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Social Media –
ein Essay von
Alexander Fleischer
Januar 2012
Wie gesellig ist Ihr
Unternehmen?
2 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
Zum Autor:
Alexander Fleischer ist Leiter Marketing & Kommunikation für PwC in der
Schweiz und im «Central Cluster» (Europa, Mittlerer Osten, Indien, Afrika)
Kontakt: alexander.fleischer@ch.pwc.com
Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 3
Um das Jahr 1550 organisierte ein reicher
Mann im Osmanischen Reich ein Fest­
bankett. Zu einem anständigen Fest
gehörte damals ein ganzes, am Drehspiess
gebratenes Schaf. Um dem Gastgeber
eine Freude zu bereiten, entwickelte
ein Ingenieur namens Taki Aldin eine
Maschine, die in der Lage war, das Lamm
gleichmässig zu drehen und das Schaf von
allen Seiten knusprig braun zu grillen.
Diese Maschine war mit Dampf angetrie­
ben. Das Fest war ein voller Erfolg: Die
Stimmung war fröhlich, und alle waren
mit der ausserordentlichen Qualität des
braun gebratenen Schafes zufrieden. Die
Gäste waren voller Bewunderung für die
Apparatur Aldins, doch nach dem Fest
hatte niemand eine weitere Verwendungs­
möglichkeit dafür. So geriet eine geniale
Erfindung in Vergessenheit.
Rund 200 Jahre nachdem die Dampfma­
schine in der muslimischen Welt erfunden
worden war haben andere Ingenieure sie
im Westen, genauer gesagt in England,
aufs Neue erfunden: 1712 ging die erste
Dampfmaschine von Thomas Newcomen
in Betrieb; 1769 meldete James Watt das
Patent für eine weitaus wirksamere Kons­
truktion an. Heute wird die Erfindung der
Dampfmaschine als wesentlicher Mei­
lenstein zur Industrialisierung Englands
und später Europas angesehen. Es war
eine Erfindung, die zur Vormachtstellung
der westlichen Welt über die nächsten
200 Jahre beitrug. Wenn wir heute über
die industrielle Revolution sprechen,
nennen wir jene Erfindung, die an deren
Anfang stand, oft so, als hätte allein ihre
Existenz zum Erfolg geführt. Doch die
Geschichte des Ingenieurs Taki Aldin und
seiner Maschine zeigt: Erst der gesell­
schaftliche Kontext entscheidet darüber,
ob sich eine Erfindung durchsetzt. In
der muslimischen Welt des 16. Jahrhun­
derts war die Bereitschaft, menschliche
Arbeit durch Maschinen zu ersetzen,
schlicht nicht gegeben. Im England des
ausgehenden 18. Jahrhunderts war der
gesellschaftliche Kontext ein anderer.
Dies führte bekanntlich zum Beginn des
Kapitalismus.1
Heute wird häufig von der digitalen Re­
volution gesprochen. Lässt sich das, was
derzeit in der digitalen Welt passiert, mit
der industriellen Revolution vergleichen?
Ist der gesellschaftliche Kontext für eine
digitale Revolution gegeben, oder braucht
es dafür, wie bei der Dampfmaschine,
einen zweiten Anlauf? Um die Antwort
vorwegzunehmen: Der Vergleich ist ange­
bracht, und Hunderte von Millionen Nut­
zern signalisieren, dass die Gesellschaft
bereit für eine digitale Revolution ist. Aber
wissen die Mitglieder der Gesellschaft,
wohin diese Revolution führen wird?
Wie verändern Social Media das private
und politische Leben? Welchen Einfluss
haben sie auf Kultur und Wirtschaft? Und
vor allem: Zu welchen Zwecken setzen
die Unternehmen Social Media ein? Wie
integrieren sie soziale Plattformen in ihre
Kommunikations- und Markenstrategie?
Dies sind die wesentlichen Fragen, denen
dieser Essay nachgeht.
Von einer Maschine, die in Vergessenheit geriet
4 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
Was sind eigentlich Social Media? – Eine Auslegeordnung
Social Media sind ein neues Phänomen,
das einer ständigen und rasanten Innova­
tion unterliegt; jede Begriffsbestimmung
kann am nächsten Tag schon veraltet
sein. Entsprechend schwierig ist es, eine
verbindliche Definition zu finden.
Beverly Macy ist Dozentin und Autorin
zum Thema Social Media und CEO der
Gravity Summit, Inc., die sich als «real-
time social business company» bezeichnet.
Vor allem aber ist Macy eine aktive Blog­
gerin.2
Seit 2007 geht sie der Suche nach
einer treffenden Begriffsbestimmung
nach, und sie kommt zu dem Schluss, dass
der Begriff Social Media auch heute noch
schwammig ist. Ihre eigene Definition
stellt auf die Kernelemente von Social
Media ab. Social Media, so Macy, werden
durch eine Technologie konstituiert, die es
ermöglicht, Dinge zu verteilen, Gefallen
auszudrücken, etwas weiterzuverfolgen
und sich etwas anzuschliessen. Sie nennt
das den «like / follow / friend»-Faktor.
Die Schwierigkeit, eine treffende Definiti­
on von Social Media zu formulieren, liegt
auch darin begründet, dass immer mehr
digitale Anwendungen mit Social-Media-
Anwendungen verknüpft werden. So gibt
es kaum mehr ein Spiel, das nicht auch
auf Facebook verlinkt ist. Immer mehr
Websites, Plattformen, Wikis usw. haben
Funktionen, die eine Vernetzung unterei­
nander erlauben oder die angesprochenen
Optionen «like», «follow» und «friend» bie­
ten. So verschmelzen Social Media immer
stärker mit der gesamten digitalen Welt.
Sozial oder gesellig?
Lon Safko ist Verfasser von «The Social
Media Bible» 3
und gilt als einer der Gurus
der digitalen Welt. Safko definiert den
Begriff Social Media kurz und bündig:
«Social media is the media we use to be
social. That’s it.» Doch bereits der Versuch,
diesen einfachen englischen Satz ins
Deutsche zu übertragen, wirft Schwierig­
keiten auf. Vor allem wenn man «social»
mit «sozial» übersetzt, gerät man gehörig
auf den Holzweg. Bei Social Media geht es
nicht darum, ob man sozial, unsozial oder
asozial ist. Vielmehr geht es darum, ob
man gesellig oder weniger gesellig ist. Das
ist ein riesiger Unterschied! Kategorien
wie sozial oder unsozial sind mit einer kla­
ren Wertung verbunden: Ein Mensch soll,
ja muss sozial sein. Wird Social Media im
Deutsch mit «Soziale Medien» übersetzt,
erhält der Begriff diese wertende Note. Er
impliziert, dass der Mensch als soziales
Wesen gar nicht anders kann, als «Sozi­
ale Medien» zu verwenden. Nur dann ist
er wirklich sozial. Verweigert man sich
ihnen, haftet einem das stigmatisierende
Etikett unsozial an. Doch das ist schlichter
Unfug.
Eine sinnvolle Übersetzung muss sich
daher von dem wertenden Begriff «sozial»
lösen. Bei der Verwendung von Social
Media geht es darum, ob man gesellig
Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 5
ist und wie gesellig man ist. Dies hat mit
einer bewussten Entscheidung zu tun. Im
alltäglichen Leben kann sich ein Mensch
ganz bewusst entscheiden, wie oft er aus­
geht, wie viele Partys er besucht, wie häu­
fig und intensiv er sich unter Menschen
mischt. Im Kreis anderer Menschen kann
man sich entscheiden, ob man sich aktiv
einbringen will oder lieber beobachtet.
Durch solche Entscheidungen wird man
kein besserer oder schlechterer Mensch.
Individuelle Unterschiede in Bezug auf die
Geselligkeit sind gesellschaftlich akzep­
tiert und nicht mit sozialen Wertungen
verknüpft.
Genau so verhält es sich es bei den Social
Media. Es ist eine bewusste Entscheidung,
wie gesellig jemand auf Social-Media-
Plattformen auftritt, ob er sich überhaupt
in digitale Netzwerke einbringt und, wenn
ja, wie intensiv und aktiv. Beim einzelnen
Menschen hängt es stark von der individu­
ellen Veranlagung ab, ob ihm Geselligkeit
guttut, ob er sie für seine Ausgeglichenheit
und Zufriedenheit braucht – oder eben
weniger. Bei Unternehmen ist dies nicht
anders. Es gibt Unternehmen, die müssen
gesellig sein, und es gibt Unternehmen,
die nicht darauf angewiesen sind, gesellig
zu sein. Es gibt Unternehmen, zu denen
eine gewisse Art der Geselligkeit einfach
nicht passt. Und es gibt wiederum andere
Unternehmen, die brauchen Geselligkeit,
weil ihre Identität als Unternehmen dar­
auf ausgelegt ist.
Von Cowboys und Cowards
Der Hype um Social Media ist für eine nüchterne Analyse nicht hilfreich
und kann auch gehörig auf die Nerven gehen. Er löst bisweilen sogar Ängste
aus, lässt Menschen und Organisationen unter einen Druck geraten, der
nicht mehr produktiv ist. Social Media mögen eine grosse Zukunft haben,
entscheidend aber ist, wie sie genutzt werden.
Zum Umgang der Menschen mit Social Media im Arbeitsleben hat Miriam
Meckel, Professorin für Corporate Communications an der Universität
St. Gallen, Anfang 2011 eine Untersuchung4
veröffentlicht. Sie und ihre
Co-Autoren unterscheiden darin etwas holzschnittartig zwei Typen. Den
einen Typus nennt sie «Cowboys», den anderen «Cowards» (Feigling,
Memme). Um es kurz zu machen: Die Cowboys sind diejenigen, die Social
Media sehr aktiv, spielerisch und neugierig nutzen und eine Art Lustgewinn
daraus ziehen. Die Cowards sehen Social Media eher als eine Belastung. Sie
merken, dass sich etwas tut, dass sich die Informationsvielfalt explosionsar­
tig ausbreitet, und sie haben das Gefühl, sie sollten auch mitmachen. Aber
sie können nicht, wissen nicht, wann und wie. Sie haben das Gefühl, nicht
nur die Übersicht, sondern auch die letzten Rückzugsräume im Privatleben
zu verlieren. Die Vorstellung, ständig erreichbar, aktiv und online sein zu
müssen, bedrückt sie.
Miriam Meckel geht davon aus, dass sich diese beiden Gruppen in den
nächsten Jahren aufeinander zubewegen werden. Die Cowboys werden
lernen, dass es gut ist, ab und zu ganz bewusst offline zu gehen – auch für
längere Phasen. Sie werden erkennen, dass sie so wieder auftanken können,
um in ihrer Arbeitswelt den Raum und die Möglichkeit für solche Arbei­
ten zu haben, die einer stärkeren Kontemplation bedürfen. Die Cowards
hingegen werden merken, dass man sehr wohl sehr selektiv mit der Informa­
tionsflut, die durch Social Media getrieben ist, umgehen kann. Sie werden
bewusste Entscheidungen treffen und entdecken, dass man Social Media
auch mit Freude, Lust und Neugierde nutzen kann, dass sie auch und gerade
in die Arbeit einen zusätzlichen Spassfaktor einbringen. Um den postulier­
ten «reifen Umgang» mit den Veränderungen zu erreichen, ist es nötig, dem
Hype entgegenzuwirken. Social Media müssen entmystifiziert werden, und
man sollte ganz nüchtern die Frage nach den Chancen und Risiken stellen.
6 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
Nach der eingangs zitierten Definition
von Beverly Macy handelt es sich bei
So­cial Media letztlich um neue techno­
logische Möglichkeiten, die das Internet
bietet, um Nutzer untereinander zu
verknüpfen. Dies wirft Fragen auf, die sich
bei jeder Technologie stellen: Wie wenden
wir sie an? Was machen wir damit? Was
bewirkt sie in unserer Welt? Wenn von
«unserer Welt» die Rede ist, bezieht sich
dies auf alle wichtigen Lebensbereiche:
Privatleben, Öffentlichkeit und Politik,
Kultur und Wirtschaft.
Social Media im Privatleben
Social Media haben in das Privatleben der
meisten Menschen Einzug gehalten. Die
Statistiken von Ende 2011 zeigen, dass
ein Drittel der Menschen, die Zugang zum
Internet haben, bei Facebook registriert
sind.5
Vor allem im Leben der jungen
Generation nimmt diese Plattform einen
bedeutenden Stellenwert ein. Es lässt sich
auch beobachten, dass Social Media ande­
re Technologien verdrängen und ersetzen.
So ist es heute oft schwierig, junge Leute
über eine E-Mail zu erreichen. Schneller
und besser lässt sich ein Kontakt über
Social-Media-Plattformen herstellen. Hier
hat ein Prozess begonnen, bei dem eine
neue Technologie eine andere – auch nicht
allzu alte – verdrängt.
Die Medien liefern Beispiele dafür, dass
Menschen unbedarft mit Social Media
umgehen: Sie geben zu viel über sich preis
oder stellen sich unvorteilhaft dar. Später
bekommen sie die Konsequenzen davon
zu spüren. Aus den Medien kennen wir
Fälle, in denen Menschen eine Anstel­
lung nicht erhalten, ihren Job verlieren
Was Social Media bewirken
oder – vor allem Schüler – einem Mobbing
ausgesetzt sind. Im Nachhinein bereuen
diese Menschen bitterlich, was und wie sie
über Social Media kommuniziert haben.
Wie lässt sich überhaupt noch zwischen
wirklichen Freunden und den «friends»
aus dem Internet unterscheiden? Die Men­
schenkenntnis, die aus dem persönlichen
Umgang erwächst, kann in der digitalen
Welt nicht erworben werden.
Bei allen Risiken und persönlichen Katast­
rophen, die aus Unerfahrenheit und Naivi­
tät im Umgang mit den geselligen Medien
resultieren, darf aber der grosse Nutzen
nicht aus den Augen verloren werden:
Social-Media-Plattformen erlauben es, mit
Menschen in Kontakt zu bleiben, zu denen
man ohne die neuen Technologien längst
den Kontakt verloren hätte.
Social Media im politischen Leben
Wenn viele Menschen aus ihrem Privat­
leben heraustreten, sich verbinden und
zusammenkommen, entsteht Öffentlich­
keit. Die Öffentlichkeit ist das, worauf sich
das politische Leben konzentriert. Spielen
Social Media in der Politik eine Rolle?
Verändern sie womöglich politische Reali­
täten? Diese Fragen wurden im US-Wahl­
kampf 2008 erstmals eingehend disku­
tiert. Zahlreiche Stimmen behaupten, der
Wahlsieg von Barack Obama hätte ohne
dessen cleveren Einsatz von Social Media
nicht stattgefunden. Spätestens aber seit
dem «arabischen Frühling» 2011 wird
niemand mehr den Einfluss von Facebook
oder Twitter auf das politische Geschehen
bestreiten können. Es gibt wohl keinen
Kommentator in Tunesien, Ägypten oder
Libyen, der nicht darauf hingewiesen
Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 7
hätte, wie eminent wichtig die interakti­
ven Plattformen waren, um die Aufstände
und die Auflehnung gegen die Regime zu
organisieren. Ohne Social Media hätte die
arabische Revolution vermutlich gar nicht
stattfinden können.
Der «arabischen Frühling» ist nur das
prominenteste Beispiel. Ein Beispiel aber
auch, das viele andere Oppositionelle
ermutigt hat. In Spanien etwa hat die
Protestbewegung der «indignados» (Em­
pörten) ihre Anhänger über Social Media
organisiert. Die grüne Partei Equo hat ihr
Wahlprogramm im Internet diskutiert,
und die Wahlkampfveranstaltungen der
kleinen Parteien fanden in sozialen Netz­
werken statt.6
Auch die russische Opposi­
tion mobilisiert ihre Anhänger über diese
Plattformen. Für eine Grosskundgebung
in Moskau Anfang Dezember 2011 hatten
sich zuvor Zehntausende auf Facebook
angemeldet.7
Ein anderes Beispiel für die
Organisationskraft der Social Media ist
die Occupy-Bewegung, die jüngst in den
grossen Finanzzentren den Protest gegen
die Macht der Banken und Finanzmärkte
organisiert hat.
Wenn von «dramatischen Veränderun­
gen» die Rede ist, stellt sich automatisch
die Frage, ob es sich um Veränderungen
zum Guten oder zum Schlechten handelt.
Die Antwort wird je nach Perspektive
anders lauten. Und sie kann sich ändern.
Zeigte sich der Westen zunächst unein­
geschränkt solidarisch mit dem demo­
kratischen Aufbruch in Nordafrika, so
schwindet die anfängliche Begeisterung,
sobald islamische Parteien die Oberhand
gewinnen.
In den westlichen Ländern ist sich die Poli­
tik mittlerweile bewusst, welche Gefah­
ren soziale Plattformen für die Stabilität
jeglicher Gesellschaftsordnung bergen
können. Die Aufstände, die im August
2011 in britischen Städten stattfanden,
wären ohne Social Media nicht denkbar
gewesen. Nicht von ungefähr erwog die
Regierung in London, Twitter abzustel­
len. Unbehagen lösen auch Berichte aus,
denen zufolge sich deutsche und österrei­
chische Neonazis mit Vorliebe der sozialen
Netzwerke bedienen. Oder: Was ist davon
zu halten, wenn jeder über Twitter oder
Blogs sein Gefallen oder Missfallen an
hochrangigen Politikern ausdrücken
kann? Ist diese Volksstimme eine neue
Form der Basisdemokratie oder doch nur
Stammtischgeschwätz in digitalisierter
Form?
Hält man sich all dies vor Augen, muss
man festhalten, dass Social Media für die
Öffentlichkeit, und damit auch für die
Politik, zum Teil dramatische Veränderun­
gen mit sich gebracht haben.
Social Media in der Kultur
Die Kunsthistorikerin Marianne Burki
hat einen aufschlussreichen Artikel über
die Veränderungen durch die «digitale
Gegenwart» in der Kunst veröffentlicht.8
Sie kommt zum Schluss, dass sich «das
Publikum mit grosser Selbstverständlich­
keit auch als Produzent und nicht mehr
bloss als Konsument versteht und auf­
führt». Und weiter: «Es gibt nicht nur neue
Künstler mit neuen Medien, sondern auch
ein neues Publikum, das in selbstverständ­
licher Weise mit denselben neuen Medien
hantiert.»
Einen neuen Typus von Künstler hat kürz­
lich die Hamburger Wochenzeitung «Die
Zeit»9
porträtiert: Der Fotograf Jens Sund­
heim macht sich auf, um von möglichst
vielen Überwachungskameras fotografiert
zu werden, deren Bilder öffentlich im
Netz zugänglich sind. Das Ergebnis ist
eine Ansammlung von mehreren hundert
Fotos dieser Person, aufgenommen an
verschiedenen Orten der Welt, die über
Social Media von anderen angeschaut und
kommentiert werden – ein Happening à la
Social Media.
Das Internet und Social Media regen auch
zu Gemeinschaftsproduktionen an. So
gibt es Musiker, die zunehmend gemein­
sam über die neuen Medien komponieren,
musizieren und wohl auch ein gemein­
sames Publikum haben. Eine Suche nach
«Komponieren im Internet» ergibt bei
Google rund 850 000 Treffer. Ende 2010
sorgte der Noteneditor «scorio – write mu­
sic together» in der Fachwelt für Schlag­
zeilen.10
Dieser, so ein Rezensent, sei mit
einem besonderen Augenmerk auf Bil­
dung und Erziehung konzipiert worden.
Natürlich gibt es «scorio» im App-Store,
und er kann aufs iPad geladen werden.
Stichwort iPad: Mit dem Tabloid-Com­
puter hat Apple dem digitalen Lesen
einen revolutionären Schub versetzt. Es
geht aber nicht nur darum, Gedrucktes
durch einen Bildschirm zu ersetzen. Die
eigentliche Revolution im Leseverhalten
dürfte das «social reading» sein, das ge­
meinschaftliche Lesen: Jeder Leser kann
Passagen, die ihm wichtig erscheinen,
markieren und die Markierungen ande­
rer Leser des gleichen Buchs anschauen.
8 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
Auf diesem Gebiet hat derzeit das elek­
tronische Warenhaus Amazon die Nase
vorn. Selbst eingefleischte Buchwür­
mer können dem «Kindle», das dieser
Konzern zu einem Spottpreis anbietet,
nur schwer widerstehen: 1400 Bücher,
abrufbar in einem Gerät, verbunden mit
interaktiver Rezensionsarbeit – das ist
verführerisch! Die Lesezirkel der Nach­
kriegszeit erleben in Social-Reading-
Portalen ihr Revival.
Digitales Lesen hat eine weitere Facette:
Verlage, auch Grosse der Branche, gehen
dazu über, die Manuskripte von Auto­
ren, deren Namen nicht gleich Bestseller
versprechen, zunächst in ein hauseigenes
Internetportal zu stellen.11
Dort soll die
Öffentlichkeit die schriftstellerischen
Versuche bewerten. In Druck gehen die
Werke erst, wenn das Echo genügend
positiv ist.
Die digitale Veränderung der Kulturwelt
hat natürlich Rückwirkungen auf das
Privatleben des Einzelnen; Lese-, Hör-,
Schreib- und Sehgewohnheiten unter­
liegen seit Jahren einem Wandel; dieser
aber dürfte sich rasant beschleunigen. Die
«Kulturrevolution», ausgelöst durch die
Social Media, hat wirtschaftliche Konse­
quenzen für alle Branchen des Kulturbe­
triebs, allen voran das Verlagswesen.
Social Media in der Wirtschaft
Der Einfluss von Social Media auf die
Wirtschaft erfolgte zunächst leise und
schleichend. Heute ist er unübersehbar und
wirbelt Strukturen durcheinander. Mit der
Digitalisierung sind neue Akteure ins Wirt­
schaftsgeschehen eingetreten und haben
sich zu einer mächtigen Branche formiert
(siehe Textkasten). Andere, etablierte Wirt­
schaftszweige geraten in Schwierigkeiten
oder unterliegen einem einschneidenden
Wandel. Dies gilt vor allem für das Verlags­
wesen und dort gleichermassen für Buch-
und Zeitungsverlage. Die gesamte Unter­
haltungsindustrie, sei sie im Musik- oder
im Filmgeschäft tätig, beschreitet neue
Wege. Das Gleiche gilt für die Kommuni­
kations- und Werbebranche. Internet und
Social Media haben eingefahrene Kanäle
austrocknen lassen, dafür aber neue, ge­
winnversprechende eröffnet.
Die Unternehmen aller Branchen kommen
nicht umhin, strategische Überlegungen
darüber anzustellen, wie sie mit Social
Media umgehen und diese einsetzen
sollen. Der erste Grund sind die Transfor­
mationen des Unternehmens im Inneren.
Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 9
Kurz gesagt: Social Media bieten neue
Möglichkeiten, um Mitarbeiter miteinan­
der zu vernetzen – sei es im Dienste von
Wissensmanagement, Forschung, Ent­
wicklung und Innovationsmanagement
oder sei es für die interne Kommunikation
oder das Human Resources Management.
Der zweite Grund ist die Verwendung von
Social Media für kommerzielle Zwecke,
also ihr gezielter Einsatz als Verkaufska­
nal, sei es, um mehr zu verkaufen und den
Umsatz zu erhöhen, oder aber, um die
Marge zu vergrössern beziehungsweise
Kosten zu vermeiden, die bei anderen Ver­
kaufskanälen anfielen. Der dritte Grund
ist die Einflussnahme auf die eigene
Reputation.
Social Media tangieren nicht nur einen
Bereich, sondern erfordern neue Konzepte
für verschiedene Unternehmensfunkti­
onen: Verkauf, Personalwesen, Wissens­
management, Marketing und Kommu­
nikation brauchen eine aufeinander
abgestimmte, in sich schlüssige Strategie
für den intelligenten Umgang mit Social
Media. Doch diese darf nicht losgelöst
von der Unternehmensstrategie laufen,
sondern muss von dieser abgeleitet sein
und den Wechselwirkungen unter den
verschiedenen Unternehmensfunktionen
Rechnung tragen.
Social Media: Branche der Zukunft oder zweite Dotcom-Blase?
Wer die Berichterstattung über Social Media verfolgt, realisiert, wie mächtig
die Anbieter heute schon sind und welch riesiges Geschäftspotenzial sie
künftig realisieren wollen. Ende 2011 widmete das Nachrichtenmagazin
«Der Spiegel» den «fanstatischen Vier» eine Titelgeschichte und ortete
in Apple, Google, Amazon und Facebook «die wichtigsten Konzerne der
Gegenwart».12
Ihren Wert bezifferte das Magazin auf USD 750 Milliarden.
Für Apple, Amazon und Google basiert die Bewertung auf der Marktkapitali­
sierung vom 2. Dezember 2011. Geschätzt ist einzig der Wert von Facebook.
Und dessen Bewertung ist tatsächlich eine fantastische Geschichte.
Als die Investmentbank Goldman Sachs und der russische Investor Digital
Sky Technologies Anfang Januar 2011 bei Facebook einstiegen, errechneten
Analysten, dass sich der Firmenwert des grössten und bekanntesten sozialen
Netzwerks auf USD 50 Milliarden belaufen dürfte. Bereits zwei Monate spä­
ter kursierte ein Wert von USD 65 Milliarden durch die Wirtschaftspresse,
im Juni 2011 waren es laut «Manager Magazin» mehr als USD 70 Milliar­
den. In der erwähnten Titelgeschichte vom Dezember veranschlagte «Der
Spiegel» (aber nicht er alleine) den Wert von Facebook auf USD 100 Milliar­
den – genau jenen Wert, den Facebook als Untergrenze für den Börsengang
ansetzt. Dies kommt einer Wertverdoppelung innerhalb eines Jahres gleich.
Es ist wohl kein Zufall, dass sich auch die Anzahl der Facebook-Nutzer im
gleichen Zeitraum fast verdoppelt hat. Bei 800 Millionen Nutzern ist jeder
Facebook-Eintrag somit USD 1,25 Millionen wert – oder besser gesagt: das
Potenzial, das in den Daten dieses Nutzers liegt. Man darf gespannt sein,
was der Markt zahlt, wenn Facebook 2012, wie geplant, an die Börse geht.
Vorgemacht hat diesen Schritt der Konkurrent LinkedIn. 2003 in Kalifornien
gegründet, richtet sich das Netzwerk vorwiegend an Geschäftskunden. Am
19. Mai 2011 ging LinkedIn als erstes grösseres Social-Media-Netzwerk an
die New York Stock Exchange (NYSE). Innerhalb kürzester Zeit stieg der
Marktwert am ersten Handelstag um bis zu 120%. Seither vergeht kaum
ein Monat, ohne dass eine andere Online-Firma an die Börse gehen will.
Einige Beispiele: Im Juni machte das Netradio Pandora ein IPO, im No­
vember startete (im zweiten Anlauf) der Gutscheinvermarkter Groupons
an der Nasdaq, und im Dezember ging der erst vier Jahre alte Marktführer
bei Social Games, Zynga, an die NYSE – was als grösster Börsengang einer
US-Internetfirma seit jenem von Google im Jahr 2004 gilt. Auch ranken sich
Spekulationen um ein IPO des Mikroblogs Twitter. Auf bis zu USD 7 Milliar­
den wird der Wert des Kurznachrichtendienstes veranschlagt.
10 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
Woher kommen solch immens hohe Bewertungen? Was wird überhaupt
bewertet? Die Assets dieser Firmen sind – wie die Firmen selbst – ganz neuer
Natur: Es sind Menschen mit ihren Daten und Profilen. Nicht von ungefähr
besteht der Wettbewerb der Marktführer im digitalen Bereich heute darin,
in die Domänen der anderen vorzudringen. Jeder will den Nutzer ganz für
sich haben. Mit «Google+» hat Google Facebook angegriffen, Facebook wie­
derum hat eine gesonderte Seite eingerichtet, um die Stellung von Twitter
als wichtigstes Tool für Journalisten zu schwächen; mit dem «Kindle Fire»
ist ein preisgünstiges Konkurrenzprodukt des iPad auf dem Markt – um nur
einige Beispiele zu nennen.
Der entscheidende Grund für die Fantasie der Märkte liegt in der Art, in der
Social Media angelegt sind: Über diese Plattformen lassen sich so viele Men­
schen erreichen, wie man es vor einem Jahrzehnt noch nicht für möglich
gehalten hätte. All diese Menschen sind zugleich Konsumenten. Die Platt­
formen lassen sich vorzüglich für Werbung nutzen, und die Statistiken der
Werbebranche zeigen einen klaren Trend weg von den klassischen Medien,
hin zu den Online-Medien. Das Geschäftsmodell der Plattformanbieter
ähnelt auf den ersten Blick jenem von Zeitungs- oder Zeitschriftenverlagen;
bei genauerem Hinsehen aber treten die wesentlichen Unterschiede zu Tage:
Über Social Media lässt sich ein Vielfaches der Leserschaft von Printmedien
erreichen, und – was den wirklich geldwerten Vorteil ausmacht – sie basie­
ren auf individuellen Nutzerprofilen. Deren Vermarktung eröffnet völlig
neue Wege für eine individualisierte Werbung.
Es spricht einiges dafür, dass die starke Entwicklung der Internetbranche
anhält. Social Media lassen diese prosperieren und sich als eigenen Wirt­
schaftszweig etablieren. Es bleibt aber die Skepsis, ob Social Media einen
ähnlich revolutionären Sprung im Wirtschaftsgeschehen ermöglichen,
wie dies der Dampfmaschine mit der folgenden Industrialisierung gelungen
ist. So sind durchaus Zweifel angebracht, ob sich Social Media als Verkaufs­
kanal durchzusetzen vermögen. Gerade auf Plattformen wie Facebook oder
LinkedIn lässt sich feststellen, dass die Nutzer diese als einen Teil ihres
Lifestyles sehen. Man kann auch beobachten, dass aktive Engagements von
Organisationen mit kommerziellem Interesse höchst kritisch betrachtet
werden. Und überall, wo es eine starke Bewegung gibt, gibt es auch eine
Gegenbewegung.
Bereits heute lassen sich die Umrisse einer solchen Gegenbewegung
erkennen. So berichtet die Presse von Menschen, die Facebook und
anderen Social Media schon wieder den Rücken gekehrt haben. «Die
Zeit» beispielsweise zitiert das Motto einer Nutzerin für den Umgang
mit sozialen Netzwerken: «erleben, verstehen, verschwinden».13
Die
«Süddeutsche Zeitung» titelt: «Ich bin dann mal off».14
Wie dauerhaft die
Anziehungskraft der geselligen Medien wirkt, lässt sich derzeit kaum ab­
schätzen. Mit dem Verlust ihrer Nutzer und deren Profilen aber verlören
die Netzwerke ihre Vermögenswerte. Damit schwände auch das Interesse
der eigentlichen Kunden: jener Firmen, die Anzeigen schalten. Das wäre
der Beginn einer zweiten Dotcom-Blase. Die «NZZ am Sonntag» zitiert
das Hauptargument der Skeptiker: Keines der jungen Unternehmen habe
annähernd so viel verdient, wie es sich in der Bewertung ausdrücke. Sie
führt aber auch einen plausiblen Grund an, weshalb eine mögliche zwei­
te Dotcom-Blase weniger gefährlich sei als die erste vor nunmehr zwölf
Jahren: «Damals hatten weniger als 5% der Weltbevölkerung Zugang
zum Internet, heute sind es mehr als zwei Drittel.»15
Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 11
Wie Unternehmen Social Media nutzen (sollten)
Die Konsequenzen, die allein die Exis­
tenz von Social Media für jedes einzelne
Unternehmen hat, erstrecken sich auf
zwei Ebenen: auf die interne Organisation
(Innensicht) und auf die Positionierung
des Unternehmens in der Gesellschaft
(Aussenwahrnehmung). Die Innensicht
richtet sich auf die einzelnen Unterneh­
mensfunktionen, die Aussenwahrneh­
mung tangiert das Feld «Identität – Marke
– Image – Reputation».
Vor nicht allzu langer Zeit haben Unter­
nehmen Social Media vor allem aus dem
Blickwinkel von Verkauf und Vertrieb
betrachtet. Da Social Media ein geselliges
Netzwerk sind, ist es nicht ganz trivial,
dieses für kommerzielle Zwecke, also
auch als Verkaufskanal, zu nutzen. Zwar
gibt es gut dokumentierte Fälle, in denen
sich Unternehmen durch den cleveren
Einsatz von Social Media klare Vorteile für
den Verkauf verschafft haben. Dies gilt vor
allem für den Einzelhandel, wo britische
und US-amerikanische Retailketten als
Vorreiter gelten. Hierzulande hat die
Migros für ihre «Nano»-Kampagne in
grossem Ausmass Social Media eingesetzt.
Doch die Frage bleibt offen, ob es sich um
Pioniere handelt, die den First-Mover-
Effekt ausnutzten, und ob die Mehrheit
der Unternehmen die gleichen Effekte
erzielen kann.
Erst in jüngster Zeit erweitert sich die
Perspektive. Das grösste Potenzial von
Social Media für Unternehmen liegt wohl
nicht im Verkauf, sondern in der Trans­
formation von Unternehmen im Bereich
Kollaboration und Kommunikation. Es ist
aufschlussreich, zu betrachten,
• 	 wie die unternehmerische Praxis im
Umgang mit Social Media ist,
• 	 wie eine gute Handhabung (Best
Practice) aussieht und
• 	 was Strategieberater dazu meinen.
Wie Unternehmen mit Social
Media umgehen – eine Markt­
untersuchung
Die «Harvard Business Review» vom
August 2011 zitiert eine empirische
Untersuchung über den Umgang von
Unternehmen mit Social Media.16
Die Wis­
senschaftler haben die Strategien und die
Praktiken von mehr als 1100 Unterneh­
men verschiedener Branchen und Länder
untersucht. Als Ergebnis der Erhebung
kristallisieren sich vier unterschiedliche
Strategien heraus, die von der Toleranz
der Unternehmen gegenüber unvorher­
sehbaren Ereignissen abhängen. Die vier
Typen sind:
• 	 Der «Predictive Practioneer»: Der
voraussagende Praktiker beschränkt
den Einsatz von Social Media auf
bestimmte Bereiche wie etwa den
Kundendienst. Auch Firmen, die über
eine eigene Website Anregungen von
Kunden und Lieferanten zu definierten
Themen sammeln, fallen in diese Kate­
gorie.
12 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
• 	 Der «Creative Experimenter»: Der
kreative Versuchsgestalter nutzt Social
Media auch zur Kommunikation, zum
Handeln und somit zur Interaktion.
Diese Unternehmen wollen lernen, in­
dem sie ihre Anspruchsgruppen belau­
schen, während diese sich über Social
Media äussern. Auch bei diesem Typus
findet alles in einem klar überschau­
baren Rahmen statt – sei es innerhalb
oder ausserhalb des Unternehmens.
• 	 Der «Social Media Champion»:
Während die beiden erstgenannten Un­
ternehmenstypen gezielt auf einzelne
Gruppen und Personen zugehen und
Social Media dazu nutzen, mit diesen
zu interagieren, reicht die Strategie des
dritten Typus über Zuhören, Beob­
achten und individuelles Interagieren
hinaus. Der «Social Media Champion»
setzt auf den Bereich des Broadcasting
und Publishing. Sein Ziel ist es, die im
Internet vorhandene Öffentlichkeit zu
nutzen, um Botschaften an ein breites,
anonymes Publikum zu übermitteln.
Spätestens in diesem Moment kommt
auch der Risikoaspekt ins Spiel. Wie
auch sonst im Broadcasting, nur in viel
grösserem Ausmass, geht das Unter­
nehmen ein Wagnis ein und muss mit
den Konsequenzen umgehen können.
• 	 Der «Social Media Transformer»:
Unternehmen, die eine Transformation
durchschreiten, setzen Social Media
und deren Möglichkeiten ein, um die­
sen Prozess zu unterstützen. Sie nutzen
Social Media insbesondere dafür, sich
intern besser zu vernetzen, intensiver
zu kommunizieren und zu informieren
und um Wissensinseln wirksam mitein­
ander zu verknüpfen.
Diese vier Gruppen, deren Social-Media-
Strategien vom Zuhören über die Interak­
tion und die Veröffentlichung bis hin zur
Transformation reichen, sind Kategorien,
in welche die Studie der «Harvard Busi­
ness Review» die erhobenen Unterneh­
men einteilt. Es sind Verhaltensweisen,
die sich am Markt beobachten lassen. Es
sind keine Verhaltensempfehlungen, denn
der tatsächliche und der bestdenkbare
Umgang mit Social Media sind zwei ver­
schiedene Sachverhalte. Insbesondere der
Schritt zum Publishing und Broadcasting
und somit die Suche nach Öffentlichkeit
sollten wohlüberlegt sein.
Wie Unternehmen mit Social Media
umgehen sollten – eine Anleitung
Die Handlungsempfehlung liefert Laurel
Papworth, eine angesehen Bloggerin in
Sachen Social Media.17
Ihr zufolge durch­
laufen Unternehmen sieben Phasen eines
Reifeprozesses in Sachen Social Media:
1. Phase – Internal and enterprise
approach to Social Media: Soziale
Netzwerke sind, sofern technisch mög­
lich, durch Firewalls blockiert. Es gibt
interne Richtlinien, die den Mitarbeitern
vor allem sagen, was sie zu unterlassen
haben, etwa die Firma in einem sozialen
Netzwerk zu nennen. Man ist äusserst
vorsichtig und skeptisch, stellt aber bereits
Überlegungen an, einen internen Blog
einzurichten.
2. Phase – Social Media monitoring:
Das Unternehmen sammelt Informatio­
nen, stellt Analysen über den möglichen
Einsatz von Social Media an und investiert
sogar in Tools. Doch es hält weiter Distanz
und zögert, die Möglichkeiten, die man
analysiert hat, zu nutzen.
Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 13
3. Phase – Social Media as broadcast-
out medium: Das Unternehmen geht
via Social Media an die Öffentlichkeit.
Es setzt diverse Social-Media-Kanäle ein,
um bereits vorhandene Mitteilungen,
Interviews oder Werbespots zu verbreiten.
Um Reaktionen darauf kümmert es sich so
gut wie nicht.
4. Phase – Social Media for “viral”
distribution: Das Unternehmen ver­
sucht, Social-Media-Netzwerke für die
Verbreitung der eigenen Botschaften und
Anliegen einzuspannen. Der Inhalt wird
von professionellen Agenturen erstellt
und publiziert. Aber das Unternehmen ist
nicht an Rückmeldungen der Empfänger
interessiert. Es wird allenfalls die Zahl der
Besucher oder der «Gefällt mir»-Klicks
erhoben.
5. Phase – Social Media campaigns:
In dieser Phase sucht das Unternehmen
den Dialog über Social Media – aber nur
probeweise. Für einen beschränkten
Zeitraum werden eine Facebook-Seite
aufgebaut, ein Twitter Account eröff­
net und manches mehr. Aber Vorsicht:
Werden die Kanäle auf die Kampagne
abgestellt und nicht auf das Unterneh­
men selbst, gehen die meisten Informa­
tionen und Kontakte nach Beendigung
der Testphase verloren.
6. Phase – Collaborative Social Media:
Das Unternehmen nutzt Social Media
für neue Formen der Zusammenarbeit.
Es findet ein offener Austausch mit
Partnern, Mitarbeitern, Lieferanten und
Kunden statt. Dieser kann Forschungs­
aktivitäten, den Werbeauftritt, das
Produktdesign oder die Dienstleistungs­
qualität betreffen.
7. Phase – People-powered Social
Media: In dieser letzten Phase werden
Social Media als Marktplatz verstanden.
Alles, vom Kleiderdesign bis zur Kredit­
vergabe, findet im öffentlichen Raum der
sozialen Netzwerke statt.
Nicht das Meiste ist auch das Beste –
eine Würdigung
«Märkte sind Gespräche» – diese Aussage
ist der erste Grundsatz, des «Cluetrain
Manifesto» von 1999.18
Damals, auf dem
Höhepunkt der New Economy, gelangte
diese Sammlung von 95 Thesen über das
Verhältnis von Unternehmen und ihren
Kunden im Zeitalter des Internets zu
Berühmtheit. Es gilt demnach also, die
Möglichkeit zu nutzen, Individuen mitei­
nander ins Gespräch zu bringen. Damit
nimmt man aber zugleich in Kauf, dass
die Teilnehmer in ihren Gesprächen und
Aktionen eine Eigendynamik entwickeln.
Dies hat zur Folge, dass man die Deu­
tungshoheit abgibt oder zumindest teilen
muss – auch die Deutungshoheit über die
eigene Marke und die eigenen Produkte.
Soziale Plattformen sind offen angelegt,
für jeden zugänglich und auch manipu­
lierbar; die Kommunikation über Social
Media ist eine Massenkommunikation,
deren Eigendynamik ins Chaotische
ausufern kann, die Debatte ist nicht
beherrschbar und kann absurde Formen
annehmen. Die «Neue Zürcher Zeitung»
zitiert in diesem Zusammenhang den
Marketingspezialisten Marc Rutschmann:
«Bei einer Kommunikation mit Mas­
senbeteiligung [handelt es sich] um ein
chaotisches System, das nicht verlässlich
prognostizierbar oder berechenbar ist.»19
Zu spüren bekamen dies unter anderen
der Süsswarenhersteller Cadbury20
und
die Bank of America21
: Eine Werbekampa­
gne von Cadbury mit einem trommelnden
Gorilla inspirierte manch einen dazu, eine
eigene Gorilla-Version auf YouTube zu
laden. Der degutante Film eines Nacht­
klubs zeigte endgültig, dass Cadbury
die Deutungshoheit über die Kampagne
verloren hatte. Die Bank of America hatte
sich – anders als Cadbury – der Social
Media enthalten. Eine Seite von Google+
erweckte einen offiziellen Anschein, zog
die Bank indes ins Lächerliche. Die Angst
vor dem Kontrollverlust ist – neben der
Regulierung – der Hauptgrund, weshalb
die Finanzbranche sehr zurückhaltend im
Umgang mit Social Media ist.
Die Stichworte «Verlust der Deutungsho­
heit» und «Kontrollverlust über die eigene
Kampagne» lassen bei jedem Marke­
tingverantwortlichen die Alarmglocken
klingeln. Denn hier kommen Begriffe
wie Marke und Reputation ins Spiel.
Einerseits eröffnen die neuen Medien
neue Möglichkeiten der Markenführung,
indem sie endlich eine echte, also eine
2-Wege-Kommunikation ermöglichen;
andererseits eröffnet die Unkontrol­
lierbarkeit des diffusen Publikums die
Möglichkeit, der Reputation erheblichen
Schaden zuzufügen.
Jedes Unternehmen sollte sich des
Risikos des Kontrollverlustes bewusst
sein und lernen, damit umzugehen. Wer
Social Media einsetzt, sollte ein gewisses
Mass an Kontrollverlust dulden, aber
auch Vorkehrungen treffen, um mög­
lichst viel Deutungshoheit zu behalten.
Es kann gefährlich werden, alles, was
technisch möglich ist, auch einzusetzen.
Bedenklich, ja unrealistisch ist nämlich
auch das andere Extrem: die Ignoranz.
14 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
Für Laurel Papworth ist dies die Stufe
null. Wenn Unternehmen so tun, als
könnten sie sich enthalten, müssten sie
konsequenterweise auch auf Computer,
Mobiltelefone, E-Mail und Websites ver­
zichten. So wie der Mensch ein geselliges
Wesen ist, kann sich auch keine Orga­
nisation den Social Media entziehen.
«Man» findet in den Social Media statt,
ob man will oder nicht – so wie über ei­
nen an einer Party gesprochen wird, egal
ob man anwesend ist.
Social Media im Unternehmen:
warum, für wen, was und wie?
Zum Umgang mit Social Media stellen die
Strategieberater von PwC zunächst vier
grundsätzliche Fragen: Warum? Für wen?
Was? Wie? Mit diesen vier Fragen lässt
sich die Strategie eines Unternehmens im
Umgang mit Social Media abschliessend
beantworten oder konzipieren.
Beginnen wir mit der Frage nach dem
«Warum»: Warum wollen oder sollen Un­
ternehmen das Instrument Social Media
nutzen? Was versprechen sie sich davon?
Wie können sie Social Media einsetzen,
um die Wertschöpfung zu erhöhen? Wie
können sie zu diesem Zweck die entschei­
denden Stellhebel über Social Media be­
einflussen? Warum wollen Unternehmen
überhaupt gesellig sein?
Die Frage «Für wen?» lässt sich anhand
der «Stakeholder Map» beantwor­
ten. Die Eigenheiten jeder einzelnen
Anspruchsgruppe müssen analysiert
werden. Welcher der Stakeholder ist
für die Erreichung der definierten Ziele
relevant? Welcher der Stakeholder
spielt dabei welche Rolle? Geht es bei
der Kommunikation über Social-Media-
Plattformen in erster Linie um Kunden,
um die Öffentlichkeit oder politische
Entscheidungsträger, geht es um Lie­
feranten und andere Partner? Sollen
primär die Mitarbeiter oder spezifische
Gruppen innerhalb des Unternehmens
über Netzwerke erreicht werden?
Das «Warum» und das «Für wen» sind
sehr eng miteinander verzahnt. Nach­
dem ein Unternehmen die Frage «Für
wen?» behandelt hat, kommt es häufig
wieder auf jene nach dem «Warum»
zurück. Beverly Macy, deren Definiti­
on von Social Media eingangs zitiert
wurde, sagt dazu: «Die Möglichkeit, die
Beziehung mit Kunden und Partnern
über Social Media zu vertiefen, indem
Kommunikationsbarrieren beseitigt
werden, bietet eine wirkliche Chance
zur Transformation.» Wenn das stimmt,
liegt ein Schwerpunkt der Social-Media-
Aktivitäten im Relationship Manage­
ment und in der Vertiefung von Bezie­
hungen. Diese Feststellung wiederum
hilft bei der Beantwortung der Frage
«Für wen?»: Mit wem will man diese
tiefen Beziehungen haben und wozu?
Wenn Klarheit über das «Warum» und das
«Für wen» herrscht, hat das Unternehmen
bereits die Basis gelegt, um auch die Frage
nach dem «Was» zu beantworten. Was
will es mit Social Media machen, und was
Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 15
eben nicht? Die Frage nach dem «Was»
impliziert stets auch jene nach dem
«Was nicht».
In der Praxis lässt sich gerade in diesem
Punkt eine Verunsicherung bei Abtei­
lungsleitern, Kadern und der Geschäfts­
leitung feststellen. Häufig wollen die Un­
ternehmen wissen, was andere machen.
Doch die Antwort muss jede Firma für
sich selbst finden. In den nächsten zwölf
Monaten dürften viele Unternehmen vor
einem entscheidenden Schritt stehen:
Sie müssen eine Auslegeordnung dazu
erarbeiten, was sie machen wollen und
was nicht. Aus der Beantwortung dieser
Fragen leitet sich schliesslich das «Wie» ab.
Bei der Social-Media-Strategie handelt
es sich um eine Strategie für den Einsatz
eines Instruments – also eigentlich um
eine taktische Fragestellung. Eine Social-
Media-Strategie lässt sich nur von einer
robusten Unternehmensstrategie ableiten
und kann auch kein Ersatz für eine Kom­
munikationsstrategie sein. Eine weitere
Besonderheit der Social-Media-Strategie
ist, dass sie praktisch alle Unternehmens­
bereiche betrifft und somit eine bereichs­
übergreifende Aufgabe ist. Das macht die
Entwicklung einer solchen Strategie so
komplex.
Social Media an der Schnittstelle
zwischen Unternehmen und
Aussenwelt
Jedes Unternehmen hat eine eigene Iden­
tität. Diese Identität wird von einzelnen
Menschen wahrgenommen und führt
dazu, dass sich diese Menschen ein Bild
des Unternehmens machen, das Image.
Diese Menschen tauschen wiederum
Informationen über das Bild aus, das sie
von einzelnen Organisationen oder Unter­
nehmen haben. Auf diese Weise entsteht
ein aggregiertes Bild: die Reputation.
Die Aggregation macht den Unterschied
zwischen Image und Reputation aus. Das
Image kann man beim einzelnen Men­
schen abrufen, die Reputation nur dort,
wo die einzelnen Bilder zu einem einzigen
verschmelzen. Dies geschieht typischer­
weise in der Öffentlichkeit. Diese wieder­
um manifestiert sich in der veröffentlich­
ten Meinung, also den Medien; deshalb
wird die Medienanalyse auch häufig zur
Reputationsmessung herangezogen. Sie
manifestiert sich indes auch immer mehr
in der Öffentlichkeit, die auf dem Internet
stattfindet.
Bei der Identität eines Unternehmens
unterscheidet man zwischen der tatsäch­
lichen Identität, das heisst dem, was statt­
findet und beobachtbar ist einerseits, und
der Soll-Identität, also dem Bild, das ein
Unternehmen von sich vermitteln möchte,
andererseits. In den wenigsten Fällen
stimmen Ist- und Soll-Identität zu 100%
überein. Die Identität, die ein Unterneh­
men haben möchte, entspricht meist nicht
dem Image, das der Einzelne wahrnimmt,
und nicht der Reputation, dem aggregier­
ten Bild in der Öffentlichkeit. Das Ziel
ist, Fremd- und Selbstbild in Einklang zu
bringen. Die Marke ist das Instrument,
um Einfluss auf das Fremdbild – Images
und Reputation – zu nehmen. In letzter
Konsequenz heisst das, dass der Begriff
«Reputationsmanagement» Unfug ist,
denn Reputation lässt sich nicht steuern
oder managen. Man kann aber die Marke
steuern und über die Marke versuchen,
die Images und deren Aggregationspro­
zess zur Reputation zu beeinflussen.
Ohne Frage hat auch jeder Mensch eine ei­
gene Identität, die Niederschlag in seinem
Verhalten findet. Jeder Mensch hat aber
auch ein Idealbild von sich, das man – ana­
log zum Corporate Brand – als «Personal
Brand» bezeichnen könnte. Das Verhalten
und das Auftreten des Einzelnen kreieren
ein gewisses Image, und das Image, über
das sich verschiedene Personen austau­
schen, begründet wiederum die Reputati­
on dieser Person.
Diese Zusammenhänge sind von grosser
Relevanz für den Umgang mit Social
Media. Social Media sind für Individuen
gedacht. Social Media sind DAS Instru­
ment, mit dem sich einzelne Menschen
miteinander verknüpfen. Dies wirft die
Frage auf, ob Unternehmen überhaupt
eine Daseinsberechtigung in den Social
Media haben. Gerade weil die Nutzer von
Social Media mit einzelnen Menschen in
Kontakt treten, müssen sich die Unter­
nehmen ihre Social-Media-Strategie
sehr gut überlegen: Was bedeutet deren
Einsatz für die Zusammenarbeit innerhalb
des Unternehmens, für die Reputation
des Unternehmens, und wie wirken sich
16 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
Social Media auf die einzelnen Vertreter
des Unternehmens aus? Darauf hat das
Unternehmen nur bedingt Einfluss, denn
es kann seinen Mitarbeitern nicht in allen
Einzelheiten vorschreiben, wie sie sich auf
Social-Media-Plattformen zu verhalten
haben. Genau das ist die Knacknuss: Die
Grenze zwischen Arbeitswelt und Privat­
welt wird in den Social Media nicht gezo­
gen. Jede vermeintlich private Äusserung
über das Unternehmen hat Auswirkungen
auf dessen Reputation.
Diese Tatsache birgt nicht nur Gefahren;
sie eröffnet auch Chancen. Bringt sich ein
Mitarbeiter in intelligenter und kompeten­
ter Weise in die Social Media ein, kann der
Arbeitgeber davon profitieren. Ein solch
positiver Effekt kommt vor allen dann
zum Tragen, wenn es um Experten geht.
Wenn beispielsweise der Chef-Volkswirt
einer Bank einen eigenen Blog einrichtet,
um die Situation an den Finanzmärkten
zu erklären, erreicht er womöglich viele
Follower. Dadurch kann der Experte nicht
nur seine persönliche Reputation erhö­
hen, sondern auch die seines Arbeitge­
bers. Auch wenn Mitarbeiter im privaten
Bereich sympathisch auftreten, kann
dies durchaus einen positiven Effekt auf
das Unternehmen haben. Social Media
akzentuieren somit einen Grundsatz der
Markensteuerung: Das Aussenbild wird
in erster Linie durch das Verhalten eines
jeden Einzelnen geprägt.
Verhaltensweisen lassen sich erklären und
vorleben, aber nicht verordnen. Die heuti­
ge Generation von Mitarbeitern akzeptiert
es nicht mehr, durch Hierarchien mundtot
oder von Entscheidungsprozessen ausge­
schlossen zu werden. Junge Mitarbeiter
erwarten, dass sie Stellung beziehen kön­
nen und ihre eigenen Massstäbe anlegen
dürfen. Institutionen müssen sich dem
Verdikt der Einzelnen stellen und sich an
individuellen Massstäben messen lassen.
Dies bedeutet vor allem eines: Man muss
sich am gesunden Menschenverstand
ausrichten und sein Handeln mit dem
gesunden Menschenverstand erklären
können.
Hier liegt die positive Botschaft: Um erfolg­
reich mit Social Media umzugehen, muss
man sich an dem orientieren, worüber ein
gesellschaftlicher Konsens besteht, was als
«akzeptiert und in Ordnung» gilt. Wenn
sich ein Unternehmen so verhält, wie sich
ein Mensch verhalten würde, ist es auf
der sicheren Seite. Denn Organisationen
werden heute an den gleichen Massstäben
gemessen wie Individuen. In der Praxis ist
das nicht immer ganz einfach. Ein Unter­
nehmen verkörpert ein System aus Struk­
turen, Prozessen und Hierarchien. Dahin­
ter stehen zahlreiche und unterschiedliche
Menschen, die ihre eigene Sichtweise
haben, sich zum Teil aber auch selbst und
gegenseitig den Blick versperren – hin und
wieder auch den Blick auf das, was der
gesunde Menschenverstand vorgibt.
Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 17
Wie PwC die Social Media nutzt
Ein kurze Chronologie zeigt, wie PwC in der Schweiz Social Media nutzt und
wie rasch der Fortschritt dieser Medien den Einsatz vorantreibt:
Den Anfang machte PwC im Jahr 2005 mit einer Social-Media-Kampagne.
Die Werbekampagne «Gute Fragen» wurde von einem internen Blog und ei­
ner eigenen externen Plattform begleitet. Beide dienten dazu, gute Fragen zu
sammeln, zu bewerten und zu beantworten. Allerdings ist es nicht gelungen,
diese Plattform am Leben zu erhalten, was wohl ein typisches Phänomen für
Social-Media-Kampagnen mit eigenen Plattformen ist.
Zur gleichen Zeit setzte PwC das Netzwerk XING ein. In einer ersten Phase
lag das Ziel primär darin, zu wissen, wer zu wem Kontakt hat. Es ging um
klassisches Networking; XING diente als Medium, um an Menschen heran­
zukommen, zu denen man noch keinen direkten Zugang hatte. In der zwei­
ten Phase griff PwC auf weitere Möglichkeiten von XING zurück und setzte
das Netzwerk für ihre Alumni-Aktivitäten ein. Es galt, die eigene Präsenz
auf XING aufzubauen, damit sich Alumni dort untereinander und mit PwC
vernetzen. Auf diese Weise hatte PwC erstmals eine «Corporate-Präsenz»
auf XING.
Zu YouTube kam PwC eher ungewollt; hier drohte ein Verlust der Deutungs­
hoheit. Nachdem Mitarbeiter Videos von PwC auf YouTube gestellt hatten,
entschloss sich PwC, eigene Filme auf YouTube zu laden, mit dem Ziel, dass
diese prominenter erscheinen als die unautorisierten.
Der nächste Schritt war die Nutzung von Twitter. PwC verwendet Twitter
für die Medienarbeit. Informationen, die früher als klassische Newsletter an
die Journalisten verschickt wurden, werden diesen heute auch über Twitter
zur Verfügung gestellt. Mittlerweile hat PwC in der Schweiz 1000 Follower
auf dem Twitter Account. Ein erfreulicher Nebeneffekt: Auch Mitarbeiter
informieren sich zunehmend über Twitter.
2009 folgte Facebook. Dieses Netzwerk nutzt PwC hauptsächlich zu Re­
krutierungszwecken. PwC will dort so präsent sein, dass junge Leute, die
sich für eine Arbeitsstelle interessieren, erste Informationen über die Firma
finden und über Facebook mit PwC Kontakt aufnehmen können.
Für PwC hat sich relativ schnell herauskristallisiert, dass sich die einzelnen
Social-Media-Plattformen jeweils für bestimmte Zielgruppen eignen: XING
für Business-Kontakte, Twitter für Medienarbeit und Facebook für das
Anwerben junger Mitarbeiter. Derzeit prüft PwC, wie sich die Geschäftskon­
takte über LinkedIn erweitern lassen, ein Netzwerk das jenseits des deutsch­
sprachigen Raums bekannter als XING ist.
Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass PwC ihr Logo 2010
auch mit Blick auf die digitalen Einsatzmöglichkeiten erneuert hat. Das neue
Logo ist kompakter und so gestaltet, dass es über verschiedene bewegliche
Elemente attraktiv für digitale Anwendungen ist. Die Einführung des neuen
Markenauftritts begann denn auch im digitalen Bereich. Es war die PwC-
Website, die der Öffentlichkeit den neuen Auftritt zuerst vermittelte.
Parallel zur Lancierung des neuen Logos hat PwC mit der Erarbeitung einer
digitalen Strategie begonnen. Dieses Thema geht PwC nicht als isolierte
Marketingaufgabe an, sondern stellt es in den Kontext der Social Collabo­
ration, eines brennenden Themas für das Wissensmanagement. Dies zeigt
auch: Social Media sind ein Phänomen, das verschiedene Unternehmens­
bereiche angeht, und jeder sollte es aus seinem spezifischen Blickwinkel
heraus betrachten.
18 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
Quintessenz
Social Media sind gesellige Medien. Sie beeinflussen alle Lebensbereiche,
und gerade weil sie gesellig sind, verschwimmen die Trennlinien zwischen
den Bereichen: Kulturelles, politisches und privates Leben gehen ineinander
über, Freizeit und Arbeitswelt verschmelzen. Die digitale Öffentlichkeit, die
wertet und Stellung bezieht, wird omnipräsent. Unternehmen können sich
der neuen Geselligkeit nicht entziehen. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig,
als Social Media in ihre Konzepte und Strategien zu integrieren. Sie müssen
gesellig nach innen sein, denn die heutigen Mitarbeiter wollen mitreden. Sie
müssen gesellig nach aussen sein, um die Deutungshoheit über ihre Marke
und ihre Produkte nicht oder zumindest nur teilweise zu verlieren. Social
Media werden immer stärker zum reputationsprägenden Faktor. Wer Social
Media ignoriert, gibt ein wichtiges Instrument der Markenführung aus der
Hand. Die Art und die Intensität der Geselligkeit wollen indes gut überlegt
sein. Orientierung geben dabei die vier Fragen: Warum? Für wen? Was?
Wie? Die Antworten darauf bilden die Leitplanken für eine integrierte Stra­
tegie im Umgang mit Social Media.
Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 19
Quellenverzeichnis
1 	 Die Geschichte von Taki Aldin basiert auf dem Buch «Die unbekannte Mitte der Welt –
Globalgeschichte aus islamischer Sicht» von Tamim Ansary, Campus Verlag, 2010
2 	 www.huffingtonpost.com/beverly-macy
3 	 Lon Safko: The Social Media Bible: Tactics, Tools, and Strategies for Business Success,
second edition, Verlag Wiley, London, Oktober 2010
4 	 Eliane Bucher, Christian Fieseler, Miriam Meckel: Cowboys and Cowards,
in: Communication Director, Ausgabe 2/2011, S. 24–27
5 	 Der Spiegel, Ausgabe 49/2011, S. 70–81; Facebook-Statistik, abrufbar unter
www.facebook.com/press/info.php?statistics
6 	 Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 17. November 2011
7 	 NZZ online, 10. Dezember 2011
8 	 NZZ, 3. September 2011
9 	 Die Zeit, Ausgabe 30/2011 vom 21.Juli 2011
(http://www.zeit.de/2011/30/Interview-Webcam)
10 	 siehe beispielsweise: www.jazzdrummerworld.com/musik/scorio-
com-revolutioniert-das-komponieren-im-internet
11 	 Ein Beispiel ist neobooks.com von Droemer Knaur
12 	 Der Spiegel, Ausgabe 49/2011, S. 70–81;
vgl. auch: http://www.fastcompany.com/magazine/160/tech-wars-2012-
amazon-apple-google-facebook
13	 Die Zeit, Ausgabe 31/2011 vom 28. Juli 2011
14	 Süddeutsche Zeitung, 7. Januar 2012
15	 NZZ am Sonntag, 27. November 2011
16	 H. James Wilson, PJ Guinan, Salvatore Parise, and Bruce D. Weinberg: What’s Your
Social Media Strategy?, in Harvard Business Review, July-August 2011, S. 23–25
17 	 http://laurelpapworth.com/7-levels-of-social-media-engagement
18 	 http://www.cluetrain.com
19 	 NZZ, 2. September 2011
20 	 ebenda
21 	 NZZ online, 23. November 2011
20 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen?
www.pwc.ch

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  • 2. 2 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Zum Autor: Alexander Fleischer ist Leiter Marketing & Kommunikation für PwC in der Schweiz und im «Central Cluster» (Europa, Mittlerer Osten, Indien, Afrika) Kontakt: alexander.fleischer@ch.pwc.com
  • 3. Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 3 Um das Jahr 1550 organisierte ein reicher Mann im Osmanischen Reich ein Fest­ bankett. Zu einem anständigen Fest gehörte damals ein ganzes, am Drehspiess gebratenes Schaf. Um dem Gastgeber eine Freude zu bereiten, entwickelte ein Ingenieur namens Taki Aldin eine Maschine, die in der Lage war, das Lamm gleichmässig zu drehen und das Schaf von allen Seiten knusprig braun zu grillen. Diese Maschine war mit Dampf angetrie­ ben. Das Fest war ein voller Erfolg: Die Stimmung war fröhlich, und alle waren mit der ausserordentlichen Qualität des braun gebratenen Schafes zufrieden. Die Gäste waren voller Bewunderung für die Apparatur Aldins, doch nach dem Fest hatte niemand eine weitere Verwendungs­ möglichkeit dafür. So geriet eine geniale Erfindung in Vergessenheit. Rund 200 Jahre nachdem die Dampfma­ schine in der muslimischen Welt erfunden worden war haben andere Ingenieure sie im Westen, genauer gesagt in England, aufs Neue erfunden: 1712 ging die erste Dampfmaschine von Thomas Newcomen in Betrieb; 1769 meldete James Watt das Patent für eine weitaus wirksamere Kons­ truktion an. Heute wird die Erfindung der Dampfmaschine als wesentlicher Mei­ lenstein zur Industrialisierung Englands und später Europas angesehen. Es war eine Erfindung, die zur Vormachtstellung der westlichen Welt über die nächsten 200 Jahre beitrug. Wenn wir heute über die industrielle Revolution sprechen, nennen wir jene Erfindung, die an deren Anfang stand, oft so, als hätte allein ihre Existenz zum Erfolg geführt. Doch die Geschichte des Ingenieurs Taki Aldin und seiner Maschine zeigt: Erst der gesell­ schaftliche Kontext entscheidet darüber, ob sich eine Erfindung durchsetzt. In der muslimischen Welt des 16. Jahrhun­ derts war die Bereitschaft, menschliche Arbeit durch Maschinen zu ersetzen, schlicht nicht gegeben. Im England des ausgehenden 18. Jahrhunderts war der gesellschaftliche Kontext ein anderer. Dies führte bekanntlich zum Beginn des Kapitalismus.1 Heute wird häufig von der digitalen Re­ volution gesprochen. Lässt sich das, was derzeit in der digitalen Welt passiert, mit der industriellen Revolution vergleichen? Ist der gesellschaftliche Kontext für eine digitale Revolution gegeben, oder braucht es dafür, wie bei der Dampfmaschine, einen zweiten Anlauf? Um die Antwort vorwegzunehmen: Der Vergleich ist ange­ bracht, und Hunderte von Millionen Nut­ zern signalisieren, dass die Gesellschaft bereit für eine digitale Revolution ist. Aber wissen die Mitglieder der Gesellschaft, wohin diese Revolution führen wird? Wie verändern Social Media das private und politische Leben? Welchen Einfluss haben sie auf Kultur und Wirtschaft? Und vor allem: Zu welchen Zwecken setzen die Unternehmen Social Media ein? Wie integrieren sie soziale Plattformen in ihre Kommunikations- und Markenstrategie? Dies sind die wesentlichen Fragen, denen dieser Essay nachgeht. Von einer Maschine, die in Vergessenheit geriet
  • 4. 4 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Was sind eigentlich Social Media? – Eine Auslegeordnung Social Media sind ein neues Phänomen, das einer ständigen und rasanten Innova­ tion unterliegt; jede Begriffsbestimmung kann am nächsten Tag schon veraltet sein. Entsprechend schwierig ist es, eine verbindliche Definition zu finden. Beverly Macy ist Dozentin und Autorin zum Thema Social Media und CEO der Gravity Summit, Inc., die sich als «real- time social business company» bezeichnet. Vor allem aber ist Macy eine aktive Blog­ gerin.2 Seit 2007 geht sie der Suche nach einer treffenden Begriffsbestimmung nach, und sie kommt zu dem Schluss, dass der Begriff Social Media auch heute noch schwammig ist. Ihre eigene Definition stellt auf die Kernelemente von Social Media ab. Social Media, so Macy, werden durch eine Technologie konstituiert, die es ermöglicht, Dinge zu verteilen, Gefallen auszudrücken, etwas weiterzuverfolgen und sich etwas anzuschliessen. Sie nennt das den «like / follow / friend»-Faktor. Die Schwierigkeit, eine treffende Definiti­ on von Social Media zu formulieren, liegt auch darin begründet, dass immer mehr digitale Anwendungen mit Social-Media- Anwendungen verknüpft werden. So gibt es kaum mehr ein Spiel, das nicht auch auf Facebook verlinkt ist. Immer mehr Websites, Plattformen, Wikis usw. haben Funktionen, die eine Vernetzung unterei­ nander erlauben oder die angesprochenen Optionen «like», «follow» und «friend» bie­ ten. So verschmelzen Social Media immer stärker mit der gesamten digitalen Welt. Sozial oder gesellig? Lon Safko ist Verfasser von «The Social Media Bible» 3 und gilt als einer der Gurus der digitalen Welt. Safko definiert den Begriff Social Media kurz und bündig: «Social media is the media we use to be social. That’s it.» Doch bereits der Versuch, diesen einfachen englischen Satz ins Deutsche zu übertragen, wirft Schwierig­ keiten auf. Vor allem wenn man «social» mit «sozial» übersetzt, gerät man gehörig auf den Holzweg. Bei Social Media geht es nicht darum, ob man sozial, unsozial oder asozial ist. Vielmehr geht es darum, ob man gesellig oder weniger gesellig ist. Das ist ein riesiger Unterschied! Kategorien wie sozial oder unsozial sind mit einer kla­ ren Wertung verbunden: Ein Mensch soll, ja muss sozial sein. Wird Social Media im Deutsch mit «Soziale Medien» übersetzt, erhält der Begriff diese wertende Note. Er impliziert, dass der Mensch als soziales Wesen gar nicht anders kann, als «Sozi­ ale Medien» zu verwenden. Nur dann ist er wirklich sozial. Verweigert man sich ihnen, haftet einem das stigmatisierende Etikett unsozial an. Doch das ist schlichter Unfug. Eine sinnvolle Übersetzung muss sich daher von dem wertenden Begriff «sozial» lösen. Bei der Verwendung von Social Media geht es darum, ob man gesellig
  • 5. Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 5 ist und wie gesellig man ist. Dies hat mit einer bewussten Entscheidung zu tun. Im alltäglichen Leben kann sich ein Mensch ganz bewusst entscheiden, wie oft er aus­ geht, wie viele Partys er besucht, wie häu­ fig und intensiv er sich unter Menschen mischt. Im Kreis anderer Menschen kann man sich entscheiden, ob man sich aktiv einbringen will oder lieber beobachtet. Durch solche Entscheidungen wird man kein besserer oder schlechterer Mensch. Individuelle Unterschiede in Bezug auf die Geselligkeit sind gesellschaftlich akzep­ tiert und nicht mit sozialen Wertungen verknüpft. Genau so verhält es sich es bei den Social Media. Es ist eine bewusste Entscheidung, wie gesellig jemand auf Social-Media- Plattformen auftritt, ob er sich überhaupt in digitale Netzwerke einbringt und, wenn ja, wie intensiv und aktiv. Beim einzelnen Menschen hängt es stark von der individu­ ellen Veranlagung ab, ob ihm Geselligkeit guttut, ob er sie für seine Ausgeglichenheit und Zufriedenheit braucht – oder eben weniger. Bei Unternehmen ist dies nicht anders. Es gibt Unternehmen, die müssen gesellig sein, und es gibt Unternehmen, die nicht darauf angewiesen sind, gesellig zu sein. Es gibt Unternehmen, zu denen eine gewisse Art der Geselligkeit einfach nicht passt. Und es gibt wiederum andere Unternehmen, die brauchen Geselligkeit, weil ihre Identität als Unternehmen dar­ auf ausgelegt ist. Von Cowboys und Cowards Der Hype um Social Media ist für eine nüchterne Analyse nicht hilfreich und kann auch gehörig auf die Nerven gehen. Er löst bisweilen sogar Ängste aus, lässt Menschen und Organisationen unter einen Druck geraten, der nicht mehr produktiv ist. Social Media mögen eine grosse Zukunft haben, entscheidend aber ist, wie sie genutzt werden. Zum Umgang der Menschen mit Social Media im Arbeitsleben hat Miriam Meckel, Professorin für Corporate Communications an der Universität St. Gallen, Anfang 2011 eine Untersuchung4 veröffentlicht. Sie und ihre Co-Autoren unterscheiden darin etwas holzschnittartig zwei Typen. Den einen Typus nennt sie «Cowboys», den anderen «Cowards» (Feigling, Memme). Um es kurz zu machen: Die Cowboys sind diejenigen, die Social Media sehr aktiv, spielerisch und neugierig nutzen und eine Art Lustgewinn daraus ziehen. Die Cowards sehen Social Media eher als eine Belastung. Sie merken, dass sich etwas tut, dass sich die Informationsvielfalt explosionsar­ tig ausbreitet, und sie haben das Gefühl, sie sollten auch mitmachen. Aber sie können nicht, wissen nicht, wann und wie. Sie haben das Gefühl, nicht nur die Übersicht, sondern auch die letzten Rückzugsräume im Privatleben zu verlieren. Die Vorstellung, ständig erreichbar, aktiv und online sein zu müssen, bedrückt sie. Miriam Meckel geht davon aus, dass sich diese beiden Gruppen in den nächsten Jahren aufeinander zubewegen werden. Die Cowboys werden lernen, dass es gut ist, ab und zu ganz bewusst offline zu gehen – auch für längere Phasen. Sie werden erkennen, dass sie so wieder auftanken können, um in ihrer Arbeitswelt den Raum und die Möglichkeit für solche Arbei­ ten zu haben, die einer stärkeren Kontemplation bedürfen. Die Cowards hingegen werden merken, dass man sehr wohl sehr selektiv mit der Informa­ tionsflut, die durch Social Media getrieben ist, umgehen kann. Sie werden bewusste Entscheidungen treffen und entdecken, dass man Social Media auch mit Freude, Lust und Neugierde nutzen kann, dass sie auch und gerade in die Arbeit einen zusätzlichen Spassfaktor einbringen. Um den postulier­ ten «reifen Umgang» mit den Veränderungen zu erreichen, ist es nötig, dem Hype entgegenzuwirken. Social Media müssen entmystifiziert werden, und man sollte ganz nüchtern die Frage nach den Chancen und Risiken stellen.
  • 6. 6 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Nach der eingangs zitierten Definition von Beverly Macy handelt es sich bei So­cial Media letztlich um neue techno­ logische Möglichkeiten, die das Internet bietet, um Nutzer untereinander zu verknüpfen. Dies wirft Fragen auf, die sich bei jeder Technologie stellen: Wie wenden wir sie an? Was machen wir damit? Was bewirkt sie in unserer Welt? Wenn von «unserer Welt» die Rede ist, bezieht sich dies auf alle wichtigen Lebensbereiche: Privatleben, Öffentlichkeit und Politik, Kultur und Wirtschaft. Social Media im Privatleben Social Media haben in das Privatleben der meisten Menschen Einzug gehalten. Die Statistiken von Ende 2011 zeigen, dass ein Drittel der Menschen, die Zugang zum Internet haben, bei Facebook registriert sind.5 Vor allem im Leben der jungen Generation nimmt diese Plattform einen bedeutenden Stellenwert ein. Es lässt sich auch beobachten, dass Social Media ande­ re Technologien verdrängen und ersetzen. So ist es heute oft schwierig, junge Leute über eine E-Mail zu erreichen. Schneller und besser lässt sich ein Kontakt über Social-Media-Plattformen herstellen. Hier hat ein Prozess begonnen, bei dem eine neue Technologie eine andere – auch nicht allzu alte – verdrängt. Die Medien liefern Beispiele dafür, dass Menschen unbedarft mit Social Media umgehen: Sie geben zu viel über sich preis oder stellen sich unvorteilhaft dar. Später bekommen sie die Konsequenzen davon zu spüren. Aus den Medien kennen wir Fälle, in denen Menschen eine Anstel­ lung nicht erhalten, ihren Job verlieren Was Social Media bewirken oder – vor allem Schüler – einem Mobbing ausgesetzt sind. Im Nachhinein bereuen diese Menschen bitterlich, was und wie sie über Social Media kommuniziert haben. Wie lässt sich überhaupt noch zwischen wirklichen Freunden und den «friends» aus dem Internet unterscheiden? Die Men­ schenkenntnis, die aus dem persönlichen Umgang erwächst, kann in der digitalen Welt nicht erworben werden. Bei allen Risiken und persönlichen Katast­ rophen, die aus Unerfahrenheit und Naivi­ tät im Umgang mit den geselligen Medien resultieren, darf aber der grosse Nutzen nicht aus den Augen verloren werden: Social-Media-Plattformen erlauben es, mit Menschen in Kontakt zu bleiben, zu denen man ohne die neuen Technologien längst den Kontakt verloren hätte. Social Media im politischen Leben Wenn viele Menschen aus ihrem Privat­ leben heraustreten, sich verbinden und zusammenkommen, entsteht Öffentlich­ keit. Die Öffentlichkeit ist das, worauf sich das politische Leben konzentriert. Spielen Social Media in der Politik eine Rolle? Verändern sie womöglich politische Reali­ täten? Diese Fragen wurden im US-Wahl­ kampf 2008 erstmals eingehend disku­ tiert. Zahlreiche Stimmen behaupten, der Wahlsieg von Barack Obama hätte ohne dessen cleveren Einsatz von Social Media nicht stattgefunden. Spätestens aber seit dem «arabischen Frühling» 2011 wird niemand mehr den Einfluss von Facebook oder Twitter auf das politische Geschehen bestreiten können. Es gibt wohl keinen Kommentator in Tunesien, Ägypten oder Libyen, der nicht darauf hingewiesen
  • 7. Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 7 hätte, wie eminent wichtig die interakti­ ven Plattformen waren, um die Aufstände und die Auflehnung gegen die Regime zu organisieren. Ohne Social Media hätte die arabische Revolution vermutlich gar nicht stattfinden können. Der «arabischen Frühling» ist nur das prominenteste Beispiel. Ein Beispiel aber auch, das viele andere Oppositionelle ermutigt hat. In Spanien etwa hat die Protestbewegung der «indignados» (Em­ pörten) ihre Anhänger über Social Media organisiert. Die grüne Partei Equo hat ihr Wahlprogramm im Internet diskutiert, und die Wahlkampfveranstaltungen der kleinen Parteien fanden in sozialen Netz­ werken statt.6 Auch die russische Opposi­ tion mobilisiert ihre Anhänger über diese Plattformen. Für eine Grosskundgebung in Moskau Anfang Dezember 2011 hatten sich zuvor Zehntausende auf Facebook angemeldet.7 Ein anderes Beispiel für die Organisationskraft der Social Media ist die Occupy-Bewegung, die jüngst in den grossen Finanzzentren den Protest gegen die Macht der Banken und Finanzmärkte organisiert hat. Wenn von «dramatischen Veränderun­ gen» die Rede ist, stellt sich automatisch die Frage, ob es sich um Veränderungen zum Guten oder zum Schlechten handelt. Die Antwort wird je nach Perspektive anders lauten. Und sie kann sich ändern. Zeigte sich der Westen zunächst unein­ geschränkt solidarisch mit dem demo­ kratischen Aufbruch in Nordafrika, so schwindet die anfängliche Begeisterung, sobald islamische Parteien die Oberhand gewinnen. In den westlichen Ländern ist sich die Poli­ tik mittlerweile bewusst, welche Gefah­ ren soziale Plattformen für die Stabilität jeglicher Gesellschaftsordnung bergen können. Die Aufstände, die im August 2011 in britischen Städten stattfanden, wären ohne Social Media nicht denkbar gewesen. Nicht von ungefähr erwog die Regierung in London, Twitter abzustel­ len. Unbehagen lösen auch Berichte aus, denen zufolge sich deutsche und österrei­ chische Neonazis mit Vorliebe der sozialen Netzwerke bedienen. Oder: Was ist davon zu halten, wenn jeder über Twitter oder Blogs sein Gefallen oder Missfallen an hochrangigen Politikern ausdrücken kann? Ist diese Volksstimme eine neue Form der Basisdemokratie oder doch nur Stammtischgeschwätz in digitalisierter Form? Hält man sich all dies vor Augen, muss man festhalten, dass Social Media für die Öffentlichkeit, und damit auch für die Politik, zum Teil dramatische Veränderun­ gen mit sich gebracht haben. Social Media in der Kultur Die Kunsthistorikerin Marianne Burki hat einen aufschlussreichen Artikel über die Veränderungen durch die «digitale Gegenwart» in der Kunst veröffentlicht.8 Sie kommt zum Schluss, dass sich «das Publikum mit grosser Selbstverständlich­ keit auch als Produzent und nicht mehr bloss als Konsument versteht und auf­ führt». Und weiter: «Es gibt nicht nur neue Künstler mit neuen Medien, sondern auch ein neues Publikum, das in selbstverständ­ licher Weise mit denselben neuen Medien hantiert.» Einen neuen Typus von Künstler hat kürz­ lich die Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit»9 porträtiert: Der Fotograf Jens Sund­ heim macht sich auf, um von möglichst vielen Überwachungskameras fotografiert zu werden, deren Bilder öffentlich im Netz zugänglich sind. Das Ergebnis ist eine Ansammlung von mehreren hundert Fotos dieser Person, aufgenommen an verschiedenen Orten der Welt, die über Social Media von anderen angeschaut und kommentiert werden – ein Happening à la Social Media. Das Internet und Social Media regen auch zu Gemeinschaftsproduktionen an. So gibt es Musiker, die zunehmend gemein­ sam über die neuen Medien komponieren, musizieren und wohl auch ein gemein­ sames Publikum haben. Eine Suche nach «Komponieren im Internet» ergibt bei Google rund 850 000 Treffer. Ende 2010 sorgte der Noteneditor «scorio – write mu­ sic together» in der Fachwelt für Schlag­ zeilen.10 Dieser, so ein Rezensent, sei mit einem besonderen Augenmerk auf Bil­ dung und Erziehung konzipiert worden. Natürlich gibt es «scorio» im App-Store, und er kann aufs iPad geladen werden. Stichwort iPad: Mit dem Tabloid-Com­ puter hat Apple dem digitalen Lesen einen revolutionären Schub versetzt. Es geht aber nicht nur darum, Gedrucktes durch einen Bildschirm zu ersetzen. Die eigentliche Revolution im Leseverhalten dürfte das «social reading» sein, das ge­ meinschaftliche Lesen: Jeder Leser kann Passagen, die ihm wichtig erscheinen, markieren und die Markierungen ande­ rer Leser des gleichen Buchs anschauen.
  • 8. 8 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Auf diesem Gebiet hat derzeit das elek­ tronische Warenhaus Amazon die Nase vorn. Selbst eingefleischte Buchwür­ mer können dem «Kindle», das dieser Konzern zu einem Spottpreis anbietet, nur schwer widerstehen: 1400 Bücher, abrufbar in einem Gerät, verbunden mit interaktiver Rezensionsarbeit – das ist verführerisch! Die Lesezirkel der Nach­ kriegszeit erleben in Social-Reading- Portalen ihr Revival. Digitales Lesen hat eine weitere Facette: Verlage, auch Grosse der Branche, gehen dazu über, die Manuskripte von Auto­ ren, deren Namen nicht gleich Bestseller versprechen, zunächst in ein hauseigenes Internetportal zu stellen.11 Dort soll die Öffentlichkeit die schriftstellerischen Versuche bewerten. In Druck gehen die Werke erst, wenn das Echo genügend positiv ist. Die digitale Veränderung der Kulturwelt hat natürlich Rückwirkungen auf das Privatleben des Einzelnen; Lese-, Hör-, Schreib- und Sehgewohnheiten unter­ liegen seit Jahren einem Wandel; dieser aber dürfte sich rasant beschleunigen. Die «Kulturrevolution», ausgelöst durch die Social Media, hat wirtschaftliche Konse­ quenzen für alle Branchen des Kulturbe­ triebs, allen voran das Verlagswesen. Social Media in der Wirtschaft Der Einfluss von Social Media auf die Wirtschaft erfolgte zunächst leise und schleichend. Heute ist er unübersehbar und wirbelt Strukturen durcheinander. Mit der Digitalisierung sind neue Akteure ins Wirt­ schaftsgeschehen eingetreten und haben sich zu einer mächtigen Branche formiert (siehe Textkasten). Andere, etablierte Wirt­ schaftszweige geraten in Schwierigkeiten oder unterliegen einem einschneidenden Wandel. Dies gilt vor allem für das Verlags­ wesen und dort gleichermassen für Buch- und Zeitungsverlage. Die gesamte Unter­ haltungsindustrie, sei sie im Musik- oder im Filmgeschäft tätig, beschreitet neue Wege. Das Gleiche gilt für die Kommuni­ kations- und Werbebranche. Internet und Social Media haben eingefahrene Kanäle austrocknen lassen, dafür aber neue, ge­ winnversprechende eröffnet. Die Unternehmen aller Branchen kommen nicht umhin, strategische Überlegungen darüber anzustellen, wie sie mit Social Media umgehen und diese einsetzen sollen. Der erste Grund sind die Transfor­ mationen des Unternehmens im Inneren.
  • 9. Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 9 Kurz gesagt: Social Media bieten neue Möglichkeiten, um Mitarbeiter miteinan­ der zu vernetzen – sei es im Dienste von Wissensmanagement, Forschung, Ent­ wicklung und Innovationsmanagement oder sei es für die interne Kommunikation oder das Human Resources Management. Der zweite Grund ist die Verwendung von Social Media für kommerzielle Zwecke, also ihr gezielter Einsatz als Verkaufska­ nal, sei es, um mehr zu verkaufen und den Umsatz zu erhöhen, oder aber, um die Marge zu vergrössern beziehungsweise Kosten zu vermeiden, die bei anderen Ver­ kaufskanälen anfielen. Der dritte Grund ist die Einflussnahme auf die eigene Reputation. Social Media tangieren nicht nur einen Bereich, sondern erfordern neue Konzepte für verschiedene Unternehmensfunkti­ onen: Verkauf, Personalwesen, Wissens­ management, Marketing und Kommu­ nikation brauchen eine aufeinander abgestimmte, in sich schlüssige Strategie für den intelligenten Umgang mit Social Media. Doch diese darf nicht losgelöst von der Unternehmensstrategie laufen, sondern muss von dieser abgeleitet sein und den Wechselwirkungen unter den verschiedenen Unternehmensfunktionen Rechnung tragen. Social Media: Branche der Zukunft oder zweite Dotcom-Blase? Wer die Berichterstattung über Social Media verfolgt, realisiert, wie mächtig die Anbieter heute schon sind und welch riesiges Geschäftspotenzial sie künftig realisieren wollen. Ende 2011 widmete das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» den «fanstatischen Vier» eine Titelgeschichte und ortete in Apple, Google, Amazon und Facebook «die wichtigsten Konzerne der Gegenwart».12 Ihren Wert bezifferte das Magazin auf USD 750 Milliarden. Für Apple, Amazon und Google basiert die Bewertung auf der Marktkapitali­ sierung vom 2. Dezember 2011. Geschätzt ist einzig der Wert von Facebook. Und dessen Bewertung ist tatsächlich eine fantastische Geschichte. Als die Investmentbank Goldman Sachs und der russische Investor Digital Sky Technologies Anfang Januar 2011 bei Facebook einstiegen, errechneten Analysten, dass sich der Firmenwert des grössten und bekanntesten sozialen Netzwerks auf USD 50 Milliarden belaufen dürfte. Bereits zwei Monate spä­ ter kursierte ein Wert von USD 65 Milliarden durch die Wirtschaftspresse, im Juni 2011 waren es laut «Manager Magazin» mehr als USD 70 Milliar­ den. In der erwähnten Titelgeschichte vom Dezember veranschlagte «Der Spiegel» (aber nicht er alleine) den Wert von Facebook auf USD 100 Milliar­ den – genau jenen Wert, den Facebook als Untergrenze für den Börsengang ansetzt. Dies kommt einer Wertverdoppelung innerhalb eines Jahres gleich. Es ist wohl kein Zufall, dass sich auch die Anzahl der Facebook-Nutzer im gleichen Zeitraum fast verdoppelt hat. Bei 800 Millionen Nutzern ist jeder Facebook-Eintrag somit USD 1,25 Millionen wert – oder besser gesagt: das Potenzial, das in den Daten dieses Nutzers liegt. Man darf gespannt sein, was der Markt zahlt, wenn Facebook 2012, wie geplant, an die Börse geht. Vorgemacht hat diesen Schritt der Konkurrent LinkedIn. 2003 in Kalifornien gegründet, richtet sich das Netzwerk vorwiegend an Geschäftskunden. Am 19. Mai 2011 ging LinkedIn als erstes grösseres Social-Media-Netzwerk an die New York Stock Exchange (NYSE). Innerhalb kürzester Zeit stieg der Marktwert am ersten Handelstag um bis zu 120%. Seither vergeht kaum ein Monat, ohne dass eine andere Online-Firma an die Börse gehen will. Einige Beispiele: Im Juni machte das Netradio Pandora ein IPO, im No­ vember startete (im zweiten Anlauf) der Gutscheinvermarkter Groupons an der Nasdaq, und im Dezember ging der erst vier Jahre alte Marktführer bei Social Games, Zynga, an die NYSE – was als grösster Börsengang einer US-Internetfirma seit jenem von Google im Jahr 2004 gilt. Auch ranken sich Spekulationen um ein IPO des Mikroblogs Twitter. Auf bis zu USD 7 Milliar­ den wird der Wert des Kurznachrichtendienstes veranschlagt.
  • 10. 10 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Woher kommen solch immens hohe Bewertungen? Was wird überhaupt bewertet? Die Assets dieser Firmen sind – wie die Firmen selbst – ganz neuer Natur: Es sind Menschen mit ihren Daten und Profilen. Nicht von ungefähr besteht der Wettbewerb der Marktführer im digitalen Bereich heute darin, in die Domänen der anderen vorzudringen. Jeder will den Nutzer ganz für sich haben. Mit «Google+» hat Google Facebook angegriffen, Facebook wie­ derum hat eine gesonderte Seite eingerichtet, um die Stellung von Twitter als wichtigstes Tool für Journalisten zu schwächen; mit dem «Kindle Fire» ist ein preisgünstiges Konkurrenzprodukt des iPad auf dem Markt – um nur einige Beispiele zu nennen. Der entscheidende Grund für die Fantasie der Märkte liegt in der Art, in der Social Media angelegt sind: Über diese Plattformen lassen sich so viele Men­ schen erreichen, wie man es vor einem Jahrzehnt noch nicht für möglich gehalten hätte. All diese Menschen sind zugleich Konsumenten. Die Platt­ formen lassen sich vorzüglich für Werbung nutzen, und die Statistiken der Werbebranche zeigen einen klaren Trend weg von den klassischen Medien, hin zu den Online-Medien. Das Geschäftsmodell der Plattformanbieter ähnelt auf den ersten Blick jenem von Zeitungs- oder Zeitschriftenverlagen; bei genauerem Hinsehen aber treten die wesentlichen Unterschiede zu Tage: Über Social Media lässt sich ein Vielfaches der Leserschaft von Printmedien erreichen, und – was den wirklich geldwerten Vorteil ausmacht – sie basie­ ren auf individuellen Nutzerprofilen. Deren Vermarktung eröffnet völlig neue Wege für eine individualisierte Werbung. Es spricht einiges dafür, dass die starke Entwicklung der Internetbranche anhält. Social Media lassen diese prosperieren und sich als eigenen Wirt­ schaftszweig etablieren. Es bleibt aber die Skepsis, ob Social Media einen ähnlich revolutionären Sprung im Wirtschaftsgeschehen ermöglichen, wie dies der Dampfmaschine mit der folgenden Industrialisierung gelungen ist. So sind durchaus Zweifel angebracht, ob sich Social Media als Verkaufs­ kanal durchzusetzen vermögen. Gerade auf Plattformen wie Facebook oder LinkedIn lässt sich feststellen, dass die Nutzer diese als einen Teil ihres Lifestyles sehen. Man kann auch beobachten, dass aktive Engagements von Organisationen mit kommerziellem Interesse höchst kritisch betrachtet werden. Und überall, wo es eine starke Bewegung gibt, gibt es auch eine Gegenbewegung. Bereits heute lassen sich die Umrisse einer solchen Gegenbewegung erkennen. So berichtet die Presse von Menschen, die Facebook und anderen Social Media schon wieder den Rücken gekehrt haben. «Die Zeit» beispielsweise zitiert das Motto einer Nutzerin für den Umgang mit sozialen Netzwerken: «erleben, verstehen, verschwinden».13 Die «Süddeutsche Zeitung» titelt: «Ich bin dann mal off».14 Wie dauerhaft die Anziehungskraft der geselligen Medien wirkt, lässt sich derzeit kaum ab­ schätzen. Mit dem Verlust ihrer Nutzer und deren Profilen aber verlören die Netzwerke ihre Vermögenswerte. Damit schwände auch das Interesse der eigentlichen Kunden: jener Firmen, die Anzeigen schalten. Das wäre der Beginn einer zweiten Dotcom-Blase. Die «NZZ am Sonntag» zitiert das Hauptargument der Skeptiker: Keines der jungen Unternehmen habe annähernd so viel verdient, wie es sich in der Bewertung ausdrücke. Sie führt aber auch einen plausiblen Grund an, weshalb eine mögliche zwei­ te Dotcom-Blase weniger gefährlich sei als die erste vor nunmehr zwölf Jahren: «Damals hatten weniger als 5% der Weltbevölkerung Zugang zum Internet, heute sind es mehr als zwei Drittel.»15
  • 11. Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 11 Wie Unternehmen Social Media nutzen (sollten) Die Konsequenzen, die allein die Exis­ tenz von Social Media für jedes einzelne Unternehmen hat, erstrecken sich auf zwei Ebenen: auf die interne Organisation (Innensicht) und auf die Positionierung des Unternehmens in der Gesellschaft (Aussenwahrnehmung). Die Innensicht richtet sich auf die einzelnen Unterneh­ mensfunktionen, die Aussenwahrneh­ mung tangiert das Feld «Identität – Marke – Image – Reputation». Vor nicht allzu langer Zeit haben Unter­ nehmen Social Media vor allem aus dem Blickwinkel von Verkauf und Vertrieb betrachtet. Da Social Media ein geselliges Netzwerk sind, ist es nicht ganz trivial, dieses für kommerzielle Zwecke, also auch als Verkaufskanal, zu nutzen. Zwar gibt es gut dokumentierte Fälle, in denen sich Unternehmen durch den cleveren Einsatz von Social Media klare Vorteile für den Verkauf verschafft haben. Dies gilt vor allem für den Einzelhandel, wo britische und US-amerikanische Retailketten als Vorreiter gelten. Hierzulande hat die Migros für ihre «Nano»-Kampagne in grossem Ausmass Social Media eingesetzt. Doch die Frage bleibt offen, ob es sich um Pioniere handelt, die den First-Mover- Effekt ausnutzten, und ob die Mehrheit der Unternehmen die gleichen Effekte erzielen kann. Erst in jüngster Zeit erweitert sich die Perspektive. Das grösste Potenzial von Social Media für Unternehmen liegt wohl nicht im Verkauf, sondern in der Trans­ formation von Unternehmen im Bereich Kollaboration und Kommunikation. Es ist aufschlussreich, zu betrachten, • wie die unternehmerische Praxis im Umgang mit Social Media ist, • wie eine gute Handhabung (Best Practice) aussieht und • was Strategieberater dazu meinen. Wie Unternehmen mit Social Media umgehen – eine Markt­ untersuchung Die «Harvard Business Review» vom August 2011 zitiert eine empirische Untersuchung über den Umgang von Unternehmen mit Social Media.16 Die Wis­ senschaftler haben die Strategien und die Praktiken von mehr als 1100 Unterneh­ men verschiedener Branchen und Länder untersucht. Als Ergebnis der Erhebung kristallisieren sich vier unterschiedliche Strategien heraus, die von der Toleranz der Unternehmen gegenüber unvorher­ sehbaren Ereignissen abhängen. Die vier Typen sind: • Der «Predictive Practioneer»: Der voraussagende Praktiker beschränkt den Einsatz von Social Media auf bestimmte Bereiche wie etwa den Kundendienst. Auch Firmen, die über eine eigene Website Anregungen von Kunden und Lieferanten zu definierten Themen sammeln, fallen in diese Kate­ gorie.
  • 12. 12 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? • Der «Creative Experimenter»: Der kreative Versuchsgestalter nutzt Social Media auch zur Kommunikation, zum Handeln und somit zur Interaktion. Diese Unternehmen wollen lernen, in­ dem sie ihre Anspruchsgruppen belau­ schen, während diese sich über Social Media äussern. Auch bei diesem Typus findet alles in einem klar überschau­ baren Rahmen statt – sei es innerhalb oder ausserhalb des Unternehmens. • Der «Social Media Champion»: Während die beiden erstgenannten Un­ ternehmenstypen gezielt auf einzelne Gruppen und Personen zugehen und Social Media dazu nutzen, mit diesen zu interagieren, reicht die Strategie des dritten Typus über Zuhören, Beob­ achten und individuelles Interagieren hinaus. Der «Social Media Champion» setzt auf den Bereich des Broadcasting und Publishing. Sein Ziel ist es, die im Internet vorhandene Öffentlichkeit zu nutzen, um Botschaften an ein breites, anonymes Publikum zu übermitteln. Spätestens in diesem Moment kommt auch der Risikoaspekt ins Spiel. Wie auch sonst im Broadcasting, nur in viel grösserem Ausmass, geht das Unter­ nehmen ein Wagnis ein und muss mit den Konsequenzen umgehen können. • Der «Social Media Transformer»: Unternehmen, die eine Transformation durchschreiten, setzen Social Media und deren Möglichkeiten ein, um die­ sen Prozess zu unterstützen. Sie nutzen Social Media insbesondere dafür, sich intern besser zu vernetzen, intensiver zu kommunizieren und zu informieren und um Wissensinseln wirksam mitein­ ander zu verknüpfen. Diese vier Gruppen, deren Social-Media- Strategien vom Zuhören über die Interak­ tion und die Veröffentlichung bis hin zur Transformation reichen, sind Kategorien, in welche die Studie der «Harvard Busi­ ness Review» die erhobenen Unterneh­ men einteilt. Es sind Verhaltensweisen, die sich am Markt beobachten lassen. Es sind keine Verhaltensempfehlungen, denn der tatsächliche und der bestdenkbare Umgang mit Social Media sind zwei ver­ schiedene Sachverhalte. Insbesondere der Schritt zum Publishing und Broadcasting und somit die Suche nach Öffentlichkeit sollten wohlüberlegt sein. Wie Unternehmen mit Social Media umgehen sollten – eine Anleitung Die Handlungsempfehlung liefert Laurel Papworth, eine angesehen Bloggerin in Sachen Social Media.17 Ihr zufolge durch­ laufen Unternehmen sieben Phasen eines Reifeprozesses in Sachen Social Media: 1. Phase – Internal and enterprise approach to Social Media: Soziale Netzwerke sind, sofern technisch mög­ lich, durch Firewalls blockiert. Es gibt interne Richtlinien, die den Mitarbeitern vor allem sagen, was sie zu unterlassen haben, etwa die Firma in einem sozialen Netzwerk zu nennen. Man ist äusserst vorsichtig und skeptisch, stellt aber bereits Überlegungen an, einen internen Blog einzurichten. 2. Phase – Social Media monitoring: Das Unternehmen sammelt Informatio­ nen, stellt Analysen über den möglichen Einsatz von Social Media an und investiert sogar in Tools. Doch es hält weiter Distanz und zögert, die Möglichkeiten, die man analysiert hat, zu nutzen.
  • 13. Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 13 3. Phase – Social Media as broadcast- out medium: Das Unternehmen geht via Social Media an die Öffentlichkeit. Es setzt diverse Social-Media-Kanäle ein, um bereits vorhandene Mitteilungen, Interviews oder Werbespots zu verbreiten. Um Reaktionen darauf kümmert es sich so gut wie nicht. 4. Phase – Social Media for “viral” distribution: Das Unternehmen ver­ sucht, Social-Media-Netzwerke für die Verbreitung der eigenen Botschaften und Anliegen einzuspannen. Der Inhalt wird von professionellen Agenturen erstellt und publiziert. Aber das Unternehmen ist nicht an Rückmeldungen der Empfänger interessiert. Es wird allenfalls die Zahl der Besucher oder der «Gefällt mir»-Klicks erhoben. 5. Phase – Social Media campaigns: In dieser Phase sucht das Unternehmen den Dialog über Social Media – aber nur probeweise. Für einen beschränkten Zeitraum werden eine Facebook-Seite aufgebaut, ein Twitter Account eröff­ net und manches mehr. Aber Vorsicht: Werden die Kanäle auf die Kampagne abgestellt und nicht auf das Unterneh­ men selbst, gehen die meisten Informa­ tionen und Kontakte nach Beendigung der Testphase verloren. 6. Phase – Collaborative Social Media: Das Unternehmen nutzt Social Media für neue Formen der Zusammenarbeit. Es findet ein offener Austausch mit Partnern, Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden statt. Dieser kann Forschungs­ aktivitäten, den Werbeauftritt, das Produktdesign oder die Dienstleistungs­ qualität betreffen. 7. Phase – People-powered Social Media: In dieser letzten Phase werden Social Media als Marktplatz verstanden. Alles, vom Kleiderdesign bis zur Kredit­ vergabe, findet im öffentlichen Raum der sozialen Netzwerke statt. Nicht das Meiste ist auch das Beste – eine Würdigung «Märkte sind Gespräche» – diese Aussage ist der erste Grundsatz, des «Cluetrain Manifesto» von 1999.18 Damals, auf dem Höhepunkt der New Economy, gelangte diese Sammlung von 95 Thesen über das Verhältnis von Unternehmen und ihren Kunden im Zeitalter des Internets zu Berühmtheit. Es gilt demnach also, die Möglichkeit zu nutzen, Individuen mitei­ nander ins Gespräch zu bringen. Damit nimmt man aber zugleich in Kauf, dass die Teilnehmer in ihren Gesprächen und Aktionen eine Eigendynamik entwickeln. Dies hat zur Folge, dass man die Deu­ tungshoheit abgibt oder zumindest teilen muss – auch die Deutungshoheit über die eigene Marke und die eigenen Produkte. Soziale Plattformen sind offen angelegt, für jeden zugänglich und auch manipu­ lierbar; die Kommunikation über Social Media ist eine Massenkommunikation, deren Eigendynamik ins Chaotische ausufern kann, die Debatte ist nicht beherrschbar und kann absurde Formen annehmen. Die «Neue Zürcher Zeitung» zitiert in diesem Zusammenhang den Marketingspezialisten Marc Rutschmann: «Bei einer Kommunikation mit Mas­ senbeteiligung [handelt es sich] um ein chaotisches System, das nicht verlässlich prognostizierbar oder berechenbar ist.»19 Zu spüren bekamen dies unter anderen der Süsswarenhersteller Cadbury20 und die Bank of America21 : Eine Werbekampa­ gne von Cadbury mit einem trommelnden Gorilla inspirierte manch einen dazu, eine eigene Gorilla-Version auf YouTube zu laden. Der degutante Film eines Nacht­ klubs zeigte endgültig, dass Cadbury die Deutungshoheit über die Kampagne verloren hatte. Die Bank of America hatte sich – anders als Cadbury – der Social Media enthalten. Eine Seite von Google+ erweckte einen offiziellen Anschein, zog die Bank indes ins Lächerliche. Die Angst vor dem Kontrollverlust ist – neben der Regulierung – der Hauptgrund, weshalb die Finanzbranche sehr zurückhaltend im Umgang mit Social Media ist. Die Stichworte «Verlust der Deutungsho­ heit» und «Kontrollverlust über die eigene Kampagne» lassen bei jedem Marke­ tingverantwortlichen die Alarmglocken klingeln. Denn hier kommen Begriffe wie Marke und Reputation ins Spiel. Einerseits eröffnen die neuen Medien neue Möglichkeiten der Markenführung, indem sie endlich eine echte, also eine 2-Wege-Kommunikation ermöglichen; andererseits eröffnet die Unkontrol­ lierbarkeit des diffusen Publikums die Möglichkeit, der Reputation erheblichen Schaden zuzufügen. Jedes Unternehmen sollte sich des Risikos des Kontrollverlustes bewusst sein und lernen, damit umzugehen. Wer Social Media einsetzt, sollte ein gewisses Mass an Kontrollverlust dulden, aber auch Vorkehrungen treffen, um mög­ lichst viel Deutungshoheit zu behalten. Es kann gefährlich werden, alles, was technisch möglich ist, auch einzusetzen. Bedenklich, ja unrealistisch ist nämlich auch das andere Extrem: die Ignoranz.
  • 14. 14 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Für Laurel Papworth ist dies die Stufe null. Wenn Unternehmen so tun, als könnten sie sich enthalten, müssten sie konsequenterweise auch auf Computer, Mobiltelefone, E-Mail und Websites ver­ zichten. So wie der Mensch ein geselliges Wesen ist, kann sich auch keine Orga­ nisation den Social Media entziehen. «Man» findet in den Social Media statt, ob man will oder nicht – so wie über ei­ nen an einer Party gesprochen wird, egal ob man anwesend ist. Social Media im Unternehmen: warum, für wen, was und wie? Zum Umgang mit Social Media stellen die Strategieberater von PwC zunächst vier grundsätzliche Fragen: Warum? Für wen? Was? Wie? Mit diesen vier Fragen lässt sich die Strategie eines Unternehmens im Umgang mit Social Media abschliessend beantworten oder konzipieren. Beginnen wir mit der Frage nach dem «Warum»: Warum wollen oder sollen Un­ ternehmen das Instrument Social Media nutzen? Was versprechen sie sich davon? Wie können sie Social Media einsetzen, um die Wertschöpfung zu erhöhen? Wie können sie zu diesem Zweck die entschei­ denden Stellhebel über Social Media be­ einflussen? Warum wollen Unternehmen überhaupt gesellig sein? Die Frage «Für wen?» lässt sich anhand der «Stakeholder Map» beantwor­ ten. Die Eigenheiten jeder einzelnen Anspruchsgruppe müssen analysiert werden. Welcher der Stakeholder ist für die Erreichung der definierten Ziele relevant? Welcher der Stakeholder spielt dabei welche Rolle? Geht es bei der Kommunikation über Social-Media- Plattformen in erster Linie um Kunden, um die Öffentlichkeit oder politische Entscheidungsträger, geht es um Lie­ feranten und andere Partner? Sollen primär die Mitarbeiter oder spezifische Gruppen innerhalb des Unternehmens über Netzwerke erreicht werden? Das «Warum» und das «Für wen» sind sehr eng miteinander verzahnt. Nach­ dem ein Unternehmen die Frage «Für wen?» behandelt hat, kommt es häufig wieder auf jene nach dem «Warum» zurück. Beverly Macy, deren Definiti­ on von Social Media eingangs zitiert wurde, sagt dazu: «Die Möglichkeit, die Beziehung mit Kunden und Partnern über Social Media zu vertiefen, indem Kommunikationsbarrieren beseitigt werden, bietet eine wirkliche Chance zur Transformation.» Wenn das stimmt, liegt ein Schwerpunkt der Social-Media- Aktivitäten im Relationship Manage­ ment und in der Vertiefung von Bezie­ hungen. Diese Feststellung wiederum hilft bei der Beantwortung der Frage «Für wen?»: Mit wem will man diese tiefen Beziehungen haben und wozu? Wenn Klarheit über das «Warum» und das «Für wen» herrscht, hat das Unternehmen bereits die Basis gelegt, um auch die Frage nach dem «Was» zu beantworten. Was will es mit Social Media machen, und was
  • 15. Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 15 eben nicht? Die Frage nach dem «Was» impliziert stets auch jene nach dem «Was nicht». In der Praxis lässt sich gerade in diesem Punkt eine Verunsicherung bei Abtei­ lungsleitern, Kadern und der Geschäfts­ leitung feststellen. Häufig wollen die Un­ ternehmen wissen, was andere machen. Doch die Antwort muss jede Firma für sich selbst finden. In den nächsten zwölf Monaten dürften viele Unternehmen vor einem entscheidenden Schritt stehen: Sie müssen eine Auslegeordnung dazu erarbeiten, was sie machen wollen und was nicht. Aus der Beantwortung dieser Fragen leitet sich schliesslich das «Wie» ab. Bei der Social-Media-Strategie handelt es sich um eine Strategie für den Einsatz eines Instruments – also eigentlich um eine taktische Fragestellung. Eine Social- Media-Strategie lässt sich nur von einer robusten Unternehmensstrategie ableiten und kann auch kein Ersatz für eine Kom­ munikationsstrategie sein. Eine weitere Besonderheit der Social-Media-Strategie ist, dass sie praktisch alle Unternehmens­ bereiche betrifft und somit eine bereichs­ übergreifende Aufgabe ist. Das macht die Entwicklung einer solchen Strategie so komplex. Social Media an der Schnittstelle zwischen Unternehmen und Aussenwelt Jedes Unternehmen hat eine eigene Iden­ tität. Diese Identität wird von einzelnen Menschen wahrgenommen und führt dazu, dass sich diese Menschen ein Bild des Unternehmens machen, das Image. Diese Menschen tauschen wiederum Informationen über das Bild aus, das sie von einzelnen Organisationen oder Unter­ nehmen haben. Auf diese Weise entsteht ein aggregiertes Bild: die Reputation. Die Aggregation macht den Unterschied zwischen Image und Reputation aus. Das Image kann man beim einzelnen Men­ schen abrufen, die Reputation nur dort, wo die einzelnen Bilder zu einem einzigen verschmelzen. Dies geschieht typischer­ weise in der Öffentlichkeit. Diese wieder­ um manifestiert sich in der veröffentlich­ ten Meinung, also den Medien; deshalb wird die Medienanalyse auch häufig zur Reputationsmessung herangezogen. Sie manifestiert sich indes auch immer mehr in der Öffentlichkeit, die auf dem Internet stattfindet. Bei der Identität eines Unternehmens unterscheidet man zwischen der tatsäch­ lichen Identität, das heisst dem, was statt­ findet und beobachtbar ist einerseits, und der Soll-Identität, also dem Bild, das ein Unternehmen von sich vermitteln möchte, andererseits. In den wenigsten Fällen stimmen Ist- und Soll-Identität zu 100% überein. Die Identität, die ein Unterneh­ men haben möchte, entspricht meist nicht dem Image, das der Einzelne wahrnimmt, und nicht der Reputation, dem aggregier­ ten Bild in der Öffentlichkeit. Das Ziel ist, Fremd- und Selbstbild in Einklang zu bringen. Die Marke ist das Instrument, um Einfluss auf das Fremdbild – Images und Reputation – zu nehmen. In letzter Konsequenz heisst das, dass der Begriff «Reputationsmanagement» Unfug ist, denn Reputation lässt sich nicht steuern oder managen. Man kann aber die Marke steuern und über die Marke versuchen, die Images und deren Aggregationspro­ zess zur Reputation zu beeinflussen. Ohne Frage hat auch jeder Mensch eine ei­ gene Identität, die Niederschlag in seinem Verhalten findet. Jeder Mensch hat aber auch ein Idealbild von sich, das man – ana­ log zum Corporate Brand – als «Personal Brand» bezeichnen könnte. Das Verhalten und das Auftreten des Einzelnen kreieren ein gewisses Image, und das Image, über das sich verschiedene Personen austau­ schen, begründet wiederum die Reputati­ on dieser Person. Diese Zusammenhänge sind von grosser Relevanz für den Umgang mit Social Media. Social Media sind für Individuen gedacht. Social Media sind DAS Instru­ ment, mit dem sich einzelne Menschen miteinander verknüpfen. Dies wirft die Frage auf, ob Unternehmen überhaupt eine Daseinsberechtigung in den Social Media haben. Gerade weil die Nutzer von Social Media mit einzelnen Menschen in Kontakt treten, müssen sich die Unter­ nehmen ihre Social-Media-Strategie sehr gut überlegen: Was bedeutet deren Einsatz für die Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens, für die Reputation des Unternehmens, und wie wirken sich
  • 16. 16 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media auf die einzelnen Vertreter des Unternehmens aus? Darauf hat das Unternehmen nur bedingt Einfluss, denn es kann seinen Mitarbeitern nicht in allen Einzelheiten vorschreiben, wie sie sich auf Social-Media-Plattformen zu verhalten haben. Genau das ist die Knacknuss: Die Grenze zwischen Arbeitswelt und Privat­ welt wird in den Social Media nicht gezo­ gen. Jede vermeintlich private Äusserung über das Unternehmen hat Auswirkungen auf dessen Reputation. Diese Tatsache birgt nicht nur Gefahren; sie eröffnet auch Chancen. Bringt sich ein Mitarbeiter in intelligenter und kompeten­ ter Weise in die Social Media ein, kann der Arbeitgeber davon profitieren. Ein solch positiver Effekt kommt vor allen dann zum Tragen, wenn es um Experten geht. Wenn beispielsweise der Chef-Volkswirt einer Bank einen eigenen Blog einrichtet, um die Situation an den Finanzmärkten zu erklären, erreicht er womöglich viele Follower. Dadurch kann der Experte nicht nur seine persönliche Reputation erhö­ hen, sondern auch die seines Arbeitge­ bers. Auch wenn Mitarbeiter im privaten Bereich sympathisch auftreten, kann dies durchaus einen positiven Effekt auf das Unternehmen haben. Social Media akzentuieren somit einen Grundsatz der Markensteuerung: Das Aussenbild wird in erster Linie durch das Verhalten eines jeden Einzelnen geprägt. Verhaltensweisen lassen sich erklären und vorleben, aber nicht verordnen. Die heuti­ ge Generation von Mitarbeitern akzeptiert es nicht mehr, durch Hierarchien mundtot oder von Entscheidungsprozessen ausge­ schlossen zu werden. Junge Mitarbeiter erwarten, dass sie Stellung beziehen kön­ nen und ihre eigenen Massstäbe anlegen dürfen. Institutionen müssen sich dem Verdikt der Einzelnen stellen und sich an individuellen Massstäben messen lassen. Dies bedeutet vor allem eines: Man muss sich am gesunden Menschenverstand ausrichten und sein Handeln mit dem gesunden Menschenverstand erklären können. Hier liegt die positive Botschaft: Um erfolg­ reich mit Social Media umzugehen, muss man sich an dem orientieren, worüber ein gesellschaftlicher Konsens besteht, was als «akzeptiert und in Ordnung» gilt. Wenn sich ein Unternehmen so verhält, wie sich ein Mensch verhalten würde, ist es auf der sicheren Seite. Denn Organisationen werden heute an den gleichen Massstäben gemessen wie Individuen. In der Praxis ist das nicht immer ganz einfach. Ein Unter­ nehmen verkörpert ein System aus Struk­ turen, Prozessen und Hierarchien. Dahin­ ter stehen zahlreiche und unterschiedliche Menschen, die ihre eigene Sichtweise haben, sich zum Teil aber auch selbst und gegenseitig den Blick versperren – hin und wieder auch den Blick auf das, was der gesunde Menschenverstand vorgibt.
  • 17. Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 17 Wie PwC die Social Media nutzt Ein kurze Chronologie zeigt, wie PwC in der Schweiz Social Media nutzt und wie rasch der Fortschritt dieser Medien den Einsatz vorantreibt: Den Anfang machte PwC im Jahr 2005 mit einer Social-Media-Kampagne. Die Werbekampagne «Gute Fragen» wurde von einem internen Blog und ei­ ner eigenen externen Plattform begleitet. Beide dienten dazu, gute Fragen zu sammeln, zu bewerten und zu beantworten. Allerdings ist es nicht gelungen, diese Plattform am Leben zu erhalten, was wohl ein typisches Phänomen für Social-Media-Kampagnen mit eigenen Plattformen ist. Zur gleichen Zeit setzte PwC das Netzwerk XING ein. In einer ersten Phase lag das Ziel primär darin, zu wissen, wer zu wem Kontakt hat. Es ging um klassisches Networking; XING diente als Medium, um an Menschen heran­ zukommen, zu denen man noch keinen direkten Zugang hatte. In der zwei­ ten Phase griff PwC auf weitere Möglichkeiten von XING zurück und setzte das Netzwerk für ihre Alumni-Aktivitäten ein. Es galt, die eigene Präsenz auf XING aufzubauen, damit sich Alumni dort untereinander und mit PwC vernetzen. Auf diese Weise hatte PwC erstmals eine «Corporate-Präsenz» auf XING. Zu YouTube kam PwC eher ungewollt; hier drohte ein Verlust der Deutungs­ hoheit. Nachdem Mitarbeiter Videos von PwC auf YouTube gestellt hatten, entschloss sich PwC, eigene Filme auf YouTube zu laden, mit dem Ziel, dass diese prominenter erscheinen als die unautorisierten. Der nächste Schritt war die Nutzung von Twitter. PwC verwendet Twitter für die Medienarbeit. Informationen, die früher als klassische Newsletter an die Journalisten verschickt wurden, werden diesen heute auch über Twitter zur Verfügung gestellt. Mittlerweile hat PwC in der Schweiz 1000 Follower auf dem Twitter Account. Ein erfreulicher Nebeneffekt: Auch Mitarbeiter informieren sich zunehmend über Twitter. 2009 folgte Facebook. Dieses Netzwerk nutzt PwC hauptsächlich zu Re­ krutierungszwecken. PwC will dort so präsent sein, dass junge Leute, die sich für eine Arbeitsstelle interessieren, erste Informationen über die Firma finden und über Facebook mit PwC Kontakt aufnehmen können. Für PwC hat sich relativ schnell herauskristallisiert, dass sich die einzelnen Social-Media-Plattformen jeweils für bestimmte Zielgruppen eignen: XING für Business-Kontakte, Twitter für Medienarbeit und Facebook für das Anwerben junger Mitarbeiter. Derzeit prüft PwC, wie sich die Geschäftskon­ takte über LinkedIn erweitern lassen, ein Netzwerk das jenseits des deutsch­ sprachigen Raums bekannter als XING ist. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass PwC ihr Logo 2010 auch mit Blick auf die digitalen Einsatzmöglichkeiten erneuert hat. Das neue Logo ist kompakter und so gestaltet, dass es über verschiedene bewegliche Elemente attraktiv für digitale Anwendungen ist. Die Einführung des neuen Markenauftritts begann denn auch im digitalen Bereich. Es war die PwC- Website, die der Öffentlichkeit den neuen Auftritt zuerst vermittelte. Parallel zur Lancierung des neuen Logos hat PwC mit der Erarbeitung einer digitalen Strategie begonnen. Dieses Thema geht PwC nicht als isolierte Marketingaufgabe an, sondern stellt es in den Kontext der Social Collabo­ ration, eines brennenden Themas für das Wissensmanagement. Dies zeigt auch: Social Media sind ein Phänomen, das verschiedene Unternehmens­ bereiche angeht, und jeder sollte es aus seinem spezifischen Blickwinkel heraus betrachten.
  • 18. 18 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Quintessenz Social Media sind gesellige Medien. Sie beeinflussen alle Lebensbereiche, und gerade weil sie gesellig sind, verschwimmen die Trennlinien zwischen den Bereichen: Kulturelles, politisches und privates Leben gehen ineinander über, Freizeit und Arbeitswelt verschmelzen. Die digitale Öffentlichkeit, die wertet und Stellung bezieht, wird omnipräsent. Unternehmen können sich der neuen Geselligkeit nicht entziehen. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Social Media in ihre Konzepte und Strategien zu integrieren. Sie müssen gesellig nach innen sein, denn die heutigen Mitarbeiter wollen mitreden. Sie müssen gesellig nach aussen sein, um die Deutungshoheit über ihre Marke und ihre Produkte nicht oder zumindest nur teilweise zu verlieren. Social Media werden immer stärker zum reputationsprägenden Faktor. Wer Social Media ignoriert, gibt ein wichtiges Instrument der Markenführung aus der Hand. Die Art und die Intensität der Geselligkeit wollen indes gut überlegt sein. Orientierung geben dabei die vier Fragen: Warum? Für wen? Was? Wie? Die Antworten darauf bilden die Leitplanken für eine integrierte Stra­ tegie im Umgang mit Social Media.
  • 19. Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? Social Media | 19 Quellenverzeichnis 1 Die Geschichte von Taki Aldin basiert auf dem Buch «Die unbekannte Mitte der Welt – Globalgeschichte aus islamischer Sicht» von Tamim Ansary, Campus Verlag, 2010 2 www.huffingtonpost.com/beverly-macy 3 Lon Safko: The Social Media Bible: Tactics, Tools, and Strategies for Business Success, second edition, Verlag Wiley, London, Oktober 2010 4 Eliane Bucher, Christian Fieseler, Miriam Meckel: Cowboys and Cowards, in: Communication Director, Ausgabe 2/2011, S. 24–27 5 Der Spiegel, Ausgabe 49/2011, S. 70–81; Facebook-Statistik, abrufbar unter www.facebook.com/press/info.php?statistics 6 Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 17. November 2011 7 NZZ online, 10. Dezember 2011 8 NZZ, 3. September 2011 9 Die Zeit, Ausgabe 30/2011 vom 21.Juli 2011 (http://www.zeit.de/2011/30/Interview-Webcam) 10 siehe beispielsweise: www.jazzdrummerworld.com/musik/scorio- com-revolutioniert-das-komponieren-im-internet 11 Ein Beispiel ist neobooks.com von Droemer Knaur 12 Der Spiegel, Ausgabe 49/2011, S. 70–81; vgl. auch: http://www.fastcompany.com/magazine/160/tech-wars-2012- amazon-apple-google-facebook 13 Die Zeit, Ausgabe 31/2011 vom 28. Juli 2011 14 Süddeutsche Zeitung, 7. Januar 2012 15 NZZ am Sonntag, 27. November 2011 16 H. James Wilson, PJ Guinan, Salvatore Parise, and Bruce D. Weinberg: What’s Your Social Media Strategy?, in Harvard Business Review, July-August 2011, S. 23–25 17 http://laurelpapworth.com/7-levels-of-social-media-engagement 18 http://www.cluetrain.com 19 NZZ, 2. September 2011 20 ebenda 21 NZZ online, 23. November 2011
  • 20. 20 | Social Media Wie gesellig ist Ihr Unternehmen? www.pwc.ch