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Anti-Doping-Gesetz - 
Interview mit dem Stuttgarter Sportrechtler Marius Breucker 
Anti-Doping-Gesetz: „Strafbarkeit des dopenden Spitzensportlers ist konsequent“ 
Der Stuttgarter Sportrechtler Marius Breucker engagiert sich seit Jahren im Kampf gegen Doping. Als Anwalt der Welt Anti-Doping Agentur nahm er die Aussagen zahlreicher Doping-Kronzeugen entgegen. Im sportgerichtlichen Verfahren der International Skating Union gegen Claudia Pechstein vertrat er die dort beigeladene Deutsche Eisschnelllauf- Gemeinschaft. Im Interview äußert er sich zu den Folgen des Falls Pechstein und zum Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes. 
Frage: Herr Breucker, wird der Fall Pechstein das Sportrecht verändern? 
Marius Breucker: Die Durchsetzung von Anti-Doping-Vorschriften basiert auf den Schiedsvereinbarungen zwischen Verbänden und Athleten. Das Landgericht München hielt diese Schiedsvereinbarungen für unwirksam, da die Sportler keine Wahl haben: Sie müssen unterzeichnen, wenn sie an Wettbewerben teilnehmen wollen. Das rüttelt an den Grundfesten des Sportrechts.
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Frage: Der bekannt gewordene Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes sieht vor, dass Sportverbände und Sportler als Voraussetzung für die Teilnahme an Wettkämpfen Schiedsvereinbarungen schließen können. Wäre das Problem damit gelöst? 
Marius Breucker: Der Entwurf sagt, dass Schiedsvereinbarungen getroffen werden „können“, wenn sie die organisierte Sportausübung ermöglichen, fördern oder sichern. Der Hinweis auf die Möglichkeit einer Schiedsvereinbarung besagt nicht eindeutig, dass Schiedsvereinbarungen, zu denen die Sportler faktisch gezwungen sind, trotz fehlender Freiwilligkeit zulässig und wirksam sind. Gerade diese Frage aber hatte das Landgericht München aufgeworfen. Insoweit darf man auf die Gesetzesbegründung gespannt sein. 
Frage: Das Landgericht München äußerte im Pechstein-Prozess Kritik am Schiedsverfahren vor dem Court of Arbitration for Sport (CAS). Gleichwohl sollen die Sportler nun kraft Gesetzes an den CAS verwiesen werden? 
Marius Breucker: Man muss sorgfältig differenzieren: Auch die beste Rechts- und Verfahrensordnung kann ein Fehlurteil im Einzelfall nicht ausschließen. Das Verfahrensrecht sollte aber alles dafür tun, um Fehlurteile zu verhindern. Das gilt für die Schiedsgerichtsbarkeit wie für die staatliche Gerichtsbarkeit. Die Verfahren müssen gut geregelt und kompetent geführt werden. Das kann auch die Schiedsgerichtsbarkeit leisten. Durch ihren internationalen Charakter ist sie für den Sport grundsätzlich gut geeignet. 
Frage: Was muss sich in Schiedsverfahren vor dem CAS ändern? 
Marius Breucker: Der CAS hat in vielen Fällen zügig und kompetent entschieden und sich als Institution im Sportrecht bewährt. Er kann aber noch besser werden. So könnten etwa die Verfahren auf Wunsch des Beklagten öffentlich geführt werden. Die Schiedsrichterliste könnte geöffnet werden – bislang ist es eine geschlossene Liste. Vor allem sollte der Ernennungsausschuss für die Schiedsrichter neutral – nicht überwiegend durch die Sportorganisationen – besetzt werden. Auch die Ernennung des Schiedsgerichtsvorsitzenden im jeweiligen Verfahren sollte durch eine neutrale Instanz erfolgen. 
Frage: Wäre unter diesen Voraussetzungen der Schiedsspruch im Fall Pechstein anders ausgefallen? 
Marius Breucker: Das ist Spekulation. Eine Schiedsordnung dient nicht zuletzt dazu, die Legitimation des Verfahrens und damit der Entscheidung zu erhöhen. Die genannten Maßnahmen hätten dem Pechstein-Verfahren sicher gut getan. 
Frage: Müssen die Rechte der Athleten vor dem CAS gestärkt werden? 
Marius Breucker: Ein entscheidender Punkt liegt im Beweisrecht: Nach dem Welt Anti- Doping Code genügt eine „hinreichende Überzeugung“, um einen Sportler zu verurteilen. Dies wäre im deutschen Zivilrecht nicht möglich. Ein solch weicher Maßstab erscheint – gerade bei einem Indizienprozess – bedenklich. Mittlerweile hat die WADA Richtlinien entwickelt, die an die Überzeugungsbildung im Falle eines indirekten Nachweises durch Blutprofile höchste Anforderungen stellen. Wären diese Vorgaben, die damals formal noch nicht galten, im Pechstein-Verfahren herangezogen worden, wäre die Athletin freizusprechen gewesen.
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Frage: Das Anti-Doping-Gesetz sieht eine Strafbarkeit des Athleten vor. Wie beurteilen Sie das? 
Marius Breucker: Die Strafbarkeit des Sportlers bei Eigendoping und beim Besitz auch geringer Mengen von Dopingmitteln bedeutet einen Paradigmenwechsel im Antidopingkampf. Eine Strafbarkeit des dopenden Spitzensportlers ist konsequent, denn er ist trotz aller Einflüsse von außen die Zentralgestalt des Geschehens. Es ist nicht recht nachvollziehbar, dass bei Doping zwar das Umfeld, nicht aber der Sportler bestraft wird. 
Frage: Droht künftig auch bei versehentlichem Eigendoping – etwa durch ein falsches Schnupfenmittel – eine Gefängnisstrafe? 
Marius Breucker: Selbstdoping ist nur strafbar, wenn es in der Absicht erfolgt, sich in einem offiziellen Wettbewerb einen Vorteil zu verschaffen. Die versehentliche Einnahme eines falschen Medikaments ist demnach nicht strafbar. 
Frage: Ist künftig auch bei Freizeitläufen mit Razzien zu rechnen? 
Marius Breucker: Nein, der Entwurf beschränkt die Strafbarkeit auf „Spitzensportler“. Bestraft werden also nur Athleten, die im Testpool eines Dopingkontrollsystems geführt werden oder aus ihrer sportlichen Betätigung Einnahmen von erheblichem Umfang erzielen. Der Freizeitsportler bleibt straffrei. 
Frage: Welche weiteren Elemente enthält der Entwurf? 
Marius Breucker: Ein für die Praxis wichtiger Punkt ist die Befugnis zur Informationsübermittlung durch die Staatsanwaltschaften an die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA). Bislang ist die NADA auf Akteneinsichtsgesuche angewiesen. Künftig wären die Staatsanwaltschaften zur Übermittlung von Daten an die NADA von Amts wegen berechtigt, sofern keine schutzwürdigen Interessen der Betroffenen entgegenstehen. 
Frage: Die Betroffenen werden kaum ein Interesse daran haben, dass ihre Daten an die NADA übermittelt und sie dann möglicherweise gesperrt werden? 
Marius Breucker: Ob „schutzwürdige Interessen“ entgegenstehen, ist objektiv zu bestimmen: Wer sich als Sportler dem Anti-Dopingreglement unterworfen hat, der muss damit rechnen, dass die NADA bei Verstößen entsprechende Ermittlungen aufnimmt. Darauf haben sich Sportler und Verbände im Vorfeld vertraglich verständigt. Allein die Gefahr der Sanktionierung würde also einer Übermittlung von Informationen an die NADA nicht entgegenstehen. 
Frage: Gefährdet das Anti-Doping-Gesetz die Autonomie des Sports? 
Marius Breucker: Mit dem vorgelegten Entwurf macht der Staat in der Dopingbekämpfung ernst. Es ist aber ein Entwurf mit Augenmaß, der die sportgerichtlichen Verfahren nicht einschränkt. Wenn das Anti-Doping-Gesetz in dieser Fassung verabschiedet wird, würde es den sportrechtlichen Antidopingkampf unterstützen, ohne ihn zu ersetzen.
4 
Frage: Werden sportgerichtliche Verfahren durch die neuen Regeln zur Strafbarkeit beeinträchtigt oder verzögert? 
Marius Breucker: Das sehe ich nicht, da beide Verfahren getrennt ablaufen. Das Sportrecht hat als Teil des Zivilrechts andere Maßstäbe als das hoheitliche Strafrecht. Auch in anderen Bereichen laufen sportrechtliche und strafrechtliche Verfahren unabhängig voneinander: Im Fußball wird ein Foul sportrechtlich mit einer Roten Karte und einer Spielsperre, strafrechtlich unter Umständen als Körperverletzung sanktioniert. Die Sportgerichte warten aber mit ihrer Entscheidung nicht auf das Strafurteil. 
Weiterführende Informationen zum Thema “Anti-Doping-Gesetz” sind unter: 
http://www.deutschlandfunk.de/anti-doping-gesetz-deutschland-macht- ernst.1346.de.html?dram:article_id=298851 , 
auf Welt.de unter: http://www.welt.de/sport/article132745678/Bis-zu-drei-Jahre-Haft-fuer- Dopingsuender.html 
oder als podcast unter: ondemand- mp3.dradio.de/file/dradio/2014/09/28/dlf_20140928_1929_677a5a64.mp3 
zu finden. 
Marius Breucker, Stuttgarter Sportrechtler – Anti-Doping-Gesetz: „Strafbarkeit des dopenden Spitzensportlers ist konsequent“

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Anti-Doping-Gesetz – Interview mit dem Stuttgarter Sportrechtler Marius Breucker

  • 1. 1 Anti-Doping-Gesetz - Interview mit dem Stuttgarter Sportrechtler Marius Breucker Anti-Doping-Gesetz: „Strafbarkeit des dopenden Spitzensportlers ist konsequent“ Der Stuttgarter Sportrechtler Marius Breucker engagiert sich seit Jahren im Kampf gegen Doping. Als Anwalt der Welt Anti-Doping Agentur nahm er die Aussagen zahlreicher Doping-Kronzeugen entgegen. Im sportgerichtlichen Verfahren der International Skating Union gegen Claudia Pechstein vertrat er die dort beigeladene Deutsche Eisschnelllauf- Gemeinschaft. Im Interview äußert er sich zu den Folgen des Falls Pechstein und zum Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes. Frage: Herr Breucker, wird der Fall Pechstein das Sportrecht verändern? Marius Breucker: Die Durchsetzung von Anti-Doping-Vorschriften basiert auf den Schiedsvereinbarungen zwischen Verbänden und Athleten. Das Landgericht München hielt diese Schiedsvereinbarungen für unwirksam, da die Sportler keine Wahl haben: Sie müssen unterzeichnen, wenn sie an Wettbewerben teilnehmen wollen. Das rüttelt an den Grundfesten des Sportrechts.
  • 2. 2 Frage: Der bekannt gewordene Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes sieht vor, dass Sportverbände und Sportler als Voraussetzung für die Teilnahme an Wettkämpfen Schiedsvereinbarungen schließen können. Wäre das Problem damit gelöst? Marius Breucker: Der Entwurf sagt, dass Schiedsvereinbarungen getroffen werden „können“, wenn sie die organisierte Sportausübung ermöglichen, fördern oder sichern. Der Hinweis auf die Möglichkeit einer Schiedsvereinbarung besagt nicht eindeutig, dass Schiedsvereinbarungen, zu denen die Sportler faktisch gezwungen sind, trotz fehlender Freiwilligkeit zulässig und wirksam sind. Gerade diese Frage aber hatte das Landgericht München aufgeworfen. Insoweit darf man auf die Gesetzesbegründung gespannt sein. Frage: Das Landgericht München äußerte im Pechstein-Prozess Kritik am Schiedsverfahren vor dem Court of Arbitration for Sport (CAS). Gleichwohl sollen die Sportler nun kraft Gesetzes an den CAS verwiesen werden? Marius Breucker: Man muss sorgfältig differenzieren: Auch die beste Rechts- und Verfahrensordnung kann ein Fehlurteil im Einzelfall nicht ausschließen. Das Verfahrensrecht sollte aber alles dafür tun, um Fehlurteile zu verhindern. Das gilt für die Schiedsgerichtsbarkeit wie für die staatliche Gerichtsbarkeit. Die Verfahren müssen gut geregelt und kompetent geführt werden. Das kann auch die Schiedsgerichtsbarkeit leisten. Durch ihren internationalen Charakter ist sie für den Sport grundsätzlich gut geeignet. Frage: Was muss sich in Schiedsverfahren vor dem CAS ändern? Marius Breucker: Der CAS hat in vielen Fällen zügig und kompetent entschieden und sich als Institution im Sportrecht bewährt. Er kann aber noch besser werden. So könnten etwa die Verfahren auf Wunsch des Beklagten öffentlich geführt werden. Die Schiedsrichterliste könnte geöffnet werden – bislang ist es eine geschlossene Liste. Vor allem sollte der Ernennungsausschuss für die Schiedsrichter neutral – nicht überwiegend durch die Sportorganisationen – besetzt werden. Auch die Ernennung des Schiedsgerichtsvorsitzenden im jeweiligen Verfahren sollte durch eine neutrale Instanz erfolgen. Frage: Wäre unter diesen Voraussetzungen der Schiedsspruch im Fall Pechstein anders ausgefallen? Marius Breucker: Das ist Spekulation. Eine Schiedsordnung dient nicht zuletzt dazu, die Legitimation des Verfahrens und damit der Entscheidung zu erhöhen. Die genannten Maßnahmen hätten dem Pechstein-Verfahren sicher gut getan. Frage: Müssen die Rechte der Athleten vor dem CAS gestärkt werden? Marius Breucker: Ein entscheidender Punkt liegt im Beweisrecht: Nach dem Welt Anti- Doping Code genügt eine „hinreichende Überzeugung“, um einen Sportler zu verurteilen. Dies wäre im deutschen Zivilrecht nicht möglich. Ein solch weicher Maßstab erscheint – gerade bei einem Indizienprozess – bedenklich. Mittlerweile hat die WADA Richtlinien entwickelt, die an die Überzeugungsbildung im Falle eines indirekten Nachweises durch Blutprofile höchste Anforderungen stellen. Wären diese Vorgaben, die damals formal noch nicht galten, im Pechstein-Verfahren herangezogen worden, wäre die Athletin freizusprechen gewesen.
  • 3. 3 Frage: Das Anti-Doping-Gesetz sieht eine Strafbarkeit des Athleten vor. Wie beurteilen Sie das? Marius Breucker: Die Strafbarkeit des Sportlers bei Eigendoping und beim Besitz auch geringer Mengen von Dopingmitteln bedeutet einen Paradigmenwechsel im Antidopingkampf. Eine Strafbarkeit des dopenden Spitzensportlers ist konsequent, denn er ist trotz aller Einflüsse von außen die Zentralgestalt des Geschehens. Es ist nicht recht nachvollziehbar, dass bei Doping zwar das Umfeld, nicht aber der Sportler bestraft wird. Frage: Droht künftig auch bei versehentlichem Eigendoping – etwa durch ein falsches Schnupfenmittel – eine Gefängnisstrafe? Marius Breucker: Selbstdoping ist nur strafbar, wenn es in der Absicht erfolgt, sich in einem offiziellen Wettbewerb einen Vorteil zu verschaffen. Die versehentliche Einnahme eines falschen Medikaments ist demnach nicht strafbar. Frage: Ist künftig auch bei Freizeitläufen mit Razzien zu rechnen? Marius Breucker: Nein, der Entwurf beschränkt die Strafbarkeit auf „Spitzensportler“. Bestraft werden also nur Athleten, die im Testpool eines Dopingkontrollsystems geführt werden oder aus ihrer sportlichen Betätigung Einnahmen von erheblichem Umfang erzielen. Der Freizeitsportler bleibt straffrei. Frage: Welche weiteren Elemente enthält der Entwurf? Marius Breucker: Ein für die Praxis wichtiger Punkt ist die Befugnis zur Informationsübermittlung durch die Staatsanwaltschaften an die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA). Bislang ist die NADA auf Akteneinsichtsgesuche angewiesen. Künftig wären die Staatsanwaltschaften zur Übermittlung von Daten an die NADA von Amts wegen berechtigt, sofern keine schutzwürdigen Interessen der Betroffenen entgegenstehen. Frage: Die Betroffenen werden kaum ein Interesse daran haben, dass ihre Daten an die NADA übermittelt und sie dann möglicherweise gesperrt werden? Marius Breucker: Ob „schutzwürdige Interessen“ entgegenstehen, ist objektiv zu bestimmen: Wer sich als Sportler dem Anti-Dopingreglement unterworfen hat, der muss damit rechnen, dass die NADA bei Verstößen entsprechende Ermittlungen aufnimmt. Darauf haben sich Sportler und Verbände im Vorfeld vertraglich verständigt. Allein die Gefahr der Sanktionierung würde also einer Übermittlung von Informationen an die NADA nicht entgegenstehen. Frage: Gefährdet das Anti-Doping-Gesetz die Autonomie des Sports? Marius Breucker: Mit dem vorgelegten Entwurf macht der Staat in der Dopingbekämpfung ernst. Es ist aber ein Entwurf mit Augenmaß, der die sportgerichtlichen Verfahren nicht einschränkt. Wenn das Anti-Doping-Gesetz in dieser Fassung verabschiedet wird, würde es den sportrechtlichen Antidopingkampf unterstützen, ohne ihn zu ersetzen.
  • 4. 4 Frage: Werden sportgerichtliche Verfahren durch die neuen Regeln zur Strafbarkeit beeinträchtigt oder verzögert? Marius Breucker: Das sehe ich nicht, da beide Verfahren getrennt ablaufen. Das Sportrecht hat als Teil des Zivilrechts andere Maßstäbe als das hoheitliche Strafrecht. Auch in anderen Bereichen laufen sportrechtliche und strafrechtliche Verfahren unabhängig voneinander: Im Fußball wird ein Foul sportrechtlich mit einer Roten Karte und einer Spielsperre, strafrechtlich unter Umständen als Körperverletzung sanktioniert. Die Sportgerichte warten aber mit ihrer Entscheidung nicht auf das Strafurteil. Weiterführende Informationen zum Thema “Anti-Doping-Gesetz” sind unter: http://www.deutschlandfunk.de/anti-doping-gesetz-deutschland-macht- ernst.1346.de.html?dram:article_id=298851 , auf Welt.de unter: http://www.welt.de/sport/article132745678/Bis-zu-drei-Jahre-Haft-fuer- Dopingsuender.html oder als podcast unter: ondemand- mp3.dradio.de/file/dradio/2014/09/28/dlf_20140928_1929_677a5a64.mp3 zu finden. Marius Breucker, Stuttgarter Sportrechtler – Anti-Doping-Gesetz: „Strafbarkeit des dopenden Spitzensportlers ist konsequent“