am 17.09.2015 referierte Zeynep Babagadi im Agnes Karll Saal der Stadthalle Neuss zu einem interkulturelle Thema in der Pflege "Die süßen Türken - Besonderheiten im Umgang mit Gesundheit und Krankheit"
NPK2012 - Bettina Kraft: Resilienz bei Demenz mit Achtsamkeit und Yoga
NPK2015 - Z.Babagadi: Die süßen Türken
1. PFLEGE
BEI
„SÜßEN“
TÜRKISCHEN
MIGRANTEN
Zeynep Babadagi
Krankenschwester
M.Sc. Wound Care Management
Geschäftsführung „die pflegezentrale“ GmbH
Geschäftsführung „die akademie“ für medizin und pflege GbR
2. Agenda
• Migra&on
von
1960
bis
heute…
• Situa&on
älterer
Migranten
mit
türkischer
Zuwanderungsgeschichte
• Islam
• Schmerzausdruck
• Besonderheiten
der
Pflege
bis
zum
Tod
www.dieakademie-‐du.de
2
4. Migration
• Geschichtsbücher oder die Tageszeitungen zeigen
uns täglich auf, dass die Welt voller Mobilität war
und ist
• Naturkatastrophen und Kriege, Vertreibung und
Intoleranz, Arbeitslosigkeit und Armut
• Aber auch das Streben nach Erfolg und Reichtum
brachten und bringen Menschen in Bewegung
5. Die Anfänge…
§ Mit dem
Wirtschaftswunder der
BRD werden immer
mehr Arbeitnehmer
gesucht
§ Auf dem inländischen
Markt war nichts zu
finden
6. Die Anfänge…
§ 1955 das erste
Anwerberabkommen mit
Italien
§ 1960 folgten
Griechenland und
Spanien
§ 1961 Türkei
§ 1963 Marokko
§ 1964 Portugal
§ 1965 Tunesien
§ 1968 ehemalige
Jugoslawien
7. Die Anfänge…
§ Der 1.000.000ste
Gastarbeiter –
§ Armando Rodrigues aus
Portugal
§ wurde 1964 feierlich von
dem damaligen
Bundesminister begrüßt
und bekam ein Motorrad
geschenkt
8. Die Anfänge…
§ „alle“ gingen von einem
befristeten Aufenthalt
aus
§ Die meisten
Gastarbeiter machten
sich mit wenig Infos auf
den Weg nach
Deutschland
9. Ankunft….
§ Von den Behörden den
Unternehmen zugewiesen,
erlebten die Gastarbeiter
einen ersten Schock…
§ Einfache Holzbaracken in
der Nähe ihrer
Arbeitsstelle
§ Sprachprobleme, fremde
Umgebung, die zum Teil
ungewohnte Arbeit,
Mentalitätsunterschiede
mussten gemeistert
werden…
10. Die 60er und 70er Jahre…
§ Lebensbedingungen
blieben lange sehr
bescheiden…
§ Die meisten kamen ohne
Familienangehörige und
lebten in Wohnheimen und
Baracken ohne Komfort
11. Die 60er und 70er Jahre…
§ Ziel war ein Teil des
Geldes nach Hause zu
schicken oder das Geld
anzusparen, um im
Heimatland eine bessere
Existenz aufbauen zu
können
§ Daher akzeptierten sie
„schmutzige“ und
körperlich schwere
Arbeiten eher als deutsche
Arbeiter
12. Die 70er aufwärts…
§ Der Anwerberstopp 1973
wurde zum eigentlichen
Beginn des
Daueraufenthaltes der
Gastarbeiter
§ Viele holten jetzt ihre
Familie nach und begannen,
sich auf eine lange Zeit in
der Fremde einzurichten
13. § Die Verbindung
zur Heimat reduzierten
sich nach und nach, vor
allem bei den Kindern
der zweiten Generation
14. Die Gegenwart…
• Meine Auswanderung aus meinem Geburtsland Türkei
und mein Leben in meiner Heimat Deutschland
17. Gegenwart…
§ Jeder 8.Einwohner Deutschlands ist im Ausland geboren und im
Laufe der letzten 60 Jahre als Zuwanderer nach Deutschland
gekommen.
§ Insgesamt leben 10,7 Millionen Migranten aus 194 Ländern in
Deutschland.
§ Die Mehrheit dieser Menschen stammt aus Europa (7,4 Millionen
Menschen),
§ knapp die Hälfte davon aus den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union (3,5 Millionen).
§ Die wichtigsten Herkunftsländer sind die ehemalige Sowjetunion
und ihre Nachfolgestaaten mit 2,4 Millionen Personen,
§ die Türkei mit 1,5 Millionen und
§ Polen mit 1,1 Millionen Menschen
§ ¹Quelle: Statistisches Bundesamt 2012
18. Gegenwart…
• Jede 5. in Deutschland lebende Person weist einen
Migrationshintergrund auf
• In der Gruppe der unter 5-jährigen sogar jede 3. Person
19. • Klar sind Migranten 1. Generation gegenüber
Einheimischen benachteiligt, auch ihre Kinder und
Kindeskinder, aber….
• Das Bildungsniveau hat sich in den letzten 50 Jahren
verbessert
• Und nicht alle Migranten sind gleichermaßen
benachteiligt!
Wer lebt wie in Deutschland?
20.
21. • Zuwanderer aus Italien, Griechenland oder der
Türkei werden in anderer Weise über ihre Erfolge,
Sorgen und Nöte berichten als ein Asylsuchender
aus einem afrikanischen Staat
• Die ihnen wenig vertraute Struktur und
Funktionsweise unseres Gesundheitssystems, Angst
und Scham, Sprachbarrieren, Traditionen und ein
anderes Verständnis von Gesundheit und
Krankheit können eine bedeutende Rolle spielen –
dies gilt im besonderen Maße bei psychischen
Störungen!!!
Situation in Deutschland
22. Migranten 1. Generation altern durchschnittlich früher
als Deutsche im selben Alter
• Gründe:
– i.d.R. schlechte medizinische Versorgung im Herkunftsland
– Körperlich belastende Tätigkeiten nach Ankunft
– Geringe/fehlende Nutzung lokaler medizinischer Dienste
» Wegen sprachlichen Problemen
» Wegen fehlender Aufklärung/Sachkenntnis
» Wegen unbegründeter Ängste
» (Kosten/Konsequenzen)
23. Migranten der 1. Generation nehmen immer noch zu selten
Präventionsmaßnahmen in Anspruch und erkranken daher häufiger¹
• Gründe:
– Prävention spielt in der Türkei immer noch eine untergeordnete
– Check-Up ist kein Begriff der breiten Masse, für
Besserverdienende
– Mentalitätsbedingt kann man „5`e auch ma` gerade sein lassen“
¹Spallek, Razum (2007) Gesundheit von Migranten:Defizite im Bereich der Prävention
24. …die türkische Küche nicht gerade für Kalorienbewusstsein bekannt!
Traditionelle Essgewohnheiten
25. Die ehemaligen altruistischen familiären Gefüge der türkischen Großfamilie sind der
modernen ideellen Selbstverwirklichung in Deutschland „zum Opfer“ gefallen.
– „Alle unter einem Dach“, gibt es noch, aber
zunehmend kommt es zur Aufspaltung,
„Ruhe in den eigenen 4 Wänden“.
– Pflegebereitschaft der älteren Eltern/
Schwiegereltern kann in Frage gestellt werden und
ist keine Selbstverständlichkeit mehr.
26. ….wir stehen am Anfang, dieses Thema wird in
den nächsten Jahren immer mehr Raum in der
gerontologischen Versorgungslandschaft in
Deutschland bekommen.
27. Situation älterer Migranten
• Altern ist ein Prozess, der
wesentlich von sozialen,
kulturellen, ökonomischen und
psychischen Faktoren beeinflusst
wird
• Die meisten ArbeitsmigrantInnen,
die vor hatten nach einigen
Jahren Berufstätigkeit wieder in
ihr Ursprungsland
zurückzukehren, haben dies auch
realisiert
• Das Konzept: „6 Monate hier, 6
Monate dort“
30. Migration und Alter
• Viele ältere MigrantInnen wohnen nicht, wie wir
häufig glauben, in Großfamilien sondern mit dem/
der PartnerIn oder alleine
• Bestimmte Gefühle können Menschen nur in ihrer
Erstsprache ausdrücken
• Viele ältere MigrantInnen verfügen nur über
unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache,
wobei verstehen leichter fällt
31. Schmerzausdruck bei türkischen Patienten
§ Schmerz wird intensiv, laut und deutlich geäußert
§ Er macht den Patienten zum Mittelpunkt der Familie
§ Oft ist er mit Todesangst verbunden, da verschiedene
Krankheiten in der Türkei nicht geheilt werden können
§ Von Allah werden auch schmerzhafte Erkrankungen
hingenommen
§ Die Ursache wird meistens nicht erkannt, nur
angedeutet. Patienten erwarten Aufmerksamkeit, aber
keine körperlichen Berührungen
32. Unterschiede im Ausdruck von Schmerz
§ Zwischen Menschen
unterschiedlicher Herkunft
§ Zwischen Menschen
unterschiedlicher Geschlechter und
Altersphasen
§ Südländer sind wehleidiger?!
§ Vorurteile über die besondere
Schmerzempfindlichkeit einiger
sozialer Gruppen beeinflussen das
ärztliche und das pflegerische
Verhalten
33. Unterschiede im Ausdruck von Schmerz
§ Erziehung ( soziokulturelle Faktoren)
§ Erfahrung und Verarbeitung von Schmerz
(geistig-kognitive Faktoren)
§ Stimmung, Gefühle ( seelisch-geistige Faktoren)
35. Ernährung
§ Nur Fleisch, das rituell
geschlachtet wurde, ist
erlaubt und wird „halal“
genannt
§ Anderes Fleisch wird meist
nicht verzehrt - besonders
kein Schweinefleisch
§ Alkoholverbot
§ Wenn Diätvorschriften
eingehalten werden müssen,
sollte dies mit den
Angehörigen besprochen
werden
36. Diäten
§ Reichliches Essen tut
dem Körper gut
§ Man wird vom Essen
nicht krank
§ Türkisches Essen ist fett
und süß
§ Diäten schmecken nicht
37. Essgewohnheiten
§ Essen in der türkischen
Gesellschaft hat einen
hohen Stellenwert
§ Reichliches Essen wird als
Wohlstand gesehen
§ Gastfreundschaft und
Bewirtung haben einen
unschätzbaren Stellenwert
38. Essgewohnheiten
• Je mehr essen desto
besser
§ Ablehnen von Essen ist
eine Beleidigung für den
Gastgeber
• Alleine zu essen oder
nebenan zu essen, wenn
noch andere im Haus sind,
ist unvorstellbar
39. Essgewohnheiten
§ 3-4 Mahlzeiten
§ Nachmittags bei Freunden
und Nachbarn
§ Abends ein komplettes Menü
mit Suppe, Hauptgericht,
Salat und Süßspeise
§ Letzter Imbiss:
§ Getrocknete Früchte, Frisches
Obst, Studentenfutter
40. Medikamente
§ Probleme:
§ Alkoholhaltige Medikamente
§ Medikamente mit Bestandteilen vom Schwein
§ Nicht sofort wirkende Medikamente werden abgesetzt
§ Krankheitszeichen und Symptome weg, wird das
Medikament abgesetzt
§ Viele Fragen stellen ist ein Zeichen der Insuffizienz
41. Kulturelle Besonderheiten
§ Türkische Migranten sind häufig mit den traditionellen
Riten und Gebräuchen des Herkunftsgebietes behaftet
und führen diese in Subgruppen fort.
§ Insofern kann das für den Einen gut und für den
Nächsten völlig weltfremd sein.
§ Familiäre Probleme oder psychische Krankheiten
bleiben im Gespräch häufig unerwähnt.
§ Dies wird häufig als Zeichen der Schwäche und
persönliche Insuffizienz gewertet.
§ „Iyi diyelim iyi olalim“-“Lass uns gut sagen und gut sein“
42. Gesundheitsverständnis
§ Gesundheit ist ein Geschenk von Allah, die man
schützen muss
§ Ein Leben nach dem Tod- am jüngsten Tag muss man
Rechenschaft abgeben
§ Die Lebensführung und die Krankheit werden nicht im
Zusammenhang erkannt (z. B. Diabetes und
Essverhalten)
§ Passivität- da alles Schicksal ist und von Allah gegeben
43. Krankheitsverständnis
§ Der Kranke steht im Mittelpunkt
§ Oder ist endlich mal dran
§ Familie und emotionale Wärme sollen dem Körper
helfen gesund zu werden
§ Krankheit verbindet
44. Krankheitsverständnis
§ Krankheit gilt als von Allah gegeben
§ Sie ist als Prüfung des Menschen durch Gott zu verstehen
§ Durch das Krankheitsbedingte Leiden werden die Sünden
vergeben
§ Kann auch Strafe Gottes für Fehlverhalten ,
Tabuüberschreitungen oder Regelverletzungen gesehen
werden
§ Für Alter und Tod gibt es keine Medizin
45. Krankheitsverständnis der türkischen Frauen
§ Brauchen Begleitung durch ihre erwachsenen Kinder oder
Ehemänner
§ Hirarchiestufen sind klar, türkische Frauen müssen sich den
Respekt erst erwerben, z. B. durch Kinder
§ Krankheit ist ein Mittel für Aufmerksamkeit, schützt aber
nicht vor Hausarbeit und Pflichten
§ Adipositas wird als Wohlstandszeichen angesehen
§ Gewichtsabnahme wird mit Krankheit in Verbindung
gesetzt
46. Krankheitsverständnis von türkischen Männerrn
§ Der Vater ist der Oberhaupt der Familie und
repräsentiert die gesamte Familie
§ Männer sind es gewohnt bedient zu werden
§ Diagnosen werden manchmal zum Schutz von
Angehörigen verschwiegen
§ Der Patient soll die Hoffnung nicht verlieren
47. Magische Erklärungsmuster
§ Das beabsichtigte und
unbeabsichtigte Wirken des
Menschen steht im Mittelpunkt
§
§ z.B. beim „bösen Blick“
§ Auch Verfluchungen durch
einen Menschen können
schwerwiegende Erkrankungen
auslösen
48. Verhältnis zum Arzt
§ Türkische Ärzte sind
Autoritätspersonen
§ Das Verhältnis ist vertrauter,
familiärer, geisterreicher
§ Ein guter Arzt kann Krankheiten sofort
heilen, verordnet immer ein
Medikament und entscheidet allein
über die Therapie
§ Kinder werden häufig zum Arzt
gebracht
§ Das Symptom soll sofort bekämpft
werden, eine gründliche Anamnese
macht misstrauisch
§ Kinder unterliegen nicht den
Schamregeln
49. Verhältnis zum PflegerIn
§ Erwartet werden
Zuwendung und Verständnis
§ Da die Familie nicht ständig
da sein kann, muss das
Pflegepersonal die Rolle
übernehmen
§ Angehörige wollen einen
Teil der Pflege ausführen
50. Die interkulturelle Kommunikation
§ Herkunft des Patienten
§ Mentalität
§ Religion
§ Lebensbedingungen in Deutschland
§ Typische Rollenbilder
§ Berufliche Situation
§ Familiäre Situation
www.dieakademie-du.de 50
51. Kommunikationsmaterialien
§ Einfache Formulierung (mittleres Sprachniveau)
§ Vermeiden von Fachausdrücken
§ Übersichtliche Gestaltung
§ Klare kurze Textabschnitte
§ Verwendung von Abbildungen
§ Verwendung von Piktogrammen
§ Einsetzen von Dolmetschern
§ Zweisprachige Formulare oder Texte
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53. Interkulturelle Sensibilität hat man weder von
Geburt an, noch durch Sprachkenntnis!
Kultursensible Pflege trägt
dazu bei, dass eine
pflegebedürftige Person
entsprechend ihrer
individuellen Werte,
kulturellen und religiösen
Prägungen und Bedürfnissen
leben kann.
54. Man
kann
nicht
alles
wissen,
…..
aber
die
Sinne
für
Besonderheiten
schärfen….
58. Literatur
§ Michael
Knipper
und
Yasar
Bilgin
(2009):
Migra&on
und
Gesundheit
§ Dr.
Dr.
Ilhan
Ilkilic
(2006):
Das
muslimische
Krankheits-‐
und
Gesundheitsverständnis
2006
§ Deutsches
Sta&s&kamt
www.dieakademie-‐du.de
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