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Rettungsanker in der Not – Lösung




Behauptung einer Diskriminierung
Frau A. und Frau B. arbeiten in einem Lebensmittelrestaurant als Schichtführerinnen.
Ein Kollege der beiden, Herr M., ebenfalls Schichtführer, verdient ungefähr um
€ 200,00 mehr. Die beiden Frauen fühlen sich aufgrund des Geschlechts beim
Gehalt diskriminiert.


Argumente des Unternehmens
Zusätzlich zu ihrer in der Arbeitsplatzbeschreibung enthaltenen Tätigkeit
„Schichtführung“ werden alle MitarbeiterInnen für weitere Tätigkeiten eingeteilt. Das
Unternehmen begründet den Gehaltsunterschied zwischen Herrn M. und den beiden
Frauen mit seiner längeren Vorerfahrung in der Branche, seiner längeren
Dienstzugehörigkeit (er war schon in einer anderen Filiale des Unternehmens tätig)
und seiner unschätzbar wertvollen und besseren Arbeitsleistung. Er sei „der
Rettungsanker in der Not“ gewesen und er hätte bei geringerer Entlohnung nicht für
die Mitarbeit in der Filiale gewonnen werden können. Die Festsetzung der Höhe des
Entgelts erfolge individuell durch die Filialleitung. Die „sehr gute Arbeitskraft“ und das
überdurchschnittliche Engagement von Herrn M. sind innerhalb der
KollegInnenschaft auch tatsächlich unbestritten.




                                                                                         1
Lösung


  1. Was muss vorliegen, um die Vermutung einer unmittelbaren Diskriminierung
     zu erhärten – welche Tatsachen müssen von den beiden Frauen glaubhaft
     gemacht werden, um den ersten Anschein einer Diskriminierung aufgrund des
     Geschlechts zu bewirken?


     Antwort: vergleichbare Situation (gleiche oder gleichwertige Tätigkeit) und
     Benachteiligung (Gehaltsdifferenz).


  2. Wie kann festgestellt werden, ob Frau A., Frau B. und der männliche Kollege
     eine gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten?


     Antwort: die jeweiligen individuellen Zusatztätigkeiten der drei Personen sind
     hinsichtlich aller Arbeitsanforderungen und Belastungen sowie der Art der
     Arbeit miteinander zu vergleichen (Ausbildung/Kenntnisse und Fertigkeiten,
     Verantwortungsausmaß, körperliche und andere
     Anstrengung/Belastung/Mühe – auch Monotonie, Fingerfertigkeit, Hitze/Kälte,
     häufige geringe körperliche Anstrengung) – häufig wird dies nur unter
     Beiziehung eines berufskundlichen Sachverständigen möglich sein.


  3. Wie ist die Situation zu beurteilen, wenn sich herausstellt, dass keine gleiche
     oder gleichwertige Tätigkeit vorliegt?


     Antwort: dann liegt keine Diskriminierung vor (da ein Tatbestandselement der
     Diskriminierung fehlt).


  4. Können die Einwendungen „höheres Dienstalter“, „mehr Berufserfahrung“ und
     die „bessere Leistungserbringung“ den ersten Anschein einer unmittelbaren
     Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei entsprechender
     Glaubhaftmachung durch das Unternehmen entkräften?


     Antwort: ja, weil dies geschlechtsunabhängige (neutrale) Kriterien sind und


                                                                                       2
das Motiv (der innere Beweggrund) des Unternehmens für die
   unterschiedliche Behandlung nicht das Geschlecht der Mitarbeiterinnen war.


5. Welche Möglichkeiten hätten die beiden Frauen in weiterer Folge rechtlich
   noch, um die unterschiedliche Entlohnung geltend zu machen?


   Antwort: sie können eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts
   behaupten, wenn die im Unternehmen angewandten Kriterien zur Beurteilung
   des Vorliegens dieser neutralen Kriterien (Dienstalter, Berufserfahrung,
   Leistungsfähigkeit) geeignet sind, die Gruppe der Frauen stärker zu
   benachteiligen als die der Männer.


6. Was muss vorliegen, um eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des
   Geschlechts anzunehmen?


   Antwort: vergleichbare Situation (gleiche oder gleichwertige Tätigkeit) und
   Benachteiligung (Gehaltsdifferenz) und das anscheinend neutrale Kriterium
   muss besonders geeignet sein, Frauen stärker benachteiligen zu können,
   und/oder es besteht ein statistischer Nachweis dafür, dass Frauen tatsächlich
   systematisch benachteiligt werden z.B. durch den Nachweis, dass das
   Durchschnittsgehalt von Frauen in derselben Verwendungsgruppe niedriger
   ist, als das der Männer.


7. Wie beurteilen Sie die Kriterien „längere Vorerfahrung“, „längere
   Dienstzugehörigkeit“, „sehr gute Arbeitskraft“ und „überdurchschnittliches
   Engagement (Leistungsfähigkeit)“ – unter welchen Voraussetzungen können
   diese neutralen Kriterien eine systematische Benachteiligung (die Vermutung
   einer mittelbaren Diskriminierung) rechtfertigen?


   Antwort zu Dienstalter und Berufserfahrung:
   EuGH Danfoss
   Die Anciennität ist grundsätzlich zulässiger Rechtfertigungsgrund, da diese mit
   der Berufserfahrung einhergehe und ANIn besser befähige, Arbeit zu
   verrichten.


                                                                                 3
EuGH Cadman
IdR ist das Dienstalter ein legitimer Rechtfertigungsgrund, AGIn hat nicht
besonders darzulegen, dass der Rückgriff auf dieses Kriterium zur Erreichung
des Ziels (bessere Arbeitsverrichtung) geeignet ist. Die Prüfung der
Verhältnismäßigkeit ist jedoch anzustellen, wenn ANIn glaubhaft macht, dass
durch ein höheres Dienstalter keine bessere Arbeitsverrichtung erreicht wird
(Achtung: dies hängt ganz besonders vom Einzelfall ab).


Sonderfall TZ-Beschäftigte:
EuGH Nimz
Eine längere Bewährungszeit für TZ-Beschäftigte ist jedoch als
Rechtfertigungsgrund abzulehnen, wenn dieser darauf gestützt ist, dass VZ-
Beschäftigte schneller Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine Tätigkeit
hinzugewännen, sofern diese Vorstellungen lediglich verallgemeinernde
Aussagen zu bestimmten Kategorien von ANInnen darstellen.


Antwort zu Leistungsfähigkeit:


EuGH Brunnhofer
AGIn kann als Erklärung für das unterschiedliche Entgelt Umstände anführen,
sofern es sich um objektiv gerechtfertigte Gründe handelt, die nichts mit einer
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und mit dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.
Kriterien, die erst nach Beginn des AV verlässlich beurteilt werden können,
rechtfertigen keine Differenzierung von Beginn an. Bei der Einstellung kann es
nur auf die objektive Erforderlichkeit einer bestimmten Leistungsfähigkeit
ankommen.


EuGH Enderby
Bei Berücksichtigung zusätzlicher Kriterien für die Festsetzung der
Entgelthöhe ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Soweit
kein höheres Grundgehalt, sondern lediglich Überstunden und/oder
Provisionen geleistet werden, ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
ausreichend Rechnung getragen. Wenn ein Entgeltsystem intransparent und


                                                                               4
die Durchschnittsgehälter der Frauen geringer sind als die der Männer, trägt
AGIn die Beweislast für den Rechtfertigungsgrund (EuGH Danfoss). Das
bedeutet, es ist für die diskriminierte Person nicht notwendig, genauer den
Zusammenhang zwischen der Benachteiligung und dem Geschlecht darzutun.


d.h. dass nicht das Kriterium „Leistungsfähigkeit“ für sich alleine entlohnt
werden darf, sondern der tatsächliche Mehrwert, der der AGIn entsteht;
zusätzlich zur grundsätzlichen Zulässigkeit ist auch noch die
Verhältnismäßigkeit zu beachten, um „Diskriminierung über die Hintertür“ zu
vermeiden.


EuGH Rummler
Eine konkrete Leistungsbeurteilung ist vorzunehmen, auch wenn dies ein
Geschlecht nachteiliger trifft als das andere (eigene Anmerkung: d.h. es ist
grundsätzlich ein zulässiger Rechtfertigungsgrund). Für die
Gesamtbeurteilung eines Lohnsystems ist jedoch gefordert, dass das System
in seiner Gesamtheit nicht diskriminierend ist, d.h. es müssen Kriterien
umfasst sein, die bewirken, dass beide Geschlechter und deren bessere
Eignung (Achtung: Stereotype werden durch diese Formulierung wieder
prolongiert) ausreichend berücksichtigt sind.


Antwort Wunschkandidat/Marktwert:
Es ist zu überlegen, ob der Marktwert eines Bewerbers (dessen hohe,
individuelle Verhandlungsposition bei Gehaltsverhandlungen) als zulässiger
Rechtfertigungsgrund angesehen werden kann. In manchen Fällen kann dies
u.U. einem tatsächlichen dringenden Bedürfnis eines Unternehmens
entsprechen. Dies wird jedoch, falls überhaupt als zulässig zu erachten
(Judikatur dazu fehlt bisher), nur in sehr engen Grenzen und nur für
beschränkte Dauer zulässig sein können. Eine auf Dauer angelegte
Ungleichbehandlung kann keinem unternehmerischen Bedürfnis entsprechen.
Zusätzlich ist immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu
berücksichtigen.
Ein Mangel an BewerberInnen aufgrund der Marktlage wurde vom EuGH als
zulässiger Rechtfertigungsgrund angesehen (EuGH Enderby).


                                                                               5

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  • 1. Rettungsanker in der Not – Lösung Behauptung einer Diskriminierung Frau A. und Frau B. arbeiten in einem Lebensmittelrestaurant als Schichtführerinnen. Ein Kollege der beiden, Herr M., ebenfalls Schichtführer, verdient ungefähr um € 200,00 mehr. Die beiden Frauen fühlen sich aufgrund des Geschlechts beim Gehalt diskriminiert. Argumente des Unternehmens Zusätzlich zu ihrer in der Arbeitsplatzbeschreibung enthaltenen Tätigkeit „Schichtführung“ werden alle MitarbeiterInnen für weitere Tätigkeiten eingeteilt. Das Unternehmen begründet den Gehaltsunterschied zwischen Herrn M. und den beiden Frauen mit seiner längeren Vorerfahrung in der Branche, seiner längeren Dienstzugehörigkeit (er war schon in einer anderen Filiale des Unternehmens tätig) und seiner unschätzbar wertvollen und besseren Arbeitsleistung. Er sei „der Rettungsanker in der Not“ gewesen und er hätte bei geringerer Entlohnung nicht für die Mitarbeit in der Filiale gewonnen werden können. Die Festsetzung der Höhe des Entgelts erfolge individuell durch die Filialleitung. Die „sehr gute Arbeitskraft“ und das überdurchschnittliche Engagement von Herrn M. sind innerhalb der KollegInnenschaft auch tatsächlich unbestritten. 1
  • 2. Lösung 1. Was muss vorliegen, um die Vermutung einer unmittelbaren Diskriminierung zu erhärten – welche Tatsachen müssen von den beiden Frauen glaubhaft gemacht werden, um den ersten Anschein einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu bewirken? Antwort: vergleichbare Situation (gleiche oder gleichwertige Tätigkeit) und Benachteiligung (Gehaltsdifferenz). 2. Wie kann festgestellt werden, ob Frau A., Frau B. und der männliche Kollege eine gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten? Antwort: die jeweiligen individuellen Zusatztätigkeiten der drei Personen sind hinsichtlich aller Arbeitsanforderungen und Belastungen sowie der Art der Arbeit miteinander zu vergleichen (Ausbildung/Kenntnisse und Fertigkeiten, Verantwortungsausmaß, körperliche und andere Anstrengung/Belastung/Mühe – auch Monotonie, Fingerfertigkeit, Hitze/Kälte, häufige geringe körperliche Anstrengung) – häufig wird dies nur unter Beiziehung eines berufskundlichen Sachverständigen möglich sein. 3. Wie ist die Situation zu beurteilen, wenn sich herausstellt, dass keine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit vorliegt? Antwort: dann liegt keine Diskriminierung vor (da ein Tatbestandselement der Diskriminierung fehlt). 4. Können die Einwendungen „höheres Dienstalter“, „mehr Berufserfahrung“ und die „bessere Leistungserbringung“ den ersten Anschein einer unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei entsprechender Glaubhaftmachung durch das Unternehmen entkräften? Antwort: ja, weil dies geschlechtsunabhängige (neutrale) Kriterien sind und 2
  • 3. das Motiv (der innere Beweggrund) des Unternehmens für die unterschiedliche Behandlung nicht das Geschlecht der Mitarbeiterinnen war. 5. Welche Möglichkeiten hätten die beiden Frauen in weiterer Folge rechtlich noch, um die unterschiedliche Entlohnung geltend zu machen? Antwort: sie können eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts behaupten, wenn die im Unternehmen angewandten Kriterien zur Beurteilung des Vorliegens dieser neutralen Kriterien (Dienstalter, Berufserfahrung, Leistungsfähigkeit) geeignet sind, die Gruppe der Frauen stärker zu benachteiligen als die der Männer. 6. Was muss vorliegen, um eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts anzunehmen? Antwort: vergleichbare Situation (gleiche oder gleichwertige Tätigkeit) und Benachteiligung (Gehaltsdifferenz) und das anscheinend neutrale Kriterium muss besonders geeignet sein, Frauen stärker benachteiligen zu können, und/oder es besteht ein statistischer Nachweis dafür, dass Frauen tatsächlich systematisch benachteiligt werden z.B. durch den Nachweis, dass das Durchschnittsgehalt von Frauen in derselben Verwendungsgruppe niedriger ist, als das der Männer. 7. Wie beurteilen Sie die Kriterien „längere Vorerfahrung“, „längere Dienstzugehörigkeit“, „sehr gute Arbeitskraft“ und „überdurchschnittliches Engagement (Leistungsfähigkeit)“ – unter welchen Voraussetzungen können diese neutralen Kriterien eine systematische Benachteiligung (die Vermutung einer mittelbaren Diskriminierung) rechtfertigen? Antwort zu Dienstalter und Berufserfahrung: EuGH Danfoss Die Anciennität ist grundsätzlich zulässiger Rechtfertigungsgrund, da diese mit der Berufserfahrung einhergehe und ANIn besser befähige, Arbeit zu verrichten. 3
  • 4. EuGH Cadman IdR ist das Dienstalter ein legitimer Rechtfertigungsgrund, AGIn hat nicht besonders darzulegen, dass der Rückgriff auf dieses Kriterium zur Erreichung des Ziels (bessere Arbeitsverrichtung) geeignet ist. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist jedoch anzustellen, wenn ANIn glaubhaft macht, dass durch ein höheres Dienstalter keine bessere Arbeitsverrichtung erreicht wird (Achtung: dies hängt ganz besonders vom Einzelfall ab). Sonderfall TZ-Beschäftigte: EuGH Nimz Eine längere Bewährungszeit für TZ-Beschäftigte ist jedoch als Rechtfertigungsgrund abzulehnen, wenn dieser darauf gestützt ist, dass VZ- Beschäftigte schneller Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine Tätigkeit hinzugewännen, sofern diese Vorstellungen lediglich verallgemeinernde Aussagen zu bestimmten Kategorien von ANInnen darstellen. Antwort zu Leistungsfähigkeit: EuGH Brunnhofer AGIn kann als Erklärung für das unterschiedliche Entgelt Umstände anführen, sofern es sich um objektiv gerechtfertigte Gründe handelt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen. Kriterien, die erst nach Beginn des AV verlässlich beurteilt werden können, rechtfertigen keine Differenzierung von Beginn an. Bei der Einstellung kann es nur auf die objektive Erforderlichkeit einer bestimmten Leistungsfähigkeit ankommen. EuGH Enderby Bei Berücksichtigung zusätzlicher Kriterien für die Festsetzung der Entgelthöhe ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Soweit kein höheres Grundgehalt, sondern lediglich Überstunden und/oder Provisionen geleistet werden, ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausreichend Rechnung getragen. Wenn ein Entgeltsystem intransparent und 4
  • 5. die Durchschnittsgehälter der Frauen geringer sind als die der Männer, trägt AGIn die Beweislast für den Rechtfertigungsgrund (EuGH Danfoss). Das bedeutet, es ist für die diskriminierte Person nicht notwendig, genauer den Zusammenhang zwischen der Benachteiligung und dem Geschlecht darzutun. d.h. dass nicht das Kriterium „Leistungsfähigkeit“ für sich alleine entlohnt werden darf, sondern der tatsächliche Mehrwert, der der AGIn entsteht; zusätzlich zur grundsätzlichen Zulässigkeit ist auch noch die Verhältnismäßigkeit zu beachten, um „Diskriminierung über die Hintertür“ zu vermeiden. EuGH Rummler Eine konkrete Leistungsbeurteilung ist vorzunehmen, auch wenn dies ein Geschlecht nachteiliger trifft als das andere (eigene Anmerkung: d.h. es ist grundsätzlich ein zulässiger Rechtfertigungsgrund). Für die Gesamtbeurteilung eines Lohnsystems ist jedoch gefordert, dass das System in seiner Gesamtheit nicht diskriminierend ist, d.h. es müssen Kriterien umfasst sein, die bewirken, dass beide Geschlechter und deren bessere Eignung (Achtung: Stereotype werden durch diese Formulierung wieder prolongiert) ausreichend berücksichtigt sind. Antwort Wunschkandidat/Marktwert: Es ist zu überlegen, ob der Marktwert eines Bewerbers (dessen hohe, individuelle Verhandlungsposition bei Gehaltsverhandlungen) als zulässiger Rechtfertigungsgrund angesehen werden kann. In manchen Fällen kann dies u.U. einem tatsächlichen dringenden Bedürfnis eines Unternehmens entsprechen. Dies wird jedoch, falls überhaupt als zulässig zu erachten (Judikatur dazu fehlt bisher), nur in sehr engen Grenzen und nur für beschränkte Dauer zulässig sein können. Eine auf Dauer angelegte Ungleichbehandlung kann keinem unternehmerischen Bedürfnis entsprechen. Zusätzlich ist immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Ein Mangel an BewerberInnen aufgrund der Marktlage wurde vom EuGH als zulässiger Rechtfertigungsgrund angesehen (EuGH Enderby). 5