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Wild
48
Text & Fotos: Moritz Kempf
Wald, Wiesen und Natur kennen wir von
Kindesbeinen an. Doch auch diese Fassade
hat seine Tiefe. Nico lebt diesen Kontrast
selbst – und ermöglicht uns so einen Blick
hinter die Kulissen.
Wir erinnern uns an Erde unter unseren Finger­
nägeln, die wir bemerkten als wir beim Hüttenbau
im Wald kurz inne hielten. Die dunkelbraune
Färbung des Waschbeckens beim Händewaschen
nach einem ausgiebigen Tag auf Erdhügeln und
Bolzplätzen ist für einige heute eine Erinnerung
an Freiheit und Unbeschwertheit.
So, wie damals unsere Eltern im Hintergrund
die verschmutzte Wäsche gewaschen und das
Treppenhaus gekehrt haben, waren es Förster wie
Nico, welche unsere Besuche in den Wäldern zu
unvergesslichen Momenten machen.
Er ist einer dieser »Waldverwalter«. Er ist
gebürtiger Koreaner. Südkoreaner, wie er bewusst
betont. Er sitzt zusammen mit seiner Freundin
und seinem Hund »Bär« mit mir am Tisch im
Clubhaus seiner Ersatzfamilie, dem »Black Devils
MC«, wobei das »MC« für Motorrad Club steht.
Nico ist Kuttenträger beim Chapter Bodensee
und ist vollwertiges Mitglied. Der Motorrad Club
bedeutet ihm sehr viel, seine Kollegen sind für ihn
wie Brüder, erzählt er mir mit leuchtenden Augen.
Ich blicke mich um. Das Clubhaus ist dunkel, hier
wurde viel schwarzgemalt. Die Gruppenbilder
an der Wand zeigen dunkel gekleidete Männer,
manchmal auch Frauen. Das Leder an ihren Kör­
pern ist mit Lettern und Symbolen bestückt, die
sichtbare Haut meist großflächig tätowiert.
Als werdendes Clubmitglied, dem sogenann­
ten Prospekt, muss man eine lange Zeit zum Teil
harte Proben bestehen, um damit unter Beweis zu
stellen, dass man es ernst mit der Mitgliedschaft
meint. Dabei gibt es oft sehr amüsante Momen­
te, berichtet mir Nico. Nebeneffekt, welcher den
Zusammenhalt des Clubs noch stärkt, ist das
gesellschaftliche Bild. Motorradfahrer, welche in
schwarzen Lederkutten die Zugehörigkeit zu ih­
rem Chapter zur Schau stellen, sind im Volksmund
Verbrecher, Geächtete, Heimatlose und gewalttäti­
ge Menschen.
Mit vier Jahren kam Nico von Südkorea nach
Deutschland und wurde im Kindergarten einge­
gliedert. Seine Eltern, die Mutter aus Südkorea
und sein Vater aus Deutschland, beschlossen, sich
in der Heimat des Vaters niederzulassen.
Die regelmäßigen Besuche in Südkorea hat
Nico seit dem 13. Lebensjahr nicht weiter verfolgt.
Der Kontakt zur Großmutter brach bis heute
jedoch nicht ab.
»Als mein Vater sich erschossen hat, landeten
meine Mutter und ich auf der Straße. Wir hatten
keinen Kontakt zum deutschen Familienteil und
waren komplett auf uns alleine gestellt.« Der Satz
sitzt und rollt so unbeschwert und dabei authen­
tisch über seine Lippen, dass man daran ableiten
kann, wie stark und stabil dieser junge Mann ist.
Sein Schicksal konnte er unter anderem als
Mitglied im »Black Devils MC« verarbeiten. Dort
hat man ihn aufgefangen und mit einem Werte­
Er
sieht
etwas,
das
du
nicht
siehst
49
laendlemagazin.com
system und Regeln versehen, die ihn aufbauten
und ihm den notwendigen Halt gaben und geben.
Ein Wald ist ein Betrieb
Eine starke Verbindung, welche Nico über den
Tod hinaus mit seinem Vater hat, ist die Leiden­
schaft für die Natur. »Er hätte selbst gerne Förster
werden wollen, doch die Ausbildung war für ihn
damals nicht erschwinglich. Er wollte mir seinen
Traum ermöglichen, ohne dass er mich dazu
zwang!« Aus reiner Neugier absolvierte Nico ein
zweiwöchiges Praktikum zur Berufsorientierung
in einem Forstbetrieb während der 8. Klasse.
»Dann hat’s Klick gemacht!«, so Nico.
Die Aufgaben eines Försters sind so vielseitig,
dass man sehr schnell versteht, warum man diesen
Beruf studieren muss. Bei einem Spaziergang
durch den Wald erklärt er mir jede Pflanzenart auf
Anhieb. Er kann lesen, ob ein Baum gesund oder
angeschlagen ist, und sieht im Wildwuchs von
Maiglöckchen ein Zeichen für einen sehr basen­
haltigen Boden.
»Viele Menschen denken, Wald ist Natur, die
sich selbst überlassen wird.«, erklärt er mir.
»Dabei ist ein Wald ein komplexes Gebilde,
welches von Menschenhand erschaffen wurde.«
Die Wälder, so wie wir sie kennen, sind die Ar­
beit hunderter Förster, die alle ihr eigenes Revier
haben und dort verantwortlich für die Instand­
haltung, Pflege und Regulierung sind. Ein Förster
sieht den Wald als harmonisches Konstrukt. Da
es lebendig ist, muss es stets gepflegt und organi­
siert werden. Dabei benötigt es ein Gefühl und das
Auge für die Natur im Detail.
Wer schon einmal durch den Wald spaziert
ist und sich wunderte, wieso Reifenprofile, die
auf riesige Baumaschinen schließen lassen, im
Waldboden zu erkennen sind, der hat die Spu­
ren der Waldarbeiter bemerkt. Die sogenannten
Rückegassen ziehen sich wie ein geometrisches
Netz durch die Wälder. Sie werden befahren, wenn
gefällte Bäume abtransportiert werden müssen.
Anders als befestigte Kieswege, wachsen Rücke­
gassen wieder zu. Das ist der Grund, wieso sie
meist sehr weich und matschig und die Reifenspu­
ren dadurch gut sichtbar sind.
»Ich glaube, das Wort Zufall hat seinen
Ursprung in der Forstwirtschaft«, bemerkt Nico
lachend. »Die Bäume, die gefällt werden, müssen
immer in Richtung der Rückegasse fallen. Das
kann man beim Ansägen berücksichtigen. Diesen
Vorgang nennt man den Zufall.«
Genauso wie »Den Finger krumm machen«,
womit man den Finger am Abzug einer Jagdwaffe
meint, Sinnbild für die anstrengende Arbeit auf
der Jagd ist.
Beim weiteren Spazieren fallen mir einige
morsche, tote Bäume auf, die halbhoch wie Ge­
spenster im Wald stehen. Auf Nachfrage erklärt
mir Nico, dass das sogenannte Totholz, welches
absichtlich im Wald stehen oder liegen gelassen
wird, Lebensraum für Tiere ist. Im Prozess der
Rückführung wird der Baum sich selbst überlassen
und sehr langsam zersetzt.
Bevor er ein Teil des Humus wird, siedeln sich
dort Käfer, Würmer und andere Lebewesen an.
»Das muss man sich vorstellen wie das Schiffs­
wrack, das man absichtlich im See versenkt, um
Fischen und anderen Lebewesen einen Lebens­
raum zu geben.«, erfahre ich.
»Es gibt viele Modelle, die zeigen, dass wir
Menschen es einfach nicht verstehen wollen und
vorsätzlich unseren Lebensraum zerstören. Eines
davon ist der Plantagenbau. Damit wird versucht,
das Reifen von Nutzpflanzen künstlich zu be­
schleunigen, um schneller ernten zu können. Das
ist Raubbau am Boden, da ihm durch die soge­
nannte Monokulturen die Nährstoffe und Mine­
ralstoffe entzogen werden.« Nicos Erregung ist
spürbar und ich frage nach mehr Info: »Die Arbeit
des Försters geschieht immer mit den natürlichen
Prozessen. Die Arbeit richtet sich an der Natur
aus, nicht die Natur an uns. Das geht nie gut!«
Im weiteren Gespräch lerne ich, dass die
Produkte der forstwirtschaftlichen Arbeit das
Wild oder das Holz sind. Die Arbeit wird an den
Festmetern Holz gemessen, welche aus dem Wald
kommen. Ein Festmeter entspricht ca. einem
Kubikmeter.
Es ist erstaunlich, wenn man sich vorstellt, dass
es ca. 100 Jahre dauert, bis der Prozess eines Waldes
vollständig funktioniert. Junge Bäume werden an
den passenden Stellen zugepflanzt und wachsen kon­
trolliert. Alte Bäume werden abgeholzt und fließen
zum Teil in die Humusbildung mit ein. Der Humus
hält den Boden nährstoffreich und versorgt damit
die heranwachsenden Jungbäume und Pflanzen.
Ein Baum wird erst dann gefällt und das Holz
verarbeitet, wenn er krank ist oder zu dominant
wird. Man achtet auf den Ausgleich und investiert
in die Pflege.
»Das hier ist die Pest! Da haben wir uns echt
was Blödes importiert!«, grummelt Nico und zeigt
auf einen großen Büschel neben dem Weg.
50
Wild
Nach dem Selbstmord meines Vaters fand ich im
»Black Devils MC« eine neue Familie. Der Club
bedeutet mir sehr viel, meine Kollegen sind wie Brüder .
51
laendlemagazin.com
Er meint das indische Springkraut, das im
Wald als rosa blühendes, hochwachsendes Un­
kraut zu erkennen ist und in Europa als invasiver
Neophyt gilt. »Dieses Kraut raubt Nährstoffe aus
dem Boden und nimmt anderen Pflanzenarten den
Lebensraum weg. Es ist in unserer Gegend weit
verbreitet und vermehrt sich rasant. Zum Glück
wächst das nur in sehr feuchten Gebieten, sonst
hätten wir das überall im Wald!«
Jage nur, was du auch töten kannst
Wir laufen auf eine Lichtung. Der Boden ist
sehr weich, ich sinke jedoch nicht ein, weil eine
Grasschicht mich daran hindert. Mein Blick wan­
dert umher und bleibt an einem orangen Haufen
haften, der irgendwie unnatürlich und platziert
aussieht.
»Das ist Apfeltrester«, kommt Nico meiner
Frage zuvor. »Das positioniert man immer dort,
wo man freie Sicht auf das Wild hat, das diese
Köstlichkeit fressen wird.« Nico blickt umher
und macht den einzigen Hochsitz am Waldrand
aus. »Ah ok, sitzt keiner drin! Ich musste gerade
schnell überprüfen, ob wir in der Schussbahn sind
und einen Jäger stören.«
Trester ist das Abfallprodukt aus der Kelterei
und ist ein natürliches Lockmittel für Rehe und
Wildschweine. »Es riecht so gut, dass die Tiere um
sich herum fast alles vergessen«, ergänzt Nico.
Die Vorstellung, alleine und fernab der Wege
durch den Wald zu laufen oder dort zu spielen, ist
magisch. Im Gegensatz zu Kanada, wo man unter
Umständen von Cougars gejagt wird, ist das bei
uns eher ungefährlich, denken viele.
»Wenn dir ein süßlicher, sehr intensiver
Gestank in die Nase steigt, oder du eines dieser
kleinen, süßen Wildschweinchen im Wald sehen
solltest, dann nimm die Beine in die Hand und
renne in die entgegengesetzte Richtung!«, legt mir
Nico nahe. Er ergänzt: »Die Bache ist in solchen
Fällen nicht weit und diese Tiere können ausge­
wachsen in so einer Situation zu einem großen
Wenn du eines dieser kleinen, süssen
Wildschweinchen im Wald sehen solltest,
dann nimm die Beine in die Hand
und renne in die entgegengesetzte Richtung!
52
Wild
Problem werden. Die sich verteidigende Mutter
rennt auf dich zu und haut dir ihre Stoßzähne
in die Innenschenkel. Dort verläuft eine Haupt­
schlagader und du könntest verbluten. Es gab zwar
nicht viele Zusammenstöße hier in der Gegend,
doch wenn, dann waren das Geschichten für’s
Krankenhaus!«
Ich glaube es zwar kaum, aber Nico prognos­
tiziert, dass wir in drei bis vier Jahren auch in
unseren Wäldern wieder Wölfe erwarten kön­
nen. Diese würden sich über den Osten in Ba­
den­Wurthemberg und Vorarlberg ansiedeln und
so immer weiter vorrücken, erklärt er mir.
Die Jagd ist nichts anderes als ein weiterer
Regulierungsprozess im Forstbetrieb. Man schützt
Bestände vor Überbevölkerung und Krankheiten.
»Diese Vegikultur hat gute Ansätze, doch
wissen die meisten von denen, die mich als Jäger
kritisieren, nicht, dass ich nicht willkürlich durch
den Wald renne und auf Tiere schieße. Bedeuten­
der Teil meiner Ausbildung war das Töten von
Wildtieren. Dort habe ich gelernt, wie man auf
große Distanz effektiv und schmerzfrei tötet. Das
reicht bis in die Anatomie, denn ich muss das Tier
ja später ausnehmen und das Fleisch für die Wei­
terverarbeitung vorbereiten.«
Der Spaziergang neigt sich dem Ende zu.
Meine Gedanken bleiben noch haften an diesem
schönen Erlebnis mitten im Grünen.
Nico ist ein Mensch der Kontraste. Der bunt
tätowierte Muskelberg mit Kampfsportausbildung,
der in seiner Kutte und mit der schwarzen Klei­
dung nahezu bedrohlich wirkt, ist aus der anderen
Perspektive ein aufmerksamer Zeitgenosse, der
sich liebevoll um Hund und Freundin kümmert
und mit enormem Wissen über unsere so ge­
schätzte Natur beeindruckt.
Er ist einer, der einst im Wald Hütten baute
und heute selbst dafür sorgt, dass das auch weiter
möglich sein kann.
Nico ist derzeit auf der Suche nach einer Stelle
in der Forstwirtschaft. Er spielt aus dieser Not
heraus mit den Gedanken, ein Maschinenbau­
studium zu beginnen, weil er in seinem Beruf
keinen Job findet. »Ich möchte mal beide Seiten
gesehen haben: Der Förster bin ich schon. Jetzt
möchte ich lernen, wie solche riesigen Erntema­
schinen wie der ›Harvester‹ gebaut werden.«  
53
laendlemagazin.com

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Laendle Magazin 7 Warm 16 WILD

  • 1. Wild 48 Text & Fotos: Moritz Kempf Wald, Wiesen und Natur kennen wir von Kindesbeinen an. Doch auch diese Fassade hat seine Tiefe. Nico lebt diesen Kontrast selbst – und ermöglicht uns so einen Blick hinter die Kulissen. Wir erinnern uns an Erde unter unseren Finger­ nägeln, die wir bemerkten als wir beim Hüttenbau im Wald kurz inne hielten. Die dunkelbraune Färbung des Waschbeckens beim Händewaschen nach einem ausgiebigen Tag auf Erdhügeln und Bolzplätzen ist für einige heute eine Erinnerung an Freiheit und Unbeschwertheit. So, wie damals unsere Eltern im Hintergrund die verschmutzte Wäsche gewaschen und das Treppenhaus gekehrt haben, waren es Förster wie Nico, welche unsere Besuche in den Wäldern zu unvergesslichen Momenten machen. Er ist einer dieser »Waldverwalter«. Er ist gebürtiger Koreaner. Südkoreaner, wie er bewusst betont. Er sitzt zusammen mit seiner Freundin und seinem Hund »Bär« mit mir am Tisch im Clubhaus seiner Ersatzfamilie, dem »Black Devils MC«, wobei das »MC« für Motorrad Club steht. Nico ist Kuttenträger beim Chapter Bodensee und ist vollwertiges Mitglied. Der Motorrad Club bedeutet ihm sehr viel, seine Kollegen sind für ihn wie Brüder, erzählt er mir mit leuchtenden Augen. Ich blicke mich um. Das Clubhaus ist dunkel, hier wurde viel schwarzgemalt. Die Gruppenbilder an der Wand zeigen dunkel gekleidete Männer, manchmal auch Frauen. Das Leder an ihren Kör­ pern ist mit Lettern und Symbolen bestückt, die sichtbare Haut meist großflächig tätowiert. Als werdendes Clubmitglied, dem sogenann­ ten Prospekt, muss man eine lange Zeit zum Teil harte Proben bestehen, um damit unter Beweis zu stellen, dass man es ernst mit der Mitgliedschaft meint. Dabei gibt es oft sehr amüsante Momen­ te, berichtet mir Nico. Nebeneffekt, welcher den Zusammenhalt des Clubs noch stärkt, ist das gesellschaftliche Bild. Motorradfahrer, welche in schwarzen Lederkutten die Zugehörigkeit zu ih­ rem Chapter zur Schau stellen, sind im Volksmund Verbrecher, Geächtete, Heimatlose und gewalttäti­ ge Menschen. Mit vier Jahren kam Nico von Südkorea nach Deutschland und wurde im Kindergarten einge­ gliedert. Seine Eltern, die Mutter aus Südkorea und sein Vater aus Deutschland, beschlossen, sich in der Heimat des Vaters niederzulassen. Die regelmäßigen Besuche in Südkorea hat Nico seit dem 13. Lebensjahr nicht weiter verfolgt. Der Kontakt zur Großmutter brach bis heute jedoch nicht ab. »Als mein Vater sich erschossen hat, landeten meine Mutter und ich auf der Straße. Wir hatten keinen Kontakt zum deutschen Familienteil und waren komplett auf uns alleine gestellt.« Der Satz sitzt und rollt so unbeschwert und dabei authen­ tisch über seine Lippen, dass man daran ableiten kann, wie stark und stabil dieser junge Mann ist. Sein Schicksal konnte er unter anderem als Mitglied im »Black Devils MC« verarbeiten. Dort hat man ihn aufgefangen und mit einem Werte­ Er sieht etwas, das du nicht siehst 49 laendlemagazin.com
  • 2. system und Regeln versehen, die ihn aufbauten und ihm den notwendigen Halt gaben und geben. Ein Wald ist ein Betrieb Eine starke Verbindung, welche Nico über den Tod hinaus mit seinem Vater hat, ist die Leiden­ schaft für die Natur. »Er hätte selbst gerne Förster werden wollen, doch die Ausbildung war für ihn damals nicht erschwinglich. Er wollte mir seinen Traum ermöglichen, ohne dass er mich dazu zwang!« Aus reiner Neugier absolvierte Nico ein zweiwöchiges Praktikum zur Berufsorientierung in einem Forstbetrieb während der 8. Klasse. »Dann hat’s Klick gemacht!«, so Nico. Die Aufgaben eines Försters sind so vielseitig, dass man sehr schnell versteht, warum man diesen Beruf studieren muss. Bei einem Spaziergang durch den Wald erklärt er mir jede Pflanzenart auf Anhieb. Er kann lesen, ob ein Baum gesund oder angeschlagen ist, und sieht im Wildwuchs von Maiglöckchen ein Zeichen für einen sehr basen­ haltigen Boden. »Viele Menschen denken, Wald ist Natur, die sich selbst überlassen wird.«, erklärt er mir. »Dabei ist ein Wald ein komplexes Gebilde, welches von Menschenhand erschaffen wurde.« Die Wälder, so wie wir sie kennen, sind die Ar­ beit hunderter Förster, die alle ihr eigenes Revier haben und dort verantwortlich für die Instand­ haltung, Pflege und Regulierung sind. Ein Förster sieht den Wald als harmonisches Konstrukt. Da es lebendig ist, muss es stets gepflegt und organi­ siert werden. Dabei benötigt es ein Gefühl und das Auge für die Natur im Detail. Wer schon einmal durch den Wald spaziert ist und sich wunderte, wieso Reifenprofile, die auf riesige Baumaschinen schließen lassen, im Waldboden zu erkennen sind, der hat die Spu­ ren der Waldarbeiter bemerkt. Die sogenannten Rückegassen ziehen sich wie ein geometrisches Netz durch die Wälder. Sie werden befahren, wenn gefällte Bäume abtransportiert werden müssen. Anders als befestigte Kieswege, wachsen Rücke­ gassen wieder zu. Das ist der Grund, wieso sie meist sehr weich und matschig und die Reifenspu­ ren dadurch gut sichtbar sind. »Ich glaube, das Wort Zufall hat seinen Ursprung in der Forstwirtschaft«, bemerkt Nico lachend. »Die Bäume, die gefällt werden, müssen immer in Richtung der Rückegasse fallen. Das kann man beim Ansägen berücksichtigen. Diesen Vorgang nennt man den Zufall.« Genauso wie »Den Finger krumm machen«, womit man den Finger am Abzug einer Jagdwaffe meint, Sinnbild für die anstrengende Arbeit auf der Jagd ist. Beim weiteren Spazieren fallen mir einige morsche, tote Bäume auf, die halbhoch wie Ge­ spenster im Wald stehen. Auf Nachfrage erklärt mir Nico, dass das sogenannte Totholz, welches absichtlich im Wald stehen oder liegen gelassen wird, Lebensraum für Tiere ist. Im Prozess der Rückführung wird der Baum sich selbst überlassen und sehr langsam zersetzt. Bevor er ein Teil des Humus wird, siedeln sich dort Käfer, Würmer und andere Lebewesen an. »Das muss man sich vorstellen wie das Schiffs­ wrack, das man absichtlich im See versenkt, um Fischen und anderen Lebewesen einen Lebens­ raum zu geben.«, erfahre ich. »Es gibt viele Modelle, die zeigen, dass wir Menschen es einfach nicht verstehen wollen und vorsätzlich unseren Lebensraum zerstören. Eines davon ist der Plantagenbau. Damit wird versucht, das Reifen von Nutzpflanzen künstlich zu be­ schleunigen, um schneller ernten zu können. Das ist Raubbau am Boden, da ihm durch die soge­ nannte Monokulturen die Nährstoffe und Mine­ ralstoffe entzogen werden.« Nicos Erregung ist spürbar und ich frage nach mehr Info: »Die Arbeit des Försters geschieht immer mit den natürlichen Prozessen. Die Arbeit richtet sich an der Natur aus, nicht die Natur an uns. Das geht nie gut!« Im weiteren Gespräch lerne ich, dass die Produkte der forstwirtschaftlichen Arbeit das Wild oder das Holz sind. Die Arbeit wird an den Festmetern Holz gemessen, welche aus dem Wald kommen. Ein Festmeter entspricht ca. einem Kubikmeter. Es ist erstaunlich, wenn man sich vorstellt, dass es ca. 100 Jahre dauert, bis der Prozess eines Waldes vollständig funktioniert. Junge Bäume werden an den passenden Stellen zugepflanzt und wachsen kon­ trolliert. Alte Bäume werden abgeholzt und fließen zum Teil in die Humusbildung mit ein. Der Humus hält den Boden nährstoffreich und versorgt damit die heranwachsenden Jungbäume und Pflanzen. Ein Baum wird erst dann gefällt und das Holz verarbeitet, wenn er krank ist oder zu dominant wird. Man achtet auf den Ausgleich und investiert in die Pflege. »Das hier ist die Pest! Da haben wir uns echt was Blödes importiert!«, grummelt Nico und zeigt auf einen großen Büschel neben dem Weg. 50 Wild Nach dem Selbstmord meines Vaters fand ich im »Black Devils MC« eine neue Familie. Der Club bedeutet mir sehr viel, meine Kollegen sind wie Brüder . 51 laendlemagazin.com
  • 3. Er meint das indische Springkraut, das im Wald als rosa blühendes, hochwachsendes Un­ kraut zu erkennen ist und in Europa als invasiver Neophyt gilt. »Dieses Kraut raubt Nährstoffe aus dem Boden und nimmt anderen Pflanzenarten den Lebensraum weg. Es ist in unserer Gegend weit verbreitet und vermehrt sich rasant. Zum Glück wächst das nur in sehr feuchten Gebieten, sonst hätten wir das überall im Wald!« Jage nur, was du auch töten kannst Wir laufen auf eine Lichtung. Der Boden ist sehr weich, ich sinke jedoch nicht ein, weil eine Grasschicht mich daran hindert. Mein Blick wan­ dert umher und bleibt an einem orangen Haufen haften, der irgendwie unnatürlich und platziert aussieht. »Das ist Apfeltrester«, kommt Nico meiner Frage zuvor. »Das positioniert man immer dort, wo man freie Sicht auf das Wild hat, das diese Köstlichkeit fressen wird.« Nico blickt umher und macht den einzigen Hochsitz am Waldrand aus. »Ah ok, sitzt keiner drin! Ich musste gerade schnell überprüfen, ob wir in der Schussbahn sind und einen Jäger stören.« Trester ist das Abfallprodukt aus der Kelterei und ist ein natürliches Lockmittel für Rehe und Wildschweine. »Es riecht so gut, dass die Tiere um sich herum fast alles vergessen«, ergänzt Nico. Die Vorstellung, alleine und fernab der Wege durch den Wald zu laufen oder dort zu spielen, ist magisch. Im Gegensatz zu Kanada, wo man unter Umständen von Cougars gejagt wird, ist das bei uns eher ungefährlich, denken viele. »Wenn dir ein süßlicher, sehr intensiver Gestank in die Nase steigt, oder du eines dieser kleinen, süßen Wildschweinchen im Wald sehen solltest, dann nimm die Beine in die Hand und renne in die entgegengesetzte Richtung!«, legt mir Nico nahe. Er ergänzt: »Die Bache ist in solchen Fällen nicht weit und diese Tiere können ausge­ wachsen in so einer Situation zu einem großen Wenn du eines dieser kleinen, süssen Wildschweinchen im Wald sehen solltest, dann nimm die Beine in die Hand und renne in die entgegengesetzte Richtung! 52 Wild Problem werden. Die sich verteidigende Mutter rennt auf dich zu und haut dir ihre Stoßzähne in die Innenschenkel. Dort verläuft eine Haupt­ schlagader und du könntest verbluten. Es gab zwar nicht viele Zusammenstöße hier in der Gegend, doch wenn, dann waren das Geschichten für’s Krankenhaus!« Ich glaube es zwar kaum, aber Nico prognos­ tiziert, dass wir in drei bis vier Jahren auch in unseren Wäldern wieder Wölfe erwarten kön­ nen. Diese würden sich über den Osten in Ba­ den­Wurthemberg und Vorarlberg ansiedeln und so immer weiter vorrücken, erklärt er mir. Die Jagd ist nichts anderes als ein weiterer Regulierungsprozess im Forstbetrieb. Man schützt Bestände vor Überbevölkerung und Krankheiten. »Diese Vegikultur hat gute Ansätze, doch wissen die meisten von denen, die mich als Jäger kritisieren, nicht, dass ich nicht willkürlich durch den Wald renne und auf Tiere schieße. Bedeuten­ der Teil meiner Ausbildung war das Töten von Wildtieren. Dort habe ich gelernt, wie man auf große Distanz effektiv und schmerzfrei tötet. Das reicht bis in die Anatomie, denn ich muss das Tier ja später ausnehmen und das Fleisch für die Wei­ terverarbeitung vorbereiten.« Der Spaziergang neigt sich dem Ende zu. Meine Gedanken bleiben noch haften an diesem schönen Erlebnis mitten im Grünen. Nico ist ein Mensch der Kontraste. Der bunt tätowierte Muskelberg mit Kampfsportausbildung, der in seiner Kutte und mit der schwarzen Klei­ dung nahezu bedrohlich wirkt, ist aus der anderen Perspektive ein aufmerksamer Zeitgenosse, der sich liebevoll um Hund und Freundin kümmert und mit enormem Wissen über unsere so ge­ schätzte Natur beeindruckt. Er ist einer, der einst im Wald Hütten baute und heute selbst dafür sorgt, dass das auch weiter möglich sein kann. Nico ist derzeit auf der Suche nach einer Stelle in der Forstwirtschaft. Er spielt aus dieser Not heraus mit den Gedanken, ein Maschinenbau­ studium zu beginnen, weil er in seinem Beruf keinen Job findet. »Ich möchte mal beide Seiten gesehen haben: Der Förster bin ich schon. Jetzt möchte ich lernen, wie solche riesigen Erntema­ schinen wie der ›Harvester‹ gebaut werden.«   53 laendlemagazin.com