3. Methodische Anlage der Studie
Sozialwissenschaftliche Untersuchung (qualitativ und quantitativ)
Qualitativ: Mehrstündige narrative EinzelinterviewsQualitativ: Mehrstündige narrative Einzelinterviews
• 190 Interviews mit Müttern und Vätern (mit Kind in der Sekundarstufe I)
— 150 autochthone Deutsche
— 40 mit Migrationshintergrund
• 65 Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern von Gymnasium, Realschule, Hauptschule,
Gesamtschule
• Befragung gestreut über die Bundesrepublik, Stadt/Land in allen Schichten und Milieus
Quantitativ:
• Repräsentative Daten und Sonderauswertungen aus dem Mikrozensus (Statistisches
Bundesamt), insb. zu Schulabschlüssen sowie zu Menschen mit Migrationshintergrund.
• Weitere aktuelle repräsentative Milieustudien des DELTA-Instituts mit Bezug zum Thema
(2.788 Eltern und 623 Lehrer).
Die qualitativen und quantitativen Daten wurden geschlechter- und milieudifferenziert
analysiert.
4. Ziel der Untersuchung
Die Studie untersucht die Schulkultur: die Wahrnehmungen und Erfahrungen von
Lehrerinnen und Lehrern sowie von Mütter und Vätern in den verschiedenen
DELTA-Milieus in ihrer jeweiligen Selbst- und FremdperspektiveDELTA-Milieus in ihrer jeweiligen Selbst- und Fremdperspektive
• Sie geht der Frage nach, ob und wie sich Eltern beteiligen, wie sie ihre Beziehung,
Mitarbeit und Kommunikation zu Lehrern und zur Schule gestalten und wie sich diese
Schulkultur auf die Familie und die Berufsperspektive von Frauen auswirkt.
• Dabei wurden auch Eltern mit Migrationshintergrund befragt, insbesondere jene mit
türkischen Wurzeln sowie Spätaussiedler.
• Ebenso wurden die Erfahrungen und Perspektiven der Lehrer untersucht: Wie erleben
Lehrerinnen und Lehrer ihren Schulalltag, wie nehmen sie Schüler und wie nehmen sieLehrerinnen und Lehrer ihren Schulalltag, wie nehmen sie Schüler und wie nehmen sie
deren Eltern aus den verschiedenen Milieus wahr.
5. Zentrale Ergebnisse
Die Bildungsdebatten seit PISA sind in den Familien angekommen. Das gehört zu den
zentralen Erkenntnissen der neuen Studie „Eltern-Lehrer-Schulerfolg“.
Das Verhältnis von Eltern zur Schule hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert.Das Verhältnis von Eltern zur Schule hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert.
Schule und Schulleistungen sind zu einem dominanten Thema in den Familien
– vor allem in der gesellschaftlichen Mitte – geworden.
Das Familienleben wird aus Sicht der Eltern durch den gestiegenen Leistungsdruck
nachhaltig geprägt.
• Eltern fühlen sich für den Schulerfolg ihrer Kinder zunehmend verantwortlich.
• Ihnen ist die Bedeutung der Bildung ihrer Kinder für den späteren Lebens- und
Berufsweg ebenso bewusst wie die Tendenz zur Höherqualifizierung.Berufsweg ebenso bewusst wie die Tendenz zur Höherqualifizierung.
• Dies gilt für Eltern aller Milieus und auch für diejenigen mit Migrationshintergrund.
6. Zentrale Ergebnisse
Die Untersuchungsergebnisse zeigen aber auch, dass die seit PISA erfolgte Reformierung
der Schularten, des Lehrstoffes, der Schulstrukturen sowie der pädagogischen Konzepte
weder zur Zufriedenheit der Eltern noch der Lehrer beigetragen haben.weder zur Zufriedenheit der Eltern noch der Lehrer beigetragen haben.
Während die Eltern – vor allem die Eltern mit Kindern auf G8-Gymnasien – eine verstärkte
Fokussierung auf Leistung und Noten beklagen, stellen die aktuellen Schulreformen aus
Sicht der Lehrer/-innen eher eine Belastung des Schulalltags dar:
• Eltern übernehmen zunehmend Aufgaben der Schule und sind elementarer Teil des
Schulsystems (z.B. wird die Übungskultur nach Hause in die Familien verlagert).
• Umgekehrt übernehmen Lehrer immer mehr Aufgaben jenseits ihrer fachlichen
Zuständigkeit als Erzieher, Erziehungsberater, Familienberater, psychosozialer Berater,Zuständigkeit als Erzieher, Erziehungsberater, Familienberater, psychosozialer Berater,
Hausmeister, Evaluationen von Schulleistungen u.a. – und haben immer weniger Zeit
für ihre eigentliche Aufgabe des Unterrichtens und Übens: Eltern sind unter Druck;
Lehrer sind unter Druck – aus unterschiedlichen Gründen.
7. Erfahrungen von Müttern und Vätern
10 prägnante Befunde
1. Vom Bildungsprivileg zum Bildungszwang! Schulerfolg ist eine zentrale Voraussetzung für
Lebenserfolg
2. Kolonialisierung der Familie durch Schule2. Kolonialisierung der Familie durch Schule
3. Kinder und Jugendliche können heute die Schule ohne elterliche Unterstützung nicht mehr
erfolgreich durchlaufen (v.a. am Gymnasium)
4. Die umfassende Unterstützung der Kinder durch die Eltern ist eine soziale (Schul)Norm
5. Es gibt keine formale Aufgabenzuschreibung von der Schule an das Elternhaus
6. Schule geht weiterhin von einer (teil-)traditionellen Rollenteilung der Eltern aus –
durch die Schulkultur fordert und verstetigt sie diese
7. Die traditionelle Rollenteilung ist das normative Vorbild für viele Jugendliche
8. Der Schulerfolg hängt in hohem Maße von den Ressourcen im Elternhaus ab.
Die aktuelle Schulkultur trägt dazu bei, dass sich die Bildungskluft in Deutschland verstärkt
9. Schule ist „Lernstoff-Vermittlungs-Agentur“ und „Assessment-Center“, aber keine umfassende
Bildungseinrichtung mehr
10. Nahezu alle Eltern hadern mit dem Schulsystem und der Schulkultur
8. Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrern
6 prägnante Befunde
1. Schule ist in ihren vielfältigen Funktionen überfrachtet und immer mehr eine unzureichend
ausgestattete Reparaturwerkstätte für gesellschaftliche Probleme
2. Lehrer erfahren wenig Unterstützung durch die Schulpolitik und Schulbehörden2. Lehrer erfahren wenig Unterstützung durch die Schulpolitik und Schulbehörden
3. Schule und Lehrer müssen auf eine veränderte, heterogene Schülerschaft (und Elternschaft)
reagieren
4. Plurale Jugendwelten und mediatisierte Wirklichkeiten treten zunehmend in Konkurrenz zur
Schule
5. Elternarbeit ist anstrengender geworden
6. Schulen derselben Ebene sind nicht mehr unbedingt miteinander vergleichbar
14. Kernaussagen
1. Schule und Schulleistungen sind zu einem dominanten Thema in den Familien geworden.
Das Thema Bildung ist in den Familien angekommen. Die bildungspolitische Diskussion, ob
zu PISA, OECD oder auch die bundesweite Bildungsdiskussion, schlägt sich in dem Wunschzu PISA, OECD oder auch die bundesweite Bildungsdiskussion, schlägt sich in dem Wunsch
der Eltern nach einem möglichst hohen Schulabschluss für ihre Kinder nieder. Die
Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass Schule und Schulleistungen zu einem dominanten
Thema in den Familien – vor allem in der gesellschaftlichen Mitte – geworden sind. Das
Familienleben wird aus Sicht der Eltern durch den gestiegenen Leistungsdruck nachhaltig
geprägt. Eltern fühlen sich für den Schulerfolg ihrer Kinder zunehmend verantwortlich.
2. Trotz großer Kritik bleibt das Gymnasium für Eltern der sozialen Ober- und Mittelschicht
die angestrebte Schulart – für Eltern anderer Milieus nicht.
Bei über der Hälfte der Eltern ist der Nimbus des Gymnasiums ungebrochen. Sie strebenBei über der Hälfte der Eltern ist der Nimbus des Gymnasiums ungebrochen. Sie streben
keine andere Schulform an. Dagegen ist für andere Eltern G8 und der damit verbundene
Leistungsdruck ein Grund, auf die Realschule auszuweichen (mit der Option, über diesen
Weg auch das Abitur zu bekommen), um dem Kind und der ganzen Familie Druck zu
nehmen. Für diese Eltern ist das Gymnasium ein Symbol für überzogene Leistungs-
anforderungen. Weiterhin und verstärkt steht die Hauptschule aus Sicht der Eltern für
Scheitern und sozialen Abstieg.
15. Kernaussagen
3. Verunsicherung der Eltern hinsichtlich des Leistungsanspruchs der Schule.
Das Gymnasium wird von vielen Eltern nur als „Lernstoffvermittlungsagentur“ und als
„Assessment-Center“ wahrgenommen. Angesichts zunehmender Leistungsanforderung im„Assessment-Center“ wahrgenommen. Angesichts zunehmender Leistungsanforderung im
G8-Gymnasium besteht bei vielen Eltern eine große Verunsicherung darüber, ob sie ihren
Kindern überhaupt noch Werte wie „Leistung“, „Anstrengung“ und „Ehrgeiz“ vermitteln
sollen. Hier sehen Eltern die Gefahr, eine eindimensionale Leistungsideologie zu bedienen,
die ihren Kindern als Person schaden könnte. Aus Sicht der Eltern kollidiert ihr
Erziehungsanspruch, ihren Kindern eine unbeschwerte Kindheit und Jugend zu
ermöglichen, mit den Anforderungen der Schule, vor allem des Gymnasiums.
4. Erziehungsstile kollidieren mit dem Schulsystem
Das Verhältnis der Eltern zur Schule hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert.Das Verhältnis der Eltern zur Schule hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert.
Die Mehrheit der Eltern möchte die ganzheitlich ausgerichtete Entfaltung der Potenziale
ihrer Kinder fördern und strebt eine Stärkung der Persönlichkeit an. Aus Sicht der Eltern
vermittelt das Schulsystem isoliertes Wissen und setzt zu sehr auf intellektuell-kognitive
Fähigkeiten. Der von ihnen angestrebte hohe Erziehungswert der Selbstentfaltung gerät in
Konflikt mit den Leistungsanforderungen der Schule – vor allem des Gymnasiums.
16. Kernaussagen
5. Lehrer/-innen stellen gesunkene Leistungsbereitschaft und gesunkenes Leistungsniveau
der Schüler fest.
Dies gilt insbesondere für Gymnasien und Hauptschulen, während Schüler/innen anDies gilt insbesondere für Gymnasien und Hauptschulen, während Schüler/innen an
Realschulen den Leistungsanforderungen nach wie vor weitgehend entsprechen.
6. Die unterschiedlichen Erziehungslogiken und Wertesysteme von Eltern mit türkischem
Migrationshintergrund und Spätaussiedlern kollidieren mit dem deutschen Schulsystem.
Eltern mit türkischem Migrationshintergrund und Spätaussiedlereltern sehen den Lehrer
als Autoritätsperson und erwarten von ihm die Einforderung von Autorität und Strenge.
17. Kernaussagen
7. Die aktuelle Schulkultur fördert (unbeabsichtigt) die Retraditionalisierung der
Frauenrolle.
Der Bildungssektor, einst Ausgangspunkt für Emanzipation und Gleichberechtigung, wirdDer Bildungssektor, einst Ausgangspunkt für Emanzipation und Gleichberechtigung, wird
durch die Kinder zum Motor der Fortsetzung des traditionellen Rollenbildes. Angesichts
der - aus Sicht der Eltern - verlagerten Übungskultur in den häuslichen Nachmittag, sehen
sich Mütter in der Rolle der Hilfslehrerinnen. Um ihr Kind - vor allem auf dem Gymnasium –
zu unterstützen, stellen Mütter ihre beruflichen Ziele zurück. Nach Ansicht der Eltern
gehobener Milieus reproduziert sich dadurch auch bei den Jugendlichen die Normalität des
traditionellen Rollenbildes.
8. Verbesserungsbedarf - aus Sicht der Lehrer/-innen - hinsichtlich ihrer Ausbildung.
Während sich Lehrer/-innen fachlich und didaktisch angemessen vorbereitet fühlen,Während sich Lehrer/-innen fachlich und didaktisch angemessen vorbereitet fühlen,
konstatieren sie in Bezug auf Klassenführung jedoch Defizite. Eine zunehmend
individualisierte, kulturell vielfältige und sehr heterogene Schülerschaft mit großem
Selbstbewusstsein erfordert eine hoch professionelle Leitungskompetenz.
18. Kernaussagen
9. Eltern und Lehrer/-innen sind mit dem Schulsystem unzufrieden.
Seit PISA haben sich sowohl die Schularten, die Schulstrukturen als auch die pädagogischen
Konzepte und die organisatorischen Bedingungen von Schule verändert. DieseKonzepte und die organisatorischen Bedingungen von Schule verändert. Diese
Reformierung von Schule hat jedoch weder zur Zufriedenheit der Eltern noch der Lehrer
beigetragen. Während die Eltern - vor allem die Eltern mit Kindern auf G8-Gymnasien –
eine verstärkte Fokussierung auf Leistung und Noten beklagen, stellen die aktuellen
Schulreformen aus Sicht der Lehrer/-innen keine Antwort auf die drängenden Probleme im
Schulalltag dar, sondern wirken aus ihrer Sicht eher als Belastung des Schulalltags.
10. Bildung und die Schulkultur wirken als Katalysator zur Verstärkung sozialer Ungleichheit.
Das Bildungssystem ist einst angetreten mit der Verheißung, dass es maßgeblich dazu
beiträgt, bestehende soziale Ungleichheiten zu dämpfen, talentierten und engagiertenbeiträgt, bestehende soziale Ungleichheiten zu dämpfen, talentierten und engagierten
Menschen unabhängig von ihrer Herkunft Chancen und Wege zum Aufstieg zu
ermöglichen. Die hier vorliegende Untersuchung zeigt nachdrücklich: Die aktuelle
Schulkultur erfüllt diese Funktion – leider – kaum. Im Gegenteil: sie ist ein Katalysator, der
die bestehenden Unterschiede zwischen den sozialen Schichten und Milieus festigt und
sogar noch verstärkt.