2. jurisPR-ArbR 45/2014
1
Schuldner des Entschädigungsanspruchs
nach § 15 Abs. 2 AGG
Orientierungssatz zur Anmerkung:
Der Entschädigungsanspruch des § 15 Abs. 2
AGG kann sich nur gegen den Arbeitgeber
richten.
Anmerkung zu BAG, Urteil vom 23.01.2014,
8 AZR 118/13
von Dr. Torsten von Roetteken, Vors. RiVG
A. Problemstellung
Der Achte Senat des BAG hatte sich unter ande-rem
mit der Frage zu befassen, wer als Schuld-ner
eines Entschädigungsanspruchs wegen Ver-stoßes
gegen das Diskriminierungsverbot in § 7
Abs. 1 AGG in Betracht kommt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hatte seinen Anspruch gegen die für
den Arbeitgeber tätige Personalberatungsfirma
gerichtet. Die Klage blieb in allen Instanzen oh-ne
Erfolg.
Das BAG sieht nur im tatsächlichen (oder frü-heren)
bzw. im Falle einer Bewerbung den po-tenziellen
Arbeitgeber als Schuldner eines Ent-schädigungsanspruchs
aus § 15 Abs. 2 AGG und
schließt sich damit der h.M. in der Literatur an,
ohne allerdings auf die Mindermeinung einzu-gehen.
Eingeräumt wird zwar, dass § 15 Abs. 2
AGG im Gegensatz zu § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG
den Anspruchsgegner nicht bezeichnet. Unge-achtet
dessen legt das BAG § 15 AGG dahin aus,
die Regelung befasse sich ausschließlich mit
Ansprüchen, die sich aus Pflichtverstößen des
Arbeitgebers ergäben. Ansprüche gegen Dritte
seien dort nicht vorgesehen. Dem entsprechen
auch die Entstehungsgeschichte und der Zweck
der Regelung, eine wirksame verschuldensun-abhängige
Sanktion für eine Verletzung des Be-nachteiligungsverbots
durch den Arbeitgeber
vorzusehen. Hinsichtlich des in Anspruch ge-nommenen
Personalberaters verweist das BAG
ergänzend darauf, eine Benachteiligung im Zi-vilrechtsverkehr
habe der Kläger nicht geltend
gemacht.
C. Kontext der Entscheidung
Das Urteil des Achten Senats des BAG ist die
erste Entscheidung eines Bundesgerichts zur
Frage, wer Schuldner eines Entschädigungsan-spruchs
nach § 15 Abs. 2 AGG sein kann. Im Hin-blick
auf die Reihenfolge der zum Ersatz für ein-getretene
Benachteiligungen verpflichtenden
Regelungen in § 15 Abs. 1, 2 AGG erscheint
die Auslegung naheliegend, auch wenn sich das
BAG auf diesen rechtssystematischen Aspekt
gerade nicht beruft. Hatte der Entwurf für ein
ADG in der 15. Legislaturperiode die Entschädi-gungspflicht
– ohne Angabe des dazu verpflich-teten
Personenkreises – noch als Abs. 1 aufge-führt
(BT-Drs. 15/4539), ging der Regierungs-entwurf
zum AGG zur heutigen Reihenfolge der
Ersatztatbestände über (BT-Drs. 16/1780). Auch
dieser Entwurf hielt aber in seiner Begründung
daran fest, die verschuldensunabhängige Ent-schädigungspflicht
enthalte die zentrale Rege-lung
zur Umsetzung der Art. 15 RL 2000/43/
EG, Art. 17 RL 2000/78/EG und Art. 6, 8d RL
76/207/EWG, heute ersetzt durch Art. 18 RL
2006/54/EG. Darauf nimmt zwar die Urteilsbe-gründung
Bezug, misst diesem Ziel jedoch kei-ne
wirkliche Bedeutung zu. Wäre dies der Fall
gewesen, hätte in Übereinstimmung mit dem
Wortlaut erkannt werden müssen, dass sich das
Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG kei-neswegs
nur an den Arbeitgeber bzw. i.V.m.
§ 24 AGG an den Dienstherrn richtet, sondern
schlicht für alle Personen gilt, die eine verbote-ne
Benachteiligung i.S.d. § 3 AGG vornehmen.
Insoweit unterscheidet sich § 7 Abs. 1 AGG klar
von § 611a Abs. 1 BGB a.F., der nur Benach-teiligungen
durch Arbeitgeber verboten hatte.
Insbesondere Belästigungen und sexuelle Be-lästigungen
finden regelmäßig nicht im Auftrag
oder in einer sonstigen Mitverantwortung des
Arbeitgebers/Dienstherrn statt, von einer man-gelnden
Beachtung der sich aus § 12 AGG er-gebenden
Pflichten abgesehen. Folglich kön-nen
Verstöße gegen § 3 Abs. 3, 4 AGG jeden-falls
in der Regel nicht zu einer Entschädigungs-haftung
des Arbeitgebers/Dienstherrn führen,
wenn man ihn nicht einer dem Dienstunfallrecht
vergleichbaren Haftung allein dafür unterwirft,
mit welchen anderen Beschäftigten die benach-teiligte
Person zusammenarbeiten muss. Eben-so
ist das Verhalten von Personalberatungsfir-men
keineswegs immer einem konkreten Ar-beitgeber/
Dienstherrn zurechenbar, insbeson-dere
wenn zunächst ohne konkreten Auftrag
nach Personal gesucht wird. Soweit andere Be-
3. jurisPR-ArbR 45/2014
schäftigte oder Personalberater eigenständig
gegen § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, können sich
– die Auslegung von § 15 Abs. 2 AGG durch
das BAG zugrunde gelegt – Haftungslücken er-geben,
die mit den unionsrechtlichen Anfor-derungen
unvereinbar sind, weil es letztlich
an einer verschuldensunabhängigen Entschädi-gungspflicht
der diskriminierenden Person fehlt.
Die entsprechende Fragestellung hat das BAG
für seine Auslegung von § 15 Abs. 2 AGG of-fenbar
für irrelevant gehalten und damit die
unionsrechtlichen Anforderungen an eine natio-nale
Haftungsregelung zur Sanktionierung von
Diskriminierungen – jeglicher Art und unabhän-gig
von der Person des Täters bzw. der Täterin
– nicht ausreichend berücksichtigt.
Das System des AGG zwingt nicht zu der vom
BAG gewählten Auslegung, da die mangeln-de
Bezeichnung des Anspruchsgegners in § 15
Abs. 2 AGG nur die logische Fortsetzung der
Fassung von § 7 Abs. 1 AGG ist. Das dort an
jedermann gerichtete Verbot nimmt keine Be-schränkung
des auf die Einhaltung von § 3 AGG
verpflichteten Personenkreises vor. Warum soll
für die daran anknüpfende Sanktionsregelung in
§ 15 Abs. 2 AGG etwas anderes gelten?
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Praxis wird sich auf die einschränkende Aus-legung
von § 15 Abs. 2 AGG einstellen. Den
Personalberatungsfirmen wird dies zugutekom-men,
da gegen sie allenfalls noch mit Unter-lassungsansprüchen,
gestützt auf § 7 Abs. 1
AGG oder § 1004 BGB analog, vorgegangen
werden kann. Welche Anforderungen die Recht-sprechung
künftig daran stellen wird, das diskri-minierende
Verhalten einer Personalberatungs-firma
dem Arbeitgeber zuzurechnen, ohne ihm
gleichzeitig die Möglichkeit einer Entlastung we-gen
fehlenden Eigenverschuldens zuzubilligen,
wird sich noch zeigen müssen. Völlig offen ist,
welche Ansprüche belästigten oder sexuell be-lästigten
Beschäftigten gegen die dafür verant-wortliche
Person zustehen, und wie insoweit
den unionsrechtlichen Haftungsanforderungen
genügt werden kann. Hier wird vermutlich erst
eine Entscheidung des EuGH im Rahmen eines
Vorabentscheidungsverfahrens die nötige Klar-heit
bringen.
Das Urteil des BAG ist Teil der schon länger er-kennbaren
Tendenz, vorhandene Auslegungs-spielräume
meist zulasten der Opfer einer Dis-kriminierung
auszugestalten und damit die Ef-fektivität
des Diskriminierungsschutzes konti-nuierlich
zu verringern.
2
Anwendbarkeit von § 366 Abs. 2
BGB auf die Urlaubsgewährung bei
Zusammentreffen von gesetzlichem und
tariflichem Urlaub
Orientierungssatz:
Auslegung des § 18 Manteltarifvertrag Me-tall-
und Elektroindustrie.
Anwendbarkeit des § 366 Abs. 2 BGB bei Ge-währung
von Urlaub, wenn der tarifliche den
gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt.
Anmerkung zu LArbG Nürnberg, Urteil vom
27.05.2014, 7 Sa 32/14
von Christoph J. Burgmer, RA, FA für Arbeits-recht
und FA für Medizinrecht, burgmer rechtsan-wälte,
Düsseldorf
A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der
Anwendbarkeit von § 366 Abs. 2 BGB auf die Ur-laubsgewährung
und den Verfall von Urlaubsan-sprüchen
sowie mit der Auslegung einer tarif-lichen
Norm als eigenständige tarifliche Rege-lung
oder als Norm mit rein deklaratorischem
Charakter.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten um Resturlaubsansprüche.
Der Kläger ist seit September 1968 bei der Be-klagten
als Technikumsmitarbeiter beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Haustarif-vertrag
Anwendung, der seinerseits bezüglich
der Urlaubsansprüche auf den Manteltarifver-trag
der Bayrischen Metall- und Elektroindustrie
(TR 5/10 - 300 ab 145; im Folgenden MTV) ver-weist.
Die Urlaubsdauer beträgt 30 Tage. § 18
MTV regelt unter Punkt A. die Allgemeinen Be-stimmungen
und unter B. die Urlaubsdauer. Un-ter
§ 18 A Ziff. 7 heißt es:
4. jurisPR-ArbR 45/2014
„Der Anspruch auf Urlaub erlischt drei Mona-te
nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn,
dass er erfolglos geltend gemacht wurde.“
Unter § 18 B Ziff. 1 heißt es:
„Die Urlaubszeit beträgt 30 Tage, wenn die in-dividuelle
wöchentliche Arbeitszeit des Arbeit-nehmers
auf 5 Tage je Kalenderwoche verteilt
ist.“
Der Kläger brachte 2012 von seinem Jahres-urlaub
für 2012 insgesamt zwölf Urlaubstage
ein. Für den Zeitraum vom 20.12.2012 bis zum
18.01.2013 beantragte er erneut Urlaub, der
ihm von der Beklagten genehmigt wurde. Je-doch
erkrankte der Kläger am 14.12.2012 ar-beitsunfähig
bis zum 07.06.2013. Ihm stan-den
zu Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit am
14.12.2012 noch 18 restliche Urlaubstage zu.
Wieder genesen beantragte er, ihm Urlaub aus
dem Jahr 2012 für den Zeitraum 10.06.2013
bis 03.07.2013 zu gewähren. Die Beklagte ge-nehmigte
ihm Urlaub für den Zeitraum vom
10.06.2013 bis lediglich 21.06.2013, wobei sie
von acht restlichen Urlaubstagen aus dem Jahr
2012 ausging und dem Kläger mitteilte, die wei-teren
zehn Tage des Urlaubs für 2012 seien ver-fallen.
Erstinstanzlich erhob der Kläger am 24.07.2013
Klage zum ArbG Bamberg, mit der er geltend
machte, er habe aus dem Jahr 2012 noch An-spruch
auf Urlaub in Höhe von zehn Tagen. Das
Arbeitsgericht wies die Klage ab.
Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung ein
und beantragte, die Beklagte zu verurteilen,
ihm auf seinem Urlaubskonto zehn weitere Ur-laubstage
gutzuschreiben. Die Beklagte wider-setzte
sich der Klageänderung und beantragte,
die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger ver-trat
die Auffassung, der MTV enthalte kein eige-nes
Urlaubsregime. Soweit man von zwei unter-schiedlichen
Urlaubsregimen (Tarifvertrag und
Urlaub nach dem BUrlG) ausgehe, müsse zumin-dest
zugestanden werden, dass die Erfüllung in
seiner, des Klägers, Hand liege. Die Beklagte
meinte, die Tarifvertragsparteien hätten sich in
§ 18 MTV von dem gesetzlichen Fristenregime
gelöst. Stichtag für den Verfall des Urlaubsan-spruchs
sei der 31.03. des Folgejahres, nicht
der 31.12. des Urlaubsjahres. Dies stelle eine
eigenständige, den Arbeitnehmer besser stel-lende
Regelung dar. Auch hätten die Tarifver-tragsparteien
zwischen dem gesetzlichen und
dem tariflichen Urlaub unterschieden. Der Rest-urlaub
2012 sei deshalb verfallen.
Das LArbG Nürnberg erachtete die Berufung
für zulässig und begründet, der Kläger habe
Anspruch auf zehn Tage bezahlter Freistellung
(§§ 282, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 366 Abs. 2 BGB
i.V.m. § 18 A Ziff. 1 und 7 MTV). Die unstreitig
bestehenden zehn restlichen Urlaubstage seien
nicht zum 31.03.2013 verfallen.
Der Urlaubsanspruch des § 18 A Ziff. 7 MTV gehe
über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch
hinaus. Eine tarifvertragliche Bestimmung, die
bezüglich des Verfalls von Urlaub, der über
den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgeht, ei-ne
von der Rechtsprechung des EuGH zur Richt-linie
2003/88/EG abweichende Regelung ent-hält,
sei grundsätzlich zulässig, insbesondere
für Fragen des Verfalls sowie der Abgeltung. Für
die Annahme einer eigenständigen abweichen-den
tariflichen Regelung bedürfe es allerdings
eindeutiger, über das Regelungsziel des § 7
BUrlG hinausgehender Bestimmungen im Tarif-vertrag.
Dieser Wille müsse im Tarifvertrag ei-nen
hinreichend erkennbaren Ausdruck finden.
Dieser sei regelmäßig anzunehmen, wenn eine
im Gesetz nicht oder anders enthaltene Rege-lung
getroffen oder eine gesetzliche Regelun-gen
übernommen worden sei, die sonst nicht für
die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten wür-de.
Für einen rein deklaratorischen Charakter
spreche es, wenn gesetzliche Regelungen wört-lich
oder inhaltlich übernommen werden. Eine
eigenständige Regelung könne sich daraus er-geben,
dass die Tarifvertragsparteien ausdrück-lich
zwischen dem gesetzlichen Urlaub und dem
tariflichen Mehrurlaub unterschieden, oder dar-aus,
dass die Tarifvertragsparteien das gesetz-liche
Urlaubssystem durch die Vereinbarung ei-ner
eigenständigen Regelung verließen.
Das LArbG Nürnberg konnte auf dieser Grundla-ge
nicht erkennen, dass die Tarifvertragspartei-en
eine eigenständige Regelung getroffen hät-ten.
Zwar sei in § 18 A Ziff. 7 MTV eine Übertra-gung
des Urlaubsanspruchs auf die ersten drei
Monate des Folgejahres geregelt, wonach ab-weichend
von § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG betrieb-liche
oder in der Person des Arbeitnehmers lie-gende
rechtfertigende Gründe nicht erforderlich
seien. Der Rechtsprechung des BAG folgend,
vermochte das Gericht hierin indes kein eigen-
5. jurisPR-ArbR 45/2014
ständiges Fristenregime zu erkennen. Es werde
lediglich auf die ansonsten notwendige Prüfung
der Übertragungsvoraussetzungen verzichtet.
Doch selbst wenn davon auszugehen sei, dass
der MTV eine eigenständige Regelung zum Ver-fall
des Urlaubsanspruchs enthielte, sei im vor-liegenden
Fall der Urlaub des Klägers gleich-wohl
nicht verfallen. Denn die eigenständige
Verfallsregelung könne sich nur auf die tarifli-chen
(Mehr-)Urlaubsansprüche beziehen. Ledig-lich
der tarifliche Mehrurlaub unterliege dem
tariflichen Urlaubsregime. Die zum Zeitpunkt
des Beginns der Arbeitsunfähigkeit des Klägers
noch offenen Urlaubsansprüche seien indes ge-setzlicher
Natur gewesen, was sich aus § 366
Abs. 2 BGB ergebe. Daher habe die Beklagte
2012 zunächst den tariflichen Urlaubsanspruch
erfüllt. Der tarifliche Mehrurlaub sei, gehe man
davon aus, dass die Tarifvertragsparteien ein ei-genes
Urlaubsregime aufgestellt haben, der ge-genüber
dem gesetzlichen Urlaub weniger si-chere
Anspruch.
Das Berufungsgericht rechnete also die noch
offenen zehn restlichen Urlaubstage aus dem
Jahr 2012 dem Urlaub für 2013 zu. Da sie nicht
bis 31.03.2014 gewährt wurden, verfielen sie
zu diesem Zeitpunkt. Insoweit stünde dem Klä-ger
gegenüber der Beklagten ein Schadens-ersatzanspruch
zu. Die Beklagte habe schuld-haft
gehandelt, indem sie den für den Zeitraum
10.06.2013 bis 03.07.2013 beantragten Urlaub
verweigerte. Der Schadensersatzanspruch ge-he
auf die Gewährung von zehn Tagen bezahl-ter
Freistellung von der Arbeitsleistung im We-ge
der Naturalrestitution nach § 249 BGB.
Die Revision wurde zugelassen. Von grundsätz-licher
Bedeutung sei die Klärung der Fragen der
Auslegung von § 18 MTV und der Anwendbarkeit
von § 366 BGB bei der Urlaubsgewährung (Az.
des BAG: 9 AZR 507/14).
C. Kontext der Entscheidung
Die Behandlung von Urlaubsansprüchen und
die Unterwerfung ihres Verfalls unter ein eige-nes
Fristenregime der Tarifvertragsparteien war
bereits Gegenstand höchstrichterlicher Recht-sprechung,
auf die sich das erkennende Ge-richt
in seiner Entscheidung auch bezog (BAG,
Urt. v. 16.07.2013 - 9 AZR 914/11). Insoweit
hob es eine vergleichbare Entscheidung zu Ver-fall
und Übergang des Urlaubsanspruchs be-sonders
hervor, in der Kriterien für die Ausle-gung
tariflicher Normen aufgestellt wurden, an-hand
derer festzustellen war, ob die Tarifver-tragsparteien
hierdurch eine selbstständige, in
ihrer normativen Wirkung von der außertarifli-chen
Norm unabhängige, eigenständige Rege-lung
treffen wollten (BAG, Urt. v. 12.04.2011 -
9 AZR 80/10). Die hierin aufgestellten Kriteri-en
zur Feststellung eines eigenen, selbststän-digen
Fristenregimes hat das Berufungsgericht
bei der Entscheidungsfindung angewandt. Es
kam hier richtigerweise zu dem Ergebnis, dass
die Tarifvertragsparteien kein eigenes Fristen-regime
aufgestellt hatten.
Hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 366 BGB
auf Urlaubsansprüche bot sich dem Berufungs-gericht
keine einheitliche Rechtsprechung des
BAG. In seiner Entscheidung vom 07.08.2012
(9 AZR 760/10) verneinte das BAG eine unmit-telbare
und auch eine analoge Anwendung der
Vorschrift, da es sich bei dem Zusammentref-fen
von gesetzlichen und tariflichen Urlaubs-ansprüchen
um einen einheitlichen Anspruch
auf Erholungsurlaub handele. In späteren Urtei-len
vom 16.07.2013 (9 AZR 914/11) und vom
15.10.2013 (9 AZR 302/12) ging es indes von ei-ner
Anwendbarkeit des § 366 Abs. 1 BGB bei An-sprüchen
auf Urlaubsabgeltung aus. Dort hatte
es jedoch ein Leistungsbestimmungsrecht des
Arbeitgebers angenommen. Demzufolge wäre
es konsequent, in den Fällen, in denen der Ar-beitgeber
bei der Urlaubsgewährung keine Til-gungsbestimmung
trifft, von einer Anwendung
des § 366 Abs. 2 BGB auszugehen.
So hat auch das Berufungsgericht entschieden.
Offen blieb, ob die Bestimmung des § 366 BGB
auch auf Urlaubsansprüche anzuwenden war,
die teils auf dem Gesetz, teils auf einer tarifli-chen
oder sonstigen Rechtsgrundlage beruhen
und eine unterschiedliche Behandlung erfah-ren.
Das Berufungsgericht hat hier § 366 BGB
analog angewendet und dies mit den unter-schiedlichen
Verfallsfristen der Urlaubsansprü-che
begründet. Daher hat es die Zulassung der
Revision zum BAG als geboten angesehen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Tarifvertragsparteien sind nach der Recht-sprechung
des BAG bei der Regelung tariflichen
Mehrurlaubs auch vor dem Hintergrund unions-rechtlicher
Vorgaben nicht gehindert, die Be-handlung
von Urlaubsansprüchen einer eigen-
6. jurisPR-ArbR 45/2014
ständigen Regelung zu unterwerfen. Sie können
Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der
Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von
den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch
auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen über-steigen,
frei regeln (BAG, Urt. v. 12.04.2011 - 9
AZR 80/10 Rn. 21 und BAG, Urt. v. 16.07.2013
- 9 AZR 914/11 Rn. 22). Sie sind gut beraten,
dies sorgfältig und vor dem Hintergrund der
höchstrichterlichen Rechtsprechung zu tun, al-so
darauf zu achten, dass für den Fall, dass ein
eigenständiges Fristenregime gewollt ist, auch
ein solches aufzustellen. Tarifvertragliche Par-allelregelungen,
die sich inhaltlich auch im Ge-setz
(Bundesurlaubsgesetz) wiederfinden, oder
an dieses anlehnen, sind rein deklaratorisch und
führen nicht zu der beabsichtigten Eigenstän-digkeit,
sondern verhindern sie nach der Recht-sprechung
des BAG. Weiterhin ist auf eine aus-drückliche
Differenzierung zwischen dem ge-setzlichen
Urlaub und dem tariflichen Mehrur-laub
zu achten.
Arbeitgeber, die Urlaub gewähren, sollten hier-bei
ausdrücklich mitteilen, welchen Urlaubs-anspruch
sie damit erfüllen wollen. Dabei ist
dem Wortlaut des § 366 Abs. 1 BGB entspre-chend
darauf zu achten, dass diese Bestim-mung
„bei der Leistung“ erfolgt. Nach überein-stimmender
Rechtsprechung von BAG und BGH
ist eine nachträgliche Bestimmung grundsätz-lich
unwirksam (BAG, Urt. v. 16.07.2013 - 9 AZR
914/11 Rn. 18, BGH, Urt. v. 26.03.2009 - I ZR
44/06 Rn. 46). Fehlt eine ausdrückliche oder
rechtzeitige Bestimmung, droht die Anwendung
der Tilgungsbestimmung des § 366 Abs. 2 BGB.
Danach wird im Regelfall der tarifliche Mehrur-laub
als die ungünstigere Forderung erfüllt.
3
Akzessorietät der Bürgenhaftung des
Generalunternehmers
Leitsatz:
Auch der selbstschuldnerisch haftende Bür-ge
nach § 1a AEntG a.F. (jetzt: § 14 AEntG)
kann sich nach § 768 Abs. 1 BGB darauf beru-fen,
dass die Hauptschuld gegenüber der U-LAK
(mittlerweile) verjährt ist, die Haftung
ist nicht subsidiär, aber akzessorisch (BGH
v. 12.03.1980 - VIII ZR 115/79 - NJW 1980,
1460; BGH v. 28.01.2003 - XI ZR 243/02 - NJW
2003, 1250).
Anmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom
30.04.2014, 18 Sa 1169/13
von Prof. Dr. Burkhard Boemke, Kooperations-partner
Boemke und Partner mbB, Leipzig
A. Problemstellung
Ein Generalunternehmer, der ein Bauvorhaben
durch Subunternehmer im Rahmen von Werk-verträgen
realisieren lässt, trägt in einem ge-wissen
Umfang gleichwohl für die Arbeitnehmer
der Subunternehmer Arbeitgeberrisiken. Nach
§ 14 AEntG (§ 1a AEntG a. F.) haftet er für die
Verpflichtungen des Subunternehmers zur Zah-lung
des Mindestentgelts an Arbeitnehmer wie
ein selbstschuldnerischer Bürge. Dies gilt auch
für Zahlungen von Beiträgen an eine gemein-same
Einrichtung der Tarifvertragsparteien, wie
z.B. Urlaubs- und Lohnausgleichskassen im Bau-gewerbe.
Das LArbG Frankfurt hatte zu entscheiden, ob
die Haftung auch dann noch eingreift, wenn
zwar gegen den Generalunternehmer als Bür-gen
rechtzeitig Klage erhoben worden war, aber
die Forderung gegen den Subunternehmer als
Hauptschuldner inzwischen verjährt ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Bürgin
für Urlaubskassenbeiträge eines Nachunterneh-mers
in der Zeit von Oktober 2007 bis Febru-ar
2008 in Anspruch. Die Beklagte ist ein in
der Baubranche tätiges Unternehmen. Sie be-auftragte
das Unternehmen H. mit der Erbrin-gung
von Trockenbauarbeiten, Reinigungsar-beiten
und Holzarbeiten im Zeitraum von Okto-ber
2007 bis Februar 2008. Der Geschäftsfüh-rer
von H. wurde im Mai 2009 rechtskräftig der
Steuerhinterziehung und des Vorenthaltens so-wie
der Veruntreuung von Arbeitsentgelt schul-dig
gesprochen.
Die Klägerin, die im Jahr 2009 von diesen Vor-gängen
Kenntnis erlangte, verlangte daher mit
Schreiben vom Februar 2010 von der Beklagten
als Auftraggeberin von H. ca. 5.000 Euro aus
Bürgenhaftung. Da die Beklagte nicht zahlte, er-hob
die Klägerin im Dezember 2011 Klage, die
sie im Januar 2012 begründete. Die Beklagte hat
u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.
7. jurisPR-ArbR 45/2014
Die Klage hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg.
Auf die Berufung der Beklagten hat das LArbG
Frankfurt die Entscheidung aufgehoben und die
Klage abgewiesen.
Dabei lässt die Kammer dahinstehen, ob An-sprüche
dem Grunde nach entstanden waren;
diese seien jedenfalls inzwischen verjährt. Die
Beklagte hafte zwar nach § 1a Satz 1 AEntG a.F.
(jetzt § 14 AEntG) für die Ansprüche der Kläge-rin
gegen seine Subunternehmer wie ein Bür-ge,
der auf die Einrede der Vorausklage verzich-tet
hat. Hierdurch werde aber nur auf die Ein-rede
der Vorausklage nach § 773 Abs. 1 Nr. 1
BGB verzichtet und damit die Subsidiarität der
Bürgenhaftung aufgehoben, nicht hingegen de-ren
Akzessorietät. Der Bürge kann Einreden ge-gen
die Hauptschuld erheben (§ 768 BGB) und
insbesondere die Verjährung der Hauptschuld
geltend machen (BGH, Urt. v. 12.03.1980 - VIII
ZR 115/79; BGH, Urt. v. 28.01.2003 - XI ZR
243/02). Die nach dem maßgeblichen Tarifver-trag
einschlägige Verjährungsfrist von vier Jah-ren
sei spätestens zum 31.12.2013 abgelaufen.
Die Klägerin hat nämlich im Jahr 2009 Kennt-nis
von ihrer Forderung gegenüber H. erhalten.
Die Verjährung der Forderung gegenüber der
Hauptschuldnerin H. sei auch nicht gehemmt
worden. Es ist unstreitig, dass die Klägerin ge-gen
die Hauptschuldnerin H. keine Klage erho-ben
hat. Dies wäre entgegen der Auffassung
der Klägerin erforderlich gewesen, obwohl diese
die Bürgenschuld gegen die Beklagte rechtzei-tig
geltend gemacht hat. Der Bürge kann sich
auf die Verjährung der Hauptforderung näm-lich
auch dann berufen, wenn die Bürgschafts-klage
vor Vollendung dieser Verjährung erho-ben
wurde, dies gilt auch bei einer selbstschuld-nerischen
Bürgschaft (BGH, Urt. v. 12.03.1980
- VIII ZR 115/79 Rn. 15 f.). Nach dem Grund-satz
der Akzessorietät hafte die Beklagte daher
gemäß § 768 Abs. 1 BGB zumindest seit dem
01.01.2014 nicht mehr. Die Klage war daher auf
die Berufung abzuweisen.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung fügt sich in die allgemeine
Rechtsprechung und Systematik zur Bürgen-haftung
ein. Der Gläubiger hat sich auch ge-genüber
dem selbstschuldnerischen Bürgen mit
zwei Verjährungsproblemen auseinanderzuset-zen.
Das unmittelbare betrifft die Verjährung
der Bürgenschuld, hier kann durch eine Klage
gegenüber dem Bürgen gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1
BGB die Verjährung der Bürgschaftsschuld ge-hemmt
werden. Die Klage gegenüber dem Bür-gen
hat dabei keinen Einfluss auf die Verjäh-rung
gegen den Hauptschuldner (OLG Düssel-dorf,
Urt. v. 30.06.2005 - 10 U 28/05 - NJW-RR
2005, 1495; Schmidt-Räntsch in: Erman, BGB,
§ 204 Rn 4; Boemke, demnächst in GK-ArbR,
2015, § 204 Rn. 3). Das mittelbare betrifft die
Verjährung der Hauptschuld, die nach § 204
Abs. 1 Nr. 1 BGB nur durch eine Klage ge-gen
den Hauptschuldner, nicht aber den Bür-gen
gehemmt werden kann (OLG Celle, Urt. v.
10.09.2008 - 14 U 2/08; Staudinger/Horn, BGB,
§ 765 Rn. 273; Boemke, demnächst in GK-ArbR,
§ 204 Rn. 3). Wird nur gegen den Bürgen ge-klagt,
dann läuft die Verjährung der Haupt-schuld
weiter, worauf sich auch der selbst-schuldnerische
Bürge berufen kann, weil die-se
Form der Bürgschaft dem Gläubiger zwar
die Last abnimmt, zunächst den Hauptschuld-ner
zu verklagen. Sie ändert, weil der Bürge nur
für die Schuld des Hauptschuldners einstehen
will, aber nichts daran, dass dem Bürgen wei-terhin
alle Einreden und Einwendungen zuste-hen,
die der Hauptschuldner auch erheben kann
(BGH, Urt. v. 08.12.2009 - XI ZR 181/08; Haber-sack
in: MünchKomm BGB, 6. Aufl. 2013, § 773
Rn. 2; Schlachter in: ErfKomm, 14. Aufl. 2014,
§ 14 AEntG Rn. 6). Verzichtet der Gläubiger da-her,
z.B. aus Kostengründen, auf eine Klage ge-gen
den (insolventen) Hauptschuldner und er-greift
er auch sonst keine verjährungshemmen-de
Maßnahmen, kann es ihm passieren, dass
sein anfänglicher Erfolg in der ersten Instanz in
der zweiten Instanz kassiert wird, weil der An-spruch
inzwischen wegen des Eintritts der Ver-jährung
nicht mehr durchsetzbar ist (vgl. BGH,
Urt. v. 09.07.1998 - IX ZR 272/96; Habersack in:
MünchKomm BGB, § 768 Rn. 5).
D. Auswirkungen für die Praxis
Bei einem ausschließlichen Vorgehen gegen
den Bürgen läuft der Gläubiger Gefahr, dass
seine bestehenden Ansprüche letztlich nicht
durchgesetzt werden können, weil die Haupt-forderung
verjährt ist. Daher sollte der diesbe-zügliche
Fristenlauf stets im Auge behalten wer-den.
Insoweit kann es auch erforderlich wer-den,
offensichtlich aussichtslose Maßnahmen
gegen einen insolventen (Haupt-)Schuldner zu
ergreifen, um den Anspruch gegen den Bürgen
realisieren zu können. Selbst ein vollstreckba-rer,
rechtskräftiger Titel schützt den Gläubiger
8. jurisPR-ArbR 45/2014
nicht. Der Bürge kann nämlich eine Vollstre-ckungsabwehrklage
(§ 767 ZPO) darauf stützen,
dass die verbürgte Hauptforderung nach seiner
rechtskräftigen Verurteilung verjährt ist (BGH,
Urt. v. 05.11.1998 - IX ZR 48/98; Habersack in:
MünchKomm BGB, 6. Aufl. 2013, § 768 Rn. 5).
4
Keine abstrakte Feststellung der
Tendenzeigenschaft eines Unternehmens
oder Betriebs
Orientierungssätze:
1. Die Frage, ob ein Betrieb unmittelbar
oder überwiegend karitativen Bestimmun-gen
i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Be-trVG
dient, betrifft allenfalls eine (nicht fest-stellungsfähige)
Vorfrage eines Rechtsver-hältnisses
i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO. Sie ist
nicht geeignet, das zwischen den Beteilig-ten
bestehende betriebsverfassungsrechtli-che
Rechtsverhältnis einer Klärung zuzufüh-ren.
2. Ein Unternehmen dient unmittelbar und
überwiegend karitativen Bestimmungen in
Form der Hilfeleistung am leidenden Men-schen,
wenn es nach dem Gesellschaftsver-trag
anstrebt, behinderte Menschen in das
Arbeitsleben einzugliedern oder wiederein-zugliedern.
Dabei ist es unerheblich, ob die-se
Hilfe schon dadurch wirksam wird, dass
die behinderten Menschen bei der Arbeit-geberin
sinnvoll, d.h. mit einem wirtschaft-lich
verwertbaren Ergebnis beschäftigt wer-den,
oder ob dieses Ziel erst dann erreicht
ist, wenn die behinderten Menschen nach
einer Beschäftigung bei der Arbeitgeberin
wieder in das allgemeine Arbeitsleben ein-gegliedert
werden können.
3. Das Unternehmen "dient" karitativen Be-stimmungen
i.S.v. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BetrVG auch dann, wenn in einer Werk-statt
für behinderte Menschen Leistungster-mine
bei der Auftragsbearbeitung verein-bart
werden und einzuhalten sind und Quali-tätskontrollen
durchgeführt werden. Ebenso
schließt die Mitarbeit von Arbeitnehmern bei
der Auftragsausführung den Tendenzzweck
nicht aus.
4. Das Anstreben wirtschaftlicher Arbeitser-gebnisse
und das etwaige Ziel der Arbeit-geberin,
Erlöse aus ihrer Betätigung stei-gern
zu können, führt nicht zur Bejahung
einer Gewinnerzielungsabsicht. Die Tenden-zeigenschaft
ist anhand des Unternehmens
zu bestimmen; gesellschaftsrechtliche Ver-flechtungen
mit anderen Unternehmen blei-ben
außer Betracht. Sind mehrere Unterneh-men
in einem Konzern oder in anderer Wei-se
verbunden, kommt es ausschließlich auf
das Unternehmen an, dessen Tendenzeigen-schaft
jeweils gesondert zu prüfen ist.
Anmerkung zu BAG, Beschluss vom 22.07.2014,
1 ABR 93/12
von Stephan Gräf, Wissenschaftlicher Mitarbei-ter,
Universität Würzburg
A. Problemstellung
I. In prozessualer Hinsicht behandelt die Ent-scheidung
die umstrittene Frage, ob abstrakt
die Feststellung der Tendenzeigenschaft eines
Unternehmens oder Betriebs (§ 118 Abs. 1 Satz
1 HS. 1 BetrVG) beantragt werden kann. Es han-delt
sich um ein Zulässigkeitsproblem im Be-reich
des § 256 Abs. 1 ZPO (Vorliegen eines fest-stellungsfähigen
Rechtsverhältnisses).
II. In materieller Hinsicht geht es um die Tenden-zeigenschaft
(§ 118 Abs. 1 BetrVG) von Werk-stätten
für Behinderte.
Die sog. „Werkstätten für behinderte Men-schen“
(WfbM) im Sinne der §§ 136 ff. SGB IX
sind Einrichtungen zur Teilhabe behinderter
Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliede-rung
in das Arbeitsleben (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 1
SGB IX). Die Rechtsträger der Werkstätten kön-nen
auch Arbeitgeberfunktion ausüben.
Hinsichtlich der kollektiven Interessenvertre-tung
der in einer solchen Einrichtung beschäf-tigten
Menschen ist zu unterscheiden: Be-hinderte
Menschen, die nicht als Arbeitneh-mer
zu qualifizieren sind, stehen nach § 138
Abs. 1 SGB IX in einem „arbeitnehmerähnlichen
Rechtsverhältnis“ mit der Werkstatt (sog. Werk-stattvertrag).
Das BetrVG findet auf sie keine
Anwendung. § 139 SGB IX sieht für diese Gruppe
als besondere Vertretungsform die Bildung sog.
Werkstatträte vor (näher geregelt in der Werk-stätten-
Mitwirkungsverordnung v. 25.06.2001,
9. jurisPR-ArbR 45/2014
BGBl I 2001, 1297). Für behinderte Menschen,
die unter den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff
fallen, gilt hingegen das BetrVG, soweit nicht
§ 5 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG eingreift (näher zur Ab-grenzung
Raab in: GK-BetrVG, 10. Aufl. 2014,
§ 5 Rn. 125, m.w.N.; anders wohl Thüsing in: Ri-chardi,
BetrVG, 14. Aufl. 2014, § 118 Rn. 180: § 5
Abs. 2 Nr. 4 BetrVG sei nie erfüllt). Das BetrVG
ist darüber hinaus für die Interessenvertretung
sonstiger, nicht behinderter Arbeitnehmer ein-schlägig,
die bei einer Werkstatt für behinderte
Menschen beschäftigt sind.
Die vorliegende Entscheidung behandelt die
Frage, unter welchen Voraussetzungen es sich
bei Werkstätten für Behinderte um sog. Ten-denzunternehmen
bzw. -betriebe i.S.d. § 118
Abs. 1 Nr. 1 BetrVG handelt („karitative“ Be-stimmung),
mit der Folge, dass das BetrVG nur
eingeschränkt zur Anwendung kommt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Arbeitgeberin ist eine gemeinnützige
GmbH, die eine Werkstatt für Behinderte i.S.d.
§§ 136 ff. SGB IX betreibt. Satzungsmäßiges
Ziel der GmbH ist die „wirksame Eingliederung
geistig und körperlich behinderter Menschen
[…] zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplat-zes
und der Förderung ihrer seelischen, geisti-gen
und körperlichen Fähigkeit“. In der Werk-statt
werden im Auftrag Dritter, insbesondere
von Industrieunternehmen, verschiedene Arbei-ten
unter anderem im Bereich Produktion (Ver-packungsarbeiten,
Metallverarbeitung etc.) und
im Garten- und Landschaftsbau erbracht. Die
Werkstatt nimmt jährlich mehr als 1.000 Aufträ-ge
von über 100 Kunden an.
Die behinderten Mitarbeiter i.S.d. § 138 Abs. 1
SGB IX haben einen Werkstattrat gebildet, die
Arbeitnehmer einen Betriebsrat. Der Betriebs-rat
beschloss die Gründung eines Wirtschafts-ausschusses
i.S.d. § 106 BetrVG. Die Arbeitge-berin
leitete daraufhin ein arbeitsgerichtliches
Beschlussverfahren ein und beantragte festzu-stellen,
dass es sich bei ihrem Betrieb um einen
Tendenzbetrieb i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG
handelt und dass die Bildung des Wirtschafts-ausschusses
wegen § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG
unwirksam ist. Das Arbeitsgericht hat den An-trag
abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat
ihm vollumfänglich entsprochen.
Hinsichtlich des ersten Teils des Antrags (Fest-stellung
der Eigenschaft als Tendenzbetrieb
i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) hob das
BAG die Entscheidung des Landesarbeitsge-richts
auf. Der Antrag sei bereits unzulässig. Die
Eigenschaft als Tendenzbetrieb sei kein konkre-tes
Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO,
sondern nur eine Vorfrage und als solche nicht
feststellungsfähig. Sie sei nämlich nicht geeig-net
das zwischen den Beteiligten bestehende
betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis
einer Klärung zuzuführen (Rn. 14).
Soweit der Antrag auf Feststellung der Unwirk-samkeit
der Bildung des Wirtschaftsausschus-ses
gerichtet war, hielt das BAG ihn für zulässig
und begründet.
Das BAG bejahte die Zulässigkeit, da die „be-triebsverfassungsrechtliche
Befugnis […], im
Unternehmen der Arbeitgeberin einen Wirt-schaftsausschuss
zu bilden oder nicht“, ein
Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO darstel-le.
Da für die Zukunft geklärt werde, ob ein Wirt-schaftsausschuss
zu errichten ist, liege auch ein
Feststellungsinteresse vor (Rn. 16).
Der Antrag sei auch begründet. Die Arbeitge-berin
sei tatsächlich ein Tendenzunternehmen
i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG („Unter-nehmen,
das unmittelbar und überwiegend ka-ritativen
Bestimmungen dient“), so dass nach
§ 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Bildung eines
Wirtschaftsausschusses ausgeschlossen sei.
Die Eigenschaft als Tendenzunternehmen er-gebe
sich allerdings nicht schon automatisch
aus der Anerkennung der Arbeitgeberin als ge-meinnützig
im Sinne des Steuerrechts. Der Be-griff
„karitativ“ entspreche nicht der „Gemein-nützigkeit“
i.S.d. § 52 AO, sondern eher dem
Begriff der „Mildtätigkeit“ i.S.d. § 53 AO. Aber
selbst dieser sei allein für das Steuerrecht, nicht
aber für die Anwendung des BetrVG maßgeblich
(Rn. 22).
Allerdings sei das satzungsmäßige Ziel des
Unternehmens, die Eingliederung behinderter
Menschen in den Arbeitsmarkt, als „karitative
Bestimmung“ anzusehen. Hierfür sei nicht er-forderlich,
dass die behinderten Menschen be-reits
in der Werkstatt selbst eine wirtschaftlich
sinnvolle Beschäftigung ausüben. Es sei ausrei-chend,
wenn ihnen die Eingliederung in den all-
10. jurisPR-ArbR 45/2014
gemeinen Arbeitsmarkt nach der Beschäftigung
in der Werkstatt ermöglicht werde (Rn. 24).
Dem karitativen Zweck diene die Arbeitgebe-rin
auch „unmittelbar“, da die Hilfe an den
behinderten Menschen direkt erbracht werde
(Rn. 31).
Das BAG wies auch den Einwand des Betriebs-rats
zurück, es handele sich um ein „Mischunter-nehmen“,
bei dem die nicht-tendenzgeschütz-ten
Zwecke (Produktion) überwögen. Zwar habe
das Tatsachengericht festgestellt, dass auch die
nicht behinderten Arbeitnehmer in erheblichem
Umfang Aufgaben übernähmen (Qualitätskon-trollen,
vollständige Erledigung bestimmter Auf-gaben
zur Einhaltung von Lieferterminen). Dies
sei jedoch kein Gegensatz zum karitativen Un-ternehmenszweck,
sondern Teil dessen. Wenn
nämlich die Förderung behinderter Menschen
gerade dadurch verwirklicht werden soll, dass
Aufträge Dritter angenommen werden, dann
gehöre hierzu auch, dass Leistungstermine
eingehalten und Qualitätskontrollen durchge-führt
werden. Die Einrichtung sei daher kein
„Mischunternehmen“. Auf das Merkmal „über-wiegend“
brauchte das BAG damit nicht mehr
eingehen (Rn. 27).
Auch verneinte das BAG eine Gewinnerzielungs-absicht
der Arbeitgeberin. Dass in der Werk-statt
wirtschaftliche Arbeitsergebnisse ange-strebt
werden, dass Einnahmen erzielt werden
und dass diese Einnahmen nach dem Willen der
Arbeitgeberin gesteigert werden, sei unschäd-lich,
solange die Einnahmen nur der Kostende-ckung
dienten (Rn. 30).
C. Kontext der Entscheidung
I. Mit seinen prozessrechtlichen Ausführungen
knüpft das BAG an eine Entscheidung vom
14.12.2010 an (BAG, Beschl. v. 14.12.2010 - 1
ABR 93/09 - AP Nr. 84 zu § 118 BetrVG 1972). Be-reits
hier hatte es das BAG abgelehnt, die Ten-denzeigenschaft
eines Unternehmens oder Be-triebs
i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BetrVG
als feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.d.
§ 256 Abs. 1 ZPO anzuerkennen.
1. Dabei handelt es sich allerdings keineswegs
um eine gefestigte Rechtsprechung. In Bezug
auf diese Frage hat das BAG in der Vergan-genheit
eine doppelte Kehrtwende vollzogen:
Zunächst hat es im Jahr 1955 die Zulässigkeit
eines auf Feststellung der Tendenzeigenschaft
(damals: § 81 BetrVG 1952) gerichteten An-trags
abgelehnt (BAG, Beschl. v. 13.07.1955
- 1 ABR 31/54 - AP Nr. 2 zu § 81 BetrVG).
In einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 hat
es diese Rechtsprechung mit Hinweis auf die
veränderte Rechtslage (vgl. § 2a Abs. 1 Nr. 1
ArbGG: umfassende Kompetenz der Arbeitsge-richte
für Angelegenheiten aus dem Betriebs-verfassungsgesetz)
aufgegeben und die Zuläs-sigkeit
des Feststellungsantrags bejaht (BAG,
Beschl. v. 21.07.1998 - 1 ABR 2/98 - AP Nr. 63 zu
§ 118 BetrVG 1972). In einer Entscheidung aus
dem Jahr 2010 ist das BAG zu seiner ursprüng-lichen
Auffassung zurückgekehrt. Die abstrak-te
Feststellung der Eigenschaft als Tendenzun-ternehmen
oder Tendenzbetrieb sei nach § 256
Abs. 1 ZPO ausgeschlossen (BAG, Beschl. v.
14.12.2010 - 1 ABR 93/09 Rn. 11 ff.).
Ähnliche Schwankungen sind in der Literatur zu
beobachten. Die h.Lit. folgte vorübergehend der
BAG-Entscheidung vom 21.07.1998 und bejahte
die Zulässigkeit des Feststellungsantrags (vgl.
Nachweise bei Dahm, SAE 2011, 201 Fn. 5). In-zwischen
hat sich das Schrifttum überwiegend
der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 an-geschlossen
(vgl. nur Dahm, SAE 2011, 201;
Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 118 Rn. 63;
Weber in: GK-BetrVG, 10. Aufl. 2014, § 118
Rn. 239, m.w.N.; so auch schon zuvor Jacobs,
Der Gegenstand des Feststellungsverfahrens,
2005, S. 300).
Mit dem vorliegenden Beschluss bestätigt das
BAG nun ausdrücklich seine Entscheidung vom
14.12.2010 (Rn. 14). An die maßgeblichen Ar-gumente,
die in der vorliegenden Entscheidung
nicht noch einmal ausdrücklich wiederholt wer-den,
sei hier kurz erinnert: Das BAG geht mit der
traditionell herrschenden Meinung (vgl. statt
vieler Foerste in: Musielak, ZPO, 11. Aufl. 2014,
§ 265 Rn. 2, m.w.N.; a.A. Krause, Rechtskraf-terstreckung
im kollektiven Arbeitsrecht, 1996,
S. 300 f.) davon aus, dass bloße Vorfragen ei-nes
Rechtsverhältnisses i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO
nicht feststellungsfähig sind (BAG, Beschl. v.
14.12.2010 - 1 ABR 93/09 Rn. 12). Bei der Ei-genschaft
als Tendenzunternehmen bzw. -be-trieb
i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BetrVG
handele es sich um eine solche Vorfrage. Das
Gericht müsse nämlich bei zukünftigen Strei-tigkeiten
über die Anwendbarkeit eines konkre-ten
Mitbestimmungsrechts zusätzlich noch im
Rahmen der Relativklausel (§ 118 Abs. 1 Satz
1 HS. 2 BetrVG) prüfen, ob das betroffene Mit-
11. jurisPR-ArbR 45/2014
bestimmungsrecht „der Eigenart des Unterneh-mens
oder des Betriebs entgegensteht“ (BAG,
Beschl. v. 14.12.2010 - 1 ABR 93/09 Rn. 14).
Zwar gebe es verschiedene arbeitsrechtliche
Vorschriften, die eine Feststellung von Vorfra-gen
ausnahmsweise zulassen (das BAG nennt
§ 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. b ArbGG, §§ 2a Abs. 1 Nr. 4,
Abs. 2 i.V.m. 97 ArbGG und § 18 Abs. 2 BetrVG;
Dahm, SAE 2011, 201, 203 ergänzt § 100 Abs. 2
Satz 3 BetrVG); eine solche Regelung existie-re
für die Feststellung der Tendenzeigenschaft
i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BetrVG aber ge-rade
nicht (BAG, Beschl. v. 14.12.2010 - 1 ABR
93/09 Rn. 15, 17; vgl. auch Dahm, SAE 2011,
201, 203 f., die eine Analogiefähigkeit der ge-nannten
Vorschriften ausdrücklich ablehnt).
2. Der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010
ist ohne weiteres zuzustimmen. Die Arbeitge-berin
hatte damals ausschließlich einen Antrag
auf die abstrakte Feststellung der Eigenschaft
als Tendenzunternehmen bzw. -betrieb gestellt.
Der vorliegende Fall ist allerdings etwas an-ders
gelagert: Die Arbeitgeberin hat hier zu-sätzlich
beantragt festzustellen, dass die Bil-dung
des Wirtschaftsausschusses wegen § 118
Abs. 1 Satz 2 BetrVG unwirksam ist. Hierfür ist
die Frage der Eigenschaft als Tendenzunterneh-men
i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BetrVG vor-greiflich.
In solchen Fällen der Vorgreiflichkeit scheint es
bedenkenswert, vom Grundsatz der fehlenden
Feststellungsfähigkeit von Vorfragen eine Aus-nahme
zu machen oder zumindest bei der (oh-nehin
höchst diffizilen) Abgrenzung zwischen
Rechtsverhältnis und Vorfrage etwas großzügi-ger
zu sein. Hierfür könnte der Rechtsgedanke
des § 256 Abs. 2 ZPO sprechen, der bei vorgreif-lichen
Rechtsverhältnissen aus Gründen der
Prozessökonomie und zum Schutz vor wider-sprüchlichen
Entscheidungen das Vorliegen ei-nes
Feststellungsinteresses verzichtbar macht
(vgl. zum Sinn und Zweck des § 256 Abs. 2 ZPO
etwa Foerste in: Musielak, ZPO, § 265 Rn. 39).
Auch im vorliegenden Fall kämen diese Vortei-le
zum Tragen, ließe man den Feststellungsan-trag
zu. Auf die Tendenzeigenschaft i.S.d. § 118
Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BetrVG wird es nämlich auch
bei zukünftigen betriebsverfassungsrechtlichen
Streitigkeiten zwischen der Arbeitgeberin und
dem Betriebsrat maßgeblich ankommen. Das
Gericht hätte dann im Einzelfall nur noch über
die Voraussetzungen der Eigenartsklausel nach
§ 118 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 BetrVG zu entscheiden
(vgl. insoweit auch Dahm SAE 2011, 201, 204 f.,
die eine Feststellungsfähigkeit im Ergebnis aber
wohl auch bei Vorgreiflichkeit ablehnt).
II. Hinsichtlich der materiellen tendenzschutz-rechtlichen
Fragen zur Auslegung des § 118
Abs. 1 BetrVG bestätigt das BAG seine bisheri-ge
Rechtsprechung. Das BAG hat bereits in zwei
älteren Entscheidungen Werkstätten für Behin-derte
als karitative Tendenzunternehmen bzw.
-betriebe i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG
anerkannt (BAG, Beschl. v. 07.04.1981 - 1 ABR
83/78 - AP Nr. 16 zu § 118 BetrVG 1972; BAG,
Beschl. v. 31.01.1984 - 1 AZR 174/81 - AP Nr. 15
zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; ebenso
die Instanzrechtsprechung, vgl. zuletzt LArbG
Mainz, Beschl. v. 14.08.2013 - 8 TaBV 40/12).
Die Entscheidung bekräftigt zunächst, dass
Werkstätten für Behinderte grundsätzlich un-ter
die allgemeine Definition des Begriffs der
„karitativen“ Bestimmung (sozialer Dienst zum
Wohle Hilfsbedürftiger, insbesondere körper-lich,
geistig oder seelisch kranker oder materi-ell
notleidender Menschen) fallen. Dies macht
allerdings eine Einzelfallprüfung nicht verzicht-bar.
Wie das BAG in einer früheren Entschei-dung
betont hat, ist die öffentlich-rechtliche An-erkennung
einer Einrichtung als Einrichtung für
Behinderte i.S.d. §§ 136 ff. SGB IX (vgl. hier-zu
Pahlen in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pah-len,
SGB IX, 12. Aufl. 2010, § 136 Rn. 2 ff.)
von der Tendenzeigenschaft im betriebsverfas-sungsrechtlichen
Sinne getrennt zu sehen. Ei-ne
fehlende Anerkennung kann allenfalls ein In-diz
für die fehlende Tendenzeigenschaft sein
(BAG, Beschl. v. 07.04.1981 - 1 ABR 83/78, unter
B.III.3.a). In der vorliegenden Entscheidung er-gänzt
das BAG, dass auch von der steuerrecht-lichen
Anerkennung als „gemeinnützig“ oder
„mildtätig“ (§§ 52, 53 AO) nicht auf die Tenden-zeigenschaft
geschlossen werden kann. Auch
der besondere steuerrechtliche Status der Ein-richtung
macht also eine Einzelfallprüfung nicht
verzichtbar.
Im Gegensatz zu den übrigen Tendenzarten
setzt § 118 Abs. 1 BetrVG im Rahmen der karita-tiven
Bestimmung voraus, dass das Unterneh-men
nicht mit Gewinnerzielungsabsicht betrie-ben
wird. Dies wird zum einen mit dem Wort-laut
(„karitativ“), zum anderen damit begrün-det,
dass die karitative Bestimmung als einzi-ge
keinen Grundrechtsbezug aufweist und in-sofern
restriktiv zu interpretieren ist (näher da-
12. jurisPR-ArbR 45/2014
zu Weber in: GK-BetrVG, 10. Aufl. 2014, § 118
Rn. 23 ff., 96, m.w.N.). Die vorliegende Entschei-dung
zeigt, dass die sozialrechtliche Anerken-nung
einer Einrichtung als Werkstatt für Behin-derte
i.S.d. §§ 136 ff. SGB IX die gesonderte
Prüfung der fehlenden Gewinnerzielungsabsicht
nicht verzichtbar macht (vgl. Rn. 30). Soweit sie,
wie in der Regel (vgl. § 12 Abs. 3 Werkstätten-verordnung
vom 13.08.1980, BGBl I 1980, 1365,
zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom
22.12.2008, BGBl I 2008, 2959), nur nach dem
Kostendeckungsprinzip arbeitet, steht dies dem
Tendenzschutz nicht im Wege.
D. Auswirkungen für die Praxis
I. Hinsichtlich der Zulässigkeit von Anträgen, die
auf die Feststellung der Eigenschaft als Ten-denzunternehmen
bzw. -betrieb gerichtet sind,
bestätigt das BAG mit der vorliegenden Ent-scheidung
seine zuletzt eingeschlagene Linie
und sorgt insofern für Rechtssicherheit. Mit ei-nem
erneuten Meinungsumschwung des BAG
ist nicht zu rechnen. In Bezug auf die Anforde-rungen
des § 256 Abs. 1 ZPO (feststellungsfä-higes
Rechtsverhältnis) ist danach wie folgt zu
unterscheiden:
1. Im Rahmen der unternehmerischen Mitbe-stimmung
ist der Antrag auf Feststellung der
Eigenschaft als Tendenzunternehmen zulässig
(vgl. § 1 Abs. 4, § 6 Abs. 2 MitbestG i.V.m.
§ 98 AktG). Die Tendenzeigenschaft ist hier
nicht lediglich eine Vorfrage. Der Gesetzgeber
hat in § 1 Abs. 4 MitbestG nämlich einen ab-soluten
Tendenzschutz festgeschrieben. Anders
als im Rahmen der Eigenartsklausel nach § 118
Abs. 1 Satz 1 HS. 2 BetrVG bedarf es hier kei-nes
zusätzlichen einzelfallbezogenen Prüfungs-schritts.
Somit kann das Gericht mit der Fest-stellung
der Tendenzeigenschaft bzw. der An-tragsabweisung
das zwischen den Beteiligten
bestehende Rechtsverhältnis einer endgültigen
Klärung (Anwendbarkeit oder Unanwendbarkeit
des gesamten Gesetzes) zuführen (BAG, Be-schl.
v. 14.12.2010 - 1 ABR 93/09 Rn. 16).
2. Dies gilt gleichermaßen innerhalb des Be-triebsverfassungsrechts
hinsichtlich der Religi-onsgemeinschaften
und der ihnen zugeordne-ten
karitativen und erzieherischen Einrichtun-gen
(§ 118 Abs. 2 BetrVG). Auch insofern han-delt
es sich bei der Tendenzeigenschaft des Un-ternehmens
bzw. Betriebs nicht lediglich um ei-ne
Vorfrage (BAG, Beschl. v. 23.10.2002 - 7 ABR
59/01 - AP Nr. 72 zu § 118 BetrVG 1972, unter
B.I.1.; BAG, Beschl. v. 14.12.2010 - 1 ABR 93/09
Rn. 16).
3. Steht hingegen die Anwendung des § 118
Abs. 1 BetrVG in Frage, ist ein Antrag auf Fest-stellung
der Tendenzeigenschaft eines Unter-nehmens
oder Betriebs i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz
1 HS. 1 BetrVG stets unzulässig. Dies gilt nach
dem Ansatz des BAG unabhängig davon, ob die
Tendenzeigenschaft im konkreten Fall vorgreif-lich
für die Entscheidung über einen weiteren
Antrag innerhalb desselben Prozesses ist.
Im Rahmen des § 118 Abs. 1 BetrVG ist al-lein
ein Antrag auf Feststellung der Anwendbar-keit
oder Unanwendbarkeit eines bestimmten
Mitbestimmungsrechts denkbar. Dies gilt ohne
weiteres für die Anwendbarkeit der in § 118
Abs. 1 Satz 2 BetrVG angesprochenen Mitbe-stimmungsrechte
(Rn. 16 der hier besproche-nen
Entscheidung).
Problematisch und höchstrichterlich noch un-geklärt
ist die Frage, ob die Anwendbarkeit
oder Nichtanwendbarkeit einzelner der unter
§ 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG fallenden Mitbe-stimmungsrechte
feststellungsfähig ist. Es ge-nügt
jedenfalls nicht, wenn im Antrag nur ein
bestimmtes Mitbestimmungsrecht bezeichnet
wird. Im Rahmen der Relativklausel des § 118
Abs. 1 Satz 1 HS. 2 BetrVG ist nämlich nicht al-lein
nach der Art des Mitbestimmungsrechts zu
differenzieren. Nach ständiger Rechtsprechung
setzt die Relativklausel nämlich weiterhin vor-aus,
dass der von der konkreten Maßnahme be-troffene
Arbeitnehmer Tendenzträger ist (vgl.
zuletzt etwa BAG, Beschl. v. 14.05.2013 - 1
ABR 10/12 Rn. 18). Im Schrifttum wird daher
die Ansicht vertreten, dass ein Feststellungs-antrag
zulässig ist, wenn er auf ein bestimm-tes
Mitbestimmungsrecht und eine bestimmte
Gruppe von Arbeitnehmern konkretisiert ist (Fit-ting,
BetrVG, § 118 Rn. 63; vgl. zu den Anfor-derungen
an die Bestimmtheit bei der Bezeich-nung
der Arbeitnehmergruppe BAG, Beschl. v.
07.02.2012 - 1 ABR 58/10 - AP Nr. 58 zu § 253
ZPO Rn. 16 ff.). Nach der herrschenden „unein-geschränkten
Maßnahmetheorie“ muss aller-dings
zusätzlich zur Tendenzträgereigenschaft
des Arbeitnehmers noch geprüft werden, ob es
sich im konkreten Fall auch um eine tendenzbe-zogene
Maßnahme handelt (st. Rspr., vgl. nur
BAG, Beschl. v. 28.08.2003 - 2 ABR 48/02 - AP
Nr. 49 zu § 103 BetrVG, unter II.2.b.cc.[1]; stv.
13. jurisPR-ArbR 45/2014
aus der Lit. Weber in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 164).
Soll für die Zukunft die Anwendbarkeit eines be-stimmten
unter § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG fal-lenden
Mitbestimmungsrechts geklärt werden,
muss daher im Antrag auch der Kreis möglicher
Maßnahmen ausreichend konkretisiert sein, um
deren Mitbestimmungspflichtigkeit es geht. Ei-ne
Ausnahme ist nur in Bezug auf die Mitbestim-mung
bei Einstellungen nach § 99 BetrVG denk-bar.
Hier wird der Tendenzbezug der Maßnah-me
vermutet (BAG, Beschl. v. 07.11.1975 - 1
ABR 78/74 - AP Nr. 3 zu § 99 BetrVG 1972, unter
III.2.; weitergehend Weber, in: GK-BetrVG, § 118
Rn. 211, der das Erfordernis des Tendenzbezugs
der Maßnahme bei Einstellungen von Tendenz-trägern
insgesamt für verzichtbar hält), so dass
im Feststellungsantrag allein die betroffene Ar-beitnehmergruppe
konkretisiert werden muss.
II. In materieller Hinsicht bleibt es bei der ständi-gen
Rechtsprechung des BAG: Werkstätten für
Behinderte fallen zwar regelmäßig unter § 118
Abs. 1 Nr. 1 BetrVG („karitative Bestimmung“),
eine Einzelfallprüfung ist allerdings unverzicht-bar.
Insbesondere ist zu prüfen, ob die Ein-richtung
nicht ausnahmsweise mit Gewinnerzie-lungsabsicht
arbeitet. Wirtschaftet die Einrich-tung
– wie in der Regel – nach dem Kostende-ckungsprinzip,
ist dies für den Tendenzschutz
unschädlich.
5
Keine Mitbestimmung des Personalrats
bei der Bestellung des Vertreters des
behördlichen Datenschutzbeauftragten
Leitsatz:
Das Mitbestimmungsrecht des Personalrats
nach § 74 Abs. 1 Nr. 3 HPVG erstreckt sich
nicht auf die Bestellung des Vertreters des
behördlichen Datenschutzbeauftragten ge-mäß
§ 5 Abs. 1 Satz 1 HDSG.
Anmerkung zu VGH Kassel, Beschluss vom
22.07.2014, 22 A 2226/13.PV
von Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsi-dent
von Mittelfranken
A. Problemstellung
Die Verfahrensbeteiligten streiten darüber, ob
dem Personalrat als Antragsteller nach hes-sischem
Landesrecht bei der gemäß § 5
Abs. 1 Satz 1 HDSG gesetzlich vorgeschrie-benen
Bestellung des Vertreters eines be-hördlichen
Datenschutzbeauftragten ein Mit-bestimmungsrecht
gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 3
HPVG zusteht. Gemäß dieser Regelung hat der
Personalrat mitzubestimmen bei der „Bestel-lung
und Abberufung von Frauenbeauftragten,
Datenschutzbeauftragten, Fachkräften für Ar-beitsschutz,
Sicherheitsbeauftragten, Vertrau-ens-
und Betriebsärzten“.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beteiligte hatte mit Schreiben vom
27.02.2013 vorsorglich die Zustimmung des an-tragstellenden
Personalrats zur Bestellung ei-ner
Beschäftigten zur stellvertretenden Daten-schutzbeauftragten
beantragt, dabei aber zu-gleich
zum Ausdruck gebracht, dass nach ihrer
Auffassung insofern kein Mitbestimmungsrecht
des Personalrats aus § 74 Abs. 1 Nr. 3 HPVG
bestehe. Der Antragsteller beantragt daher die
Feststellung, dass ihm ein solches Mitbestim-mungsrecht
zusteht.
Mit diesem Antrag hatte der Antragsteller erst-instanzlich
beim VG Frankfurt Erfolg. Der VGH
Kassel hält den Antrag dagegen zwar für zuläs-sig,
jedoch nicht für begründet und verneint das
Bestehen eines solchen Mitbestimmungsrechts.
Zur Begründung beruft sich das Gericht zu-nächst
auf die Entstehungsgeschichte der maß-geblichen
Regelungen. Das Mitbestimmungs-recht
gemäß einer Vorgängerregelung aus dem
Jahr 1959, die der jetzige § 74 Abs. 1 Nr. 3
HPVG aufgegriffen habe, habe sich ursprüng-lich
nur auf die „Bestellung von Vertrauens-und
Betriebsärzten“ bezogen. Erst mit Wir-kung
vom 01.10.1984 sei diese Vorgängerrege-lung
dahingehend geändert worden, dass der
Personalrat mitzubestimmen gehabt habe bei
der „Bestellung und Abberufung von Daten-schutzbeauftragten,
Fachkräfte für Arbeitssi-cherheit,
Sicherheitsbeauftragten, Vertrauens-und
Betriebsärzten.“
Diese Fassung der Vorgängerregelung sei mit
Wirkung vom 06.04.1988 unverändert in die da-mals
geschaffene Vorschrift des § 74 Abs. 1
Nr. 3 HPVG übernommen worden. Diese habe
mit Wirkung vom 31.12.1993 schließlich ihre
heute geltende Fassung erhalten, indem ab die-sem
Zeitpunkt auch die Bestellung und Abberu-
14. jurisPR-ArbR 45/2014
fung von Frauenbeauftragten in die Mitbestim-mung
einbezogen wurde.
Diese Entwicklung der Vorschrift zeigt nach
Auffassung des Gerichts, dass der Gesetzge-ber
mit der zum 01.10.1984 bewirkten Hinzu-fügung
„von Datenschutzbeauftragten“ usw. le-diglich
an den bereits geltenden Wortlaut und
die schon vorgegebene Verwendung des Plu-rals
angeknüpft habe. Er habe dagegen mit der
Verwendung des Plurals nicht zum Ausdruck
bringen wollen, dass sich das Mitbestimmungs-recht
des Personalrats auch auf die Vertreter
der in dieser Regelung genannten Beauftragten
erstrecke.
Die jetzige Fassung von § 5 Abs. 1 Satz 1
HDSG, wonach ein Vertreter des behördlichen
Datenschutzbeauftragten zu bestellen ist, sei
mit Wirkung vom 10.11.1998 so gefasst wor-den.
Gleichwohl habe der Gesetzgeber die Re-gelung
des § 74 Abs. 1 Nr. 3 HPVG damals und
auch danach unverändert gelassen. Dies spre-che
dafür, dass er das Mitbestimmungsrecht ge-rade
nicht auf den Vertreter des behördlichen
Datenschutzbeauftragten habe erweitern wol-len.
Dabei sei zu berücksichtigen, dass damals
bereits Rechtsprechung zum fehlenden Mitbe-stimmungsrecht
bei der Bestellung von Stellver-tretern
von besonderen Beauftragten vorgele-gen
habe (VG Gießen, Beschl. v. 14.09.1998 - 22
LG 1426/98, zur Bestellung der Stellvertreterin
einer Frauenbeauftragten).
Dem fehlenden Mitbestimmungsrecht bei der
Bestellung des Vertreters eines behördlichen
Datenschutzbeauftragten entspreche es, dass
§ 5 Abs. 1 HDSG lediglich in seinem Satz 2 so-wohl
den Datenschutzbeauftragten selbst als
auch dessen Vertreter in Bezug nehme, indem
hiernach in beiden Fällen nur solche Beschäf-tigte
bestellt werden dürfen, die dadurch kei-nem
Interessenkonflikt mit sonstigen dienstli-chen
Aufgaben ausgesetzt werden. Die nach-folgenden
Sätze des Absatzes sprechen hinge-gen
nur vom behördlichen Datenschutzbeauf-tragten,
nicht jedoch von seinem Stellvertre-ter.
Daraus sei zu schließen, dass der gemäß
§ 5 Abs. 1 Satz 1 HDSG zu bestellende Vertre-ter
als reiner Abwesenheitsvertreter anzusehen
sei. Wegen dieser Stellung als bloßer Verhinde-rungsvertreter
habe der Gesetzgeber davon ab-gesehen,
die Bestellung des Vertreters der Mit-bestimmungspflicht
zu unterwerfen.
C. Kontext der Entscheidung
Die Ausführungen zur Verwendung des Plurals
in einer gesetzlichen Bestimmung wären dahin
zu ergänzen, dass sie sich vorliegend in § 74
Abs. 1 Nr. 3 HPVG ersichtlich lediglich aus dem
Wunsch des Gesetzgebers erklärt, eine gram-matische
Form zu verwenden, die sich rein äu-ßerlich
weder als männlich noch als weiblich
darstellt, so dass sperrige Formulierungen wie
„der Datenschutzbeauftragte/die Datenschutz-beauftragte“
usw. vermieden werden. Es fragt
sich daher, ob es sachgerecht ist, hinter sol-chen
Pluralformulierungen einen weitergehen-den,
tieferen Sinn zu suchen.
Gleichwohl ist der Entscheidung im Ergebnis
zuzustimmen, da sich aus § 5 Abs. 1 HDSG
in der Tat ergibt, dass vom Gesetzgeber eine
bloße Abwesenheits- und Verhinderungsvertre-tung
gewollt ist. Diese hat aber schlicht nicht die
inhaltliche Bedeutung, die ohne klare Anhalts-punkte
im Wortlaut der einschlägigen Bestim-mungen
die Annahme eines Mitbestimmungs-rechts
rechtfertigen würde.
D. Auswirkungen für die Praxis
Aus zwei Gründen beschränkt sich die Bedeu-tung
der Entscheidung im Wesentlichen auf das
Bundesland Hessen:
Das HPVG gehört zu den wenigen Personal-vertretungsgesetzen,
in denen ein Mitbestim-mungsrecht
bei der Bestellung eines Daten-schutzbeauftragten
ausdrücklich geregelt ist.
Parallelregelungen finden sich in § 79 Abs. 3
Nr. 2 LPVG BW, § 67 Abs. 1 Nr. 9 NPersVG und
§ 80 Abs. 2 Nr. 8 LPersVG Rh-Pf (so Gürtler-
Bayer, Der behördliche Datenschutzbeauftrag-te,
2014, S. 228 mit Fn. 864). Insofern bestand
nach hessischem Landesrecht kein Zweifel dar-an,
dass die Bestellung eines Datenschutzbe-auftragten
an sich der Mitbestimmung unter-liegt.
Zweifel warf lediglich die Frage auf, ob
dies auch im Hinblick auf die Bestellung des
Stellvertreters eines Datenschutzbeauftragten
gilt.
Dass ein Stellvertreter für den Datenschutzbe-auftragten
zu bestellen ist, ordnen gleichfalls
nur wenige Landesdatenschutzgesetze an (vgl.
etwa § 19a BlnDSG, § 32a Abs. 1 Satz 1 DSG
NRW).
15. jurisPR-ArbR 45/2014
Auf Stellen, für die das BDSG gilt, lässt sich die
Entscheidung nicht übertragen. Insoweit wird
nämlich lediglich vereinzelt die Auffassung ver-treten,
dass ein Stellvertreter für den Beauftrag-ten
für den Datenschutz bestimmt werden müs-se
(so Däubler in Däubler/Klebe/Wedde/Wei-chert,
BDSG, 4. Aufl. 2014, § 4f Rn. 61). Im Wort-laut
von § 4f BDSG findet sich für diese Auf-fassung
keine Stütze. Somit kann sich die Fra-ge,
ob gerade die Bestellung eines Stellvertre-ters
des Beauftragten für den Datenschutz der
Mitbestimmung unterliegt, dort allenfalls dann
stellen, wenn man der geschilderten Minder-meinung
folgt. Im Übrigen besteht für den Gel-tungsbereich
des BDSG Einigkeit darüber, dass
die Bestellung des Beauftragten für den Da-tenschutz
als solcher keinen speziellen Beteili-gungsrechten
des Betriebsrats unterliegt (Sche-ja
in: Taeger/Gabel, Kommentar zum BDSG und
zu den Datenschutzvorschriften des TKG und
TMG, 2. Aufl. 2013, § 4f BDSG Rn. 34, m.w.N.),
doch kann ein Mitbestimmungsrecht dann in Be-tracht
kommen, wenn mit der Bestellung die
Einstellung oder Versetzung des (künftigen) Be-auftragten
für den Datenschutz verbunden ist.
6
Kündigung wegen exzessiver privater
Internetnutzung am Arbeitsplatz
Leitsätze:
1. Bei einer ausschweifenden privaten Nut-zung
des Internets während der Arbeitszeit
kann eine ordentliche Kündigung eines seit
mehr als 21 Jahren beschäftigten Mitarbei-ters
auch ohne Abmahnung sozial gerecht-fertigt
sein.
2. Löscht der Arbeitnehmer im Zusam-menhang
mit der konkreten Nachfrage
des Arbeitgebers nach einer Nutzung ei-nes
bestimmten Programms (hier: Use-net/
UseNeXT) die Teile der Festplatte seines
betrieblichen PC, die private Dateien enthal-ten,
kann er sich auf konkreten Vortrag des
Arbeitgebers zum Umfang der privaten Nut-zung
nicht auf ein einfaches Bestreiten be-schränken.
3. Äußert sich der Arbeitnehmer zum Um-fang
der Privatnutzung des dienstlichen
PC wiederholt wahrheitswidrig, kann das
den Rückschluss auf ein insgesamt wahr-heitswidriges
Bestreiten des vorgeworfenen
Sachverhalts rechtfertigen
Anmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom
06.05.2014, 1 Sa 421/13
von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und
FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,
Frankfurt a.M. / Emily Jäschke, Wissenschaftliche
Mitarbeiterin
A. Problemstellung
Private Internetnutzung am Arbeitsplatz ist
grundsätzlich eine Verletzung arbeitsvertragli-cher
Pflichten und kann den Arbeitgeber zu ei-ner
verhaltensbedingten Kündigung berechti-gen.
Das LArbG Kiel hatte sich mit der Frage zu be-fassen,
ob eine besonders exzessive Form der
privaten Internetnutzung eine Kündigung auch
dann rechtfertigt, wenn eine Abmahnung aus-geblieben
ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Entscheidung liegt die Kündigungsschutz-klage
eines Arbeitnehmers zugrunde, der bei
der Beklagten über 20 Jahre tätig war und Un-terhaltspflichten
gegenüber drei Personen hat.
Bei Nachforschungen zur Ursache einer merk-lichen
Verlangsamung der Datenverarbeitungs-prozesse
fiel auf, dass vom Firmenrechner des
Klägers aus ein Zugang zu dem Internetportal
„Usenet/UseNeXt“ installiert worden war. Das
stritt der Kläger zunächst ab, gab aber später
zu, das Portal genutzt zu haben. Eine anschlie-ßende
Untersuchung des Rechners ergab, dass
sich hierauf rund 17.000 Dateien befunden hat-ten,
darunter eine Vielzahl von Musik- und Film-downloads
sowie private Fotos. Sämtliche Da-teien
waren gelöscht worden, konnten aber wie-derhergestellt
werden. Zudem konnte die Nut-zung
sozialer Netzwerke wie Xing und Facebook
sowie diverser Chatportale nachgewiesen wer-den.
Ausdrückliche Regelungen über die priva-te
Internetnutzung existierten im Betrieb nicht.
Nach Auswertung der Untersuchung sprach die
Beklagte eine ordentliche Kündigung aus. Der
Kläger bestritt, die Downloads vorgenommen
und die Internetseiten besucht zu haben. Im Üb-
16. jurisPR-ArbR 45/2014
rigen hätten auch andere Mitarbeiter sein Pass-wort
gekannt.
Die Kündigungsschutzklage hatte in beiden In-stanzen
keinen Erfolg. Die Kündigung sei auf-grund
der massiven Verletzung arbeitsvertrag-licher
Pflichten gerechtfertigt. Der Kläger ha-be
nicht nur in besonderem Maß den Firmen-rechner
zu privaten Zwecken genutzt, sondern
durch die Vielzahl von Downloads sogenannter
„Share-Dateien“ auch eine erhebliche Gefahr
der Infizierung des betrieblichen Datensystems
mit Viren geschaffen. Die private Internetnut-zung
sei nur dann keine Pflichtverletzung, wenn
der Arbeitnehmer belegen könne, vom Arbeit-geber
nicht genug Arbeit zugewiesen bekom-men
zu haben, so dass eine Beeinträchtigung
der geschuldeten Arbeitsleistung nicht gegeben
sei. Das sei hier aber nicht der Fall.
Trotz des Bestreitens des Klägers, mit den Da-teien
und Protokollen in Zusammenhang zu ste-hen,
lag zur Überzeugung des Gerichts eine pri-vate
Internetnutzung vor. Angesichts glaubhaf-ter
Zeugenaussagen und vielfach widersprüch-licher
Einlassungen des Klägers hielt das Ge-richt
auch eine etwaige Kenntnis Dritter vom
Passwort des Klägers für unerheblich. Eine Ab-mahnung
trotz der langen Betriebszugehörig-keit
des Klägers sei entbehrlich, da die Abmah-nung
nach Ansicht des Gerichts in Zukunft kei-ne
Verhaltensänderung des Klägers bewirkt und
somit ihren Zweck verfehlt hätte. Der Kläger
habe nicht darauf vertrauen können, dass eine
derart ausschweifende Internetnutzung vom Ar-beitgeber
gebilligt oder geduldet werden wür-de.
Auch wenn bei der Beklagten keine Rege-lung
zur Privatnutzung des Internets bestand,
hätte der Kläger wissen müssen, dass die Be-klagte
sein Verhalten nicht sanktionslos hinneh-men
würde. Weder die Dauer der Betriebszu-gehörigkeit
noch der Umstand, dass der Kläger
drei Personen zum Unterhalt verpflichtet ist und
ohne entsprechende Qualifikationen im Hinblick
auf sein Lebensalter von 45 Jahren Schwierig-keiten
auf dem Arbeitsmarkt haben mag, seien
geeignet, die Schwere der Pflichtverletzung zu
überwiegen.
C. Kontext der Entscheidung
Das Urteil reiht sich ein in die bisherige, in der
Tendenz strenge Rechtsprechung. Nach stän-diger
Rechtsprechung des BAG (vgl. Urt. v.
07.07.2005 - 2 AZR 581/04; Urt. v. 12.01.2006
- 2 AZR 179/05; Urt. v. 27.04.2006 - 2 AZR
386/05; Urt. v. 31.05.2007 - 2 AZR 200/06;
Urt. v. 19.04.2012 - 2 AZR 186/11) ist eine Kün-digung
wegen privater Nutzung des Internets
am Arbeitsplatz bei explizitem betrieblichem
Verbot der privaten Nutzung oder nach Abmah-nung
grundsätzlich gerechtfertigt, andernfalls
jedenfalls dann, wenn eine private Nutzung in
besonders erheblichem Umfang nachgewiesen
werden kann, unbefugte Downloads getätigt
werden und die Nutzung die Gefahr einer Stö-rung
des betrieblichen Systems beispielsweise
durch die Infizierung mit Viren birgt. Auch eine
außerordentliche Kündigung ist hier im Einzel-fall
möglich (so etwa BAG, Urt. v. 07.07.2005 -
2 AZR 581/04).
In allen Konstellationen bereitet der Nachweis
des vertragswidrigen Verhaltens Schwierigkei-ten.
Wie weit die Kontrollbefugnisse des Arbeit-gebers
reichen, ist nicht zweifelsfrei geklärt und
hängt vor allem von der Rechtslage im Betrieb
selbst ab. Ist die Privatnutzung des Internets
untersagt, so ist eine Kontrolle der Internetnut-zung
durch den Arbeitgeber uneingeschränkt
möglich. Fehlen solche betrieblichen Regelun-gen
oder ist eine Internetnutzung durch be-wusste
Duldung des Arbeitgebers kraft betrieb-licher
Übung zulässig, können sich aus daten-schutzrechtlichen
Vorschriften und dem Persön-lichkeitsrecht
Beweisverwertungsverbote erge-ben,
die den Nachweis eines vertragswidrigen
Verhaltens erschweren. Bei der Einführung von
Software zur Überwachung der Internetnutzung
ist ferner § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beach-ten:
Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungs-recht
bei Installation und Verwendung derarti-ger
Programme zu, dessen Nichtbeachtung Un-terlassungs-
und Beseitigungsansprüche aus-löst
und Verwertungsverbote nach sich zieht.
D. Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil des LArbG Kiel führt die tendenziell
strenge Rechtsprechung zur privaten Internet-nutzung
am Arbeitsplatz fort. Arbeitgeber sind
gleichwohl gut damit beraten, klare Regeln zur
Internetnutzung im Betrieb aufzustellen. Derar-tige
Regelungen können beispielsweise in ei-ner
Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsver-trag
erfolgen.