Vortrag auf der Tagung "Geschichtsdidaktische Medienverständnisse" Köln 2014 #gld14; ausführlich verschriftlicht in http://shiftingschool.wordpress.com/2014/04/29/medienbegriff-lernbegriff-und-geschichtslernen-im-digitalen-zeitalter/
2. Meine PrämissenMeine Prämissen
Die Geschichtsdidaktik braucht keinen eigenen
Medienbegriff –
sie darf keinen eigenen Medienbegriff haben.
Sie braucht stattdessen denselben Medienbegriff wie
alle – einen, der folgende Anforderungen erfüllt:
wissenschaftlich statt alltagsbegrifflich;
in Kohärenz mit einem ebenso wissenschaftlichen
Gesellschafts- bzw. Kulturbegriff und Menschenbild;
hinreichend komplex statt reduktionistisch
simplifizierend;
historisch denkend die turbulente Gegenwart
konzeptualisierend, die – empirisch evident – im
Zusammenhang mit der „neuen Technologie“ steht.
4. Medien-
konstellation
definiert voraussetzungsvoll
den historisch spezifischen
“Raum“ der kommunikativen
Möglichkeiten;
die Gesamtheit der
potenziellen Formen,
in denen (diese)
Gesellschaft
sich vollzieht
Medienbegriff IIMedienbegriff II
Geräte / devicesGeräte / devices
(=(= physisch-materiellephysisch-materielle
Ebene – „Hardware“Ebene – „Hardware“))
Stimmbänder, Papier,Stimmbänder, Papier,
Druckmaschine, ComputerDruckmaschine, Computer
InstrumenteInstrumente / tools
(= Medienformen,Medienformen,
„Programme“„Programme“)
Sprache strukturell,
Essay, Blogpost
5. Herrn Lavendels ComputerproblemeHerrn Lavendels Computerprobleme
neue Software
lernen
neues Lernkonzept
lernen
Computerprobleme
werden im
Computer gelöst
Verstehen der Lern-
Aufgabe durch
historische Analogie
Foto: CC-BY-Charlotte Ségurel
Ab heute:
Windows XP
Windows 7
6. Begründung einerBegründung einer
medienhistorischenmedienhistorischen
PeriodisierungPeriodisierung In Deutschland
gibt es keine Tradition,
die Kulturgeschichte als
Geschichte der Informations- und
Kommunikationsmedien zu
betrachten. Dabei schafft eineDabei schafft eine
solche Perspektive günstigesolche Perspektive günstige
Bedingungen für dasBedingungen für das
Verständnis unserer GegenwartVerständnis unserer Gegenwart,
weil es viele Wiederholungen in der
Informationsgeschichte und
strukturelle Ähnlichkeiten bei der
Durchsetzung alter und neuer
Medien gibt.
7. Michael Giesecke (2002)Michael Giesecke (2002)
Von den Mythen der BuchkulturVon den Mythen der Buchkultur
zu den Visionen derzu den Visionen der
InformationsgesellschaftInformationsgesellschaft
Konzept einer Periodisierung der
Menschheitsgeschichte nach Leitmedien
Kritische Aufarbeitung der Geschichte der
Buchkultur und v.a. ihrer Selbstbeschreibung
Empirisch-historische Forschung am vorigen
Epochenwechsel (Buchdruck / Industriegesellschaft)
Konzept der Übergangsgesellschaft von einer
Epoche in die nächste als besondere Zeit
8. Die mediale Konstruktion der WeltDie mediale Konstruktion der Welt
M. Giesecke,M. Giesecke,
Innovations-Innovations-
spiralespirale
13. Horseless Carriage:Horseless Carriage:
noch Kutsche oder schon Auto?noch Kutsche oder schon Auto?
Unterscheidung Wesen - Erscheinungsform
äußerlich sichtbares Design
oder Betriebssystem?
14. Übergangskonzept: Gieseckes PhasenmodellÜbergangskonzept: Gieseckes Phasenmodell
1. Phase der Abhängigkeit
Altes Paradigma gilt unangefochten
Neues Medium zur Optimierung der alten Praxis
„Mehrwert“
2. Phase der Gegenabhängigkeit
Erkenntnis der Schwächen des Alten und der Vorzüge
des Neuen; Betonung der Andersartigkeit
Zerstörungen und Innovation: „Anderswert“
3. Phase der Autonomie (angestrebt)
Erkennen und Entwickeln der spezifischen
Leistungspotenziale; Balance
Multimediale Interdependenz statt Leitmedialisierung
15. „Wie können wir flächendeckend
sicherstellen, dass eine neue
Technik sinnvoll eingesetzt wird?
Bevor diese Technik in die
Klassenräume gelangt, muss erst
einmal geklärt werden, ob ein
Nutzen erkennbar ist.“
http://bildungsklick.de/a/90796/lernen-von-anderen-und-learning-by-doing/
AbhängigkeitAbhängigkeit
vom altenvom alten
ParadigmaParadigma
16. Etappen innerhalb der PhasenEtappen innerhalb der Phasen
1. Abhängigkeit
1. Euphorische Überschätzung (Hype),
„Wunschmaschine“ – Gegenbewegung („Skepsis“)
2. Tiefe Enttäuschung (Abkehr)
3. Vergesellschaftung des Mediums und Sozialisation
der Menschen und ihrer Gewohnheiten
17. 11 Mythen der Buchkultur11 Mythen der Buchkultur
1. Mythos der zwei Kulturen
2. Mythos eines einheitlichen Ursprungs von Schrift und
typographischer Buchkultur
3. Mystifikation der Erziehung und Bildung durch Bücher
4. Mystifikation der sichtbaren Welt
5. Mystifikation der synthetischen Buchwelt
6. Mystifikation rationaler sprachlicher Info-Verarbeitung
7. Mystifikation des Gedächtnisses
8. Mythos des (einen) Autors
9. Mystifikation der Technik als universellen Problemlöser
10. Mystifikation der Geschichte als Akkumulation
11. Mystifikation der Buchkultur als monomediales System
18. Die BuchkulturDie Buchkultur
prämiert und entwickeltprämiert und entwickelt
Individuum, Institution,
Staat/Nation
Bewusstsein, sprachliches
Wissen
Hierarchische
Arbeitsorganisation
Konsequenz und Rationalität
Ordnung
Legitimation durch
allgemeingültige Verfahren
Verträglichkeitsprüfung im
Hinblick auf das Individuum und
die Nation
vernachlässigtvernachlässigt
Gruppe, Team, Weltgesellschaft
Affekte, Intuition
Interaktive Netzwerke,
Rückkopplung, Projektorganisation
Redundanz und Sowohl-als-auch-
Denken
Chaos
funktionale Ad-hoc-Lösungen
Verträglichkeitsprüfung im Hinblick
auf die Menschheit und Umwelt
(Globalisierung)
19. Wahrnehmung und Denken in der BuchkulturWahrnehmung und Denken in der Buchkultur
Leistung Vernachlässigung
linear netzförmig + mehrschichtig
mechanisch dialektisch (rückwirkend)
monokausal multikausal
monomedial (monosensuell) multimedial + multisensuell
objektiv
richtig – falsch
entweder–oder
(„ob“)
kontextneutral
intersubjektiv
multiperspektivisch; divers
sowohl-als auch und
weder-noch („inwiefern“)
kontextbezogen
fixierte allgemeingültige
Bedeutungen
persönliche Sinnbildung
20. allgemeiner gesellschaftlicher Trend zurallgemeiner gesellschaftlicher Trend zur
Entwicklung neuer „mentaler Programme“Entwicklung neuer „mentaler Programme“
und organisationaler/systemischer Konzepteund organisationaler/systemischer Konzepte
OffenenOffenen
SelbstbestimmtenSelbstbestimmten
PersonalisiertenPersonalisierten
KollaborativenKollaborativen
MultiperspektivischenMultiperspektivischen
MehrwertigenMehrwertigen
SystemischenSystemischen
UniversellenUniversellen
vomvom
zumzum
21. (Geschichts-)lernen –(Geschichts-)lernen –
mit digitalen Geräten und Medienformenmit digitalen Geräten und Medienformen
1. Phase der Abhängigkeit
mit den neuen Technologien alte
Gesellschaftsprobleme lösen, bzw. alte Unterrichtsziele
besser erreichen wollen
2. Phase der Gegenabhängigkeit
die Andersartigkeit der neuen Technologien zum
Experimentieren nutzen und damit neuartige Probleme,
Ziele, Lösungswege erkunden
die vernachlässigten Aspekte (wieder-) entdeckendie vernachlässigten Aspekte (wieder-) entdecken
3. Phase der Autonomie (als strategisches Ziel)
neue Menschheitsaufgaben mit dem neuen Medium
identifizieren und bewältigen lernen
22. Geschichtslernen –Geschichtslernen –
Lernprozess und Funktion des LehrersLernprozess und Funktion des Lehrers
unter den Bedingungen der Digitalitätunter den Bedingungen der Digitalität
Begegnung mit historischen Gegenständen
persönliche Beziehung bilden/ermöglichen
echte eigene Fragen gebären/entbinden
Austausch organisieren und moderieren
Material, Expertenbegegnungen und Orte
organisieren
Methoden empfehlen und zeigen
Lernprozesse beraten, ermutigen, unterstützen
23. Neue Gegenstände des GUNeue Gegenstände des GU
Ganz sicher kann nicht mehr der
chronologischen Durchgang
durch das nationale bzw. eurozentrische
Geschichtsnarrativ im Zentrum des GU
stehen –
erzählt aus der Perspektive des Bürgertums
an der Macht.
23
24. Geschichtslernen –Geschichtslernen –
komplexe Gegenständekomplexe Gegenstände
Zusammenhangwissen (big-picture und cross-
over) statt Einzelfakten und fachspezifische
Archiv-Methodenkenntnisse
– und zugleich personalisiert im Zugang;
Longitudinal-Studien zu:
Verhältnis Individuum – Gesellschaft (Gattung)
Verhältnis Mensch, Gesellschaft (Kultur) – Natur
Verhältnis Mensch, Gesellschaft – Technologie
Konzepte des Geschichtsverständnisses:
Akkumulation, Substitution, Reproduktion
24
25. LiteraturLiteratur
Giesecke, M., Von den Mythen der
Buchgesellschaft zu den Visionen der
Informationsgesellschaft, FfM 2002
Giesecke, M., Die Entdeckung der
kommunikativen Welt. Studien zur
kulturvergleichenden Mediengeschichte, FfM
2007
Rückriem, G., Understanding Media Revolution.
How Digitalization is to be Considered, 2010