Markt nicht mehr funktionierte, mussten also die Staaten einspringen. Damit wurde die
Verteilungskrise weiter verschärft: Die gigantischen Verluste aus der Spekulationsspirale der
letzten Jahre wurden in hohem Maß von der Allgemeinheit aufgefangen – also von uns allen,
den Steuerzahler_innen. Während die Gewinne sicher auf die Seite geschafft waren, wurden
die Verluste sozialisiert. Die Geldmengen, die Staaten in die Bankenrettungen und
Konjunkturpakete pumpten, waren unerhört. Allein das erste Bankenpaket in Österreich
umfasste 100 Milliarden, davon 15 Milliarden Kapitalspritze für die Banken. Das ist ein
Vielfaches dessen, was die Universitäten benötigen, und es wurde innerhalb einer Woche zur
Verfügung gestellt. So schnell kann ein öffentliches Budget angezapft werden, wenn die
Banken in der Krise stecken. Steckt die Bildung hingegen in einer Krise, heißt es nun: Es gibt
kein Geld mehr.

Nun hat sich seit der Krise nicht sehr viel geändert: Die Schrottpapiere mit all ihrem
unabschätzbaren Risiko liegen weiterhin in den Bankbilanzen. Globale Regulierungen sind
nur angedacht und zwar so zögerlich, dass sie nicht geeignet sein werden, eine neuerliche
Krise zu verhindern. Und die „Superbubble“, deren erstes Anzeichen, dass sie eben auch
platzen könne, uns in diese Situation gebracht hat, wurde durch gigantische Mengen an
öffentlichen Geldern weiter aufgeblasen.

Es ist dringend notwendig, neue Sichtweisen und Rezepte zu generieren, wie diese
Entwicklung aufgehalten werden kann. Welche Universitäten brauchen wir also, um nicht
gleich in die nächste Krise zu schlittern? Wir brauchen sicher keine Universitäten, die nichts
anderes tun, als perfekt adaptierte Human Ressources für ein System zu schaffen, das so
offensichtlich gescheitert ist und wieder scheitern wird. Wir brauchen auch sicher keine
Universitäten, an denen gelehrt wird, was Professor_innen in den 1960er und 70er Jahren
richtig fanden und an denen von den Studierenden nicht mehr erwartet wird, als dieses alte
Wissen auswendig zu lernen und fehlerfrei wiederzugeben. Auf diese Art wird es nicht
möglich sein, der Herausforderung zu begegnen, vor der wir hier stehen.

Wir brauchen im Gegenteil Universitäten, die neue Forschungen ermöglichen. Die ihr
Augenmerk auf jene Aspekte richten, vor denen man bisher die Augen verschlossen hat. Die
kritische Wissenschafter_innen nicht verdrängen, sondern in den Mainstream holen.



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Vor allem brauchen wir Universitäten, die freies Denken und Kreativität fördern. Ich bin fest
davon überzeugt, dass Universitäten, deren Leistungsbeurteilung nur auf Punkte und auf das
Einhalten von Mindeststudienzeiten hin ausgerichtet ist, das nicht leisten können.

Ich gehe jetzt noch auf die weiteren Krisen ein, vor denen wir stehen.

   2. Die Klimakrise

Was die Klimakrise betrifft, werden die Warnungen der Wissenschafter_innen aus den
naturwissenschaftlichen Bereichen nun wahrgenommen – allerdings erleben wir in den
angebotenen Rezepten zur Bewältigung dieser Krise dieselbe Unfähigkeit zu neuem Denken,
wie in der Antwort auf die Wirtschaftskrise. Es gibt derzeit nur zwei Arten von Antworten:
Markt und Staat.

Der Glaube, dass der freie Markt alles richten würde, hat in der Klimapolitik dazu geführt,
dass man das Recht zur Luftverschmutzung nun kaufen und handeln kann. Er hat zur
Umstellung von Werbelinien, zur Schaffung von Ökofonds und zu megalomanischen
Projekten wie unterirdischen CO2-Speichern geführt. Doch das Grundproblem der Klimakrise
liegt tiefer: Man kann, wenn man nur einen Planeten zur Verfügung hat, nicht so leben als
hätte man ein paar in Reserve, wie es derzeit geschieht. Und in dieser Hinsicht bekommt man
in einem Wirtschaftssystem, das ohne Wachstum in sich zusammenstürzt, ein Problem. Die
Frage nach einem Wirtschaftssystem ohne Wachstum ist derzeit ein Tabu – ich stelle diese
Frage routinemäßig den Ökonom_innen, die ich interviewe, und ernte immer nur ungläubiges
Staunen. Dabei müsste es doch eine Priorität sein darüber nachzudenken, ob ein System das
richtige sein kann, in dem es einer Katastrophe gleichkommt, nur mehr so viel zu produzieren
wie im Jahr 2006, wie es derzeit in dieser Rezession der Fall ist (wo wir doch 2006 auch ganz
schön viel produziert haben, das wir nicht wirklich brauchen). Es müsste eine Priorität sein,
Alternativen zu diesem Wachstumszwang zu entwickeln, statt immer kreativer nach
Möglichkeiten zu suchen, Wachstum und Klimaschutz zu verbinden – Versuche, die bisher
alle gescheitert sind, wie an den wachsenden CO2-Mengen abzulesen ist.

Ebenso schlecht funktioniert der Umgang mit der Klimakrise, wenn man auf den Staat setzt.
Hier sehen wir, dass wir zusätzlich in einer tiefen politischen Krise stecken, zu der ich später
noch etwas sagen möchte.

   3. Die Migrationskrise

Eng verbunden mit Wirtschafts- und Klimakrise ist eine dramatische Entwicklung in der
globalen Migration. Es sind derzeit mehr Menschen in Bewegung denn je: Sie fliehen vor
Hunger, vor der Zerstörung ihrer Lebensräume durch den Klimawandel und vor Kriegen, die
in vielen Fällen auf globale Verteilungskämpfe um Rohstoffe zurückgehen.

Die einzige Antwort Europas auf die Migrationsbewegungen aus armen Ländern – an denen
Europa ja nicht unschuldig ist – zeigt sich darin: Die Grenzen zu schließen. Die Konsequenz
daraus ist ein Massensterben an den Grenzen, an denen zehntausende Flüchtlinge und
Migrant_innen im Meer, in der Wüste, an den Zäunen zugrunde gehen. Mittlerweile ist es
nicht nur so, dass man diese Menschen sterben lässt – man treibt sie sogar aktiv in den Tod:
Die EU-Grenzschutztruppen von Frontex haben die explizite (und seerechtswidrige) Aufgabe,
Flüchtlingsboote auf offenem Meer abzudrängen. Militärs und Polizeieinheiten in den
angrenzenden Ländern wiederum schieben Flüchtlinge im Auftrag Europas (und finanziert


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mit europäischen Geldern) zurück, setzen sie in der Wüste aus oder sperren sie in Lager, in
denen regelmäßig auf Flüchtlinge geschossen wird – wie eben wieder in Libyen.

Diese Lage ist ein eklatanter Bruch mit den Grundwerten unserer Gesellschaft. Es ist fast
unglaublich, in welchem Ausmaß an den Universitäten die Augen vor dieser Situation
verschlossen werden. Solange Menschen an Europas Grenzen zu Tausenden in den Tod
getrieben werden, dürfte es eigentlich in einer ganzen Reihe von Disziplinen kein Seminar
und keine Vorlesung geben, in denen diese Problem nicht angesprochen wird. Derzeit
geschieht das nicht.

   4. Die politische Krise

Alle diese Krisen sind globale Krisen, die globale Antworten erfordern und auf Ebene der
Nationalstaaten nicht zu lösen sind. Unser politisches System, unsere Demokratie, unsere
Sozialsysteme bauen jedoch auf dem Nationalstaat auf. Es ist bisher nicht gelungen, jenseits
der Nationalstaaten Modelle und Strukturen aufzubauen, die wirksam mit diesen
Herausforderungen umgehen. Stattdessen fällt die – im Nationalen verhaftete – Politik immer
wieder darauf zurück, Politik für die „eigenen Leute“ zu machen, und damit allen zu schaden.
In der Finanz- und Wirtschaftskrise äußert sich das in der Unfähigkeit, den globalen
Finanzmärkten globale Regeln gegenüberzustellen, die dringend notwendig sind. In der
Klimakrise äußert es sich in unwürdigem Kuhhandel, wie wir ihn wohl in Kopenhagen leider
wieder erleben werden. In der Migrationskrise ist die Unfähigkeit, mit der Situation
umzugehen, total: Man beschränkt sich darauf, die Grenzen und die Augen gleichermaßen
fest zu verschließen.

Auch hier stehen die Universitäten in der Verantwortung. Wir werden in dieser politischen
Herausforderung nicht auf die Rezepte aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg
zurückgreifen können – und aus dieser Zeit stammt unser globales politisches System. Die
Universitäten sind gefordert, hier Raum zu schaffen, um neue Modelle zu entwickeln.

Sie müssen globales Denken fördern und fordern, damit neue Modelle und Strukturen
überhaupt einmal gedacht werden können. Das bedeutet, Scheuklappen abzuwerfen und
grenzenlos zu denken. Das bedeutet aber auch, für Durchmischung zu sorgen. Ich habe mir
jetzt die Zahlen ausländischer Studierender angesehen, die ja immer wieder als Grund für die
derzeitige Situation an den Universitäten genannt werden. Gut, es studieren hier über 17.000
deutsche Staatsbürger – das sind sieben Prozent der Hörer_innen, was weder unbewältigbar
klingt noch ist, es genügen Verhandlungen über Ausgleichszahlungen. In Österreich studieren
aber weniger als 500 Personen aus dem gesamten amerikanischen Kontinent. Weniger als 500
aus ganz Afrika. Das ist beschämend.


5. Gemischte Gesellschaften und Diversität

Die politische Krise spielt sich aber auch innerhalb der Nationalstaaten, der Gesellschaften ab.
Ich konzentriere mich hierbei noch einmal auf die Migrationsthematik. Europa – und
besonders Österreich – begreift sich nach wie vor als einheitliches Gebilde, in dem weiß,
christlich, männlich regiert, und in dem jede_r, die, der diesem Bild aufgrund einer anderen
Hautfarbe, einer anderen Religion oder auch nur einer anderen Herkunft nicht entspricht, im
besten Fall als Gast geduldet wird. Das ist ein Bild, das mit der Realität nichts zu tun hat.
Österreich ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland – spätestens seit den 1960er Jahren,
das ist wirklich nicht vorgestern passiert – und wird es in Zukunft noch mehr sein. Die Art,

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wie hier mit dieser Situation umgegangen wird, führt zu einer gesellschaftlichen Spaltung.
Das Zusammenleben wird nicht funktionieren, wenn man einen großen Teil der Bevölkerung
als ungebetene Gäste behandelt. Die Politik ist derzeit unfähig, mit diesem Thema
umzugehen: Die eine Seite – die Rechte – vertritt den schlichten Standpunkt „alle raus“, was
natürlich unmöglich ist. Die andere Seite scheut sich davor, das Thema auch nur
anzusprechen, weil es so lange der Rechten überlassen wurde. Doch diese Ignoranz wird die
Situation nur verschärfen – in welcher Richtung, das ist in anderen Ländern wie
Großbritannien oder Frankreich deutlich zu sehen, wenn man denn hinschaut.

Die Universitäten haben auch hier eine wichtige Rolle zu spielen. Wir brauchen mehr
Forschung, wir brauchen mehr Lehre und wir brauchen Ausbildung in diesem Bereich des
Zusammenlebens in einer gemischten Gesellschaft, der einer der entscheidenden für unsere
Zukunft sein wird.

Das wird nicht möglich sein an Universitäten, welche die gesellschaftlichen
Machtverhältnisse nicht nur reproduzieren – nein, die sogar nur die Spitze der
gesellschaftlichen Strukturen abbilden. Sowohl der Lehrkörper als auch die Studierenden sind
an unseren Unis ein Zerrbild der Gesellschaft, Menschen mit Migrationshintergrund sind
kaum vertreten. Eine Universität, die die gesellschaftlichen Machtverhältnisse auf diese Art
nur widerspiegelt wird nicht imstande sein, die notwendige Forschung zu betreiben, die
richtigen Fragen zu stellen und Rezepte für die Zukunft zu entwickeln. Wir brauchen daher
auf den Universitäten eine aktive Diversitätspolitik, die dafür sorgt, dass die Universität
durchmischt ist – vom Lehrkörper bis zu den Studierenden. Nur so kann diese
Herausforderung angenommen werden.

Das gilt leider auch für einen Bereich, von dem man denken sollte, dass er seit Jahrzehnten
kein Thema mehr sei: Die Teilhabe von Frauen an den Universitäten. Ihr kennt die Zahlen –
bei über 50 Prozent Absolventinnen haben wir einen Frauenanteil unter 20 Prozent bei den
Professor_innen und null Prozent bei den Rektoren. Ich begrüße daher die Forderung nach
einer 50%igen Frauenquote, die von diesem Plenum aufgestellt wurde, sehr. Es hat sich in
den letzten Jahrzehnten erwiesen, dass die Gleichstellung von Frauen auf freiwilliger Basis
nicht funktioniert und dass Qualifikation nicht genügt. Eine Anmerkung dazu auf diese
Protestbewegung bezogen: Die emanzipatorische Qualität einer Bewegung zeigt sich immer
daran, wie sie mit Diskriminierung umgeht. Eine Bewegung, die das Thema
Gleichberechtigung nicht in jeder Phase mitdenkt, hat kein Potential für Zukunftsfragen. Ihr
könnt auch also alle herzlich bei der AG Frauen bedanken, die immer wieder den Finger auf
das Thema Sexismus legt und dafür auch den Kopf hinhält.


   5. Welche Universitäten für diese Herausforderungen?

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind enorm. Sie erfordern allerdings weniger
Anstrengung als Kreativität und neues Denken. Wir können auf die alten Rezepte nicht
zurückgreifen, um damit umzugehen. Es ist eure Aufgabe – der Generation, die jetzt studiert –
diese Herausforderung anzunehmen.

Jene, die hier im Saal sitzen, haben schon durch ihre Anwesenheit hier damit begonnen. Die
Protestbewegung weckt, glaube ich, auch deshalb so viel Sympathie, weil sie so viel von dem
erfüllt, was für eine neue Art von Denken und Organisation notwendig ist.



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Ich finde das ursprüngliche Schlagwort „unibrennt“ angemessen für eine Situation, die
wirklich untragbar ist. Besser noch gefällt mit das Schlagwort, das später gekommen ist:
„Unsere Uni.“ Ich denke, dass das „wir“ hinter diesem „unsere Uni “ nicht nur die
Studierenden sind, auch wenn das vielleicht so gedacht war: Das „Wir“ ist die gesamte
Gesellschaft. Das hier ist eine öffentliche Universität, sie wird von der Gesellschaft finanziert.
Man kann daher den Anspruch an sie stellen, dass sie nicht nur als reine Ausbildungsstätte
fungiert, sondern dass sie ohne Scheuklappen das Wissen entwickelt, das wir für diese
Herausforderungen brauchen.

Wir brauchen dafür eine Universität, die Leistung nicht rein in Punkten und in kurzer
Studienzeit misst, sondern freies, kritisches Denken schult und den Raum dafür schafft.

Wir brauchen eine Universität, die dort forscht, wo bisher zu wenig hingesehen wurde. Das
heißt, dass auch unabhängige Forschung möglich sein muss: Unabhängig von
projektbezogenen Geldgebern, seien sie privat oder staatlich. Sonst besteht die Gefahr, dass
wieder nur ein Denken reproduziert wird, das für die derzeitigen Krisen verantwortlich ist.
Das heißt auch, dass langfristige Forschung möglich sein muss – etwas, das durch die skurrile
derzeitige Kettenvertragsregelung behindert wird. Und das heißt, dass Forschung und Lehre
auf keinen Fall getrennt werden dürfen: Neues Wissen muss sofort an die Studierenden
weitergegeben werden – sie müssen ja von diesem Wissensdrang infiziert, mit neuen
Denkansätzen konfrontiert werden und darauf aufbauen können, wenn sie den
Herausforderungen unserer Zeit begegnen wollen.

Wir brauchen eine Universität, die globales Denken schult und fördert. Es ist dabei nicht
förderlich, wenn man im Seminar neben denselben Leuten sitzt, mit denen man schon in die
Schule gegangen ist. Die Universität hat die Aufgabe, globalen Austausch zu fördern. Wir
brauchen also mehr Mobilität – und wir brauchen nicht weniger, sondern mehr ausländische
Studierende.

Schließlich ist uns allen hier bekannt, dass Österreich zu den Ländern mit der niedrigsten
Akademikerquote aller Industriestaaten zählt. Es ist daher in Zeiten, in denen die
„Wissensgesellschaft“ gehyped wird, ein Skandal, wenn steigende Studierendenzahlen als
Problem behandelt werden. Wir brauchen nicht weniger Studierende, sondern mehr, und wir
brauchen Universitäten, die dafür über den Raum, die Infrastruktur und gut bezahltes
Lehrpersonal verfügen.

In diesem Sinne wünsche ich dem Plenum hier noch viel Erfolg.




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Welche Universitäten für diese Krisen?

  • 1. Welche Universitäten für diese Krisen? Transkript des Vortrags von Corinna Milborn, Audimax Universität Wien, 29.10.2009 Schönen Nachmittag, vielen Dank für die Einladung, hier im Audimax zu sprechen. Das freut und ehrt mich. Anders als die KollegInnen vor mir hatte ich leider keine Zeit, für euch eine Rede zu schreiben – ich werde also frei sprechen und hoffe, das ist ok. Meine Themen sind Globalisierung, Wirtschaft – derzeit vor allem in Form von Krisen – Migration, Ökologie, Frauen- und Menschenrechte. Ich möchte darüber sprechen, in welcher multiplen Krise wir uns derzeit befinden und worin die Rolle der Universitäten bei ihrer Bewältigung bestehen sollte. Meine These ist, dass wir uns derzeit am Ende einer Ära befinden. Die Krisen, in denen wir stecken, konnten klar vorausgesagt werden. Wie es nun aber weitergeht, ist offen: Es kann sein, dass es uns gelingen wird, global ein solidarischeres und kooperativeres System zu schaffen. Es ist aber auch gut möglich, dass die globale Kooperation scheitert, die Welt in Faschismen zerfällt und darin die Gesellschaften zerfallen, so dass jede_r gegen jede_n kämpft. Das wünschen wir uns alle nicht. Die Frage ist nun, welches Bildungs- und Universitätssystem wir brauchen, um den Weg in eine gerechtere Welt einzuschlagen. 1. Wirtschaftskrise Beginnen wir mit der Wirtschaftskrise, die ja noch lange nicht vorbei ist, auch wenn die Börsen und Bankendaten das suggerieren. Dennoch ist die Krise erst am Weg in die breite Gesellschaft. Die Arbeitslosenzahlen steigen – innerhalb der EU geht die Jugendarbeitslosigkeit in Richtung 30 Prozent, das bedeutet, dass jede_r dritte Europäer_in unter 25 keinen Job findet. Global gesehen ist die Situation noch viel dramatischer. Dazu nur eine Kennzahl: Die Zahl der Hungernden ist im Zuge dieser Krise von 800 Millionen auf über eine Milliarde gestiegen. Das sind Menschen, die nicht einmal das tägliche Essen haben, und das darf man nicht aus den Augen verlieren: Gesellschaften, die hungern, das bedeutet, es gibt sehr viele Menschen, die nicht mehr genug Energie haben, um auch nur ihr eigenes tägliches Überleben zu sichern. Kinder, die in ihrer körperlichen Entwicklung behindert sind und deren Zukunft daher negativ vorbestimmt ist. Wie ist das nun passiert? In dieser Krise platzte eine globale Finanzblase, die schon seit den frühen 1980er Jahren aufgebläht wird. George Soros, der bekannte Hedgefonds-Manager, nennt das die „Superbubble“ und warnt schon seit Jahren vor den Folgen dieser Entwicklung. Seit dem Jahr 2001 hat sich diese Blase so stark aufgebläht wie historisch nie zuvor: Erstens haben die Notenbanken nach dem Platzen der Dotcom-Blase und nach 9/11 so viel Geld zu niedrigsten Zinsen ins System gepumpt wie kaum je zuvor. Zweitens haben die Banken diese Situation genützt, um so viele billige Kredite zu vergeben wie nie zuvor – und haben damit die Menge an Geld auf der Welt Jahr für Jahr stärker erhöht als die Wirtschaft gewachsen ist. Es gab damit viel zu viel Geld, das verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten suchte, um Renditen zu erzielen, die wiederum weit über dem realen Wirtschaftswachstum liegen mussten. Verschärft wurde diese Entwicklung dadurch, dass die Banken quasi den Stein der Weisen der kurzfristigen Geldvermehrung fanden: Sie fanden eine Möglichkeit, das Kreditrisiko einfach weiterzuverkaufen, indem sie Kredite – darunter viele uneinbringliche – bündelten und daraus Finanzpapiere machten, die an den Finanzmärkten gehandelt wurden. Das ist natürlich extrem gefährlich, denn es funktioniert nur so lange, so lange eben alle an den Aufschwung glauben, 1
  • 2. und bricht zusammen, sobald die Marktteilnehmer versuchen, diese Kredite wieder loszuwerden, oder Konkurswellen eintreten. Das war den Banken durchaus bewusst. Ende des Jahres 2006 war schon klar, dass dieses Spiel bereits überstrapaziert war. Die Frage war nun, wer die heiße Kartoffel der gebündelten Risiken in der Hand hat zu jenem Zeitpunkt, an dem in diesem Spiel, das nach dem Muster „Des Kaisers neue Kleider“ lief, der erste ruft: „Der Kaiser ist ja nackt!“ Die großen Banken wie Goldman Sachs, Deutsche Bank usw. haben daher schon im Herbst 2006 diese Papiere in großem Stil abgestoßen. Wer sich auskannte, hat in dieser Zeit sehr viel Geld damit verdient. Und wer hat die heiße Kartoffel übernommen? Es waren erstaunlich viele öffentliche Stellen: In Österreich etwa die Kommunalkredit, das Finanzministerium, die ÖBB, und viele andere. Damit wurden schon vor dem Platzen der Blase ein großer Teil der Risiken in den öffentlichen Bereich verschoben. Als das Kartenhaus mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15.9.2008 in sich zusammenfiel und eine Reihe von Banken und Versicherungen mitzog, hörte man von allen Seiten – vor allem von der Politik, aber auch von renommierten Ökonomen: Das war nicht vorherzusehen, das konnte niemand wissen. Das ist natürlich nur ein Affront gegenüber all jener, die diese Krise seit vielen Jahren sehr präzise vorausgesagt haben, und selbst gegen den gesunden Menschenverstand. Zugleich wirft dieses breit geblökte „Das hat niemand kommen sehen“ ein sehr schlechtes Licht auf die Universitäten und zwar in zweierlei Hinsicht: Auf die Lehre und Ausbildung sowie auf die Analyse und Forschung. Nicht nur die Politik – auch die Universitäten haben in dieser Krise spektakulär versagt. In der Lehre haben die meisten Universitäten und Business Schools in den letzten Jahrzehnten nichts weiter gemacht, als Human Ressources für ein System zu schaffen, von dem schon absehbar war, dass es scheitern wird. Es wurde, anstatt freies Denken zu fördern, freies Denken verhindert. Ich habe das selbst in einer französischen Business-Elite-Uni erlebt, in der uns der Philosophieprofessor ein Jahr lang in Form einer Art Gehirnwäsche eingetrichtert hat: Ethik ist eine Einbildung, Menschenrechte sind eine seltsame Spinnerei, Gut und Böse existieren nicht, es zählt nur eines auf der Welt: Das ist der Gewinn. Diese Art der universitären Ausbildung einer ganzen Generation von Managern ist mitschuldig daran, dass die handelnden Personen verlernt haben, auf ihre Verantwortung zu achten, ja auch nur ihren so genannten Hausverstand zu benützen, sondern ihr ganzes Streben ausschließlich auf kurzfristigen Gewinn ausgerichtet haben: Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf den Rest der Welt – nach dem Motto: hinter ihnen die Sintflut. Die Harvard Business School etwa hat nun einen Diskussionsprozess gestartet darüber, welche Verantwortung diese Art der Ausbildung für die Krise trägt. Er hat erstmal dazu geführt, dass ein Ethikkodex verabschiedet wurde. Genau solche Universitäten können wir in Zukunft nicht brauchen. Das Andauern der Krise zeigt sich nicht nur am Arbeitsmarkt – sie ist auch auf den Finanzmärkten durch riesige Mengen öffentlichen Geldes nur verschoben. Die Blase wurde weiter aufgebläht, der nächste Crash wird somit noch massiver ausfallen. Wir können keine Universitäten brauchen, die ausschließlich Human Ressources für dieses System ausbilden und es verabsäumen, Menschen darin zu bestärken, über den Tellerrand des Gewinns hinauszublicken. Universitäten haben aber auch in der Forschung und der Analyse so sehr versagt, dass kürzlich die Queen of England die Ökonomen der Londoner School of Economics zu sich 2
  • 3. zitiert hat, um sich erklären zu lassen, wie sie denn eine so massive Krise nicht kommen sehen konnten. Und Paul Krugman, der Nobelpreisträger von 2008, betitelte seinen Essay zum ersten Krisengeburtstag „How could we get it so wrong?“ „Wie konnten wir so falsch liegen?“ Bezeichnenderweise gab derselbe Krugman in der Gratulation, die er seiner Nachfolgerin beim Wirtschaftsnobelpreis – Elinor Ostrom, die abseits des Mainstream forscht – zukommen ließ, offen zu, mit deren Arbeiten nicht vertraut zu sein. In seiner Antwort auf die Frage, warum die Ökonomen so falsch lagen, konzentriert er sich wieder nur auf Alt Bekanntes: Die beiden Pole Markt und Staat, Neoklassik und Keynesianismus. Das ist bezeichnend für die Universitäten: Kritische Wissenschafter_innen wurden und werden systematisch an den Rand und aus den Universitäten gedrängt. Übrig blieben Wissenschafter_innen, die sich gegenseitig immer wieder versichern, dass ihre Rezepte – die alle Jahrzehnte alt sind – die richtigen seien, obwohl sich die Welt seit den 50er Jahren fundamental geändert hat. Das hat sich in der Krisenbewältigung gezeigt. Auch dabei sind keine neuen Modelle aufgekommen: Es gibt nur die beiden Denkrichtungen „Markt“ und „Staat“. Als nun der Markt nicht mehr funktionierte, mussten also die Staaten einspringen. Damit wurde die Verteilungskrise weiter verschärft: Die gigantischen Verluste aus der Spekulationsspirale der letzten Jahre wurden in hohem Maß von der Allgemeinheit aufgefangen – also von uns allen, den Steuerzahler_innen. Während die Gewinne sicher auf die Seite geschafft waren, wurden die Verluste sozialisiert. Die Geldmengen, die Staaten in die Bankenrettungen und Konjunkturpakete pumpten, waren unerhört. Allein das erste Bankenpaket in Österreich umfasste 100 Milliarden, davon 15 Milliarden Kapitalspritze für die Banken. Das ist ein Vielfaches dessen, was die Universitäten benötigen, und es wurde innerhalb einer Woche zur Verfügung gestellt. So schnell kann ein öffentliches Budget angezapft werden, wenn die Banken in der Krise stecken. Steckt die Bildung hingegen in einer Krise, heißt es nun: Es gibt kein Geld mehr. Nun hat sich seit der Krise nicht sehr viel geändert: Die Schrottpapiere mit all ihrem unabschätzbaren Risiko liegen weiterhin in den Bankbilanzen. Globale Regulierungen sind nur angedacht und zwar so zögerlich, dass sie nicht geeignet sein werden, eine neuerliche Krise zu verhindern. Und die „Superbubble“, deren erstes Anzeichen, dass sie eben auch platzen könne, uns in diese Situation gebracht hat, wurde durch gigantische Mengen an öffentlichen Geldern weiter aufgeblasen. Es ist dringend notwendig, neue Sichtweisen und Rezepte zu generieren, wie diese Entwicklung aufgehalten werden kann. Welche Universitäten brauchen wir also, um nicht gleich in die nächste Krise zu schlittern? Wir brauchen sicher keine Universitäten, die nichts anderes tun, als perfekt adaptierte Human Ressources für ein System zu schaffen, das so offensichtlich gescheitert ist und wieder scheitern wird. Wir brauchen auch sicher keine Universitäten, an denen gelehrt wird, was Professor_innen in den 1960er und 70er Jahren richtig fanden und an denen von den Studierenden nicht mehr erwartet wird, als dieses alte Wissen auswendig zu lernen und fehlerfrei wiederzugeben. Auf diese Art wird es nicht möglich sein, der Herausforderung zu begegnen, vor der wir hier stehen. Wir brauchen im Gegenteil Universitäten, die neue Forschungen ermöglichen. Die ihr Augenmerk auf jene Aspekte richten, vor denen man bisher die Augen verschlossen hat. Die kritische Wissenschafter_innen nicht verdrängen, sondern in den Mainstream holen. 3
  • 4. Vor allem brauchen wir Universitäten, die freies Denken und Kreativität fördern. Ich bin fest davon überzeugt, dass Universitäten, deren Leistungsbeurteilung nur auf Punkte und auf das Einhalten von Mindeststudienzeiten hin ausgerichtet ist, das nicht leisten können. Ich gehe jetzt noch auf die weiteren Krisen ein, vor denen wir stehen. 2. Die Klimakrise Was die Klimakrise betrifft, werden die Warnungen der Wissenschafter_innen aus den naturwissenschaftlichen Bereichen nun wahrgenommen – allerdings erleben wir in den angebotenen Rezepten zur Bewältigung dieser Krise dieselbe Unfähigkeit zu neuem Denken, wie in der Antwort auf die Wirtschaftskrise. Es gibt derzeit nur zwei Arten von Antworten: Markt und Staat. Der Glaube, dass der freie Markt alles richten würde, hat in der Klimapolitik dazu geführt, dass man das Recht zur Luftverschmutzung nun kaufen und handeln kann. Er hat zur Umstellung von Werbelinien, zur Schaffung von Ökofonds und zu megalomanischen Projekten wie unterirdischen CO2-Speichern geführt. Doch das Grundproblem der Klimakrise liegt tiefer: Man kann, wenn man nur einen Planeten zur Verfügung hat, nicht so leben als hätte man ein paar in Reserve, wie es derzeit geschieht. Und in dieser Hinsicht bekommt man in einem Wirtschaftssystem, das ohne Wachstum in sich zusammenstürzt, ein Problem. Die Frage nach einem Wirtschaftssystem ohne Wachstum ist derzeit ein Tabu – ich stelle diese Frage routinemäßig den Ökonom_innen, die ich interviewe, und ernte immer nur ungläubiges Staunen. Dabei müsste es doch eine Priorität sein darüber nachzudenken, ob ein System das richtige sein kann, in dem es einer Katastrophe gleichkommt, nur mehr so viel zu produzieren wie im Jahr 2006, wie es derzeit in dieser Rezession der Fall ist (wo wir doch 2006 auch ganz schön viel produziert haben, das wir nicht wirklich brauchen). Es müsste eine Priorität sein, Alternativen zu diesem Wachstumszwang zu entwickeln, statt immer kreativer nach Möglichkeiten zu suchen, Wachstum und Klimaschutz zu verbinden – Versuche, die bisher alle gescheitert sind, wie an den wachsenden CO2-Mengen abzulesen ist. Ebenso schlecht funktioniert der Umgang mit der Klimakrise, wenn man auf den Staat setzt. Hier sehen wir, dass wir zusätzlich in einer tiefen politischen Krise stecken, zu der ich später noch etwas sagen möchte. 3. Die Migrationskrise Eng verbunden mit Wirtschafts- und Klimakrise ist eine dramatische Entwicklung in der globalen Migration. Es sind derzeit mehr Menschen in Bewegung denn je: Sie fliehen vor Hunger, vor der Zerstörung ihrer Lebensräume durch den Klimawandel und vor Kriegen, die in vielen Fällen auf globale Verteilungskämpfe um Rohstoffe zurückgehen. Die einzige Antwort Europas auf die Migrationsbewegungen aus armen Ländern – an denen Europa ja nicht unschuldig ist – zeigt sich darin: Die Grenzen zu schließen. Die Konsequenz daraus ist ein Massensterben an den Grenzen, an denen zehntausende Flüchtlinge und Migrant_innen im Meer, in der Wüste, an den Zäunen zugrunde gehen. Mittlerweile ist es nicht nur so, dass man diese Menschen sterben lässt – man treibt sie sogar aktiv in den Tod: Die EU-Grenzschutztruppen von Frontex haben die explizite (und seerechtswidrige) Aufgabe, Flüchtlingsboote auf offenem Meer abzudrängen. Militärs und Polizeieinheiten in den angrenzenden Ländern wiederum schieben Flüchtlinge im Auftrag Europas (und finanziert 4
  • 5. mit europäischen Geldern) zurück, setzen sie in der Wüste aus oder sperren sie in Lager, in denen regelmäßig auf Flüchtlinge geschossen wird – wie eben wieder in Libyen. Diese Lage ist ein eklatanter Bruch mit den Grundwerten unserer Gesellschaft. Es ist fast unglaublich, in welchem Ausmaß an den Universitäten die Augen vor dieser Situation verschlossen werden. Solange Menschen an Europas Grenzen zu Tausenden in den Tod getrieben werden, dürfte es eigentlich in einer ganzen Reihe von Disziplinen kein Seminar und keine Vorlesung geben, in denen diese Problem nicht angesprochen wird. Derzeit geschieht das nicht. 4. Die politische Krise Alle diese Krisen sind globale Krisen, die globale Antworten erfordern und auf Ebene der Nationalstaaten nicht zu lösen sind. Unser politisches System, unsere Demokratie, unsere Sozialsysteme bauen jedoch auf dem Nationalstaat auf. Es ist bisher nicht gelungen, jenseits der Nationalstaaten Modelle und Strukturen aufzubauen, die wirksam mit diesen Herausforderungen umgehen. Stattdessen fällt die – im Nationalen verhaftete – Politik immer wieder darauf zurück, Politik für die „eigenen Leute“ zu machen, und damit allen zu schaden. In der Finanz- und Wirtschaftskrise äußert sich das in der Unfähigkeit, den globalen Finanzmärkten globale Regeln gegenüberzustellen, die dringend notwendig sind. In der Klimakrise äußert es sich in unwürdigem Kuhhandel, wie wir ihn wohl in Kopenhagen leider wieder erleben werden. In der Migrationskrise ist die Unfähigkeit, mit der Situation umzugehen, total: Man beschränkt sich darauf, die Grenzen und die Augen gleichermaßen fest zu verschließen. Auch hier stehen die Universitäten in der Verantwortung. Wir werden in dieser politischen Herausforderung nicht auf die Rezepte aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgreifen können – und aus dieser Zeit stammt unser globales politisches System. Die Universitäten sind gefordert, hier Raum zu schaffen, um neue Modelle zu entwickeln. Sie müssen globales Denken fördern und fordern, damit neue Modelle und Strukturen überhaupt einmal gedacht werden können. Das bedeutet, Scheuklappen abzuwerfen und grenzenlos zu denken. Das bedeutet aber auch, für Durchmischung zu sorgen. Ich habe mir jetzt die Zahlen ausländischer Studierender angesehen, die ja immer wieder als Grund für die derzeitige Situation an den Universitäten genannt werden. Gut, es studieren hier über 17.000 deutsche Staatsbürger – das sind sieben Prozent der Hörer_innen, was weder unbewältigbar klingt noch ist, es genügen Verhandlungen über Ausgleichszahlungen. In Österreich studieren aber weniger als 500 Personen aus dem gesamten amerikanischen Kontinent. Weniger als 500 aus ganz Afrika. Das ist beschämend. 5. Gemischte Gesellschaften und Diversität Die politische Krise spielt sich aber auch innerhalb der Nationalstaaten, der Gesellschaften ab. Ich konzentriere mich hierbei noch einmal auf die Migrationsthematik. Europa – und besonders Österreich – begreift sich nach wie vor als einheitliches Gebilde, in dem weiß, christlich, männlich regiert, und in dem jede_r, die, der diesem Bild aufgrund einer anderen Hautfarbe, einer anderen Religion oder auch nur einer anderen Herkunft nicht entspricht, im besten Fall als Gast geduldet wird. Das ist ein Bild, das mit der Realität nichts zu tun hat. Österreich ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland – spätestens seit den 1960er Jahren, das ist wirklich nicht vorgestern passiert – und wird es in Zukunft noch mehr sein. Die Art, 5
  • 6. wie hier mit dieser Situation umgegangen wird, führt zu einer gesellschaftlichen Spaltung. Das Zusammenleben wird nicht funktionieren, wenn man einen großen Teil der Bevölkerung als ungebetene Gäste behandelt. Die Politik ist derzeit unfähig, mit diesem Thema umzugehen: Die eine Seite – die Rechte – vertritt den schlichten Standpunkt „alle raus“, was natürlich unmöglich ist. Die andere Seite scheut sich davor, das Thema auch nur anzusprechen, weil es so lange der Rechten überlassen wurde. Doch diese Ignoranz wird die Situation nur verschärfen – in welcher Richtung, das ist in anderen Ländern wie Großbritannien oder Frankreich deutlich zu sehen, wenn man denn hinschaut. Die Universitäten haben auch hier eine wichtige Rolle zu spielen. Wir brauchen mehr Forschung, wir brauchen mehr Lehre und wir brauchen Ausbildung in diesem Bereich des Zusammenlebens in einer gemischten Gesellschaft, der einer der entscheidenden für unsere Zukunft sein wird. Das wird nicht möglich sein an Universitäten, welche die gesellschaftlichen Machtverhältnisse nicht nur reproduzieren – nein, die sogar nur die Spitze der gesellschaftlichen Strukturen abbilden. Sowohl der Lehrkörper als auch die Studierenden sind an unseren Unis ein Zerrbild der Gesellschaft, Menschen mit Migrationshintergrund sind kaum vertreten. Eine Universität, die die gesellschaftlichen Machtverhältnisse auf diese Art nur widerspiegelt wird nicht imstande sein, die notwendige Forschung zu betreiben, die richtigen Fragen zu stellen und Rezepte für die Zukunft zu entwickeln. Wir brauchen daher auf den Universitäten eine aktive Diversitätspolitik, die dafür sorgt, dass die Universität durchmischt ist – vom Lehrkörper bis zu den Studierenden. Nur so kann diese Herausforderung angenommen werden. Das gilt leider auch für einen Bereich, von dem man denken sollte, dass er seit Jahrzehnten kein Thema mehr sei: Die Teilhabe von Frauen an den Universitäten. Ihr kennt die Zahlen – bei über 50 Prozent Absolventinnen haben wir einen Frauenanteil unter 20 Prozent bei den Professor_innen und null Prozent bei den Rektoren. Ich begrüße daher die Forderung nach einer 50%igen Frauenquote, die von diesem Plenum aufgestellt wurde, sehr. Es hat sich in den letzten Jahrzehnten erwiesen, dass die Gleichstellung von Frauen auf freiwilliger Basis nicht funktioniert und dass Qualifikation nicht genügt. Eine Anmerkung dazu auf diese Protestbewegung bezogen: Die emanzipatorische Qualität einer Bewegung zeigt sich immer daran, wie sie mit Diskriminierung umgeht. Eine Bewegung, die das Thema Gleichberechtigung nicht in jeder Phase mitdenkt, hat kein Potential für Zukunftsfragen. Ihr könnt auch also alle herzlich bei der AG Frauen bedanken, die immer wieder den Finger auf das Thema Sexismus legt und dafür auch den Kopf hinhält. 5. Welche Universitäten für diese Herausforderungen? Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind enorm. Sie erfordern allerdings weniger Anstrengung als Kreativität und neues Denken. Wir können auf die alten Rezepte nicht zurückgreifen, um damit umzugehen. Es ist eure Aufgabe – der Generation, die jetzt studiert – diese Herausforderung anzunehmen. Jene, die hier im Saal sitzen, haben schon durch ihre Anwesenheit hier damit begonnen. Die Protestbewegung weckt, glaube ich, auch deshalb so viel Sympathie, weil sie so viel von dem erfüllt, was für eine neue Art von Denken und Organisation notwendig ist. 6
  • 7. Ich finde das ursprüngliche Schlagwort „unibrennt“ angemessen für eine Situation, die wirklich untragbar ist. Besser noch gefällt mit das Schlagwort, das später gekommen ist: „Unsere Uni.“ Ich denke, dass das „wir“ hinter diesem „unsere Uni “ nicht nur die Studierenden sind, auch wenn das vielleicht so gedacht war: Das „Wir“ ist die gesamte Gesellschaft. Das hier ist eine öffentliche Universität, sie wird von der Gesellschaft finanziert. Man kann daher den Anspruch an sie stellen, dass sie nicht nur als reine Ausbildungsstätte fungiert, sondern dass sie ohne Scheuklappen das Wissen entwickelt, das wir für diese Herausforderungen brauchen. Wir brauchen dafür eine Universität, die Leistung nicht rein in Punkten und in kurzer Studienzeit misst, sondern freies, kritisches Denken schult und den Raum dafür schafft. Wir brauchen eine Universität, die dort forscht, wo bisher zu wenig hingesehen wurde. Das heißt, dass auch unabhängige Forschung möglich sein muss: Unabhängig von projektbezogenen Geldgebern, seien sie privat oder staatlich. Sonst besteht die Gefahr, dass wieder nur ein Denken reproduziert wird, das für die derzeitigen Krisen verantwortlich ist. Das heißt auch, dass langfristige Forschung möglich sein muss – etwas, das durch die skurrile derzeitige Kettenvertragsregelung behindert wird. Und das heißt, dass Forschung und Lehre auf keinen Fall getrennt werden dürfen: Neues Wissen muss sofort an die Studierenden weitergegeben werden – sie müssen ja von diesem Wissensdrang infiziert, mit neuen Denkansätzen konfrontiert werden und darauf aufbauen können, wenn sie den Herausforderungen unserer Zeit begegnen wollen. Wir brauchen eine Universität, die globales Denken schult und fördert. Es ist dabei nicht förderlich, wenn man im Seminar neben denselben Leuten sitzt, mit denen man schon in die Schule gegangen ist. Die Universität hat die Aufgabe, globalen Austausch zu fördern. Wir brauchen also mehr Mobilität – und wir brauchen nicht weniger, sondern mehr ausländische Studierende. Schließlich ist uns allen hier bekannt, dass Österreich zu den Ländern mit der niedrigsten Akademikerquote aller Industriestaaten zählt. Es ist daher in Zeiten, in denen die „Wissensgesellschaft“ gehyped wird, ein Skandal, wenn steigende Studierendenzahlen als Problem behandelt werden. Wir brauchen nicht weniger Studierende, sondern mehr, und wir brauchen Universitäten, die dafür über den Raum, die Infrastruktur und gut bezahltes Lehrpersonal verfügen. In diesem Sinne wünsche ich dem Plenum hier noch viel Erfolg. 7