Dr. Peter Kreuz. Vordenker einer neuen Generation in Wirtschaft und Management. Leidenschaftlich. Kämpferisch. Erfrischend. Er bringt Führungskräfte und Teams dazu, sich aus Denkschablonen zu befreien, Scheuklappen abzulegen und ausgetretene Pfade zu verlassen.
Dr. Peter Kreuz | Interview: „Treten Sie Ying und Yang in den Hintern!“
1. 20 Interview Migros-Magazin 11, 10. März 2008
«Treten Sie
Ying und
Yang in den
Hintern»
Hören Sie nicht auf Ihre Kunden, seien Sie wütend und wenn
möglich gleich noch paranoid: Der dies sagt, ist kein Anarchist,
sondern der meistgefragte Unternehmensberater im deutsch-
sprachigen Raum, Peter Kreuz (41). «Das Schockierendste an der
Wirtschaftswelt ist, dass es Leute wie mich überhaupt braucht»,
sagt der Bestsellerautor.
A
lles begann damit, dass Peter Kreuz hat also wahrscheinlich nur Mühe mit dem
Ende der Neunzigerjahre mit Unter- Job. Er sollte sich einen neuen Beruf oder zu- Querdenker
nehmern wie Virgin-Boss Richard mindest das Gespräch mit dem Chef suchen. Peter Kreuz (41) hat in Deutschland und
Branson, Body-Shop-Gründerin in den USA Wirtschaft und Sozialwissen-
Anita Roddick und Uhrenkönig Nicolas Hayek Sie können gut reden, Sie haben studiert, schaft studiert und mit dem Doktortitel
zusammenkam – «aussergewöhnliche Unter- sind erfolgreich. Ein Fabrikarbeiter mit abgeschlossen. Er war Berater bei
nehmer, die Spuren hinterlassen und auch vier Kindern kann hingegen nicht ein- Andersen Consulting, Unternehmer in
Österreich und den USA sowie
noch Spass bei ihrer Arbeit hatten», wie Kreuz fach … Assistenzprofessor an der Wirtschafts-
sagt. Zusammen mit seiner Frau, Anja Förster, (unterbricht) Niemand hat einfach so ein blö- universität Wien.
gründete Kreuz darauf das «Labor für des Leben! Auch für einen Fliessbandarbeiter Heute gehört Peter Kreuz zusammen
Business Querdenken», das weltweit nach un- ist es eine Schande, das Leben wegzuwerfen. mit seiner Frau, Anja Förster, zu einer
konventionellen und erfolgreichen Geschäfts- Du hast immer die Wahl. Es ist an dir, Nein neuen Generation von Wirtschaftsvorden-
konzepten sucht. zu sagen, wenn du das Gefühl hast, dass die kern: Sie halten nichts von Marktfor-
schung, hinterfragen überkommene Regeln
Mit dem Megaseller «Alles, ausser ge- Stelle, die Aufgabe, die Kollegen oder das
und halten Managern in ganz Europa den
wöhnlich» beweisen sie, dass Management- Unternehmen nicht zu dir passen. Der öster- Spiegel vor. Zu ihren Kunden zählen
bücher nicht langweilig sein müssen. Überaus reichische Psychiater Viktor Frankl hat das Unternehmen wie BMW, IBM, Swisscom,
unterhaltend war auch das Interview, das Peter treffend auf den Punkt gebracht: «Das Leben SAP und die Deutsche Bank. Als gefragte
Kreuz dem Migros-Magazin gab. ist nicht etwas – es ist die Gelegenheit zu et- Referenten sind sie auf allen Kontinenten
was.» Doch vielfach fehlt ganz einfach der unterwegs.
Ihr Bestseller «Alles, ausser gewöhn-
Peter Kreuz, wenn jemand am Morgen Mut. Man redet sich dann ein, nicht anders zu
lich» wurde mit dem Wirtschaftsbuchpreis
nicht gerne aufsteht – was raten Sie ihm? können. Und dann bleibt nur noch die Lösung, 2007 ausgezeichnet. Peter Kreuz
Ich bin überzeugt, derjenige hat sich noch nie die Drehzahl im Hamsterrad zu erhöhen. und Anja Förster leben in Frankreich und
gefragt, was ihm eigentlich Spass macht. Es Heidelberg.
gibt viele Untersuchungen, die zeigen, dass Was kann ein Chef tun, um seine Mitarbei-
www.foerster-kreuz.com
Morgenmuffel in ihren Ferien problemlos um ter zu motivieren?
sechs Uhr in der Früh aus den Federn kommen. Ist es Aufgabe des Arbeitgebers, seine Leute
Wer sich morgens nicht motivieren kann, zu motivieren? Ich glaube nicht. Der Boss ist
2. Migros-Magazin 11, 10. März 2008 Interview 21
Viele Chefs demotivieren weder Clown noch Seehunddresseur. Motiva-
ihre Mitarbeiter, «weil sie tion kann nur von innen kommen, jeder
sie wie Gehirnamputierte
Einzelne ist sich selber der grösste Motivator.
behandeln», kritisiert
Unternehmensberater
Die wichtigste Führungseigenschaft ist,
Peter Kreuz. Mitarbeiter nicht zu demotivieren.
Wann demotiviert ein Chef seine Mitarbei-
ter?
Wenn er ihnen keine Autonomie gibt, wenn er
zu viele Kontrollen und Vorgaben macht. Ich
habe Hunderte von Unternehmen untersucht
und dabei festgestellt, dass Chefs ihre
Mitarbeiter zum Teil wie Hirnamputierte
behandeln.
Sie übertreiben.
Überhaupt nicht. Es ist unglaublich, was in der
Wirtschaftswelt abgeht. Nicht wenige Chefs
behandeln ihre erwachsenen Mitarbeiter wie
Zwölfjährige. Aber Erwachsene wollen nicht
wie Zwölfjährige behandelt werden. Das wol-
len nicht mal die Zwölfjährigen! Da stimmt
doch was nicht. Denn es sind die gleichen
Arbeitnehmer, die in ihrer Freizeit Clubs und
Vereine leiten und Kleinunternehmen gründen.
Gehen sie zur Arbeit, legen sie ihre Eigenini-
tiative an der Garderobe ab. Nicht weil sie
nicht mehr leisten wollen, sondern weil ihr
Chef ihnen keinen Raum gibt, ihre Talente
auszuleben.
Oder weil sie sich im Gegensatz zu den
Grossverdienern in den Chefetagen für
unterbezahlt halten?
Die Lohnschere ist meistens gar kein Problem,
wenn auch untere Chargen eigenständig arbei-
ten können. Mitarbeiter, die geschätzt werden,
in der Arbeit aufgehen und Vorgesetzte haben,
die sich in ihre Arbeit reinknien, haben kein
Minderwertigkeitsgefühl. Auch wenn der Chef
zehnmal mehr verdient.
Und wenn der Chef hundertmal mehr ver-
dient?
Hier müssen wir unterscheiden zwischen Un-
ternehmern und Managern: Ein angestellter
Manager verwaltet ebenso wie die Frau an der
Kasse nur das Geld anderer Leute. Er ist eben
kein Unternehmer, dem hohe Einkommen
zustünden. Auch das Argument mit dem Markt
halte ich für falsch. Exzesse sind möglich, weil
der Markt versagt; weil sich eine relativ kleine
Gruppe von Leuten immense Gelder und
Posten zuschieben.
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3. Migros-Magazin 11, 10. März 2008 Interview 23
Was hat Sie in Ihrer Laufbahn als Wirt- in sich gefangen. Ihm fehlt die Energie und
schaftsberater am meisten schockiert?
«Kein Risiko Kraft, radikale Innovationen zu machen. Body-
Dass man Leute wie mich überhaupt braucht. einzugehen ist das shop-Gründerin Anita Roddick hat einmal
Es sind die kleinen Dinge, die einem das gesagt: «Unser Vorteil war es, dass wir die
Arbeitsleben schwer machen: der Chef, der
grösste Risiko. Regeln der Branche nicht kannten.» Auch
sich am Morgen ohne Gruss ins Büro schleicht Madonna steht nur seit Apple und Microsoft haben sich kaum um
oder beim Treffen mit den besten Kunden Regeln geschert.
durch Abwesenheit glänzt. 25 Jahren an der
Spitze, weil sie sich Microsoft-Chef Steve Ballmer macht aus
Sie haben viele Schweizer Firmen beraten. seiner Wut auf Google kein Geheimnis.Weil
Gibt es so etwas wie ein «Schweizer Manage- ständig neu erfindet.» er Google hasst, will er Yahoo kaufen. Ist
ment»? Wut ein guter Ratgeber?
Schweizer Manager sind vielleicht konserva- Durchaus. In fast allen Büchern über Führung
tiver als ihre Berufskollegen im Ausland – kon- findet sich das Verbot, wütend zu sein. Manager
servativ im positiven Sinn. Begriffe wie Ver- müssen immer in Balance sein – dieses Ge-
trauen und Verantwortung gelten hier noch schwätz vonYing undYang kann ich nicht mehr
etwas. hören. Treten SieYing undYang in den Hintern!
Das Leben funktioniert nun mal nicht so.
Warum?
Die Schweiz ist das Land der kleinen und mitt- Möchten Sie einen Chef, der Ihnen den
leren Unternehmen. 70 Prozent aller Arbeit- Stuhl an den Kopf wirft?
nehmer arbeiten für KMUs. Diese haben an- Ich meine nicht diese Art von Wut. Grosse Ver-
ders als die grossen Konzerne nicht nur das änderer sind oft sehr introvertierte Menschen.
Wohl der Investoren im Kopf, sie sehen auch Aber sie handeln mit einer gehörigen Wut im
ihre gesellschaftliche Verantwortung. Eine sol- Bauch. Aus dieser Wut ziehen sie ihre Energie
che Führungsphilosophie hat einen direkten und lenken sie in die richtigen Bahnen. Anita
betriebswirtschaftlichen Nutzen: Ich als Kun- Roddick war wütend auf die von Männern
de fühle mich dann wohl – und bleibe Kunde! dominierte Kosmetikindustrie, die Frauen wie
–, wenn ich sehe, dass die Mitarbeiter sich Spielzeuge behandelt. Optiker Günther Fiel-
wohlfühlen und nicht nur arbeiten, um mich mann war wütend auf eine Branche, die Kas-
über den Tisch zu ziehen. senpatienten hässliche Nasenvelos andrehte.
Menschen, die wirklich etwas verändern,
Ihr Tipp an Unternehmen? Der meistgehörte Ratschlag lautet: Schau, was haben einfach Wut und ziehen daraus ihre
Topfirmen verdanken ihren Erfolg vor allem die anderen machen. Pass dich an. Anpassung Energie, den Status quo radikal zu wandeln,
dem Umstand, dass sie einen e i n z i g a r t i g e n ist aber höchstens für Ihren Boss gut, denn so und sind manchmal sogar paranoid.
Wert schaffen. Leider beschränken sich die werden Sie austauschbar, zu Manövriermasse.
meisten Unternehmer darauf zu kopieren, was Ihre Arbeitskraft wird nur geduldet. Wie bitte?
irgendwo erfolgreich ist. Nur sprechen sie Intel-Gründer Andy Grove hat einmal gesagt:
nicht von Kopieren, sondern von Bench- Was hat der Störenfried in der Wirtschafts- Nur die Paranoiden überleben. Recht hat er.
marking. welt der grauen Maus voraus? Überall lauern Gefahren. Wissen Sie, wann bei
Er wird nicht mehr in jede Organisation pas- Ihnen die Alarmglocken läuten sollten? Wenn
Der Begriff bezeichnet einfach einen Wert, sen. Nicht jeder wird ihn gut finden. Aber ent- Ihre Arbeitskollegen sagen: Es läuft ja eigent-
den man als Massstab für Leistungsverglei- scheidend ist: Es wird Leute geben, die ihn lich ganz gut.
che verwendet. genial finden. Man darf heute alles sein,
Hübsch formuliert. Aber die Hoffnung, mit nur nicht gewöhnlich. Gewöhnliche Menschen Warum soll das schlecht sein? Wer so denkt,
Benchmarking zu echten Innovationen, zu Ein- konkurrieren morgen mit 1,3 Milliarden geht wenigstens keine Risiken ein.
zigartigkeit zu kommen, ist absurd. Mit diesem Chinesen, die ihren Job für eine Schüssel Reis Genau das ist das Problem! Kein Risiko
Begriff verbergen Unternehmen nur ihre Ideen- am Tag erledigen. einzugehen ist das grösste Risiko überhaupt.
losigkeit. Benchmarking mag für Unternehmen Nehmen wir Madonna. Es gibt Tausende von
nützlich sein, die am Boden sind – sie schaffen Bill Gates, Steve Jobs, Gottlieb Duttweiler Entertainerinnen, die besser singen, besser
es damit in die Mittelmässigkeit. Für alle – warum sind es immer Aussenseiter, die tanzen, besser aussehen. Trotzdem steht sie
anderen Firmen gilt: Singen Sie nicht das Lied ihre Branchen revolutionieren? seit 25 Jahren an der Spitze der vielleicht wett-
des Konkurrenten nach. Niemand will eine Wer in einer Branche gross wird, übernimmt bewerbsintensivsten Branche der Welt, dem
Kopie von Brad Pitt sein. Frauen wollen das automatisch ihre Spielregeln. Er macht, was Showbusiness. Warum? Weil sie sich immer
Original. Das gilt auch für Unternehmen. man in der Branche zu tun pflegt. Und er hat wieder neu erfindet. Weil sie nie zufrieden ist.
einen Kundenstamm, der sagt: Mach weiter Unternehmer wie Steve Jobs von Apple oder
Und Ihr Tipp an Arbeitnehmer, die Karrie- wie bisher, einfach ein bisschen besser, ein die Google-Macher Sergey Brin und Larry
re machen wollen? bisschen billiger. Ein solcher Unternehmer ist Page haben einen ähnlichen Charakter.
4. 24 Interview Migros-Magazin 11, 10. März 2008
Eine traurige Welt, wenn nur Erfolg nicht auf der Platte, nur Querdenker
hat, wer unzufrieden ist. Peter Kreuz zeigt, und Quälgeister.
Sie müssen nicht penetrant unzufrie- wos langgeht:
«Unternehmen
den sein. Dann wären Sie ein Getrie- Wer ist Ihr persönlicher Quäl-
brauchen kreative
bener. Und Getriebene sind selten er- Leute, die mitdenken,
geist?
folgreich. Arbeit muss Spass machen, nicht Ja-Sager». Für das aktuelle Buch «Alles, ausser
man soll und darf sich auf die Schulter gewöhnlich» haben meine Frau und
klopfen – wenn neben Lob auch Kritik ich eine Theaterdramaturgin enga-
erlaubt bleibt. Leider ersticken viele giert, die noch nie ein Buch ge-
Unternehmen an Homogenität, weil schrieben hat und nicht sehr viel von
die Chefs nur Leute einstellen, die zu Wirtschaft versteht. Eine schreckliche
ihnen passen: Chef Müller engagiert Person – sie hat unser Manuskript
kleine Müllerchens, Chefin Schmid buchstäblich in der Luft zerrissen.
holt kleine Schmidchens. Das macht Wir fingen noch einmal von vorne an.
vielleicht die Zusammenarbeit ange- Was ist passiert? «Alles, ausser ge-
nehm. Aber nur Widersprüche bringen wöhnlich» hat unter Tausenden von
Unternehmen weiter. Büchern den Wirtschaftsbuchpreis
2007 gewonnen und war Bestseller
Warum tun Gegensätze in der Füh- Nr. 1 der «Financial Times».
rung einem Unternehmen gut?
Weil Unternehmen Dinge machen Und was hat das Ihnen gebracht,
müssen, die sich eigentlich widerspre- ausser Ruhm und Geld?
chen. Zum Beispiel müssen Sie als Wichtiger als der finanzielle Erfolg
Unternehmer Ihren Kunden zuhören, war die Erfahrung, im Beruf wachsen
extrem gut zuhören. Gleichzeitig ist zu können. Der Weg, den meine Frau
das eine Falle. Denn ab und zu müssen «Firmen, die nur auf ihre Kunden hören, und ich eingeschlagen haben, war
Unternehmer ihren Kunden auch werden scheitern.» nicht einfach. Am Ende wurden wir
sagen: «Vergesst das – wir machen, aber reich belohnt – mit Freude am
was wir für richtig halten.» Wenn sie Leben, mit der Wiederentdeckung
nur auf ihre Kunden hören, werden sie gangs erwähnt – Ihren Mitarbeitern gegenüber verloren geglaubter Leidenschaften und mit
scheitern. Niemand hat Steve Jobs aufgefor- grosses Vertrauen haben. Gleichzeitig müssen der Fähigkeit, frühmorgens immer gut gelaunt
dert, den I-Pod zu erfinden. Niemand hat Sie sie auch kontrollieren. Diese Dinge zur Arbeit zu gehen. Interview Reto Knobel
Larry Page und Sergey Brin gedrängt, Google widersprechen sich, trotzdem müssen Sie Bilder Niklaus Spoerri
Earth zu entwickeln. Keine Hausfrau hat von beides tun. Darum brauchen Unternehmen
der Migros verlangt, M-Budget zu erfinden. Leute, die mitdenken, Innovation und Bücher von Peter Kreuz und Anja Förster: Fr. 33.90
• «Alles, ausser gewöhnlich», Econ Verlag,
Ein zweites Paradox: Sie müssen – wie ein- Kreativität zeigen. Ja-Sager haben das • «Different Thinking», Redline Wirtschaft Verlag, Fr. 19.10.