Jörg Pfannenberg (Hg.): Veränderungskommunikation. So unterstützen Sie den Change-Prozess wirkungsvoll. 3. Auflage mit Web 2.0 und neuen Fallstudien
http://www.amazon.de/Ver%E4nderungskommunikation-unterst%FCtzen-Sie-Change-Prozess-wirkungsvoll/dp/3899813081
JP│KOM: Neuauflage „Veränderungskommunikation“: Union Investment – Implementierung des neuen Unternehmensleitbilds
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7 Neuausrichtung der Unternehmensstrategie
Union Investment – Implementierung des
neuen Unternehmensleitbilds
Ingo Heinz und Anke Bihn
Projektsteckbrief
Unternehmen Union Investment
Projekt Implementierung des neuen Unternehmensleitbilds
Fokus • Bekanntheit des neuen Leitbilds bei den Mitarbeitern
• Identifikation der Mitarbeiter mit dem neuen Leitbild
• Verinnerlichung des neuen Leitbilds und Verbindung zur
eigenen Arbeit herstellen
• Motivation der Mitarbeiter, an der Erfüllung des Leitbilds
mitzuarbeiten.
Zentrale Maßnahmen • Führungskräftetreffen
• MitarbeiterForum
• Teamworkshops (Kaskade)
• Toolbox für die Teamarbeit
• Intranet/Vorstandsblog
Das Veränderungsprojekt
Mit rund 4,5 Millionen Kunden ist die Union Investment Gruppe einer
der führenden Fondsanbieter in Deutschland und bietet Asset Manage-
ment für private und institutionelle Anleger. Das Leistungsspektrum
reicht von Renten-, Wertpapier- und Immobilienfonds über Vermögens-
verwaltung bis hin zu branchen- und firmenspezifischen Angeboten der
betrieblichen Altersvorsorge.
Insgesamt verwalten über 2.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Kun-
dengelder in Höhe von über 170 Milliarden Euro (Ende 2011). Zahlreiche
Auszeichnungen – zum Beispiel zehn Mal in Folge „Fünf Sterne“ bei
Capital – belegen die Exzellenz und den überdurchschnittlichen Erfolg
von Union Investment in ihren Märkten. Allerdings sieht sich Union In-
vestment vor neue Herausforderungen gestellt:
• Veränderte Kapitalmärkte mit kürzeren Zyklen, höherer Volatilität und
geringeren Renditen
• Veränderte Kundenbedürfnisse, insbesondere eine geringere Risikobereit-
schaft und höhere Ansprüche an Serviceleistungen und Transparenz
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• Zunehmende Regulierung mit Wirkungen auf die Produkt- und Lösungs-
angebote, die internen Prozesse und damit auf Kosten und Erträge.
Nach der akuten Bewältigung der Finanzkrise und der nachfolgenden
Stabilisierung hat der neuformierte Vorstand von Union Investment 2010
einen Prozess zur Weiterentwicklung angestoßen: Aus der Analyse der
veränderten Umweltbedingungen folgte 2011 eine umfangreiche Revi-
sion des Leitbilds. Teilweise überlappend schlossen sich weitere Verän-
derungsphasen auf Holding- und Segmentebene an (vgl. Abbildung 53).
Das bis dahin gültige Leitbild aus dem Jahre 2001 hatte an Strahlkraft
verloren: Die damalige Mission „Union Investment ist das zentrale Asset
Management Kompetenzzentrum des genossenschaftlichen Finanzver-
bunds“ und die Vision „Nr. 1 oder Nr. 2 in allem was wir tun“ waren
eingelöst. Mission und Selbstverständnis schienen den neuen Herausfor-
derungen nur zum Teil gerecht zu werden. In einem mehrstufigen Pro-
zess entwickelten Vorstand und erste Führungsebene bis Sommer 2011
das neue Leitbild:
Das neue Unternehmensleitbild von Union Investment
Mission: Wir vermehren das Vermögen der Anleger und verdienen uns
so ihr Vertrauen.
Vision: Unser Anspruch ist es, in einer sich ständig verändernden Welt
stets die beste Lösung zu bieten. Wir handeln schnell und setzen unsere
Innovationskraft für eine erfolgreiche Zukunft im Vermögensmanage
ment ein.
Selbstverständnis: Genossenschaftliches Selbstverständnis, Partnerschaft
lichkeit, Professionalität, Transparenz.
Kommunikationssituation
Das neue Leitbild gab Antworten auf die Frage, wie Union Investment
seine bisherigen Erfolge vor dem Hintergrund der aktuellen Herausfor-
Abbildung 53: Prozess zur Weiterentwicklung von Union Investment
Außenansicht:
Veränderung der
Umwelt
Innensicht:
Neues
Leitbild
Weiter-
entwicklung
Holding und
Stabsfunktionen
Weiter-
entwicklung
Geschäfts-
modell
Zielvorgaben
• Kapitalmärkte
• Absatzmärkte
• Regulierung
• Mission
• Vision
• Selbst-
verständnis
• Reflektieren
Außen- und
Innenansicht
• Reflektiert
Außen- und
Innenansicht
• Zukunftsfähig-
keit von Uni0n
Investment
sichern
3. 220
derungen fortschreiben kann. Die Implementierung musste allerdings
folgende Schwellen überwinden:
• Angesichts des überdurchschnittlichen Erfolges von Union Investment
war der „Sense of Urgency“ (die Einsicht in die Veränderungsnotwen-
digkeit) bei dem Großteil der Führungskräfte und Mitarbeiter nur
schwach ausgeprägt.
• Der Wettbewerb zwischen den Bereichen war in der Vergangenheit
möglicherweise einer der Motoren für den Erfolg; die Sicht auf das
Gesamtunternehmen war dadurch teilweise verstellt.
• Das neue Leitbild markiert keinen aufmerksamkeitsstarken Bruch mit
der Vergangenheit. Es ist eine sinnvolle Weiterentwicklung, deren Ver-
änderung zum alten Leitbild in einigen Passagen nur auf den zweiten
Blick wahrnehmbar ist.
• Das Leitbild weist einen hohen Abstraktionsgrad auf, der Bezug zur
eigenen Arbeit liegt nicht auf der Hand.
Aus der Sicht der beratenden Kommunikationsagentur JP|KOM zeich-
net sich die Unternehmenskultur von Union Investment im Unterschied
zu Produktionsunternehmen darüber hinaus durch die Besonderheit
aus, dass wesentliche Entscheidungen über konsensuell orientierte Mei-
nungsbildungsprozesse (Koorientierung, vgl. Bürker 2013: 66 ff.) getrof-
fen werden. Dabei stehen Gespräche und reflexive Schleifen, weniger
formalisierte Abläufe, Schriftlichkeit und Controlling im Mittelpunkt.
Aufgaben der Veränderungskommunikation
Die Aufgabe bestand darin, das neue Leitbild bei Führungskräften und
Mitarbeitern zu implementieren:
• das neue Leitbild bei den Mitarbeitern bekannt machen,
• die Identifikation der Mitarbeiter mit dem neuen Leitbild stärken,
• die Verinnerlichung des neuen Leitbilds fördern, so dass die Mitarbei-
ter die Verbindung zur eigenen Arbeit herstellen,
• die Mitarbeiter motivieren, an der Erfüllung des Leitbilds mitzuarbei-
ten.
Kommunikationsstrategie
Umformung in Handlungsätze. Um das neue Leitbild als Handlungsorientie-
rung für die Teams in ihrer täglichen Arbeit greifbar zu machen, wurde
es in zehn einfache Handlungsaufforderungen übertragen (z. B. „Vermö-
4. 221
gen vermehren“, „Vertrauen verdienen“, „Innovativ vorangehen“ etc.).
Das abstrakt formulierte Leitbild wirkte so alltagstauglicher und – durch
seine aktiven Formulierungen – auffordernd und motivierend (vgl. Ab-
bildung 54).
Gespräche und Öffentlichkeit statt Projektmanagement. Im Kontext der konsen-
suellen und gesprächsorientierten Unternehmenskultur bei Union In-
vestment verboten sich rigide Steuerungs- und Controllingprozesse des
Veränderungsmanagements, wie sie in Industrieunternehmen üblich
sind (vgl. Heimerzheim et al. 2009: 201). Es bedurfte eines Mittelwegs:
mehr freie Diskussionsrunden, aber keine harte Durchsteuerung mit Re-
porting-Strukturen. Im Wechsel zwischen Unternehmensöffentlichkeit
und Teamgesprächen – zwischen Informieren und Emotionalisieren,
Aktivieren und unternehmensweiter Reflektion – wurde die Betriebs-
temperatur schrittweise erhöht. Die Mitarbeiter konnten sich aktiv und
inhaltlich offen mit dem Leitbild auseinandersetzen und selbst entschei-
den, wie sie es umsetzen.
Storybuilding. Der kreative Ansatz des Storytellings ist der Narrativen Psy-
chologie entlehnt. Demnach hilft das (gemeinsame) Entwickeln von Ge-
schichten aus der Perspektive des Hier und Jetzt, dem Erlebten Sinn zu
verleihen und Zukunft zu entwerfen (vgl. Sarbin 1986: 18). Im Business-
Kontext wird kollektives Storytelling zunehmend eingesetzt, um in Grup-
pendiskussionen die Vergangenheit zu interpretieren und ein Bild von
Abbildung 54: Übersetzung des Leitbildes in Handlungssätze
Transparenz
fördern
Vermögen
vermehren
Vertrauen
verdienen
Sich professionell
verhalten
Die beste Lösung
bieten
Partnerschaftlich
handeln
Schnell
handeln
Genossenschaftliches
Selbstverständnis leben
Innovativ
vorangehen
Flexibel
entscheiden
Mission
Vision
Selbstverständnis
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der gemeinsamen Zukunft zu entwerfen. Bei dieser Art von „Storybuil-
ding“ beeinflussen sich die Teammitglieder gegenseitig, die Gruppe ent-
wickelt eine gemeinsame Perspektive (vgl. Jameson 2001: 477). Der Story
telling-Ansatz wurde verbunden mit der Kreativtechnik „Brainwriting“
(vgl. Geschka et al. 1976: 49): Ein Teilnehmer beginnt mit einem Satz der
Geschichte, der zweite Teilnehmer schreibt den zweiten Satz und so wei-
ter. Das zentrale Tool der Kampagne zur Implementierung des Leitbilds,
der Leitbild-Workshop, gibt dabei die wesentlichen „Erzählschritte“ und
Formulierungen insbesondere für den Einstieg und den Schluss vor, zum
Beispiel „Wenn wir in Zukunft die beste Lösung bieten möchten, dann …“
und „Wir achten darum ab jetzt auf …“.
Handschrift in Claim und Gestaltung der Kampagne. Mit dem Claim „Wir schrei-
ben Geschichte“ stellt die Kommunikationskampagne das zentrale Tool
für die Implementierung in den Mittelpunkt: das gemeinsame Storybuild
ing der Teams aus dem Gespräch heraus. Durch seine zweite Bedeutung
„Geschichte schreiben“ lädt der Claim die Implementierung des Leitbildes
mit Relevanz auf und stellt die entscheidende Rolle der Mitarbeiterteams
in den Vordergrund. Ungewöhnlicherweise – aber schlüssig aus der Un-
ternehmenskultur und der Vorgehensweise/dem Tool entwickelt – wird
die Schrift zum entscheidenden Element der Kampagnengestaltung. Die
Handschriftlichkeit betont den „subjektiven“ Storybuilding-Ansatz. Die
Weichheit der Linien setzt sich deutlich von Projektmanagement-Instru-
menten ab. Die Mehrfarbigkeit der Schriften und die Tatsache, dass beim
Storybuilding jeder Satz eines Teammitglieds in einer anderen Schrift er-
scheint, verdeutlichen unmittelbar die Vorgehensweise und zeigen, dass
diese Geschichte eine Teamerzählung aus mehreren Einzelbeiträgen ist.
Jedes Medium wirkt damit sehr authentisch und nah(bar).
Abbildung 55: Der Wechsel von Unternehmens- und Teamöffentlichkeit
„schaukelt das Thema hoch“
Unternehmensöffentlichkeit
2)
3. Reflektieren: Workshop-Ergebnisse aller
Teams gehen über das Intranet zurück ins
Unternehmen. Eigene Ergebnisse können im
Kontext anderer reflektiert und diskutiert werden
1. Informieren und Emotionalisieren:
Leitbild wird an Veranstaltungen
den Führungskräften und
Mitarbeitern vorgestellt
Teamöffentlichkeit
2. Aktivieren: Teamworkshops
zur gemeinsamen
Auseinandersetzung
mit dem neuen Leitbild