Im Zeitalter der Neuen Medien hat sich unsere Beziehung zum menschlichen
Körper verändert. Jahrhunderte lang blieb, durch Religionsverbote, der Körper tabu
und versteckt. In der Kunst durfte er sich nur in eingeschränkten Rahmen bewegen.
In einem Tanz, in der Musik, im Theater, musste der Körper bestimmten Regeln
folgen, die Choreographie, die Partitur und den Dirigent, den Regisseur und den Text.
1. Antoine Léchevin
Mediengestaltung
Hausarbeit zum Seminar:
" Körper/Medien"
bei Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner.
Musik und inszenierte Körper
Bauhaus Universität Weimar WS 2003
Antoine Léchevin | Hausarbeit zum Seminar:" Körper/Medien"| Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner. Bauhaus Universität Weimar
2003.
2. Im Zeitalter der Neuen Medien hat sich unsere Beziehung zum menschlichen
Körper verändert. Jahrhunderte lang blieb, durch Religionsverbote, der Körper tabu
und versteckt. In der Kunst durfte er sich nur in eingeschränkten Rahmen bewegen.
In einem Tanz, in der Musik, im Theater, musste der Körper bestimmten Regeln
folgen, die Choreographie, die Partitur und den Dirigent, den Regisseur und den Text.
Erst im 20. Jahrhundert, vor allem ab den 50'er Jahren, entwickelte sich unsere
Verhältnis zum Körper. In Amerika, befreite der Jazz den Körper und bindet ihn an
die Musik, der Körper wird für sich selbst beachtet. Der Körper hat neue Funktionen
gefunden und stellt uns zahlreiche Fragen: Frage der Identität: bin ich mein Körper,
gehöre ich zu ihm, oder gehört er mir? Frage der Grenze zwischen dem Realen und
dem Virtuellen, dem Individuum und der Gruppe. Anhand Beispielen der modernen
Kunst (Musikvideos; Installationen) werde ich die Rolle des Körper untersuchen. Die
drei folgenden Kapitel sollen uns führen: Körper als Instrument, Körper in
Bewegung und rekonstruierte Körper.
Antoine Léchevin | Hausarbeit zum Seminar:" Körper/Medien"| Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner. Bauhaus Universität Weimar
2003.
3. Körper als Instrument
Nam June Paik
Nam June Paik ist ein Koreaner, der in New York lebt und arbeitet. Als
Musiker arbeitete er mit John Cage und Stockhausen in dem Studio für
Experimentelle Musik in Köln. Ende der fünfziger Jahre, führte er viele musikalische
Performances (wie z.B. "John Cage" 1959).
Ab 1964 drehte er Kunstvideos mit Charlotte Moorman, eine Cellistin, in dem sie oft
unverhüllt erschien.
Im Gegensatz dazu realisierte er 1991 "Charlotte Moorman Robot", eine
Videoinstallation, für die er Charlotte Moorman in einem Roboter verwandelte. Sie ist
bewegungslos, hält den Bogen und Cello in den Händen. Auf den Videos sind
koreanische Trommler, Rocktänzer und Performer zu sehen.
Diese Installation stellt die Frage der Interpretation in der aktuellen Musik. Wer
spielt? Was wird gespielt? Hat der Interpret noch eine bedeutungsvolle Rolle in der
Zeit der elektronischen Musik?
L’Homme Tambour
Mauricio Kagel ist ein Komponist und Dirigent aus Argentinien. Er lebt heute
in Köln. 1961 hat er das Kölner Ensemble für neue Musik gegründet, 1969 wurde er
Direktor vom neuen Musikinstitut and der Musikhochschule in Köln. Seine Arbeiten
in denen er Musik, Theater und Tanz vermischt, charakterisieren sich durch ihre
Gestik, Kritik und Humor.
Am Staatstheater führte er 1971 ein Ballettstück für Nicht-Tänzer auf: "L'Homme-
Tambour", der Trommel-Mensch. Dieses Ballett führt uns zurück in die Zeit der
Körpermusik: Körper und Musik sind Eins. Es entwickelt sich eine organische
Beziehung zwischen Mensch und Instrument. Der Körper ist im Zentrum der
Musikproduktion.
Die Stimme des Körpers
In der klassischen Musik war die Stimme der Ausdruck eines unterdrückten
Körpers. Die ganze Kraft des Körpers sollte der Stimme dienen. Im 20. Jhd. wurde
die Stimme in den Arbeiten von Stockhausen, Xenakis, Henry, Reich oder Schaeffer
zum Ausdruck des Körpers gemacht.
Steve Reich/ Clapping Music
„Clapping Music” (1971) ist ein Musikstück das nur mit Hilfe des Körpers
aufgenommen wurde, ohne Instrumente.
Antoine Léchevin | Hausarbeit zum Seminar:" Körper/Medien"| Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner. Bauhaus Universität Weimar
2003.
4. Videoaufnahme Online:http://www.youtube.com/watch?v=BhhIZscEE_g
Der Körper in Bewegung
Mit dem Erfolg der Jazzmusik in Amerika im 20. Jhd., kehrt das Rhythmus in
der Musik zurück. Improvisationsbasiert stellt der Jazz den Körper in den
Vordergrund. John Cassavetes drehte 1958-59 einen improvisierten Film "Shadows"
mit Charles Mingus. Der Körper steigt auf die Bühne, er ist die erste Einflussquelle.
Der Körper steht zwischen dem Tanz und der Musik, er ist die Schnittstelle. Aus
unserem Körper kommt die Musik, unsere Körper geben diese Musik im Tanz
wieder.
In der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts befreit sich der kollektive Tanz mit dem
Rock 'n' Roll. Der Körper wird Eins mit der Musik und ist grenzlos. Er drückt sich im
Tanz bis in die Extreme aus.
Körper als Schau/ Exhibitionismus und Schizophrenie
Der Körper in der Extreme. Der Körper wird zum Hauptdarsteller, er wird
manipuliert, verfremdet. Sexuelle Ambiguität, körperliche Gewalt stehen im
Mittelpunkt zahlreicher Kunstwerke der 70er bis heute. Schon 1935 setzte Alan Berg
in seiner Oper „Lulu“ den Körper in den Mittelpunkt der Bühne.
In den 70ern schafft sich David Jones, besser bekannt als David Bowie, eine neue
Rolle: „Ziggy Stardust“. In dem Album „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the
Spiders from Mars“ aus dem Jahr 1971 erforscht David Bowie die Grenzen der
Identität. Er verkleidet sich, schminkt sich, und taucht auf der Bühne und in
Interviews als Ziggy auf. Der Körper ist eine Schnittstelle zwischen der Realität, der
natürlichen Welt und der Künstlichen. Wenn man den Körper verkleidet kreiert man
eine Maske, eine Art Schutz zwischen der äußeren Welt und dem Inneren des
Körpers.
David Bowie, Ziggy Stardust
Bei anderen Künstler wird der Körper Teil des Ausdrucks, der Aussage, wie bei
Madonna und ihren Posen in „In bed with Madonna“ 1994, oder bei Orland, die den
Körper als Kostüm versteht. Sie lasst sich operieren um die Unterdrückung des
Körpers, vor allem des Körpers der Frau zu denunzieren. Durch Verfremdung ihres
Körpers fordert sie das Recht ihren Körper zu besitzen und daraus zu machen was
sie will. Auch bei den Arbeiten von Paul White, wie zum Beispiel das Video zu
„Hunter“ von Björk, wird die Verwandlung des Körpers thematisiert. In dem Lied
Antoine Léchevin | Hausarbeit zum Seminar:" Körper/Medien"| Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner. Bauhaus Universität Weimar
2003.
5. geht es um Heimat, um die Frage der Herkunft „If travel is searching, and home what
has been found, I’m a Hunter“. Die Komponistin und Sängerin Björk singt vor der
Kamera und scheint mit einer 3-D Polarbärmaske zu kämpfen, die auf ihrer Haut
wächst.
Björk Hunter
Björk Hunter, Musikvideo Online:
http://www.tape.tv/musikvideos/Bjoerk/Hunter
Körper Maschine
Neben der Veränderung des Körpers durch Verkleidung, Rolleübernahme
oder sogar chirurgische Operationen findet man auch im 20. Jahrhundert, im
Zeitalter der Industrie und Informatik, eine Verfremdung des Körpers durch Ersatz
von mechanischen oder elektronischen Teilen bis zu Kybernetik und Robotisierung:
menschliche Körper werden als Roboter rekonstruiert, oder Roboter bzw. Cyborgs
wie der Mensch gebaut.
Fritz Lang thematisierte schon 1929 diese Problematik in dem Stummfilm
„Metropolis“. Der Mensch ist ein Arbeiter, ein Teil des Mechanismus, der Industrie,
und nichts unterscheidet ihn von der Maschine. Eine ähnliche Umsetzung findet man
auch in den Arbeiten von Kraftwerk. Kraftwerk ist eine deutsche Band aus
Düsseldorf, die seit den 70ern elektronische Musik komponiert. Die minimale
wiederholungsbasierte Musik beschreibt eine automatisierte Welt, in der der Mensch
nur als Roboter auftritt. Auf der Bühne hat Kraftwerk motorisierte Roboter
geschaffen. Die Musik von Kraftwerk gilt als die erste erfolgreiche Mischung des
Menschen und der Technologie.
Antoine Léchevin | Hausarbeit zum Seminar:" Körper/Medien"| Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner. Bauhaus Universität Weimar
2003.
6. Kraftwerk
Als Mensch-Maschinen sind die französischen Musiker Daft Punk die
Nachfolger der deutschen Band. Bei ihrem ersten Album „Homework“ 1997, einer
live orientierten hundertprozentigen elektronischen Musik, sind die zwei Künstler
aus Paris nie mit ihrem echten Gesicht aufgetreten, Hundemasken bzw.
Strumpfmasken sorgten für ihre Anonymität. Mit ihren zweiten Album „Discovery“,
das sie 2001 veröffentlichten, kehrten sie als Roboter zurück und ließen sich in ihrem
Musikstudio zwischen Keyboards und digitalen Musikgeräten fotografieren. Wie
Kraftwerk symbolisieren sie die Vereinigung des Menschen und der Maschine,
diesmal aber sind sie der innere Teil der Maschine. In dem Video „Around the World“
von Michel Gondry 1997 sehen wir Tänzer, die die Musik visualisieren. Athleten sind
die Bässe, Schwimmer die Gitarre, Skelette die Keyboards, Mumien der Rhythmus
Antoine Léchevin | Hausarbeit zum Seminar:" Körper/Medien"| Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner. Bauhaus Universität Weimar
2003.
7. und Astronauten die Vocoder (elektronisierte Stimme). Alle tanzen auf einem Kreis,
der einen Plattenspieler darstellt. Der Mensch, die Körper und der Tanz sind Teil der
Maschine.
Daft Punk, Around the World, Musikvideo Online:
http://www.dailymotion.com/video/xsq0_daft-punk-around-the-world
Daft Punk
Musik Box von Bernard Lallemand
Bernard Lallemand ist ein französischer Künstler. Er beschäftigt sich mit der
Beziehung zwischen Körper und Technologie. In den Achtzigern realisierte er
Skulpturen aus High-tech Materien wie Stahl, Gummi und Latex, metaphorische
Repräsentation des Körpers, Spannung zwischen dem Biologischem und dem
Technischem. Ab den Neunzigern setzt er einen Schwerpunkt auf die Frage der
wissenschaftlichen Perfektion des Körpers. Er behandelt den Körper wie eine Ware.
Lallemand thematisiert den Wunsch der Menschheit zur Ewigkeit zuzutreten und
dies durch technische Veränderungen des Körpers.
Antoine Léchevin | Hausarbeit zum Seminar:" Körper/Medien"| Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner. Bauhaus Universität Weimar
2003.
8. Music Box (2001)
Music Box ist eine der letzten Installation des Künstlers Bernard Lallemand.
Es handelt sich um eine Kiste (das französische umgangssprachliche für Disco heißt
Boîte: „Kiste“) . Auf Augenhöhe befindet sich ein Loch durch das man in der Box
schauen kann. Man hört gedämpfte elektronische Musik und Beatmungsgerät-
Geräusche. In der Kiste sieht man eine nackte Schaufensterpuppe, die mit
Latexschläuche beschmückt ist, sie dreht sich langsam unter einem Discolicht.
Anders als andere Reflexionen über verfremdete Körpern ( Monster, Freaks und
Automaten), charakterisiert sich die Arbeit von Lallemand durch die Abwesenheit des
Körpers. Die Schaufensterpuppe scheint auf der Warte zu einen echten Körper zu
sein. Die Latexaccessoires und das Beatmungsgerät sind nach Außen getragen, sie
gelten als medizinische Geräte und unterscheiden sich von den der Cyborgs bzw. den
der Automaten durch ihre Sparsamkeit. Die Schläuche, die Auge und Gehirn, Mund
und Nase und Nase und Auge usw. untereinander verbinden, fördern interne
Kommunikation, Selbstenergierecycling. Sie sind, wie Bernard Lallemand sie selbst
definiert, psychiche Prothesen. Der Körper kann sich in sich selbst finden.
Bernard Lallemand, Music Box, 2001
Antoine Léchevin | Hausarbeit zum Seminar:" Körper/Medien"| Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner. Bauhaus Universität Weimar
2003.
9. Schlusswort
Unsere Beziehung zum Körper hat sich im Laufe des 20.Jahrhunderts stark
verändert. Aus einem durch streng religiöse und gesellschaftliche Regeln
unterdrückten Körper, ist ein befreiter Körper geworden, bis in der Extreme.
Zwischen Natur und Technik, virtuellen Welten und Reale, hat der Mensch auf der
Suche nach seiner Identität einen freien Raum für seinen Körper geschaffen, wo er
seine Fähigkeiten, seine Kraft und seine eigenen Grenzen erforschen kann. Wie diese
Analyse verschiedener Kunstwerke unserer Zeit es bewiesen haben, wurde die Rolle
des Körpers in der Kunst und der Gesellschaft verstärkt. Als Instrument, Materie,
Inspirationsquelle oder Schnittstelle zwischen Menschlichen und Technischen, dem
Individuum und der Gruppe, hat der Körper im Zeitalter der Industrie und der neuen
Medien einen entscheidenden Platz gewonnen.
Antoine Léchevin | Hausarbeit zum Seminar:" Körper/Medien"| Dipl.-Kulturwiss. Hedwig Wagner. Bauhaus Universität Weimar
2003.