Rechtliche Aspekte der Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Bürgerinnen und Bürgern an der Kommunalpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
Prof. Dr. Joachim Detjen, „Rechtliche Aspekte der Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Bürgerinnen und Bürgern an der Kommunalpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen“
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Rechtliche Aspekte der Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Bürgerinnen und Bürgern an der Kommunalpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
1. Gemeinschaftsaktion „Niedersachen – Ein b) Anspruch auf Information: Vielfältig
Land für Kinder“ umgesetztes Prinzip, das für Transparenz
der Vorgänge in der Gemeinde sorgen soll.
c) Anhörung: Das Recht, von den Organen
3.3 Prof. Dr. Joachim Detjen, „Rechtliche der Gemeinde in einer bestimmten Angele-
Aspekte der Beteiligung von Einwohne- genheit gehört zu werden. Die Organe müs-
rinnen und Einwohnern sowie Bürgerin- sen aber nicht so handeln, wie es der oder
nen und Bürgern an der Kommunalpolitik die Angehörte vorschlägt.
unter besonderer Berücksichtigung der d) Initiativrecht: Das Recht, eine Angele-
Beteiligung von Kindern und Jugendli- genheit auf die Tagesordnung setzen zu
chen“ lassen und die Organe der Gemeinde zu ei-
nem in der Gemeindeordnung vorgeschrie-
benen Handeln zu veranlassen.
e) Entscheidungsrecht: Das Recht, eine An-
gelegenheit abschließend und verbindlich zu
Begriffsklärung
entscheiden.
Nicht nur die in der Nds. Gemeindeordnung
Insgesamt gibt es neun Partizipationsin-
(NGO) vorgesehenen Organe sind Akteure
strumente. Davon sind sieben in der Ge-
der Kommunalpolitik. Zwar treffen sie die
meindeordnung verankert. Ein Instrument
verbindlichen Entscheidungen, aber auch
ist im Bundesbaugesetz enthalten, ein wei-
Einwohnerinnen und Einwohner sowie Bür-
teres Instrument ist gesetzlich nicht gere-
gerinnen und Bürger haben diverse Rechte,
gelt, also weder vorgeschrieben noch ver-
sich in die Kommunalpolitik ,,einzumi-
boten, aber in der kommunalen Praxis ver-
schen". Diese Rechte stehen unterschiedli-
breitet.
chen Personengruppen zu und sind unter-
schiedlich stark ausgeprägt.
Erstes Instrument:
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen (§
Partizipationsberechtigte:
22 e NGO)
a) Bürgerin, Bürger: Alle zur Wahl des Rates
und der Bürgermeisterin oder des Bürger-
,,Die Gemeinde soll Kinder und Jugendliche
meisters berechtigten Einwohnerinnen und
bei Planungen und Vorhaben, die ihre Inte-
Einwohner. Bürgerinnen und Bürger können
ressen berühren, in angemessener Weise
nur Deutsche und EU-Angehörige sein, die
beteiligen. Hierzu soll die Gemeinde über
das 16. Lebensjahr vollendet haben. Man
die in diesem Gesetz vorgesehene Beteili-
kann immer nur Bürgerin oder Bürger einer
gung der Einwoh nerinnen und Einwohner
Gemeinde sein. Im Zweitwohnsitz ist man
hinaus geeignete Verfahren entwickeln und
Einwohnerin oder Einwohner.
durchführen."
b) Einwohnerin, Einwohner: Einwohnerin
oder Einwohner einer Gemeinde ist, wer in
Die Vorschrift wurde am 19. März 2001 in
der Gemeinde seinen Wohnsitz oder ständi-
die NGO eingefügt. Es herrschte großer
gen Aufenthalt hat. (z. B. Soldatinnen und
Konsens unter den Landtagsfraktionen, die
Soldaten). Hat jemand mehrere Wohnsitze,
Kinderbeteiligung als solche einzuführen.
so ist er Einwohnerin oder Einwohner aller
Ebenso herrschte Konsens darüber, die Be-
Wohnsitzgemeinden. Der Einwohnerbegriff
teiligung relativ unbestimmt zu halten.
setzt weder die deutsche Staatsangehörig-
keit noch ein bestimmtes Alter voraus.
Auszug aus der Begründung der Berichter-
c) Personen: Jedermann, also auch Orts-
statterin aus dem Ausschuss für innere Ver-
fremde.
waltung, Abgeordnete Tinins (SPD), vor dem
Landtagsplenum:
Partizipationsarten:
,,Neu für die Niedersächsische Gemeinde-
a) Beteiligung: Der Begriff ist sehr allgemein
ordnung ist die ... vorgesehene Beteiligung
gehalten. Er eröffnet unterschiedliche orga-
von Kindern und Jugendlichen bei Planun-
nisatorische Konkretisierungen. Er ist auch
gen und Vorhaben der Gemeinde. Die Inte-
offen gehalten hinsichtlich der rechtlichen
ressen von Kindern und Jugendlichen einer
Verbindlichkeit der Partizipation.
Gemeinde sind damit zukünftig verstärkt zu
1
2. berücksichtigen. In den Ausschüssen hat 4. Über die Beteiligung der Einwohnerinnen
aber Einigkeit darüber bestanden, dass die und Einwohner hinaus geeignete Verfahren:
Gemeinden durch die neue Vorschrift nicht Sicherungsklausel gegen partizipatorischen
zu formellen Beteiligungsverfahren gezwun- Minimalismus.
gen werden sollen. Es bleibt in der Ent-
scheidung der Gemeinde, welche geeignete Die NGO kennt folgende Beteiligungsrechte
und rechtlich zulässige Form der Einbezie- für Einwohner:
hung der Kinder und Jugendlichen im Ein- a) Unterrichtungspflicht der Gemeinde in
zelfall gewählt wird." Einwohnerversammlungen (§ 62 NGO):
Die Gemeinde ist verpflichtet, die Einwohne-
Auszug aus dem Redebeitrag des Abgeord- rinnen und Einwohner über wichtige Angel-
neten Eveslage (CDU): egenheiten des eigenen Wirkungskreises zu
,,Die im Innenausschuss nach gründlicher unterrichten. Dabei soll sie den Einwohne-
Beratung gefundene Formulierung des § rinnen und Einwohnern Gelegenheit zur Äu-
22e ist mit unserer ausdrücklichen Zustim- ßerung und zur Erörterung geben. Die Bür-
mung allgemein gehalten. Dadurch wird der germeisterin oder der Bürgermeister führt
kommunale Gestaltungswille nicht einge- die Einwohnerversammlung durch.
engt. Gleichwohl werden die Kommunen auf b) Einwohnerfragestunde in öffentlichen
dieses wichtige Ziel verpflichtet." Ratssitzungen (§ 43a NGO): Der Rat kann
in seiner Geschäftsordnung vorsehen, dass
Auszug aus dem Redebeitrag des Abgeord- anwesende Einwohnerinnen und Einwohner
neten Schröder (GRÜNE): Fragen an den Rat stellen dürfen.
,,Selbstverständlich enthält der Gesetzent- c) Einwohnerantrag (§ 22a NGO): Einwoh-
wurf Regelungen, denen wir uneinge- nerinnen und Einwohner, die mindestens 14
schränkt zustimmen können. Dazu gehört Jahre alt sind und mindestens seit drei Mo-
... auch die verbesserte Beteiligung von Kin- naten ihren Hauptwohnsitz in der Gemeinde
dern und Jugendlichen an kommunalen Ent- haben, können beantragen, dass der Rat
scheidungsprozessen, wobei allerdings die- eine bestimmte Angelegenheit berät.
se ... Regelung ihre Tauglichkeit in der Pra- d) Anhörung der Einwohnerinnen und
xis wohl noch beweisen muss." Einwohner bei Gebietsänderungen (§18
NGO): Planen mehrere Gemeinden die Um-
Kommentierung: gliederung von Gebietsteilen, sind vor Ab-
1. Soll-Vorschrift: Die Gemeinden sind ge- schluss des Vertrages die Einwohnerinnen
halten, die Bestimmung anzuwenden. Sie und Einwohner der beteiligten Gemeinden
dürfen nur unter besonderen Umständen zu hören.
von der Pflicht abweichen (zum Beispiel:
Entscheidungen, die keinen Aufschub dul- Die Beteiligung von Kindern und Jugendli-
den). chen muss auf jeden Fall mehr sein als eine
Unterrichtung, als die Zulassung von Fra-
2. Berührung der Interessen der Kinder und gen, Durchführung von Fragestunden wäh-
Jugendlichen: Die jeweilige Planung bzw. rend der Ratssitzungen und als eine Anhö-
das jeweilige Vorhaben muss sich nicht aus- rung. Fraglich ist, ob die Beteiligung mehr
schließlich auf Kinder und Jugendliche be- sein muss als ein Einwohnerantrag. Denn
ziehen. Die Beteiligung ist schon erforder- die nächst intensivere Beteiligungsstufe wä-
lich, wenn die Interessen mitberührt wer- re die Kombination von (Bürger)Begehren
den. Das kann der Fall sein bei der Aufstel- und (Bürger)Entscheid. Da diese Beteiligung
lung von Bauleitplänen, beim Bau bzw. Aus- detailliert und abschließend in der NGO ge-
bau von Gemeindestraßen, beim Bau eines regelt ist, kann man davon ausgehen, dass
Schwimmbades, bei der Organisation der der Gesetzgeber nicht daran gedacht hat,
Schülerbeförderung. auch Kindern und Jugendlichen diese Betei-
ligungsstufe zu ermöglichen.
3. Angemessene Weise: Gestaltungsspiel-
raum für die Gemeinde. Möglichkeit groß- 5. Die Gemeinde als zur Entwicklung und
zügiger, aber auch sehr zurückhaltender Durchführung geeigneter Verfahren ver-
Beteiligung. pflichtete Körperschaft: Die Gemeinde han-
delt durch ihre Organe. Problem: Welches
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3. Organ der Gemeinde ist zuständig? Antwort: sätzliche Beteiligungschancen an der Kom-
Da es sich um die Einführung von Verfahren munalpolitik.
im Rahmen des gemeindlichen Willensbil-
dungsprozesses handelt, also um eine all- Die Beiräte werden in der NGO nicht er-
gemeine Regelung, kommt nur der Erlass wähnt. Somit haben sie keine rechtliche
einer einschlägigen Satzung in Frage. Sat- Grundlage. Ihre Einrichtung beruht folglich
zungen müssen vom Rat beschlossen wer- ausschließlich auf einer politischen Ent-
den. Satzungen können aber bestimmen, scheidung des jeweiligen Rates. Daher sind
dass Einzelfragen durch bevollmächtigte die Modalitäten der personellen Besetzung
Organe (Bürgermeisterin oder Bürgermeis- der Beiräte nicht einheitlich. Auch ihre Kom-
ter, Verwaltungsausschuss) geregelt werden petenzen basieren auf einer je eigenen Zu-
dürfen. weisung durch Ratsbeschluss. Die Einfluss-
möglichkeiten der Beiräte sind begrenzt. Sie
Die eingefügte Vorschrift zur Beteiligung können nur ,,beraten“, nicht aber entschei-
von Kindern und Jugendlichen ist eine den. Es hängt von der jeweiligen Gemeinde
Nachahmung der Regelung in Schleswig- ab, ob die Beiräte vom Rat und von der Ver-
Holstein, allerdings mit einer entscheiden- waltung beachtet werden. Nur wenn sich in
den Ausnahme: einem Beirat sehr viel Sachkunde sammelt,
Das Land Schleswig-Holstein schreibt den kommt seinen Empfehlungen ein faktischer
Gemeinden nämlich eine Offenlegungs- und Bindungswert zu.
Dokumentationspflicht über die Kinderbe-
teiligung vor. Es heißt in der einschlägigen Sehr vielfältig sind die Interessenvertretun-
Bestimmung (§ 47 Absatz 2 GO S.-H.) ,,Bei gen für Kinder und Jugendliche. Am be-
der Durchführung von Planungen und Vor- kanntesten sind dabei die Jugendgemeinde-
haben, die die Interessen von Kindern und räte oder Jugendparlamente als Vertretun-
Jugendlichen berühren, soll die Gemeinde in gen für junge Menschen im Alter von etwa
geeigneter Weise darlegen, wie sie diese In- 12 bis 18 Jahren. Sie gehen aus allgemeinen
teressen berücksichtigt und die Beteiligung Wahlen hervor. Das Vorbild sind die Con-
nach Absatz 1 durchgeführt hat." seils des jeunes in Frankreich, wo es über
700 solcher Gremien gibt. Die Erfahrung
Zweites Instrument: zeigt, dass Jugendgemeinderäte fast immer
Mitarbeit in Beiräten auf Initiative des Rates unter Assistenz des
örtlichen Jugendhilfeausschusses gegründet
Viele Gemeinden eröffnen in Gestalt von werden. Sie beschäftigen sich fast ohne
Beiräten bestimmten Gruppen der Einwoh- Ausnahme mit Gegebenheiten ihres unmit-
nerschaft die Möglichkeit, ihre jeweiligen telbaren Umfeldes - vom Schul- und Ver-
Belange dem Rat gesondert zu Gehör zu kehrswesen über Freizeit- und Spielangebo-
bringen. Beiräte werden vorzugsweise für te bis hin zu Umweltfragen sowie Drogen-
Personengruppen eingerichtet, deren Ein- und Gewaltproblemen. Unterschiedlich wird
flussnahme auf die Gemeindeorgane gering gehandhabt, was mit den Anregungen der
ist und die folglich als benachteiligt gelten. Jugendgremien geschieht. In vielen Gemein-
Zu diesen zählen insbesondere Kinder und den werden sie wie Einwohneranträge be-
Jugendliche, alte Menschen und Auslände- handelt, d.h. vom Rat beraten.
rinnen und Ausländer.
Drittes Instrument:
Durch eine institutionalisierte Interessen- Beteiligung an der Bauleitplanung (§ 3
vertretung soll der Rat veranlasst werden, BauGB)
auf die Wünsche dieser Teile der Einwohner-
schaft einzugehen. Zugleich ermöglicht die Die Gemeinde hat die Hoheit über die Pla-
Interessenvertretung, dass der Rat auf den nung des Gemeindegebietes. Im kommuna-
dort versammelten Sachverstand zurück- len Bauleitplanverfahren wird die bauliche
greifen kann. Beiräte sind folglich Gremien, und sonstige Nutzung der Grundstücke in
die den Gemeinderat bei der Erfüllung sei- der Gemeinde vorbereitet und geleitet. Es
ner Gemeinwohlaufgabe unterstützen. Eine gibt zwei Arten von Bauleitplänen: Der Flä-
Mitarbeit in solchen Beiräten eröffnet zu- chennutzungsplan ist ein vorbereitender
Bauleitplan. Er bildet die Grundlage für den
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4. Bebauungsplan, der ein verbindlicher Bau- über die zu erwartenden Auswirkungen der
leitplan ist. Diese Pläne sind für das Wohl- Planung informiert werden. Ausdrücklich ist
befinden der Gemeindebevölkerung von vorgeschrieben, dass die Bürgerinnen und
sehr hoher Bedeutung. Sie finden daher bei Bürger Gelegenheit zur Äußerung und zur
den Einwohnerinnen und Einwohnern immer Erörterung haben müssen.
ein großes Interesse.
Die öffentliche Unterrichtung kann so ge-
Die Gemeinde ist nach dem Baugesetzbuch schehen, dass die Gemeinde zu einer Ein-
verpflichtet, ihre planerischen Absichten der wohnerversammlung einlädt. Hier kann
kommunalen Öffentlichkeit darzulegen. Die dann ein Planungsfachmann aus dem Bau-
Bürgerinnen und Bürger haben gesetzlich planungsamt oder aus einem beauftragten
verbriefte Möglichkeiten, ihre Vorstellungen Planungsbüro die erst grob konkretisierte
hinsichtlich der Gestaltung ihrer Gemeinde Planungsabsicht vorstellen und mögliche
zu artikulieren sowie ihre Anregungen der Planungsalternativen in ihrem Für und Wider
Gemeinde zur Kenntnis zu bringen. Dieses aufzeigen. Im Anschluss daran ist eine Aus-
Beteiligungsrecht gilt übrigens auch für ei- sprache zu eröffnen, bei der die Anwesen-
nige andere Gesetze, die Planungsfragen den die Chance haben müssen, ihren Stand-
regeln: so das Naturschutzgesetz, das Im- punkt darzulegen, Fragen zu stellen und
missionsschutzgesetz, das Abfallbeseiti- Vor- und Nachteile zu erörtern.
gungsgesetz, das Straßengesetz, das Was-
sergesetz und das Flurbereinigungsgesetz. Die förmliche Bürgerbeteiligung findet statt,
Der Begriff ,,Bürgerin oder Bürger“ ist im wenn die Planungsentwürfe vorliegen. Sie
Baugesetzbuch erheblich weiter gefasst als beruht auf der Pflicht der Gemeinde, die
in der NGO. Bürgerin oder Bürger im Sinne Entwürfe der Bauleitpläne einen Monat lang
des Baugesetzbuches ist nämlich jede Per- öffentlich auszulegen, und zwar einschließ-
son, die durch den Bauleitplan irgendwie lich eines Erläuterungsberichtes im Falle ei-
betroffen ist. Das kann im Prinzip jeder- nes Flächennutzungsplanes bzw. einer Be-
mann sein, also zum Beispiel auch eine gründung im Falle eines Bebauungsplanes.
Nichteinwohnerin oder ein Nichteinwohner, Die Gemeinde muss Ort und Dauer der Aus-
der vielleicht ein Grundstück in der Gemein- legung vorher ortsüblich bekannt machen,
de besitzt. Es können auch Kinder sein. und sie muss dabei darauf hinweisen, dass
die Bürgerinnen und Bürger während der
Auslegungsfrist Anregungen vorbringen
In § 3 BauGB ist die Beteiligung der Bürge- können, die sie der Gemeinde schriftlich an-
rinnen und Bürger am Bauleitplanverfahren zuzeigen haben. Diese Anregungen bilden
genau geregelt. Das Verfahren, das sowohl den Kern der Bürgerbeteiligung im Bauleit-
auf die Flächennutzungsplanung als auch planverfahren. Die Bürgerinnen und Bürger
auf die Bebauungsplanung anzuwenden ist, können in ihren Anregungen sowohl privat
ist kompliziert und zeitaufwendig. An zwei begründete Abweichungen vom Plan vor-
Stellen des Verfahrens können sich Bürge- schlagen als auch öffentliche Belange vor-
rinnen und Bürger einmischen, nämlich bei bringen, die ihnen nicht hinreichend be-
der vorgezogenen und bei der förmlichen rücksichtigt erscheinen. Das Baugesetzbuch
Beteiligung. schreibt vor, dass alle Anregungen zu prü-
fen sind. Die sachliche Prüfung nimmt die
Die vorgezogene Bürgerbeteiligung bezieht Gemeindeverwaltung, insbesondere das
sich auf das Anfangsstadium eines Pla- Bauplanungsamt, vor. Der Bürger hat einen
nungsvorhabens, wenn also noch keine Anspruch darauf, dass ihm das Ergebnis
konkrete Planung vorliegt, die Gemeinde schriftlich mitgeteilt wird. Dieses kann ent-
vielmehr erst umrisshafte Planungsvorstel- weder auf Berücksichtigung oder auf Nicht-
lungen entwickelt hat. Die vorgezogene berücksichtigung der Anregung lauten. Der
Bürgerbeteiligung ergibt sich aus der Vor- Gemeinderat nimmt eine abschließende Prü-
schrift, dass die Bürgerinnen und Bürger fung aller eingegangenen Anregungen vor
möglichst frühzeitig über die allgemeinen und entscheidet dabei über Änderungen o-
Ziele und Zwecke der Planung öffentlich zu der Ergänzungen des Bauleitplanentwurfes.
unterrichten sind. Sie sollen dabei auch über
unterschiedliche Lösungsalternativen sowie
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5. Es ist möglich, dass die Bürgerinnen und denen er sich eigentlich nicht befasst und
Bürger im Rahmen einer Bauleitplanung bis deren Regelung nicht zu seinen Kompeten-
zu sechsmal Gelegenheit zur Abgabe von zen gehört. Gleichwohl kann die Kenntnis
Anregungen erhalten. Denn sowohl beim solcher Dinge seine politische Haltung be-
Flächennutzungsplan als auch beim Bebau- einflussen und sich in zukünftigen Ent-
ungsplan gibt es die vorgezogene und die scheidungen niederschlagen.
förmliche Beteiligung. Die förmliche Beteili-
gung kann sich jeweils noch einmal wieder- Ein Petent muss sich aber nicht an den Rat
holen, wenn nämlich nach dem ersten wenden. Er kann sein Schreiben ebenso an
Durchgang die Gemeinde den Plan geändert den Bürgermeister, an den Verwaltungsaus-
hat. Das Gesetz schreibt vor, dass der abge- schuss oder an irgendeinen sachlich
änderte Entwurf noch einmal öffentlich aus- zuständigen Ausschuss richten. Er kann
zulegen ist und erneut den Anregungen der auch beides machen, nämlich in einer Ange-
Bürgerinnen und Bürger offen stehen muss. legenheit sich an den Rat und zusätzlich an
diejenige Stelle der Gemeinde wenden, zu
Unter dem Gesichtspunkt der Bürgermitwir- deren Aufgabenbereich die Angelegenheit
kung hat das Bauleitplanverfahren den Vor- gehört. Das Petitionsrecht ist nämlich be-
zug, dass es eine Jedermann-Partizipation reits im Grundgesetz durch Artikel 17 ga-
ermöglicht. Denn das Gesetz schränkt die rantiert und enthält das Grundrecht, sich
Mitwirkung nicht auf Bewohnerinnen und mit seinem Anliegen an die zuständigen
Bewohner des Plangebietes ein, sondern Stellen zu wenden. Die NGO ergänzt dieses
gibt allen Interessierten die Möglichkeit, auf Grundrecht durch das Recht, sich außerdem,
den Planentwurf Einfluss zu nehmen. Ande- also zusätzlich oder auch nur, an den Rat zu
rerseits bedeutet Mitwirkung nicht Entschei- wenden.
dung. Gemäß § 40 NGO obliegt nämlich
dem Rat die abschließende Entscheidung Der Petent hat zu bedenken, dass er den Rat
über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung als Adressaten seiner Petition unmiss-
und Aufhebung von Bauleitplänen. verständlich benennt. Schreibt er allgemein
an die Gemeinde, ist das Schreiben dem
Gemeindeorgan zuzuleiten, das sachlich
zuständig ist. Das kann zur Folge haben,
dass der Rat entgegen der Absicht von der
Viertes Instrument: Petition nichts erfährt.
Anregungen und Beschwerden (§ 22c NGO)
Zum Petitionsrecht gehört der Anspruch des
Die NGO etabliert mit § 22c erstmals ein Petenten, über die Art der Erledigung der
Petitionsrecht auf kommunaler Ebene. Die Anregung oder der Beschwerde schriftlich
Bestimmung lautet: ,,Jede Person hat das unterrichtet zu werden. Falls es sich um ei-
Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit ne Sache handelt, für die der Rat nicht
anderen schriftlich mit Anregungen und Be- zuständig ist, dann kann der Rat nicht mehr
schwerden in Angelegenheiten der Gemein- tun, als die Petition an das betreffende Ge-
de an den Rat zu wenden .... Die Antragstel- meindeorgan zu überweisen und mit Emp-
lerin oder der Antragsteller ist über die Art fehlungen zu versehen. Bevor er dies tut,
der Erledigung der Anregung oder Be- kann er aber den Petenten anhören und vom
schwerde zu unterrichten ...“. zuständigen Organ Auskunft und Aktenvor-
lage verlangen. Das Petitionsrecht eröffnet
Das Besondere der Regelung ist, dass die dem Rat also die Möglichkeit einer Kontrolle
Anregungen und Beschwerden gar nicht in der Verwaltung und dem Petenten das Ge-
den Zuständigkeitsbereich des Rates fallen fühl, mit seinem Anliegen politisch ernst
müssen. Gegenstand einer Petition können genommen zu werden. Die Mitteilung an
also auch Angelegenheiten der Bürgermeis- den Petenten über die Erledigung seiner
terin oder des Bürgermeisters, eines Amtes Eingabe obliegt der Bürgermeisterin oder
der Verwaltung, des Verwaltungsausschus- dem Bürgermeister. Dies folgt aus der
ses oder irgendeines anderen Ausschusses Pflicht des Bürgermeisters, Ratsbeschlüsse
sein. Der Rat bekommt auf diese Weise als auszuführen. Bei alledem hat der Petent a-
Volksvertretung Kenntnis von Dingen, mit
5
6. ber keinen Anspruch darauf, dass sein An- Gemeinde zum Gegenstand haben. Diese
liegen erfüllt wird. müssen jedoch nicht unbedingt zum eige-
nen Wirkungskreis gehören. Auch der über-
Das Recht zu Anregungen und Beschwerden tragene Wirkungskreis ist für Petitionen zu-
steht jeder Person zu, unabhängig davon, gänglich.
ob sie in der Gemeinde wohnt oder sich nur
in ihr aufhält. Auch Kinder können folglich Aus der Sicht der Gemeindebevölkerung ist
dieses Recht ausüben. das Petitionsrecht eine Partizipationsmög-
lichkeit in doppelter Hinsicht: Es ist einmal
Darüber hinaus muss das Petitionsrecht eine Art Klagemauer. Denn es ermöglicht
nicht individuell praktiziert werden. Mehrere einer Einzelperson oder auch mehreren Per-
oder gar viele Personen können in ein und sonen ein ,,Herzausschütten". Es ist zum
derselben Angelegenheit beim Rat vorstellig anderen in Gestalt von Sammel- und Mas-
werden. Das nennt man Massenpetition. senpetitionen ein Instrument der Teilnahme
an der politischen Willensbildung in der
Eine Sonderform der Massenpetition ist die Gemeinde. Weil der Rat sich mit dem Inhalt
Sammelpetition, die aus einer Unterschrif- von Petitionen befassen muss, können diese
tensammlung unter einem Beschwerde- o- die Gemeindepolitik beeinflussen. Ein be-
der Forderungstext besteht. sonderer Vorteil des Petitionsrechts ist
schließlich der geringe Formalisierungsgrad
Bei allen Petitionen ist die schriftliche Form des Verfahrens.
zwingend vorgeschrieben.
Fünftes Instrument:
Eine Petition ist entweder eine Anregung Berufung von Nicht-Ratsmitgliedern in die
oder eine Beschwerde. Eine Anregung ist der Ausschüsse (§ 51 NGO)
an den Rat herangetragene Wunsch, etwas
Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen. An- § 51 NGO lässt zu (Kann-Bestimmung), dass
regungen haben deshalb in der Regel die die Ratsfrauen und Ratsherren auch andere
Form von Anträgen und Vorschlägen. Der Personen, d.h. Nichtmitglieder des Rates, zu
politisch-partizipatorische Charakter des Mitgliedern der Ausschüsse des Rates beru-
Petitionsrechtes kommt in der Anregung fen können. Ausgeschlossen hiervon sind
deutlich zum Ausdruck. allerdings Gemeindebedienstete. Diese ,,an-
deren Personen“ könnte man als ,,Bürger-
Eine Beschwerde ist demgegenüber die Kri- vertreter" bezeichnen.
tik an einem bestimmten Verhalten oder ei-
ner Entscheidung der Gemeinde. Beschwer- Dass sie in den Ausschüssen einen Sonder-
den sind entweder Dienstaufsichtsbe- status haben, wird daran ersichtlich, dass
schwerden oder Verwaltungsbeschwerden. sie über kein Stimmrecht verfügen. Weiter-
In Beschwerden geht es darum, dass ein hin können die berufenen Mitglieder keine
Verhalten abgestellt oder eine Maßnahme Ausschussvorsitzende sein. Auch ihr An-
erneut geprüft wird. Beschwerden tragen tragsrecht ist eingeschränkt, da dieses ge-
nur in einem eingeschränkten Maße politi- mäß § 39a NGO nur den Ratsmitgliedern
sche Züge. zusteht. Damit die Relation zwischen ge-
wählten und berufenen Ausschussmitglie-
Auskunftsersuchen und Schreiben, die kein dern nicht zu Ungunsten der ersteren aus-
bestimmtes Begehren enthalten, wie Mei- fällt, schreibt die NGO vor, dass mindestens
nungsäußerungen, Tatsachenmitteilungen zwei Drittel der Ausschussmitglieder Rats-
oder gar Beleidigungen, gelten nicht als Pe- mitglieder sein sollen.
titionen.
Benannt werden die zusätzlich zu berufen-
Das Petitionsrecht ist sehr großzügig ge- den Mitglieder von den Fraktionen und
fasst. So muss ein Petent gar nicht rechtlich Gruppen in einem gesonderten Verfahren.
oder tatsächlich betroffen sein. Eine Petition Die für die ,,anderen Personen“ festgelegten
darf also auch fremdnützig sein oder Angel- Sitze in den Ausschüssen werden auf die
egenheiten von allgemeinem Interesse auf- Fraktionen im Verhältnis zu deren Stärke
greifen. Sie muss aber Angelegenheiten der verteilt. Damit ist gewährleistet, dass sich
6
7. das Stärkeverhältnis im Rat auch in den um
andere Personen ergänzten Ausschüssen Eine Bedingung dafür, dass die Gemeinde-
widerspiegelt. bevölkerung von ihren Beteiligungsrechten
einen vernünftigen Gebrauch machen kann,
Über die Qualifikation der berufenen Aus- ist ihre Informiertheit. Daraus folgt, dass die
schussmitglieder macht die NGO keine Aus- Gemeinde Öffentlichkeitsarbeit betreiben
sagen. Das bedeutet, dass es keine einen- muss. Die NGO greift dieses Erfordernis in §
genden Vorschriften gibt. So müssen sie 62 auf. Dort heißt es:
nicht Bürgerin oder Bürger der Gemeinde ,,Die Bürgermeisterin oder der Bürgermeis-
und nicht einmal Einwohnerin oder Einwoh- ter unterrichtet die Einwohnerinnen und
ner der Gemeinde sein, obwohl es nahe Einwohner in geeigneter Weise über wichtige
liegt, nicht ortsfremde Personen in die Aus- Angelegenheiten der Gemeinde. Bei wichti-
schüsse zu entsenden. Sie brauchen eben- gen Planungen und Vorhaben der Gemeinde
falls nicht über eine besondere Sachkunde soll sie oder er die Einwohnerinnen und
zu verfügen, wenngleich eine solche sicher- Einwohner rechtzeitig und umfassend über
lich sehr wünschenswert wäre. die Grundlagen, Ziele, Zwecke und Auswir-
kungen unterrichten. Die Unterrichtung ist
Unter der Voraussetzung, dass in erster Li- so vorzunehmen, dass Gelegenheit zur Äu-
nie sachkundige Personen Aufnahme in den ßerung und zur Erörterung besteht. Die
Ausschüssen finden, fällt es nicht schwer, in Bürgermeisterin oder der Bürgermeister soll
§ 51 NGO einen vernünftigen Sinn zu er- zu diesem Zwecke Einwohnerversammlun-
kennen. Es geht darum, dem Rat die Mög- gen für die ganze Gemeinde oder für Teile
lichkeit zu eröffnen, sich den Sachverstand des Gemeindegebiets durchführen."
außen stehender Personen nutzbar zu ma-
chen. Das Instrument erhöht die sachkundi- Die Vorschrift unterscheidet zwei Grade der
ge Prägung der Arbeitsergebnisse. Unter Unterrichtungspflicht. So heißt es zunächst
dem Gesichtspunkt der Kinderpolitik wären ganz allgemein, dass die Bürgermeisterin
sachkundige Personen eine Bereicherung oder der Bürgermeister die Einwohnerinnen
vor allem für den Ausschuss für Ortspla- und Einwohner in ,,geeigneter Weise“ über
nung und Umweltschutz, den Bauausschuss, ,,wichtige Angelegenheiten“ zu unterrichten
den Kulturausschuss und den Sozialaus- hat. Wie er die Unterrichtung konkret vor-
schuss. nimmt, ist ihm hiernach freigestellt. Dassel-
be gilt für die Entscheidung, welche Angel-
Alle Erfahrungen deuten jedoch daraufhin, egenheiten ,,wichtig“ sind. Es ist ihm auch
dass § 51 NGO für parteilose Bürgerinnen überlassen, in welcher Häufigkeit er die Un-
und Bürger faktisch bedeutungslos ist. Die terrichtung vornimmt. In der Einschätzung
Ausschusssitze werden in der Regel mit bei dessen, was wichtig ist und worin angemes-
der Kommunalwahl nicht zum Zuge ge- sene Häufigkeit besteht, werden sich die
kommenen Parteimitgliedern besetzt. Es Bürgermeisterinnen und Bürgermeister un-
entspricht einfach dem politischen Kalkül terscheiden.
der Fraktionen, bei der Ausübung ihres Vor-
schlagsrechts Rücksicht auf die parteipoliti- Dann aber wird zweitens Bezug genommen
sche Einstellung potentieller Ausschussmit- auf ,,wichtige Planungen und Vorhaben der
glieder zu nehmen. Gemeinde“. Auch hier ist ein Interpretati-
onsspielraum hinsichtlich der Wichtigkeit
Außerdem: Kinderpolitik sollte nicht partei- gegeben. Der Bürgermeister oder die Bür-
politisch umstritten sein. Unter dieser Be- germeisterin hat aber die Unterrichtung so
dingung müsste darauf geachtet werden, vorzunehmen, dass Gelegenheit zur Äuße-
dass Befürworter oder Anwälte einer solchen rung und Erörterung besteht. Die Gemein-
Politik gleichmäßig von den vorschlagsbe- deordnung schreibt diese qualifizierte Un-
rechtigten Fraktionen benannt werden. Das terrichtung als Sollpflicht vor. Das heißt,
dürfte nicht einfach sein. dass die Bürgermeisterin oder der Bürger-
meister in besonders gelagerten Ausnahme-
fällen hiervon absehen kann. Der wichtigste
Sechstes Instrument: Ausnahmefall dürfte darin bestehen, dass
Einwohnerversammlung (§ 62 NGO) eine rechtzeitige und umfassende Unter-
7
8. richtung der Gemeinde erhebliche Nachteile (3) Der Rat kann mit einer Mehrheit von drei
bescheren würde. Vierteln der anwesenden Ratsmitglieder be-
schließen, anwesende Einwohnerinnen und
Für die Unterrichtung über wichtige Planun- Einwohner... zum Gegenstand der Beratung
gen und Vorhaben soll die Bürgermeisterin zu hören."
oder der Bürgermeister Einwohnerversamm-
lungen durchführen. Auch hier formuliert 1. Bezüglich der Einwohnerfragestunde ist
die Gemeindeordnung eine Sollvorschrift. zu sagen, dass die Einwohnerinnen und
Folglich kann auf die Einwohnerversamm- Einwohner nicht unmittelbar aufgrund der
lung ausnahmsweise verzichtet werden. Das NGO das Recht haben, Fragen zu stellen.
ist denkbar, wenn die Einwohnerschaft bei Denn es heißt in der NGO ausdrücklich, dass
anderer Gelegenheit, zum Beispiel bei einer der Rat die Möglichkeit hierzu einräumen
öffentlichen Rats- oder Ausschusssitzung, kann. Der Rat muss also von der im Gesetz
über eine Planung oder ein Vorhaben unter- angesprochenen Ermächtigung, Fragen des
richtet worden ist und mit den Ratsmitglie- Publikums zuzulassen, Gebrauch machen.
dern erörtern konnte. Dies geschieht im Regelfall durch eine ent-
sprechende Regelung in der Geschäftsord-
Die Einwohnerversammlung ist ein Diskus- nung. Die Initiative für die Einrichtung einer
sionsforum, auf dem neben der Unterrich- Einwohnerfragestunde muss also vom Rat
tung und Erläuterung auch eine Erörterung ausgehen. Sie kann von den Einwohnerinnen
wichtiger Gemeindeangelegenheiten mög- und Einwohnern nicht erzwungen werden.
lich ist. Teilnahmeberechtigter Personen- Einen Rechtsanspruch auf die Fragestunde
kreis ist aus guten Gründen die Einwohner- gibt es nicht.
schaft. Das schließt also Minderjährige ein.
Der Ratsvorsitzende hat darauf zu achten,
Die NGO begründet die denkbar schwächste dass die Fragestunde nicht in eine Beratung
Form einer Einwohnerversammlung. In an- einmündet, denn diese ist den Ratsmitglie-
deren Bundesländern (Bayern und Baden- dern vorbehalten. Er muss auch darauf ach-
Württemberg) ist sie ein Instrument bürger- ten, dass die Fragen auf die Beratungsge-
schaftlicher Einwirkung auf die Gemeinde. genstände oder andere Gemeindeangele-
Sie muss dort nämlich in festen Abständen genheiten Bezug nehmen. Schließlich hat er
stattfinden. Sie kann auch Beschlüsse fas- die Möglichkeit in Rechnung zu stellen, dass
sen, die der Rat als Anträge behandeln und keine Fragen gestellt, sondern politische
abstimmen lassen muss. Stellungnahmen abgegeben werden. Nach
der Rechtsprechung ist dies nicht zulässig.
Siebentes Instrument:
Einwohnerfragestunde und Anhörung (§ 43a 2. Die Sachverständigenanhörung kann vom
NGO) Rat spontan, d.h. während der Sitzung, be-
schlossen werden. Voraussetzung ist, dass
Die NGO gestattet in § 43a bei öffentlichen nach Einschätzung des Rates überhaupt
Sitzungen des Rates die Einwohnerfrage- Sachverständige im Sitzungsraum anwesend
stunde, die Sachverständigenanhörung so- sind. Das Problem, welchem Anwesenden
wie die Einwohneranhörung. Gemäß § 52 die Eigenschaft eines Sachverständigen zu-
NGO ist dies auch möglich für Ausschuss- erkannt werden soll, kann nur pragmatisch
sitzungen, sofern diese öffentlich sind. § gelöst werden. Die Lösung sieht so aus,
43a formuliert wörtlich: dass der Rat einfach entscheidet, wen er als
Sachverständigen ansieht und deshalb an-
,,(1) Der Rat kann bei öffentlichen Sitzungen hören will. Er hat also einen Ermessens-
Einwohnerinnen und Einwohnern die Mög- spielraum. Sachverständiger ist demnach
lichkeit einräumen, Fragen zu Beratungsge- jede Person, derer sich der Rat bedienen
genständen und anderen Gemeindeangele- will, um in einer Fachfrage fehlenden eige-
genheiten zu stellen. nen Sachverstand zu ersetzen.
(2) Der Rat kann beschließen, anwesende
Sachverständige zum Gegenstand der Bera- 3. Die Einwohneranhörung unterscheidet
tung anzuhören. sich wesentlich von der Einwohnerfrage-
stunde. Denn der Rat nimmt hier (wie bei
8
9. der Sachverständigenanhörung) die Stellung § 22 a Abs. 1 NGO enthält Vorschriften über
eines der Information Bedürftigen ein. Ein- die Anwendbarkeit dieses Instrumentes, d.h.
wohneranhörungen dürften in der kommu- über die Antragsberechtigten wie über die
nalpolitischen Praxis eher der Ausnahmefall Antragsgegenstände. Hiernach sind Einwoh-
sein. Denn die Fraktionen bereiten sich übli- ner vom 14. Lebensjahr an antragsberech-
cherweise auf Sitzungen intensiv vor. Au- tigt. Minderjährige und Ausländerinnen und
ßerdem darf nicht vergessen werden, dass Ausländer sind also eingeschlossen. Sie
sich die Ratsmitglieder mit einer Einwohner- müssen aber seit mindestens drei Monaten
anhörung eine Blöße in der Öffentlichkeit ihren Hauptwohnsitz in der Gemeinde ha-
geben. Auch die erforderliche Dreiviertel- ben. Der Grund hierfür ist, dass Inhaber
mehrheit für einen entsprechenden Be- mehrerer Wohnsitze in verschiedenen Ge-
schluss dürfte nicht einfach zu erreichen meinden nur dort an der kommunalpoliti-
sein. schen Willensbildung teilnehmen können
sollen, wo sie ihren Lebensmittelpunkt ha-
Man kann davon ausgehen, dass die Ein- ben. In sachlicher Hinsicht muss die Ange-
wohnerfragestunde von den meisten Räten legenheit zum eigenen Wirkungskreis der
praktiziert wird. Sie steht für guten demo- Gemeinde gehören. Zusätzlich ist erforder-
kratischen Stil und bietet sich auch aus lich dass der Rat für die Angelegenheit
Klugheitsgründen an. Fragestunden sind ein zuständig sein muss. In § 40 NGO ist aufge-
wichtiges Instrument zur Unterrichtung der listet, wofür der Rat eine Zuständigkeit be-
Bevölkerung über Angelegenheiten, die ge- sitzt. Die Liste ist umfangreich. Im Kern ist
rade für die Fragestellerinnen und Frage- der Rat für alle Satzungen, für die Bauleit-
steller von besonderem Interesse sind. planung sowie für die Haushalts- und Steu-
Gleichzeitig dienen sie der Information der erpolitik zuständig.
Ratsmitglieder. Denn in den Fragen verber-
gen sich nicht selten Probleme, über die der Es gibt eine Sperrwirkung bei Einwohneran-
Rat noch nicht nachgedacht hat. Fragestun- trägen: Innerhalb von zwölf Monaten darf in
den haben aber auch eine Ventilfunktion. derselben Angelegenheit nur ein Einwoh-
Sie bieten eine Gelegenheit, in Gestalt von nerantrag gestellt werden. Wenn also ein
Fragen Verärgerungen über Maßnahmen o- Einwohnerantrag aus Sicht der Initiatoren
der Unterlassungen der Kommune öffentlich nicht zufriedenstellend beraten worden ist,
zu artikulieren. Weil Minderjährige vom Ein- müssen sie dennoch insgesamt zwölf Mona-
wohnerbegriff umfasst werden, können auch te warten, bis sie in der Angelegenheit einen
sie Fragen stellen. neuen Antrag stellen dürfen.
Allgemeine Erfahrungen über die Sach- Absatz 2 enthält formale Erfordernisse, die
verständigen- und die Einwohneranhörung in einem Einwohnerantrag beachtet werden
liegen nicht vor. Die Räte dürften von bei- müssen. Insgesamt fünf Voraussetzungen
den Instrumenten nur zurückhaltenden Ge- sind zu erfüllen:
brauch machen.
Erstens: Der Einwohnerantrag muss schrift-
lich bei der Gemeinde eingereicht werden.
Achtes Instrument: Ein mündlicher Vortrag genügt nicht.
Einwohnerantrag (§ 22a NGO)
Zweitens: Der Einwohnerantrag muss das
Der Einwohnerantrag ist ein Anregungsver- Begehren hinreichend bestimmt ausdrücken
fahren, mit dem die Einwohnerinnen und und dieses Begehren auch noch begründen.
Einwohner den Rat verpflichten, sich mit ei-
ner bestimmten Angelegenheit zu befassen. Drittens: Es müssen drei Personen benannt
Der Einwohnerantrag verpflichtet den Rat werden, die berechtigt sind, die Unterzeich-
aber lediglich, die Angelegenheit zu bera- nenden gegenüber der Gemeinde zu vertre-
ten. Er muss keine Entscheidung herbeifüh- ten. Daraus lässt sich schließen, dass nicht
ren. § 22a NGO regelt den Einwohnerantrag Einzelne einen Einwohnerantrag stellen dür-
in insgesamt sechs Absätzen sehr detailliert. fen. Nicht notwendig ist, dass die als Ver-
treter fungierenden Personen in der Ge-
meinde wohnen müssen.
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10. tivpetition. In Gestalt einer an den Rat ge-
Viertens: Der Einwohnerantrag soll einen richteten formlosen Sammelpetition können
Vorschlag zur Deckung der Kosten oder der Einwohnerinnen und Einwohner aber mit
Einnahmeausfälle enthalten, die mit der Er- sehr viel geringerem organisatorischen Auf-
füllung des Begehrens verbunden sind. wand eine ähnliche Wirkung wie mit einem
Einwohnerantrag erzielen. Wollen sie hinge-
Fünftens: Der Einwohnerantrag muss mit gen mehr Wirkung erreichen, so steht ihnen
Unterstützungsunterschriften versehen sein. mit nur wenig höherem Verfahrensaufwand
Das Unterschriftenquorum ist nach der Ein- das Bürgerbegehren zur Verfügung. Aus
wohnerzahl der Gemeinde dergestalt gestaf- diesen Gründen ist es nicht erstaunlich,
felt, dass es mit zunehmender Größe ab- dass der Einwohnerantrag kaum praktiziert
nimmt: Maximal fünf Prozent und minimal wird.
2,5 Prozent der Einwohner müssen unter-
schreiben. Das Unterschriftenquorum soll Neuntes Instrument:
sicherstellen, dass sich der Rat nur mit An- Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (§ 22b
trägen befassen muss, die ein Mindestmaß NGO)
an öffentlicher Aufmerksamkeit erreicht ha-
ben. Die Staffelung trägt dem Umstand Einer der umfangreichsten Paragraphen in
Rechnung, dass es in größeren Städten er- der Gemeindeordnung ist § 22b, der in
fahrungsgemäß schwieriger ist, einen be- zwölf Absätzen detailliert den Verfahrens-
stimmten Anteil der Einwohnerschaft für die ablauf von Bürgerbegehren und Bürgerent-
Unterschrift zu gewinnen. scheiden regelt. Deutlich ist das Bemühen
des Gesetzgebers erkennbar, die Regelung
Die weiteren Bestimmungen in § 22a NGO so genau zu fassen, dass die Anwendung
regeln das Verfahren nach dem Eingang ei- dieser sachlich aufs engste miteinander ver-
nes mit genügend Unterschriften versehe- bundenen Instrumente überall gleich ver-
nen Einwohnerantrages. Er wird auf Zuläs- läuft.
sigkeit geprüft und im positiven Fall dem
Rat vorgelegt. Dieser muss den Antrag in- Was Bürgerbegehren und Bürgerentscheid
nerhalb von drei Monaten beraten. Der Be- sind, wird in Absatz 1 gesagt. Es heißt
ratungspflicht genügt der Rat bereits, wenn knapp, dass mit einem Bürgerbegehren be-
er die Angelegenheit auf die Tagesordnung antragt werden kann, dass die Bürgerinnen
einer Sitzung setzt und Gelegenheit zur und Bürger einer Gemeinde über eine Ange-
Aussprache gibt. Wenn sich allerdings kein legenheit der Gemeinde entscheiden. Es
Ratsmitglied zur Sache meldet, kann eine wird hinzugefügt, dass diese Entscheidung
Aussprache nicht erzwungen werden. Die Bürgerentscheid heißt. Ein Bürgerbegehren
NGO schreibt dem Rat allerdings vor, dass zielt also darauf ab, dass es zu einem Bür-
er die drei Vertreterinnen oder Vertreter des gerentscheid kommt. Das Besondere liegt
Einwohnerantrages hören soll. Er lädt sie mithin darin, dass im Falle eines Bürgerent-
also ein, gibt ihnen Gelegenheit, sich zur scheides die Bürgerinnen und Bürger eine
Angelegenheit zu äußern, und stellt auch Sache anstelle der gewählten Gemeindever-
Fragen. Er muss sich allerdings nicht auf tretung selbst entscheiden
eine Diskussion mit den Vertreterinnen oder
Vertretern einlassen. An der eigentlichen Der Sache nach lassen sich die Begehren in
Beratung nehmen die Vertreter des Antrages drei Gruppen einteilen. So gibt es erstens
aber nicht teil. Falls öffentlich beraten wird, das initiierende Begehren: Die Initiatoren
können diese Personen - wie jede ander wollen eine kommunale Angelegenheit, in
Einwohnerin oder jeder andere Einwohner der die Gemeindevertretung noch nicht tätig
auch - an der Sitzung des Rates als Zuhörer geworden ist oder bewusst untätig geblie-
teilnehmen. Falls nicht öffentlich beraten ben ist, auf die kommunalpolitische Tages-
wird, sind sie wie jeder andere auch ausge- ordnung setzen. Dann gibt es zweitens das
schlossen. kassatorische Begehren: Die Initiatoren
streben an, einen von der Gemeindevertre-
Der Einwohnerantrag stellt ein eher dürfti- tung bereits gefassten Beschluss anzugrei-
ges Partizipationsinstrument dar, denn im fen und aufzuheben. Schließlich gibt es das
Grunde ist er nicht mehr als eine Art Kollek- präventive Begehren: Die Initiatoren wollen
10
11. einen von der Gemeindevertretung vorbe- und bei denen sie nach Weisung, d.h. nicht
reiteten Beschluss verhindern. In der kom- aus eigener Entscheidung, handeln, können
munalen Praxis kommen die beiden letzten nicht einem Bürgerbegehren unterliegen.
Varianten weitaus am meisten vor.
Eine zweite Einschränkung besteht darin,
Die Gemeindeordnung macht keine Aussa- dass das Begehren sich nur auf solche Ge-
gen darüber, wer ein Bürgerbegehren initi- genstände richten darf, für die der Rat
ieren darf Initiatorin oder Initiator darf des- zuständig ist.
halb jedermann sein, also auch jemand, der
gar nicht Einwohnerin oder Einwohner bzw. Eine dritte Bedingung lautet, dass ein Bür-
Bürgerin oder Bürger der Gemeinde ist. Die gerbegehren sich nicht auf einen Gegen-
Initiative steht somit auch Ortsfremden zu. stand beziehen darf zu dem innerhalb der
Alle weiteren Verfahrensschritte sind dafür letzten zwei Jahre ein Bürgerentscheid
Bürgerinnen und Bürgern vorbehalten. So durchgeführt worden ist. Mit dieser Sperr-
schreibt Absatz 2 explizit vor, dass es Bür- frist will man die kurzfristige Wiederholung
gerinnen und Bürger sein müssen, die das von Bürgerbegehren in derselben Angele-
Begehren zunächst mit ihrer Unterschrift genheit verhindern. Bei einem gescheiterten
unterstützen. Wie der Name schon hinrei- Bürgerentscheid läge bei den Initiatoren ja
chend deutlich macht, dürfen auch am Bür- die Überlegung nahe, nach relativ kurzer
gerentscheid nur Bürger teilnehmen. Zeit erneut den Versuch zu starten, von den
Bürgerinnen und Bürgern ein positives Vo-
Die NGO macht in Absatz 2 genaue Anga- tum zu erlangen.
ben, wie viele Bürgerinnen und Bürger ihre
Unterschrift leisten müssen, damit das Bür- Es gibt noch einen vierten Komplex von Ein-
gerbegehren gegenüber der Gemeinde den schränkungen für Bürgerbegehren. Die Ge-
Charakter eines verbindlichen Antrages er- meindeordnung führt nämlich Angelegen-
hält. Ein solches Unterstützungsquorum er- heiten auf, über die Bürgerbegehren kate-
füllt eine Filterfunktion. Das Erreichen der gorisch ausgeschlossen sind. Insgesamt
notwendigen Unterschriftenzahl soll Gewähr acht solcher Angelegenheiten werden ge-
dafür bieten, dass es sich um ein diskussi- nannt. Den Kern dieser ,,unberührbaren“
onswürdiges, potentiell mehrheitsfähiges Gegenstände bilden Haushalts- und Steuer-
Anliegen der Initiatoren handelt. Generell ist fragen sowie die Bauleitplanung.
vorgesehen, dass zehn Prozent der Bürge-
rinnen und Bürger - nicht der Einwohnerin- Absatz 4 macht Ausführungen über den An-
nen und Einwohner - mit ihrer Unterschrift tragsinhalt. Es handelt sich um drei formale
die Unterstützung des Anliegens des Bür- Voraussetzungen, die zu erfüllen sind.
gerbegehrens dokumentieren müssen. Diese
Zehn-Prozent-Marke muss in vielen Ge- Die erste Voraussetzung lautet, dass das
meinden aber gar nicht erreicht werden. Die Bürgerbegehren die gewünschte Sachent-
Gemeindeordnung teilt nämlich die Ge- scheidung so genau bezeichnen muss, dass
meinden nach ihren Einwohnerzahlen in über sie mit Ja oder Nein abgestimmt wer-
fünf Größenklassen ein. Es zeigt sich, dass den kann. Das Anliegen sollte so formuliert
in den einwohnerstärkeren Gemeinden in werden, dass die Befürworter des Bürgerbe-
jeder Klasse prozentual erheblich weniger gehrens mit „ja“ zu stimmen haben.
an Unterstützung benötigt wird als in den
kleineren. Die zweite Voraussetzung ist, dass das Bür-
gerbegehren eine Begründung enthalten
Absatz 3 befasst sich mit den Antragsge- muss. Es muss einen Deckungsvorschlag für
genständen. Er ist deshalb besonders wich- die Kosten oder Einnahmeausfälle anführen,
tig für die Initiatorinnen und Initiatoren ei- die mit der Verwirklichung der gewünschten
nes Bürgerbegehrens. Die grundsätzliche Sachentscheidung verbunden sind. Der Sinn
Regel lautet, dass nur Angelegenheiten des dieser Vorschrift liegt darin, dass die Bürge-
eigenen Wirkungskreises Gegenstand eines rinnen und Bürger in Kenntnis der politi-
Bürgerbegehrens sein können. Staatliche schen Absichten und der finanziellen Folgen
Aufgaben, die die Gemeinden per Gesetz ihre Entscheidung treffen können.
zur Erfüllung übertragen bekommen haben
11
12. Die dritte Voraussetzung besteht in der 2. Die Einhaltung der Frist von sechs bzw.
Pflicht, Vertreter des Begehrens zu benen- bei bekannt gemachten Ratsbeschlüssen
nen. Noch vor der Einreichung der Unter- von drei Monaten.
stützungsunterschriften bei der Gemeinde 3. Die Zulässigkeit des vom Begehren be-
müssen sich die Initiatorinnen und Initiato- troffenen Gegenstandes.
ren eines Begehrens auf bis zu drei Perso- 4. Die Schriftlichkeit des Begehrens.
nen einigen, die als Vertreterinnen und Ver- 5. Die vorgeschriebene Formulierung des
treter fungieren sollen. Diese Vertreterinnen Anliegens in Gestalt einer Ja/Nein-Ent-
oder Vertreter müssen nicht Bürgerinnen scheidung.
oder Bürger und nicht einmal Einwohnerin- 6. Die Begründung des Anliegens.
nen und Einwohner der Gemeinde sein. Die 7. Der Deckungsvorschlag für Kosten oder
drei Vertreterinnen oder Vertreter -und nur Einnahmeausfällle.
sie! sind Ansprechpartner des Rates in allen 8. Die Benennung der Vertreterinnen oder
Angelegenheiten des Bürgerbegehrens. Sie Vertreter.
reichen das Bürgerbegehren mit den Unter- 9. Die Vollständigkeit der eingebrachten
stützungsunterschriften offiziell ein. Sie Unterschriften.
können auch das Bürgerbegehren bis zum 10. Die notwendige Zahl der Unterschriften.
Tag der Durchführung des Bürgerentscheids
zurückziehen. Die Vertreterinnen oder Ver- Die Unterschriftenlisten werden von der
treter haben - im Unterschied zum Einwoh- Gemeinde geprüft, und zwar streng. So
nerantrag - aber kein Anhörungsrecht im muss wie beim Einwohnerantrag auf jeder
Rat und im Verwaltungsausschuss, wenn in Unterschriftenliste der volle Wortlaut des
diesen Gremien das Bürgerbegehren behan- Bürgerbegehrens einschließlich der Begrün-
delt wird. dung und des Kostendeckungsvorschlags
enthalten sein. Denn nur auf diese Weise ist
Absatz 5 enthält zwei Vorschriften, die sich sichergestellt, dass es sich um Unterschrif-
auf die von den Initiatorinnen und Initiato- ten handelt, hinter denen die Bürgerinnen
ren zu berücksichtigenden Einreichungsfris- und Bürger stehen, die in den Grundzügen
ten beziehen. Die erste Vorschrift stellt lapi- über die Angelegenheit informiert sind.
dar fest. dass die Einleitung eines Bürgerbe- Wenn das Unterstützungsquorum auch nur
gehrens der Gemeinde anzuzeigen ist. Die um eine Stimme verfehlt wird, weil bei-
zweite Vorschrift gibt vor, dass spätestens spielsweise eine bestimmte Anzahl von Un-
sechs Monate nach der Anzeige das Bürger- terschriften bei der Prüfung nicht anerkannt
begehren mit der erforderlichen Zahl von wird, so ist das Bürgerbegehren schon ge-
Unterschriften bei der Gemeinde einzurei- scheitert, weil eine zwingend vorgeschrie-
chen ist. Diese Frist verkürzt sich auf drei bene Bedingung nicht erfüllt wird. Es ist
Monate, wenn das Bürgerbegehren sich ge- nicht gestattet, nach dem Eingang bei der
gen einen - bekannt gemachten -Ratsbe- Gemeinde nachträglich neue Unterschriften
schluss richtet. beizubringen. Bei der Prüfung der Zahl der
Unterschriften muss die Gemeinde übrigens
Die Vorschriften des Absatzes 6 dienen da- die bei der letzten Kommunalwahl festge-
zu, dem mit der Prüfung der Zulässigkeit stellte Zahl zugrunde legen.
des Bürgerbegehrens betrauten Verwal-
tungsausschuss eindeutige und einfach zu Absatz 7 enthält zwei Vorschriften, die Fris-
ermittelnde Grundlagen für seine Entschei- ten betreffen, nachdem das Bürgerbegehren
dung an die Hand zu geben. Im Kern wird bei der Gemeinde eingereicht worden ist.
vorgeschrieben, dass mit der Abgabe des
Bürgerbegehrens (konkret: der Unterschrif- Die erste Vorschrift lautet, dass der Verwal-
tenlisten), alle bisher erwähnten Vorausset- tungsausschuss nach dem Eingang des Bür-
zungen erfüllt sein müssen. Welche Voraus- gerbegehrens unverzüglich über dessen Zu-
setzungen sind das? Ein Blick in die Absätze lässigkeit entscheidet. ,,Unverzüglich“ ist
2 bis 5 zeigt, dass folgende Erfordernisse ein juristischer Begriff. Er bedeutet nicht,
erfüllt sein müssen: dass einen Tag nach Eingang des Begehrens
1. Die Anzeige der Einleitung des Bürger- der Verwaltungsausschuss die Entscheidung
begehrens bei der Gemeinde. über das Bürgerbegehren gefällt haben
muss. Das geht schon deshalb nicht, weil
12
13. der Verwaltungsausschuss üblicherweise Ratsfrauen und Ratsherren oder der Bür-
nur in bestimmten festgelegten Abständen germeisterin oder des Bürgermeisters kein
zusammentritt. Es geht auch deshalb nicht, Bürgerentscheid stattfinden darf. Im Um-
weil die Gemeinde, konkret das Wahlamt, kehrschluss bedeutet diese Regelung, dass
die Unterstützungsunterschriften erst prü- ein Bürgerentscheid an jedem anderen Tage
fen muss. ,,Unverzüglich“ heißt also ledig- stattfinden darf. Der Abstimmungstag muss
lich, dass der Verwaltungsausschuss seine nicht einmal unbedingt ein Sonntag sein. Es
Entscheidung nicht schuldhaft hinauszögern ist sogar zulässig, die Abstimmung über
darf. Das wäre der Fall, wenn er so lange mehrere Tage zu erstrecken.
wartete, bis sich nach seiner Einschätzung
ein für seine politische Position günstiges
Stimmungsklima entwickelt hätte. Absatz 9 enthält die politischen Optionen
der Gemeinde, konkret: des Rates bzw. -
Die Prüfung der Zulässigkeit darf sich nicht noch genauer - der Ratsmehrheit, in der
nur auf die Frage beschränken, ob das Be- Situation eines für zulässig erklärten Bür-
gehren formal zulässig ist, ob also eine Ja/ gerbegehrens.
Nein-Entscheidungsfrage, eine Begründung
mit Deckungsvorschlag und die Namen von Die erste Option kommt dem Rat und seiner
drei Vertreterinnen oder Vertretern angege- politischen Zielvorstellung weit entgegen.
ben sowie genügend Unterschriften geleistet Sie erlaubt ihm nämlich, über die vom Bür-
worden sind. Die Prüfung schließt auch die gerbegehren betroffene Angelegenheit noch
materielle Rechtmäßigkeit ein. Damit ist schnell selbst zu entscheiden, d.h., so zu
gemeint, dass der Verwaltungsausschuss entscheiden, wie er es für richtig hält. Er
das Begehren auch inhaltlich darauf prüfen kann mithin Tatsachen schaffen, die bewir-
muss, ob es ein Anliegen des eigenen Wir- ken, dass der Bürgerentscheid in der Sache
kungskreises thematisiert und ob der De- leer läuft. Ebenso darf die Gemeinde zeitlich
ckungsvorschlag unter haushaltswirtschaft- schon früher getroffene Entscheidungen
lichen Gesichtspunkten seriös ist. Fällt die vollziehen, selbst wenn diese den Gegen-
Prüfung insgesamt positiv aus, muss der stand des Bürgerbegehrens betreffen oder
Verwaltungsausschuss diese Entscheidung sogar dem Bürgerbegehren entgegengesetzt
einem der benannten Vertreterinnen oder sind. Ein Bürgerbegehren hat also weder ei-
Vertreter schriftlich zustellen. Die zweite ne aufschiebende Wirkung, noch übt es eine
Vorschrift bestimmt, dass im Falle der Zu- Sperrwirkung auf das Handeln des Rates
lässigkeit des Bürgerbegehrens innerhalb aus.
von drei Monaten ein Bürgerentscheid über
den begehrten Sachgegenstand herbeige- Zweite Option: Die Gemeinde kann die aus
führt werden muss. Auch hier muss man der Sicht des Bürgerbegehrens unfreundli-
genau lesen. Die Vorschrift lautet nicht, che Strategie aber auch unterlassen und ei-
dass so schnell wie möglich nach Feststel- ne Strategie der Passivität verfolgen. Diese
lung der Zulässigkeit der Bürgerentscheid ist identisch mit dem Verzicht auf eine kon-
durchzuführen ist. Die Frist beträgt vielmehr frontative Politik. In diesem Fall trifft der Rat
ein Vierteljahr. Der Bürgerentscheid kann in der Angelegenheit des Bürgerbegehrens
für den letzten Tag innerhalb dieser Frist einfach keine Entscheidung und wartet ab,
anberaumt werden. Da die Gemeinde den welches Ergebnis der Bürgerentscheid
Bürgerentscheid veranstaltet, legt sie auch bringt.
den Termin fest. Nach § 57 NGO ist hierfür
der Verwaltungsausschuss zuständig. Es ist Dritte Option: Der Rat kann auch eine koo-
klar, dass der Verwaltungsausschuss, ge- perative Strategie einschlagen, die man auch
nauer: die Mehrheit des Ausschusses, hier als eine Politik des Nachgebens oder Einlen-
einen politischen Entscheidungsspielraum kens bezeichnen kann. Diese im Absatz 9
hat. Es kann ihm rechtlich nicht verwehrt ausdrücklich erwähnte Strategie besteht da-
werden, einen ihm günstig erscheinenden rin, dass der Rat den Bürgerentscheid da-
Termin zu wählen. durch abwendet, dass er eine Entscheidung
trifft, die vollständig oder doch wesentlich
Absatz 8 ist sehr knapp gehalten. Er im Sinne des Bürgerbegehrens ausfällt.
schreibt vor, dass am Tage der Wahl der
13
14. Absatz 10 enthält Regelungen, die die des abzuändern. Diese Kompetenz steht nur
Durchführung des Bürgerentscheides betref- ihm zu. Nach Lage der Dinge kann ein sol-
fen. Sie bestehen aus zwei Einzelvorschrif- cher Änderungswunsch eigentlich auch nur
ten, nämlich aus Vorgaben für die Gestal- von ihm ausgehen. Denn die Initiatorinnen
tung des Stimmzettels sowie aus der Festle- und Initiatoren eines siegreichen Bürgerent-
gung des Erfolgsquorums. scheides werden kaum motiviert sein, das
von ihnen erreichte Anliegen wieder rück-
Der Stimmzettel muss zum einen das Anlie- gängig machen zu wollen.
gen des Bürgerbegehrens, mithin die Ent-
scheidungsfrage, wiedergeben und zum an- Dass der Gesetzgeber diese Möglichkeit
deren so gestaltet sein, dass die Abstim- einräumt, hat einen guten Grund: Es ist
menden nur ein Ja oder ein Nein ankreuzen nämlich nicht auszuschließen, dass sich die
können. Enthaltungen sind beim Bürgerent- Grundlagen des ersten Bürgerentscheides
scheid nicht möglich. nach einiger Zeit wesentlich verändern, so
dass sein Bestand sachlich und vielleicht
Dann wird das Quorum für einen erfolgrei- auch finanziell nicht länger gerechtfertigt
chen Bürgerentscheid angeführt. Dieses ist ist. Dann muss politisch reagiert werden
an zwei Bedingungen gebunden: Erstens können, um das öffentliche Wohl, dem die
muss die Mehrheit der gültigen Stimmen auf Gemeinden verpflichtet sind, nicht zu ge-
Ja lauten. Zweitens muss diese Mehrheit fährden.
mindestens 25 Prozent der Abstimmungs-
berechtigten umfassen. Im Falle einer Der niedersächsische Gesetzgeber hat im
Stimmengleichheit gilt das Bürgerbegehren März 2001 dem § 22 b NGO einen neuen
als abgelehnt. Das Zustimmungsquorum Absatz 12 angefügt. Er bezieht sich der Sa-
von 25 Prozent soll die Legitimität der Ent- che nach auf Absatz 9. Absatz 9 erlaubt es
scheidung sichern. Auf diese Weise soll ver- der Gemeinde ja, ein Bürgerbegehren da-
hindert werden, dass kleine Minderheiten durch zu unterlaufen, dass der Rat schnell
sich gegen eine schweigende, weil desinte- noch vollendete Tatsachen schafft. Für die-
ressierte, Mehrheit durchsetzen. sen Fall erlaubt Absatz 12 jetzt ein Missbil-
ligungsbürgerbegehren. Gegenstand dieses
Die Wirkungen eines Bürgerentscheides Begehrens ist die Missbilligung der von der
werden in Absatz 11 dargelegt. In Satz 1 Gemeinde durchgeführten Maßnahme. Die
heißt es hierzu, dass ein Bürgerentscheid Bürgerinnen und Bürger erhalten also die
die rechtliche Wirkung eines Ratsbeschlus- Chance, durch ihre Unterstützungsunter-
ses hat. Er muss folglich von der Verwaltung schrift sowie durch ihre Abstimmung ihrem
ausgeführt werden. Wie jeder Beschluss des Unmut Luft zu machen.
Rates und jede Maßnahme der Gemeinde
kann er aber von der Kommunalaufsicht be- Der Bürgerentscheid ist die einzige Möglich-
anstandet werden, wenn er das Gesetz ver- keit des Bürgers, in Sachfragen selbst ver-
letzt. Eine Beanstandung bedeutet nach § bindlich zu entscheiden. Er setzt bei den
130 NGO, dass der Entscheid nicht vollzo- Initiatorinnen und Initiatoren des zunächst
gen werden darf. Wenn dies jedoch nicht verlangten Bürgerbegehrens eine gewaltige
geschieht, ist sein Bestand aber für mindes- organisatorische Arbeit voraus. Bürgerbe-
tens zwei Jahre gesichert. Danach ist der Rat gehren und Bürgerentscheid sind Ausdruck
frei in der Entscheidung über den Gegen- politischer Konfliktpositionen. Kinderpolitik
stand des Bürgerentscheides. Vor Ablauf sollte vom Konsens getragen werden. Daher
dieser Zeit darf der Bürgerentscheid aber empfiehlt sich der Einsatz dieses Partizipati-
nicht durch einen entgegenstehenden Be- onsinstrumentes nicht.
schluss des Rates aufgehoben werden.
Prof. Dr. Joachim Detjen hielt den Vortrag anläss-
Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, vor lich einer Fortbildungsveranstaltung für Modera-
Ablauf der zwei Jahre einen Bürgerentscheid torinnen und Moderatoren, die die Bezirksregie-
anzutasten: rung Hannover, Nds. Landesjugendamt, am
30.08.2001 durchführte.
Der Rat kann einen - neuen - Bürgerent-
scheid in der Absicht beantragen, das Er-
gebnis des ursprünglichen Bürgerentschei-
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