Poser: Unterliegen Gemeinden bei der Vermietung von Stadthallen einem Abschluss- oder Kontrahierungszwang?
1. K Veranstaltungsrecht
K1 Raumüberlassungsrecht
Unterliegen Gemeinden bei der
Vermietung von Stadthallen einem
Abschluss- oder Kontrahierungszwang?
Ulrich Poser
Rechtsanwalt in Hamburg mit dem Schwerpunkt Medienrecht, insbesondere dem
Recht der Musik- und Veranstaltungsbranche; Seminarleiter und Dozent an der
Hochschule für Musik und Theater in Hamburg sowie an der Fernuniversität
Hagen
Inhalt Seite
1. Einleitung 2
2. Abgrenzung zwischen privatrechtlichem und öffentlich-
rechtlichem Kontrahierungszwang 3
2.1 Der privatrechtliche Kontrahierungszwang 3
2.2 Formen staatlichen Handelns 3
2.3 Der öffentlich-rechtliche Kontrahierungszwang 5
2.4 Zwischenergebnis 11
3. Ermessenspielraum bei der Vergabeentscheidung 11
3.1 Zulässige Auswahlkriterien bei dem Vergabeverfahren 12
3.2 Die Marktbeschickerfälle 13
4. Ergebnis 15
Städte und Gemeinden übertragen zunehmend den Betrieb ihrer Stadthallen auf
juristische Personen des Privatrechts. Dabei stellt sich die Frage, ob die Stadthal-
len-Betriebs-GmbH das Objekt an jeden Interessenten „ohne wenn und aber“
vermieten muss. Ulrich Poser stellt erläutert die Rechtslage und stellt die aktuelle
Rechtsprechung dazu vor.
K
1.2
S. 1
41 Kultur & Recht April 2008
2. K Veranstaltungsrecht
K1 Raumüberlassungsrecht
1. Einleitung
Städte und Gemeinden übertragen zunehmend den Betrieb ihrer Stadthallen auf
juristische Personen des Privatrechts, zumeist sogenannte Stadthallen-Betriebs-
GmbHs. In vielen Fällen ist die Stadt Allein- oder Mehrheitsgesellschafterin der
jeweiligen Stadthallen-Betriebs-GmbH. Es sind aus der Praxis auch Fälle be-
kannt, in welchen die Stadt nur 50 % der Anteile der GmbH oder weniger hält.
In einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren1 zwischen einem Tourneeveranstal-
ter und einer Stadt wurde (unter Beobachtung des Europäischen Verbandes der
Veranstaltungs-Centren, EVVC e. V.2, und dem Bundesverband der Veranstal-
tungswirtschaft, IDKV e. V.3, also der Interessenvereinigung der vermietenden
Hallen auf der einen und dem Berufsverband der Veranstalter, Manager und
Agenten auf der anderen Seite), die Frage gerichtlich geklärt, ob eine Stadt bzw.
Gemeinde dazu gezwungen werden kann, die von einer Stadthallen-Betriebs-
GmbH unterhaltene und geführte Stadthalle an einen anfragenden Tourneeveran-
stalter „ohne wenn und aber“ zu vermieten.
In dem verwaltungsrechtlichen Verfahren obsiegte die beklagte Stadt über zwei
Instanzen, wobei zu beachten ist, dass es in dem Verfahren um die Klage eines
privaten Tourneeveranstalters gegen eine juristische Person des öffentlichen
Rechts, eine Gebietskörperschaft (Stadt), ging.4
Am Beispiel einer Musicalveranstaltung wurde die Kluft zwischen den
Interessen der Veranstalter auf der einen und derjenigen der Stadthallen-
vermieter auf der anderen Seite besonders deutlich. U. a. aufgrund etlicher
schlechter Kritiken in einem einschlägigen Internetforum5, sah sich die Stadt in
diesem Einzelfall nicht in der Lage, dem Veranstalter die von der Stadthallen-
Betriebs-GmbH6 unterhaltene Stadthalle für die angefragte Produktion zur
Verfügung zu stellen. Sie vertrat in erster Linie sogar die Auffassung, dass sie
für die Vermietung gar nicht zuständig sei; dies sei allein Sache der Stadthallen-
Betriebs-GmbH. Im Übrigen begründete sie ihre Ermessensentscheidung hilfs-
weise mit einer Reihe von Argumenten; u. a. waren dies wirtschaftliche Aspek-
te, Qualitätsgesichtspunkte, der gute Ruf der Halle, kulturelle Belange und
Standortgesichtspunkte.
K
1.2
S. 2
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3. K Veranstaltungsrecht
K1 Raumüberlassungsrecht
2. Abgrenzung zwischen privatrechtlichem
und öffentlich-rechtlichem
Kontrahierungszwang
2.1 Der privatrechtliche Kontrahierungszwang
Ein zivilrechtlicher Kontrahierungszwang existiert in Teilbereichen der Da-
seinsvorsorge, u. a. bei der Personenbeförderung und der Energieversorgung7.
Gesetzlich geregelte Beispiele finden sich u. a. in § 22 Personenbeförderungsge-
setz, § 6 Energiewirtschaftsgesetz, § 5 Abs. 2 Pflichtversicherungsgesetz, in den
Gemeindeordnungen der Länder (Anschluss- und Benutzungszwang) und in
den Vorschriften des GWB.8
Das BGB sieht grundsätzlich Vertragsfreiheit vor, d. h. jedermann kann im Regel-
fall selbst entscheiden, mit wem er einen Vertrag schließt oder – eben auch nicht.
Vertragsfreiheit bedeutet die Freiheit des Einzelnen, über den Abschluss oder
Nichtabschluss eines Vertrages nach freiem Ermessen zu entscheiden.9
2.2 Formen staatlichen Handelns
Öffentliche Unternehmen können als staatlicher Eigenbetrieb oder – unter den
Voraussetzungen des geltenden Landesrechts – mit privater Beteiligung als ge-
mischt wirtschaftliches Unternehmen geführt werden. Als „Public Private Part-
nership“ (PPP) wird die Mobilisierung privaten Kapitals zur Erfüllung staatlicher
Aufgaben bezeichnet. Im weiteren Sinn steht der Begriff auch für andere Arten
des kooperativen Zusammenwirkens von Hoheitsträgern mit privaten Wirt-
schaftssubjekten. PPP geht in vielen Fällen mit einer Teil-Privatisierung von
öffentlichen Aufgaben einher.
Je nach Beteiligungsgrad unterscheidet man verwaltungsbeherrschte Unterneh-
men (mehrheitliche Beteiligung der öffentlichen Hand), verwaltungskontrollierte
Unternehmen (Beteiligung weniger als 50 %, aber mehr als 25 %) und privatbe-
herrschte Unternehmen (weniger als 25 % Beteiligung der öffentlichen Hand).
Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes10 hat zu der privatrechtlichen Orga- K
nisation von Verwaltungsaufgaben grundsätzlich festgestellt, dass die Leistungs- 1.2
verwaltung auch bei der Benutzung privatrechtlicher Formen öffentliche Verwal- S. 3
tung i. S. d. vollziehenden Gewalt gem. Art. 1 Abs. 3 GG ist.
a) Staatliche Eigenbetriebe
Die wirtschaftliche Betätigung kann als Eigenbetrieb, als (verselbständigte) Ei-
gengesellschaft oder in Beteiligungsformen erfolgen11. Trotz ihrer rechtlichen
Verselbständigung bleiben Eigengesellschaften Teil der gemeindlichen Wirt-
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4. K Veranstaltungsrecht
K1 Raumüberlassungsrecht
schaft, und ihr Wirtschaftsergebnis ist für die Beurteilung der wirtschaftlichen
Lage der Gemeinde von wesentlicher Bedeutung.12
Seit Inkraftsetzen der EigenbetriebsVO aus dem Jahre 1938 stellt der Eigenbe-
trieb eine Gestaltungsmöglichkeit eines kommunalen Unternehmens zur wirt-
schaftlichen Betätigung dar. Diese besondere öffentlich-rechtliche Unterneh-
mensform beruht auf der Grundlage der Gemeindeordnungen bzw. den
Kreisordnungen der Bundesländer. Die rechtlichen Grundlagen des Eigenbetrie-
bes sind in den Eigenbetriebsgesetzen bzw. Eigenbetriebsverordnungen der Bun-
desländer näher ausgestaltet und werden durch die Gemeinden jeweils in einer
Betriebssatzung konkretisiert. Die Gründung eines Eigenbetriebs ist zulässig,
sofern das kommunale Wirtschaftsrecht der jeweiligen Gemeindeordnung eine
wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde zulässt.
Der Eigenbetrieb hat keine eigene Rechtspersönlichkeit. Vielmehr stellt der Ei-
genbetrieb ein ausgegliedertes Sondervermögen dar. Ihm obliegt somit die Orga-
nisation und die Finanzwirtschaft der jeweiligen Einrichtung. Im Außenverhältnis
werden die rechtlichen Handlungen des Eigenbetriebes der jeweiligen Stadt oder
Gemeinde zugerechnet, er ist somit lediglich handlungsbevollmächtigt.
Beschlüsse des Betriebsausschusses werden durch die Betriebsleitung vollzogen.
Aufgrund der fehlenden Rechtspersönlichkeit und weil die Handlungen des Ei-
genbetriebes der zuständigen Gemeinde zugerechnet werden, ist für grundsätzli-
che Entscheidungen der jeweilige Gemeinderat bzw. für grundsätzliche Rechtsge-
schäfte der jeweilige Hauptverwaltungsbeamte (als Vertreter des Bürgermeisters)
zuständig.
Der Bundesfinanzhof (BFH)13 hat kommunale Eigenbetriebe als „wirtschaftliche
Unternehmen“ der Gemeinde bezeichnet. „Sie fallen in den Bereich der fiskalischen
Verwaltung, da sie nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen zu führen sind. Sie
sollen (…) einen Ertrag für den Haushalt der Gemeinde abwerfen, soweit das mit
der Erfüllung des dringenden öffentlichen Zwecks in Einklang zu bringen ist. (…)“.
b) Sonderfall: Verwaltungshelfer
K Zum Begriff des sog. Verwaltungshelfers führt das Sächsische Oberverwaltungs-
gericht wie folgt aus14:
1.2
S. 4 „(…) Eine öffentliche Einrichtung i.S. v. § 2 Abs. 1, § 10 Abs. 2 GemO muss nicht
notwendigerweise von der Gemeinde selbst oder einem privatrechtlich organi-
sierten Unternehmen in der Hand der Gemeinde betrieben werden. Vielmehr
kann der Einrichtungsbetrieb auch einem privaten Unternehmen übertragen sein.
Von dieser Betriebsführung durch einen Privaten ist die Heranziehung eines
Privaten als Erfüllungsgehilfe oder Verwaltungshelfer der Gemeinde zu unter-
scheiden. In diesem Fall tritt die Gemeinde nach außen, d. h. gegenüber den
Benutzern als Betreiberin der Einrichtung auf. Die Benutzungsverhältnisse beste-
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