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Verdachtskündigung
nach heimlicher
Videoüberwachung
§ 626 BGB; § 1 KSchG
Bei einer heimlichen Videoüberwachung
muss das Interesse des Arbeitgebers an
ihrer prozessualen Verwertung höher
einzustufen sein als das allgemeine
­Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters.
Das ist der Fall, wenn ein konkreter
­Verdacht eines strafbaren Verhaltens
oder einer ähnlich schwer wiegenden
Pflichtverletzung besteht und die Infor­
mationsbeschaffung und -verwertung
selbst nicht unverhältnismäßig ist. Das
gilt auch für Zufallsfunde.
(Leitsatz des Bearbeiters)
BAG, Urteil vom 21. November 2013 –
2 AZR 797/11
Problempunkt
Die Beklagte beschäftigte die Klägerin seit
1991, zuletzt in einem Getränkemarkt. Nach-
dem das Unternehmen erhebliche Leergut­
differenzen verzeichnete, vereinbarte es mit
dem Betriebsratsvorsitzenden die Durchführung
einer vierwöchigen heimlichen Videoüberwa-
chung des Kassenbereichs. Man vermutete,
dass dort ohne Entgegennahme von Leergut
falsche Bons gedruckt und entsprechende Gel-
der der Kasse entnommen werden.
Im Rahmen dieser Überwachung wurde aufge-
zeichnet, wie die Klägerin an drei Tagen aus ei-
nem Plastikbehälter (sog. Klüngelgeld-Kasse),
der sich unter der Leergutkasse befand, Geld
entnahm und in ihre Hosentasche steckte. Bei
Konfrontation mit der Videoaufzeichnung stritt
sie ab, sich das Geld für eigene Zwecke zuge-
eignet zu haben. Die Klüngelgeld-Kasse diene
dazu, Wechselgeld aufzubewahren, das Kun-
den nicht mitnehmen wollen, so die Beschäftig-
te. Sie verwendete das entnommene Geld an-
geblich dafür, morgens einen Einkaufswagen
auszulösen, um damit mehrere benötigte Kas-
seneinsätze zu transportieren.
Die Beklagte kündigte – nach Anhörung des
Betriebsrats – das Arbeitsverhältnis außeror-
dentlich fristlos, hilfsweise ordentlich fristge-
mäß, wegen des Verdachts einer Straftat. Sie
verwies darauf, dass sich aus der Videoaufnah-
me ergebe, wie sich die Mitarbeiterin vor jeder
Geldentnahme vergewissert habe, dass ihr
niemand zusehe, was gegen redliches Verhalten
spreche. Die Klägerin wandte ein, die Videoauf-
nahme sei ein unzulässiges Beweismittel.
Das ArbG hatte die Kündigungsschutzklage
nach Inaugenscheinnahme der Videoaufzeich-
nungen abgewiesen, während das LAG nach
erneuter Beweisaufnahme die außerordentliche
fristlose Kündigung für unwirksam, die ordent­
liche Kündigung hingegen für wirksam hielt.
Entscheidung
Das BAG bestätigte die Unwirksamkeit der
außerordentlichen fristlosen Kündigung.
Zwar kann der dringende, auf objektive Tat­
sachen gestützte Verdacht einer schwerwie-
genden Pflichtverletzung „an sich“ einen wich-
tigen Grund bilden. Selbst wenn man aber zu
Gunsten der Beklagten unterstellt, dass gegen
die Klägerin ein dringender Verdacht bestand,
sich Geldstücke aus der Klüngelgeld-Kasse
rechtswidrig zugeeignet zu haben, war es der
Beklagten nach Interessenabwägung laut BAG
nicht unzumutbar, die Frist für eine ordentliche
Kündigung einzuhalten. Das hat das LAG ver-
tretbar angenommen, unter Hinweis auf die be-
anstandungsfreie Tätigkeit über rund 18 Jahre
und den allenfalls geringfügigen Schaden.
Rechtsfehlerhaft hatte das LAG aber eine wirk-
same ordentliche Kündigung wegen des Ver-
dachts von Pflichtverletzungen angenommen.
Eine Verdachtskündigung ist auch als ordent­
liche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn
Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außer­
ordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt
hätten. Die ordentliche Verdachtskündigung
unterliegt keinen geringeren Anforderungen als
die außerordentliche. Das gilt für die Anforde-
rungen an den Verdacht, für die inhaltliche
Bewertung des fraglichen Verhaltens und für
die Interessenabwägung. Auch bei der Prüfung
der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung
nach dem KSchG muss die Interessenabwägung
zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten,
dessen der Mitarbeiter verdächtig ist – wäre es
erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung
des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde.
Daran fehlte es hier, wie das LAG rechtsfehler-
frei festgestellt hat.
Da das LAG die ordentliche Kündigung bereits
als Verdachtskündigung für wirksam gehalten
hat, hatte es nicht geprüft, ob eine ordentliche
Kündigung wegen begangener Tat wirksam ist.
Insoweit hat das BAG die Sache zurückverwie-
sen.
Hierbei darf das LAG allerdings den Inhalt der
Videoaufzeichnungen nicht berücksichtigen,
weil deren Verwertung wegen Verstoßes gegen
das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläge-
rin prozessual unzulässig ist.
Die Verwertung von Aufzeichnungen aus
einer verdeckten Videoüberwachung ist nur
zulässig – so das BAG – wenn der konkrete
Verdacht einer Straftat oder einer anderen
schweren Pflichtverletzung besteht, weni-
ger einschneidende Mittel zur Aufklärung
ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte
Videoüberwachung damit das praktisch einzig
verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt
nicht unverhältnismäßig ist.
Dass weniger einschneidende Mittel nicht zur
Verfügung standen, war weder festgestellt
noch von dem Unternehmen vorgetragen
worden.Vor allem fehlte es am Vortrag der
Beklagten dazu, dass die heimliche Video-
überwachung des Kassenbereichs das einzig
verbliebene Mittel war, die Leergutdifferenzen
aufzuklären.Auch die Verwertung zufällig
gewonnener Erkenntnisse (sog. Zufallsfund)
setzt voraus, dass das durch Videoaufzeichnung
zu beweisende Verhalten eine schwer wiegende
Pflichtverletzung betrifft und die verdeckte
Videoüberwachung nicht unverhältnismäßig ist,
was vorliegend nicht der Fall war.
Konsequenzen
Das BAG setzt seine Rechtsprechung zur
Verdachtskündigung fort: Für die ordentliche
gelten insbesondere dieselben hohen Voraus-
setzungen im Hinblick auf die Dringlichkeit
des Verdachts wie für die außerordentliche.
Bemerkenswert und neu ist, dass die Erfurter
Richter diesen Gleichlauf jetzt offensichtlich
auf die Interessenabwägung erstrecken wollen:
Auch bei der ordentlichen Verdachtskündigung
muss die Interessenabwägung nach dem Senat
zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten,
dessen der Mitarbeiter verdächtig ist – wäre
es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung
des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde.
Damit wäre die Existenzberechtigung der or-
dentlichen Verdachtskündigung infrage gestellt.
Praxistipp
Vor dem Einsatz einer verdeckten Videoüber-
wachung muss der Arbeitgeber prüfen, ob
andere Erkenntnismöglichkeiten bestehen und
zunächst weniger einschneidende Mittel wäh-
len, um einen Verdacht von Pflichtverletzungen
aufzuklären. Im Prozess muss das Unternehmen
in der Lage sein, schlüssig darzulegen, warum
die heimliche Videoüberwachung das einzig
verbliebene Mittel zur Aufklärung des Verdachts
war. Gelingt ihm das nicht, dürfen die hieraus
gewonnenen Erkenntnisse im Prozess nicht
verwertet werden.
RA und FA für Arbeitsrecht
Dr. André Zimmermann, LL.M., Counsel,
King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt am Main
Rechtsprechung
313Arbeit und Arbeitsrecht · 5 / 15

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Verdachtskündigung nach heimlicher Videoüberwachung

  • 1. Verdachtskündigung nach heimlicher Videoüberwachung § 626 BGB; § 1 KSchG Bei einer heimlichen Videoüberwachung muss das Interesse des Arbeitgebers an ihrer prozessualen Verwertung höher einzustufen sein als das allgemeine ­Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters. Das ist der Fall, wenn ein konkreter ­Verdacht eines strafbaren Verhaltens oder einer ähnlich schwer wiegenden Pflichtverletzung besteht und die Infor­ mationsbeschaffung und -verwertung selbst nicht unverhältnismäßig ist. Das gilt auch für Zufallsfunde. (Leitsatz des Bearbeiters) BAG, Urteil vom 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 Problempunkt Die Beklagte beschäftigte die Klägerin seit 1991, zuletzt in einem Getränkemarkt. Nach- dem das Unternehmen erhebliche Leergut­ differenzen verzeichnete, vereinbarte es mit dem Betriebsratsvorsitzenden die Durchführung einer vierwöchigen heimlichen Videoüberwa- chung des Kassenbereichs. Man vermutete, dass dort ohne Entgegennahme von Leergut falsche Bons gedruckt und entsprechende Gel- der der Kasse entnommen werden. Im Rahmen dieser Überwachung wurde aufge- zeichnet, wie die Klägerin an drei Tagen aus ei- nem Plastikbehälter (sog. Klüngelgeld-Kasse), der sich unter der Leergutkasse befand, Geld entnahm und in ihre Hosentasche steckte. Bei Konfrontation mit der Videoaufzeichnung stritt sie ab, sich das Geld für eigene Zwecke zuge- eignet zu haben. Die Klüngelgeld-Kasse diene dazu, Wechselgeld aufzubewahren, das Kun- den nicht mitnehmen wollen, so die Beschäftig- te. Sie verwendete das entnommene Geld an- geblich dafür, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit mehrere benötigte Kas- seneinsätze zu transportieren. Die Beklagte kündigte – nach Anhörung des Betriebsrats – das Arbeitsverhältnis außeror- dentlich fristlos, hilfsweise ordentlich fristge- mäß, wegen des Verdachts einer Straftat. Sie verwies darauf, dass sich aus der Videoaufnah- me ergebe, wie sich die Mitarbeiterin vor jeder Geldentnahme vergewissert habe, dass ihr niemand zusehe, was gegen redliches Verhalten spreche. Die Klägerin wandte ein, die Videoauf- nahme sei ein unzulässiges Beweismittel. Das ArbG hatte die Kündigungsschutzklage nach Inaugenscheinnahme der Videoaufzeich- nungen abgewiesen, während das LAG nach erneuter Beweisaufnahme die außerordentliche fristlose Kündigung für unwirksam, die ordent­ liche Kündigung hingegen für wirksam hielt. Entscheidung Das BAG bestätigte die Unwirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung. Zwar kann der dringende, auf objektive Tat­ sachen gestützte Verdacht einer schwerwie- genden Pflichtverletzung „an sich“ einen wich- tigen Grund bilden. Selbst wenn man aber zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass gegen die Klägerin ein dringender Verdacht bestand, sich Geldstücke aus der Klüngelgeld-Kasse rechtswidrig zugeeignet zu haben, war es der Beklagten nach Interessenabwägung laut BAG nicht unzumutbar, die Frist für eine ordentliche Kündigung einzuhalten. Das hat das LAG ver- tretbar angenommen, unter Hinweis auf die be- anstandungsfreie Tätigkeit über rund 18 Jahre und den allenfalls geringfügigen Schaden. Rechtsfehlerhaft hatte das LAG aber eine wirk- same ordentliche Kündigung wegen des Ver- dachts von Pflichtverletzungen angenommen. Eine Verdachtskündigung ist auch als ordent­ liche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außer­ ordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Die ordentliche Verdachtskündigung unterliegt keinen geringeren Anforderungen als die außerordentliche. Das gilt für die Anforde- rungen an den Verdacht, für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und für die Interessenabwägung. Auch bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung nach dem KSchG muss die Interessenabwägung zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Mitarbeiter verdächtig ist – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Daran fehlte es hier, wie das LAG rechtsfehler- frei festgestellt hat. Da das LAG die ordentliche Kündigung bereits als Verdachtskündigung für wirksam gehalten hat, hatte es nicht geprüft, ob eine ordentliche Kündigung wegen begangener Tat wirksam ist. Insoweit hat das BAG die Sache zurückverwie- sen. Hierbei darf das LAG allerdings den Inhalt der Videoaufzeichnungen nicht berücksichtigen, weil deren Verwertung wegen Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläge- rin prozessual unzulässig ist. Die Verwertung von Aufzeichnungen aus einer verdeckten Videoüberwachung ist nur zulässig – so das BAG – wenn der konkrete Verdacht einer Straftat oder einer anderen schweren Pflichtverletzung besteht, weni- ger einschneidende Mittel zur Aufklärung ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist. Dass weniger einschneidende Mittel nicht zur Verfügung standen, war weder festgestellt noch von dem Unternehmen vorgetragen worden.Vor allem fehlte es am Vortrag der Beklagten dazu, dass die heimliche Video- überwachung des Kassenbereichs das einzig verbliebene Mittel war, die Leergutdifferenzen aufzuklären.Auch die Verwertung zufällig gewonnener Erkenntnisse (sog. Zufallsfund) setzt voraus, dass das durch Videoaufzeichnung zu beweisende Verhalten eine schwer wiegende Pflichtverletzung betrifft und die verdeckte Videoüberwachung nicht unverhältnismäßig ist, was vorliegend nicht der Fall war. Konsequenzen Das BAG setzt seine Rechtsprechung zur Verdachtskündigung fort: Für die ordentliche gelten insbesondere dieselben hohen Voraus- setzungen im Hinblick auf die Dringlichkeit des Verdachts wie für die außerordentliche. Bemerkenswert und neu ist, dass die Erfurter Richter diesen Gleichlauf jetzt offensichtlich auf die Interessenabwägung erstrecken wollen: Auch bei der ordentlichen Verdachtskündigung muss die Interessenabwägung nach dem Senat zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Mitarbeiter verdächtig ist – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Damit wäre die Existenzberechtigung der or- dentlichen Verdachtskündigung infrage gestellt. Praxistipp Vor dem Einsatz einer verdeckten Videoüber- wachung muss der Arbeitgeber prüfen, ob andere Erkenntnismöglichkeiten bestehen und zunächst weniger einschneidende Mittel wäh- len, um einen Verdacht von Pflichtverletzungen aufzuklären. Im Prozess muss das Unternehmen in der Lage sein, schlüssig darzulegen, warum die heimliche Videoüberwachung das einzig verbliebene Mittel zur Aufklärung des Verdachts war. Gelingt ihm das nicht, dürfen die hieraus gewonnenen Erkenntnisse im Prozess nicht verwertet werden. RA und FA für Arbeitsrecht Dr. André Zimmermann, LL.M., Counsel, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt am Main Rechtsprechung 313Arbeit und Arbeitsrecht · 5 / 15