1. MANAGEMENT
Mentoring in KMU
Ein konkreter Ansatz zum
Kompetenztransfer
Klassisch könnte der Begriff „Mentoring“ wohl bestimmt werden als
Weitergeben von Fakten von einem Menschen, der über bestimmte
Firmenprozesse Bescheid weiss, zu einem, der diese Prozesse noch
nicht in dem Umfang beherrscht.
Autor: Franz Stowasser
D
er alte Begriff des Mentors ist noch an zur Organisationsentwicklung eingesetzt
den Göttern orientiert. In der griechischen werden, wird Lernen heute viel mehr mit
Mythologie begleitet die Göttin der Weisheit, Selbstaktualisierung verknüpft.
Athene, den jungen Telemachos als Mentor
und gibt ihm gute Ratschläge. Das klingt Was können wir also unter Mentoring ver-
allerdings nach einer Einbahnstrasse und stehen? Ich empfehle, den Begriff als eine
zeigt auch schon den Grund, weshalb in der Beschreibung der Zusammenarbeit zwischen
Vergangenheit neben Coaching-, Lehr-, und zwei Mentoren zu benutzen. Die eine Person
Weiterbildungsprozessen auch Mentoren weiss über eine komplexe Vielzahl betrieb-
gescheitert sind. licher Abläufe, integrierte Netzwerke, Macht-
strukturen und Personalitäten Bescheid, die
andere Person will dies durchaus lernen und
„Eintrichtern“ ist nicht der Weg bietet dafür Elan, Einsatz von Lebenszeit,
Kompetenztransfer kann sich niemals in Idealismus, Eifer und Zukunftsvisionen. Wir
einer Einbahnstrasse bewegen. Kein „Nürn- können uns in der heutigen Zeit wohl kaum
berger Trichter“ kann dafür sorgen, dass zum erlauben, auch nur auf einen dieser Punkte
Beispiel jüngere Nachfolger in einem Unter- zu verzichten.
nehmen das Wissen eines älteren Mitarbeiters
eins zu eins übernehmen. Wir kennen dieses
Problem aus der Familie. Denken Sie nur da- Auch alte Hasen können lernen
ran, wie kompliziert es manchmal sein kann, Lassen Sie uns also „Mentoring“ als das Zu-
wenn Sie innerhalb der Familie eine Lebens- sammenspiel von zwei Mentoren begreifen,
weisheit weiter geben wollten, mit wie viel die voneinander lernen. Im Fall eines Firmen-
Widerstand da zu rechnen war. Unter Men- chefs, der nach Erreichung seines Pensions-
toring muss deshalb heute mehr verstanden alters den Chefsessel an eine jüngere Nach-
werden als nur die Förderung besonders folgerin übergeben will, wird deutlich, dass
begabter Mitarbeiter. Im heutigen Milieu nicht nur die junge Führungskraft etwas zu
internationaler Märkte und multinationaler lernen hat, sondern auch der „alte Hase“ –
Projektteams werden Lehrveranstaltungen nämlich, wie er seine Kenntnisse zum Wohl
mit Zeigefinger im Sinne von „So müssen des Betriebes effizient weitergeben kann.
Sie das richtig machen …“ an der Form Jeder Widerstand, jede Unaufmerksamkeit,
scheitern, auch wenn hervorragende Inhalte jede Abwehrreaktion verzögert den Prozess,
vermittelt werden. Die Lernerwartung der und zwar auf beiden Seiten. Ungeprüfte
Mitarbeiter hat sich geändert. Vor allem Erwartungen wirken hier ebenso als Bremse
nachdem Coaching-Prozesse nun auch von wie Ängste vor Gesichtsverlust, die wichtiges
Personalabteilungen vieler Firmen als Mittel Nachfragen unmöglich machen.
10 Blickpunkt:KMU 2/2007
2. MANAGEMENT
Die Weitergabe von Know-how kann gebremst völkerungsschichten für den EU-Wirtschafts-
werden durch: raum in einer neuen Ecofin-Studie (2006) der
• Widerstand EU-Finanzminister als sehr knapp bemessen.
• Unaufmerksamkeit Nach dieser Studie wird eine Steigerung der
• Übereifer Erwerbsaktivität in späteren Lebensphasen
• Ängste Fragen zu stellen Voraussetzung für das künftige Wachstum
• Abwehrreaktionen im EURaum sein und sich das Zeitfenster
• Ungeprüfte Erwartungen für die dazu notwendigen Strukturreformen
• Zeitdruck, Stress bereits 2011 schliessen.“
• Ungenügende Delegation Zitat aus: PERSONALFÜHRUNG 7/2006 SPECIAL
• Ungeeignete „Verpackung der Daten“ (zu http://www.respect.net/2006/pics/Koper.pdf
grosse, zu kleine Know-how-Häppchen)
Um einen Punkt herauszugreifen – am Beispiel Know-how nicht verschwenden
älterer Mitarbeiter, die ja eine Quelle von KMU wissen, dass Know-how zu einer wich-
Können und Fähigkeiten sein können, lässt tigen Ressource zählt. Auch deshalb scheint
sich die Wirkung von ungeprüften Erwartun- es wichtig, immer neue Möglichkeiten und
gen gut aufzeigen: „Die grosse Mehrheit der konkret anwendbare Methoden wie das Men-
Arbeitgeber nimmt die Motivationsprobleme toring zum Transfer betrieblicher Fähigkeiten
ihrer älteren Belegschaften als unvermeid- und Ressourcen zu finden. Dies sind sensi-
liches Symptom verbrauchter Ressourcen ble Prozesse, die beiderseitiges Verständnis
hin. Sie lässt sich damit eine interessante voraussetzen. Befehlsgewalt und Strafan-
und zunehmend kostbare Ressource entge- drohung haben in anderen gesellschaftlichen
hen.“ Dabei wird „der verbleibende Zeitraum Bereichen ihre Berechtigung, hier wirken sie
zur Steigerung der Produktivität älterer Be- nicht besonders produktiv.
Blickpunkt:KMU 2/2007 11
3. MANAGEMENT
Mentoring schliesst die Lücke zwischen Füh-
rung und Coaching. Es hat sich herausgestellt, Mentoring in Serie
dass die Führungskraft kein Coach sein kann,
Der vorliegende Beitrag ist der Auftakt zu einer Artikelreihe über
die Anforderungen sind zu entgegengesetzt.
das Mentoring-Prinzip. Aller Anfang ist schwer? Im Blickpunkt:KMU
Coaching setzt absolutes Vertrauen voraus,
3/2007 wird Franz Stowasser unter anderem darüber schreiben,
verlangt eine Entwicklungsperspektive und
gerade nicht die schnelle Anpassung, sondern
wie eine Mentoring-Beziehung aufgebaut wird und wie die Zielerrei-
das Finden und Austesten persönlicher Ziele chung kontrolliert werden kann.
in Kommunikation mit den Firmenzielen.
Dies ist ein sensibler Prozess. Wird er vorzeitig und Sache aufmerksam beachtet werden,
durch zweckrationales Vorgehen nach dem sondern auch Absichten und Intentionen ge-
Motto „genug gecoacht, jetzt sein Sie mal würdigt werden. Häufig wird im betrieblichen
nicht so zimperlich …“ beendet, so droht Umfeld vor allem das Verhalten beobachtet
Vertrauensverlust und die Basis einer guten und bewertet. Nach Absichten wird selten
Zusammenarbeit ist gefährdet. gefragt, Intentionen werden vorausgesetzt.
Sie kennen den Fall, jemand verhält sich
kritikwürdig, vielleicht sogar unakzeptabel.
Klare Zielsetzungen Bei näherer Betrachtung erfahren Sie aller-
Mentoring hingegen kann ein Mittel werden, dings, dass die Absicht hinter dem Verhalten
Anpassung zu ermöglichen, ohne sie zu durchaus positiv war.
erzwingen. Gerade dann, wenn eine Person
nicht weiss, wie sie sich an die gegebenen Ein kleines Beispiel soll den Sachverhalt ver-
Kontexte anpassen soll, um mit ihnen zu deutlichen: Stellen Sie sich vor, sie sind mit
arbeiten, wird Mentoring erfolgreich sein. dem Auto unterwegs und suchen gerade
Ich gehe hier von der These aus, dass die einen Parkplatz. Auf der Strasse wurde sogar
Mitarbeiter erfolgreich sein wollen, dass sie die zweite Reihe zu geparkt, Sie wollten nur
einen Beitrag zum Unternehmenserfolg leis- schnell in die Apotheke, finden aber keinen
ten wollen und manchmal konkrete Hinweise Platz, wo Sie Ihren Wagen auch nur für drei
„Häufig wird brauchen, wie das am Besten zu tun ist. Dies Minuten abstellen können. Da entdecken Sie
hat natürlich ernste Konsequenzen für die eine Parklücke, etwas versteckt hinter einem
im betrieblichen
Delegationspraxis der Chefs. Delegationsge- Lieferwagen, Sie freuen sich, setzen den Blin-
Umfeld vor allem baren à la „nun machen Sie mal, ich melde ker, steuern auf die Parklücke zu und – mit
das Verhalten mich schon, wenn’s nicht stimmt!“ sind mit quietschenden Reifen setzt ein anderer sein
Mentoring-Prozessen unvereinbar. Klare Ziel- Fahrzeug vor Ihnen in den freien Platz. Was
beobachtet und setzungen und deutliche Vereinbarungen denken Sie über dessen Verhalten? Was den-
bewertet.“ werden gebraucht. ken Sie, nachdem Sie, als er ebenso rasend
wieder weggefahren war, vom Apotheker
erfahren, dass es ein Arzt war, der ein lebens-
Ziele des Mentoring: rettendes Medikament geholt hatte, um es
• Fachwissen und Fähigkeiten sollen schnell zu einem Unfallort zu bringen? Sie sehen,
und aktuell weitergegeben werden. die Absicht, die Intention, aus der heraus
• Direktes Umsetzen neuer Erkenntnisse jemand etwas tut, macht einen Unterschied.
am Arbeitsplatz, wie bei „training on the Im Mentoring kann das ganz entscheidend
job“ Konzepten. Möglichkeiten zur Rück- werden. Mehr dazu erfahren Sie in der nächs-
meldung und Besprechung der neuen ten Ausgabe Blickpunkt:KMU. ø
Erfahrungen.
• Entstehung eines Kompetenz-Zirkels
in der Arbeit. Zum Autor
• Bekannt machen und Weiterentwickeln
Franz Stowasser
von Netzwerken
(E-Mail: franz.stowasser@web.de)
• Gegenseitige Anerkennung im Wirken
für das Unternehmen. Dipl.Soziologe, Betriebswirt, Ind. Kfm.,
• Gegenseitiges Ausbilden über den momen- arbeitet seit über 20 Jahren in der Industrie
tanen Erwartungshorizont hinaus. und eigener Praxis als Coach und Mentor.
Als Autor mehrerer Fachbücher hat er
Jeder dieser Zielpunkte kann durch Mento- sich intensiv mit dem Modellieren von
ring erreicht werden. Vor allem dann, wenn Know-how-Transfer beschäftigt.
dabei beachtet wird, dass nicht nur Person
Blickpunkt:KMU 2/2007 13