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Universität Wien, Sommersemester 2014
Vertiefungsseminar: Probleme politischer Legitimation in Lateinamerika
Leitung: Univ. Doz. Dr. Gernot Stimmer
Seminararbeit
Perpetuierung des Präsidialismus in Lateinamerika:
Ein Irrweg statt eines Auswegs aus der Legitimitätsfalle
Autor: Harald Klöckl, Matr. Nr. 8711506
Inhalt
Einleitung 2
Historischer Abriss 2
Methoden 5
Theoretische Grundlagen 6
a.) Legitimität nach Weber 6
b.) Legitimität nach Easton 8
c.) Überlegungen zu Legitimität von Buquet 9
Status Quo in Lateinamerika Überblick 10
-Die Länder im einzelnen 11
Schlussbemerkungen 25
Literatur und Quellen 27
2
Einleitung
In den letzten 10 bis 15 Jahren gab es einen verstärkten Umbau der politischen Systeme
Lateinamerikas in Richtung Präsidialismus, und da speziell durch gelungene Perpetuierung
der Amtsperioden. Ich untersuche in dieser Arbeit die Verlagerung der Legitimität des
teilweise gesamten politischen Systems in Ländern, wo die Perpetuierung gelang, in Hinblick
auf Amt und Person des Präsidenten/der Präsidentin. Weiters nehme ich einen Überblick über
die konstitutionellen Bestimmungen zum Präsidentenamt, konkret den Amtsperioden und den
Wahlmodi der lateinamerikanischen Länder vor (exklusive Puerto Rico, Kuba und die
Karibikinseln).
Die Möglichkeit der Wiederwahl eines Präsidenten oder der Verlängerung der
Prasidentenmandate hat unter dem Gesichtspunkt der Machtakkumulation und der
Legitimitierung mehrere Faktoren. Zum einen die Dauer des Mandats und der Modus der
Wahl bzw. Wiederwahl, zum anderen die Kompetenzen des Präsidenten (insbesondere unter
dem Aspekt der Gewaltenteilung, also im Sinne von Montesquieu Legislative, Exekutive und
Judikative) und damit zusammenhängend auch die institutionellen Kontrollmechanismen. Ich
werde mich aber weitgehend auf die Dauer des Mandats und die Wiederwahl-Möglichkeiten
(konsekutiv, also: unmittelbare darauffolgende Amtperiode derselben Person oder
alternierend: mit einer Amtperiode bzw. einer gewissen Anzahl von Jahren Pause)
beschränken. Weiters werde ich die Länder mit jüngst geänderten Regelungen bzw. die
Präsidenten nach den Typen der legitimen Herrschaft von Max Weber sowie nach dem Input-
Outut-Schema von David Easton klassifizieren und teilweise andere Überlegungen zum
Präsidentenwahlmodus heranziehen, nämlich jene von Daniel Buquet.
Historischer Abriss
Die Jahre nach der Dritten Welle der Demokratisierung in den meisten Ländern
Lateinamerikas (Huntington 1991) mit dem Sturz/der Abwahl von Militärregimen gelten als
"verlorenes Jahrzehnt" für die zumindest wirtschaftliche Entwicklung Lateinamerikas. Die
Dominikanische Republik und Ecuador waren dabei 1978 die ersten, Paraguay und Chile
1989 die letzten. Die jüngeren Demokratien Lateinamerikas waren, was die legistische
Gestaltung der jeweiligen Präsidentenämter betrifft, geprägt von einer Untersagung der
3
Wiederwahl und von kurzen Amtsperioden.1
Nur Nicaragua, Paraguay und die
Dominikanische Republik erlaubten unmittelbar nach der Rückkehr zu demokratischeren
Verhältnissen eine Wiederwahl, in Kuba galt wie eh und je die unbegrenzte Wiederwahl. Die
Wirtschaftspolitik der 1990er Jahre war dann vom Washington Consensus geprägt (freier
Markt, offene Volkswirtschaften, Privatisierung öffentlicher Güter und Leistungen etcetera).
Vor allem Carlos Andrés Pérez als Präsident in Venezuela, Alan García und Alberto Fujimori
in Perú und Carlos Menem in Argentinien, setzen diese liberale Politik um, aber ohne
entsprechende Erfolge bzw.unter massiven Protesten der Bevölkerung. Die vorangegangenen
Schuldenkrisen (speziell Mexiko, Argentinien) einiger Länder ließen das Pendel an manchen
Orten umschlagen: Hugo Chávez kam in Venezuela 1998 an die Macht, nach einem zuvor
gescheiterten Putschversuch und einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt. Mehrere weitere
Länder folgten später seinem Links-Kurs, Länder, die man heute grob in
„sozialdemokratische" und „populistische“ Regime differenzieren kann (Francisco Panizza2
).
Im neuen Jahrhundert verengte sich dieser politische Kurs ausgehend von Venezuela auch in
Bolivien, Ecuador und Nicaragua weiter nach Links und wurde ebendort selbst meist als
sozialistisch und/oder mit eigenen Wortschöpfungen benannt, die indigene oder historische
Referenzen beinhalteten. Insbesondere in diesen vier Ländern ging die politische
Neuausrichtung beginnend rund um die Jahrtausendwende auch mit Verfassungsänderungen
einher, die jeweils die Amtsdauer und Machtfülle der regierenden Präsidenten ausweiteten
und dabei vorerst zumindest die unmittelbare einmalige Wiederwahl eines Präsidenten
ermöglichten. Eine Frage, die ich beantworten will, ist ob eine Relation zwischen starkem
Präsidentialimus vom Typ „Populismo“ und der perpetuierten Präsidentenwahl besteht und ob
dieses Modell auch von anderen Ländern (außer den vier genannten) angestrebt wird.
Präsidialismus versus Parlamentarismus. Warum hat sich historisch gesehen der
Präsidialismus in Lateinamerika durchgesetzt, warum kein Modell einer parlamentarischen
Demokratie? Parra Tapia3
schreibt, dass Lateinamerikas Unabhängigkeitbewegungen von der
US-Verfassung von 1787 inspiriert waren und die Länder zudem bewusst einen Kontrapunkt
zum Regierungssystem der vormaligen Kolonialmächte Spanien und Portugal setzen wollten.
1
Tabla 3 in: Buquet, Daniel. Entre le legidimidad y la eficacia: Reformas en los istemas de elección presidencial
en América Latina.Revista Uruguaya de Ciencia Política Nº 16. 2007. pp. 35-49.
http://www.scielo.edu.uy/scielo.php?pid=S1688-499X2007000100004&script=sci_arttext
2
Panizza, Francisco: Nuevas izquierdas y democracia en América Latina, Revista CIDOB d’Afers Internacionals
no 85-86, Barcelona 2009
3
Parra Tapia, Ivonne K. El presidencialismo en Venezuela. Efectos sobre la legitimidad y estabilidad
democraticas en el pais. Universidad del Zulia, 2009
4
Im Amt des Präsidenten in Lateinamerika sind die Funktion des Staatschefs und des
Regierungschefs vereint, in den vergleichsweise föderalistisch geprägten USA wird diese
Machtfülle auch als Gegengewicht zu den Kompetenzen der Bundesstaaten erklärt; weitere
politische Machtfaktoren sind in den USA der Kongress, der Senat und das Oberste Gericht.
Die nur einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist in den USA unangetastet und
unangezweifelt.
In Lateinamerika hingegen entwickelte sich ein Präsidialismus ohne diese Gegenpole der
Macht und mit einer teilweise nach europäischen Maßstäben massiven Anhäufung von
exekutiver, legislativer und judikativer Gewalten in Präsidentenhand. Die in der Gegenwart
oft fehlenden Kontrollmechanismen bzw. Gegengewichte werden meist durch die historisch
generell schwachen Parteien und Institutionen und das Erbe von Caudillismo, Populismo oder
Paternalismo (den man nur unzureichend mit Vettern- oder Günstlingswirtschaft übersetzen
kann) erklärt. Die ursprüngliche Limitierung des Präsidentialismus ohne (unmittelbare)
Wiederwahlmöglichkeit, beginnend mit der Demokratisiserung in den 1980er Jahren, war
wohl eine Folge der Erfahrungen mit den vorangegangenen autoritären und Militärregimen.
In den vergangenen 36 Jahren entwickelte sich Lateinamerika also von einer Region, in der
die Wiederwahl überwiegend untersagt war, zu einer Region, in der die Wiederwahl des
Präsidenten in den meisten Fällen möglich ist (und fast durchwegs auch bei den der Änderung
folgenden Wahlen gelang). Jene Präsidenten, die die Verfassungen ändern ließen und davon
bei der folgenden Wahl profitierten, waren Menem, Cardoso, Fujimori, Chávez, Morales,
Correa und Uribe. Diese Tendenz zur Wiederwahl ist gezeichnet von einer Schwäche der
Institutionen, einer zunehmenden Personalisierung, Parteienkrisen und einem (nach Diktion
von Daniel Zovatto4
) Hyper-Präsidialismus. Auf der anderen Seite haben in jüngerer Zeit zum
Teil einige kaum weniger populäre/mächtige Präsidenten als die zuletzt genannten, der
Versuchung widerstanden, die Verfassungen ihres Landes unterstützt von der großen
persönlichen Popularität verändern zu lassen (Michelle Bachelet, Luiz Inácio Lula da Silva,
José Mujica) oder sie scheiterten dabei (Álvaro Uribe). Durch die schwindenden Einnahmen
aus dem Extraktivismus, im speziellen durch Erdöl (und den daher geringeren Mitteln zur
Umverteilungs- und Sozialpolitk) sind manche Nachfolger der populären Präsidenten (bzw.
dieselben Personen in einer folgenden Amtsperiode) weit weniger populär bzw. gewinnen
Wahlen weit weniger klar. Als Beispiele kann man folgende Vergleiche bei den
4
Zovatto, Daniel: Reelection, continuity and hyper-presidentialism in Latin America
5
Wahlergebnissen nennen (siehe bei Die Länder im einzelnen): Lula II /Dilma I und II in
Brasilien, Uribe/Santos I und II in Kolumbien oder Chávez I/ Chávez II/Maduro in
Venezuela. Massive Proteste wegen der Sozialpolitik, wegen der Sicherheitslage, wegen
umstrittener Infrastruktur- und Bergbauprojekte, wegen der Korruption, wegen der
Bildungspolitik oder wegen der schlechten Versorgungslage gab es in allen diesen Ländern,
ebenso z. B. in Peru.
Methoden
In dieser Arbeit überprüfe ich einige Länder hinsichtlich perpetuiertem Präsidentialismus als
Mittel gegen Legitimitätsverlust der Amtsinhaber und der Argumentation der Proponenten
dabei. Ich bediene mich zum einen der Herrschafts- und Legitimitätsdefinitionen von Max
Weber, mit einem Fokus auf charismatische und auch auf traditionelle Herschaft: dies vor
allem weil die populistisch akzentuierten Regime in Venezuela, Bolivien oder Ecuador von
den Persönlichkeiten ihrer Präsidenten geprägt sind und diese überdies auch Begriffe im sinne
der Traditionalisierung wie Chavismo, Bolivarianismo, Revolución Ciudadana eingeführt
haben, oder auch das Buen Vivir/Vivir Bién, als zumindest unterschwellige neue
Staatsideologie implementierten (was meiner Meinung nach auf einen traditionellen
Legitimätsbegriff hindeutet).
Zum anderen untersuche ich die Länder nach der Input/Output-Theorie von David Easton.
Dies, weil zum einen wie gesagt am Anfang der Perpetuierung der präsidialen Macht oft
intitutionelle Änderungen standen oder neue Beteiligungsformen der Bürger eingeführt
wurden. Zum anderen gelang die Ausweitung der präsidentialen Macht auch durch einen
wirtschaftlichen Aufschwung der meisten lateinamerikanischen (und meist rohstoffreichen)
Länder (und vielleicht machte dieser ökonomische Aufschwungen überhaupt die
Perpetuierung der Präsidenten überhaupt erst möglich), welcher im Wesentlichen exogen
durch die besonders bis 2008 stark gestiegene globale Rohstoffnachfrage insbesondere aus
China verursacht wurde. Diese Einnahmen wurden zu einem gewissen Teil in
Regierungsprogramme vor allem sozialer Natur investiert, die einer vergleichsweise breiten
Schicht der Bevölkerung zugute kamen, also (in vielen Fällen erstmals bzw. in einem Maße
wie nie zuvor) Output an diese Bevölkerung lieferten. Andererseits waren diese politischen
Systeme dennoch immer wieder auch anderen Forderungen der Bevölkerung ausgesetzt.
Insofern scheint mir Input-Output als geeignetes Instrument, um die gestiegene Legitimität
6
und Machtfülle der Präsidenten in genau dieser genannten Zeitspanne bis etwa 2010 zu
erklären. In jüngerer Zeit, mit dem Abflauen der globalen Rohstoffnachfrage und dem Verfall
des Rohölpreises, sahen/sehen sich aber viele Präsidenten/Länder mit geringeren Einnahmen
konfrontiert, und gleichzeitig offenbaren sich oft auch deutlich geringere Zustimmungen oder
Mobilisierung bei Wahlen, oder die Unzufriedenheit offenbart sich in offenen Protesten
(mehr dazu bei der Länder-Übersicht). Ob diese beiden Tendenzen kausal sind, sei
dahingestellt, aber eine Korrelation scheint mir unzweifelhaft.
Theoretische Grundlagen Legitimität
a.) Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, Max Weber
1. Legale Herrschaft
Diese auch bürokratische Herrschaft genannte Legitimitätsbegründung gilt als der "reinste"
Typus nach Weber. Dabei können - wenn sie nur formal korrekt zustandegekommen sind -
Normen jeglicher inhaltlicher Art geschaffen oder abgeändert werden, und aus diesem
formalen Grund würden sich die Beherrschten den Normen unterwerfen. Auch der
Herrschende unterwerfe sich der bürokratischen Herrschaft, indem er sein Recht zur
Normenschaffung innerhalb seiner sachlichen Kompetenz ausübt.
2. Traditionelle Herrschaft
Sie stützt sich auf den Glauben an die Legitimität einer tradierten "heiligen" Ordnung und
derer Herrschaftsstruktur. Auch die formal Befehlenden sind inhaltlich an diese Ordnung bzw.
Werte (Staatsideologie) gebunden, denn wenn diese mit ihren Befehlen der überlieferten
Ordnung widersprechen, gefährden sie ihre eigene ebenso ausschließlich aus den tradierten
Normen abgeleitete Machtposition. Auch die Proponenten der regierenden Bürokratie
beziehen ihre Legitimität nur aus der Tradition und nicht aufgrund sachlicher Kompetenz.
Weber differenziert in zwei traditionelle Herrschaftsypen:
a.) Patriarchalische Herrschaft: Die untergeordneten Amtsträger bzw. der Verwaltungsstab
stammen aus dem persönlichen Umkreis des Herrschers, sind entweder Familienangehörige
oder dessen "Vasallen, Sklaven oder Günstlinge", sind dem Herrscher jedenfalls durch ein
persönliches Treueband verbunden.
7
b.) Ständische Herrschaft: Die untergeordneten Amtsträger bzw. der Verwaltungsstab haben
sich ihre Stellung gewissermaßen erworben, durch ein Privileg seitens des Herrschers oder als
Belehnte, oder haben auch durch Rechtsgeschäft ein unwiderrufliches Recht an ihrem Amt
erworben.
3. Charismatische Herrschaft
Seine Legitimität bezieht der Herrscher dabei aus den ihm zugeschriebenen persönlichen
Fähigkeiten und Qualitäten. Der charismatische Herrscher tritt laut Weber in folgenden
Grundformen auf, aus denen sich auch seine dominierenden Fähigkeiten ablesen lassen:
Prophet, (Kriegs-)held, Demagoge. Der Herrschaftsverband ist die Vergemeinschaftung, die
Gemeinde oder die Gefolgschaft, der Typus der Gehorchenden wird als Jünger bezeichnet,
der Herrscher selbst ist Führer. Man gehorcht dem Führer ob seiner persönlichen und
außergewöhnlichen oft "magischen" Eigenschaften und nicht aus Gründen von Tradition
(siehe 2.) oder wegen desser gesatzter Position (siehe 1.). Zentral ist daher, dass das Charisma
des Herrschers nicht schwinden darf, ansonsten würde er seine Legitimität verlieren. Der
Herrscher muss daher auch regelmäßig Zeugnisse seiner charismatischen Fähigkeiten liefern,
gewissermaßen ständig aufs Neue "Wunder wirken". Der Herrscher leitet seine Autorität nicht
bloß aus seiner (freiwilligen) Anerkennung seitens der Beherrschten ab, sondern die
Anerkennung der Autorität und der Glaube an ihn, die affektive Hingabe an seine Person und
an seine Gnadengaben (was Charisma im Griechischen ja wörtlich bedeutet) sind für die
Beherrschten sogar eine Pflicht. Der Apparat des charismatischen Herrschers wiederum wird
von diesem nach dem jeweiligen Charisma und dem Grad der Hingabe dieser Personen an
ihn, den Herrscher, ausgewählt.
Spätestens wenn der charismatische Herrscher wegfällt (etwa durch Tod), muss diese
Legitimität dann als traditionelle Herrschaft etabliert sein und ein Nachfolger feststehen, auf
welchen der Verschiedene sein Charisma zuvor übertragen hatte. Dieser Nachfolger kann
vom Verwaltungsstab des weggefallenen Herschers ausgewählt werden, er kann auch vom
charismatischen Herrscher zuvor aus diesem Verwaltungsstab nominiert worden sein, oder die
charimatische Herrschaft kann per Erbfolge an einen Blutsverwandten des verstorbenen
Herrschers übergehen (Anmerkung: oder sie wird an die Ehegattin weitergegeben).
Die charismatische Herrschaft als rein persönliche soziale Beziehung der Beherrschten zum
Herrscher hat nach Weber bei langem Bestand die Tendenz, sich in eine traditionelle Ordnung
zu verwandeln.
8
b.) David Easton, Input-Output-System der politischen Systeme
David Easton stellt in seinem 1965 erschienen Werk „A Systems Analysis of Political Life“
die politischen Prozesse als System dar, in welchem soziale Interaktionsmuster zu einer
autoritativen Allokation von Werten innerhalb einer Gesellschaft führen. Die Schlüsselfrage
ist: „Wie erreichen es politische Systeme, sich in einer Welt, die zugleich Stabilität und
Wandel aufweist, zu behaupten?“ Nach Easton sind politische Systeme anpassungsfähige
Handlungssysteme, die in ihre Umwelt eingebettet sind. Dabei wird den Systemen die
Fähigkeit zugesprochen, auf Störungen und Spannungssituationen (Stress) zu reagieren.
„Interaktionen, durch die in bindender Weise Werte für eine Gesellschaft gesetzt werden“, ist
Eastons Definition eines politischen Systems.
Das in „A Systems Analysis of Political Life“ von Easton beschriebene „Input-Output-
System" gilt als eine allgemein anwendbare Theorie politischer Prozesse, bei welcher die
autoritativen Entscheidungen auf der Outputseite, aber insbesondere die gesellschaftlichen
Forderungen und Unterstützungen auf der Inputseite im Vordergrund stehen. In einem
solchen politischen System werden Forderungen (Demands) der Bevölkerung auf der
Inputseite durch institutionelle Prozesse zu Entscheidungen auf der Outputseite transformiert.
Wie die Entscheidung zustande kommt, also nach welchen internen Mechanismen sich die
Inputs seitens der Behrrschten letztlich als Outputs der Herrscher manifestieren, bleibt den
Beherrschten aber verborgen (Easton bezeichnet diesen unsichtbaren Prozess als Black Box);
dies zu erhellen, sei Aufgabe von Medien bzw. Journalismus. Entscheidend für die
Akzeptanz autoritativer Outputs ist dabei die gesellschaftliche Unterstützung (Support).
Demands und Supports treten jeweils in Form von materiellen und politischen Forderungen
sowie jeweils als materielle und politische Unterstützung auf.
Bei den Supports differenziert Easton wie folgt:
- Messbare kurzfristige Handlungen wie die Wahlbeteiligung oder das Zahlen der Steuern
werden als manifeste Unterstützung (overt support) für das System betrachtet. Kognitive
Grundeinstellungen wie Parteiloyalität oder patriotische Überzeugungen bezeichnet Easton
als latente Unterstützung (covert support). Diese reicht über kurzfristige
Einzelentscheidungen hinaus und spielt für die dauerhafte Funktionsfähigkeit des Systems
eine wichtige Rolle. Ein derartiges generalisiertes Systemvertrauen gewährleistet vor allem
systemische Kontinuität, auch bei Regierungs- und Politikwechseln.
9
- Weiters unterscheidet Easton zwischen spezifischer und diffuser Unterstützung (specific
and diffuse support). Ersterer ist eine unmittelbare Reaktion auf tagespolitische
Entscheidungen, zweitere basiert auf eine gewachsene Identifikation mit den Grundlagen des
politischen Systems. Die diffuse Unterstützung ist dabei eine Art Reserve für die Akzeptanz
autoritativer Outputs.
Outputs des politischen Systems sind bei Easton die Entscheidungen und Handlungen der
Regierenden, die die Folge jeweiligen Inputs sind. Er bezeichnet diese Wechelwirkung als
Feedback-Schleifen (Loops). Damit das politische System den richtigen Output auf Demands
der Gesellschaft setzen kann, ist aber unabdingbar, dass die Autoritäten mit Informationen
versorgt werden. Falls diese Informationen nicht ausreichend sind (und daher falsche Outputs
gesetzt werden), kommt es zum Sinken des politischen Support (als zu Stress) und dann in
letzter Konsequenz zum Kollaps des politischen Systems.
Legitimität definiert Easton als die Grundhaltung der Gesellschaft zum Regime, speziell ob
die Beherrschten übezeugt sind, dass es richtig und korrekt ist, der Autorität zu gehorchen
und sich an die Regeln der Bedürfnisse des Regimes zu halten.
c.) Daniel Buquet5
hat 2007 zudem einige sehr interessante Zusammenhänge zwischen
Legitimität und Reformen der Präsidentenwahlsysteme in Lateinamerika hergestellt. Er geht
(wenig überraschend) davon aus, dass politische Kräfte ihre eigenen Interessen im Sinn
haben, wenn sie Regeln über den politischen Wettbewerb ändern. Legitimität und Effektifität
seien die Erfolgsfaktoren politischer Systeme, jeder Reformversuch beim Wahlsystem habe
daher die Beseitigung einer Disfunktion bei diesen Faktoren im Sinn. Buquet sieht dabei zwei
Gruppen von Regierenden, die sich jeweils nach einem konträren Muster in Bezug auf
Prasidentenwahlsystem-Reformen verhalten.
Coaliciones Declinantes sind Regierende und im Land etablierte Gruppen, die sich als
künftige Verlierer sehen. Sie drängen auf Reformen, die einschließend für andere
nichtregierende Gruppen sind. Damit sollen das System re-legitimiert und eigene künftige
Wahl- und Machtverluste minimiert werden. Sie berufen sich bei ihren Reformen auf ihre
Legitimität und sie suchen daher breite Zustimmung.
5
Buquet, Daniel. Entre le legidimidad y la eficacia: Reformas en los istemas de elección presidencial en América
Latina.Revista Uruguaya de Ciencia Política Nº 16. 2007. pp. 35-49.
http://www.scielo.edu.uy/scielo.php?pid=S1688-499X2007000100004&script=sci_arttext
10
Coaliciones Ascendientes sind Bewegungen an der Regierung, die sich im Aufschwung sehen,
die daher andere Gruppen von der Macht ausschließen und die erwarteten künftigen Gewinne
bei Wahlen in puncto Machtgewinn daraus maximieren wollen. Sie argumentieren mit mehr
politischer Effektivität durch die angestrebten Reformen des Präsidentenwahlsystems.
Im Sinne von Inklusion/Exklusion durch Präsidentenwahlsysteme definiert Buquet zudem drei
Variablen:
-Variable 1, mit zwei Varianten: Präsidentenwahl mit bloß relativer Mehrheit (Mayoria
Relativa MR) oder Stichwahl (Doble Vuelta DV) der beiden erstplatzierten Kandidaten.
Coaliciones Declinantes bevorzugen für den Machterhalt eine Reform in Richtung DV, aus
der Unsicherheit ihres künftigen Erfolges und der Bedrohung ihrer Macht.
Coaliciones Ascendientes bevorzugen eine Reform in Richtung MR.
-Variable 2: Dauer des Mandats
Coaliciones Declinantes bevorzugen eine Verkürzung der Amtsdauer.
Coaliciones Ascendientes bevorzugen eine Verlängerung derAmtsdauer.
-Variable 3: Wiederwahl
Coaliciones Declinantes bevorzugen eine Regelung in Richtung weniger Wiederwahl.
Coaliciones Ascendientes bevorzugen die Ausweitung der Wiederwahl, insbesondere wenn
die Persönlichkeit des Präsidenten ein großer Faktor ist.
Buquet analysierte alle Wahlsysteme in Südamerika zwischen 1990 und 2005, jedes Land
hatte dabei mindestens bei einer Variablen eine Änderung vorgenommen, die im damaligen
politischen Kontext (je nachdem, ob Coalicion Declinante oder Ascendiente) in die hier
beschriebenen Richtung erfolgt ist.
Der Status Quo in Lateinamerika (Übersicht)
- Wiederwahl-Optionen und Amtsdauer (Anzahl der Jahre in Klammer).
Keine Wiederwahl
Guatemala (4), Honduras (4), Mexiko (6) Paraguay (5)
Einmalige Wiederwahl
-konsekutiv: Argentinien (4), Bolivien (4) Brasilien (4), Ecuador (4), Kolumbien (4)
-mit Pause (eine/ zwei Amtsperioden bzw. eine gewisse Anzahl von Jahren): Chile (4), Costa
Rica (4), Dominikanische Republik (4), El Salvador (5), Panamá (4), Perú (5), Uruguay (5)
11
Unbegrenzte Wiederwahl:
Venezuela (6), Nicaragua (5)
- Wiederwahl funktioniert
Seit 1990 gelang (fast) jedem Präsidenten in Lateinamerika die Wiederwahl, egal ob bei
unveränderter Gesetzeslage* oder nach von ihm “angeregter” Gesetzesänderung**.
•Nicaragua: Ortega 2011**
•Kolumbien: Uribe 2006**
•Peru: Fujimori 1995**, Garcia 2006*
•Argentinien: Menem 1996**, C. Kirchner 2011*
•Venezuela: Chávez**
•Ecuador: Correa 2013**
•Bolivien: Morales 2010**
•Chile: Bachelet 2013*
•Brasilien: Cardoso 1998*, Lula 2006*, Dilma 2014*
Die Länder im Detail
Argentinien
Seit 1994 gilt konsekutive Wiederwahl statt keine Wiederwahl. Dem damaligen Präsidenten
Carlos Menem (von 1989 bis 1999) gelang die Änderung der Verfassung (allerdings wurde
als Kompromiß die Amtszeit von 6 auf 4 Jahre verkürzt und eine Stichwahl vorgesehen, die
einfache Relative Mehrheit im ersten Wahlgang reichte ebenso nicht mehr), und er wurde
auch wiedergewählt. Bei der Wahl 2003 (nach einer Periode Absenz) erreichte Menem im
ersten Wahlgang zwar mit 24 Prozent die meisten Stimmen, sein Herausforderer Nestor
Kirchner erreichte 22 Prozent, worauf Menem sich aufgrund eindeutiger Umfrageergebnisse,
die Kirchner einen klaren Sieg voraussagten, zurückzog. Nestor Kirchner wurde somit
Präsident. Bei der Wahl 2007 trat Kirchner nicht an und schickte stattdessen seine Frau
Cristina Kirchner ins Rennen, die als Primera Dama bereits politisches Profil erworben hatte.
Sie erreichte im ersten Wahlgang 45,3 Prozent, ihre Widersacherin Elisa Carrio 23 Prozent.
Somit stand C. Kirchner als Präsidentin fest, nach geltendem Wahlrecht ist keine absolute
Mehrheit nötig, sondern es reicht ein Ergebnis von über 45 Prozent, oder, bei mehr als 40
Prozent, ein Vorsprung von mehr als 10 Prozentpunkten auf den zweitplatzierten Kandidaten.
Bei der Wahl 2011 gewann C. Kirchner im ersten Wahlgang klar mit 54 Prozent. Gemäß der
12
Verfassung ist keine zweite Wiederwahl, also keine drittes konsekutives Präsidentenamt
möglich. Mit der Kampagne „Cristina 2015“ versuchte der Oficialismo im Jahr 2012
Vorbereitungen für eine Verfassungsänderung zu treffen, die eine dritte Amtperiode von C.
Kirchner ermöglichen sollte. Diese Änderung wäre aber nur mit einer größeren Mehrheit in
beiden Kammern des Parlaments möglich. Bei den Zwischenwahlen (die Hälfte bzw. ein
Drittel der Kammern werden turnusgemäß zur Mitte der Präsidenten-Periode neu gewählt)
von 2013 hätte nur ein klarer Zugewinn des Oficialismo und seiner Verbündeten diese
Mehrheit schaffen können. Proponenten des Oficialismo beschworen dafür das „Carisma de
Cristina“. Dies gipfelte zum Beispiel im August 2012 in folgender Aussage von Vizepräsident
Amadou Boudou6
: “¿Cómo no va a estar enamorada la gente de ésta Presidenta y sentir que se
muere de ganas que siga Cristina?” und der Parole “Somos parte de un proyecto nacional que
conduce nuestra Presidenta”. ("Wie könnten die Menschen nicht in diese Präsidentin verliebt
sein und Lust verspüren, dass Cristina bleibt?" bzw. "Wir sind Teil eines nationalen Projektes,
das unsere Präsidentin führt." Die nötige Mehrheit wurde 2013 aber verfehlt.
Derartige Aussagen zum Versuch der Perpetuierung der Präsidentschaft beschwören zum
einen wortwörtlich den Faktor des Charisma im Sinne von Weber. Zum anderen orten
Politologen und Beobachter, darunter etwa Daniel Zovatto, dass Nestor und Cristina Kirchner
von 2003 an den Plan gehabt hätten, das Land alternierend bis 2023 zu regieren. Diese
Perspektive wurde mit dem Tod von Nestor Kirchner 2010 zunichte gemacht. Daher wird in
jüngster Zeit versucht, Maximo Kirchner, den Sohn von Nestor und Cristina, als Politiker in
Stellung zu bringen.7 8
Im Kirchnerismo, als einer jüngeren Variante des argentischen Peronismo, hat Nestor
Kirchner aus seiner legalen Herrschaft von 2003 durch die erfolgreiche Nominierung seiner
Frau als Kandidatin 2007 diese auch zur charismatischen Herrscherin gemacht. Nun besteht
angesichts der verfassungsrechtlichen Schranken der Wiederwahl die Tendenz, mit Hilfe des
Sohnes Maximo in einer Art Erbfolge die charimatische Legitimität weiterzugeben. Dies alles
unter dem ohnehin schon im Weber'schen Sinn langem Bestand eines traditionellen Regimes
wie des Peronismo als gewissermaßen patriarchalische Staatsideologie eines (ursprünglich)
dritten spezifisch argentinischen Weges zwischen Kommunismus und Kapitalismus.
6
http://www.lapoliticaonline.com/nota/63254/
7
http://www.lagaceta.com.ar/nota/607949/politica/maximo-unio-oposicion-tras-no-cristina-kirchner.html,
8
http://www.elmundo.es/loc/2014/09/24/54216f20e2704e8f638b457b.html
13
Bolivien
Laut alter Verfassung war bis 2009 nur die nicht-konsekutive Wiederwahl möglich. In einem
von Präsident Evo Morales (2005 mit 54 Prozent gewählt, 2009 mit 64 Prozent gewählt)
initiierten Referendum 2013 wurde eine einmalige konsekutive Wiederwahl mehrheitlich von
der Bevölkerung angenommen. Im Jahr 2013 trat jedoch ein Gesetz in Kraft, das diese
Regelung weiter auslegt: Demnach konnte Morales im Oktober 2014 erneut zur Wahl antreten
(und gewann diese auch mit 61% Zustimmung), obwohl er damit schon die dritte Amtperiode
in Folge Präsident ist. Das Argument war, dass Bolivien mit den Verfassungsänderungen von
2009 als neuer Staat gegründet worden sei (seither als: Estado Plurinacional de Bolivia) und
daher die vorangegangene erste Amtszeit von Morales ab 2006 nicht zähle.
Die „Neugründung“ des Staates mit dem indigenen Konzept des Vivir Bién und der
Plurinationalität trifft sozusagen Vorsorge, dass das Modell sukzessive in ein traditionelles
übergehen kann. Morales indigene Herkunft, seine Verankerung in der Gewerkschaft der
Koka-Bauern und sein persönliches Charisma machten seine Wahlerfolge möglich. Die
Betonung des Indigenismo (angesichts 60 Prozent indigener Bevölkerung) hat auch starke
religiöse Züge.9
Morales bezieht seine Popularität auch aus dem Ressourcen-Nationalismus
(Verstaatlichung der Schlüsselindustrien) und aus seiner Sozialpolitik. Außerdem erfreut sich
das Land einer guten wirtschaftlichen Entwicklung. Stress auf das politische System im Sinne
von Easton gibt es dennoch durch soziale Konflikte auch seitens indigener Gruppen wie zum
Beispiel die Proteste um das TIPNIS-Projekt ziegen. Allerdings gibt es keine Anzeichen, dass
Morales seine charismatische Herrschaft auf einen Nachfolger übertragen will. Gamboa
Rocabado10
sieht stattdessen Anzeichen zu einer Einparteienherrschaft des Movimiento al
Socialismo MAS gibt und meint, dass sich das Modell eines indigenen Staates nicht
materialisieren werde. Er begründet dies mit dem Caudillismo von Morales, der nur auf
dessen persönliche Perpetuierung der Macht gerichtet sei.
Brasilien
Seit 1998 ist eine einmalige Wiederwahl möglich, anstatt des Verbots der Wiederwahl. Der
damalige Präsident Fernando Cardoso initiierte die Verfassungsänderung und wurde
wiedergewählt, er regierte insgesamt von 1995 bis 2002. Seine beiden Nachfolger Luiz Inacio
Lula da Silva und Dilma Rousseff wurden ebenso jeweils wiedergewählt. Aus der mit der
9
http://www.eldeber.com.bo/bolivia/viceministro-pide-apoyar-evo-mas.html.
10
Gamboa Rocabado, Franco: Hacia una utopía democrática en Bolivia: Las lecciones de la Asamblea
Constituyente y el nacimiento de un probable Estado indígena .Consejo Latinoamericano de Sciencias Sociales,
April 2014, Buenos Aires
14
Arbeiterpartei PT verbündeten Partei PSDB gab es in der Zeit, als noch Lula in zweiter
Amtsperiode regierte, eine Inititative, um eine zweite Wiederwahl zu ermöglichen. Lula
selbst schloß das aber aus und dies wurde dann auch vom Parlament abgelehnt.
Die Herrschaft der Arbeiterpartei PT von Lula Inacio da Silva stützt sich wegen der rasanten
wirtschaftlichen Entwicklung im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends zwar überwiegend auf
Output-Legitimität. Lulas Popularität und Amtsführung wiesen aber auch Züge einer
Charismatischen Herrschaft auf (Vergangenheit als starker Gewerkschaftsführer, als
gewissermaßen "Kriegsheld"; Demagoge), doch Lula selbst widerstand zwar der wie erwähnt
Versuchung, seine Amtszeit verlängern zu lassen, hat aber mit der persönlichen Nominierung
seiner Nachfogerin Dilma im Sinne eines charimatischen Herrschers gehandelt, der diese
Eigenschaften auf die Nachfolgerin übertragen will: Dies, auch weil Dilma eine
Vergangenheit als Widerstandskämpferin gegen die Militärdiktatur (1964 bis 1985) hat. An
persönlichem Charimsa (abgesehen von der genannten Eigenschaft als "Kriegsheldin" bzw.
Märtyrerin) fehlt es ihr aber. Sie war von Lula als Ministerin von 2003 bis 2010 eingesetzt
worden und erst kurz zuvor (2001) der PT beigetreten.11
Dilma erklärte zu Beginn ihrer
ersten Amtszeit den Kampf gegen die extreme Armut als Hauptziel, sie weitete die von Lula
(eigentlich schon von dessen Vorgänger Cardoso) begonnene Sozialprogramme wie Bolsa
Familia aus. Dennoch konnte sie keine großen Beliebtheit erlangen. Ein Indiz dafür war
natürlich das äußerst knappe Rennen um die Dilma-Wiederwahl im vergangenen Oktober.
Die deutliche Abkühlung des Wachstums, die massiven Proteste rund um die
Fußballweltmeisterschaft und eine Reihe von Korruptionsskandalen vor allem rund um die
Petrobras nagten an ihrer Popularität und verursachten Stress im Sinne von David Easton. Die
Legitimität der PT in Braslien ist unter Dilma eine eher bürokratische, charismatische oder
traditionelle Elemente fehlen. Fraglich ist auch, ob die Outputs des Systems ausreichend sind,
also ob Dilma angesichts der stagnierenden Wirtschaft zumindest über ausreichend covert
support verfügt. Bezeichnend ist die sinkende Zustimmung in Form von manifester
Unterstützung (overt support) für die PT bei den drei letzten Wahlen: Lula gewann bei seiner
zweiten Wahl 2006 in der Stichwahl mit 61 Prozent, Dilma gewann bei ihrer ersten Wahl in
der Stichwahl mit 56 Prozent und bei der Stichwahl im Oktober 2014 nur mit 52 Prozent.
11
http://www.cidob.org/es/documentation/biografias_lideres_politicos/america_del_sur/brasil/dilma_rousseff
15
Chile
2005 wurde die Präsidenten-Amtsperiode auf vier Jahre verkürzt (zuvor seit 1994 sechs
Jahre), die alternierende Wiederwahl wurde beibehalten. Präsidenten Michelle Bachelet
wurde 2014 zum zweiten Mal (unterbrochen von vier Jahren Präsidentschaft von Sebastian
Piñera) gewählt. Chile ist wohl auch eines der am stärksten von "legaler Herrschaft"
geprägten Länder Lateinamerikas. Die Machtwechsel von Links auf Rechts und umgekehrt
waren vergleichsweise friedlich und fair verlaufen und ohne die in Lateinamerika sattsam
bekannten Vorwürfe von Wahlbetrug durch die jeweils unterlegenen Parteien/Kandidaten. Im
Sinne von Easton stand das demokratische politische System Chiles aber sehr wohl oft unter
"Stress" (jüngst Demonstrationen vor allem gegen das Bildungssystem bzw. dessen Kosten),
vielleicht auch daher wurde mit Bachelet wieder eine Präsidentin gewählt, der offenbar
zugetraut wird, die Disparitäten zu mildern. Auch die Inklusion der kommunistischen
Anführerin der Studenten- (bzw. Bildungs-) Proteste Camila Vallejo in die Regierung war ein
Schachzug (und auch die Erfüllung einer Forderung im Sinn von Easton) zur Legitimierung
von Bachelet. Diese hatte abermals am 20. Juni 2014 (schon in ihrer zweiten Amtperiode) in
einem Interview mit der Zeitung La Segunda12
die Änderung der Verfassung in Richtung
konsekutiver Wiederwahl ausgeschlossen. Sie erteilt im selben Interview auch generell dem
Präsidialismus (bzw. Personenkult/Populismus) auch eine Absage.
Costa Rica
Seit 2003 ist nicht-konsekutive Wiederwahl möglich. Der Verfassungsgerichtshof hatte
damals auf Initiative von Oscar Arias die Verfassung aufgehoben, die seit 1969 eigentlich
eine Wiederwahl absolut untersagt hatte (eine gleichlautende Initative von Arias war im Jahr
2000 nicht erfolgreich). Damit konnte Arias, der schon von 1986 bis 1990 regierte hatte,
abermals antreten und war dann von 2006 bis 2010 wieder Präsident. Ihm folgte Laura
Chincilla 2010 bis 2014, seit März 2014 ist Luis Guillermo Solis Präsident.
Letzterer gewann relativ überraschend: In Umfragen vor dem ersten Wahlgang wurde der
linke Kandidat Jose Maria Villalta (dem im Wahlkampf große Nähe zum Chavismo
nachgesagt worden waren) als Gegner von Johny Arraya (von der Partei der vormaligen
Präsidentin Chincilla) in der Stichwahl erwartet. Schließlich kam der gemäßigte Mitte-Links-
Kandidat G. Solis in die Stichwahl und lag dann in den Umfragen dafür so klar vor Arraya,
dass letzterer den Wahlkampf für die Stichwahl einstellte (ein freiwilliger Rückzug ist
offenbar nicht vorgesehen). Eine der ersten öffentlichen Aussagen von Solis ging in Richtung
12
http://www.lasegunda.com/Noticias/Politica/2014/06/943246/soy-una-convencida-de-que-seis-anos-con-
un-mal-gobierno-puede-ser-una-pesadilla
16
„Abkehr vom Populismus der lateinamerikanischen Präsidenten“.13
Er erließ im Juni 2014
Vorschriften, die es untersagten, dass in Costa Rica Schulen oder Bauwerke etcetera seinen
Namen tragen. Das politisch und wirtschaftlich stabile Costa Rica ist eines der Länder, in
denen die bürokratische/legale Herrschaft am stärksten ausgeprägt ist, Machtwechsel in
Richtung andere Parteien verlaufen weitgehend friktionsfrei.
Dominikanische Republik
Seit dem Jahr 2010 ist keine konsekutive Wiederwahl mehr möglich. Zuvor war seit einem
Referendum von 2002 die einmalige Wiederwahl erlaubt. Zuvor von 1994 bis 2002 war die
konsekutive Wiederwahl wie auch aktuell untersagt. Die Verfassungsänderung von 2002,
welche die konsekutive Wiederwahl zwischenzeitlich möglich machte, wurde vom damaligen
Präsidenten Hipolito Mejia von der sozialistisch-populistischen Partido Revolucionario
Dominicano initiiert. Mejia wurde aber nicht gewählt, als einziger Präsident Lateinameirkas
nach einer eigenen und erfolgreichen Initiative zur Wiederwahl-Möglichkeit. Seit August
2012 ist Danilo Medina von der sozial-liberalen Partido de la Liberación Dominicana
Präsident.
Ecuador
Seit 2008 ist einmalige Wiederwahl für eine Periode von 4 Jahren möglich. Zuvor war keine
unmittelbare Wiederwahl erlaubt. Rafael Correa, der seit 2007 im Amt ist (bei der Stichwahl
siegreich mit 57 Prozent der Stimmen), rief bald eine Verfassungsgebende Versammlung ein,
die unter dem Schlagwort Revolución Ciudadana eine neue Verfassung vorlegte. Bei der
ersten Wahl nach der neuen Verfassung im Jahr 2009 gewann abermals Correa, im ersten
Wahlgang mit 52 Prozent. Im Februar 2013 gewann Correa im ersten Wahlgang sogar mit 57
Prozent der Stimmen und wird daher bis 2017 und somit drei Amtsperioden ohne
Unterbrechung Präsident sein ( er durfte 2013 mit dem selben Argument wie Morales in
Bolivien antreten: mit der neuen Verfassung zähle eine vorherige Präsidentschaft nicht mehr
als Hindernis). Zumindest seit Mai 2014 lässt Correa durchklingen, dass er einer
"Volksabstimmung über eine unbegrenzte Wiederwahl nicht entgegenstehen würde" 14
, auch
der Verfassungserichtshof gab grünes Licht für eine Volksabstimmung zur unbegrenzten
Wiederwahl und merkte jüngst sogar an, dass gar keine Consulta Popular dafür nötig sei,
13
http://www.vanguardia.com.mx/presidentedecostaricadiceadiosalcultopersonalista-2100286.html
14
http://internacional.elpais.com/internacional/2014/05/30/actualidad/1401487011_686482.html
17
sondern die Mehrheit im Parlament reiche (Correas Alianza Pais hat 100 von 137 Sitzen in
der Asamblea Nacional)15
:
Für Ecuador gilt ähnliches wie für Bolivien, jedoch ist das politische Regime und das
Wirtschaftssysten aktuell eine eher sozialistisches als ein indigen/national-populistisches wie
in Bolivien. Ecuador hatte zwischen 1997 und 2007 neun Präsidenten, die neue Verfassung
sieht eine Stärkung der verwundbaren Gruppen vor, betont Rechte der Natur, etcetera.
Präsident Correa stellt die von ihm initiierte Revolución Ciudadana als unumkehrbaren
Prozess dar, diesem widersprechende Kräfte oder Wahlergebnisse werden als Versuch der
Destabilisierung der Regierung gedeutet, von rechtsextremen und ausländischen Kräften und
den Medien.16
Carlos de la Torre17
meint, dass Correa im Gegensatz zu anderen
neopopulistischen Präsidenten bei seiner Wirtschaftspolitik nicht auf oft eigentlich neoliberale
Ökonomen hört, sondern Correa als Ökonom selbst Hand anlegt, einen traditionell
sozialistischen Kurs einschlägt und dies mit seinem persönlichen/politischen Charisma
kombiniert. Er inszeniert sich als Professor und als Erlöser der Nation, und seine Mission ist
die Neugründung des Staates. In einem Interview betont Correa18
, dass er ein zerstörtes Land
übernommen hatte und dass er von Fidel Castro sehr inspiriert sei. Luis Verdesoto Custodo19
,
Profesor am FLACSO (Ecuador) sagt, dass Correas Partei Pais sich als Eigentümer der
revolutionären Moral sehe, bzw. beinahe als göttliche Emissäre oder biblische Gesandte.
Simon Pachano,20
Politikwissenschafter der Universidad de Salamanca, Spanien: "Die
Wünsche nach einer Bürgerrevolution waren ein aufrichtiges Ziel, sie wurden aber durch den
Caudillismo und die sterile Personifizierung zu Grabe getragen. Ohne ihn (Correa) kann der
Prozess nicht weitergehen, aber mit ihm entfernt er sich immer weiter von seiner
ursprünglichen Utopie." Alberto Acosta, einst Mitstreiter Correas, wird folgendermaßen
zitiert:21
"Alianza País hat eine Cuadillo-Regierung geschaffen, Correa ist der Caudillo des
15
http://www.efe.com/efe/noticias/usa/america/corte-constitucional-aprueba-enmienda-para-una-eventual-
reeleccion-correa/5/50015/2454141
16
http://www.cubadebate.cu/noticias/2014/03/01/correa-podria-aspirar-a-reeleccion-en-
2017/#.U0E_PdLBVuQ
17
De la Torre, Carlos: El tecnopopulismo de Rafael Correa: ¿Es compatible el carisma con la tecnocracia? Latin
American Research Review Volume 48, Number 1, Spring 2013
18
http://razonesdecuba.cubadebate.cu/articulos/rafael-correa-por-una-patria-grande-y-mejor/
19
http://www.planv.com.ec/historias/politica/la-presidencia-perpetua-rafael-correa
20
http://www.infolatam.com/2014/11/16/ecuador-reeleccion-con-nombre-y-apellido/
21
http://www.cubalibredigital.com/index.php?option=com_content&view=article&id=21351:rafael-correa-y-el-
apogeo-de-un-regimen-personalista&catid=13:principal&Itemid=23
18
21. Jahrhunderts, der sich als Träger des kollektiven politischen Willens präsentiert, als
einziger der Antworten hat und als einziger, der diese umsetzen kann."
ElSalvador
Die Wiederwahl mit Pause (nach Ablauf eines anderen Mandates von 5 Jahren) ist möglich.
Salvador Sánchez Cerén (von der linksgerichteten FMLN) gewann im März 2014 eine
Stichwahl mit 50,11 Prozent (6.000 Stimmen Vorsprung), Mauricio Funes von der FMLN
war zuvor von 2009 bis 2014 Präsident, sein Vorgänger Antonio Saca kam bei dieser Wahl
mit einer neuen Partei Movimiento Unidad nicht in die Stichwahl. Zuvor gehörte Saca zur
konservativen ARENA, die mit Francisco Guillermo Flores Pérez von 1999 bis 2004 den
Präsidenten stellte. In der Periode von Funes (FMLN) gab es 2011 erfolglose Vorschläge
seiner eigenen Partei, die die sofortige Wiederwahl (von Funes) möglich machen sollte.22
Guatemala
Seit 1985 ist keine Wiederwahl möglich. Weiterers ist es sogar bestimmten Peronengruppen
untersagt, zu einer (folgenden) Präsidenten-Wahl anzutreten: Familienangehörige von
amtierenden Präsidenten, Vizepräsidenten, Ministern sowie Militärs, Priester jeder Religion
oder Höchstrichter. 2011 kam es daher zum „Divorcio presidencial“: Präsident Álvaro Colom
ließ sich wenige Monate vor der Präsidentenwahl scheiden, damit seine Ehefrau Sandra
Torres zur Wahl antreten kann. Das Oberste Gericht annullierte aber die Kandidatur von
Torres, womit die Präsidentenpartei von Colom (die sozialdemokratische Union Nacional de
Esperanza) keinen Kandidaten bei der Wahl stellte. Otto Molina (von der konservativen
Partido Patrioto) gewann in einer Stichwahl mit 54 Prozent und ist seit Jänner 2012 Präsident.
Honduras
Seit der Verfassung von 1982 ist die Wiederwahl absolut ausgeschlossen. Honduras hat
ähnlich restriktive Kriterien (in puncto Verwandschaft mit Amtsträgern etcetera) wie
Guatemala, zudem dürfen auch leitende Mitarbeiter von Konzessionären von Staatsbetrieben
nicht zur Wahl antreten. Manuel Zelaya (von der linksgerichtete Partido Libertad) war im Juni
2009 mittels (je nach Sichtweise) Verfassungs-/Militär-Putsch gewaltsam, aber jedenfalls mit
Hilfe des Militärs aus dem Amt entfernt worden. Zelaya hatte für die Wahl im November
2009 per Dekret auch eine parallele Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung,
konkret die Einberufung einer Asamblea Nacional Constituyente angekündigt. Seine Kritiker
22
http://elmundo.com.sv/funes-asegura-que-no-piensa-en-reeleccion
19
sahen darin einen beabsichtigten Kurswechsel in Richtung Chávez/Venezuela und einen
möglichenALBA-Beitritt, die Höchstgerichte sahen das Dekret mit der geplanten
Volksabstimmung jedenfalls als illegal an. Nach einigen Jahren der Verfassungskrise, mit
Übergangspräsident Roberto Micheletti und dem 2010 gewählten Porfirio Lobo (von der
konservativen Partido Nacional), ist Präsident Juan Hernandez (Partido Nacional) seit Jänner
2014 im Amt. Zelayas Ehefrau Xiomara Castro trat bei der Präsidentenwahl im November
2013 an, blieb aber in der Stichwahl hinter Hernandez auf Platz zwei.
Kolumbien
Seit 2005 ist eine unmittelbare (konsekutive) Wiederwahl möglich, zuvor war die Wiederwahl
nur mit einer Periode Pause möglich. Präsident Alvaro Uribe führte die Änderung 2005 ein
und gewann die Wahl 2006, er regierte von 2002 bis 2010, zwei volle Amtsperioden. Uribes
Partei wollte 2010 ein Referendum abhalten, das eine dritte Amtszeit ermöglichen sollte, der
kolumbianische Verfassungsgerichtshof untersagte dieses aber. Bei den Wahlen von 2010
gewann Juan Manuel Santos von Unidad Nacional, einer mit Uribe verbündeten Partei, in der
Stichwahl mit 69 Prozent. 2014 gewann Santos die Stichwahl mit nur mehr sechs Prozent
Vorsprung. Eines der zentralen Themen in der Kampagn auf Santos Seite waren die
Verhandlungen mit der Guerilla-Organisation FARC, die zum Zeitpunkt der Wahl
andauerten. Im September 2014 kündigte Santos’ Regierung an, eine Gesetzesinitative zur
Verlängerung des Präsidentenmandates von vier auf fünf oder sechs Jahre einzubringen, aber
gleichzeitig die konsekutive Wiederwahl zu untersagen.23
Laut Umfragen sollen mehr als 60
Prozent der Wähler dafür sein, am 16. Dezember 2014 wird darüber im Parlament definitiv
abgestimmt. Ein Vizepräsident allerdings darf dem Vorschlag nach für die darauffolgende
Periode als Präsident kandidieren.
Auffällig ist die sinkende manifeste Unterstützung (overt support) für den Oficialismo
Kolumbiens bei den drei letzten Wahlen: Álvaro Uribe gewann bei seiner 2. Wahl 2006 im
ersten Wahlgang mit 62 Prozent, Juan Manuel Santos setzte sich 2010 erst im 2. Wahlgang
durch, wenn auch klar mit 69 Prozent. Bei der Stichwahl 2014 gewann er nur mehr knapp
mit 51 Prozent. Dass Santos eine Initiative zur Abschaffung der Wiederwahl startet, ist
daher in der Rolle einer Coalicion Declinancte im Sinne von Buquet verständlich.
Mexiko
Seit der Verfassung von 1917 gelten durchgehend das absolute Wiederwahlverbot und eine
23
http://www.eluniverso.com/noticias/2014/07/20/nota/3262761/juan-manuel-santos-vamos-eliminar-
reeleccion-presidencial-colombia
20
Amtszeit von 6 Jahren. Jüngste Verfassungsänderungen sehen vor, dass Parlamantarier zwei
statt einer Periode tätig sein dürfen, eine Änderung beim Präsidentenamt war aber nie Thema.
An der Dominanz der „staatstragenden" PRI seit 1911, die bis auf zwei Amtsperioden (2000
bis 2012 Fox und Calderon von der konservativen PAN) durchgehend den Präsidenten stellte,
änderte dies aber nichts.
Nicaragua
Seit 2014, dank eines Parlamentsbeschlusses nach vorheriger Delegierung dieser
Entscheidung vom Verfassungsgerichtshof an das Parlament, gilt unbegrenzte statt
einmaliger Wiederwahl, dafür reicht eine einfache Mehrheit im ersten Wahlgang. Präsident
Daniel Ortegas Partei FSLN hat 63 von 91 Mandaten im Parlament, Ortega kann also 2016
wieder um das Präsidentenamt antreten und zum vierten Mal Präsident werden. Er war nach
der sandinistischen Revolution von 1979 Präsident, wurde aber 1990 abgewählt. Seit 1996 sah
die Verfassung vor, dass keine unmittelbare Wiederwahl möglich ist. 2007 wurde abermals
Ortega gewählt, ein Gericht hebelte später die Verfassungsänderung von 1996 aus und somit
konnte Ortega abermals antreten, regiert seit 2012 in seiner mittlerweile dritten (und zweiten
konsekutiven) Periode.
Die mit dem historischen Verdienst, das Somoza-Regime ausgeschaltet zu haben,
ausgestattete sandinistische FSLN lässt wenig Zweifel, dass dieser revolutionäre Verdienst
genug der Legitimität sei: "Das christliche, sozialistische und solidarische Projekt muss sich
wegen seines revolutionären Charakters nicht den gesetzlichen Regeln des Landes beugen."
So wird Tomas Borge, Generalsekretär der FSLN, von Andrés Pérez-Baltodano24
zitiert, als
2011 die Kandidatur von Daniel Ortega bekannt gegeben worden war, und Borges sagte
demnach weiter: "Wer ignoriert, dass alle und jedes Staatsorgan auf die Interessen der
Revolution, also des Volkes, reagieren muss, ist realitätsfremd." Carlos F. Chamorro25
,
nicaraguanischer Journalist und vormaliger Chef der Sandinistischen Zeitung Barricada,
beschreibt Ortegas politisches Handeln so (eigene Zusammenfassung und Übersetzung): "Ein
autoritäres Regime, das keine demokratische Rechnungslegung erlaubt und extrem
24
Pérez-Baltodano, Andrés: Nicaragua: Democracia electoral sin consenso social. Revista de Ciencia
Politica/Volumen 32/No1/2012/ S. 211-228, Pontificia Universidad Católica de Chile. Instituto de Ciencia
Política, Santiago de Chile
25
Chamorro, Carlos F.: La revolución sandinista, 35 años después. “Achieving the Central
American Revolutions”, Centro de Estudios Latinoamericanos LILLAS , Universidad de Texas, 19 .2. 2014. Austin,
Texas
21
personalisisert. Wirtschaftspolitisch ist er für private Unternehmer und erlaubt einen Markt,
überwacht vom Fondo Monetario Internacional. Das Budget wird gestützt von Venezuela, und
so kann er Regierungsprogramme, die eigene Partei und ein Imperium von
Familienunternehmen finanzieren. International agiert er mit anti-imperialistischer Rhetorik
und als Verbündeter von ALBA, Russlands und China. Ideologisch setzt er auf revolutionäre
Rhetorik und praktiziert den Personen kult in eigener Sache und für seine Frau Rosario
Murillo, gestützt von einem ultrakonservativen religiösen Messianismus." Ähnlich äußerte
sich jüngst auch wieder Ortegas langjähriger sandinistischer Mitstreiter Ernesto Cardenal, im
Zusammenhang mit dem Nicaragua-Kanal („El presidente Daniel Ortega, con el poder
omnímodo que él y su mujer tienen sobre este país, hizo que el Congreso Nacional aprobara
en un solo día la creación de una ley para la construcción de un canal interoceánico.“) 26
Panamá
Wiederwahl ist möglich, aber erst nach einer Pause (Reelección Alterna) von 5 Jahren, diese
Regelung gilt seit 1989. Im Mai 2014 wurde Juan Carlos Varela im ersten Wahlgang mit
einfacher Mehrheit gewählt; sein Vorgänger Ricardo Martinelli (Cambio Democratico,
konservativ) konnte nicht antreten. Doch dessen Partei CD nominierte neben dem 2014
unterlegenen Kandidaten Jose Domingo Arias als dessen mögliche Vizepräsidentin Marta
Linares de Martinelli, Ehefrau von Ex-Präsident Ricardo Martinelli.
Paraguay
Seit 1992 ist die Wiederwahl untersagt, zuvor unter Diktator Alfredo Stroessner (1954 bis
1989) war die unbegrenzte Wiederwahl möglich. Horacio Cartes von der seit Jahrzehnten
beinahe ununterbrochen an der Macht befindlichen Partei Colorado ANR ist seit April 2013
Präsident. Sein Vorgänger Federico Franco (Partido Liberal Radical Auténtico) kam im Juni
2012 als vormaliger Vize-Präsident ins Präsidentenamt, weil der damalige Präsident Fernando
Lugo (Frente Guasú) in einem als "Verfassungsputsch" genannten Manöver binnen 24
Stunden abgesetzt worden war. Lugo wurden "Verfehlungen bei der Amtsführung"
vorgeworfen, die damals oppositionelle Colorado-Partei (die jahrzehntelang Stroessner
unterstützt hatte) und die Partido Liberal Radical Autentico (mit der Präsident Lugos Frente
Guasú eigentlich in einem links-liberalen Regierungsbündnis stand), konnten basierend auf
einer Verfassungsbestimmung und mit großer parlamantarischer Mehrheit Lugo abwählen.
Lugo war zuvor seit 2008 im Amt und hatte damit die 60 Jahre dauernde Colorado-Herrschaft
unterbrochen.
26
http://internacional.elpais.com/internacional/2014/11/07/actualidad/1415399466_451688.html
22
Perú
Seit 2001 ist Wiederwahl nur mit fünf Jahren Pause (Reeleccion Alterna) möglich. Zuvor war
seit 1993 konsekutive einmalige Wiederwahl erlaubt, der damalige Präsident Alberto Fujimori
führte diese Änderung ein und wurde auch als Präsident wiedergewählt. Später wurde Alan
Garcia wiedergewählt, allerdings gemäß der genannten seit 2001 geltenden Reeleccion
Alterna. Peru ist somit das einzige Land Lateinamerikas, das seit dem Jahr 2000 die
Wiederwahl-Optionen tendenziell eingeschränkt hat. In Peru existiert zudem ein, welches das
Antreten von Verwandten bis zum vierten Grad des regierenden Präsidenten bei
Präsidentenwahlen (oder auch als Vizepräsident) verbietet. Die geltende Verfassung von 1993
hingegen sieht keinerlei derartige Einschränkungen vor. Dieses Gesetz wurde 1997
geschaffen, um das Antreten der Ex-Frau von Alberto Fujimori, Susana Higushi, bei der Wahl
zu verhindern. Nadine Heredia, Ehefrau des regierenden sozialdemokratischen Präsidenten
Ollanta Humala (und zudem auch Tante 2.Grades ihres Ehemannes) gilt im Land als weit
populärer als ihr Mann und als „Schatten-Präsidentin“. Ihr werden Ambitionen auf ein
Antreten bei der Wahl 2016 nachgesagt, sie dementiert diese aber. 27
Humala bezieht seine Legitimität zum einen aus dem Faktor "legale Herrschaft", denn die
Mitte-Links-Politk von Humala bedient sich keiner übergeordneten "Staatsideologie" (keines
traditionellen "-ismo"), und Humalla fehlt es wohl auch an Charisma. Er ist pragmatisch
orientiert. Zwar hatte er bei seinem ersten erfolglosen Wahlantritt 2006 durchaus starke
Anleihen in Rhetorik und Programmatik von Hugo Chávez genommen. Später distanzierte er
sich mehrmals vom venezolanischen Modell und bezog sich namentlich auf Brasiliens
Präsidenten Lula als (wirtschafts-) politisches Vorbild und gewann somit die Wahl von
2011. Peru verzeichnete getrieben von Neo-Extraktivismus (wenn auch wohl weniger stark
als anderswo) eine solide wirtschaftliche Entwicklung und hat bei Faktoren wie Gini-Index
oder Human Development-Index Verbesserungen erreicht, ebenso beim BIP pro Kopf, also
beim Output des politischen Systems. Klares Zeichen für eine keineswegs "boliviarianischen"
Kurs von Humala ist auch der Beitritt Perus zur Alianza del Pacifico und nicht eine
Annäherung an die ALBA (auch wenn beide Bündnisse wenig vergleichbar sind)
Uruguay
Wiederwahl ist zulässig, allerdings mit mindestens 5 Jahren Pause, also einer Amtsperiode.
José Mujica war von 2009 bis 2014 Präsident. Sein Vorgänger Tabaré Vázquez wird aller
Voraussicht nach auch sein Nachfolger sein (Stichwahl 30. November). Vázquez, der
27
http://elcomercio.pe/politica/gobierno/nadine-heredia-no-voy-postular-presidencia-elecciones-2016-
noticia-1748106
23
Kandidat der regierenden Frente Amplio, erhielt im ersten Wahlgang im Oktober 2014 48
Prozent, sein Verfolger Luis Lacalle Pou nur 31%. Der Vater des letzteren wiederum, Luis
Alberto Lacalle, war von 1990 bis 1995 Präsident Uruguays und war Mujica bei der Wahl
2010 in der Stichwahl unterlegen.
Venezuela
In Venezuela galt bis 1999, dass eine Wiederwahl nur 10 Jahre nach Ende der ersten
Amtzszeit möglich ist. Als Hugo Chávez 1999 an die Regierung kam, änderte er schon kurz
danach die Verfassung, eine einmalige Wiederwahl wurde möglich. Seit 2009 gilt nach einem
von Chávez initiierten erfolgreichen Referendum unbegrenzte Wiederwahl, ein erstes von
Chávez initiiertes Referendum darüber war 2007 knapp gescheitert.
Chávez Argumentation und Rhetorik war und ist Vorbild bei der offenbar angestrebten
weiteren Perpetuierung der Präsidentenämter in Bolivien ebenso wie in Ecuador. In allen drei
Fällen haben die Präsidenten nicht nur die Wiederwahloptionen bereits verlängern können
(und wurden deutlich wiedergewählt), sie haben auch umfassende Änderungen in der
Organisation des politischen Systems durchgeführt, jeweils begünstigt durch sehr schwach
legitimierte Präsidenten und Parteien zum Zeitpunkt der jeweiligen Machtübernahme und
später begünstigt durch den fast ganz Lateinamerika erfassenden wirtschaftlichen
Aufschwung. In dieser Zeit wurden in den genannten Ländern Sozialprogramme massiv
ausgebaut, in Venezuela etwa die Misiones (in Sachen Bildung, Wohnraum etcetera). Weiters
zog Chávez zum Beispiel an der Basis des politischen Systems Consejos Comunales im Sinne
einer partizipativen Demokratie ein und stärkte auch die Gewerkschaften. Die Asamblea
Nacional ersetzte das vormalige Zwei-Kammer-System des Parlaments, die Rechte der
indigenen Bevölkerung wurden formell erweitert. Im Sinne der Input-Output-Schleifen wurde
damit jeweils die Mechanismen vereinfacht und verkürzt und die repräsentative (Parteien-)
Demokratie auf allen Ebenen durch diese Maßnahmen sukzessive obsolet gemacht.
Der zumindest ebenso großer Faktor für die Legitimität von Chávez Position an der Macht
bzw. konkret für die Einführung der unlimitierten Wiederwahl 2009 war der Faktor Charisma.
Weniger mit dem Nimbus des Kriegshelden im Weber'schen Sinn (weil ja der Putsch 1992
gescheitert war) als vielmehr in einer Märtyrer- (Inhaftierung durch das alte Regime), Erlöser-
(vom alten Regime), Demagogen- und Propheten-Rolle (kurzes TV-Interview nach dem
gescheiterten Putsch, wonach die Zeit für den Regimewechsel noch nicht reif war, sie aber
kommen werden), gelang es Chávez, Charisma aufzubauen. Zudem wurde auch ein Mythos
24
um die "Caudillo"-Herkunft Chávez inszeniert (siehe Juan Pablo Dabove28
). Der Chavismo
war bald alles dominierende Gesinnungemeinschaft in Venezuela, die verstaatlichte
Erdölgesellschaft PDVSA eines der wichtigsten Instrumente und der Geldgeber für den
Machterhalt. Man könnte Chávez nach allen drei Legitimitätsbegründungen Max Webers
endlos weiter deklinieren (und ebenso ad Infinitum Input-Output-Schleifen weiter
differenzieren).
Die Umstände um die Erkrankung und letztlich den Tod von Chávez (bekannt gegeben im
März 2013, nach manchen Quellen/Meinungen aber einige Wochen zuvor eingetreten) zeigen
aber möglicherweise auch, dass es große Probleme bei der Nachfolgersuche gab. Dem nach
offizieller Lesart von Chávez selbst als sein Nachfolger bestimmten Nicolas Maduro fehlt es
an persönlichem Charisma, daher auch an dieser Art von Legitimität.29
Die Opposition
bezweifelt auch das formell korrekte Zustandekommen seiner Präsidentenkandidatur und
überhaut seiner Präsidentschaft, denn er sei nicht von Geburt an Venezolaner und überhaupt
sei es 2013 zu Wahlbetrug gekommen. Maduros Aussagen, etwa sich als Sohn von Chávez
oder Apostel von Chávez zu positionieren oder mit Chávez in spiritueller Verbindung zu
stehen und ihn so um Rat zu fragen ("Pajarito"), deuten neben fehlendem Charisma, also
fehlender Legitimität, auch auf eine gewisse Ratlosigkeit bzw. fehlende Kompetenz hin. Das
Wahlergebnis für Maduro von April 2013, wenige Wochen nach Chávez Tod und mit einem
Wahlkampf mit sinngemäßen Slogans wie "Chávez' Erbe weiterführen" von nur etwas über
51 Prozent seitens des Oficialismo zeugt von deutlich gesunkenem overt support im
Easton'schen Sinne, ebenso geriet das politische System vor und nach diesen Wahlen unter
zunehemenden Stress, der sich durch regelmäßige Demonstrationen gegen die schlechte
Versorgungslage und die rasante Inflation und vieles mehr manifestiert. Die Erosion der
Legitimität des Chavimso ist auch aus den Wahlergebnissen abzulesen: Chávez gewann 2006
mit 63 Prozent die Präsidentenwahl im ersten Anlauf, brachte das Referendum über die
perpetuierte Wiederwahl 2007 knapp nicht durch, gewann im zweiten Anlauf 2009 das
Referendum zwar mit 54 Prozent, konnte aber bei den Präsidentenwahlen 2012 nur mehr 55
Proeznt der Wähler hinter sich vereinigen. Sein, sei es vom Apparat des Chavismo oder von
Chavez selbst ausgesichter Nachfolger Nicolas Maduro erreichte im April 2013 nur mehr
28
Dabove, Juan Pablo: Hugo Chávez y Maisanta. El fuera de la ley y la construcción de un linaje surgente.
Vanderbilt University E-Journal of Luso-Hispanic Studies, Vol.7. El aura de la voz, 2011.
29
http://telefono-rojo.org/2013/04/18/cuando-el-carisma-legitimador-no-se-hereda/
25
haarscharf eine Mehrheit, mit 50,5 Prozent gegenüber dem Kandidaten des
Oppositionsbündnisses, der auf 49,1 Prozent kam.
Ob die eben genannten fehlenden overt supports bzw. sinkenden outputs des Systems bis
2018, also bis zu den nächsten Präsidentenwahlen, kompensiert werden können, hängt meiner
Meinung nach am wenig beeinflussbaren Ölpreis und an der eigenen Wirtschaftspolitik.
Zumindest scheint angesichts des fehlenden Charismas von Maduro (und auch wegen der
internen Machtkämpfe im Chavismo) schon Chávez Tochter Gabriela als Kandidatin für 2018
in Stellung gebracht zu werden, sie wurde vor wenigen Monaten zur Botschafterin
Venezuelas bei den vereinten Nationen ernannt.30
Sie ist aber nicht das einzige
Familienmitglied von Hugo Chávez und ebensowenig von Nicolas Maduro, das kraft
Familienzugehörigkeit in politische Ämter gehievt wurde.
Schlussbemerkungen
Von Argentinien bis Venezuela, die Verfassungsänderungen in den vergangenen etwa 15
Jahren hinsichtlich Präsidentenwahlmodus, Amtsdauer und Wiederwahloptionen in den 18 in
dieser Arbeit behandelten Ländern verliefen überwiegend in Richtung Perpetuierung. In den
meisten Fällen gelangen sie und zeitigten auch Wahlerfolge jener politischen Gruppen,
welche diese Änderungen initiiert hatten. In Ecuador und Bolivien scheint eine abermalige
Ausweitung des Präsidialismus möglich, in Argentinien scheiterte der Versuch einer
abermaligen Ausweitung an den parlamantarischen Kräfteverhältnissen. In nur wenigen
Ländern gab und gibt es restriktive Entwicklungen: Peru und die Dominikanische Republik
schränkten die Wiederwahlmöglichkeit ein, in Kolumbien ist ein Versuch der Reduktion im
Laufen (nachdem 2005 der Präsidialismus ausgeweitet worden war). In Chile, El Salvador
oder Brasilien gab es zwar Stimmen für die (teilweise neuerliche) Ausweitung, doch die
politischen Proponenten widerstanden vorerst der Versuchung. Nur in Paraguay, Panama,
Mexiko, Guatemala und Honduras gab es offenbar keinerlei derartigen Änderungen und auch
keine Versuche dahingehend in den vergangenen 15 Jahren.
Ein anderer in dieser Arbeit nur kurz erwähnter Faktor der indirekten Perpetuierung
präsidentialer Machtfülle ist die Umgehung der Gesetze mittels, wie es Daniel Zovatto nennt,
Spousal Re-Election, also die Nominierung von Ehepartnern für das Präsidentenamt. Dies
30
http://mexico.cnn.com/mundo/2014/08/14/una-hija-de-hugo-chavez-es-nombrada-embajadora-alterna-
ante-la-onu
26
bzw. dahingehende Versuche und Tendenzen waren in den vergangenen 15 Jahren oder in den
folgnden Ländern auch schon lange zuvor zu beobachten in: Argentinien, Guatemala,
Honduras, Nicaragua, Panama und Peru. Die Durchsetzung der Machtapparate mit
Familienangehörigen, wie in Venezuela geschildert und in sicher vielen weiteren Ländern
Praxis, ist ebenso ein Versuch in dieselbe Richtung.
All diese kreativen Perpetuierungs- und Machterhaltungsversuche sind keineswegs auf eine
gewisse Seite des politischen Spektrums zu beschränken.
Der Präsidialismus und der schwach ausgeprägte Parlamentarismus in Lateinamerika haben,
wie eingangs geschildert, historische Ursachen. Ich möchte aber im Hyper-Präsidialismus
(wie es Zovatto nennt) doch eine Hauptursache für die politische Instabilität und die in Folge
eher schleppende soziale und wirtschaftliche Entwicklung in jenen Ländern, wo dieses
Phänomen überproportional auftritt, ausmachen. Länder mit restriktiven präsidentiellen
Regelungen wie Costa Rica, Chile oder Uruguay schneiden in vielerlei Faktoren besser ab als
jene mit „ewigen Präsidenten“.
Obwohl es dort Wiederwahl-Verbote gibt, sind Honduras, Guatemala oder Mexiko aber sicher
die Ausnahmen dieser Regel; in Mexiko hingegen als der „perfekten Diktatur“ ist die quasi
staatstragende PRI der fast ununterbrochene Machtfaktor; der jeweilige Staatspräsident ist
bloß ein Symptom für die Krankheit der unveränderten Machtverhältnisse, nur eben
verursacht von der pepetuierten Macht einer einzigen Partei anstatt von der Person eines
dauer-gewählten Präsidenten.
Daher möchte ich abermals auf Zovatto zurückgreifen, der sinngemäß folgendes meint: „Das
Recht zur Wiederwahl birgt auch die Gefahr einer ,demokratischen Diktatur‘ und verstärkt per
se den Trend zu einer hegemonialen und personifizierten Führung. Auch durch formale
Legitimierung durch die Wähler ist eine unbegrenzte Präsidenten-Wiederwahl
undemokratisch.“ Dabei enstehene auch weitere anderen Kandidaten bei Wahlen
benachteiligende Faktoren, der „Ventajismo“.
Ausdrücklich sieht Zovatto diese genannten Gefahren aber nur in präsidentialen und weniger
in parlamentarischen Systemen. Auch dieser Meinung schließe ich mich an.
***
27
Literaturliste und Quellen
-Serrafero,Mario D.:La reelección presidencila indefinida en América Latina, RIIM Revista
de Instituciones, Ideas y Mercados Nº54 | Mayo 2011 | pp. 225-25, bi-annual journal
published by ESEADE, Buenos Aires
-Del Arenal, Celestino und Sanahuaja, José Antonio(coords.): América Latina y los
Bicentenarios: una agenda de futuro. Fundación Carolina y Siglo XXI Editores, 2010,
Madrid.
-O'Donnell Guillermo. Contrapuntos. Ensayo s escogidos sobre autoritarismo y
democratizacíon, Buenos Aires 1997
-Panizza, Francisco: Nuevas izquierdas y democracia en América Latina, Revista CIDOB
d’Afers Internacionals no 85-86, Barcelona 2009
-Lessmann Robert:Das neue Bolivien, Evo Morales und seine demokratische Revolution,
Zürich 2010
-Krauze, Enrique:Redentores –Ideas y Poder en América Latina.Random House Mondadori,
Mexico 2011
-Dabove, Juan Pablo:Hugo Chávez y Maisanta. El fuera de la ley y la construcción de un
linaje surgente. Vanderbilt University E-Journal of Luso-Hispanic Studies, Vol.7. El aura de
la voz, 2011.
-Parra Tapia, Ivonne K. El presidencialismo en Venezuela. Efectos sobre la legitimidad y
estabilidad democraticas en el pais. Universidad del Zulia, 2009
http://democraciaparlamentaria.files.wordpress.com/2009/09/el-presidencialismo-en-
venezuela-parra.pdf
- de Oliveira Piquet Carneiro, Gabriela. Current supply and demand for neopopulism in Latin
America. International Review of Sociology, Volume 21, Issue 2, 2011 (Abstract)
-Buquet, Daniel. Entre le legidimidad y la eficacia: Reformas en los istemas de elección
presidencial en América Latina.Revista Uruguaya de Ciencia Política Nº 16. 2007. pp. 35-49.
http://www.scielo.edu.uy/scielo.php?pid=S1688-499X2007000100004&script=sci_arttext
(Abstract)
-Booth, John A.;Seligson, Mitchel A.:The Legitimacy Puzzle in Latin America:
PoliticalSupport and Democracy in Eight Nations. New York: Cambridge University
Press,2009. (Review bzw. Seite 1 bis 10)
-Mitos y realidades sobre la re-reelección y la reforma constitucional
http://www.plataforma2012.org.ar/index.php/documentos/22-mitos-y-realidades-sobre-la-
reeleccion-y-la-reforma-constitucional
28
-Huntington, Samuel P.: The Third Wave: Democratization in de Late Twentieth Century,
University of Oklahoma Press, 1991
-Nohlen, Dieter: Treatise on Compared Electoral Law of Latin America, International
institute for Democracy and Electoral Assistance, Stockholm, 2007 (Seite 287 ff, XV. La
Reelección)
-Zovatto, Daniel: Reelection, continuity and hyper-presidentialism in Latin America,
http://www.idea.int/americas/reelection-continuity-and-hyper-presidentialism-in-latin-
america.cfm; 12.2.2014
- Gamboa Rocabado, Franco: Hacia una utopía democrática en Bolivia: Las lecciones de la
Asamblea Constituyente y el nacimiento de un probable Estado indígena .Consejo
Latinoamericano de Sciencias Sociales, April 2014, Buenos Aires
- De la Fuente, Manuel: La Consolidación del Poder de Evo Morales. Instituto de
Investigación y Debate sobre la Gobernanza, Paris
http://www.institut-gouvernance.org/es/chapitrage/fiche-chapitrage-11.html
- De la Torre, Carlos: El tecnopopulismo de Rafael Correa: ¿Es compatible el carisma con la
tecnocracia? Latin American Research Review Volume 48, Number 1, Spring 2013
-Verdesoto Custodo, Luis: La Presidencia perpetua de Rafael Correa, 3. November 2014
http://www.planv.com.ec/historias/politica/la-presidencia-perpetua-rafael-correa
-Pachano, Simon: Ecuador: Reelección con nombre y apellido.
http://www.infolatam.com/2014/11/16/ecuador-reeleccion-con-nombre-y-apellido/
- Pérez-Baltodano, Andrés: Nicaragua: Democracia electoral sin consenso social. Revista de
Ciencia Politica/Volumen 32/No1/2012/ S. 211-228, Pontificia Universidad Católica de Chile.
Instituto de Ciencia Política, Santiago de Chile
- Chamorro, Carlos F.: La revolución sandinista, 35 años después. “Achieving the Central
American Revolutions”, Centro de Estudios Latinoamericanos LILLAS , Universidad de
Texas, 19. 2. 2014. Austin, Texas
***
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Perpetuierung des Präsidialismus in Lateinamerika: Ein Irrweg statt eines Auswegs aus der Legitimitätsfalle

  • 1. 1 Universität Wien, Sommersemester 2014 Vertiefungsseminar: Probleme politischer Legitimation in Lateinamerika Leitung: Univ. Doz. Dr. Gernot Stimmer Seminararbeit Perpetuierung des Präsidialismus in Lateinamerika: Ein Irrweg statt eines Auswegs aus der Legitimitätsfalle Autor: Harald Klöckl, Matr. Nr. 8711506 Inhalt Einleitung 2 Historischer Abriss 2 Methoden 5 Theoretische Grundlagen 6 a.) Legitimität nach Weber 6 b.) Legitimität nach Easton 8 c.) Überlegungen zu Legitimität von Buquet 9 Status Quo in Lateinamerika Überblick 10 -Die Länder im einzelnen 11 Schlussbemerkungen 25 Literatur und Quellen 27
  • 2. 2 Einleitung In den letzten 10 bis 15 Jahren gab es einen verstärkten Umbau der politischen Systeme Lateinamerikas in Richtung Präsidialismus, und da speziell durch gelungene Perpetuierung der Amtsperioden. Ich untersuche in dieser Arbeit die Verlagerung der Legitimität des teilweise gesamten politischen Systems in Ländern, wo die Perpetuierung gelang, in Hinblick auf Amt und Person des Präsidenten/der Präsidentin. Weiters nehme ich einen Überblick über die konstitutionellen Bestimmungen zum Präsidentenamt, konkret den Amtsperioden und den Wahlmodi der lateinamerikanischen Länder vor (exklusive Puerto Rico, Kuba und die Karibikinseln). Die Möglichkeit der Wiederwahl eines Präsidenten oder der Verlängerung der Prasidentenmandate hat unter dem Gesichtspunkt der Machtakkumulation und der Legitimitierung mehrere Faktoren. Zum einen die Dauer des Mandats und der Modus der Wahl bzw. Wiederwahl, zum anderen die Kompetenzen des Präsidenten (insbesondere unter dem Aspekt der Gewaltenteilung, also im Sinne von Montesquieu Legislative, Exekutive und Judikative) und damit zusammenhängend auch die institutionellen Kontrollmechanismen. Ich werde mich aber weitgehend auf die Dauer des Mandats und die Wiederwahl-Möglichkeiten (konsekutiv, also: unmittelbare darauffolgende Amtperiode derselben Person oder alternierend: mit einer Amtperiode bzw. einer gewissen Anzahl von Jahren Pause) beschränken. Weiters werde ich die Länder mit jüngst geänderten Regelungen bzw. die Präsidenten nach den Typen der legitimen Herrschaft von Max Weber sowie nach dem Input- Outut-Schema von David Easton klassifizieren und teilweise andere Überlegungen zum Präsidentenwahlmodus heranziehen, nämlich jene von Daniel Buquet. Historischer Abriss Die Jahre nach der Dritten Welle der Demokratisierung in den meisten Ländern Lateinamerikas (Huntington 1991) mit dem Sturz/der Abwahl von Militärregimen gelten als "verlorenes Jahrzehnt" für die zumindest wirtschaftliche Entwicklung Lateinamerikas. Die Dominikanische Republik und Ecuador waren dabei 1978 die ersten, Paraguay und Chile 1989 die letzten. Die jüngeren Demokratien Lateinamerikas waren, was die legistische Gestaltung der jeweiligen Präsidentenämter betrifft, geprägt von einer Untersagung der
  • 3. 3 Wiederwahl und von kurzen Amtsperioden.1 Nur Nicaragua, Paraguay und die Dominikanische Republik erlaubten unmittelbar nach der Rückkehr zu demokratischeren Verhältnissen eine Wiederwahl, in Kuba galt wie eh und je die unbegrenzte Wiederwahl. Die Wirtschaftspolitik der 1990er Jahre war dann vom Washington Consensus geprägt (freier Markt, offene Volkswirtschaften, Privatisierung öffentlicher Güter und Leistungen etcetera). Vor allem Carlos Andrés Pérez als Präsident in Venezuela, Alan García und Alberto Fujimori in Perú und Carlos Menem in Argentinien, setzen diese liberale Politik um, aber ohne entsprechende Erfolge bzw.unter massiven Protesten der Bevölkerung. Die vorangegangenen Schuldenkrisen (speziell Mexiko, Argentinien) einiger Länder ließen das Pendel an manchen Orten umschlagen: Hugo Chávez kam in Venezuela 1998 an die Macht, nach einem zuvor gescheiterten Putschversuch und einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt. Mehrere weitere Länder folgten später seinem Links-Kurs, Länder, die man heute grob in „sozialdemokratische" und „populistische“ Regime differenzieren kann (Francisco Panizza2 ). Im neuen Jahrhundert verengte sich dieser politische Kurs ausgehend von Venezuela auch in Bolivien, Ecuador und Nicaragua weiter nach Links und wurde ebendort selbst meist als sozialistisch und/oder mit eigenen Wortschöpfungen benannt, die indigene oder historische Referenzen beinhalteten. Insbesondere in diesen vier Ländern ging die politische Neuausrichtung beginnend rund um die Jahrtausendwende auch mit Verfassungsänderungen einher, die jeweils die Amtsdauer und Machtfülle der regierenden Präsidenten ausweiteten und dabei vorerst zumindest die unmittelbare einmalige Wiederwahl eines Präsidenten ermöglichten. Eine Frage, die ich beantworten will, ist ob eine Relation zwischen starkem Präsidentialimus vom Typ „Populismo“ und der perpetuierten Präsidentenwahl besteht und ob dieses Modell auch von anderen Ländern (außer den vier genannten) angestrebt wird. Präsidialismus versus Parlamentarismus. Warum hat sich historisch gesehen der Präsidialismus in Lateinamerika durchgesetzt, warum kein Modell einer parlamentarischen Demokratie? Parra Tapia3 schreibt, dass Lateinamerikas Unabhängigkeitbewegungen von der US-Verfassung von 1787 inspiriert waren und die Länder zudem bewusst einen Kontrapunkt zum Regierungssystem der vormaligen Kolonialmächte Spanien und Portugal setzen wollten. 1 Tabla 3 in: Buquet, Daniel. Entre le legidimidad y la eficacia: Reformas en los istemas de elección presidencial en América Latina.Revista Uruguaya de Ciencia Política Nº 16. 2007. pp. 35-49. http://www.scielo.edu.uy/scielo.php?pid=S1688-499X2007000100004&script=sci_arttext 2 Panizza, Francisco: Nuevas izquierdas y democracia en América Latina, Revista CIDOB d’Afers Internacionals no 85-86, Barcelona 2009 3 Parra Tapia, Ivonne K. El presidencialismo en Venezuela. Efectos sobre la legitimidad y estabilidad democraticas en el pais. Universidad del Zulia, 2009
  • 4. 4 Im Amt des Präsidenten in Lateinamerika sind die Funktion des Staatschefs und des Regierungschefs vereint, in den vergleichsweise föderalistisch geprägten USA wird diese Machtfülle auch als Gegengewicht zu den Kompetenzen der Bundesstaaten erklärt; weitere politische Machtfaktoren sind in den USA der Kongress, der Senat und das Oberste Gericht. Die nur einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist in den USA unangetastet und unangezweifelt. In Lateinamerika hingegen entwickelte sich ein Präsidialismus ohne diese Gegenpole der Macht und mit einer teilweise nach europäischen Maßstäben massiven Anhäufung von exekutiver, legislativer und judikativer Gewalten in Präsidentenhand. Die in der Gegenwart oft fehlenden Kontrollmechanismen bzw. Gegengewichte werden meist durch die historisch generell schwachen Parteien und Institutionen und das Erbe von Caudillismo, Populismo oder Paternalismo (den man nur unzureichend mit Vettern- oder Günstlingswirtschaft übersetzen kann) erklärt. Die ursprüngliche Limitierung des Präsidentialismus ohne (unmittelbare) Wiederwahlmöglichkeit, beginnend mit der Demokratisiserung in den 1980er Jahren, war wohl eine Folge der Erfahrungen mit den vorangegangenen autoritären und Militärregimen. In den vergangenen 36 Jahren entwickelte sich Lateinamerika also von einer Region, in der die Wiederwahl überwiegend untersagt war, zu einer Region, in der die Wiederwahl des Präsidenten in den meisten Fällen möglich ist (und fast durchwegs auch bei den der Änderung folgenden Wahlen gelang). Jene Präsidenten, die die Verfassungen ändern ließen und davon bei der folgenden Wahl profitierten, waren Menem, Cardoso, Fujimori, Chávez, Morales, Correa und Uribe. Diese Tendenz zur Wiederwahl ist gezeichnet von einer Schwäche der Institutionen, einer zunehmenden Personalisierung, Parteienkrisen und einem (nach Diktion von Daniel Zovatto4 ) Hyper-Präsidialismus. Auf der anderen Seite haben in jüngerer Zeit zum Teil einige kaum weniger populäre/mächtige Präsidenten als die zuletzt genannten, der Versuchung widerstanden, die Verfassungen ihres Landes unterstützt von der großen persönlichen Popularität verändern zu lassen (Michelle Bachelet, Luiz Inácio Lula da Silva, José Mujica) oder sie scheiterten dabei (Álvaro Uribe). Durch die schwindenden Einnahmen aus dem Extraktivismus, im speziellen durch Erdöl (und den daher geringeren Mitteln zur Umverteilungs- und Sozialpolitk) sind manche Nachfolger der populären Präsidenten (bzw. dieselben Personen in einer folgenden Amtsperiode) weit weniger populär bzw. gewinnen Wahlen weit weniger klar. Als Beispiele kann man folgende Vergleiche bei den 4 Zovatto, Daniel: Reelection, continuity and hyper-presidentialism in Latin America
  • 5. 5 Wahlergebnissen nennen (siehe bei Die Länder im einzelnen): Lula II /Dilma I und II in Brasilien, Uribe/Santos I und II in Kolumbien oder Chávez I/ Chávez II/Maduro in Venezuela. Massive Proteste wegen der Sozialpolitik, wegen der Sicherheitslage, wegen umstrittener Infrastruktur- und Bergbauprojekte, wegen der Korruption, wegen der Bildungspolitik oder wegen der schlechten Versorgungslage gab es in allen diesen Ländern, ebenso z. B. in Peru. Methoden In dieser Arbeit überprüfe ich einige Länder hinsichtlich perpetuiertem Präsidentialismus als Mittel gegen Legitimitätsverlust der Amtsinhaber und der Argumentation der Proponenten dabei. Ich bediene mich zum einen der Herrschafts- und Legitimitätsdefinitionen von Max Weber, mit einem Fokus auf charismatische und auch auf traditionelle Herschaft: dies vor allem weil die populistisch akzentuierten Regime in Venezuela, Bolivien oder Ecuador von den Persönlichkeiten ihrer Präsidenten geprägt sind und diese überdies auch Begriffe im sinne der Traditionalisierung wie Chavismo, Bolivarianismo, Revolución Ciudadana eingeführt haben, oder auch das Buen Vivir/Vivir Bién, als zumindest unterschwellige neue Staatsideologie implementierten (was meiner Meinung nach auf einen traditionellen Legitimätsbegriff hindeutet). Zum anderen untersuche ich die Länder nach der Input/Output-Theorie von David Easton. Dies, weil zum einen wie gesagt am Anfang der Perpetuierung der präsidialen Macht oft intitutionelle Änderungen standen oder neue Beteiligungsformen der Bürger eingeführt wurden. Zum anderen gelang die Ausweitung der präsidentialen Macht auch durch einen wirtschaftlichen Aufschwung der meisten lateinamerikanischen (und meist rohstoffreichen) Länder (und vielleicht machte dieser ökonomische Aufschwungen überhaupt die Perpetuierung der Präsidenten überhaupt erst möglich), welcher im Wesentlichen exogen durch die besonders bis 2008 stark gestiegene globale Rohstoffnachfrage insbesondere aus China verursacht wurde. Diese Einnahmen wurden zu einem gewissen Teil in Regierungsprogramme vor allem sozialer Natur investiert, die einer vergleichsweise breiten Schicht der Bevölkerung zugute kamen, also (in vielen Fällen erstmals bzw. in einem Maße wie nie zuvor) Output an diese Bevölkerung lieferten. Andererseits waren diese politischen Systeme dennoch immer wieder auch anderen Forderungen der Bevölkerung ausgesetzt. Insofern scheint mir Input-Output als geeignetes Instrument, um die gestiegene Legitimität
  • 6. 6 und Machtfülle der Präsidenten in genau dieser genannten Zeitspanne bis etwa 2010 zu erklären. In jüngerer Zeit, mit dem Abflauen der globalen Rohstoffnachfrage und dem Verfall des Rohölpreises, sahen/sehen sich aber viele Präsidenten/Länder mit geringeren Einnahmen konfrontiert, und gleichzeitig offenbaren sich oft auch deutlich geringere Zustimmungen oder Mobilisierung bei Wahlen, oder die Unzufriedenheit offenbart sich in offenen Protesten (mehr dazu bei der Länder-Übersicht). Ob diese beiden Tendenzen kausal sind, sei dahingestellt, aber eine Korrelation scheint mir unzweifelhaft. Theoretische Grundlagen Legitimität a.) Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, Max Weber 1. Legale Herrschaft Diese auch bürokratische Herrschaft genannte Legitimitätsbegründung gilt als der "reinste" Typus nach Weber. Dabei können - wenn sie nur formal korrekt zustandegekommen sind - Normen jeglicher inhaltlicher Art geschaffen oder abgeändert werden, und aus diesem formalen Grund würden sich die Beherrschten den Normen unterwerfen. Auch der Herrschende unterwerfe sich der bürokratischen Herrschaft, indem er sein Recht zur Normenschaffung innerhalb seiner sachlichen Kompetenz ausübt. 2. Traditionelle Herrschaft Sie stützt sich auf den Glauben an die Legitimität einer tradierten "heiligen" Ordnung und derer Herrschaftsstruktur. Auch die formal Befehlenden sind inhaltlich an diese Ordnung bzw. Werte (Staatsideologie) gebunden, denn wenn diese mit ihren Befehlen der überlieferten Ordnung widersprechen, gefährden sie ihre eigene ebenso ausschließlich aus den tradierten Normen abgeleitete Machtposition. Auch die Proponenten der regierenden Bürokratie beziehen ihre Legitimität nur aus der Tradition und nicht aufgrund sachlicher Kompetenz. Weber differenziert in zwei traditionelle Herrschaftsypen: a.) Patriarchalische Herrschaft: Die untergeordneten Amtsträger bzw. der Verwaltungsstab stammen aus dem persönlichen Umkreis des Herrschers, sind entweder Familienangehörige oder dessen "Vasallen, Sklaven oder Günstlinge", sind dem Herrscher jedenfalls durch ein persönliches Treueband verbunden.
  • 7. 7 b.) Ständische Herrschaft: Die untergeordneten Amtsträger bzw. der Verwaltungsstab haben sich ihre Stellung gewissermaßen erworben, durch ein Privileg seitens des Herrschers oder als Belehnte, oder haben auch durch Rechtsgeschäft ein unwiderrufliches Recht an ihrem Amt erworben. 3. Charismatische Herrschaft Seine Legitimität bezieht der Herrscher dabei aus den ihm zugeschriebenen persönlichen Fähigkeiten und Qualitäten. Der charismatische Herrscher tritt laut Weber in folgenden Grundformen auf, aus denen sich auch seine dominierenden Fähigkeiten ablesen lassen: Prophet, (Kriegs-)held, Demagoge. Der Herrschaftsverband ist die Vergemeinschaftung, die Gemeinde oder die Gefolgschaft, der Typus der Gehorchenden wird als Jünger bezeichnet, der Herrscher selbst ist Führer. Man gehorcht dem Führer ob seiner persönlichen und außergewöhnlichen oft "magischen" Eigenschaften und nicht aus Gründen von Tradition (siehe 2.) oder wegen desser gesatzter Position (siehe 1.). Zentral ist daher, dass das Charisma des Herrschers nicht schwinden darf, ansonsten würde er seine Legitimität verlieren. Der Herrscher muss daher auch regelmäßig Zeugnisse seiner charismatischen Fähigkeiten liefern, gewissermaßen ständig aufs Neue "Wunder wirken". Der Herrscher leitet seine Autorität nicht bloß aus seiner (freiwilligen) Anerkennung seitens der Beherrschten ab, sondern die Anerkennung der Autorität und der Glaube an ihn, die affektive Hingabe an seine Person und an seine Gnadengaben (was Charisma im Griechischen ja wörtlich bedeutet) sind für die Beherrschten sogar eine Pflicht. Der Apparat des charismatischen Herrschers wiederum wird von diesem nach dem jeweiligen Charisma und dem Grad der Hingabe dieser Personen an ihn, den Herrscher, ausgewählt. Spätestens wenn der charismatische Herrscher wegfällt (etwa durch Tod), muss diese Legitimität dann als traditionelle Herrschaft etabliert sein und ein Nachfolger feststehen, auf welchen der Verschiedene sein Charisma zuvor übertragen hatte. Dieser Nachfolger kann vom Verwaltungsstab des weggefallenen Herschers ausgewählt werden, er kann auch vom charismatischen Herrscher zuvor aus diesem Verwaltungsstab nominiert worden sein, oder die charimatische Herrschaft kann per Erbfolge an einen Blutsverwandten des verstorbenen Herrschers übergehen (Anmerkung: oder sie wird an die Ehegattin weitergegeben). Die charismatische Herrschaft als rein persönliche soziale Beziehung der Beherrschten zum Herrscher hat nach Weber bei langem Bestand die Tendenz, sich in eine traditionelle Ordnung zu verwandeln.
  • 8. 8 b.) David Easton, Input-Output-System der politischen Systeme David Easton stellt in seinem 1965 erschienen Werk „A Systems Analysis of Political Life“ die politischen Prozesse als System dar, in welchem soziale Interaktionsmuster zu einer autoritativen Allokation von Werten innerhalb einer Gesellschaft führen. Die Schlüsselfrage ist: „Wie erreichen es politische Systeme, sich in einer Welt, die zugleich Stabilität und Wandel aufweist, zu behaupten?“ Nach Easton sind politische Systeme anpassungsfähige Handlungssysteme, die in ihre Umwelt eingebettet sind. Dabei wird den Systemen die Fähigkeit zugesprochen, auf Störungen und Spannungssituationen (Stress) zu reagieren. „Interaktionen, durch die in bindender Weise Werte für eine Gesellschaft gesetzt werden“, ist Eastons Definition eines politischen Systems. Das in „A Systems Analysis of Political Life“ von Easton beschriebene „Input-Output- System" gilt als eine allgemein anwendbare Theorie politischer Prozesse, bei welcher die autoritativen Entscheidungen auf der Outputseite, aber insbesondere die gesellschaftlichen Forderungen und Unterstützungen auf der Inputseite im Vordergrund stehen. In einem solchen politischen System werden Forderungen (Demands) der Bevölkerung auf der Inputseite durch institutionelle Prozesse zu Entscheidungen auf der Outputseite transformiert. Wie die Entscheidung zustande kommt, also nach welchen internen Mechanismen sich die Inputs seitens der Behrrschten letztlich als Outputs der Herrscher manifestieren, bleibt den Beherrschten aber verborgen (Easton bezeichnet diesen unsichtbaren Prozess als Black Box); dies zu erhellen, sei Aufgabe von Medien bzw. Journalismus. Entscheidend für die Akzeptanz autoritativer Outputs ist dabei die gesellschaftliche Unterstützung (Support). Demands und Supports treten jeweils in Form von materiellen und politischen Forderungen sowie jeweils als materielle und politische Unterstützung auf. Bei den Supports differenziert Easton wie folgt: - Messbare kurzfristige Handlungen wie die Wahlbeteiligung oder das Zahlen der Steuern werden als manifeste Unterstützung (overt support) für das System betrachtet. Kognitive Grundeinstellungen wie Parteiloyalität oder patriotische Überzeugungen bezeichnet Easton als latente Unterstützung (covert support). Diese reicht über kurzfristige Einzelentscheidungen hinaus und spielt für die dauerhafte Funktionsfähigkeit des Systems eine wichtige Rolle. Ein derartiges generalisiertes Systemvertrauen gewährleistet vor allem systemische Kontinuität, auch bei Regierungs- und Politikwechseln.
  • 9. 9 - Weiters unterscheidet Easton zwischen spezifischer und diffuser Unterstützung (specific and diffuse support). Ersterer ist eine unmittelbare Reaktion auf tagespolitische Entscheidungen, zweitere basiert auf eine gewachsene Identifikation mit den Grundlagen des politischen Systems. Die diffuse Unterstützung ist dabei eine Art Reserve für die Akzeptanz autoritativer Outputs. Outputs des politischen Systems sind bei Easton die Entscheidungen und Handlungen der Regierenden, die die Folge jeweiligen Inputs sind. Er bezeichnet diese Wechelwirkung als Feedback-Schleifen (Loops). Damit das politische System den richtigen Output auf Demands der Gesellschaft setzen kann, ist aber unabdingbar, dass die Autoritäten mit Informationen versorgt werden. Falls diese Informationen nicht ausreichend sind (und daher falsche Outputs gesetzt werden), kommt es zum Sinken des politischen Support (als zu Stress) und dann in letzter Konsequenz zum Kollaps des politischen Systems. Legitimität definiert Easton als die Grundhaltung der Gesellschaft zum Regime, speziell ob die Beherrschten übezeugt sind, dass es richtig und korrekt ist, der Autorität zu gehorchen und sich an die Regeln der Bedürfnisse des Regimes zu halten. c.) Daniel Buquet5 hat 2007 zudem einige sehr interessante Zusammenhänge zwischen Legitimität und Reformen der Präsidentenwahlsysteme in Lateinamerika hergestellt. Er geht (wenig überraschend) davon aus, dass politische Kräfte ihre eigenen Interessen im Sinn haben, wenn sie Regeln über den politischen Wettbewerb ändern. Legitimität und Effektifität seien die Erfolgsfaktoren politischer Systeme, jeder Reformversuch beim Wahlsystem habe daher die Beseitigung einer Disfunktion bei diesen Faktoren im Sinn. Buquet sieht dabei zwei Gruppen von Regierenden, die sich jeweils nach einem konträren Muster in Bezug auf Prasidentenwahlsystem-Reformen verhalten. Coaliciones Declinantes sind Regierende und im Land etablierte Gruppen, die sich als künftige Verlierer sehen. Sie drängen auf Reformen, die einschließend für andere nichtregierende Gruppen sind. Damit sollen das System re-legitimiert und eigene künftige Wahl- und Machtverluste minimiert werden. Sie berufen sich bei ihren Reformen auf ihre Legitimität und sie suchen daher breite Zustimmung. 5 Buquet, Daniel. Entre le legidimidad y la eficacia: Reformas en los istemas de elección presidencial en América Latina.Revista Uruguaya de Ciencia Política Nº 16. 2007. pp. 35-49. http://www.scielo.edu.uy/scielo.php?pid=S1688-499X2007000100004&script=sci_arttext
  • 10. 10 Coaliciones Ascendientes sind Bewegungen an der Regierung, die sich im Aufschwung sehen, die daher andere Gruppen von der Macht ausschließen und die erwarteten künftigen Gewinne bei Wahlen in puncto Machtgewinn daraus maximieren wollen. Sie argumentieren mit mehr politischer Effektivität durch die angestrebten Reformen des Präsidentenwahlsystems. Im Sinne von Inklusion/Exklusion durch Präsidentenwahlsysteme definiert Buquet zudem drei Variablen: -Variable 1, mit zwei Varianten: Präsidentenwahl mit bloß relativer Mehrheit (Mayoria Relativa MR) oder Stichwahl (Doble Vuelta DV) der beiden erstplatzierten Kandidaten. Coaliciones Declinantes bevorzugen für den Machterhalt eine Reform in Richtung DV, aus der Unsicherheit ihres künftigen Erfolges und der Bedrohung ihrer Macht. Coaliciones Ascendientes bevorzugen eine Reform in Richtung MR. -Variable 2: Dauer des Mandats Coaliciones Declinantes bevorzugen eine Verkürzung der Amtsdauer. Coaliciones Ascendientes bevorzugen eine Verlängerung derAmtsdauer. -Variable 3: Wiederwahl Coaliciones Declinantes bevorzugen eine Regelung in Richtung weniger Wiederwahl. Coaliciones Ascendientes bevorzugen die Ausweitung der Wiederwahl, insbesondere wenn die Persönlichkeit des Präsidenten ein großer Faktor ist. Buquet analysierte alle Wahlsysteme in Südamerika zwischen 1990 und 2005, jedes Land hatte dabei mindestens bei einer Variablen eine Änderung vorgenommen, die im damaligen politischen Kontext (je nachdem, ob Coalicion Declinante oder Ascendiente) in die hier beschriebenen Richtung erfolgt ist. Der Status Quo in Lateinamerika (Übersicht) - Wiederwahl-Optionen und Amtsdauer (Anzahl der Jahre in Klammer). Keine Wiederwahl Guatemala (4), Honduras (4), Mexiko (6) Paraguay (5) Einmalige Wiederwahl -konsekutiv: Argentinien (4), Bolivien (4) Brasilien (4), Ecuador (4), Kolumbien (4) -mit Pause (eine/ zwei Amtsperioden bzw. eine gewisse Anzahl von Jahren): Chile (4), Costa Rica (4), Dominikanische Republik (4), El Salvador (5), Panamá (4), Perú (5), Uruguay (5)
  • 11. 11 Unbegrenzte Wiederwahl: Venezuela (6), Nicaragua (5) - Wiederwahl funktioniert Seit 1990 gelang (fast) jedem Präsidenten in Lateinamerika die Wiederwahl, egal ob bei unveränderter Gesetzeslage* oder nach von ihm “angeregter” Gesetzesänderung**. •Nicaragua: Ortega 2011** •Kolumbien: Uribe 2006** •Peru: Fujimori 1995**, Garcia 2006* •Argentinien: Menem 1996**, C. Kirchner 2011* •Venezuela: Chávez** •Ecuador: Correa 2013** •Bolivien: Morales 2010** •Chile: Bachelet 2013* •Brasilien: Cardoso 1998*, Lula 2006*, Dilma 2014* Die Länder im Detail Argentinien Seit 1994 gilt konsekutive Wiederwahl statt keine Wiederwahl. Dem damaligen Präsidenten Carlos Menem (von 1989 bis 1999) gelang die Änderung der Verfassung (allerdings wurde als Kompromiß die Amtszeit von 6 auf 4 Jahre verkürzt und eine Stichwahl vorgesehen, die einfache Relative Mehrheit im ersten Wahlgang reichte ebenso nicht mehr), und er wurde auch wiedergewählt. Bei der Wahl 2003 (nach einer Periode Absenz) erreichte Menem im ersten Wahlgang zwar mit 24 Prozent die meisten Stimmen, sein Herausforderer Nestor Kirchner erreichte 22 Prozent, worauf Menem sich aufgrund eindeutiger Umfrageergebnisse, die Kirchner einen klaren Sieg voraussagten, zurückzog. Nestor Kirchner wurde somit Präsident. Bei der Wahl 2007 trat Kirchner nicht an und schickte stattdessen seine Frau Cristina Kirchner ins Rennen, die als Primera Dama bereits politisches Profil erworben hatte. Sie erreichte im ersten Wahlgang 45,3 Prozent, ihre Widersacherin Elisa Carrio 23 Prozent. Somit stand C. Kirchner als Präsidentin fest, nach geltendem Wahlrecht ist keine absolute Mehrheit nötig, sondern es reicht ein Ergebnis von über 45 Prozent, oder, bei mehr als 40 Prozent, ein Vorsprung von mehr als 10 Prozentpunkten auf den zweitplatzierten Kandidaten. Bei der Wahl 2011 gewann C. Kirchner im ersten Wahlgang klar mit 54 Prozent. Gemäß der
  • 12. 12 Verfassung ist keine zweite Wiederwahl, also keine drittes konsekutives Präsidentenamt möglich. Mit der Kampagne „Cristina 2015“ versuchte der Oficialismo im Jahr 2012 Vorbereitungen für eine Verfassungsänderung zu treffen, die eine dritte Amtperiode von C. Kirchner ermöglichen sollte. Diese Änderung wäre aber nur mit einer größeren Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments möglich. Bei den Zwischenwahlen (die Hälfte bzw. ein Drittel der Kammern werden turnusgemäß zur Mitte der Präsidenten-Periode neu gewählt) von 2013 hätte nur ein klarer Zugewinn des Oficialismo und seiner Verbündeten diese Mehrheit schaffen können. Proponenten des Oficialismo beschworen dafür das „Carisma de Cristina“. Dies gipfelte zum Beispiel im August 2012 in folgender Aussage von Vizepräsident Amadou Boudou6 : “¿Cómo no va a estar enamorada la gente de ésta Presidenta y sentir que se muere de ganas que siga Cristina?” und der Parole “Somos parte de un proyecto nacional que conduce nuestra Presidenta”. ("Wie könnten die Menschen nicht in diese Präsidentin verliebt sein und Lust verspüren, dass Cristina bleibt?" bzw. "Wir sind Teil eines nationalen Projektes, das unsere Präsidentin führt." Die nötige Mehrheit wurde 2013 aber verfehlt. Derartige Aussagen zum Versuch der Perpetuierung der Präsidentschaft beschwören zum einen wortwörtlich den Faktor des Charisma im Sinne von Weber. Zum anderen orten Politologen und Beobachter, darunter etwa Daniel Zovatto, dass Nestor und Cristina Kirchner von 2003 an den Plan gehabt hätten, das Land alternierend bis 2023 zu regieren. Diese Perspektive wurde mit dem Tod von Nestor Kirchner 2010 zunichte gemacht. Daher wird in jüngster Zeit versucht, Maximo Kirchner, den Sohn von Nestor und Cristina, als Politiker in Stellung zu bringen.7 8 Im Kirchnerismo, als einer jüngeren Variante des argentischen Peronismo, hat Nestor Kirchner aus seiner legalen Herrschaft von 2003 durch die erfolgreiche Nominierung seiner Frau als Kandidatin 2007 diese auch zur charismatischen Herrscherin gemacht. Nun besteht angesichts der verfassungsrechtlichen Schranken der Wiederwahl die Tendenz, mit Hilfe des Sohnes Maximo in einer Art Erbfolge die charimatische Legitimität weiterzugeben. Dies alles unter dem ohnehin schon im Weber'schen Sinn langem Bestand eines traditionellen Regimes wie des Peronismo als gewissermaßen patriarchalische Staatsideologie eines (ursprünglich) dritten spezifisch argentinischen Weges zwischen Kommunismus und Kapitalismus. 6 http://www.lapoliticaonline.com/nota/63254/ 7 http://www.lagaceta.com.ar/nota/607949/politica/maximo-unio-oposicion-tras-no-cristina-kirchner.html, 8 http://www.elmundo.es/loc/2014/09/24/54216f20e2704e8f638b457b.html
  • 13. 13 Bolivien Laut alter Verfassung war bis 2009 nur die nicht-konsekutive Wiederwahl möglich. In einem von Präsident Evo Morales (2005 mit 54 Prozent gewählt, 2009 mit 64 Prozent gewählt) initiierten Referendum 2013 wurde eine einmalige konsekutive Wiederwahl mehrheitlich von der Bevölkerung angenommen. Im Jahr 2013 trat jedoch ein Gesetz in Kraft, das diese Regelung weiter auslegt: Demnach konnte Morales im Oktober 2014 erneut zur Wahl antreten (und gewann diese auch mit 61% Zustimmung), obwohl er damit schon die dritte Amtperiode in Folge Präsident ist. Das Argument war, dass Bolivien mit den Verfassungsänderungen von 2009 als neuer Staat gegründet worden sei (seither als: Estado Plurinacional de Bolivia) und daher die vorangegangene erste Amtszeit von Morales ab 2006 nicht zähle. Die „Neugründung“ des Staates mit dem indigenen Konzept des Vivir Bién und der Plurinationalität trifft sozusagen Vorsorge, dass das Modell sukzessive in ein traditionelles übergehen kann. Morales indigene Herkunft, seine Verankerung in der Gewerkschaft der Koka-Bauern und sein persönliches Charisma machten seine Wahlerfolge möglich. Die Betonung des Indigenismo (angesichts 60 Prozent indigener Bevölkerung) hat auch starke religiöse Züge.9 Morales bezieht seine Popularität auch aus dem Ressourcen-Nationalismus (Verstaatlichung der Schlüsselindustrien) und aus seiner Sozialpolitik. Außerdem erfreut sich das Land einer guten wirtschaftlichen Entwicklung. Stress auf das politische System im Sinne von Easton gibt es dennoch durch soziale Konflikte auch seitens indigener Gruppen wie zum Beispiel die Proteste um das TIPNIS-Projekt ziegen. Allerdings gibt es keine Anzeichen, dass Morales seine charismatische Herrschaft auf einen Nachfolger übertragen will. Gamboa Rocabado10 sieht stattdessen Anzeichen zu einer Einparteienherrschaft des Movimiento al Socialismo MAS gibt und meint, dass sich das Modell eines indigenen Staates nicht materialisieren werde. Er begründet dies mit dem Caudillismo von Morales, der nur auf dessen persönliche Perpetuierung der Macht gerichtet sei. Brasilien Seit 1998 ist eine einmalige Wiederwahl möglich, anstatt des Verbots der Wiederwahl. Der damalige Präsident Fernando Cardoso initiierte die Verfassungsänderung und wurde wiedergewählt, er regierte insgesamt von 1995 bis 2002. Seine beiden Nachfolger Luiz Inacio Lula da Silva und Dilma Rousseff wurden ebenso jeweils wiedergewählt. Aus der mit der 9 http://www.eldeber.com.bo/bolivia/viceministro-pide-apoyar-evo-mas.html. 10 Gamboa Rocabado, Franco: Hacia una utopía democrática en Bolivia: Las lecciones de la Asamblea Constituyente y el nacimiento de un probable Estado indígena .Consejo Latinoamericano de Sciencias Sociales, April 2014, Buenos Aires
  • 14. 14 Arbeiterpartei PT verbündeten Partei PSDB gab es in der Zeit, als noch Lula in zweiter Amtsperiode regierte, eine Inititative, um eine zweite Wiederwahl zu ermöglichen. Lula selbst schloß das aber aus und dies wurde dann auch vom Parlament abgelehnt. Die Herrschaft der Arbeiterpartei PT von Lula Inacio da Silva stützt sich wegen der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends zwar überwiegend auf Output-Legitimität. Lulas Popularität und Amtsführung wiesen aber auch Züge einer Charismatischen Herrschaft auf (Vergangenheit als starker Gewerkschaftsführer, als gewissermaßen "Kriegsheld"; Demagoge), doch Lula selbst widerstand zwar der wie erwähnt Versuchung, seine Amtszeit verlängern zu lassen, hat aber mit der persönlichen Nominierung seiner Nachfogerin Dilma im Sinne eines charimatischen Herrschers gehandelt, der diese Eigenschaften auf die Nachfolgerin übertragen will: Dies, auch weil Dilma eine Vergangenheit als Widerstandskämpferin gegen die Militärdiktatur (1964 bis 1985) hat. An persönlichem Charimsa (abgesehen von der genannten Eigenschaft als "Kriegsheldin" bzw. Märtyrerin) fehlt es ihr aber. Sie war von Lula als Ministerin von 2003 bis 2010 eingesetzt worden und erst kurz zuvor (2001) der PT beigetreten.11 Dilma erklärte zu Beginn ihrer ersten Amtszeit den Kampf gegen die extreme Armut als Hauptziel, sie weitete die von Lula (eigentlich schon von dessen Vorgänger Cardoso) begonnene Sozialprogramme wie Bolsa Familia aus. Dennoch konnte sie keine großen Beliebtheit erlangen. Ein Indiz dafür war natürlich das äußerst knappe Rennen um die Dilma-Wiederwahl im vergangenen Oktober. Die deutliche Abkühlung des Wachstums, die massiven Proteste rund um die Fußballweltmeisterschaft und eine Reihe von Korruptionsskandalen vor allem rund um die Petrobras nagten an ihrer Popularität und verursachten Stress im Sinne von David Easton. Die Legitimität der PT in Braslien ist unter Dilma eine eher bürokratische, charismatische oder traditionelle Elemente fehlen. Fraglich ist auch, ob die Outputs des Systems ausreichend sind, also ob Dilma angesichts der stagnierenden Wirtschaft zumindest über ausreichend covert support verfügt. Bezeichnend ist die sinkende Zustimmung in Form von manifester Unterstützung (overt support) für die PT bei den drei letzten Wahlen: Lula gewann bei seiner zweiten Wahl 2006 in der Stichwahl mit 61 Prozent, Dilma gewann bei ihrer ersten Wahl in der Stichwahl mit 56 Prozent und bei der Stichwahl im Oktober 2014 nur mit 52 Prozent. 11 http://www.cidob.org/es/documentation/biografias_lideres_politicos/america_del_sur/brasil/dilma_rousseff
  • 15. 15 Chile 2005 wurde die Präsidenten-Amtsperiode auf vier Jahre verkürzt (zuvor seit 1994 sechs Jahre), die alternierende Wiederwahl wurde beibehalten. Präsidenten Michelle Bachelet wurde 2014 zum zweiten Mal (unterbrochen von vier Jahren Präsidentschaft von Sebastian Piñera) gewählt. Chile ist wohl auch eines der am stärksten von "legaler Herrschaft" geprägten Länder Lateinamerikas. Die Machtwechsel von Links auf Rechts und umgekehrt waren vergleichsweise friedlich und fair verlaufen und ohne die in Lateinamerika sattsam bekannten Vorwürfe von Wahlbetrug durch die jeweils unterlegenen Parteien/Kandidaten. Im Sinne von Easton stand das demokratische politische System Chiles aber sehr wohl oft unter "Stress" (jüngst Demonstrationen vor allem gegen das Bildungssystem bzw. dessen Kosten), vielleicht auch daher wurde mit Bachelet wieder eine Präsidentin gewählt, der offenbar zugetraut wird, die Disparitäten zu mildern. Auch die Inklusion der kommunistischen Anführerin der Studenten- (bzw. Bildungs-) Proteste Camila Vallejo in die Regierung war ein Schachzug (und auch die Erfüllung einer Forderung im Sinn von Easton) zur Legitimierung von Bachelet. Diese hatte abermals am 20. Juni 2014 (schon in ihrer zweiten Amtperiode) in einem Interview mit der Zeitung La Segunda12 die Änderung der Verfassung in Richtung konsekutiver Wiederwahl ausgeschlossen. Sie erteilt im selben Interview auch generell dem Präsidialismus (bzw. Personenkult/Populismus) auch eine Absage. Costa Rica Seit 2003 ist nicht-konsekutive Wiederwahl möglich. Der Verfassungsgerichtshof hatte damals auf Initiative von Oscar Arias die Verfassung aufgehoben, die seit 1969 eigentlich eine Wiederwahl absolut untersagt hatte (eine gleichlautende Initative von Arias war im Jahr 2000 nicht erfolgreich). Damit konnte Arias, der schon von 1986 bis 1990 regierte hatte, abermals antreten und war dann von 2006 bis 2010 wieder Präsident. Ihm folgte Laura Chincilla 2010 bis 2014, seit März 2014 ist Luis Guillermo Solis Präsident. Letzterer gewann relativ überraschend: In Umfragen vor dem ersten Wahlgang wurde der linke Kandidat Jose Maria Villalta (dem im Wahlkampf große Nähe zum Chavismo nachgesagt worden waren) als Gegner von Johny Arraya (von der Partei der vormaligen Präsidentin Chincilla) in der Stichwahl erwartet. Schließlich kam der gemäßigte Mitte-Links- Kandidat G. Solis in die Stichwahl und lag dann in den Umfragen dafür so klar vor Arraya, dass letzterer den Wahlkampf für die Stichwahl einstellte (ein freiwilliger Rückzug ist offenbar nicht vorgesehen). Eine der ersten öffentlichen Aussagen von Solis ging in Richtung 12 http://www.lasegunda.com/Noticias/Politica/2014/06/943246/soy-una-convencida-de-que-seis-anos-con- un-mal-gobierno-puede-ser-una-pesadilla
  • 16. 16 „Abkehr vom Populismus der lateinamerikanischen Präsidenten“.13 Er erließ im Juni 2014 Vorschriften, die es untersagten, dass in Costa Rica Schulen oder Bauwerke etcetera seinen Namen tragen. Das politisch und wirtschaftlich stabile Costa Rica ist eines der Länder, in denen die bürokratische/legale Herrschaft am stärksten ausgeprägt ist, Machtwechsel in Richtung andere Parteien verlaufen weitgehend friktionsfrei. Dominikanische Republik Seit dem Jahr 2010 ist keine konsekutive Wiederwahl mehr möglich. Zuvor war seit einem Referendum von 2002 die einmalige Wiederwahl erlaubt. Zuvor von 1994 bis 2002 war die konsekutive Wiederwahl wie auch aktuell untersagt. Die Verfassungsänderung von 2002, welche die konsekutive Wiederwahl zwischenzeitlich möglich machte, wurde vom damaligen Präsidenten Hipolito Mejia von der sozialistisch-populistischen Partido Revolucionario Dominicano initiiert. Mejia wurde aber nicht gewählt, als einziger Präsident Lateinameirkas nach einer eigenen und erfolgreichen Initiative zur Wiederwahl-Möglichkeit. Seit August 2012 ist Danilo Medina von der sozial-liberalen Partido de la Liberación Dominicana Präsident. Ecuador Seit 2008 ist einmalige Wiederwahl für eine Periode von 4 Jahren möglich. Zuvor war keine unmittelbare Wiederwahl erlaubt. Rafael Correa, der seit 2007 im Amt ist (bei der Stichwahl siegreich mit 57 Prozent der Stimmen), rief bald eine Verfassungsgebende Versammlung ein, die unter dem Schlagwort Revolución Ciudadana eine neue Verfassung vorlegte. Bei der ersten Wahl nach der neuen Verfassung im Jahr 2009 gewann abermals Correa, im ersten Wahlgang mit 52 Prozent. Im Februar 2013 gewann Correa im ersten Wahlgang sogar mit 57 Prozent der Stimmen und wird daher bis 2017 und somit drei Amtsperioden ohne Unterbrechung Präsident sein ( er durfte 2013 mit dem selben Argument wie Morales in Bolivien antreten: mit der neuen Verfassung zähle eine vorherige Präsidentschaft nicht mehr als Hindernis). Zumindest seit Mai 2014 lässt Correa durchklingen, dass er einer "Volksabstimmung über eine unbegrenzte Wiederwahl nicht entgegenstehen würde" 14 , auch der Verfassungserichtshof gab grünes Licht für eine Volksabstimmung zur unbegrenzten Wiederwahl und merkte jüngst sogar an, dass gar keine Consulta Popular dafür nötig sei, 13 http://www.vanguardia.com.mx/presidentedecostaricadiceadiosalcultopersonalista-2100286.html 14 http://internacional.elpais.com/internacional/2014/05/30/actualidad/1401487011_686482.html
  • 17. 17 sondern die Mehrheit im Parlament reiche (Correas Alianza Pais hat 100 von 137 Sitzen in der Asamblea Nacional)15 : Für Ecuador gilt ähnliches wie für Bolivien, jedoch ist das politische Regime und das Wirtschaftssysten aktuell eine eher sozialistisches als ein indigen/national-populistisches wie in Bolivien. Ecuador hatte zwischen 1997 und 2007 neun Präsidenten, die neue Verfassung sieht eine Stärkung der verwundbaren Gruppen vor, betont Rechte der Natur, etcetera. Präsident Correa stellt die von ihm initiierte Revolución Ciudadana als unumkehrbaren Prozess dar, diesem widersprechende Kräfte oder Wahlergebnisse werden als Versuch der Destabilisierung der Regierung gedeutet, von rechtsextremen und ausländischen Kräften und den Medien.16 Carlos de la Torre17 meint, dass Correa im Gegensatz zu anderen neopopulistischen Präsidenten bei seiner Wirtschaftspolitik nicht auf oft eigentlich neoliberale Ökonomen hört, sondern Correa als Ökonom selbst Hand anlegt, einen traditionell sozialistischen Kurs einschlägt und dies mit seinem persönlichen/politischen Charisma kombiniert. Er inszeniert sich als Professor und als Erlöser der Nation, und seine Mission ist die Neugründung des Staates. In einem Interview betont Correa18 , dass er ein zerstörtes Land übernommen hatte und dass er von Fidel Castro sehr inspiriert sei. Luis Verdesoto Custodo19 , Profesor am FLACSO (Ecuador) sagt, dass Correas Partei Pais sich als Eigentümer der revolutionären Moral sehe, bzw. beinahe als göttliche Emissäre oder biblische Gesandte. Simon Pachano,20 Politikwissenschafter der Universidad de Salamanca, Spanien: "Die Wünsche nach einer Bürgerrevolution waren ein aufrichtiges Ziel, sie wurden aber durch den Caudillismo und die sterile Personifizierung zu Grabe getragen. Ohne ihn (Correa) kann der Prozess nicht weitergehen, aber mit ihm entfernt er sich immer weiter von seiner ursprünglichen Utopie." Alberto Acosta, einst Mitstreiter Correas, wird folgendermaßen zitiert:21 "Alianza País hat eine Cuadillo-Regierung geschaffen, Correa ist der Caudillo des 15 http://www.efe.com/efe/noticias/usa/america/corte-constitucional-aprueba-enmienda-para-una-eventual- reeleccion-correa/5/50015/2454141 16 http://www.cubadebate.cu/noticias/2014/03/01/correa-podria-aspirar-a-reeleccion-en- 2017/#.U0E_PdLBVuQ 17 De la Torre, Carlos: El tecnopopulismo de Rafael Correa: ¿Es compatible el carisma con la tecnocracia? Latin American Research Review Volume 48, Number 1, Spring 2013 18 http://razonesdecuba.cubadebate.cu/articulos/rafael-correa-por-una-patria-grande-y-mejor/ 19 http://www.planv.com.ec/historias/politica/la-presidencia-perpetua-rafael-correa 20 http://www.infolatam.com/2014/11/16/ecuador-reeleccion-con-nombre-y-apellido/ 21 http://www.cubalibredigital.com/index.php?option=com_content&view=article&id=21351:rafael-correa-y-el- apogeo-de-un-regimen-personalista&catid=13:principal&Itemid=23
  • 18. 18 21. Jahrhunderts, der sich als Träger des kollektiven politischen Willens präsentiert, als einziger der Antworten hat und als einziger, der diese umsetzen kann." ElSalvador Die Wiederwahl mit Pause (nach Ablauf eines anderen Mandates von 5 Jahren) ist möglich. Salvador Sánchez Cerén (von der linksgerichteten FMLN) gewann im März 2014 eine Stichwahl mit 50,11 Prozent (6.000 Stimmen Vorsprung), Mauricio Funes von der FMLN war zuvor von 2009 bis 2014 Präsident, sein Vorgänger Antonio Saca kam bei dieser Wahl mit einer neuen Partei Movimiento Unidad nicht in die Stichwahl. Zuvor gehörte Saca zur konservativen ARENA, die mit Francisco Guillermo Flores Pérez von 1999 bis 2004 den Präsidenten stellte. In der Periode von Funes (FMLN) gab es 2011 erfolglose Vorschläge seiner eigenen Partei, die die sofortige Wiederwahl (von Funes) möglich machen sollte.22 Guatemala Seit 1985 ist keine Wiederwahl möglich. Weiterers ist es sogar bestimmten Peronengruppen untersagt, zu einer (folgenden) Präsidenten-Wahl anzutreten: Familienangehörige von amtierenden Präsidenten, Vizepräsidenten, Ministern sowie Militärs, Priester jeder Religion oder Höchstrichter. 2011 kam es daher zum „Divorcio presidencial“: Präsident Álvaro Colom ließ sich wenige Monate vor der Präsidentenwahl scheiden, damit seine Ehefrau Sandra Torres zur Wahl antreten kann. Das Oberste Gericht annullierte aber die Kandidatur von Torres, womit die Präsidentenpartei von Colom (die sozialdemokratische Union Nacional de Esperanza) keinen Kandidaten bei der Wahl stellte. Otto Molina (von der konservativen Partido Patrioto) gewann in einer Stichwahl mit 54 Prozent und ist seit Jänner 2012 Präsident. Honduras Seit der Verfassung von 1982 ist die Wiederwahl absolut ausgeschlossen. Honduras hat ähnlich restriktive Kriterien (in puncto Verwandschaft mit Amtsträgern etcetera) wie Guatemala, zudem dürfen auch leitende Mitarbeiter von Konzessionären von Staatsbetrieben nicht zur Wahl antreten. Manuel Zelaya (von der linksgerichtete Partido Libertad) war im Juni 2009 mittels (je nach Sichtweise) Verfassungs-/Militär-Putsch gewaltsam, aber jedenfalls mit Hilfe des Militärs aus dem Amt entfernt worden. Zelaya hatte für die Wahl im November 2009 per Dekret auch eine parallele Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung, konkret die Einberufung einer Asamblea Nacional Constituyente angekündigt. Seine Kritiker 22 http://elmundo.com.sv/funes-asegura-que-no-piensa-en-reeleccion
  • 19. 19 sahen darin einen beabsichtigten Kurswechsel in Richtung Chávez/Venezuela und einen möglichenALBA-Beitritt, die Höchstgerichte sahen das Dekret mit der geplanten Volksabstimmung jedenfalls als illegal an. Nach einigen Jahren der Verfassungskrise, mit Übergangspräsident Roberto Micheletti und dem 2010 gewählten Porfirio Lobo (von der konservativen Partido Nacional), ist Präsident Juan Hernandez (Partido Nacional) seit Jänner 2014 im Amt. Zelayas Ehefrau Xiomara Castro trat bei der Präsidentenwahl im November 2013 an, blieb aber in der Stichwahl hinter Hernandez auf Platz zwei. Kolumbien Seit 2005 ist eine unmittelbare (konsekutive) Wiederwahl möglich, zuvor war die Wiederwahl nur mit einer Periode Pause möglich. Präsident Alvaro Uribe führte die Änderung 2005 ein und gewann die Wahl 2006, er regierte von 2002 bis 2010, zwei volle Amtsperioden. Uribes Partei wollte 2010 ein Referendum abhalten, das eine dritte Amtszeit ermöglichen sollte, der kolumbianische Verfassungsgerichtshof untersagte dieses aber. Bei den Wahlen von 2010 gewann Juan Manuel Santos von Unidad Nacional, einer mit Uribe verbündeten Partei, in der Stichwahl mit 69 Prozent. 2014 gewann Santos die Stichwahl mit nur mehr sechs Prozent Vorsprung. Eines der zentralen Themen in der Kampagn auf Santos Seite waren die Verhandlungen mit der Guerilla-Organisation FARC, die zum Zeitpunkt der Wahl andauerten. Im September 2014 kündigte Santos’ Regierung an, eine Gesetzesinitative zur Verlängerung des Präsidentenmandates von vier auf fünf oder sechs Jahre einzubringen, aber gleichzeitig die konsekutive Wiederwahl zu untersagen.23 Laut Umfragen sollen mehr als 60 Prozent der Wähler dafür sein, am 16. Dezember 2014 wird darüber im Parlament definitiv abgestimmt. Ein Vizepräsident allerdings darf dem Vorschlag nach für die darauffolgende Periode als Präsident kandidieren. Auffällig ist die sinkende manifeste Unterstützung (overt support) für den Oficialismo Kolumbiens bei den drei letzten Wahlen: Álvaro Uribe gewann bei seiner 2. Wahl 2006 im ersten Wahlgang mit 62 Prozent, Juan Manuel Santos setzte sich 2010 erst im 2. Wahlgang durch, wenn auch klar mit 69 Prozent. Bei der Stichwahl 2014 gewann er nur mehr knapp mit 51 Prozent. Dass Santos eine Initiative zur Abschaffung der Wiederwahl startet, ist daher in der Rolle einer Coalicion Declinancte im Sinne von Buquet verständlich. Mexiko Seit der Verfassung von 1917 gelten durchgehend das absolute Wiederwahlverbot und eine 23 http://www.eluniverso.com/noticias/2014/07/20/nota/3262761/juan-manuel-santos-vamos-eliminar- reeleccion-presidencial-colombia
  • 20. 20 Amtszeit von 6 Jahren. Jüngste Verfassungsänderungen sehen vor, dass Parlamantarier zwei statt einer Periode tätig sein dürfen, eine Änderung beim Präsidentenamt war aber nie Thema. An der Dominanz der „staatstragenden" PRI seit 1911, die bis auf zwei Amtsperioden (2000 bis 2012 Fox und Calderon von der konservativen PAN) durchgehend den Präsidenten stellte, änderte dies aber nichts. Nicaragua Seit 2014, dank eines Parlamentsbeschlusses nach vorheriger Delegierung dieser Entscheidung vom Verfassungsgerichtshof an das Parlament, gilt unbegrenzte statt einmaliger Wiederwahl, dafür reicht eine einfache Mehrheit im ersten Wahlgang. Präsident Daniel Ortegas Partei FSLN hat 63 von 91 Mandaten im Parlament, Ortega kann also 2016 wieder um das Präsidentenamt antreten und zum vierten Mal Präsident werden. Er war nach der sandinistischen Revolution von 1979 Präsident, wurde aber 1990 abgewählt. Seit 1996 sah die Verfassung vor, dass keine unmittelbare Wiederwahl möglich ist. 2007 wurde abermals Ortega gewählt, ein Gericht hebelte später die Verfassungsänderung von 1996 aus und somit konnte Ortega abermals antreten, regiert seit 2012 in seiner mittlerweile dritten (und zweiten konsekutiven) Periode. Die mit dem historischen Verdienst, das Somoza-Regime ausgeschaltet zu haben, ausgestattete sandinistische FSLN lässt wenig Zweifel, dass dieser revolutionäre Verdienst genug der Legitimität sei: "Das christliche, sozialistische und solidarische Projekt muss sich wegen seines revolutionären Charakters nicht den gesetzlichen Regeln des Landes beugen." So wird Tomas Borge, Generalsekretär der FSLN, von Andrés Pérez-Baltodano24 zitiert, als 2011 die Kandidatur von Daniel Ortega bekannt gegeben worden war, und Borges sagte demnach weiter: "Wer ignoriert, dass alle und jedes Staatsorgan auf die Interessen der Revolution, also des Volkes, reagieren muss, ist realitätsfremd." Carlos F. Chamorro25 , nicaraguanischer Journalist und vormaliger Chef der Sandinistischen Zeitung Barricada, beschreibt Ortegas politisches Handeln so (eigene Zusammenfassung und Übersetzung): "Ein autoritäres Regime, das keine demokratische Rechnungslegung erlaubt und extrem 24 Pérez-Baltodano, Andrés: Nicaragua: Democracia electoral sin consenso social. Revista de Ciencia Politica/Volumen 32/No1/2012/ S. 211-228, Pontificia Universidad Católica de Chile. Instituto de Ciencia Política, Santiago de Chile 25 Chamorro, Carlos F.: La revolución sandinista, 35 años después. “Achieving the Central American Revolutions”, Centro de Estudios Latinoamericanos LILLAS , Universidad de Texas, 19 .2. 2014. Austin, Texas
  • 21. 21 personalisisert. Wirtschaftspolitisch ist er für private Unternehmer und erlaubt einen Markt, überwacht vom Fondo Monetario Internacional. Das Budget wird gestützt von Venezuela, und so kann er Regierungsprogramme, die eigene Partei und ein Imperium von Familienunternehmen finanzieren. International agiert er mit anti-imperialistischer Rhetorik und als Verbündeter von ALBA, Russlands und China. Ideologisch setzt er auf revolutionäre Rhetorik und praktiziert den Personen kult in eigener Sache und für seine Frau Rosario Murillo, gestützt von einem ultrakonservativen religiösen Messianismus." Ähnlich äußerte sich jüngst auch wieder Ortegas langjähriger sandinistischer Mitstreiter Ernesto Cardenal, im Zusammenhang mit dem Nicaragua-Kanal („El presidente Daniel Ortega, con el poder omnímodo que él y su mujer tienen sobre este país, hizo que el Congreso Nacional aprobara en un solo día la creación de una ley para la construcción de un canal interoceánico.“) 26 Panamá Wiederwahl ist möglich, aber erst nach einer Pause (Reelección Alterna) von 5 Jahren, diese Regelung gilt seit 1989. Im Mai 2014 wurde Juan Carlos Varela im ersten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt; sein Vorgänger Ricardo Martinelli (Cambio Democratico, konservativ) konnte nicht antreten. Doch dessen Partei CD nominierte neben dem 2014 unterlegenen Kandidaten Jose Domingo Arias als dessen mögliche Vizepräsidentin Marta Linares de Martinelli, Ehefrau von Ex-Präsident Ricardo Martinelli. Paraguay Seit 1992 ist die Wiederwahl untersagt, zuvor unter Diktator Alfredo Stroessner (1954 bis 1989) war die unbegrenzte Wiederwahl möglich. Horacio Cartes von der seit Jahrzehnten beinahe ununterbrochen an der Macht befindlichen Partei Colorado ANR ist seit April 2013 Präsident. Sein Vorgänger Federico Franco (Partido Liberal Radical Auténtico) kam im Juni 2012 als vormaliger Vize-Präsident ins Präsidentenamt, weil der damalige Präsident Fernando Lugo (Frente Guasú) in einem als "Verfassungsputsch" genannten Manöver binnen 24 Stunden abgesetzt worden war. Lugo wurden "Verfehlungen bei der Amtsführung" vorgeworfen, die damals oppositionelle Colorado-Partei (die jahrzehntelang Stroessner unterstützt hatte) und die Partido Liberal Radical Autentico (mit der Präsident Lugos Frente Guasú eigentlich in einem links-liberalen Regierungsbündnis stand), konnten basierend auf einer Verfassungsbestimmung und mit großer parlamantarischer Mehrheit Lugo abwählen. Lugo war zuvor seit 2008 im Amt und hatte damit die 60 Jahre dauernde Colorado-Herrschaft unterbrochen. 26 http://internacional.elpais.com/internacional/2014/11/07/actualidad/1415399466_451688.html
  • 22. 22 Perú Seit 2001 ist Wiederwahl nur mit fünf Jahren Pause (Reeleccion Alterna) möglich. Zuvor war seit 1993 konsekutive einmalige Wiederwahl erlaubt, der damalige Präsident Alberto Fujimori führte diese Änderung ein und wurde auch als Präsident wiedergewählt. Später wurde Alan Garcia wiedergewählt, allerdings gemäß der genannten seit 2001 geltenden Reeleccion Alterna. Peru ist somit das einzige Land Lateinamerikas, das seit dem Jahr 2000 die Wiederwahl-Optionen tendenziell eingeschränkt hat. In Peru existiert zudem ein, welches das Antreten von Verwandten bis zum vierten Grad des regierenden Präsidenten bei Präsidentenwahlen (oder auch als Vizepräsident) verbietet. Die geltende Verfassung von 1993 hingegen sieht keinerlei derartige Einschränkungen vor. Dieses Gesetz wurde 1997 geschaffen, um das Antreten der Ex-Frau von Alberto Fujimori, Susana Higushi, bei der Wahl zu verhindern. Nadine Heredia, Ehefrau des regierenden sozialdemokratischen Präsidenten Ollanta Humala (und zudem auch Tante 2.Grades ihres Ehemannes) gilt im Land als weit populärer als ihr Mann und als „Schatten-Präsidentin“. Ihr werden Ambitionen auf ein Antreten bei der Wahl 2016 nachgesagt, sie dementiert diese aber. 27 Humala bezieht seine Legitimität zum einen aus dem Faktor "legale Herrschaft", denn die Mitte-Links-Politk von Humala bedient sich keiner übergeordneten "Staatsideologie" (keines traditionellen "-ismo"), und Humalla fehlt es wohl auch an Charisma. Er ist pragmatisch orientiert. Zwar hatte er bei seinem ersten erfolglosen Wahlantritt 2006 durchaus starke Anleihen in Rhetorik und Programmatik von Hugo Chávez genommen. Später distanzierte er sich mehrmals vom venezolanischen Modell und bezog sich namentlich auf Brasiliens Präsidenten Lula als (wirtschafts-) politisches Vorbild und gewann somit die Wahl von 2011. Peru verzeichnete getrieben von Neo-Extraktivismus (wenn auch wohl weniger stark als anderswo) eine solide wirtschaftliche Entwicklung und hat bei Faktoren wie Gini-Index oder Human Development-Index Verbesserungen erreicht, ebenso beim BIP pro Kopf, also beim Output des politischen Systems. Klares Zeichen für eine keineswegs "boliviarianischen" Kurs von Humala ist auch der Beitritt Perus zur Alianza del Pacifico und nicht eine Annäherung an die ALBA (auch wenn beide Bündnisse wenig vergleichbar sind) Uruguay Wiederwahl ist zulässig, allerdings mit mindestens 5 Jahren Pause, also einer Amtsperiode. José Mujica war von 2009 bis 2014 Präsident. Sein Vorgänger Tabaré Vázquez wird aller Voraussicht nach auch sein Nachfolger sein (Stichwahl 30. November). Vázquez, der 27 http://elcomercio.pe/politica/gobierno/nadine-heredia-no-voy-postular-presidencia-elecciones-2016- noticia-1748106
  • 23. 23 Kandidat der regierenden Frente Amplio, erhielt im ersten Wahlgang im Oktober 2014 48 Prozent, sein Verfolger Luis Lacalle Pou nur 31%. Der Vater des letzteren wiederum, Luis Alberto Lacalle, war von 1990 bis 1995 Präsident Uruguays und war Mujica bei der Wahl 2010 in der Stichwahl unterlegen. Venezuela In Venezuela galt bis 1999, dass eine Wiederwahl nur 10 Jahre nach Ende der ersten Amtzszeit möglich ist. Als Hugo Chávez 1999 an die Regierung kam, änderte er schon kurz danach die Verfassung, eine einmalige Wiederwahl wurde möglich. Seit 2009 gilt nach einem von Chávez initiierten erfolgreichen Referendum unbegrenzte Wiederwahl, ein erstes von Chávez initiiertes Referendum darüber war 2007 knapp gescheitert. Chávez Argumentation und Rhetorik war und ist Vorbild bei der offenbar angestrebten weiteren Perpetuierung der Präsidentenämter in Bolivien ebenso wie in Ecuador. In allen drei Fällen haben die Präsidenten nicht nur die Wiederwahloptionen bereits verlängern können (und wurden deutlich wiedergewählt), sie haben auch umfassende Änderungen in der Organisation des politischen Systems durchgeführt, jeweils begünstigt durch sehr schwach legitimierte Präsidenten und Parteien zum Zeitpunkt der jeweiligen Machtübernahme und später begünstigt durch den fast ganz Lateinamerika erfassenden wirtschaftlichen Aufschwung. In dieser Zeit wurden in den genannten Ländern Sozialprogramme massiv ausgebaut, in Venezuela etwa die Misiones (in Sachen Bildung, Wohnraum etcetera). Weiters zog Chávez zum Beispiel an der Basis des politischen Systems Consejos Comunales im Sinne einer partizipativen Demokratie ein und stärkte auch die Gewerkschaften. Die Asamblea Nacional ersetzte das vormalige Zwei-Kammer-System des Parlaments, die Rechte der indigenen Bevölkerung wurden formell erweitert. Im Sinne der Input-Output-Schleifen wurde damit jeweils die Mechanismen vereinfacht und verkürzt und die repräsentative (Parteien-) Demokratie auf allen Ebenen durch diese Maßnahmen sukzessive obsolet gemacht. Der zumindest ebenso großer Faktor für die Legitimität von Chávez Position an der Macht bzw. konkret für die Einführung der unlimitierten Wiederwahl 2009 war der Faktor Charisma. Weniger mit dem Nimbus des Kriegshelden im Weber'schen Sinn (weil ja der Putsch 1992 gescheitert war) als vielmehr in einer Märtyrer- (Inhaftierung durch das alte Regime), Erlöser- (vom alten Regime), Demagogen- und Propheten-Rolle (kurzes TV-Interview nach dem gescheiterten Putsch, wonach die Zeit für den Regimewechsel noch nicht reif war, sie aber kommen werden), gelang es Chávez, Charisma aufzubauen. Zudem wurde auch ein Mythos
  • 24. 24 um die "Caudillo"-Herkunft Chávez inszeniert (siehe Juan Pablo Dabove28 ). Der Chavismo war bald alles dominierende Gesinnungemeinschaft in Venezuela, die verstaatlichte Erdölgesellschaft PDVSA eines der wichtigsten Instrumente und der Geldgeber für den Machterhalt. Man könnte Chávez nach allen drei Legitimitätsbegründungen Max Webers endlos weiter deklinieren (und ebenso ad Infinitum Input-Output-Schleifen weiter differenzieren). Die Umstände um die Erkrankung und letztlich den Tod von Chávez (bekannt gegeben im März 2013, nach manchen Quellen/Meinungen aber einige Wochen zuvor eingetreten) zeigen aber möglicherweise auch, dass es große Probleme bei der Nachfolgersuche gab. Dem nach offizieller Lesart von Chávez selbst als sein Nachfolger bestimmten Nicolas Maduro fehlt es an persönlichem Charisma, daher auch an dieser Art von Legitimität.29 Die Opposition bezweifelt auch das formell korrekte Zustandekommen seiner Präsidentenkandidatur und überhaut seiner Präsidentschaft, denn er sei nicht von Geburt an Venezolaner und überhaupt sei es 2013 zu Wahlbetrug gekommen. Maduros Aussagen, etwa sich als Sohn von Chávez oder Apostel von Chávez zu positionieren oder mit Chávez in spiritueller Verbindung zu stehen und ihn so um Rat zu fragen ("Pajarito"), deuten neben fehlendem Charisma, also fehlender Legitimität, auch auf eine gewisse Ratlosigkeit bzw. fehlende Kompetenz hin. Das Wahlergebnis für Maduro von April 2013, wenige Wochen nach Chávez Tod und mit einem Wahlkampf mit sinngemäßen Slogans wie "Chávez' Erbe weiterführen" von nur etwas über 51 Prozent seitens des Oficialismo zeugt von deutlich gesunkenem overt support im Easton'schen Sinne, ebenso geriet das politische System vor und nach diesen Wahlen unter zunehemenden Stress, der sich durch regelmäßige Demonstrationen gegen die schlechte Versorgungslage und die rasante Inflation und vieles mehr manifestiert. Die Erosion der Legitimität des Chavimso ist auch aus den Wahlergebnissen abzulesen: Chávez gewann 2006 mit 63 Prozent die Präsidentenwahl im ersten Anlauf, brachte das Referendum über die perpetuierte Wiederwahl 2007 knapp nicht durch, gewann im zweiten Anlauf 2009 das Referendum zwar mit 54 Prozent, konnte aber bei den Präsidentenwahlen 2012 nur mehr 55 Proeznt der Wähler hinter sich vereinigen. Sein, sei es vom Apparat des Chavismo oder von Chavez selbst ausgesichter Nachfolger Nicolas Maduro erreichte im April 2013 nur mehr 28 Dabove, Juan Pablo: Hugo Chávez y Maisanta. El fuera de la ley y la construcción de un linaje surgente. Vanderbilt University E-Journal of Luso-Hispanic Studies, Vol.7. El aura de la voz, 2011. 29 http://telefono-rojo.org/2013/04/18/cuando-el-carisma-legitimador-no-se-hereda/
  • 25. 25 haarscharf eine Mehrheit, mit 50,5 Prozent gegenüber dem Kandidaten des Oppositionsbündnisses, der auf 49,1 Prozent kam. Ob die eben genannten fehlenden overt supports bzw. sinkenden outputs des Systems bis 2018, also bis zu den nächsten Präsidentenwahlen, kompensiert werden können, hängt meiner Meinung nach am wenig beeinflussbaren Ölpreis und an der eigenen Wirtschaftspolitik. Zumindest scheint angesichts des fehlenden Charismas von Maduro (und auch wegen der internen Machtkämpfe im Chavismo) schon Chávez Tochter Gabriela als Kandidatin für 2018 in Stellung gebracht zu werden, sie wurde vor wenigen Monaten zur Botschafterin Venezuelas bei den vereinten Nationen ernannt.30 Sie ist aber nicht das einzige Familienmitglied von Hugo Chávez und ebensowenig von Nicolas Maduro, das kraft Familienzugehörigkeit in politische Ämter gehievt wurde. Schlussbemerkungen Von Argentinien bis Venezuela, die Verfassungsänderungen in den vergangenen etwa 15 Jahren hinsichtlich Präsidentenwahlmodus, Amtsdauer und Wiederwahloptionen in den 18 in dieser Arbeit behandelten Ländern verliefen überwiegend in Richtung Perpetuierung. In den meisten Fällen gelangen sie und zeitigten auch Wahlerfolge jener politischen Gruppen, welche diese Änderungen initiiert hatten. In Ecuador und Bolivien scheint eine abermalige Ausweitung des Präsidialismus möglich, in Argentinien scheiterte der Versuch einer abermaligen Ausweitung an den parlamantarischen Kräfteverhältnissen. In nur wenigen Ländern gab und gibt es restriktive Entwicklungen: Peru und die Dominikanische Republik schränkten die Wiederwahlmöglichkeit ein, in Kolumbien ist ein Versuch der Reduktion im Laufen (nachdem 2005 der Präsidialismus ausgeweitet worden war). In Chile, El Salvador oder Brasilien gab es zwar Stimmen für die (teilweise neuerliche) Ausweitung, doch die politischen Proponenten widerstanden vorerst der Versuchung. Nur in Paraguay, Panama, Mexiko, Guatemala und Honduras gab es offenbar keinerlei derartigen Änderungen und auch keine Versuche dahingehend in den vergangenen 15 Jahren. Ein anderer in dieser Arbeit nur kurz erwähnter Faktor der indirekten Perpetuierung präsidentialer Machtfülle ist die Umgehung der Gesetze mittels, wie es Daniel Zovatto nennt, Spousal Re-Election, also die Nominierung von Ehepartnern für das Präsidentenamt. Dies 30 http://mexico.cnn.com/mundo/2014/08/14/una-hija-de-hugo-chavez-es-nombrada-embajadora-alterna- ante-la-onu
  • 26. 26 bzw. dahingehende Versuche und Tendenzen waren in den vergangenen 15 Jahren oder in den folgnden Ländern auch schon lange zuvor zu beobachten in: Argentinien, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama und Peru. Die Durchsetzung der Machtapparate mit Familienangehörigen, wie in Venezuela geschildert und in sicher vielen weiteren Ländern Praxis, ist ebenso ein Versuch in dieselbe Richtung. All diese kreativen Perpetuierungs- und Machterhaltungsversuche sind keineswegs auf eine gewisse Seite des politischen Spektrums zu beschränken. Der Präsidialismus und der schwach ausgeprägte Parlamentarismus in Lateinamerika haben, wie eingangs geschildert, historische Ursachen. Ich möchte aber im Hyper-Präsidialismus (wie es Zovatto nennt) doch eine Hauptursache für die politische Instabilität und die in Folge eher schleppende soziale und wirtschaftliche Entwicklung in jenen Ländern, wo dieses Phänomen überproportional auftritt, ausmachen. Länder mit restriktiven präsidentiellen Regelungen wie Costa Rica, Chile oder Uruguay schneiden in vielerlei Faktoren besser ab als jene mit „ewigen Präsidenten“. Obwohl es dort Wiederwahl-Verbote gibt, sind Honduras, Guatemala oder Mexiko aber sicher die Ausnahmen dieser Regel; in Mexiko hingegen als der „perfekten Diktatur“ ist die quasi staatstragende PRI der fast ununterbrochene Machtfaktor; der jeweilige Staatspräsident ist bloß ein Symptom für die Krankheit der unveränderten Machtverhältnisse, nur eben verursacht von der pepetuierten Macht einer einzigen Partei anstatt von der Person eines dauer-gewählten Präsidenten. Daher möchte ich abermals auf Zovatto zurückgreifen, der sinngemäß folgendes meint: „Das Recht zur Wiederwahl birgt auch die Gefahr einer ,demokratischen Diktatur‘ und verstärkt per se den Trend zu einer hegemonialen und personifizierten Führung. Auch durch formale Legitimierung durch die Wähler ist eine unbegrenzte Präsidenten-Wiederwahl undemokratisch.“ Dabei enstehene auch weitere anderen Kandidaten bei Wahlen benachteiligende Faktoren, der „Ventajismo“. Ausdrücklich sieht Zovatto diese genannten Gefahren aber nur in präsidentialen und weniger in parlamentarischen Systemen. Auch dieser Meinung schließe ich mich an. ***
  • 27. 27 Literaturliste und Quellen -Serrafero,Mario D.:La reelección presidencila indefinida en América Latina, RIIM Revista de Instituciones, Ideas y Mercados Nº54 | Mayo 2011 | pp. 225-25, bi-annual journal published by ESEADE, Buenos Aires -Del Arenal, Celestino und Sanahuaja, José Antonio(coords.): América Latina y los Bicentenarios: una agenda de futuro. Fundación Carolina y Siglo XXI Editores, 2010, Madrid. -O'Donnell Guillermo. Contrapuntos. Ensayo s escogidos sobre autoritarismo y democratizacíon, Buenos Aires 1997 -Panizza, Francisco: Nuevas izquierdas y democracia en América Latina, Revista CIDOB d’Afers Internacionals no 85-86, Barcelona 2009 -Lessmann Robert:Das neue Bolivien, Evo Morales und seine demokratische Revolution, Zürich 2010 -Krauze, Enrique:Redentores –Ideas y Poder en América Latina.Random House Mondadori, Mexico 2011 -Dabove, Juan Pablo:Hugo Chávez y Maisanta. El fuera de la ley y la construcción de un linaje surgente. Vanderbilt University E-Journal of Luso-Hispanic Studies, Vol.7. El aura de la voz, 2011. -Parra Tapia, Ivonne K. El presidencialismo en Venezuela. Efectos sobre la legitimidad y estabilidad democraticas en el pais. Universidad del Zulia, 2009 http://democraciaparlamentaria.files.wordpress.com/2009/09/el-presidencialismo-en- venezuela-parra.pdf - de Oliveira Piquet Carneiro, Gabriela. Current supply and demand for neopopulism in Latin America. International Review of Sociology, Volume 21, Issue 2, 2011 (Abstract) -Buquet, Daniel. Entre le legidimidad y la eficacia: Reformas en los istemas de elección presidencial en América Latina.Revista Uruguaya de Ciencia Política Nº 16. 2007. pp. 35-49. http://www.scielo.edu.uy/scielo.php?pid=S1688-499X2007000100004&script=sci_arttext (Abstract) -Booth, John A.;Seligson, Mitchel A.:The Legitimacy Puzzle in Latin America: PoliticalSupport and Democracy in Eight Nations. New York: Cambridge University Press,2009. (Review bzw. Seite 1 bis 10) -Mitos y realidades sobre la re-reelección y la reforma constitucional http://www.plataforma2012.org.ar/index.php/documentos/22-mitos-y-realidades-sobre-la- reeleccion-y-la-reforma-constitucional
  • 28. 28 -Huntington, Samuel P.: The Third Wave: Democratization in de Late Twentieth Century, University of Oklahoma Press, 1991 -Nohlen, Dieter: Treatise on Compared Electoral Law of Latin America, International institute for Democracy and Electoral Assistance, Stockholm, 2007 (Seite 287 ff, XV. La Reelección) -Zovatto, Daniel: Reelection, continuity and hyper-presidentialism in Latin America, http://www.idea.int/americas/reelection-continuity-and-hyper-presidentialism-in-latin- america.cfm; 12.2.2014 - Gamboa Rocabado, Franco: Hacia una utopía democrática en Bolivia: Las lecciones de la Asamblea Constituyente y el nacimiento de un probable Estado indígena .Consejo Latinoamericano de Sciencias Sociales, April 2014, Buenos Aires - De la Fuente, Manuel: La Consolidación del Poder de Evo Morales. Instituto de Investigación y Debate sobre la Gobernanza, Paris http://www.institut-gouvernance.org/es/chapitrage/fiche-chapitrage-11.html - De la Torre, Carlos: El tecnopopulismo de Rafael Correa: ¿Es compatible el carisma con la tecnocracia? Latin American Research Review Volume 48, Number 1, Spring 2013 -Verdesoto Custodo, Luis: La Presidencia perpetua de Rafael Correa, 3. November 2014 http://www.planv.com.ec/historias/politica/la-presidencia-perpetua-rafael-correa -Pachano, Simon: Ecuador: Reelección con nombre y apellido. http://www.infolatam.com/2014/11/16/ecuador-reeleccion-con-nombre-y-apellido/ - Pérez-Baltodano, Andrés: Nicaragua: Democracia electoral sin consenso social. Revista de Ciencia Politica/Volumen 32/No1/2012/ S. 211-228, Pontificia Universidad Católica de Chile. Instituto de Ciencia Política, Santiago de Chile - Chamorro, Carlos F.: La revolución sandinista, 35 años después. “Achieving the Central American Revolutions”, Centro de Estudios Latinoamericanos LILLAS , Universidad de Texas, 19. 2. 2014. Austin, Texas ***
  • 29. 29