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HVO Zeitgenössische Ästhetik von Tanz und Performance

1. HVO: Tanz- und Performancewissenschaft heute

- Einige wichtige Vertreter des zeitgenossischen Tanzes und der Performance:

William Forsythe, Jan Fabre, Jan Lauwers, Tim Etchells, Meg Stuart, Xavier Le

Roy, Jerome Bel, Boris Charmatz, Philipp Gehmacher, Kattrin Deufert+Thomas

Plischke, Laurent Chetouane u. a.

- Zum nichtlinearen Geschichtskonzept und zur Problematik der Taxonomie:

* diesbezuglich thematisierte Performances von Forced Entertainment:

Who Can Sing a Song to Unfrighten Me (2000), Bloody Mess (2003)

* die „chinesische Enzyklopadie“ von Jorge Luis Borges („a) Tiere, die dem Kaiser

gehoren, b) einbalsamierte Tiere, c) gezahmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere,
g)

herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehorige, i) die sich wie Tolle gebarden, k) die
mit

einem ganz feinen Pinsel aus Kammelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den

Wasserkrug zerbrochen haben, n) die vom weitem wie Fliegen ausschauen.“ ). Vgl. dazu:

Michel Foucaults: Die Ordnung der Dinge: eine Archäologie der

Humanwissenschaften, Frankfurt a. M. 1993, S.17.

- Zur „Geburt“ des Lesers/Zuschauers und zu seiner neuen Rolle und

Verantwortung (Roland Barthes: Der Tod des Autors, 1968.)

- Zum Gegenstand der Tanzwissenschaft und zu ihrer Bedeutung fur die

Kulturwissenschaften: „Anders als die Sportwissenschaft interessiert sich die

Tanzwissenschaft nicht nur fur die Bewegung als Motorik, als Spiel oder Ritual,

sondern auch fur die Regeln und Traditionen, die Bewegung als kunstlerisches

Ereignis inszenieren.“ (Gabriele Brandstetter)

- Zur Problematik der Negation und Affirmation :

* Pirkko Husemann: Ceci et de la danse. Choreographien von Meg Stuart,

Xavier Le Roy und Jérôme Bel, 2002. (Handapparat!!!)
* Rene Magrittes: Der Verrat der Bilder, 1929.

* „Dies ist keine Pfeife, sondern die Zeichnung einer Pfeife – dies ist keine

Pfeife, sondern ein Satz, der sagt, das das eine Pfeife ist – der Satz „Dies ist

keine Pfeife“ ist keine Pfeife – im Satz “Dies ist keine Pfeife ist dies keine

Pfeife: diese Tafel, dieser geschriebene Satz, diese Zeichnung einer Pfeife, all

dies ist keine Pfeife.“ (Michel Foucault, Dies ist keine Pfeife)

- Zum Konzept des Korpers, der sich sowohl der Ballettnorm als auch der

kulturellen Zuschreibungen entzieht und weder Identitat noch Entitat postuliert

–

zwei unterschiedliche Beispiele als Zugang:

* William Forsythe: Solo (1995); Forsythes Begriff der „kinasthetischen

Isometrie“

* Xavier Le Roy: Self Unfinished (1998); Jean-Luc Nancys Begriff des „entschriebenen

Korpers“

* „Mit jeder Bewegung produziert man Verschwinden.“ (Xavier Le Roy)

- Zum Verhaltnis zwischen Tanz, Choreographie und Improvisation:

*„Tanz ist die Kunst, deren Instrument der menschliche Korper und dessen

Verfahrensweise die Bewegung ist.“ (Martha Graham)

*„Der Zweck der Improvisation ist es, Choreographie zu uberwinden,

zuruckzukommen zu dem, was Tanz ursprunglich ist.“ (William Forsythe)

- Zum Begriff der Performance. Definitionsproblematik und Ereignischarakter:

*„Performance ist, was von denen, die sie zeigen, als solche angekundigt wird

[...] Die performative Setzung misst sich nicht an vorhangigen Kriterien,

sondern vor allem an ihrem Kommunikationserfolg.“ (Hans-Thies Lehmann)
- Zum Thema der Fluchtigkeit des szenischen Augenblicks und der Dauer des

Korpergedachtnisses:

*„Warum sind uns die Namen der Ballettmeister nicht uberliefert? Weil Werke

dieser Art nur einen kurzen Augenblick wahren und ebenso rasch wie die von

ihnen hervorgerufenen Eindrucke der Vergessenheit anheim fallen.“ (Jean-

Georges Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 1760)

*„Der Korper akkumuliert aufgrund strukturbildender muskularer und

gelenktechnischer Verbindungen Wissen, das als Moglichkeit du

Handlungskraft im Imaginaren ausgespielt werden kann:“ (Gerald Siegmund)

-Zur Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts und zum Begriff „Avantgarde“:

* Tanz der Moderne: Loie Fuller, Isadora Duncan, Mary Wigman, Martha

Graham, Doris Humphrey u. a.

* Tanz der Postmoderne: Merce Cunningham, Yvonne Rainer, Steve Paxton,

Trisha Brown, Lucinda Childs u. a.

* Tanztheater: Pina Bausch, Johann Kresnik, Susanne Linke, Saburo

Teshigawara, Sasha Waltz u. a.

2. HVO: Lecture-Performance

- Wichtige Aspekte der Asthetik von Tanz und Performance am Beispiel von

Xavier Le Roys Product of Circumstances (1999 )

* die theatralische Reprasentation des Korpers

* das performative Verhaltnis Kunst-Wissenschaft

* szenische Narrationsstrukturen

- Einige Kunstler/Theoretiker als Autoren von Lecture-Performances:

Marten Spangeberg, Jerome Bel, Tim Etchells, Kattrin Deufert & Thomas

Plischke, Petra Sabisch, Ivana Muller u. a.

Vgl. dazu: www.unfriendly-takeover.de: Performing Lectures

Xavier Le Roy, geb. 1963 in Frankreich.
-1990 Promotionsabschluss in Biochemie

-ab 1988 Tanzunterricht, Tanzer in verschiedenen Kompanien in Paris, dann in

Berlin, dann folgen eigene Produktionen

-1998 Premiere der Choreographie quot;Self Unfinishedquot;

-1999 quot;Product of Circumstancesquot;

-grundet quot;in situ productionsquot;, Projekt quot;E.X.T.E.N.S.I.O.N.S.quot;

-2000 Erarbeitung eines Stuckes von Jerome Bel (quot;Xavier Le Royquot;)

-2001 Choreographie mit und fur Eszter Salamon quot;Giszellequot;

-2003 Performance quot;Projektquot;

Regie / Choreographie der Oper quot;Theater der Wiederholungenquot;

-2004 zahlreiche Workshops

-2005 „Mouvements fur Lachenmann“, ein Konzertabend mit Musik von

Helmut Lachenmann

-2006/2007/ Associated artist am Centre Choregraphique National de

Montpellier

2007 Solo zur Musik von Stravinsky „Le Sacre du Printemps“

2008 quot;More Mouvements fur Lachenmannquot;

info@insituproductions.net

- Product of Circumstances als:

* Narration zwischen Faktum und Fiktion

* Wissensproduktion uber den Korper - in Mikrobiologie und Tanz - als

Resultat der diskursiven Bedingungen, die den Korper erst hervorbringen

* Vortrag/Lesung (als asthetische Form)

* Subversion der Erwartungshaltung an das, was als Auffuhrung gilt

* Unterminieren der Darstellungskonventionen und des performativen Pakts

* Erzahlen von autobiographischen Geschichten und von Geschichte (Product

of Circumstances kommentiert und zitiert Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts,

eine der wichtigsten Arbeiten, die zitiert wird, ist Yvonne Rainers Continuous
Project - Altered Daily, 1970).

- Le Roys Hypothesen:

* „Denken wurde eine korperliche Erfahrung. Mein Korper wurde gleichzeitig

aktiv und produktiv, Objekt und Subjekt, Analytiker und Analysiertes, Produkt

und Produzent.“

* „Allmahlich bemerkte ich, dass die Systeme der Tanzproduktion einen

Rahmen gesetzt haben, der Einfluss darauf nahm und manchmal sogar

weitgehend bestimmte, wie ein Tanzstuck zu sein hatte. Tanzproduzenten und

Programm-Macher folgen weitgehend den Regeln der globalen Okonomie.“

* „Und vielleicht ist Theorie Biographie, sie darzustellen ein Vortrag, und einen

Vortrag zu halten eine Auffuhrung.“

- Product of Circumstances als nichtmimetisches Theater oder als „Mimesis

ohne Nachgeahmtes“ (Jacques Derrida):

* Mimesis: Darstellung, Ausdruck, Nachahmung, von griech. mimeisthei,

darstellen, ausdrucken, mit der Konnotation ahnlich machen, nachahmen.

(Ritter, Joachim; Grunder, Karlfried (Hg.): Historisches Worterbuch der

Philosophie. Bd. 5, Basel/Stuttgart 1980, S. 1396)

* Walter Benjamin: „Lehre vom Ahnlichen“ und „Uber das mimetische

Vermogen“ (1933) (in: Gesammelte Schriften, Bd. II/1, Frankfurt a.M. 1980, S.

204-210 und S. 210-213. )

- Einige „Geschichtenerzahler“ der zeitgenossischen Szene: Christoph

Marthaler, Jan Lauwers, Tim Etchells, Barbara Kraus, Jochen Roller, Frans

Poelstra, Robert Stein etc.

- Die „kleinen Erzahlungen“ von Jean-Francois Lyotards Das postmoderne

Wissen, 1979.
3. HVO: Probleme der Aufführungsanalyse

- Zum unzureichenden semiotischen Modell der Auffuhrungsanalyse

* Semiotik (griech. semeion: „Kennzeichen“) ist die allgemeine Lehre von den

Zeichen, Zeichensystemen und Zeichenprozessen (wie der Semiose).

* „Die Theaterwissenschaft wendet sich mit dem performativ turn von einer

semiotischen Theorie des Theaters ab.“ (Gabriele Klein/Christa Zipprich)

- Der phanomenologische Blick der Auffuhrungsanalyse:

* Die Phanomenologie (griech. Phainomenon: „Sichtbares, Erscheinung“;

logos „Rede, Lehre“): gegenwartige philosophische Stromung, die den

Ursprung der Erkenntnisgewinnung in den unmittelbar gegebenen

Erscheinungen sieht.

(* Maurice Merleau-Ponty: Das Sichtbare und das Unsichtbare, Munchen

1986.)

* „Als performativer Zusammenhang verstanden definiert sich Auffuhrung

daher durch die raumlich-zeitliche Koprasenz von Darstellern und Zuschauern,

die im Hier und Jetzt der Theatersituation gemeinsam eine Erfahrung machen,

die auf der Materialitat der an der Auffuhrung beteiligten Korper, Stimmen und

Handlungen basiert.“ (Gerald Siegmund)

- Auffuhrungsanalyse weg von der reinen Bewegungsanalyse hin zur

Wahrnehmungsanalyse von Bewegung

* Beschreibung als Teil der Bewegung (dazu Heiner Muller:

„Bildbeschreibung“)

* Analyse als Fortschreiben der Choreographie. „Toposformeln“ und

„Pathosformeln“ (dazu: Gabriele Brandstetter: Tanz-Lekturen. Korperbilder und

Raumfiguren der Avantgarde, Frankfurt a. M. 1995.)

- „Die Umschrift von ‚ecriture’ in ‚lecture’ markiert, dass hier nicht die
produktionsasthetische Perspektive der Schrift, sondern die wahrnehmungsund

wirkungsasthetische Seite der wechselnden Konfiguration in den Blick

geruckt ist.“ (Gabriele Brandstetter)

- „Ich konnte sagen, Bewegung ist fur mich immer Ausdruck von Verlangen.

Ich meine nicht nur korperliche Lust oder Erotik oder das materielle Verlangen,

etwas zu wollen, zu besitzen oder zu bewohnen, sondern das Verlangen, eine

Verbindung herzustellen, das Verlangen zu verkunden, dass man sich dem

Zuschauer und dem Anderen auf der Buhne aussetzt. Folglich ist Bewegung

auch immer Ausdruck und Einschliesung des Fehlenden, der gescheiterten

Kommunikation, des Zensierten und all der echten oder projizierten

Bedingungen, die die Aktion oder die Verbindung blockieren. Meine

Choreografien sind oft aus unmoglichen Aufgaben entwickelt, wie dem

Wunsch, die Zeit zusammen zu pressen, die eigene Biografie neu zu schreiben,

mehrere Korper gleichzeitig zu bewohnen, den Schmerz eines anderen ganz zu

spuren, die Leere anzunehmen, alle moglichen Wahrnehmungen einer

komplexen Situation mit einer einzigen Geste zu zeigen. Die Choreografie zeigt

gleichzeitig die Entschlossenheit, das Misslingen und die Zerbrechlichkeit des

Versuches. Ich suche immer ein kollaboratives Umfeld. Ich mag es, im Dialog

mit anderen zu arbeiten und mit anderen auf konzeptuelle Art zu tanzen. Solche

Begegnungen helfen, sich zu definieren, aber sie storen auch. Ich geniese diese

Storung; mit anderen zu arbeiten fuhrt einen dahin, wohin man sich allein nie

wagen wurde.quot; (Meg Stuart)

- ARTE-Dokumentation uber Meg Stuart

Meg Stuart, geb. 1965 in New Orleans,

Disfigure Study (1991),

seit 1994 Tanzkompanie Damaged Goods,

Disfigure Study (1991),

No Longer Readymade (1993),
No One is Watching (1995),

Projekt Crash Landing (1996-1999),

1997 artist-in-residence am Kaaitheater in Brussels,

Splayed Mind Out (1997),

Appetite (1998),

Highway 101 (2000-2001),

2001 bis 2004 artist-in-residence am Schauspielhaus Zurich,

2003 artist-in-residence an der Volksbuhne Berlin,

Alibi (2001),

Visitors only (2003),

Forgeries, love and other matters (2004),

Auf den Tisch (2005),

It’s not funny (2006),

Replacement (2006),

Maybe forever (2007),

Blessed (2007),

Alltogethernow (2008).

- Das Finale von Meg Stuarts Alibi (2001): Eine Szene des Zitterns, des

Vibrierens als buchstabliche Erschutterung der choreographischen und

auffuhrungsanalytischen Konventionen, als Virtualisieren von Korper, Raum,

Zeit und Lekture, als Kritik an die „Gesellschaft des Spektakels“ (Guy Debord):

* Gilles de la Tourette uber die „motorische Unkoordiniertheit, begleitet von

Echolaie und Korporalie“ (in: Giorgio Agamben: „Noten zur Geste“, in: ders:

Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik, Freiburg/Berlin: Diaphanes 2001.)

* „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, dass

es zum Bild wird.“ (Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, 1967.)

* Helmut Ploebst: „Bilder huschen auf Zeitplatten / Gesten der
Verraumlichung“ in: ders: No wind no word. Neue Choreographie in der

Gesellschaft des Spektakels, Munchen: Kieser 2001, S. 17-35. (Handapparat)

* Krassimira Kruschkova: „Das Aussetzen der Kritik“, in: J. Huber/Ph.

Stoelger/G. Ziemer/S. Zumsteg (Hg.): Ästhetik der Kritik. Verdeckte Ermittlung,

Zurich: Voldemeer 2007.

4. HVO: Performance und Lektüre als „work in progress“

„Die Suche der asthetischen Kritik besteht nicht im Finden ihres Gegenstandes,

sondern im Vergewissern der Bedingungen seiner Unzulanglichkeit.“ (Giorgio

Agamben: Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen

Kultur (1977), Zurich/Berlin, 2005, S.11.)

„Wurde man einem Chinesen (da die neue Kritik ja als eine seltsame fremde

Sprache gilt) vorhalten, dass er Franzosischfehler macht, wenn er chinesisch

spricht?… Ein Kritiker bezeichnet keine letzte Wahrheit des Bildes, vielmehr

ein neues Bild, das seinerseits in der Schwebe bleibt.“ (Roland Barthes, Kritik

und Wahrheit, Frankfurt am Main 1967, S. 54, 83.)

„[…] dass die Dichtung ihren Gegenstand besitzt, ohne ihn zu erkennen, und

die Philosophie ihn erkennt, ohne ihn zu besitzen“ (Giorgio Agamben: Stanzen.

Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur, Zurich/Berlin,

2005, S. 12.)

„Die Kritik siedelt sich im Zwiespalt des abendlandischen Wortes an und weist

diesseits oder jenseits davon auf eine Verfasstheit des Sagens. Auserlich

gesehen, lasst diese Lage der Kritik sich in der Formel ausdrucken, dass sie

weder darstellt noch erkennt, sondern dass sie die Darstellung erkennt. Der

Aneignung ohne Bewusstsein und dem Bewusstsein ohne Genuss halt die Kritik

den Genuss dessen, was nicht in Besitz zu nehmen ist, entgegen, und den Besitz

dessen, was nicht genossen werden kann… Das in der „stanza“ der Kritik
Eingeschlossene ist nichts, aber dieses Nichts hutet seine Nicht-Aneigenbarkeit

als ein kostbares Gut.“ (Giorgio Agamben, Stanzen. Das Wort und das

Phantasma in der abendländischen Kultur, Zurich/Berlin 2005, S. 13. )

„Ich erkundigte mich nach dem Mechanismus dieser Figuren [...]“ (Heinrich

von Kleist: „Uber das Marionettentheater“, in: ders.: Werke und Briefe in vier

Bänden, Hg. v. Siegfried Streller, Frankfurt a. M.: Insel 1986, Bd. III , S. 473.)

„Das Theater kann nur als Krise und in der Krise funktionieren, sonst hat es

uberhaupt keinen Bezug zur Gesellschaft auserhalb des Theaters.“ (Heiner

Muller: „Theater in der krise: Arbeitsgesprach vom 16. Oktober 1995), in:

Frank Hornigk u.a. (Hgg.): Ich Wer ist das Im regen aus Vogelkot im Kalkfell:

für Heiner Müller, Berlin 1996, S.143.)

„[...] die Aufgabe des Kommentars kann per definitionem nie beendet sein.

Dennoch ist der Kommentar vollig auf den ratselhaften, gemurmelten Teil

gerichtet, der sich in der kommentierten Sprache verbirgt. Er lasst unterhalb des

existierenden Diskurses einen anderen, fundamentaleren und gewissermasen

‘ersteren’ Diskurs entstehen, den wiederherzustellen er sich zur Aufgabe

macht.“ (Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der

Humanwissenschaften (1966), Frankfurt a. M. 1971, S. 73.)

Wie an der Kritik die Inkommensurabilitat und die Unangemessenheit jeder

Darstellung messen? Wie im Scheitern der Vergegenwartigung von Rissen, von

Sprungen, von Differenzen noch den vagen Sprung des Urteils wagen – im

Modus des Unentscheidbaren?

Meg Stuart: Visitors only (2003)

* Die Gesten, die Bewegungsfiguren sagen zugleich zuviel und zuwenig.

„Das Virtuelle ist das Mogliche, das jederzeit und uberall auch anders
Mogliche.“ (Dietmar Kamper)

Meg Stuart: Highway 101 (2000-2001)

„Mit Hilfe von Live-Videobildern und aufgezeichneten Videobildern wollten

wir parallele Welten schaffen, die sich beruhren und bei denen man sich jedes

Mal fragen muss, ist das real oder Fiktion?“ (Meg Stuart)

 Dreifache Sicht des Korpers: live, live-Projektion und schon vorproduzierte

Projektion. Erst dieses komplexe Spiel gibt ihm eine Chance gegenuber seiner

medienasthetischen Reprasentation.

  Gerade in der Unentschiedenheit seines Realitatsstatus’ entzieht sich der

szenische Korper der Bilderflut. Die Darstellungsebenen unterbrechen

einander – dies ist ihr kritisches Potential gegenuber eine „Gesellschaft des

Spektakels“.

 Ein intermediales Prasenz-Absenz-Spiel: Die Szene zeigt - uber die

Projektion – die Strecke, die sie – durch die Projektionswand – versteckt.

  Die stete Umkehrung zwischen live-Prasenz und virtueller Realitat scharft

den Blick gerade in der Destabilisierung seiner Richtung und seiner

Richtigkeit.

Ellipse (gr. έλλειψιέ élleipsis „Fehlen“, „Aussparung“, „Auslassung“, besonders

inmitten von etwas): Auch als ein sprachliches Stilmittel (rhetorische Figur), bei

dem durch die Auslassung von Wortern oder Satzteilen grammatikalisch

„unvollstandige“ Satze gebildet werden.

„[...] die Aufgabe des Kommentars kann per definitionem nie beendet sein.

Dennoch ist der Kommentar vollig auf den ratselhaften, gemurmelten Teil

gerichtet, der sich in der kommentierten Sprache verbirgt. Er lasst unterhalb des

existierenden Diskurses einen anderen, fundamentaleren und gewissermasen

‘ersteren’ Diskurs entstehen, den wiederherzustellen er sich zur Aufgabe
macht.“ (Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der

Humanwissenschaften (1966), Frankfurt a. M. 1971, S. 73.)
5. HVO: Intermedialität.

           Neue Musik, bildende Kunst, Tanz und Performance




- Xavier Le Roy: „More Mouvements für Lachenmann“ (2008)




                                        >




- Synästhesie: Überwiegend versteht man darunter die Kopplung zweier
physisch getrennter Domänen der Wahrnehmung, etwa Farbe und Temperatur
(„warmes Grün“), im engeren Sinne die Wahrnehmung von Sinnesreizen durch
Miterregung eines Sinnesorgans, wenn ein anderes gereizt wird. Menschen, bei
denen derart verknüpfte Wahrnehmungen regelmäßig auftreten, werden als
Synästhetiker bezeichnet.




- Korrespondenzen zwischen den aktuellen Entwicklungen in Tanz,
Performance,     Musik      und   der   bildenden   Kunst:   Auflösung   des
Werkbegriffs, Einsatz des Körpers als Material, intensivierte Rolle des
Zuschauers/Zuhörers, neue räumliche Erfahrungen.
- Michel Fried: “Art and Objecthood”, in: Artforum, 5, Nr. 10, 1967.

* Michel Fried kritisiert die „Theatralität“ des Minimalismus’ in der
bildenden Kunst.

* Er identifiziert allzu schnell die „Theatralität“ mit dem Spektakulären.




- Der „performative turn“ als Paradigmenwechsel: weg von einem
Verständnis von Kultur und Aufführung als Text hin zu ihrem Verständnis
als performative Handlung.




- „In der heterogenen Landschaft der Tanzforschung hat sich in den
vergangenen Jahren die Tendenz durchgesetzt, Tanz und Bewegung nicht mehr
als authentischen Ausdruck menschlicher Subjektivität zu begreifen. Der Körper
hört auf, Instrument und Refugium, Zufluchtstätte einer inneren Subjektivität zu
sein. Sein Tanz ist nicht mehr länger das leuchtende Symbol allgemeiner und
tiefer menschlicher Wahrheiten, die sich mit Hilfe der Sprache nicht ausdrücken
lassen. Im Gegenteil. Sowohl Bewegung als auch der Körper des Tänzers oder
der Tänzerin erscheint nicht mehr länger als naturgegeben, sondern als vielfach
kulturell und diskursiv geprägt und hervorgebracht.“ (Gerald Siegmund)




- Ein Palindrom (von griechisch Παλίνδροµος (palíndromos) „rückwärts
laufend“) ist eine Zeichenkette, die von vorn und von hinten gelesen
gleich bleibt.




- Meg Stuart und Gary Hill: Splayed Mind Out (1997)




- „Wir haben versucht, zwischen der Bewegung der Tänzer, der Sprache
und den Videobildern eine gemeinsame Oberfläche zu finden, auf der
sich die drei Ebenen begegnen können […] Während der Arbeit haben
wir sehr viel über solche Verdoppelungen und Aufspaltungen geredet,
ein Prinzip, das sich überall im Stück wieder findet. Was ist links, was ist
rechts? Wie steht der Körper im Verhältnis zu sich selbst? Immer gibt es
einen imaginären Spiegel, der die beiden Hälften trennt und durch den
man nicht hindurch gehen kann.“ (Meg Stuart über Splayed Mind Out)




- Parmigianino: Selbstporträt im Spiegel, 1523.




- Ort und Akt werden in der Choreo-Graphie eins. Der Akt bringt die
Szene erst hervor, indem er sie betritt: wie einst im labyrinthischen Tanz
Ariadnes Raum und Bewegung eins wurden, und Daedalus, der
Architekt des Labyrinths auch zum ersten Choreographen wurde.
Ariadnes Tanz gilt als Tanz des Begehrens, der sich mit jedem Schritt
vom Ziel entfernt.




- Meg Stuarts Appetite, 1998
(in Zusammenarbeit mit der bildenden Künstlerin Ann Hamilton)




- Kontaktimprovisation: eine Duettform, entwickelt von Steve Paxton im
Umfeld des „Judson Dance Theaters“, die auf dem Einsatz des
Körpergewichts der Partner basiert. Durch Berührung und gegenseitiges
Stützen werden Impulse weitergegeben, die der jeweils andere in
Bewegung umsetzt.
6. HVO: Zur Szene des Anagramms



- „[...] das Bild des Geschlechts auf die Achsel, das des Beines auf den
Arm, das der Nase auf die Ferse. Hand und Zahn, Achsel und
Geschlecht, Ferse und Nase, kurz, virtuelle und reelle Erregung
vermischen sich, indem sie sich überlagern. (Hans Bellmer: „Kleine
Anatomie des körperlichen Unbewußten oder Die Anatomie des Bildesquot;,
in: ders.: Die Puppe, : Berlin: Gerhardt Verlag 1962.)




                                             Hans Bellmer, Torso
Xavier Le Roy, Self Unfinished, 1998         1935




- „Der Körper gleicht einem Satz, der uns einzuladen scheint, ihn bis in
seine Buchstaben zu zergliedern, damit sich in einer endlosen Reihe von
Anagrammen aufs Neue fügt, was er in Wahrheit enthält.quot; (Hans
Bellmer: „Kleine Anatomie des körperlichen Unbewußten oder Die
Anatomie des Bildesquot;)
- Ein Anagramm (von gr. anagraphein: umschreiben) ist die Umstellung
der Buchstaben eines Wortes oder eines Wörterdispositivs zu einem
neuen.




- Das griech. Präfix „ana-quot; bedeutet u. a. „wiederquot; und „widerquot;
(Anagnorisis:    Wiedererkennen;           anatrop:         widerläufig).     Das
Anagrammatische,      das     Verfahren        des      Auseinander-          und
Neuzusammensetzens ist als Prinzip der gleichzeitigen Wiederholung
und   Widersetzung    interessant,   als    Figur     der     Defiguration,   des
performativen Entzugs der Referenz. (vgl. Krassimira Kruschkova:
“Defigurationen. Zur Szene des Angramms im zeitgenössischen Tanz
und in Performance“, in: http://www.corpusweb.net: unter: „finger“ –
„themen“ – thema #1 „der verstellte körper“)
Hans Bellmer, La poupée, 1935
Xavier Le Roy, Self Unfinished, 1998




- „Es geht mir gerade nicht darum, Formen zu definieren, sondern
vielmehr darum, etwas formlos zu machen.quot; (Xavier Le Roy)



- „Weil ich glaube, daß es nicht notwendig ist, dem Publikum eine
bestimmte Körperlichkeit anzubieten, mit der es sich identifizieren kann
in der Art wie: quot;Wow, tolle Körper, fantastisch, was die können.quot; Ich
möchte dazu beitragen, solche Identifikationsmuster zu ändern, weil sie
fremdbestimmen.quot; (Xavier Le Roy)




- „Laßt endlich die menschliche Anatomie tanzen,
von oben nach unten und von unten nach oben,
von hinten nach vorn und von vorn nach hinten [...]quot;
(Antonin Artaud: Schluß mit dem Gottesgericht. Das Theater der
Grausamkeit. Letzte Schriften zum Theater, München: Matthes & Seitz
1980, S. 34.)




- „Die Wirklichkeit ist noch nicht geschaffen, weil die wahren Organe des
menschlichen Körpers noch nicht zusammengestellt und eingesetzt sind.
Das Theater der Grausamkeit wurde geschaffen, um diese Einsetzung
zu vollenden, und um mit einem neuen Tanz des menschlichen Körpers
diese Welt der Mikroben, die bloß ein koagulierendes Nichts ist, in die
Flucht zu schlagen. Das Theater der Grausamkeit will paarweise
Augenbrauen mit Ellbogen, Kniescheiben, Schenkelknochen und Zehen
tanzen und sehen lassenquot;.

(Antonin Artaud: „Le théâtre de la cruautéquot;, in: 84, Paris 1948, Heft 5-6,
S. 101; zit. nach Jacques Derrida: „Die soufflierte Redequot;, in: ders.: Die
Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972, S. 288.)




- „Ich glaube, daß es in dieser Sache nur Übertragung(en) gibt, und ein
Denken der Übertragung(en), in der Summe aller Bedeutungen, die
dieses Wort in mehr als einer Sprache annimmt, und an erster Stelle
Übertragung(en) zwischen Sprachen. Wenn ich das Risiko eingehen
müßte - Gott behüte mich davor - eine einzige knappe, elliptische und
sparsame     Definition   der   Dekonstruktion     als   ein   Losungswort
auszugeben, so würde ich einfach, ohne einen Satz zu bilden, sagen:
mehr als eine Sprache/nichts mehr, was einer Sprache angehört (plus
d'une langue).quot; (Jacques Derrida: Mémoires. Für Paul de Man, Wien:
Passagen 1988, S. 31.)




- „Die Puppen brauchen den Boden nur, wie die Elfen, um ihn zu streifen
[...]; wir brauchen ihn, um darauf zu ruhen , um uns von der Anstrengung
des Tanzes zu erholen: ein Moment, der offenbar selber kein Tanz ist
[…]quot; (Kleist, Heinrich von. „Über das Marionettentheater.quot; Sämtliche
Werke und Briefe. Bd. 2. München, 1993. S. 342.)




- „Die ästhetische Kraft hat weder in der Puppe, noch im Puppenspieler
ihren Sitz, sondern im Text, der sich zwischen ihnen entspinnt […] Der
Boden der Puppe ist nicht der Boden stabiler Erkenntnis, sondern eine
andere Anamorphose des Fadens, durch die er zur Asymptote einer
hyperbolischen Trope wird.quot; (Paul de Man: quot;Ästhetische Formalisierung:
Kleists Über das Marionettentheaterquot;, in: Paul de Man: Allegorien des
Lesens, Frankfurt a. M. 1988.)




- Chiasmus [gr.-nlat.; vom griechisch. Buchstaben Chi = χ (=
kreuzweise)]:   kreuzweise   syntaktische   Stellung   von   aufeinander
bezogenen Wörtern od. Redeteilen (z. B.: „Groß war der Einsatz, der
Gewinn war klein.“)
- „Sich den Bewegungen des Feindes anpassen. Ihnen ausweichen.
Ihnen zuvorkommen. Ihnen begegnen. Sich anpassen und nicht
anpassen. Sich durch Nichtanpassen anpassen. Angreifend ausweichen.
Ausweichend angreifen. [...] in dauernder Vernichtung immer neu auf
seine    kleinsten   Bauteile     zurückgeführt,    sich    immer     neu
zusammensetzend aus seinen Trümmern in dauerndem Wiederaufbau,
manchmal setzte er sich falsch zusammen, linke Hand an rechten Arm,
Hüftknochen an Oberknochen [...] lernte er den immer anderen Bauplan
der Maschine lesen, die er war aufhörte zu sein anders wieder war mit
jedem Blick Griff Schritt und daß er ihn dachte änderte schrieb mit der
Handschrift seiner Arbeiten und Tode.quot; (Heiner Müller: „Herakles 2 oder
Die Hydraquot;, in: Frank Hörnigk (Hg.): Heiner Müller Material. Texte und
Kommentare, Leipzig 1989, S. 76f.)




- „Der Afformativ ist die Ermöglichung, die in keiner Form ihre Erfüllung
finden kann, als Ermöglichung und Verunmöglichung, als Handlung und
zugleich Nichthandlung: als Afformativ der Sprache.quot; (Werner Hamacher:
„Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka.quot; Entferntes Verstehen:
Studien zu Philosophie und Literatur von Kant bis Celan. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp 1998, S. 323.)




- „Der Afformativ ist nicht aformativ, nicht die Negation des Formativen.quot;
(Werner Hamacher: „Afformativ, Streik.quot; Was heißt „Darstellenquot;? Hg.
Christiaan L. Hart Nibbrig. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994, S. 346/360.
)




- „Das Stück beginnt, wenn ich zu einem Tonbandgerät im Raum gehe
und auf den Startknopf drücke. Es kommt kein Ton, weil es keinen
Sound im Stück gibt - aber die Leute sind durch diese simple Geste
trotzdem auf Hören eingestellt. Dieses Hören öffnet auch die Augen. Die
Wahrnehmung verfeinert sich.quot; (Xavier Le Roy über Self Unfinished)
7. HVO: Zur Szene des Anagramms 2




Forced Entertainment: First Night, 2001



- John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do thing with
Words). Deutsche Bearbeitung von Eike von Savigny. Reclam, Stuttgart
2002.

(John L. Austin stellt - in der Nachfolge Ludwig Wittgensteins und als Vorläufer
für die Sprechakt-Theorien von John Searle und Jacques Derrida - sprachliche
Äußerungen als kontext-abhängige Handlungen dar, denn, so Austin, quot;die
Philosophen haben jetzt lange genug angenommen, das Geschäft von
'Feststellungen' oder 'Aussagen' sei einzig und allein, einen Sachverhalt zu
'beschreiben' oder 'eine Tatsache zu behaupten', und zwar entweder zutreffend
oder unzutreffend.quot;)
- William Forsythe: Alie/n a(c)tion, 1992




William Forsythe: Of Any If And, 1995




Jérôme Bel: Nom donné par l'auteur, 1994
Jérome Bel, The show must go on!, 2000




- „Im Anagramm sind die leitenden Silben zu erkennen und zu sammeln,
wie Isis den zerstückelten Körper Osiris wieder zusammensetzte.quot; (Jean
Starobinski: Wörter unter Wörtern. Die Anagramme von Ferdinand de
Saussure, Frankfurt a. M. 1980.)




- „Das anagrammatische Schriftbild bindet die Redeteile nicht mehr nur
in die Linearität, sondern läßt sie nach allen Seiten ausstrahlen und
Beziehungen untereinander knüpfen, welche die Logik der Satzstruktur
durchbrechen könnten.quot; (Aage A. Hansen-Löve: „Velemir Chlebnikovs
Onomatopoetik. Name und Anagrammquot;, in: Renate Lachmann / Igor P.
Smirnov (Hg.): Kryptogramm, Zur Ästhetik des Verborgenen. Wiener
Slawistischer Almanach, Bd. 21, 1988.)
- Gilles Deleuze, Félix Guattari: Rhizom. Berlin: Merve, 1977.




- Paul de Man: „Hypogram and Inscriptionquot;, in: Paul de Man: The
Resistance to Theory, Mineapolis/London 1993.




- Paul de Man: quot;Ästhetische Formalisierung: Kleists Über das
Marionettentheaterquot;, in: Paul de Man: Allegorien des Lesens, Frankfurt a.
M. 1988.
8. HVO: Das Solo.
              Zur Problematik der Identität, Alterität und Singularität



- Jean-Luc Nancy: Singulär plural sein, Berlin: Diaphanes 2004:

* „Wenn ich schreibe, ist diese fremde Hand bereits in meine schreibende Hand
geglitten.“
* „Zusammen ist eine absolut ursprüngliche Struktur. Präsenz ist
unmöglich, es sei denn als Ko-Präsenz.“



- Das szenische Ich-Sagen verspricht sich, weil es mehr als ein und
zugleich kein mit sich gleiches Ich mehr verspricht. Es destabilisiert die
Phantasmen der Identität und des Unmittelbaren. Mit dieser rhetorischen
und performativen Verunsicherung setzt sich das Solo auseinander. Es
untersucht den exponierten Modus des Singulären, der das Ich in seiner
ursprünglichen Pluralität denkt.



- Es gilt, szenische Strategien der Selbstdarstellung, der Erinnerung, des
Autobiographischen zu analysieren, die kulturellen und politischen
Re/Konstruktionen des Ich, die szenische Problematisierung von
Autorschaft und Geschichte.




- Peter Handke: „Selbstbezichtigung“, in: ders.: Stücke 1, Frankfurt a. M.:
Suhrkamp, 1972:
* „Das Ich hier ist nicht das Ich der Erzählung, sondern nur das Ich der
Grammatik.“

* „Ich bin in das Geburtsregister eingetragen worden… Ich bin eine
Aneinanderreihung von Buchstaben geworden… Ich habe beim Geschlechtsakt
die Augen offen gehalten... Ich habe Ich gesagt…. Ich habe dieses Stück
geschrieben.“

- Meg Stuart: Alibi, 2002.

(„…guilty of being American…“, „…I did it My Way…“)




- Heiner Müller: „Hamletmaschine“, in: Heiner Müller Material. Texte und
Kommentare, hg. v. Frank Hörnigk, Leipzig 1989:

* „Ich war Hamlet…“

* „Ich bin die Schreibmaschine...“




- Robert Wilson: Hamlet, a monologue, 1995.
- Jérôme Bel: The last Performance, 1998:

(„ Je suis Jérôme Bel… Ich bin Susanne Linke… I’m Andre Agassi… I’m
Hamlet…“)




- Poststrukturalistische Theorien verweisen auf die Dichotomie von
Alterität und Identität als einander bedingende Momente.




- William Forsythe: Alie/n a(c)tion, 1992




- Die szenische Suche nach Identität, Autorschaft, Autorität wird von einer Lust
an deren Verlust begleitet. Was in der performativen Vervielfältigung des „Ich“
unsicher bleibt, ist der Subjekt/Objekt-Status von dem, der „Ich“ sagt. Dieses
„Ich“ ist kein mit sich identisches Subjekt im Sinne einer Selbst-Identifizierung
und Selbst-Begründung.




- „Kann eine Autobiographie in Versform geschrieben sein?“ (Paul de Man:
„Autobiographie as De-facement“, in: ders.: Man, Paul de: Die Ideologie des
Ästhetischen. Frankfurt a. M. 1993.)
- Die disparaten szenischen Modi des Autobiographischen (Soli, Monologen,
Lecture-Performances etc.) zitieren wiederum (para)literarische Formen wie
Briefwechsel, Memoiren, Tagebücher u. a..




Jérôme Bel, geb. 1968, lebt in Paris.

-“Nom donné par l’auteur » (1994)

-„Jérôme Bel“ (1995)

-„Shirtology“ (1997)

-„The last performance“ (1998)

-„Xavier Le Roy“ (1999)

-„The show must go on“ (2001)

-„Véronique Doisneau“ (2004)

-“The show must go on 2” (2004)

-„Pichet Klunchun & myself“ (2005)
- Jérôme Bel sucht in seinen Choreographien nach dem „Nullpunkt“ der
Darstellung, nach den grundsätzlichen Bedingungen des Szenischen.

(Roland Barthes: Am Nullpunkt der Literatur, Frankfurt a. M.: Suhrkamp
1982.)




- Jérôme Bel : Véronique Doisneau (2004).
“Schwanensee“ (klassisch)




* Rudolf Nurejews “La Bayadère“ / Merce Cunninghams „Points in Space“
*„Schwanensee“:     Der    Applaus:    ein   Kurzschluss          von   zwei
Repräsentationsebenen? Das Publikum applaudiert, aber darf es dies
bereits? Eine Verunsicherung der Übereinkunft zwischen Bühne und
Zuschauerraum, ein möglicher Lapsus des Publikums wird provoziert,
ein ironischer Bruch der Konvention gerade durch das Ausstellen der
Konvention. Ein unschickliches Applaudieren. Jérôme Bel inszeniert
eine mediale ‚Unschicklichkeit’, ‚Ungeschicklichkeit’

* Der Entzug der Contenance und die Virtuosität des Singulären.
9. HVO: Das Solo 2.
               Der Körper des Anderen als Phantomschmerz


- Jérôme Bel: Véronique Doisneau, 2004

(Véronique Doisneau als Giselle)



- Xavier le Roy : Giszelle, 2001

(Eszter Salamon in Giszelle)




(* Found Footage: ein Genre der experimentellen Filmproduktion, das teilweise
oder ganz auf bereits vorhandenes Filmmaterial zurückgreift.

* Anagnorisis (griechisch „Wiedererkennung“) bezeichnet in der griechischen
und römischen Literatur den Umstand, dass sich zwei Personen wiedererkennen.
* Objet trouvé (franz. für ‚gefundener Gegenstand‘): ein Kunstwerk, bzw. Teil
eines Kunstwerks, das aus vorgefundenen Alltagsgegenständen oder Abfällen
hergestellt wird. Readymades werden sie genannt, wenn der Künstler am
vorgefundenen Objekt keine oder kaum Eingriffe vornimmt.)




Replik von Marcel Duchamps Fountain in Musée Maillol, Paris
(Das Original von 1917 ist verschollen.)




- „Schön wie die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf
einem Seziertisch.“ (Lautréamont) ⇒ Surrealismus
- quot;Mit den Techniken des Kinos haben wir das Material bearbeitet, Schnitt,
Einzelbild, schneller Vor- und Rücklauf. Ist das nicht voller Bewegung, mit so
viel Tanz wie noch nie?quot; (Xavier Le Roy über Giszelle)




- Nicht-Musik, Nicht-Tanz, Nicht-Malerei (John Cage, Merce Cunningham,
Joseph Beuys)




- „In meinem Unbewußten sind es die Anderen, die ich höre.“ (Antonin Artaud)




- Jean-Luc Nancy: Singulär plural sein, Berlin: Diaphanes 2004:

* „Das Gesetz des Berührens ist Trennung, und mehr noch, es ist die
Heterogenität der Oberflächen, die sich berühren…“ (S. 25)

* „Bevor die Sprache Wort, Einzelsprache, Verbalität oder Bedeutung wird, ist
sie dies: die Erweiterung u die Simultaneität des MIT, insofern die eigentliche
Kraft eines Körpers in dessen Eigenschaft besteht, einen anderen Körper zu
berühren (oder sich zu berühren), was nichts anderes ist als seine De-Finition als
Körper. “(S. 142)
- „Man gelangt an eine Grenze, nicht indem man sie durchquert, sondern indem
man sie berührt.“ (Jean-Luc Nancy: Corpus, Berlin: Diaphanes 2003, S. 17.)




- Meg Stuart/Benoît Lachambre: Forgeries, Love and other maters, 2004

- Meg Stuart/Philipp Gehmacher: Maybe Forever, 2007




- Meg Stuart: XXX. For Arlene and Colleagues, 1997

(Song : Je T'aime- Moi Non Plus)




- Meg Stuart: figure in distortion, 1992

(De-Figurationen des Körpers)
- Philipp Gehmacher: in the absence, 2000

(still acts)




- Ist uns der Körper nur in seinen Repräsentationen ‚gegeben’, so wird der
szenische Körper, der kein naturgegebener sein kann, als Projektionsfläche für
disziplinierende ideologische Einschreibungen wie für die Sehnsucht nach dem
Anderen thematisiert. Der Körper stellt sich der szenischen Darstellung, gerade
indem er sich und seinen Anderen vermisst. Der Körper des Anderen in den
Choreographien von Xavier le Roy, Meg Stuart oder Philipp Gehmacher als
Phantomschmerz erfahren.
10. HVO: Unmögliche Tränen

                Emotionen in Tanz und Performance heute




- Forced Entertainment: Bloody Mess, 2004:

*„Wie erreicht man bloß die Tränen, die nötig sind für die Traurigkeit der
hier behaupteten Welt?“

* „Was wir auf der Bühne gemeinsam tun könnten, ist gemeinsam zu
schweigen und gemeinsam zu weinen.“

(http://www.forcedentertainment.com)
- Giorgio Agamben: „Noten zu Geste“, in: ders.: Mittel ohne Zweck.
Noten zur Politik, Freiburg/Berlin: diphanes 2001):

* „Denn nur eine Geste, in der Potenz und Akt, Natürlichkeit und Manier,
Kontingenz und Notwendigkeit ununterscheidbar werden (letzen Endes
also einzig im Theater) ist das Denken der Ewigen Wiederkehr zu
verstehen.“ (S. 56)

* „Ende des 19. Jahrhunderts hatte das abendländische Bürgertum
seine Gesten bereits endgültig verloren.“ (S. 53)

- „Das Lachen ist ein Chaos der Artikulation.“ (Walter Benjamin)




- Heinrich von Kleist: Das Käthchen von Heilbronn:

* „-Was fehlt Dir? Was bewegt dich so?“

* „-Was weinst du?“ „-Ich weiß nicht, mein Herr. Es ist nichts. Es ist ins
Aug mir was gekommen.“




- „Theater ist Krise. Es kann nur als Krise und in der Krise funktionieren, sonst
hat es überhaupt keinen Bezug zur Gesellschaft außerhalb des Theaters.“
(Heiner Müller)




- „So lebt in der Geste die Sphäre nicht eines Zwecks in sich, sondern
die einer reinen Mittelbarkeit ohne Zweck, die sich den Menschen
mitteilt. […] Die Geste ist in diesem Sinne Mitteilung einer Mitteilbarkeit“
(Giorgio Agamben: „Noten zu Geste“, S. 61.)




- „Unsere Stärke ist, schlecht planen zu können. Wir werden uns auch in
Zukunft auf das ‚bloody mess’ in unserer Arbeit verlassen müssen.“ (Tim
Etchells)




- Meg Stuart, Benoît Lachambre: Forgeries, Love and Other Matters,
2004:

* „No laughter, no tears in this place. No falling in love in this place, no
falling out of love. No repetition here… No repetition here… “

* „There is no reason to stay here… There is no waiting in this place…“

- Das Wort „unmöglich“ im Titel Unmögliche Tränen markiert einen
Apostroph      –    apostrophierte,   d.h.,   zugleich       angesprochene     u
ausgelassene        Tränen,    eine    zweifache      Verunsicherung         der
Darstellbarkeit: Als paradoxe Liquidierung jedes flüssigen Ausdrucks
referiert der Titel, einerseits, auf jene verkürzte, verkitschte, ja
unmögliche, peinliche Rührung, mehr noch: auf die Ideologeme der
Sentiments, des vermeintlich unmittelbaren Ausdrucks. Andererseits,
buchstabiert er das emotionale Potential des Szenischen, die Latenz nur
möglicher ‚Sensationen’: Er buchstabiert die Unzustellbarkeit der
szenischen Botschaft, wenn Gefühle im Spiel sind, wenn die
Leidenschaft       ihr   Inkommensurables      mimt      –     Mimesis   ohne
Nachgeahmtes. Kommen Tränen überhaupt ins Spiel, so werden sie
sogleich aufs Spiel gesetzt – und auch alles, was sie hätten schreiben,
choreographieren können. „Wenn ich Tränen schreiben könnte, doch so
– –“, schreibt Heinrich von Kleist an seine Halbschwester Ulrike über die
Vakanz der Gefühlsdarstellung. Erst wenn die Bewegung außer Fassung
gebracht wird, rührt sie womöglich an das Fassungslose des Gefühls,
erst aus den Fugen geraten, zeigt sie die Unverfügbarkeit der Emotion.

(Vgl. Krassimira Kruschkova: „Unmögliche Tränen. Über Emotionen im
zeitgenössischen Tanz und in Performance“, in: M. Bishof/C. Feest/C.
Rosiny (Hg.): e_motion in motion, Münster: LIT 2005.)




- „…die sehr genauen, wenig entwickelten, aber sehr expliziten Elemente
eines Denkens der Liebe, die sich genau zwischen dem Uneigentlichen
und dem Eigentlichen des Mit in Sein und Zeit einfügen könnte [...] und
dies so, daß die Liebe ein immer singuläres Mit ist: ‚Deine Liebe – denn
‚die’ Liebe, das gibt es nicht.’“ (Jean-Luc Nancy: Singulär plural sein, S.
171.)




- „Das Spezifische am Theater ist eben nicht die Präsenz des lebenden
Schauspielers oder des lebenden Zuschauers, sondern die Präsenz des
potentiell Sterbenden…“ (Heiner Müller in: Kluge, Alexander/Müller
Heiner: „Ich bin ein Landvermesser“. Gespräche mit Heiner Müller. Neue
Folge, Hamburg: Rotbuch 1996, S. 95.)
- Jan Lauwers: Snakesong Trilogy, 1994-1998.

(http://www.needcompany.org)




- „Jedes echte Gefühl ist in Wirklichkeit unübersetzbar. Es ausdrücken,
heißt, es verraten. Aber es übersetzen, heißt, es verheimlichen. Echter
Ausdruck verbirgt, was er äußert [...] Jedes mächtige Gefühl ruft in uns
die Vorstellung der Leere hervor.“ (Antonin Artaud: Das Theater und sein
Double, S. 76f.):




- George Batailles: Die Tränen des Eros. München 1982.
11. HVO: Das szenische Ereignis.

                            Die Potentialität. Das Versprechen




- „Die Theaterszene ist ein Ort, an dem sich jedes Mal die Kehrseite des Kults abspielt, an
dem sie sich exponiert, sich inszeniert, das heißt ihre geschickte Offenbarung und
Darstellung sucht: nicht die Anrufung der Präsenzen, sondern der Appell an die
Abwesenheit unter uns, als dasjenige, was nicht erfüllt werden soll, sondern entflammt
oder elektrisiert werden muss...“ (Jean-Luc Nancy: Das Theaterereignis)




- Manuel Pelmus: Preview (2007)




- […] darkness, we may therefore say, is in some way the colour of potentiality […] we
see darkness […] human beings can, instead, see shadows (to skotos), they can experience
darkness: they have the potential not to see, the possibility of privation […] (Giorgio
Agamben: Potentialities. Collected Essays in Philosophy, Stanford 1999)




- „Was! Du nimmst sie jetzt nicht, und warst der Dame versprochen?
Antwort: Lieber! vergib, man verspricht sich ja wohl.“ (Heinrich von Kleist: Das
Sprachversehen)
- Forced Entertainment: Bloody Mess (2003)




* You got it. You got what? The gift of humor.“

* „I’ll take my comedy seriously.“

* „Some friends of mine call it potentiality. Things waiting to happen“

* „You got nothing. The complete picture of nothing.“




- „Die Sprache verspricht (sich). In einem Maße, das notwendig in die Irre führt,
übermittelt die Sprache ebenso notwendig das Versprechen ihrer eigenen Wahrheit. Auch
deshalb erzeugen textuelle Allegorien auf dieser Ebene rhetorischer Komplexität
Geschichte.“ (Paul de Man: Promises (Social Contract))
- „Vielleicht, daß es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein
zwiedeutiges Spiel an der Manschette, was in Frankreich die Ordnung der Dinge
bewirkte.“ (Heinrich von Kleist: Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden)



- „Und das Ereignis ist das, was Datum ‚macht‘, da kein Datum schon gegeben ist …
Wenn das Ereignis schon datiert ist, kommt es nicht mehr dazu, Ereignis zu sein, es
gedenkt schon seiner selbst; so sind der 17. Juni 1789 in Paris (Nationalversammlung)
oder der 17. Juni 1953 in Berlin (Arbeiteraufstand) in dem Moment, in dem sie stattfinden,
noch nicht der „17. Juni“: Sie erfindet ihr Datum.“ (Jean-Luc Nancy: Das Theaterereignis)




- „Was im Sprechakt des Versprechens geschieht, ist ein Aktverzicht … Insofern ist es
reine Enthaltung: epoché … Andererseits wird Sprache erst im Versprechen als eine
Sprache – als in sich einheitliche und für viele gemeinsame Sprache entworfen.“ (Werner
Hamacher)




- „Das Theater soll die Wirklichkeit unmöglich machen.“ (Heiner Müller)




- Sofern das szenische Denken des Mangels, des Fehlens die Wirklichkeit testet, aufs Spiel
setzt, arbeitet Performance heute an diesem Unterminieren und zugleich Öffnen, an
diesem Verunmöglichen des Wirklichen. Diese subversive Arbeit, die das Gezeigte immer
wieder streicht, das Vorgegebene zurücknimmt, und die Repräsentation erschüttert,
unterbricht immer von neuem die Sichtbarkeit des Körpers der Szene und des Körpers auf
der Szene. Der Körper stellt sich, gerade indem er sich vermisst. Er setzt sich seinem
eigenen Aussetzen aus. Durch den Entzug des Sichtbaren intensiviert die Szene eine
produktive Vakanz. Das Abwesende wird gerade über seine Lücke figuriert. Das Präsente,
so könnte man sagen, versäumt sich. Und erst so bricht der Körper als Ereignis ein, diesem
nichtkalkulierbaren Einbruch ist der Bruch immer gleichursprünglich.




- In Jacques Derridas La Dissemination (1972) steht der Begriff Dissemination für die
endlose Streuung und die potentielle Entstehung von BEDEUTUNG, wodurch, so Derrida,
in Abwesenheit von SIGNIFIKATEN das Spiel der SIGNIFIKANTEN bestimmt wird...“
(Hawthorn, Jeremy: Grundbegriffe moderner Literaturtheorie. Tübingen und Basel:
Francke, 1994.)




- „Indem sie vom Kult ausgeht, geht die Tragödie von der Präsenz aus, sie verlässt sie. …
In einer Welt ohne Götter ist das Eigene anzueignen: Der Mensch muss sich die
Menschheit aneignen, die nie gegeben ist, niemals…“ (Jean-Luc Nancy: Das
Theaterereignis)
- Amanda Piña / Daniel Zimmermann: WE, 2008:




Jetzt sitzen wir da
still und mit unendlicher geduld
wie eine herde voller erwartungen
warten auf dass etwas geschieht.

(Elias Canetti: Masse und Macht)
12. HVO: Abwesenheit und Autorschaft
                         in Tanz und Performance heute


- Eine szenisch markierte Absenz konstituiert - statt der viel beschworenen
Präsenz - den zeitgenössischen Tanz und Performance: Das szenische Hier und
Jetzt würde ohne die Spur der Abwesenheit ganz fehlen. Es gilt, die Präsenz-
Behauptung als Merkmal des Szenischen gegen den Strich zu lesen: Erst indem
die Darstellung das Anwesende vermisst (im doppelten Sinn vermisst), erst
indem sie Absenz markiert, setzt sie sich kritisch damit auseinander.


- JÉRÔME BEL: THE SHOW MUST GO ON (2000)




* TONIGHT (WEST SIDE STORY) - JIM BRYANT, MARNI NIXON
(LEONARD BERNSTEIN)

* LET THE SUN SHINE IN (HAIR) - GALT MAC DERMOTT

* COME TOGETHER - THE BEATLES

* LET’S DANCE - DAVID BOWIE
* I LIKE TO MOVE IT - REAL 2 REAL (E. MORILLO & M. QUSHIE)

* BALLERINA GIRLS - LIONEL RICHI

* PRIVATE DANCER - TINA TURNER

* MACARENA - LOS DEL RIO

* INTO MY ARMS - NICK CAVE

* MY HEART WILL GO ON - CÉLINE DION

* YELLOW SUBMARINE - THE BEATLES

* LA VIE EN ROSE - EDITH PIAF

* IMAGINE - JOHN LENNON

* THE SOUND OF SILENCE - SIMONE AND GARFUNKEL

* EVERY BREATH YOU TAKE - THE POLICE

* I WANT YOUR SEX - GEORGE MICHAEL

* KILLING ME SOFTLY WITH HIS SONG - ROBERTA FLACK

* THE SHOW MUST GO ON - QUEEN



- ÜBER JEDE ANTEIL NEHMENDE BERÜHRUNG HINAUS BETRIFFT
DIE HEITERE TRAUER, DIE INTELLIGENTE SINNLICHKEIT DIESER
SHOW DIE ABWESENHEIT DER KÖRPER/BILDER, IHRE
KONSTITUIERUNG ALS MEDIALE PROJEKTIONEN. AUFTRITT HAT
DIE ERINNERUNG, DAS KOLLEKTIVE UND INDIVIDUELLE
GEDÄCHTNIS, DESSEN CODE GEGEN DIE GÄNGIGEN
IDENTIFIKATIONSMUSTER (ÜBER MUSIK-HITS) UNBEKANNT,
UNLESBAR BLEIBT. INSZENIERT WIRD DER AKT DES ERINNERNS,
DER ABER NUN MAL ERST ÜBER DAS VERGESSEN FUNKTIONIERT.
DAS GEDÄCHTNIS GILT HIER ALS PROJEKTIONSFLÄCHE FÜR
MEDIAL VERMITTELTES BILDLICHES UND WÖRTLICHES, FÜR
IDEOLOGISCHE ZUSCHREIBUNGEN, DIE EINEN IMMER SCHON
ENTEIGNETEN, UNEIGENTLICHEN KÖRPER BETREFFEN.



- DER IMMER SCHON DENATURIERTE KÖRPER WIRD WÖRTLICH
DURCH SEINE REPRÄSENTATIONEN CHOREOGRAPHIERT. GERADE
IN SEINER MINIMALISTISCHEN WÖRTLICHKEIT (DER KÖRPER IST
DER KÖRPER IST DER KÖRPER…) SUBVERSIERT ER JEDEN
VERSUCH, SEINE GESTEN ALS DISKURSIVE ZEICHEN ZU LESEN,
SOFERN ER JEDE REFERENTIALITÄT DESTABILISIERT. ÜBER DIE
AUFDECKUNG DER UNSICHEREN REFERENTIALITÄT VON
TEXTKÖRPER WIE VON KÖRPERTEXTEN GEFÄHRDET BEL DIE
GÜLTIGKEIT JEDER SZENISCHEN KONVENTION, JEDER AUTORITÄT,
JEDER AUTORSCHAFT.




- „DIE GEBURT DES LESERS IST ZU BEZAHLEN MIT DEM TOD DES
AUTORS.“

(ROLAND BARTHES: DER TOD DES AUTORS)




- JEROME BEL: NOM DONNE PAR L’AUTEUR (1994)

- JÉRÔME BEL: JÉRÔME BEL (1995)
- JÉRÔME BEL: THE LAST PERFORMANCE (1998)

- Jérôme Bel: Xavier Le Roy (2000)




- JOHN L. AUSTIN: ZUR THEORIE DER SPRECHAKTE (HOW TO DO
THINGS WITH WORDS). DEUTSCHE BEARBEITUNG VON EIKE VON
SAVIGNY. RECLAM, STUTTGART 2002.




- „DER TEXT PRAKTIZIERT NICHT, WAS ER PREDIGT.“

(PAUL DE MAN: ALLEGORIES OF READING)
13. HVO: Die Szene der Gabe, die Gabe des Szenischen.
        Verletzungen der Repräsentation und des Tauschprinzips


- JEROME BEL: NOM DONNE PAR L’AUTEUR (1994)




- SCHWARZMARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-WISSEN,
KURATORIN: HANNAH HURTZIG
- „DAS PUBLIKUM IST EIN EXAMINATOR, DOCH EIN ZERSTREUTER.“
(WALTER BENJAMIN: „DAS KUNSTWERK IM ZEITALTER SEINER
TECHNISCHEN REPRODUZIERBARKEIT“, IN: DERS.:
ILLUMINATIONEN. AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN, FRANKFURT A. M.:
SUHRKAMP 1977, S. 167.)




- SCHWARZMARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-WISSEN,
KURATORIN: HANNAH HURTZIG
* EINE SERIE VON VERANSTALTUNGEN ALS PERFORMATIVE
INSTALLATION MIT EXPERTEN UND PUBLIKUM

* DAS THEMA DER SCHWARZMARKT-AUSGABE BEIM STEIRISCHEN
HERBST 2007:

DIE GABE UND ANDERE VERLETZUNGEN DES TAUSCHPRINZIPS.

* PUBLIKATION: SCHWARZMARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND
NICHT-WISSEN

(HG. VON VERONICA KAUP-HASLER / CLAUS PHILIPP), MASKE UND
KOTHURN, 2007, HEFT 4.




- JACQUES DERRIDA: WENN ES GABE GIBT – ODER: „DAS FALSCHE
GELDSTÜCK“:

* „DAS EREIGNIS ALS GABE UND DER GABE ALS EREIGNIS.“

* „DIE GABE WIE DAS EREIGNIS, ALS EREIGNIS, MUSS AUF EINE
BESTIMMTE WEISE UNVORHERSEHBAR BLEIBEN, ES ABER
BLEIBEN, OHNE SICH ZU BEWAHREN... EINE GABE SIGNIERT SICH
NICHT.“

* „UND MUSS MAN EINER VERGEBUNG WÜRDIG SEIN? MAN KANN
EINER ENTSCHULDIGUNG WÜRDIG SEIN, ABER MUSS EINE
VERGEBUNG SICH NICHT ÜBER DIE WÜRDIGKEIT HINAUS
ERSTRECKEN?“
- SOCIETAS RAFFAELLO SANZIO: GIULIO CESARE (1996), REGIE:
ROMEO CASTELLUCCI




*„CECI N’EST PAS UN ACTEUR“

* RENÉ MAGRITTES: DER VERRAT DER BILDER, 1929
- „DIES ERLAUBT UNS ZU EINER WÖRTLICHKEIT ZU KOMMEN, DIE
ZUM SCHWINDEL WIRD. DAS GESEHENE BILD REALISIERT IN DER
TAT DAS TOTALE ZUSAMMENFALLEN VON WORT UND SEINER
VISION   (DIE   VISION    DER    FLEISCHLICHEN   HERKUNFT)   UND
PRODUZIERT EINE ENTGLEISUNG, WEIL MAN NICHT MEHR GENAU
WEIß, WELCHER DER PREVALENTE TEIL IST: DAS GESAGTE WORT
ODER     DIE    SICHT    DES    WORTES.“   (ROMEO   CASTELLUCCI:
„MISSKLANG FÜR EINE INSZENIERUNG: JULIUS CÄSAR“)
- SOCIETAS RAFFAELLO SANZIO: HEY GIRL! (2007)




- „DAS WAHRE THEATER IST VIEL ZUCKENDER, ES IST VIEL
VERRÜCKTER, EIN KRAMPFZUSTAND DES OFFENEN HERZENS.“
(ANTONIN ARTAUD: SCHLUß MIT DEM GOTTESGERICHT )
- „ES GIBT INTELLEKTUELLE SCHREIE, DIE AUS DER FEINHEIT DES
MARKTS HERRÜHREN. DAS IST ES NÄMLICH, WAS ICH FLEISCH
NENNE. ICH TRENNE MEIN DENKEN NICHT VON MEINEM LEBEN.
BEI JEDER VIBRATION MEINER ZUNGE VOLLZIEHE ICH ALLE WEGE
DES DENKENS IN MEINEM FLEISCH NACH.“ (ANTONIN ARTAUD: DIE
NERVENWAAGE)




- JÉRÔME BEL: JÉRÔME BEL (1995)




- JÉRÔME BEL: THE LAST PERFORMANCE (1998)

(OBSESSION, CONTRADICTION, ETERNITY, ESCAPE…)
- EINE „ANATOMIE DER BILDER“ (HANS BELLMER) UND EINE
    ,ANATOMIE’    DER   SZENISCHEN   GABE:   ‚ANOREKTISCHE’
BILDER, IKONOKLASTISCHE CHOREO-GRAPHIEN STELLEN IHR
VERSCHWINDEN AUS, UND HINTERGEHEN DIE REPRÄSENTATION,
INDEM SIE PRÄSENZ ALS VERMISSTE KÖRPERLICHKEIT AUFS SPIEL
SETZEN, NUR VERSPRECHEN. DAS SZENISCHE EREIGNIS WIRD
IMMER    SCHON   ALS    EIN   KÜNFTIGES   AUSBLEIBEN,   UNS
AUGENBLICKLICH NUR ÜBERRASCHEN, ERSCHÜTTERN. ES WIRD
DURCH    DIE   INTENTIONALE   INSTABILITÄT   IMMER   SCHON
SUSPENDIERT SEIN. DAS SZENISCHE EREIGNIS WIRD – IN ALL
SEINER   UNEINLÖSBARKEIT, INSTABILITÄT – PASSIEREN: ALS
ÜBERBORDETE      ORDNUNG,     BEDINGUNGSLOS     ADRESSIERT,
UNZUSTELLBAR, UNGERUFEN.

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Hvo Zeitgenoessische Aesthetik Von Tanz Und Performance

  • 1. HVO Zeitgenössische Ästhetik von Tanz und Performance 1. HVO: Tanz- und Performancewissenschaft heute - Einige wichtige Vertreter des zeitgenossischen Tanzes und der Performance: William Forsythe, Jan Fabre, Jan Lauwers, Tim Etchells, Meg Stuart, Xavier Le Roy, Jerome Bel, Boris Charmatz, Philipp Gehmacher, Kattrin Deufert+Thomas Plischke, Laurent Chetouane u. a. - Zum nichtlinearen Geschichtskonzept und zur Problematik der Taxonomie: * diesbezuglich thematisierte Performances von Forced Entertainment: Who Can Sing a Song to Unfrighten Me (2000), Bloody Mess (2003) * die „chinesische Enzyklopadie“ von Jorge Luis Borges („a) Tiere, die dem Kaiser gehoren, b) einbalsamierte Tiere, c) gezahmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehorige, i) die sich wie Tolle gebarden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kammelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die vom weitem wie Fliegen ausschauen.“ ). Vgl. dazu: Michel Foucaults: Die Ordnung der Dinge: eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a. M. 1993, S.17. - Zur „Geburt“ des Lesers/Zuschauers und zu seiner neuen Rolle und Verantwortung (Roland Barthes: Der Tod des Autors, 1968.) - Zum Gegenstand der Tanzwissenschaft und zu ihrer Bedeutung fur die Kulturwissenschaften: „Anders als die Sportwissenschaft interessiert sich die Tanzwissenschaft nicht nur fur die Bewegung als Motorik, als Spiel oder Ritual, sondern auch fur die Regeln und Traditionen, die Bewegung als kunstlerisches Ereignis inszenieren.“ (Gabriele Brandstetter) - Zur Problematik der Negation und Affirmation : * Pirkko Husemann: Ceci et de la danse. Choreographien von Meg Stuart, Xavier Le Roy und Jérôme Bel, 2002. (Handapparat!!!)
  • 2. * Rene Magrittes: Der Verrat der Bilder, 1929. * „Dies ist keine Pfeife, sondern die Zeichnung einer Pfeife – dies ist keine Pfeife, sondern ein Satz, der sagt, das das eine Pfeife ist – der Satz „Dies ist keine Pfeife“ ist keine Pfeife – im Satz “Dies ist keine Pfeife ist dies keine Pfeife: diese Tafel, dieser geschriebene Satz, diese Zeichnung einer Pfeife, all dies ist keine Pfeife.“ (Michel Foucault, Dies ist keine Pfeife) - Zum Konzept des Korpers, der sich sowohl der Ballettnorm als auch der kulturellen Zuschreibungen entzieht und weder Identitat noch Entitat postuliert – zwei unterschiedliche Beispiele als Zugang: * William Forsythe: Solo (1995); Forsythes Begriff der „kinasthetischen Isometrie“ * Xavier Le Roy: Self Unfinished (1998); Jean-Luc Nancys Begriff des „entschriebenen Korpers“ * „Mit jeder Bewegung produziert man Verschwinden.“ (Xavier Le Roy) - Zum Verhaltnis zwischen Tanz, Choreographie und Improvisation: *„Tanz ist die Kunst, deren Instrument der menschliche Korper und dessen Verfahrensweise die Bewegung ist.“ (Martha Graham) *„Der Zweck der Improvisation ist es, Choreographie zu uberwinden, zuruckzukommen zu dem, was Tanz ursprunglich ist.“ (William Forsythe) - Zum Begriff der Performance. Definitionsproblematik und Ereignischarakter: *„Performance ist, was von denen, die sie zeigen, als solche angekundigt wird [...] Die performative Setzung misst sich nicht an vorhangigen Kriterien, sondern vor allem an ihrem Kommunikationserfolg.“ (Hans-Thies Lehmann)
  • 3. - Zum Thema der Fluchtigkeit des szenischen Augenblicks und der Dauer des Korpergedachtnisses: *„Warum sind uns die Namen der Ballettmeister nicht uberliefert? Weil Werke dieser Art nur einen kurzen Augenblick wahren und ebenso rasch wie die von ihnen hervorgerufenen Eindrucke der Vergessenheit anheim fallen.“ (Jean- Georges Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 1760) *„Der Korper akkumuliert aufgrund strukturbildender muskularer und gelenktechnischer Verbindungen Wissen, das als Moglichkeit du Handlungskraft im Imaginaren ausgespielt werden kann:“ (Gerald Siegmund) -Zur Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts und zum Begriff „Avantgarde“: * Tanz der Moderne: Loie Fuller, Isadora Duncan, Mary Wigman, Martha Graham, Doris Humphrey u. a. * Tanz der Postmoderne: Merce Cunningham, Yvonne Rainer, Steve Paxton, Trisha Brown, Lucinda Childs u. a. * Tanztheater: Pina Bausch, Johann Kresnik, Susanne Linke, Saburo Teshigawara, Sasha Waltz u. a. 2. HVO: Lecture-Performance - Wichtige Aspekte der Asthetik von Tanz und Performance am Beispiel von Xavier Le Roys Product of Circumstances (1999 ) * die theatralische Reprasentation des Korpers * das performative Verhaltnis Kunst-Wissenschaft * szenische Narrationsstrukturen - Einige Kunstler/Theoretiker als Autoren von Lecture-Performances: Marten Spangeberg, Jerome Bel, Tim Etchells, Kattrin Deufert & Thomas Plischke, Petra Sabisch, Ivana Muller u. a. Vgl. dazu: www.unfriendly-takeover.de: Performing Lectures Xavier Le Roy, geb. 1963 in Frankreich.
  • 4. -1990 Promotionsabschluss in Biochemie -ab 1988 Tanzunterricht, Tanzer in verschiedenen Kompanien in Paris, dann in Berlin, dann folgen eigene Produktionen -1998 Premiere der Choreographie quot;Self Unfinishedquot; -1999 quot;Product of Circumstancesquot; -grundet quot;in situ productionsquot;, Projekt quot;E.X.T.E.N.S.I.O.N.S.quot; -2000 Erarbeitung eines Stuckes von Jerome Bel (quot;Xavier Le Royquot;) -2001 Choreographie mit und fur Eszter Salamon quot;Giszellequot; -2003 Performance quot;Projektquot; Regie / Choreographie der Oper quot;Theater der Wiederholungenquot; -2004 zahlreiche Workshops -2005 „Mouvements fur Lachenmann“, ein Konzertabend mit Musik von Helmut Lachenmann -2006/2007/ Associated artist am Centre Choregraphique National de Montpellier 2007 Solo zur Musik von Stravinsky „Le Sacre du Printemps“ 2008 quot;More Mouvements fur Lachenmannquot; info@insituproductions.net - Product of Circumstances als: * Narration zwischen Faktum und Fiktion * Wissensproduktion uber den Korper - in Mikrobiologie und Tanz - als Resultat der diskursiven Bedingungen, die den Korper erst hervorbringen * Vortrag/Lesung (als asthetische Form) * Subversion der Erwartungshaltung an das, was als Auffuhrung gilt * Unterminieren der Darstellungskonventionen und des performativen Pakts * Erzahlen von autobiographischen Geschichten und von Geschichte (Product of Circumstances kommentiert und zitiert Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts, eine der wichtigsten Arbeiten, die zitiert wird, ist Yvonne Rainers Continuous
  • 5. Project - Altered Daily, 1970). - Le Roys Hypothesen: * „Denken wurde eine korperliche Erfahrung. Mein Korper wurde gleichzeitig aktiv und produktiv, Objekt und Subjekt, Analytiker und Analysiertes, Produkt und Produzent.“ * „Allmahlich bemerkte ich, dass die Systeme der Tanzproduktion einen Rahmen gesetzt haben, der Einfluss darauf nahm und manchmal sogar weitgehend bestimmte, wie ein Tanzstuck zu sein hatte. Tanzproduzenten und Programm-Macher folgen weitgehend den Regeln der globalen Okonomie.“ * „Und vielleicht ist Theorie Biographie, sie darzustellen ein Vortrag, und einen Vortrag zu halten eine Auffuhrung.“ - Product of Circumstances als nichtmimetisches Theater oder als „Mimesis ohne Nachgeahmtes“ (Jacques Derrida): * Mimesis: Darstellung, Ausdruck, Nachahmung, von griech. mimeisthei, darstellen, ausdrucken, mit der Konnotation ahnlich machen, nachahmen. (Ritter, Joachim; Grunder, Karlfried (Hg.): Historisches Worterbuch der Philosophie. Bd. 5, Basel/Stuttgart 1980, S. 1396) * Walter Benjamin: „Lehre vom Ahnlichen“ und „Uber das mimetische Vermogen“ (1933) (in: Gesammelte Schriften, Bd. II/1, Frankfurt a.M. 1980, S. 204-210 und S. 210-213. ) - Einige „Geschichtenerzahler“ der zeitgenossischen Szene: Christoph Marthaler, Jan Lauwers, Tim Etchells, Barbara Kraus, Jochen Roller, Frans Poelstra, Robert Stein etc. - Die „kleinen Erzahlungen“ von Jean-Francois Lyotards Das postmoderne Wissen, 1979.
  • 6. 3. HVO: Probleme der Aufführungsanalyse - Zum unzureichenden semiotischen Modell der Auffuhrungsanalyse * Semiotik (griech. semeion: „Kennzeichen“) ist die allgemeine Lehre von den Zeichen, Zeichensystemen und Zeichenprozessen (wie der Semiose). * „Die Theaterwissenschaft wendet sich mit dem performativ turn von einer semiotischen Theorie des Theaters ab.“ (Gabriele Klein/Christa Zipprich) - Der phanomenologische Blick der Auffuhrungsanalyse: * Die Phanomenologie (griech. Phainomenon: „Sichtbares, Erscheinung“; logos „Rede, Lehre“): gegenwartige philosophische Stromung, die den Ursprung der Erkenntnisgewinnung in den unmittelbar gegebenen Erscheinungen sieht. (* Maurice Merleau-Ponty: Das Sichtbare und das Unsichtbare, Munchen 1986.) * „Als performativer Zusammenhang verstanden definiert sich Auffuhrung daher durch die raumlich-zeitliche Koprasenz von Darstellern und Zuschauern, die im Hier und Jetzt der Theatersituation gemeinsam eine Erfahrung machen, die auf der Materialitat der an der Auffuhrung beteiligten Korper, Stimmen und Handlungen basiert.“ (Gerald Siegmund) - Auffuhrungsanalyse weg von der reinen Bewegungsanalyse hin zur Wahrnehmungsanalyse von Bewegung * Beschreibung als Teil der Bewegung (dazu Heiner Muller: „Bildbeschreibung“) * Analyse als Fortschreiben der Choreographie. „Toposformeln“ und „Pathosformeln“ (dazu: Gabriele Brandstetter: Tanz-Lekturen. Korperbilder und Raumfiguren der Avantgarde, Frankfurt a. M. 1995.) - „Die Umschrift von ‚ecriture’ in ‚lecture’ markiert, dass hier nicht die
  • 7. produktionsasthetische Perspektive der Schrift, sondern die wahrnehmungsund wirkungsasthetische Seite der wechselnden Konfiguration in den Blick geruckt ist.“ (Gabriele Brandstetter) - „Ich konnte sagen, Bewegung ist fur mich immer Ausdruck von Verlangen. Ich meine nicht nur korperliche Lust oder Erotik oder das materielle Verlangen, etwas zu wollen, zu besitzen oder zu bewohnen, sondern das Verlangen, eine Verbindung herzustellen, das Verlangen zu verkunden, dass man sich dem Zuschauer und dem Anderen auf der Buhne aussetzt. Folglich ist Bewegung auch immer Ausdruck und Einschliesung des Fehlenden, der gescheiterten Kommunikation, des Zensierten und all der echten oder projizierten Bedingungen, die die Aktion oder die Verbindung blockieren. Meine Choreografien sind oft aus unmoglichen Aufgaben entwickelt, wie dem Wunsch, die Zeit zusammen zu pressen, die eigene Biografie neu zu schreiben, mehrere Korper gleichzeitig zu bewohnen, den Schmerz eines anderen ganz zu spuren, die Leere anzunehmen, alle moglichen Wahrnehmungen einer komplexen Situation mit einer einzigen Geste zu zeigen. Die Choreografie zeigt gleichzeitig die Entschlossenheit, das Misslingen und die Zerbrechlichkeit des Versuches. Ich suche immer ein kollaboratives Umfeld. Ich mag es, im Dialog mit anderen zu arbeiten und mit anderen auf konzeptuelle Art zu tanzen. Solche Begegnungen helfen, sich zu definieren, aber sie storen auch. Ich geniese diese Storung; mit anderen zu arbeiten fuhrt einen dahin, wohin man sich allein nie wagen wurde.quot; (Meg Stuart) - ARTE-Dokumentation uber Meg Stuart Meg Stuart, geb. 1965 in New Orleans, Disfigure Study (1991), seit 1994 Tanzkompanie Damaged Goods, Disfigure Study (1991), No Longer Readymade (1993),
  • 8. No One is Watching (1995), Projekt Crash Landing (1996-1999), 1997 artist-in-residence am Kaaitheater in Brussels, Splayed Mind Out (1997), Appetite (1998), Highway 101 (2000-2001), 2001 bis 2004 artist-in-residence am Schauspielhaus Zurich, 2003 artist-in-residence an der Volksbuhne Berlin, Alibi (2001), Visitors only (2003), Forgeries, love and other matters (2004), Auf den Tisch (2005), It’s not funny (2006), Replacement (2006), Maybe forever (2007), Blessed (2007), Alltogethernow (2008). - Das Finale von Meg Stuarts Alibi (2001): Eine Szene des Zitterns, des Vibrierens als buchstabliche Erschutterung der choreographischen und auffuhrungsanalytischen Konventionen, als Virtualisieren von Korper, Raum, Zeit und Lekture, als Kritik an die „Gesellschaft des Spektakels“ (Guy Debord): * Gilles de la Tourette uber die „motorische Unkoordiniertheit, begleitet von Echolaie und Korporalie“ (in: Giorgio Agamben: „Noten zur Geste“, in: ders: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik, Freiburg/Berlin: Diaphanes 2001.) * „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, dass es zum Bild wird.“ (Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, 1967.) * Helmut Ploebst: „Bilder huschen auf Zeitplatten / Gesten der
  • 9. Verraumlichung“ in: ders: No wind no word. Neue Choreographie in der Gesellschaft des Spektakels, Munchen: Kieser 2001, S. 17-35. (Handapparat) * Krassimira Kruschkova: „Das Aussetzen der Kritik“, in: J. Huber/Ph. Stoelger/G. Ziemer/S. Zumsteg (Hg.): Ästhetik der Kritik. Verdeckte Ermittlung, Zurich: Voldemeer 2007. 4. HVO: Performance und Lektüre als „work in progress“ „Die Suche der asthetischen Kritik besteht nicht im Finden ihres Gegenstandes, sondern im Vergewissern der Bedingungen seiner Unzulanglichkeit.“ (Giorgio Agamben: Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur (1977), Zurich/Berlin, 2005, S.11.) „Wurde man einem Chinesen (da die neue Kritik ja als eine seltsame fremde Sprache gilt) vorhalten, dass er Franzosischfehler macht, wenn er chinesisch spricht?… Ein Kritiker bezeichnet keine letzte Wahrheit des Bildes, vielmehr ein neues Bild, das seinerseits in der Schwebe bleibt.“ (Roland Barthes, Kritik und Wahrheit, Frankfurt am Main 1967, S. 54, 83.) „[…] dass die Dichtung ihren Gegenstand besitzt, ohne ihn zu erkennen, und die Philosophie ihn erkennt, ohne ihn zu besitzen“ (Giorgio Agamben: Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur, Zurich/Berlin, 2005, S. 12.) „Die Kritik siedelt sich im Zwiespalt des abendlandischen Wortes an und weist diesseits oder jenseits davon auf eine Verfasstheit des Sagens. Auserlich gesehen, lasst diese Lage der Kritik sich in der Formel ausdrucken, dass sie weder darstellt noch erkennt, sondern dass sie die Darstellung erkennt. Der Aneignung ohne Bewusstsein und dem Bewusstsein ohne Genuss halt die Kritik den Genuss dessen, was nicht in Besitz zu nehmen ist, entgegen, und den Besitz dessen, was nicht genossen werden kann… Das in der „stanza“ der Kritik
  • 10. Eingeschlossene ist nichts, aber dieses Nichts hutet seine Nicht-Aneigenbarkeit als ein kostbares Gut.“ (Giorgio Agamben, Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur, Zurich/Berlin 2005, S. 13. ) „Ich erkundigte mich nach dem Mechanismus dieser Figuren [...]“ (Heinrich von Kleist: „Uber das Marionettentheater“, in: ders.: Werke und Briefe in vier Bänden, Hg. v. Siegfried Streller, Frankfurt a. M.: Insel 1986, Bd. III , S. 473.) „Das Theater kann nur als Krise und in der Krise funktionieren, sonst hat es uberhaupt keinen Bezug zur Gesellschaft auserhalb des Theaters.“ (Heiner Muller: „Theater in der krise: Arbeitsgesprach vom 16. Oktober 1995), in: Frank Hornigk u.a. (Hgg.): Ich Wer ist das Im regen aus Vogelkot im Kalkfell: für Heiner Müller, Berlin 1996, S.143.) „[...] die Aufgabe des Kommentars kann per definitionem nie beendet sein. Dennoch ist der Kommentar vollig auf den ratselhaften, gemurmelten Teil gerichtet, der sich in der kommentierten Sprache verbirgt. Er lasst unterhalb des existierenden Diskurses einen anderen, fundamentaleren und gewissermasen ‘ersteren’ Diskurs entstehen, den wiederherzustellen er sich zur Aufgabe macht.“ (Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (1966), Frankfurt a. M. 1971, S. 73.) Wie an der Kritik die Inkommensurabilitat und die Unangemessenheit jeder Darstellung messen? Wie im Scheitern der Vergegenwartigung von Rissen, von Sprungen, von Differenzen noch den vagen Sprung des Urteils wagen – im Modus des Unentscheidbaren? Meg Stuart: Visitors only (2003) * Die Gesten, die Bewegungsfiguren sagen zugleich zuviel und zuwenig. „Das Virtuelle ist das Mogliche, das jederzeit und uberall auch anders
  • 11. Mogliche.“ (Dietmar Kamper) Meg Stuart: Highway 101 (2000-2001) „Mit Hilfe von Live-Videobildern und aufgezeichneten Videobildern wollten wir parallele Welten schaffen, die sich beruhren und bei denen man sich jedes Mal fragen muss, ist das real oder Fiktion?“ (Meg Stuart) Dreifache Sicht des Korpers: live, live-Projektion und schon vorproduzierte Projektion. Erst dieses komplexe Spiel gibt ihm eine Chance gegenuber seiner medienasthetischen Reprasentation. Gerade in der Unentschiedenheit seines Realitatsstatus’ entzieht sich der szenische Korper der Bilderflut. Die Darstellungsebenen unterbrechen einander – dies ist ihr kritisches Potential gegenuber eine „Gesellschaft des Spektakels“. Ein intermediales Prasenz-Absenz-Spiel: Die Szene zeigt - uber die Projektion – die Strecke, die sie – durch die Projektionswand – versteckt. Die stete Umkehrung zwischen live-Prasenz und virtueller Realitat scharft den Blick gerade in der Destabilisierung seiner Richtung und seiner Richtigkeit. Ellipse (gr. έλλειψιέ élleipsis „Fehlen“, „Aussparung“, „Auslassung“, besonders inmitten von etwas): Auch als ein sprachliches Stilmittel (rhetorische Figur), bei dem durch die Auslassung von Wortern oder Satzteilen grammatikalisch „unvollstandige“ Satze gebildet werden. „[...] die Aufgabe des Kommentars kann per definitionem nie beendet sein. Dennoch ist der Kommentar vollig auf den ratselhaften, gemurmelten Teil gerichtet, der sich in der kommentierten Sprache verbirgt. Er lasst unterhalb des existierenden Diskurses einen anderen, fundamentaleren und gewissermasen ‘ersteren’ Diskurs entstehen, den wiederherzustellen er sich zur Aufgabe
  • 12. macht.“ (Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (1966), Frankfurt a. M. 1971, S. 73.)
  • 13. 5. HVO: Intermedialität. Neue Musik, bildende Kunst, Tanz und Performance - Xavier Le Roy: „More Mouvements für Lachenmann“ (2008) > - Synästhesie: Überwiegend versteht man darunter die Kopplung zweier physisch getrennter Domänen der Wahrnehmung, etwa Farbe und Temperatur („warmes Grün“), im engeren Sinne die Wahrnehmung von Sinnesreizen durch Miterregung eines Sinnesorgans, wenn ein anderes gereizt wird. Menschen, bei denen derart verknüpfte Wahrnehmungen regelmäßig auftreten, werden als Synästhetiker bezeichnet. - Korrespondenzen zwischen den aktuellen Entwicklungen in Tanz, Performance, Musik und der bildenden Kunst: Auflösung des Werkbegriffs, Einsatz des Körpers als Material, intensivierte Rolle des Zuschauers/Zuhörers, neue räumliche Erfahrungen.
  • 14. - Michel Fried: “Art and Objecthood”, in: Artforum, 5, Nr. 10, 1967. * Michel Fried kritisiert die „Theatralität“ des Minimalismus’ in der bildenden Kunst. * Er identifiziert allzu schnell die „Theatralität“ mit dem Spektakulären. - Der „performative turn“ als Paradigmenwechsel: weg von einem Verständnis von Kultur und Aufführung als Text hin zu ihrem Verständnis als performative Handlung. - „In der heterogenen Landschaft der Tanzforschung hat sich in den vergangenen Jahren die Tendenz durchgesetzt, Tanz und Bewegung nicht mehr als authentischen Ausdruck menschlicher Subjektivität zu begreifen. Der Körper hört auf, Instrument und Refugium, Zufluchtstätte einer inneren Subjektivität zu sein. Sein Tanz ist nicht mehr länger das leuchtende Symbol allgemeiner und tiefer menschlicher Wahrheiten, die sich mit Hilfe der Sprache nicht ausdrücken lassen. Im Gegenteil. Sowohl Bewegung als auch der Körper des Tänzers oder
  • 15. der Tänzerin erscheint nicht mehr länger als naturgegeben, sondern als vielfach kulturell und diskursiv geprägt und hervorgebracht.“ (Gerald Siegmund) - Ein Palindrom (von griechisch Παλίνδροµος (palíndromos) „rückwärts laufend“) ist eine Zeichenkette, die von vorn und von hinten gelesen gleich bleibt. - Meg Stuart und Gary Hill: Splayed Mind Out (1997) - „Wir haben versucht, zwischen der Bewegung der Tänzer, der Sprache und den Videobildern eine gemeinsame Oberfläche zu finden, auf der sich die drei Ebenen begegnen können […] Während der Arbeit haben wir sehr viel über solche Verdoppelungen und Aufspaltungen geredet, ein Prinzip, das sich überall im Stück wieder findet. Was ist links, was ist rechts? Wie steht der Körper im Verhältnis zu sich selbst? Immer gibt es
  • 16. einen imaginären Spiegel, der die beiden Hälften trennt und durch den man nicht hindurch gehen kann.“ (Meg Stuart über Splayed Mind Out) - Parmigianino: Selbstporträt im Spiegel, 1523. - Ort und Akt werden in der Choreo-Graphie eins. Der Akt bringt die Szene erst hervor, indem er sie betritt: wie einst im labyrinthischen Tanz Ariadnes Raum und Bewegung eins wurden, und Daedalus, der Architekt des Labyrinths auch zum ersten Choreographen wurde. Ariadnes Tanz gilt als Tanz des Begehrens, der sich mit jedem Schritt vom Ziel entfernt. - Meg Stuarts Appetite, 1998
  • 17. (in Zusammenarbeit mit der bildenden Künstlerin Ann Hamilton) - Kontaktimprovisation: eine Duettform, entwickelt von Steve Paxton im Umfeld des „Judson Dance Theaters“, die auf dem Einsatz des Körpergewichts der Partner basiert. Durch Berührung und gegenseitiges Stützen werden Impulse weitergegeben, die der jeweils andere in Bewegung umsetzt.
  • 18. 6. HVO: Zur Szene des Anagramms - „[...] das Bild des Geschlechts auf die Achsel, das des Beines auf den Arm, das der Nase auf die Ferse. Hand und Zahn, Achsel und Geschlecht, Ferse und Nase, kurz, virtuelle und reelle Erregung vermischen sich, indem sie sich überlagern. (Hans Bellmer: „Kleine Anatomie des körperlichen Unbewußten oder Die Anatomie des Bildesquot;, in: ders.: Die Puppe, : Berlin: Gerhardt Verlag 1962.) Hans Bellmer, Torso Xavier Le Roy, Self Unfinished, 1998 1935 - „Der Körper gleicht einem Satz, der uns einzuladen scheint, ihn bis in seine Buchstaben zu zergliedern, damit sich in einer endlosen Reihe von Anagrammen aufs Neue fügt, was er in Wahrheit enthält.quot; (Hans Bellmer: „Kleine Anatomie des körperlichen Unbewußten oder Die Anatomie des Bildesquot;)
  • 19. - Ein Anagramm (von gr. anagraphein: umschreiben) ist die Umstellung der Buchstaben eines Wortes oder eines Wörterdispositivs zu einem neuen. - Das griech. Präfix „ana-quot; bedeutet u. a. „wiederquot; und „widerquot; (Anagnorisis: Wiedererkennen; anatrop: widerläufig). Das Anagrammatische, das Verfahren des Auseinander- und Neuzusammensetzens ist als Prinzip der gleichzeitigen Wiederholung und Widersetzung interessant, als Figur der Defiguration, des performativen Entzugs der Referenz. (vgl. Krassimira Kruschkova: “Defigurationen. Zur Szene des Angramms im zeitgenössischen Tanz und in Performance“, in: http://www.corpusweb.net: unter: „finger“ – „themen“ – thema #1 „der verstellte körper“)
  • 20. Hans Bellmer, La poupée, 1935 Xavier Le Roy, Self Unfinished, 1998 - „Es geht mir gerade nicht darum, Formen zu definieren, sondern vielmehr darum, etwas formlos zu machen.quot; (Xavier Le Roy) - „Weil ich glaube, daß es nicht notwendig ist, dem Publikum eine bestimmte Körperlichkeit anzubieten, mit der es sich identifizieren kann in der Art wie: quot;Wow, tolle Körper, fantastisch, was die können.quot; Ich möchte dazu beitragen, solche Identifikationsmuster zu ändern, weil sie fremdbestimmen.quot; (Xavier Le Roy) - „Laßt endlich die menschliche Anatomie tanzen, von oben nach unten und von unten nach oben, von hinten nach vorn und von vorn nach hinten [...]quot;
  • 21. (Antonin Artaud: Schluß mit dem Gottesgericht. Das Theater der Grausamkeit. Letzte Schriften zum Theater, München: Matthes & Seitz 1980, S. 34.) - „Die Wirklichkeit ist noch nicht geschaffen, weil die wahren Organe des menschlichen Körpers noch nicht zusammengestellt und eingesetzt sind. Das Theater der Grausamkeit wurde geschaffen, um diese Einsetzung zu vollenden, und um mit einem neuen Tanz des menschlichen Körpers diese Welt der Mikroben, die bloß ein koagulierendes Nichts ist, in die Flucht zu schlagen. Das Theater der Grausamkeit will paarweise Augenbrauen mit Ellbogen, Kniescheiben, Schenkelknochen und Zehen tanzen und sehen lassenquot;. (Antonin Artaud: „Le théâtre de la cruautéquot;, in: 84, Paris 1948, Heft 5-6, S. 101; zit. nach Jacques Derrida: „Die soufflierte Redequot;, in: ders.: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972, S. 288.) - „Ich glaube, daß es in dieser Sache nur Übertragung(en) gibt, und ein Denken der Übertragung(en), in der Summe aller Bedeutungen, die dieses Wort in mehr als einer Sprache annimmt, und an erster Stelle Übertragung(en) zwischen Sprachen. Wenn ich das Risiko eingehen müßte - Gott behüte mich davor - eine einzige knappe, elliptische und sparsame Definition der Dekonstruktion als ein Losungswort auszugeben, so würde ich einfach, ohne einen Satz zu bilden, sagen: mehr als eine Sprache/nichts mehr, was einer Sprache angehört (plus
  • 22. d'une langue).quot; (Jacques Derrida: Mémoires. Für Paul de Man, Wien: Passagen 1988, S. 31.) - „Die Puppen brauchen den Boden nur, wie die Elfen, um ihn zu streifen [...]; wir brauchen ihn, um darauf zu ruhen , um uns von der Anstrengung des Tanzes zu erholen: ein Moment, der offenbar selber kein Tanz ist […]quot; (Kleist, Heinrich von. „Über das Marionettentheater.quot; Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 2. München, 1993. S. 342.) - „Die ästhetische Kraft hat weder in der Puppe, noch im Puppenspieler ihren Sitz, sondern im Text, der sich zwischen ihnen entspinnt […] Der Boden der Puppe ist nicht der Boden stabiler Erkenntnis, sondern eine andere Anamorphose des Fadens, durch die er zur Asymptote einer hyperbolischen Trope wird.quot; (Paul de Man: quot;Ästhetische Formalisierung: Kleists Über das Marionettentheaterquot;, in: Paul de Man: Allegorien des Lesens, Frankfurt a. M. 1988.) - Chiasmus [gr.-nlat.; vom griechisch. Buchstaben Chi = χ (= kreuzweise)]: kreuzweise syntaktische Stellung von aufeinander bezogenen Wörtern od. Redeteilen (z. B.: „Groß war der Einsatz, der Gewinn war klein.“)
  • 23. - „Sich den Bewegungen des Feindes anpassen. Ihnen ausweichen. Ihnen zuvorkommen. Ihnen begegnen. Sich anpassen und nicht anpassen. Sich durch Nichtanpassen anpassen. Angreifend ausweichen. Ausweichend angreifen. [...] in dauernder Vernichtung immer neu auf seine kleinsten Bauteile zurückgeführt, sich immer neu zusammensetzend aus seinen Trümmern in dauerndem Wiederaufbau, manchmal setzte er sich falsch zusammen, linke Hand an rechten Arm, Hüftknochen an Oberknochen [...] lernte er den immer anderen Bauplan der Maschine lesen, die er war aufhörte zu sein anders wieder war mit jedem Blick Griff Schritt und daß er ihn dachte änderte schrieb mit der Handschrift seiner Arbeiten und Tode.quot; (Heiner Müller: „Herakles 2 oder Die Hydraquot;, in: Frank Hörnigk (Hg.): Heiner Müller Material. Texte und Kommentare, Leipzig 1989, S. 76f.) - „Der Afformativ ist die Ermöglichung, die in keiner Form ihre Erfüllung finden kann, als Ermöglichung und Verunmöglichung, als Handlung und zugleich Nichthandlung: als Afformativ der Sprache.quot; (Werner Hamacher: „Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka.quot; Entferntes Verstehen: Studien zu Philosophie und Literatur von Kant bis Celan. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S. 323.) - „Der Afformativ ist nicht aformativ, nicht die Negation des Formativen.quot; (Werner Hamacher: „Afformativ, Streik.quot; Was heißt „Darstellenquot;? Hg.
  • 24. Christiaan L. Hart Nibbrig. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994, S. 346/360. ) - „Das Stück beginnt, wenn ich zu einem Tonbandgerät im Raum gehe und auf den Startknopf drücke. Es kommt kein Ton, weil es keinen Sound im Stück gibt - aber die Leute sind durch diese simple Geste trotzdem auf Hören eingestellt. Dieses Hören öffnet auch die Augen. Die Wahrnehmung verfeinert sich.quot; (Xavier Le Roy über Self Unfinished)
  • 25. 7. HVO: Zur Szene des Anagramms 2 Forced Entertainment: First Night, 2001 - John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do thing with Words). Deutsche Bearbeitung von Eike von Savigny. Reclam, Stuttgart 2002. (John L. Austin stellt - in der Nachfolge Ludwig Wittgensteins und als Vorläufer für die Sprechakt-Theorien von John Searle und Jacques Derrida - sprachliche Äußerungen als kontext-abhängige Handlungen dar, denn, so Austin, quot;die Philosophen haben jetzt lange genug angenommen, das Geschäft von 'Feststellungen' oder 'Aussagen' sei einzig und allein, einen Sachverhalt zu 'beschreiben' oder 'eine Tatsache zu behaupten', und zwar entweder zutreffend oder unzutreffend.quot;)
  • 26. - William Forsythe: Alie/n a(c)tion, 1992 William Forsythe: Of Any If And, 1995 Jérôme Bel: Nom donné par l'auteur, 1994
  • 27. Jérome Bel, The show must go on!, 2000 - „Im Anagramm sind die leitenden Silben zu erkennen und zu sammeln, wie Isis den zerstückelten Körper Osiris wieder zusammensetzte.quot; (Jean Starobinski: Wörter unter Wörtern. Die Anagramme von Ferdinand de Saussure, Frankfurt a. M. 1980.) - „Das anagrammatische Schriftbild bindet die Redeteile nicht mehr nur in die Linearität, sondern läßt sie nach allen Seiten ausstrahlen und Beziehungen untereinander knüpfen, welche die Logik der Satzstruktur durchbrechen könnten.quot; (Aage A. Hansen-Löve: „Velemir Chlebnikovs Onomatopoetik. Name und Anagrammquot;, in: Renate Lachmann / Igor P. Smirnov (Hg.): Kryptogramm, Zur Ästhetik des Verborgenen. Wiener Slawistischer Almanach, Bd. 21, 1988.)
  • 28. - Gilles Deleuze, Félix Guattari: Rhizom. Berlin: Merve, 1977. - Paul de Man: „Hypogram and Inscriptionquot;, in: Paul de Man: The Resistance to Theory, Mineapolis/London 1993. - Paul de Man: quot;Ästhetische Formalisierung: Kleists Über das Marionettentheaterquot;, in: Paul de Man: Allegorien des Lesens, Frankfurt a. M. 1988.
  • 29. 8. HVO: Das Solo. Zur Problematik der Identität, Alterität und Singularität - Jean-Luc Nancy: Singulär plural sein, Berlin: Diaphanes 2004: * „Wenn ich schreibe, ist diese fremde Hand bereits in meine schreibende Hand geglitten.“ * „Zusammen ist eine absolut ursprüngliche Struktur. Präsenz ist unmöglich, es sei denn als Ko-Präsenz.“ - Das szenische Ich-Sagen verspricht sich, weil es mehr als ein und zugleich kein mit sich gleiches Ich mehr verspricht. Es destabilisiert die Phantasmen der Identität und des Unmittelbaren. Mit dieser rhetorischen und performativen Verunsicherung setzt sich das Solo auseinander. Es untersucht den exponierten Modus des Singulären, der das Ich in seiner ursprünglichen Pluralität denkt. - Es gilt, szenische Strategien der Selbstdarstellung, der Erinnerung, des Autobiographischen zu analysieren, die kulturellen und politischen Re/Konstruktionen des Ich, die szenische Problematisierung von Autorschaft und Geschichte. - Peter Handke: „Selbstbezichtigung“, in: ders.: Stücke 1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1972:
  • 30. * „Das Ich hier ist nicht das Ich der Erzählung, sondern nur das Ich der Grammatik.“ * „Ich bin in das Geburtsregister eingetragen worden… Ich bin eine Aneinanderreihung von Buchstaben geworden… Ich habe beim Geschlechtsakt die Augen offen gehalten... Ich habe Ich gesagt…. Ich habe dieses Stück geschrieben.“ - Meg Stuart: Alibi, 2002. („…guilty of being American…“, „…I did it My Way…“) - Heiner Müller: „Hamletmaschine“, in: Heiner Müller Material. Texte und Kommentare, hg. v. Frank Hörnigk, Leipzig 1989: * „Ich war Hamlet…“ * „Ich bin die Schreibmaschine...“ - Robert Wilson: Hamlet, a monologue, 1995.
  • 31. - Jérôme Bel: The last Performance, 1998: („ Je suis Jérôme Bel… Ich bin Susanne Linke… I’m Andre Agassi… I’m Hamlet…“) - Poststrukturalistische Theorien verweisen auf die Dichotomie von Alterität und Identität als einander bedingende Momente. - William Forsythe: Alie/n a(c)tion, 1992 - Die szenische Suche nach Identität, Autorschaft, Autorität wird von einer Lust an deren Verlust begleitet. Was in der performativen Vervielfältigung des „Ich“ unsicher bleibt, ist der Subjekt/Objekt-Status von dem, der „Ich“ sagt. Dieses „Ich“ ist kein mit sich identisches Subjekt im Sinne einer Selbst-Identifizierung und Selbst-Begründung. - „Kann eine Autobiographie in Versform geschrieben sein?“ (Paul de Man: „Autobiographie as De-facement“, in: ders.: Man, Paul de: Die Ideologie des Ästhetischen. Frankfurt a. M. 1993.)
  • 32. - Die disparaten szenischen Modi des Autobiographischen (Soli, Monologen, Lecture-Performances etc.) zitieren wiederum (para)literarische Formen wie Briefwechsel, Memoiren, Tagebücher u. a.. Jérôme Bel, geb. 1968, lebt in Paris. -“Nom donné par l’auteur » (1994) -„Jérôme Bel“ (1995) -„Shirtology“ (1997) -„The last performance“ (1998) -„Xavier Le Roy“ (1999) -„The show must go on“ (2001) -„Véronique Doisneau“ (2004) -“The show must go on 2” (2004) -„Pichet Klunchun & myself“ (2005)
  • 33. - Jérôme Bel sucht in seinen Choreographien nach dem „Nullpunkt“ der Darstellung, nach den grundsätzlichen Bedingungen des Szenischen. (Roland Barthes: Am Nullpunkt der Literatur, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982.) - Jérôme Bel : Véronique Doisneau (2004).
  • 34. “Schwanensee“ (klassisch) * Rudolf Nurejews “La Bayadère“ / Merce Cunninghams „Points in Space“ *„Schwanensee“: Der Applaus: ein Kurzschluss von zwei Repräsentationsebenen? Das Publikum applaudiert, aber darf es dies bereits? Eine Verunsicherung der Übereinkunft zwischen Bühne und Zuschauerraum, ein möglicher Lapsus des Publikums wird provoziert, ein ironischer Bruch der Konvention gerade durch das Ausstellen der Konvention. Ein unschickliches Applaudieren. Jérôme Bel inszeniert eine mediale ‚Unschicklichkeit’, ‚Ungeschicklichkeit’ * Der Entzug der Contenance und die Virtuosität des Singulären.
  • 35. 9. HVO: Das Solo 2. Der Körper des Anderen als Phantomschmerz - Jérôme Bel: Véronique Doisneau, 2004 (Véronique Doisneau als Giselle) - Xavier le Roy : Giszelle, 2001 (Eszter Salamon in Giszelle) (* Found Footage: ein Genre der experimentellen Filmproduktion, das teilweise oder ganz auf bereits vorhandenes Filmmaterial zurückgreift. * Anagnorisis (griechisch „Wiedererkennung“) bezeichnet in der griechischen und römischen Literatur den Umstand, dass sich zwei Personen wiedererkennen.
  • 36. * Objet trouvé (franz. für ‚gefundener Gegenstand‘): ein Kunstwerk, bzw. Teil eines Kunstwerks, das aus vorgefundenen Alltagsgegenständen oder Abfällen hergestellt wird. Readymades werden sie genannt, wenn der Künstler am vorgefundenen Objekt keine oder kaum Eingriffe vornimmt.) Replik von Marcel Duchamps Fountain in Musée Maillol, Paris (Das Original von 1917 ist verschollen.) - „Schön wie die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Seziertisch.“ (Lautréamont) ⇒ Surrealismus
  • 37. - quot;Mit den Techniken des Kinos haben wir das Material bearbeitet, Schnitt, Einzelbild, schneller Vor- und Rücklauf. Ist das nicht voller Bewegung, mit so viel Tanz wie noch nie?quot; (Xavier Le Roy über Giszelle) - Nicht-Musik, Nicht-Tanz, Nicht-Malerei (John Cage, Merce Cunningham, Joseph Beuys) - „In meinem Unbewußten sind es die Anderen, die ich höre.“ (Antonin Artaud) - Jean-Luc Nancy: Singulär plural sein, Berlin: Diaphanes 2004: * „Das Gesetz des Berührens ist Trennung, und mehr noch, es ist die Heterogenität der Oberflächen, die sich berühren…“ (S. 25) * „Bevor die Sprache Wort, Einzelsprache, Verbalität oder Bedeutung wird, ist sie dies: die Erweiterung u die Simultaneität des MIT, insofern die eigentliche Kraft eines Körpers in dessen Eigenschaft besteht, einen anderen Körper zu berühren (oder sich zu berühren), was nichts anderes ist als seine De-Finition als Körper. “(S. 142)
  • 38. - „Man gelangt an eine Grenze, nicht indem man sie durchquert, sondern indem man sie berührt.“ (Jean-Luc Nancy: Corpus, Berlin: Diaphanes 2003, S. 17.) - Meg Stuart/Benoît Lachambre: Forgeries, Love and other maters, 2004 - Meg Stuart/Philipp Gehmacher: Maybe Forever, 2007 - Meg Stuart: XXX. For Arlene and Colleagues, 1997 (Song : Je T'aime- Moi Non Plus) - Meg Stuart: figure in distortion, 1992 (De-Figurationen des Körpers)
  • 39. - Philipp Gehmacher: in the absence, 2000 (still acts) - Ist uns der Körper nur in seinen Repräsentationen ‚gegeben’, so wird der szenische Körper, der kein naturgegebener sein kann, als Projektionsfläche für disziplinierende ideologische Einschreibungen wie für die Sehnsucht nach dem Anderen thematisiert. Der Körper stellt sich der szenischen Darstellung, gerade indem er sich und seinen Anderen vermisst. Der Körper des Anderen in den Choreographien von Xavier le Roy, Meg Stuart oder Philipp Gehmacher als Phantomschmerz erfahren.
  • 40. 10. HVO: Unmögliche Tränen Emotionen in Tanz und Performance heute - Forced Entertainment: Bloody Mess, 2004: *„Wie erreicht man bloß die Tränen, die nötig sind für die Traurigkeit der hier behaupteten Welt?“ * „Was wir auf der Bühne gemeinsam tun könnten, ist gemeinsam zu schweigen und gemeinsam zu weinen.“ (http://www.forcedentertainment.com)
  • 41. - Giorgio Agamben: „Noten zu Geste“, in: ders.: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik, Freiburg/Berlin: diphanes 2001): * „Denn nur eine Geste, in der Potenz und Akt, Natürlichkeit und Manier, Kontingenz und Notwendigkeit ununterscheidbar werden (letzen Endes also einzig im Theater) ist das Denken der Ewigen Wiederkehr zu verstehen.“ (S. 56) * „Ende des 19. Jahrhunderts hatte das abendländische Bürgertum seine Gesten bereits endgültig verloren.“ (S. 53) - „Das Lachen ist ein Chaos der Artikulation.“ (Walter Benjamin) - Heinrich von Kleist: Das Käthchen von Heilbronn: * „-Was fehlt Dir? Was bewegt dich so?“ * „-Was weinst du?“ „-Ich weiß nicht, mein Herr. Es ist nichts. Es ist ins Aug mir was gekommen.“ - „Theater ist Krise. Es kann nur als Krise und in der Krise funktionieren, sonst hat es überhaupt keinen Bezug zur Gesellschaft außerhalb des Theaters.“ (Heiner Müller) - „So lebt in der Geste die Sphäre nicht eines Zwecks in sich, sondern die einer reinen Mittelbarkeit ohne Zweck, die sich den Menschen
  • 42. mitteilt. […] Die Geste ist in diesem Sinne Mitteilung einer Mitteilbarkeit“ (Giorgio Agamben: „Noten zu Geste“, S. 61.) - „Unsere Stärke ist, schlecht planen zu können. Wir werden uns auch in Zukunft auf das ‚bloody mess’ in unserer Arbeit verlassen müssen.“ (Tim Etchells) - Meg Stuart, Benoît Lachambre: Forgeries, Love and Other Matters, 2004: * „No laughter, no tears in this place. No falling in love in this place, no falling out of love. No repetition here… No repetition here… “ * „There is no reason to stay here… There is no waiting in this place…“ - Das Wort „unmöglich“ im Titel Unmögliche Tränen markiert einen Apostroph – apostrophierte, d.h., zugleich angesprochene u ausgelassene Tränen, eine zweifache Verunsicherung der Darstellbarkeit: Als paradoxe Liquidierung jedes flüssigen Ausdrucks referiert der Titel, einerseits, auf jene verkürzte, verkitschte, ja unmögliche, peinliche Rührung, mehr noch: auf die Ideologeme der Sentiments, des vermeintlich unmittelbaren Ausdrucks. Andererseits, buchstabiert er das emotionale Potential des Szenischen, die Latenz nur möglicher ‚Sensationen’: Er buchstabiert die Unzustellbarkeit der szenischen Botschaft, wenn Gefühle im Spiel sind, wenn die Leidenschaft ihr Inkommensurables mimt – Mimesis ohne Nachgeahmtes. Kommen Tränen überhaupt ins Spiel, so werden sie
  • 43. sogleich aufs Spiel gesetzt – und auch alles, was sie hätten schreiben, choreographieren können. „Wenn ich Tränen schreiben könnte, doch so – –“, schreibt Heinrich von Kleist an seine Halbschwester Ulrike über die Vakanz der Gefühlsdarstellung. Erst wenn die Bewegung außer Fassung gebracht wird, rührt sie womöglich an das Fassungslose des Gefühls, erst aus den Fugen geraten, zeigt sie die Unverfügbarkeit der Emotion. (Vgl. Krassimira Kruschkova: „Unmögliche Tränen. Über Emotionen im zeitgenössischen Tanz und in Performance“, in: M. Bishof/C. Feest/C. Rosiny (Hg.): e_motion in motion, Münster: LIT 2005.) - „…die sehr genauen, wenig entwickelten, aber sehr expliziten Elemente eines Denkens der Liebe, die sich genau zwischen dem Uneigentlichen und dem Eigentlichen des Mit in Sein und Zeit einfügen könnte [...] und dies so, daß die Liebe ein immer singuläres Mit ist: ‚Deine Liebe – denn ‚die’ Liebe, das gibt es nicht.’“ (Jean-Luc Nancy: Singulär plural sein, S. 171.) - „Das Spezifische am Theater ist eben nicht die Präsenz des lebenden Schauspielers oder des lebenden Zuschauers, sondern die Präsenz des potentiell Sterbenden…“ (Heiner Müller in: Kluge, Alexander/Müller Heiner: „Ich bin ein Landvermesser“. Gespräche mit Heiner Müller. Neue Folge, Hamburg: Rotbuch 1996, S. 95.)
  • 44. - Jan Lauwers: Snakesong Trilogy, 1994-1998. (http://www.needcompany.org) - „Jedes echte Gefühl ist in Wirklichkeit unübersetzbar. Es ausdrücken, heißt, es verraten. Aber es übersetzen, heißt, es verheimlichen. Echter Ausdruck verbirgt, was er äußert [...] Jedes mächtige Gefühl ruft in uns die Vorstellung der Leere hervor.“ (Antonin Artaud: Das Theater und sein Double, S. 76f.): - George Batailles: Die Tränen des Eros. München 1982.
  • 45. 11. HVO: Das szenische Ereignis. Die Potentialität. Das Versprechen - „Die Theaterszene ist ein Ort, an dem sich jedes Mal die Kehrseite des Kults abspielt, an dem sie sich exponiert, sich inszeniert, das heißt ihre geschickte Offenbarung und Darstellung sucht: nicht die Anrufung der Präsenzen, sondern der Appell an die Abwesenheit unter uns, als dasjenige, was nicht erfüllt werden soll, sondern entflammt oder elektrisiert werden muss...“ (Jean-Luc Nancy: Das Theaterereignis) - Manuel Pelmus: Preview (2007) - […] darkness, we may therefore say, is in some way the colour of potentiality […] we see darkness […] human beings can, instead, see shadows (to skotos), they can experience darkness: they have the potential not to see, the possibility of privation […] (Giorgio Agamben: Potentialities. Collected Essays in Philosophy, Stanford 1999) - „Was! Du nimmst sie jetzt nicht, und warst der Dame versprochen? Antwort: Lieber! vergib, man verspricht sich ja wohl.“ (Heinrich von Kleist: Das Sprachversehen)
  • 46. - Forced Entertainment: Bloody Mess (2003) * You got it. You got what? The gift of humor.“ * „I’ll take my comedy seriously.“ * „Some friends of mine call it potentiality. Things waiting to happen“ * „You got nothing. The complete picture of nothing.“ - „Die Sprache verspricht (sich). In einem Maße, das notwendig in die Irre führt, übermittelt die Sprache ebenso notwendig das Versprechen ihrer eigenen Wahrheit. Auch deshalb erzeugen textuelle Allegorien auf dieser Ebene rhetorischer Komplexität Geschichte.“ (Paul de Man: Promises (Social Contract))
  • 47. - „Vielleicht, daß es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zwiedeutiges Spiel an der Manschette, was in Frankreich die Ordnung der Dinge bewirkte.“ (Heinrich von Kleist: Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden) - „Und das Ereignis ist das, was Datum ‚macht‘, da kein Datum schon gegeben ist … Wenn das Ereignis schon datiert ist, kommt es nicht mehr dazu, Ereignis zu sein, es gedenkt schon seiner selbst; so sind der 17. Juni 1789 in Paris (Nationalversammlung) oder der 17. Juni 1953 in Berlin (Arbeiteraufstand) in dem Moment, in dem sie stattfinden, noch nicht der „17. Juni“: Sie erfindet ihr Datum.“ (Jean-Luc Nancy: Das Theaterereignis) - „Was im Sprechakt des Versprechens geschieht, ist ein Aktverzicht … Insofern ist es reine Enthaltung: epoché … Andererseits wird Sprache erst im Versprechen als eine Sprache – als in sich einheitliche und für viele gemeinsame Sprache entworfen.“ (Werner Hamacher) - „Das Theater soll die Wirklichkeit unmöglich machen.“ (Heiner Müller) - Sofern das szenische Denken des Mangels, des Fehlens die Wirklichkeit testet, aufs Spiel setzt, arbeitet Performance heute an diesem Unterminieren und zugleich Öffnen, an
  • 48. diesem Verunmöglichen des Wirklichen. Diese subversive Arbeit, die das Gezeigte immer wieder streicht, das Vorgegebene zurücknimmt, und die Repräsentation erschüttert, unterbricht immer von neuem die Sichtbarkeit des Körpers der Szene und des Körpers auf der Szene. Der Körper stellt sich, gerade indem er sich vermisst. Er setzt sich seinem eigenen Aussetzen aus. Durch den Entzug des Sichtbaren intensiviert die Szene eine produktive Vakanz. Das Abwesende wird gerade über seine Lücke figuriert. Das Präsente, so könnte man sagen, versäumt sich. Und erst so bricht der Körper als Ereignis ein, diesem nichtkalkulierbaren Einbruch ist der Bruch immer gleichursprünglich. - In Jacques Derridas La Dissemination (1972) steht der Begriff Dissemination für die endlose Streuung und die potentielle Entstehung von BEDEUTUNG, wodurch, so Derrida, in Abwesenheit von SIGNIFIKATEN das Spiel der SIGNIFIKANTEN bestimmt wird...“ (Hawthorn, Jeremy: Grundbegriffe moderner Literaturtheorie. Tübingen und Basel: Francke, 1994.) - „Indem sie vom Kult ausgeht, geht die Tragödie von der Präsenz aus, sie verlässt sie. … In einer Welt ohne Götter ist das Eigene anzueignen: Der Mensch muss sich die Menschheit aneignen, die nie gegeben ist, niemals…“ (Jean-Luc Nancy: Das Theaterereignis)
  • 49. - Amanda Piña / Daniel Zimmermann: WE, 2008: Jetzt sitzen wir da still und mit unendlicher geduld wie eine herde voller erwartungen warten auf dass etwas geschieht. (Elias Canetti: Masse und Macht)
  • 50. 12. HVO: Abwesenheit und Autorschaft in Tanz und Performance heute - Eine szenisch markierte Absenz konstituiert - statt der viel beschworenen Präsenz - den zeitgenössischen Tanz und Performance: Das szenische Hier und Jetzt würde ohne die Spur der Abwesenheit ganz fehlen. Es gilt, die Präsenz- Behauptung als Merkmal des Szenischen gegen den Strich zu lesen: Erst indem die Darstellung das Anwesende vermisst (im doppelten Sinn vermisst), erst indem sie Absenz markiert, setzt sie sich kritisch damit auseinander. - JÉRÔME BEL: THE SHOW MUST GO ON (2000) * TONIGHT (WEST SIDE STORY) - JIM BRYANT, MARNI NIXON (LEONARD BERNSTEIN) * LET THE SUN SHINE IN (HAIR) - GALT MAC DERMOTT * COME TOGETHER - THE BEATLES * LET’S DANCE - DAVID BOWIE
  • 51. * I LIKE TO MOVE IT - REAL 2 REAL (E. MORILLO & M. QUSHIE) * BALLERINA GIRLS - LIONEL RICHI * PRIVATE DANCER - TINA TURNER * MACARENA - LOS DEL RIO * INTO MY ARMS - NICK CAVE * MY HEART WILL GO ON - CÉLINE DION * YELLOW SUBMARINE - THE BEATLES * LA VIE EN ROSE - EDITH PIAF * IMAGINE - JOHN LENNON * THE SOUND OF SILENCE - SIMONE AND GARFUNKEL * EVERY BREATH YOU TAKE - THE POLICE * I WANT YOUR SEX - GEORGE MICHAEL * KILLING ME SOFTLY WITH HIS SONG - ROBERTA FLACK * THE SHOW MUST GO ON - QUEEN - ÜBER JEDE ANTEIL NEHMENDE BERÜHRUNG HINAUS BETRIFFT DIE HEITERE TRAUER, DIE INTELLIGENTE SINNLICHKEIT DIESER SHOW DIE ABWESENHEIT DER KÖRPER/BILDER, IHRE KONSTITUIERUNG ALS MEDIALE PROJEKTIONEN. AUFTRITT HAT DIE ERINNERUNG, DAS KOLLEKTIVE UND INDIVIDUELLE GEDÄCHTNIS, DESSEN CODE GEGEN DIE GÄNGIGEN IDENTIFIKATIONSMUSTER (ÜBER MUSIK-HITS) UNBEKANNT, UNLESBAR BLEIBT. INSZENIERT WIRD DER AKT DES ERINNERNS,
  • 52. DER ABER NUN MAL ERST ÜBER DAS VERGESSEN FUNKTIONIERT. DAS GEDÄCHTNIS GILT HIER ALS PROJEKTIONSFLÄCHE FÜR MEDIAL VERMITTELTES BILDLICHES UND WÖRTLICHES, FÜR IDEOLOGISCHE ZUSCHREIBUNGEN, DIE EINEN IMMER SCHON ENTEIGNETEN, UNEIGENTLICHEN KÖRPER BETREFFEN. - DER IMMER SCHON DENATURIERTE KÖRPER WIRD WÖRTLICH DURCH SEINE REPRÄSENTATIONEN CHOREOGRAPHIERT. GERADE IN SEINER MINIMALISTISCHEN WÖRTLICHKEIT (DER KÖRPER IST DER KÖRPER IST DER KÖRPER…) SUBVERSIERT ER JEDEN VERSUCH, SEINE GESTEN ALS DISKURSIVE ZEICHEN ZU LESEN, SOFERN ER JEDE REFERENTIALITÄT DESTABILISIERT. ÜBER DIE AUFDECKUNG DER UNSICHEREN REFERENTIALITÄT VON TEXTKÖRPER WIE VON KÖRPERTEXTEN GEFÄHRDET BEL DIE GÜLTIGKEIT JEDER SZENISCHEN KONVENTION, JEDER AUTORITÄT, JEDER AUTORSCHAFT. - „DIE GEBURT DES LESERS IST ZU BEZAHLEN MIT DEM TOD DES AUTORS.“ (ROLAND BARTHES: DER TOD DES AUTORS) - JEROME BEL: NOM DONNE PAR L’AUTEUR (1994) - JÉRÔME BEL: JÉRÔME BEL (1995)
  • 53. - JÉRÔME BEL: THE LAST PERFORMANCE (1998) - Jérôme Bel: Xavier Le Roy (2000) - JOHN L. AUSTIN: ZUR THEORIE DER SPRECHAKTE (HOW TO DO THINGS WITH WORDS). DEUTSCHE BEARBEITUNG VON EIKE VON SAVIGNY. RECLAM, STUTTGART 2002. - „DER TEXT PRAKTIZIERT NICHT, WAS ER PREDIGT.“ (PAUL DE MAN: ALLEGORIES OF READING)
  • 54. 13. HVO: Die Szene der Gabe, die Gabe des Szenischen. Verletzungen der Repräsentation und des Tauschprinzips - JEROME BEL: NOM DONNE PAR L’AUTEUR (1994) - SCHWARZMARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-WISSEN, KURATORIN: HANNAH HURTZIG
  • 55.
  • 56.
  • 57. - „DAS PUBLIKUM IST EIN EXAMINATOR, DOCH EIN ZERSTREUTER.“ (WALTER BENJAMIN: „DAS KUNSTWERK IM ZEITALTER SEINER TECHNISCHEN REPRODUZIERBARKEIT“, IN: DERS.: ILLUMINATIONEN. AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN, FRANKFURT A. M.: SUHRKAMP 1977, S. 167.) - SCHWARZMARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-WISSEN, KURATORIN: HANNAH HURTZIG
  • 58. * EINE SERIE VON VERANSTALTUNGEN ALS PERFORMATIVE INSTALLATION MIT EXPERTEN UND PUBLIKUM * DAS THEMA DER SCHWARZMARKT-AUSGABE BEIM STEIRISCHEN HERBST 2007: DIE GABE UND ANDERE VERLETZUNGEN DES TAUSCHPRINZIPS. * PUBLIKATION: SCHWARZMARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-WISSEN (HG. VON VERONICA KAUP-HASLER / CLAUS PHILIPP), MASKE UND KOTHURN, 2007, HEFT 4. - JACQUES DERRIDA: WENN ES GABE GIBT – ODER: „DAS FALSCHE GELDSTÜCK“: * „DAS EREIGNIS ALS GABE UND DER GABE ALS EREIGNIS.“ * „DIE GABE WIE DAS EREIGNIS, ALS EREIGNIS, MUSS AUF EINE BESTIMMTE WEISE UNVORHERSEHBAR BLEIBEN, ES ABER BLEIBEN, OHNE SICH ZU BEWAHREN... EINE GABE SIGNIERT SICH NICHT.“ * „UND MUSS MAN EINER VERGEBUNG WÜRDIG SEIN? MAN KANN EINER ENTSCHULDIGUNG WÜRDIG SEIN, ABER MUSS EINE VERGEBUNG SICH NICHT ÜBER DIE WÜRDIGKEIT HINAUS ERSTRECKEN?“
  • 59. - SOCIETAS RAFFAELLO SANZIO: GIULIO CESARE (1996), REGIE: ROMEO CASTELLUCCI *„CECI N’EST PAS UN ACTEUR“ * RENÉ MAGRITTES: DER VERRAT DER BILDER, 1929
  • 60. - „DIES ERLAUBT UNS ZU EINER WÖRTLICHKEIT ZU KOMMEN, DIE ZUM SCHWINDEL WIRD. DAS GESEHENE BILD REALISIERT IN DER TAT DAS TOTALE ZUSAMMENFALLEN VON WORT UND SEINER VISION (DIE VISION DER FLEISCHLICHEN HERKUNFT) UND PRODUZIERT EINE ENTGLEISUNG, WEIL MAN NICHT MEHR GENAU WEIß, WELCHER DER PREVALENTE TEIL IST: DAS GESAGTE WORT ODER DIE SICHT DES WORTES.“ (ROMEO CASTELLUCCI: „MISSKLANG FÜR EINE INSZENIERUNG: JULIUS CÄSAR“) - SOCIETAS RAFFAELLO SANZIO: HEY GIRL! (2007) - „DAS WAHRE THEATER IST VIEL ZUCKENDER, ES IST VIEL VERRÜCKTER, EIN KRAMPFZUSTAND DES OFFENEN HERZENS.“ (ANTONIN ARTAUD: SCHLUß MIT DEM GOTTESGERICHT )
  • 61. - „ES GIBT INTELLEKTUELLE SCHREIE, DIE AUS DER FEINHEIT DES MARKTS HERRÜHREN. DAS IST ES NÄMLICH, WAS ICH FLEISCH NENNE. ICH TRENNE MEIN DENKEN NICHT VON MEINEM LEBEN. BEI JEDER VIBRATION MEINER ZUNGE VOLLZIEHE ICH ALLE WEGE DES DENKENS IN MEINEM FLEISCH NACH.“ (ANTONIN ARTAUD: DIE NERVENWAAGE) - JÉRÔME BEL: JÉRÔME BEL (1995) - JÉRÔME BEL: THE LAST PERFORMANCE (1998) (OBSESSION, CONTRADICTION, ETERNITY, ESCAPE…)
  • 62. - EINE „ANATOMIE DER BILDER“ (HANS BELLMER) UND EINE ,ANATOMIE’ DER SZENISCHEN GABE: ‚ANOREKTISCHE’ BILDER, IKONOKLASTISCHE CHOREO-GRAPHIEN STELLEN IHR VERSCHWINDEN AUS, UND HINTERGEHEN DIE REPRÄSENTATION, INDEM SIE PRÄSENZ ALS VERMISSTE KÖRPERLICHKEIT AUFS SPIEL SETZEN, NUR VERSPRECHEN. DAS SZENISCHE EREIGNIS WIRD IMMER SCHON ALS EIN KÜNFTIGES AUSBLEIBEN, UNS AUGENBLICKLICH NUR ÜBERRASCHEN, ERSCHÜTTERN. ES WIRD DURCH DIE INTENTIONALE INSTABILITÄT IMMER SCHON SUSPENDIERT SEIN. DAS SZENISCHE EREIGNIS WIRD – IN ALL SEINER UNEINLÖSBARKEIT, INSTABILITÄT – PASSIEREN: ALS ÜBERBORDETE ORDNUNG, BEDINGUNGSLOS ADRESSIERT, UNZUSTELLBAR, UNGERUFEN.