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text  PHILIPP KOHLHÖFER
illustration  YANNIK DE LA PÊCHE
mitarbeit  DANIEL SIPPEL
Hunderte Anhänger der Flache-
FLACH-
SCHADEN
Erde-Bewegung treffen sich einmal im
Jahr, um der Wahrheit ins Auge zu
sehen: Die Belgier sind Kommunisten
54  JWD.
So oder so ähnlich stellen sich Flat Earther
die Welt vor: eine Scheibe, darum ein
streng bewachter Eisring. Kein Spaß!
JWD.  55 
P E R A N H A LT E R D U R C H D I E G A L A X I S
U
nd als Dominic kommt, beginne
ich echt zu zweifeln.
Was, wenn es doch ein gehei-
mes Netzwerk gibt, dessen Mitglieder
seit Jahrtausenden mehr wissen als wir?
Wenn es eine Verschwörung gibt, min-
destens seit Jesus?
Ich bin am Flughafen in Denver, und
alles ist so eckig. Ecken sind das Symbol
Satans. Je eckiger, desto satanistischer.
Irgendwo hier im Terminal, direkt unter
meinen Füßen, ist ein gigantischer Bun-
ker, der als geheime Tagungsstätte dient.
Von dort aus werden hinterlistig Lügen in
die Welt getragen, wie eben jene Legen-
de, dass die Erde rund ist. Und die Mär
des Kopernikus, dass die Erde um die
Sonne kreist. Ich sehe mich um und ver-
suche jemanden zu entdecken, der eine
Treppe hinabsteigt, aber vermutlich wäre
das zu profan. Aber alle diese Leute hier
könnten Luziferisten sein, denke ich,
denn Denver ist ihre Hauptstadt. Es ist
die eckigste Stadt der Welt, das habe ich
gerade erst gelernt, und außerdem steht
zwischen Denver und dem Flughafen der
Satansbeweis schlechthin: ein Pferd. Ein
riesiges Pferd mit rot glühenden Augen.
Ich habe das Pferd allerdings nicht
gesehen, obwohl ich lange gesucht habe,
aber der Sachverhalt wurde mir am Tag
zuvor ausführlich von Mike Hughes er-
klärt, eigentlich Fahrer von Limousinen,
aber auch selbst ernannter „King of the
Daredevils“. Hughes hatte versucht zu
beweisen, dass die Erde flach ist, indem
er sich mit einer Mischung aus Seifenkis-
te und Marschflugkörper bis zur soge-
nannten Kármán-Linie in die Luft schie-
ßen wollte. Sie ist einhundert Kilometer
von der Erdoberfläche entfernt und
trennt die Atmosphäre offiziell vom Welt-
all. Hughes sagte: „Von dort aus kann
man sehen, dass die Welt flach ist.“
Könnte man. Vielleicht. Mike Hughes hat
es auf 572 Höhenmeter geschafft. Dann
ist er abgestürzt.
„Weißt du“, hat Hughes gesagt, „wir bei-
de haben offene Augen.“
Ich nicke. „Wir wissen Dinge.“
„Es gibt halt keine Schwerkraft.“
„Objekte fallen einfach. Das ist so.“
„Das ist erst der Anfang“.
„Vor allem ist es unser Geld.“
„53 Milliarden. Jeden Tag.“
Ich sage: „Nur damit die Nasa eine Ge-
heimpolizei finanziert.“ Hughes sagt:
„Um die Wahrheit zu unterdrücken.“
„Wie die Gestapo“, sage ich.
Hughes hat keine Ahnung, was das
ist. Ich sage: „Hitler“ und Hughes raunt
wissend. Dann macht er eine kurze Pause
und sagt: „Der verdammte Globist.“
„Genau.“
Ich bin in die USA nach Denver ge-
reist, um die FE 2018 zu besuchen, die
internationale Konferenz der Flacherde-
Anhänger,derFlatEarther.Sieglauben…,
nun ja, … dass die Erde eine Scheibe ist
und die Sonne eine Art Taschenlampe,
knapp 50 Kilometer groß und nur 5000
Kilometer entfernt. Ich glaube das eben-
falls, zumindest ein Wochenende lang.
An zwei Tagen werden auf der Konfe-
renz Seminare gehalten und Workshops
Mike Hughes
hat sich eine
Rakete
gebastelt, um
von oben auf
die Erdschei­
be zu gucken.
Leider ist er
bei dem
Versuch
abgestürzt.
Immerhin hat
er überlebt
J E T Z T M A L E R N S T H A F T
Flat Earther oder Flacherdler sind
davon überzeugt, dass die Erde eine
Scheibe ist. Laut dem aktuellen
Weltbild der „Flat Earth Research Socie­
ty“ liegt der Nordpol in der Mitte der
Erde. Als Außengrenze der Erdscheibe
gilt die Antarktis. Dort steht eine 45
Meter hohe Eiswand, die von bewaff­
neten Polizisten bewacht wird (bezie­
hungsweise der Armee der Nasa).
Viele dieser Verschwörungstheoretiker
beziehen sich auf die Bibel. Schon
Aristoteles war vor 2300 Jahren davon
überzeugt, dass die Erde rund ist.
Er begründete das unter anderem mit
Beobachtungen: Der Erdschatten bei
Mondfinsternissen ist stets rund. Eine
gängige Lehrmeinung war daher auch
im Mittelalter: Die Erde ist kugelförmig.
56  JWD.
P E R A N H A LT E R D U R C H D I E G A L A X I S
angeboten zu Themen wie: „Biblical Cos-
mology“ und „Women in Flat Earth“, bei
„Flat Earth Activism“ wird gelehrt, wie
man Passanten überzeugt, und in „Tal-
king to your Familiy about Flat Earth“
geht es darum, wie man die Familie von
der Wahrheit der flachen Erde überzeugt.
Ich begründe das wie alle anderen
auch. Kann keine Krümmung sein, man
rutscht ja nicht ab, wenn man läuft. Der
Horizont ist schließlich auch nicht ge-
krümmt und die Wolken sowieso nicht.
Außerdem sieht vom Flugzeug aus alles
flach aus, und Wasser findet auch immer
eine Ebene. Im Glas, im See und natür-
lich auch im Ozean. Weil die Erde eben
eben ist. So insgesamt betrachtet.
In meiner Vorstellung und der meiner
Kollegen gibt es auch Australien nicht,
das ist eine britische Verschwörung, um
zu vertuschen, dass Großbritannien sei-
ne Gefangenen früher einfach ins Meer
geworfen hat (Bilder aus Australien wer-
den auf einer Insel aufgenommen, die ir-
gendwo vor Südamerika liegt).
„Es ist einfach eine Tatsache“, sagt
Matthew aus Wyoming zu mir. Ich stehe
da mit Steven aus Maine, und wir finden
ihn ein bisschen gut, denn Matthew ist
schon länger dabei, ein alter Hase im
Flat-Earth-Business, während Steven
erst seit einem Jahr Anhänger ist und ich
offiziell erst seit dem Sommer.
Wir stehen im Konferenzsaal eines
gesichtslosen Hotels am Flughafen,
überall ist Teppich, es ist sehr dunkel, im
Foyer plätschert ein Springbrunnen, und
die anderen Gäste lachen uns aus, weil
wir ein großes Schild um den Hals tra-
gen, dass uns als Flacherdler ausweist.
„Das ist schwer zu ertragen“, sagt
James aus Florida, der kurz stehenbleibt.
Er sagt, sein Vater glaube, er sei behin-
dert im Kopf. Seine Geschwister hätten
den Kontakt zu ihm abgebrochen. Er
sagt, er könne aber nicht über die Wahr-
heit schweigen und Steven sagt: „Das
befreit aber auch.“
„Sie haben es einfach noch nicht er-
kannt“, sage ich und klopfe James auf
die Schulter. „Es tut so gut mit euch“,
sagt James. Er sagt: „Dabei wollte ich es
am Anfang auch nicht glauben.“ Wir ni-
cken.
„Mittlerweile tut mir Hillary Clinton fast
leid.“
Ich empöre mich.
„Warum denn das?“, fragt auch Steven.
„Die ist doch auch bloß eine Marionette
der Satanisten.“
„Nie im Leben“, sage ich.
„Es ist ja ganz klar, dass sie Kinder
schlachten lässt“, sagt James, und da
laufen dann tatsächlich im Hintergrund
Kinder vorbei wie auf Kommando. Sie
tragen christliche T-Shirts und verteilen
Dollarscheine mit Brad Pitt drauf und
Eminem und John Lennon und LeBron
James. Ich frage, was das soll und das
dumme Kind sagt: „Das sind Sünder.“
Ich denke, ich sollte das Kind ohrfeigen,
aber streichele es über den Kopf und
sage: „Halleluja.“
Auf den Scheinen steht: „One Millio-
nen Dollar Question. Will you go to hea-
ven, when you die?“ Ausscheidungskri-
terium ist unter anderem: „Looking at
women with lust.“ Verdammt, denke
ich. Jetzt ist es ja auch egal. Ich sage: „Ich
spucke auf sie“, meine Hillary Clinton,
und dann spucke ich auf den Teppich,
was die anderen Flacherdler ekelhaft
finden, es mir aber durchgehen lassen,
weil ich ja Europäer bin und als solcher
sowieso etwas merkwürdig.
James sagt, dass man den geschlachte-
ten Kindern den Hypothalamus entfer-
ne und weil der das ganze Hormonzeug
steuert, sei dieser Bissen Gehirn besser
als Kokain. „Sagt man“, sagt er schnell.
Man müsse es aber frisch entnehmen
und sofort verzehren. „Aber Hillary
Clinton wird auch nur gezwungen.“
Ich spucke noch mal.
„Pah“, mache ich.
Und dann kommt Rasmus vorbei. Er
arbeitet bei irgendeinem Fernsehsender
in Schweden, und weil er mich so über-
zeugend findet, will er ein Interview mit
mir machen. Ich erzähle davon, dass
mein Vater findet, dass ich behindert im
Kopf bin und meine Geschwister den
Kontakt abgebrochen haben, aber dass
ich nicht über die Wahrheit schweigen
kann. Ich erzähle außerdem von meiner
Bekehrung mithilfe von Youtube-Videos.
Ich sage: „Es hat eine Viertelstunde ge-
dauert“, und ich glaube, dass Rasmus in
dem Moment Angst hat vor mir.
„Wie bei mir“ sagt Matthew aus dem
Hintergrund. „Und dabei habe ich Jahre
gebraucht, um 9/11 zu entschlüsseln.“
Matthew sieht aus wie das Klischee eines
Linken, er hat Dreadlocks und eine zer-
rissene Jeans, einen Ring in der Nase und
er trägt Chucks. Er breitet die Arme aus
wie Jesus am Kreuz.
Er sagt: „Wir machen ein Experiment.“
„Alle“, sagt er, und wir breiten die Arme
aus. „Spürt ihr es?“ Wir spüren nichts.
„Eben.“
Der Boden im Konferenzraum ist absolut
flach. Nicht rund. Flach. Think about it
Die Erde ist eine Scheibe, denkt dieser Typ.
Wahrscheinlich ist es unter seiner Kappe zu
heiß geworden
JWD.  57 
Er sagt, dass da doch kein Mensch glau-
ben könne, dass die Erde sich mit
100 000 Stundenkilometern durch das
All bewege. „Sonst würde man doch die
Geschwindigkeit spüren.“ Steven sagt:
„Wie beim Auto.“ Ich nicke. Rasmus
filmt. Beweis geführt.
Eigentlich war der Plan der JWD-Re-
daktion, dass ich in Denver ein inszenier-
tes Video zeige, das eine Verschwörung
aufdeckt: Ein Angestellter der chinesi-
schen Raumfahrtagentur sitzt im Ge-
fängnis, weil er die Wahrheit über die
Raumfahrt erzählen will. Alles gefälscht.
Aber das interessiert keinen, es ist zu
normal.
Außerdem wissen das ja schon alle:
Es gibt keine Raumfahrt, hat es nie gege-
ben. Die Mondlandung ist von Stanley
Kubrick inszeniert, der von der Trilatera-
len Kommission oder der US- Regierung
oder den Bilderberg-Heinis oder Luzifer,
so genau weiß man das nicht, dazu ge-
zwungen wurde. „Warum heißt der Film
wohl ‚Eyes Wide Shut‘?“, fragt ein Refe-
rent namens Jeran in seinem Vortrag
„Nasa and other space lies“. Jeran hat den
„Jeranismus“ erfunden, und das inspiriert
mich so, dass ich ihn später anspreche.
„Aber ich glaube so sehr, dass die
Erde flach ist!“ Ich bin ein bisschen hyste-
rischundfasseihnamT-Shirtan.„Jeran“,
sage ich, „wie wird man so ein großer
Forscher wie du?“ Jeran hat nämlich
herausgefunden, dass die Nazis nur so
getan haben, als ob sie den Krieg verloren
haben, weil sie auf den Mond wollten und
das von Peenemünde aus nicht so gut
geklappt hat. Er sagt, das ginge nicht, und
da solle ich lieber mal richtig zuhören,
denn auf dem Mond sei natürlich noch
nie jemand gewesen.
„Ich sag dir was“, sagt er. „Nur eine
Verschwörung hat Kubrick davon abge-
halten, ‚Eyes Wide Shut‘ am 21. Juli 1999
in die Kinos zu bringen. Dann wäre es
nämlich genau 30 Jahre nach der Mond-
landung.“
Ich muss das schnell googeln und weiß
dann, dass der Film eine Woche früher
ins Kino kam.
„Weil sie es so wollten.“ Ich nicke.
„Verstehst du? ‚Eyes Wide Shut‘.“ Er
packt mich an der Schulter.
Ich sage, dass ich verstehe und mache
zur Verabschiedung den Gruß der Be­
wegung: ein flacher Arm vor die Brust
gehalten. Daraufhin gebe ich einem ka-
nadischen Sender ein Interview.
Und dann sehe ich Dominic zum
ersten Mal. Er trägt eine Baseballmütze
und ein Hoodie und ist der „Master of
Ceremony“ und Cheforganisator der
Konferenz. Er moderiert die Workshops
an und die Vorträge und sagt, dass er mit
allen Referenten gut befreundet sei. Ich
sehe ihn an, und von der Seite quatscht
mich der dicke Michael an und sagt, dass
alle denken, das Dominic ein Querden-
ker ist, der die Wahrheit voranbringt.
Schließlich denken ja alle, dass er die
Konferenz absichtlich nach Denver ver-
legt, um dem Karma Satans in dessen
Hauptstadt etwas Positives entgegenzu-
setzen.
„Hat er nicht?“
„Dominic ist ein Agent der Regierung.“
Michael sagt, hier könne man sie
besser kontrollieren. „Sieh dich um“,
sagt er. „Wenn du einen siehst, der kein
Idiot ist, gib mir Bescheid.“ Er weiß: Die
Leute hier hat die Regierung versam-
melt, um die Flache-Erde-Bewegung in
den Augen der Bevölkerung lächerlich
zu machen. Außerdem ist er sicher, dass
alle Geld von der Regierung bekommen,
weil sie Schauspieler sind.
Er sagt: „Dominic schreibt sich ja auch
so ähnlich wie Damien – und Damien ist
Satans Sohn, das weiß jeder, der ‚Das
Omen‘ gesehen hat.“
„Fuck“, sage ich.
Michael will den Eisring erkunden.
Er hat die Non-Profit-Organisation „Ex-
ploring again“ gegründet, die unbedingt
in die Antarktis will, denn da war noch
nie jemand. Alle Berichte darüber sind
gelogen. „Weiß ich doch“, sage ich. Ich
sage außerdem: „Ich will mitfahren. Ich
Dank
Flat-Earther-
Shirts sind
Verrückte
leicht als
solche zu
identifizieren
– noch bevor
sie ihren
Mund
aufmachen
58  JWD.
P E R A N H A LT E R D U R C H D I E G A L A X I S
bin der Wahrheit verpflichtet.“ Michael
sagt, er hat leider kein Geld, man müsse
noch abwarten. Aber vielleicht sei das ja
auch ganz gut, denn durch diesen Spion
– er zeigt auf Dominic – würden nur
Wahrheitssucher in den Eisring gelockt
und dann von einer bewaffneten Nasa-
Armee erschossen.
Ich sage, dass ich glaube, dass man nach
dem Eisring in die Leere fällt. Einfach
fällt, dann ist die Scheibe ja zu Ende.
Michael glaubt das nicht. Er ist davon
überzeugt, dass hinter dem Ring neues
Land liegt. Er sagt: „Ein neues Ameri-
ka.“ Das aber von den Elitären geheim
gehalten werde. (Dann gibt es noch die
These, dass es mithilfe von irgendwel-
chen elektromagnetischen Schwingun-
gen so ähnlich funktioniert wie bei Pac-
Man: Man läuft bis zum Ende und
kommt dann an der anderen Seite wie-
der raus, ohne dass man es merkt).
„Unsinn“ sage ich.
„Es ist gibt neues Land“, sagt Michael.
„Nein.“ – „Doch.“ – „Warum willst du
uns alle verwirren?“ Ich werde etwas är-
gerlich. Michael fängt dann auch an, die
Kuppel über der Erde in Zweifel zu zie-
hen, in der die Sonne und der Mond
hängen und die Sterne befestigt sind.
„Das hat schließlich noch nie jemand
gesehen.“ – „Spalter wie dich können wir
nicht brauchen.“ – „Es gibt neues Land.“
„Jesus“, sage ich, „man fällt runter.“
„Tut man nicht.“
Und dann sage ich, er sei eh zu fett,
um zum Eisring zu fahren, und gehe weg.
Ich komme knapp 20 Meter weit, bis
mir Russel aus Kalifornien eine Radio-
show anbietet. „The European voice“, soll
die heißen, denn das gibt noch mal völlig
neue Einblicke. „Die flache Erde aus der
Sicht eines Kommunisten“, sagt Andrea,
die mitgehört hat. Wir stehen nämlich
sehr nahe an ihrem Stand. Sie ist Ausstel-
lerin und verkauft Flat-Earth-Merchan­
dise und Bibel-Beweise. Hinter ihr hän-
gen T-Shirts auf denen „Dome sweet
dome“ steht und sie findet, dass Gott
die Beweise für seine Existenz in der
Erschaffung des Nichtglaubens versteckt
hat, um die Gläubigen zu stärken. „In
Kommunisten.“
Ich sage: „Ich bin kein Kommunist.
Ich spucke auf Kommunisten!“, aber das
Spucken hat sich herumgesprochen, und
Russel und Andrea bitten mich, davon
abzusehen.
Russel sieht mich ein bisschen ver-
liebt an und sagt ganz ernsthaft: „I feel I
am looking into the eyes of my destiny or
maybe my calling.“ Er fühlt sich bei mir
zu Hause, sagt er, und das findet Andrea
schwierig, denn Homosexualität ist die
Steigerung von Mord, was die Verwerf-
lichkeit angeht.
„Das würde dem Builder nicht gefallen“,
sagt sie.
„Wem?“
„Dem Builder. Der, der alles erschaffen
hat.“ Wenn man ein Haus hat, sagt sie,
dann hat es ja auch jemand gebaut.
„Aber schwule Kommunisten …“
Ich sage: „Verdammte Scheiße, ich bin
kein Kommunist!“
„Alle Europäer sind Kommunisten.“
Das könne man schon an der kostenlo-
sen Gesundheitsvorsorge erkennen.
Ich sage, ich zahle 700 Dollar Kranken-
versicherungsgebühr im Monat.
„Oh“, macht sie. „Aber wer sind denn
dann Kommunisten? Die Briten?“
Bestimmt nicht.
„Spanier?“
Keine Ahnung. Mehr Europäer kennt sie
nicht. Ein bisschen verzweifelt sagt sie:
„Irgendeiner muss es doch sein.“
„Es sind die Belgier“, sage ich. Was Bes-
seres fällt mir nicht ein. Die Belgier,
sage ich, haben außerdem die Statue
eines pinkelnden nackten Jungen mitten
in ihrer Hauptstadt stehen.
„Da sieht man’s“, sage ich.
Das ist so ein Skandal, das kann
Andrea nicht glauben. Sie atmet laut aus.
Russel bietet mir eine Radiosendung
über Belgier an.
Und als ich zwei Tage später Dominic
am Flughafen treffe, warte ich in der Si-
cherheitsschlange. So wie alle anderen
auch. Dominic aber läuft einfach grin-
send an uns vorbei. Die Sicherheitsfrau
grüßt ihn namentlich. Ich sehe ihm hin-
terher, aber irgendwann biegt er um eine
Ecke und verschwindet aus meinem
Blickfeld. Ich denke: „Vielleicht geht er in
den Bunker.“
„Scheiße“, denke ich.
Was, wenn das geheime Netzwerk
nicht aus Globalisten, Elitären und Luzi-
feristen besteht und auch nicht aus der
Trilateralen Kommission, der EU und der
Nato, der UN und Obama und Merkel?
Ich denke: „Die Flacherdler sind die Ver-
schwörer.“ Es kommt mir so logisch vor.
Und dann muss ich durch die Sicherheits-
schleuse.
Auf dem Rückflug starre ich ange-
strengt aus dem Fenster.
Ich kann beim besten Willen keine
Erdkrümmung sehen.
Autor Philipp (links) und ein
anderer Verrückter proben den
Flacherdler-Gruß
V E R S C H W Ö R U N G
Tagelang hatten wir in der Redaktion
einen Masterplan ausgeheckt, um
die Flat Earther zu vereimern. Die
Geschichte, die wir ausgedacht
hatten, klang – für uns – überzeu­
gend: Der Forscher Xi Cheng des
chinesischen Raumfahrtprogramms
will aussteigen, endlich die Wahrheit
über das All erzählen. Wir hofften,
die Flat Earther würden annehmen,
dass Xi Chen über die flache Erde
auspackt. Als Whistleblower wurde
er allerdings verhaftet. Seine Tochter
würde nun dafür kämpfen, dass er
freikommt. Wir bastelten hässliche
Flyer und suchten ein Bild eines
chinesischen Vaters mit einer Tochter
auf dem Arm. Wir programmierten
fünf Webseiten, damit die Flat
Earther eine Petition unterschreiben
könnten. Wir produzierten ein Video,
in dem eine Frau irgendetwas auf
Mandarin erzählt, und untertitelten
es auf Englisch. „Help my dad“, so
was halt. Hat alles nichts gebracht.
Unser Autor sagt, unsere Geschichte
war zu normal und hätte die
Flacherdler nicht beeindruckt.
DAS GING SCHIEF
JWD.  59 

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  • 1. text  PHILIPP KOHLHÖFER illustration  YANNIK DE LA PÊCHE mitarbeit  DANIEL SIPPEL Hunderte Anhänger der Flache- FLACH- SCHADEN Erde-Bewegung treffen sich einmal im Jahr, um der Wahrheit ins Auge zu sehen: Die Belgier sind Kommunisten 54  JWD.
  • 2. So oder so ähnlich stellen sich Flat Earther die Welt vor: eine Scheibe, darum ein streng bewachter Eisring. Kein Spaß! JWD.  55  P E R A N H A LT E R D U R C H D I E G A L A X I S
  • 3. U nd als Dominic kommt, beginne ich echt zu zweifeln. Was, wenn es doch ein gehei- mes Netzwerk gibt, dessen Mitglieder seit Jahrtausenden mehr wissen als wir? Wenn es eine Verschwörung gibt, min- destens seit Jesus? Ich bin am Flughafen in Denver, und alles ist so eckig. Ecken sind das Symbol Satans. Je eckiger, desto satanistischer. Irgendwo hier im Terminal, direkt unter meinen Füßen, ist ein gigantischer Bun- ker, der als geheime Tagungsstätte dient. Von dort aus werden hinterlistig Lügen in die Welt getragen, wie eben jene Legen- de, dass die Erde rund ist. Und die Mär des Kopernikus, dass die Erde um die Sonne kreist. Ich sehe mich um und ver- suche jemanden zu entdecken, der eine Treppe hinabsteigt, aber vermutlich wäre das zu profan. Aber alle diese Leute hier könnten Luziferisten sein, denke ich, denn Denver ist ihre Hauptstadt. Es ist die eckigste Stadt der Welt, das habe ich gerade erst gelernt, und außerdem steht zwischen Denver und dem Flughafen der Satansbeweis schlechthin: ein Pferd. Ein riesiges Pferd mit rot glühenden Augen. Ich habe das Pferd allerdings nicht gesehen, obwohl ich lange gesucht habe, aber der Sachverhalt wurde mir am Tag zuvor ausführlich von Mike Hughes er- klärt, eigentlich Fahrer von Limousinen, aber auch selbst ernannter „King of the Daredevils“. Hughes hatte versucht zu beweisen, dass die Erde flach ist, indem er sich mit einer Mischung aus Seifenkis- te und Marschflugkörper bis zur soge- nannten Kármán-Linie in die Luft schie- ßen wollte. Sie ist einhundert Kilometer von der Erdoberfläche entfernt und trennt die Atmosphäre offiziell vom Welt- all. Hughes sagte: „Von dort aus kann man sehen, dass die Welt flach ist.“ Könnte man. Vielleicht. Mike Hughes hat es auf 572 Höhenmeter geschafft. Dann ist er abgestürzt. „Weißt du“, hat Hughes gesagt, „wir bei- de haben offene Augen.“ Ich nicke. „Wir wissen Dinge.“ „Es gibt halt keine Schwerkraft.“ „Objekte fallen einfach. Das ist so.“ „Das ist erst der Anfang“. „Vor allem ist es unser Geld.“ „53 Milliarden. Jeden Tag.“ Ich sage: „Nur damit die Nasa eine Ge- heimpolizei finanziert.“ Hughes sagt: „Um die Wahrheit zu unterdrücken.“ „Wie die Gestapo“, sage ich. Hughes hat keine Ahnung, was das ist. Ich sage: „Hitler“ und Hughes raunt wissend. Dann macht er eine kurze Pause und sagt: „Der verdammte Globist.“ „Genau.“ Ich bin in die USA nach Denver ge- reist, um die FE 2018 zu besuchen, die internationale Konferenz der Flacherde- Anhänger,derFlatEarther.Sieglauben…, nun ja, … dass die Erde eine Scheibe ist und die Sonne eine Art Taschenlampe, knapp 50 Kilometer groß und nur 5000 Kilometer entfernt. Ich glaube das eben- falls, zumindest ein Wochenende lang. An zwei Tagen werden auf der Konfe- renz Seminare gehalten und Workshops Mike Hughes hat sich eine Rakete gebastelt, um von oben auf die Erdschei­ be zu gucken. Leider ist er bei dem Versuch abgestürzt. Immerhin hat er überlebt J E T Z T M A L E R N S T H A F T Flat Earther oder Flacherdler sind davon überzeugt, dass die Erde eine Scheibe ist. Laut dem aktuellen Weltbild der „Flat Earth Research Socie­ ty“ liegt der Nordpol in der Mitte der Erde. Als Außengrenze der Erdscheibe gilt die Antarktis. Dort steht eine 45 Meter hohe Eiswand, die von bewaff­ neten Polizisten bewacht wird (bezie­ hungsweise der Armee der Nasa). Viele dieser Verschwörungstheoretiker beziehen sich auf die Bibel. Schon Aristoteles war vor 2300 Jahren davon überzeugt, dass die Erde rund ist. Er begründete das unter anderem mit Beobachtungen: Der Erdschatten bei Mondfinsternissen ist stets rund. Eine gängige Lehrmeinung war daher auch im Mittelalter: Die Erde ist kugelförmig. 56  JWD. P E R A N H A LT E R D U R C H D I E G A L A X I S
  • 4. angeboten zu Themen wie: „Biblical Cos- mology“ und „Women in Flat Earth“, bei „Flat Earth Activism“ wird gelehrt, wie man Passanten überzeugt, und in „Tal- king to your Familiy about Flat Earth“ geht es darum, wie man die Familie von der Wahrheit der flachen Erde überzeugt. Ich begründe das wie alle anderen auch. Kann keine Krümmung sein, man rutscht ja nicht ab, wenn man läuft. Der Horizont ist schließlich auch nicht ge- krümmt und die Wolken sowieso nicht. Außerdem sieht vom Flugzeug aus alles flach aus, und Wasser findet auch immer eine Ebene. Im Glas, im See und natür- lich auch im Ozean. Weil die Erde eben eben ist. So insgesamt betrachtet. In meiner Vorstellung und der meiner Kollegen gibt es auch Australien nicht, das ist eine britische Verschwörung, um zu vertuschen, dass Großbritannien sei- ne Gefangenen früher einfach ins Meer geworfen hat (Bilder aus Australien wer- den auf einer Insel aufgenommen, die ir- gendwo vor Südamerika liegt). „Es ist einfach eine Tatsache“, sagt Matthew aus Wyoming zu mir. Ich stehe da mit Steven aus Maine, und wir finden ihn ein bisschen gut, denn Matthew ist schon länger dabei, ein alter Hase im Flat-Earth-Business, während Steven erst seit einem Jahr Anhänger ist und ich offiziell erst seit dem Sommer. Wir stehen im Konferenzsaal eines gesichtslosen Hotels am Flughafen, überall ist Teppich, es ist sehr dunkel, im Foyer plätschert ein Springbrunnen, und die anderen Gäste lachen uns aus, weil wir ein großes Schild um den Hals tra- gen, dass uns als Flacherdler ausweist. „Das ist schwer zu ertragen“, sagt James aus Florida, der kurz stehenbleibt. Er sagt, sein Vater glaube, er sei behin- dert im Kopf. Seine Geschwister hätten den Kontakt zu ihm abgebrochen. Er sagt, er könne aber nicht über die Wahr- heit schweigen und Steven sagt: „Das befreit aber auch.“ „Sie haben es einfach noch nicht er- kannt“, sage ich und klopfe James auf die Schulter. „Es tut so gut mit euch“, sagt James. Er sagt: „Dabei wollte ich es am Anfang auch nicht glauben.“ Wir ni- cken. „Mittlerweile tut mir Hillary Clinton fast leid.“ Ich empöre mich. „Warum denn das?“, fragt auch Steven. „Die ist doch auch bloß eine Marionette der Satanisten.“ „Nie im Leben“, sage ich. „Es ist ja ganz klar, dass sie Kinder schlachten lässt“, sagt James, und da laufen dann tatsächlich im Hintergrund Kinder vorbei wie auf Kommando. Sie tragen christliche T-Shirts und verteilen Dollarscheine mit Brad Pitt drauf und Eminem und John Lennon und LeBron James. Ich frage, was das soll und das dumme Kind sagt: „Das sind Sünder.“ Ich denke, ich sollte das Kind ohrfeigen, aber streichele es über den Kopf und sage: „Halleluja.“ Auf den Scheinen steht: „One Millio- nen Dollar Question. Will you go to hea- ven, when you die?“ Ausscheidungskri- terium ist unter anderem: „Looking at women with lust.“ Verdammt, denke ich. Jetzt ist es ja auch egal. Ich sage: „Ich spucke auf sie“, meine Hillary Clinton, und dann spucke ich auf den Teppich, was die anderen Flacherdler ekelhaft finden, es mir aber durchgehen lassen, weil ich ja Europäer bin und als solcher sowieso etwas merkwürdig. James sagt, dass man den geschlachte- ten Kindern den Hypothalamus entfer- ne und weil der das ganze Hormonzeug steuert, sei dieser Bissen Gehirn besser als Kokain. „Sagt man“, sagt er schnell. Man müsse es aber frisch entnehmen und sofort verzehren. „Aber Hillary Clinton wird auch nur gezwungen.“ Ich spucke noch mal. „Pah“, mache ich. Und dann kommt Rasmus vorbei. Er arbeitet bei irgendeinem Fernsehsender in Schweden, und weil er mich so über- zeugend findet, will er ein Interview mit mir machen. Ich erzähle davon, dass mein Vater findet, dass ich behindert im Kopf bin und meine Geschwister den Kontakt abgebrochen haben, aber dass ich nicht über die Wahrheit schweigen kann. Ich erzähle außerdem von meiner Bekehrung mithilfe von Youtube-Videos. Ich sage: „Es hat eine Viertelstunde ge- dauert“, und ich glaube, dass Rasmus in dem Moment Angst hat vor mir. „Wie bei mir“ sagt Matthew aus dem Hintergrund. „Und dabei habe ich Jahre gebraucht, um 9/11 zu entschlüsseln.“ Matthew sieht aus wie das Klischee eines Linken, er hat Dreadlocks und eine zer- rissene Jeans, einen Ring in der Nase und er trägt Chucks. Er breitet die Arme aus wie Jesus am Kreuz. Er sagt: „Wir machen ein Experiment.“ „Alle“, sagt er, und wir breiten die Arme aus. „Spürt ihr es?“ Wir spüren nichts. „Eben.“ Der Boden im Konferenzraum ist absolut flach. Nicht rund. Flach. Think about it Die Erde ist eine Scheibe, denkt dieser Typ. Wahrscheinlich ist es unter seiner Kappe zu heiß geworden JWD.  57 
  • 5. Er sagt, dass da doch kein Mensch glau- ben könne, dass die Erde sich mit 100 000 Stundenkilometern durch das All bewege. „Sonst würde man doch die Geschwindigkeit spüren.“ Steven sagt: „Wie beim Auto.“ Ich nicke. Rasmus filmt. Beweis geführt. Eigentlich war der Plan der JWD-Re- daktion, dass ich in Denver ein inszenier- tes Video zeige, das eine Verschwörung aufdeckt: Ein Angestellter der chinesi- schen Raumfahrtagentur sitzt im Ge- fängnis, weil er die Wahrheit über die Raumfahrt erzählen will. Alles gefälscht. Aber das interessiert keinen, es ist zu normal. Außerdem wissen das ja schon alle: Es gibt keine Raumfahrt, hat es nie gege- ben. Die Mondlandung ist von Stanley Kubrick inszeniert, der von der Trilatera- len Kommission oder der US- Regierung oder den Bilderberg-Heinis oder Luzifer, so genau weiß man das nicht, dazu ge- zwungen wurde. „Warum heißt der Film wohl ‚Eyes Wide Shut‘?“, fragt ein Refe- rent namens Jeran in seinem Vortrag „Nasa and other space lies“. Jeran hat den „Jeranismus“ erfunden, und das inspiriert mich so, dass ich ihn später anspreche. „Aber ich glaube so sehr, dass die Erde flach ist!“ Ich bin ein bisschen hyste- rischundfasseihnamT-Shirtan.„Jeran“, sage ich, „wie wird man so ein großer Forscher wie du?“ Jeran hat nämlich herausgefunden, dass die Nazis nur so getan haben, als ob sie den Krieg verloren haben, weil sie auf den Mond wollten und das von Peenemünde aus nicht so gut geklappt hat. Er sagt, das ginge nicht, und da solle ich lieber mal richtig zuhören, denn auf dem Mond sei natürlich noch nie jemand gewesen. „Ich sag dir was“, sagt er. „Nur eine Verschwörung hat Kubrick davon abge- halten, ‚Eyes Wide Shut‘ am 21. Juli 1999 in die Kinos zu bringen. Dann wäre es nämlich genau 30 Jahre nach der Mond- landung.“ Ich muss das schnell googeln und weiß dann, dass der Film eine Woche früher ins Kino kam. „Weil sie es so wollten.“ Ich nicke. „Verstehst du? ‚Eyes Wide Shut‘.“ Er packt mich an der Schulter. Ich sage, dass ich verstehe und mache zur Verabschiedung den Gruß der Be­ wegung: ein flacher Arm vor die Brust gehalten. Daraufhin gebe ich einem ka- nadischen Sender ein Interview. Und dann sehe ich Dominic zum ersten Mal. Er trägt eine Baseballmütze und ein Hoodie und ist der „Master of Ceremony“ und Cheforganisator der Konferenz. Er moderiert die Workshops an und die Vorträge und sagt, dass er mit allen Referenten gut befreundet sei. Ich sehe ihn an, und von der Seite quatscht mich der dicke Michael an und sagt, dass alle denken, das Dominic ein Querden- ker ist, der die Wahrheit voranbringt. Schließlich denken ja alle, dass er die Konferenz absichtlich nach Denver ver- legt, um dem Karma Satans in dessen Hauptstadt etwas Positives entgegenzu- setzen. „Hat er nicht?“ „Dominic ist ein Agent der Regierung.“ Michael sagt, hier könne man sie besser kontrollieren. „Sieh dich um“, sagt er. „Wenn du einen siehst, der kein Idiot ist, gib mir Bescheid.“ Er weiß: Die Leute hier hat die Regierung versam- melt, um die Flache-Erde-Bewegung in den Augen der Bevölkerung lächerlich zu machen. Außerdem ist er sicher, dass alle Geld von der Regierung bekommen, weil sie Schauspieler sind. Er sagt: „Dominic schreibt sich ja auch so ähnlich wie Damien – und Damien ist Satans Sohn, das weiß jeder, der ‚Das Omen‘ gesehen hat.“ „Fuck“, sage ich. Michael will den Eisring erkunden. Er hat die Non-Profit-Organisation „Ex- ploring again“ gegründet, die unbedingt in die Antarktis will, denn da war noch nie jemand. Alle Berichte darüber sind gelogen. „Weiß ich doch“, sage ich. Ich sage außerdem: „Ich will mitfahren. Ich Dank Flat-Earther- Shirts sind Verrückte leicht als solche zu identifizieren – noch bevor sie ihren Mund aufmachen 58  JWD. P E R A N H A LT E R D U R C H D I E G A L A X I S
  • 6. bin der Wahrheit verpflichtet.“ Michael sagt, er hat leider kein Geld, man müsse noch abwarten. Aber vielleicht sei das ja auch ganz gut, denn durch diesen Spion – er zeigt auf Dominic – würden nur Wahrheitssucher in den Eisring gelockt und dann von einer bewaffneten Nasa- Armee erschossen. Ich sage, dass ich glaube, dass man nach dem Eisring in die Leere fällt. Einfach fällt, dann ist die Scheibe ja zu Ende. Michael glaubt das nicht. Er ist davon überzeugt, dass hinter dem Ring neues Land liegt. Er sagt: „Ein neues Ameri- ka.“ Das aber von den Elitären geheim gehalten werde. (Dann gibt es noch die These, dass es mithilfe von irgendwel- chen elektromagnetischen Schwingun- gen so ähnlich funktioniert wie bei Pac- Man: Man läuft bis zum Ende und kommt dann an der anderen Seite wie- der raus, ohne dass man es merkt). „Unsinn“ sage ich. „Es ist gibt neues Land“, sagt Michael. „Nein.“ – „Doch.“ – „Warum willst du uns alle verwirren?“ Ich werde etwas är- gerlich. Michael fängt dann auch an, die Kuppel über der Erde in Zweifel zu zie- hen, in der die Sonne und der Mond hängen und die Sterne befestigt sind. „Das hat schließlich noch nie jemand gesehen.“ – „Spalter wie dich können wir nicht brauchen.“ – „Es gibt neues Land.“ „Jesus“, sage ich, „man fällt runter.“ „Tut man nicht.“ Und dann sage ich, er sei eh zu fett, um zum Eisring zu fahren, und gehe weg. Ich komme knapp 20 Meter weit, bis mir Russel aus Kalifornien eine Radio- show anbietet. „The European voice“, soll die heißen, denn das gibt noch mal völlig neue Einblicke. „Die flache Erde aus der Sicht eines Kommunisten“, sagt Andrea, die mitgehört hat. Wir stehen nämlich sehr nahe an ihrem Stand. Sie ist Ausstel- lerin und verkauft Flat-Earth-Merchan­ dise und Bibel-Beweise. Hinter ihr hän- gen T-Shirts auf denen „Dome sweet dome“ steht und sie findet, dass Gott die Beweise für seine Existenz in der Erschaffung des Nichtglaubens versteckt hat, um die Gläubigen zu stärken. „In Kommunisten.“ Ich sage: „Ich bin kein Kommunist. Ich spucke auf Kommunisten!“, aber das Spucken hat sich herumgesprochen, und Russel und Andrea bitten mich, davon abzusehen. Russel sieht mich ein bisschen ver- liebt an und sagt ganz ernsthaft: „I feel I am looking into the eyes of my destiny or maybe my calling.“ Er fühlt sich bei mir zu Hause, sagt er, und das findet Andrea schwierig, denn Homosexualität ist die Steigerung von Mord, was die Verwerf- lichkeit angeht. „Das würde dem Builder nicht gefallen“, sagt sie. „Wem?“ „Dem Builder. Der, der alles erschaffen hat.“ Wenn man ein Haus hat, sagt sie, dann hat es ja auch jemand gebaut. „Aber schwule Kommunisten …“ Ich sage: „Verdammte Scheiße, ich bin kein Kommunist!“ „Alle Europäer sind Kommunisten.“ Das könne man schon an der kostenlo- sen Gesundheitsvorsorge erkennen. Ich sage, ich zahle 700 Dollar Kranken- versicherungsgebühr im Monat. „Oh“, macht sie. „Aber wer sind denn dann Kommunisten? Die Briten?“ Bestimmt nicht. „Spanier?“ Keine Ahnung. Mehr Europäer kennt sie nicht. Ein bisschen verzweifelt sagt sie: „Irgendeiner muss es doch sein.“ „Es sind die Belgier“, sage ich. Was Bes- seres fällt mir nicht ein. Die Belgier, sage ich, haben außerdem die Statue eines pinkelnden nackten Jungen mitten in ihrer Hauptstadt stehen. „Da sieht man’s“, sage ich. Das ist so ein Skandal, das kann Andrea nicht glauben. Sie atmet laut aus. Russel bietet mir eine Radiosendung über Belgier an. Und als ich zwei Tage später Dominic am Flughafen treffe, warte ich in der Si- cherheitsschlange. So wie alle anderen auch. Dominic aber läuft einfach grin- send an uns vorbei. Die Sicherheitsfrau grüßt ihn namentlich. Ich sehe ihm hin- terher, aber irgendwann biegt er um eine Ecke und verschwindet aus meinem Blickfeld. Ich denke: „Vielleicht geht er in den Bunker.“ „Scheiße“, denke ich. Was, wenn das geheime Netzwerk nicht aus Globalisten, Elitären und Luzi- feristen besteht und auch nicht aus der Trilateralen Kommission, der EU und der Nato, der UN und Obama und Merkel? Ich denke: „Die Flacherdler sind die Ver- schwörer.“ Es kommt mir so logisch vor. Und dann muss ich durch die Sicherheits- schleuse. Auf dem Rückflug starre ich ange- strengt aus dem Fenster. Ich kann beim besten Willen keine Erdkrümmung sehen. Autor Philipp (links) und ein anderer Verrückter proben den Flacherdler-Gruß V E R S C H W Ö R U N G Tagelang hatten wir in der Redaktion einen Masterplan ausgeheckt, um die Flat Earther zu vereimern. Die Geschichte, die wir ausgedacht hatten, klang – für uns – überzeu­ gend: Der Forscher Xi Cheng des chinesischen Raumfahrtprogramms will aussteigen, endlich die Wahrheit über das All erzählen. Wir hofften, die Flat Earther würden annehmen, dass Xi Chen über die flache Erde auspackt. Als Whistleblower wurde er allerdings verhaftet. Seine Tochter würde nun dafür kämpfen, dass er freikommt. Wir bastelten hässliche Flyer und suchten ein Bild eines chinesischen Vaters mit einer Tochter auf dem Arm. Wir programmierten fünf Webseiten, damit die Flat Earther eine Petition unterschreiben könnten. Wir produzierten ein Video, in dem eine Frau irgendetwas auf Mandarin erzählt, und untertitelten es auf Englisch. „Help my dad“, so was halt. Hat alles nichts gebracht. Unser Autor sagt, unsere Geschichte war zu normal und hätte die Flacherdler nicht beeindruckt. DAS GING SCHIEF JWD.  59