Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik. Dreh- und Angelpunkt für bezahlbares Wohnen.
1. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 1
Stephan Reiß-Schmidt
Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik:
Dreh- und Angelpunkt für bezahlbares Wohnen
1. Die Lage
2. Bodenwende
3. Kommunale Strategien
2. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 2
Quellen: Bundesbank, Bundesstiftung Baukultur/DIE ZEIT, Hans-Böckler-Stiftung, LH München
In Großstädten zahlen heute
über 40 % der Haushalte mehr
als 30% ihres Nettoeinkommens
für die Kaltmiete.
2017 wurden in Deutschland 59,4
Milliarden Euro in Immobilien
investiert - 58% mehr als 2011.
„Eigentum verpflichtet.
Sein Gebrauch soll zugleich dem
Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Grundgesetz Art.14 Abs.2
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Seit der Weltfinanzkrise: Immer mehr Anlagekapital in Boden und
Immobilien
Die meisten Großstädte wachsen - es werden zu wenig bezahlbare
Mietwohnungen gebaut
Boden- und Mietpreisexplosion in Großstadtregionen
Wohnen macht dort vor allem die Armen ärmer
1. Die Lage
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Boden als Kapitalanlage + Spekulation = Bodenpreisexplosion
Quelle: Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Bereich der Landeshauptstadt München,
Der Immobilienmarkt in München, Quartalsbericht 4/2018, S. 4
Preise für baureifes Land nach Gemeindegröße -
Verbraucherpreisindex 2009 – 2019
Transaktionsvolumen am
Investmentmarkt/Gewerbe- und Wohnimmobilien in
Jan. ‘20 – Jan. ‘21: ca. 76,8 Mrd. €
Quelle: Savills https://www.savills.de/research_articles/260049/288980-
0https://www.savills.de/research_articles/260049/288980-0
Quelle:: Difu 2020 – eigene Darstellung nach Stat. Bundesamt
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Großstädte wachsen wieder - Wohnungsbau stagniert
Bevölkerungsentwicklung 2014-2019 Baugenehmigungen, Bauüberhang
Fertigstellungen
2002-2020, in 1.000 WE
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Bodenpreisexplosion + Zuwanderung + Wohnungsbaudefizit =
Wohnen macht arm
Erstvermietungsmieten in den 7 größten Städten
2011-2019 in € je m² (Angebotsmieten)
Erst- und Wiedervermietungsmieten 2020
in € je m² (Angebotsmieten)
M
S
8. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 8
Bezahlbare Wohnungen sind Mangelware
Wien: soziale Wohnungsversorgung
220.000 Gemeindewohnungen + 180.000
WE gemeinnütziger Wohnbauträger = 45%
Bestand und Neubau geförderter Mietwohnungen
2007-2019 [20]
1.000.000
30.000
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Quelle: Junker (2018): Wohnverhältnisse in Deutschland. In: ver.di Vereinte
Dienstleistungsgewerkschaft (2019): Gutes Wohnen für alle. Für eine soziale Wohnungspolitik.
Schere zwischen Mieten und Einkommen –
Untere Einkommensgruppen tragen die stärkste Last
„In deutschen Großstädten fehlen
1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen. …
Besonders angespannt ist die Lage für
armutsgefährdete Haushalte in München, in
der Region Rhein-Main sowie Köln-Bonn.
Aber auch in Städten mit vielen
Niedrigverdienern wie Berlin, Leipzig oder
Dresden ist bezahlbarer Wohnraum knapp.“
Quelle: Wohnungsmarkt: Unbezahlbare Mieten. Böckler-Impuls 07/2018, S. 7. Vgl. Henrik
Lebuhn, Andrej Holm, Stephan Junker und Kevin Neitzel: Wie viele und welche Wohnungen
fehlen in deutschen Großstädten?
Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 63, April 2018.
10. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 10
Leistungslose Bodenwertgewinne der Allgemeinheit zuführen
Bodenpreise einfrieren, Share Deals ausbremsen, mehr Transparenz
Mietenstopp
Boden-/planungsrechtliche Steuerungsinstrumente der Kommunen
verbessern (z.B. preislimitiertes Vorkaufsrecht, Gemeinwohlbindungen bei
§ 34, Baugebot, Innentwicklungsmaßnahmengebiet, Umwandlungsverbot)
Aktive kommunale Bodenvorratspolitik fördern (z.B. Altschuldenhilfe,
Fördermittel, kostenfreie Weitergabe von Bundes-/Landesgrundstücken an Kommunen)
2. Bodenwende
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Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.1.1967
„[…] Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist,
verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben
des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und
Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit
stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern.“
Wie ist die verfassungsrechtliche Auftragslage?
Verfassung des Freistaates Bayern Art. 161 Abs. 2
„Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand
des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“
Grundgesetz Art. 14 Abs. 2
„Eigentum verpflichtet.
Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
1946
1949
1967
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Neue Leipzig-Charta 2020:
Die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl
Quelle: Neue Leipzig Charta – Die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl
https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/12/neue-leipzig-charta.html
Drei Dimensionen der europäischen Städte
Die
produktive
Stadt
Prinzipien guter Stadtentwicklungspolitik
Kommunale Handlungsfähigkeit stärken
Gemeinwohlorientierte
Stadtentwicklungspolitik
Integrierter Ansatz
Beteiligung und Koproduktion
Mehrebenen-Ansatz
Ortsbezogener Ansatz
…
D 1.1
Eine aktive und strategische Bodenpolitik
sowie Flächennutzungsplanung
…
14. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 14
Boden aus dem Markt nehmen -
kommunale Bodenvorratspolitik
Städtebauliche Sanierungs- und
Entwicklungsmaßnahmen
Festsetzung „nur geförderte
Wohnungen“ + limit. Bodenpreise
Bodenmarkt regulieren - „Städt.
Grundstücksverkehrsgesetz“
Teil-Abschöpfung Planungsmehr-
wert mit städtebaulichem Vertrag
(Cash oder Bodenanteil)
Abschöpfung Planungs- und
Spekulationsgewinne (Planungs-
wertausgleich, Bodenwertsteuer)
Vergesellschaftung von
Grund und Boden (Art. 15 GG)
Bodenpreisdeckel
… geht heute schon … … braucht neue Gesetze …
Wie kann man Bodenpreise in den Griff bekommen?
Preislimitiertes Vorkaufsrecht
Bodenwertsteuer
15. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 15
Mietenstopp! – auch in Bayern…
Verfassung des Freistaats Bayern, Art 106:
„Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung.
Die Förderung des Baues billiger Volkswohnungen ist Aufgabe des Staates und der
Gemeinden. Die Wohnung ist für jedermann eine Freistätte und unverletzlich.”
Quelle: DMB LV Bayern
16. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 16
Bezahlbares Wohnen, lebenswerte Städte:
Bodenpolitik ist der Dreh- und Angelpunkt!
www.initiative-bodenrecht.de
17. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 17
Den Reformstau im Boden- und Planungsrecht endlich auflösen!
7 Forderungen des „Münchner Ratschlags zur Bodenpolitik“ (2018)
1. Planungswertausgleich : leistungslose, planungsbedingte Bodenwertsteigerungen der
Allgemeinheit nutzbar machen
2. Gemeinwohlbindungen auch im „unbeplanten Innenbereich“ § 34 BauGB: Themat. B-Plan für
Anteil geförd. Wohnungsbau, Infrastrukturfinanzierung
3. Generelles, preislimitiertes kommunales Vorkaufsrecht - auch für Bodenvorratspolitik
4. Flächendeckender Genehmigungsvorbehalt für die Umwandlung von
Miet- in Eigentumswohnungen in Wohnraum-Mangelgebieten
5. Immobilien von Bund und Land an Kommunen für Daseinsvorsorge übertragen: grundsätzlich
keine Privatisierung staatlicher oder kommunaler Immobilien gegen Höchstgebot
6. Konzeptausschreibung und Erbbaurecht bei Vergabe kommunaler Grundstücke
7. Revolvierende Boden- und Infrastrukturfonds als Sondervermögen auf Landes- bzw.
regionaler/kommunaler Ebene.
18. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 18
Revolvierende Bodenfonds – auch interkommunal (regionaler Vorteils- und
Lastenausgleich)
„Boden behalten“: Konzeptausschreibungen, Erbbaurecht statt Verkauf
Planungsrechtliche Instrumente ausschöpfen (z.B. Mileuschutzsatzung – auch für
lokales Gewerbe, Umwandlungsgenehmigung, Vorkaufsrecht, Baugebot, SEM)
Kooperation mit gemeinwohlorientierten Akteuren
Kooperative Baulandmodelle – städtebauliche Verträge (möglichst mit
liegenschaftlicher Komponente – Modell Stadt Münster)
Kommunale Wohnungsprogramme – Bestand und Neubau
3. Kommunale Strategien
19. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 19
Bezahlbare, dauerhaft gebundene
Wohnungen neu bauen!
Förderung mit langfristiger Bindung
Eigene Investitionen-Gemeindewohnungsbau
Grundstücksvergabe an Genossenschaften,
Baugemeinschaften
Bindungen für private Eigentümer!
Obligatorische städtebauliche Verträge bei
Baurechtschaffung (Förderquote,
Finanzierungsbeitrag für soziale Infrastruktur,
öff. Grünflächen etc.; Landabgabe)
Abwendungsverträge (Vorkaufsrecht)
Baugebot/Bauverpflichtung
Bezahlbare Wohnungen sichern!
Mietpreisbremse
Erhaltungssatzungen
Vorkaufsrecht
Umwandlungsverbot
Zweckentfremdungsverbot
Aktive Bodenvorratspolitik!
Freihändiger Erwerb
Vorkaufsrecht
Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme
Kommunale/regionale Bodenfonds
Übernahme Grundstücke von Bund/ Land
Konzeptvergabe, Erbbaurecht vor Verkauf
Was können Kommunen für bezahlbare Wohnungen tun?
Integrierte Stadtentwicklungsplanung
20. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 20
Wie kommen Kommunen an Boden?
Vertragliche und hoheitliche Handlungsformen
1. BODENVORRATSPOLITIK früherer Generationen (z.B. Ulm, HH)
2. Freihändiger ERWERB
3. Übertragung durch STÄDTEBAULICHEN VERTRAG
4. Ausübung VORKAUFSRECHT
5. Erfüllung eines gesetzl. ÜBERNAHMEVERLANGENS
6. Durchführung einer (amtlichen) UMLEGUNG
7. Durchführung einer STÄDTEBAULICHEN
ENTWICKLUNGSMASSNAHME
8. ENTEIGNUNG
Quelle: https://difu.de/publikationen/2021/aktive-
bodenpolitik-fundament-der-stadtentwicklung
21. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 21
H.-J. Vogel (2019):
Perspektiven des Bodeneigentums
„Wohnungsrelevanter Boden“
in Großstädten lt. kommunaler „Wohnungssatzung“
(nur W- und M-Flächen gem. BauNVO)
Wohngebäude
Eigentum der jeweiligen privaten
oder öffentlichen Bauherren
Verfügungseigentum: Städte und Gemeinden
„Auf dieser Grundlage ist es mein Kernziel, Eigentum von Grund und Boden wegen
seines besonderen Charakters so weit wie möglich aus dem Herrschaftsbereich des
Marktes herauszulösen und den sozialen Regeln des Allgemeinwohls zu
unterstellen.“ Hans-Jochen Vogel (2019): Mehr Gerechtigkeit. Freiburg, Basel, Wien. S. 48
Trennung Boden-/
Gebäudeeigentum
Nutzungseigentum: priv. Nutzungsberechtigte
Preislimitierter Grunderwerb, ggf. Enteignung
(Entschäd.=„Einkaufspreis“+Verbraucherpreisindex)
Konzeptausschreibung – Erbbaurecht
22. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 22
Beispiel Basel: Verkaufen verboten!
Quelle: http://neue-bodeninitiative.ch/
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München: dauerhaft bezahlbarer Wohnraum (auch) durch
Förderung von Wohnungsbaugenossenschaften
Seit 2014: Vergabe von etwa 30% der städt.
Grundstücke an Genossenschaften
Konzeptausschreibung zum Festpreis, seit 2017
Wahlrecht Kauf oder Erbbaurecht
„Sozialer Mix“: 60% - 75% gefördert (25% EOF,
35-50% München Modell Genossenschaften),
25% - 40% konzeptioneller (preisgedämpfter)
Mietwohnungsbau
Bindungsdauer: 60 - 80 Jahre.
2014 bis 2019: 950 WE (davon 550 gefördert)
von 8 Genossenschaften fertiggestellt,
weitere 3.500 WE „in der Pipeline“!
„mitbauzentrale münchen“: Beratung/
Begleitung der Neugründung von bislang
15 Genossenschaften.
wagnisArt München Domagkpark
Deutscher Städtebaupreis 2016 Foto: S. Reiß-Schmidt
24. Strategie+Diskurs Stephan Reiß-Schmidt | Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik | DMB B-W | 27.02.2021 | 24
Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN): Der Münchner Weg seit 1994
Sozialgerechte Bodennutzung:
Neues Baurecht nur dann, wenn Eigentümer sich an der Finan-
zierung von Erschließung, sozialer Infrastruktur, öffentlichen
Grünflächen und 30% gefördertem + 10% preisgedämpftem
Mietwohnungsbau mit bis zu 2/3 der Bodenwertsteigerung
beteiligen. (Städteb. Verträge gem. § 11 BauGB)
Quelle:
Landeshauptstadt
München
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Foto: Stephan Reiß-Schmidt