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Universität Siegen (Hrsg.)

                          Die Gründung und die Gründer:

                          Ein Rückblick auf die Anfänge der Universität Siegen 1972 - 1980

                          Siegen : universi, 2012

                          271 Seiten

                          ISBN 978-3-936533-6

                          € 19,90




                                            Rezension

Das Dezimalsystem ist eine segensreiche Erfindung, ohne die sich der nostalgische
Bildungsbürger im Dschungel vergangener Ereignisse schwer zurechtfinden würde. Um beim
Kaffeekränzchen, am Stammtisch oder im Heimatvereinskreis angeregt parlieren zu können,
nachdem die Gegenwartskrisen als Tagesordnungspunkte abgehakt sind, bedarf es der
runden Jubiläen. Diese reihen sich zum Glück so nahtlos aneinander, dass der sanft dahin-
plätschernde Fluss des Konversierens nie unterbrochen zu werden braucht: Irgend etwas vor
10, 25, 50, 100, 200 ... Jahren Geschehenes findet der Geschichtsfreund immer. Die Historie
wird zum Abreißkalender einer nie erschöpfbaren Folge von Jubelfesten; was zwischen den
mit Leuchtfarbe markierten „besonderen“ Jahren liegt, kann da nicht auch noch beachtet
werden. Wozu also „40 Jahre Universität Siegen“? Die Null ist eine Konzession an die
Jubiläumsmentalität, man hätte auch 38 oder 42 wählen können – bis zum Fünfzigsten
warten aber nicht.

Wenn Menschen zu Gründern neuartiger Institutionen werden, stehen sie gewöhnlich seit
einiger Zeit im Beruf, haben vielfältige Erfahrungen gesammelt, sich bewährt, vielleicht auch
Einfluss gewonnen, sind andererseits längst noch nicht etabliert, bequem oder auch resig-
niert genug, um sich auf keine Neuanfänge und Herausforderungen mehr einlassen zu
wollen. Kurzum: Es sind meist Menschen zwischen der Mitte des vierten und dem Anfang
des fünften Lebensjahrzehnts. Vierzig Jahre nach Errichtung der Gesamthochschule haben
sich die Reihen dieser Generation schon zu lichten begonnen, aber noch weilen viele unter
uns, die als Zeitzeugen befragt werden können und den Respekt der Jüngeren für ihr
Lebenswerk empfangen sollen. Zehn Jahre später, wenn wieder einmal ein konventionelle-
res Jubiläum ansteht, wird das nicht mehr der Fall sein. Diese Überlegung war motivierend
genug, gerade jetzt einen „Rückblick auf die Anfänge“ vorzulegen.

Als „Herausgeber“ firmiert keine natürliche Person, sondern die Universität – womit sich dem
Spitzenfunktionär des Hauses, wie es in solchen Fällen Brauch ist, die Gelegenheit zu einem
Vorwort bietet. Hochamtliche Prologe muss man ja normalerweise nicht lesen und erst recht
nicht rezensieren; wenn sich ersteres aber versehentlich doch ergibt, wird man zuweilen mit
wundersamen Blüten am Baum der Erkenntnis belohnt, die – auch wenn es das Haupt-
geschäft aufhält – den geschätzten Mitbürgern nicht ganz vorenthalten werden sollten.

„Derzeit bestreitet wohl kaum jemand mehr, dass eine Verwissenschaftlichung der Gesell-
schaft notwendig ist“, erfährt man (S. 8) von Holger Burckhart, der seine Brötchen als
professioneller = professoraler Philosoph verdient hatte, bevor er Siegener Rektor wurde.
Seltsamerweise fällt dem Rezensenten niemand aus seinem engeren Bekanntenkreis ein,
der diese angebliche Notwendigkeit nicht bestreiten würde, aber vielleicht verkehrt er bloß in
den falschen Kreisen. Die These an sich ist natürlich nicht neu. Weisheiten wie diese
befruchteten beispielsweise auch die Lehrpläne der DDR-Schule und -Hochschule, welche
ihrerseits Vollstrecker der (wie so ziemlich alles vor und neben Hegel einschließlich seiner
selbst “vom Kopf auf die Füße gestellten“) Aufklärungsphilosophie waren. „Verwissenschaft-
lichung“ (Man genieße das Wort!) lässt sich mit vielem treiben: Kriegsführung, Massentier-
haltung, massenmediale Volksverdummung etc. – es funktioniert ja zweifellos, und wer will
behaupten, dass hier eine andere Wissenschaft am Werke sei, als diejenige, welche die
Gesellschaft insgesamt, die Schöne Neue Welt, nach den Vorstellungen des Neo-Aufklä-
rungsphilosophen Burckhart uniformieren soll. Die einzige zur Verfügung stehende Wissen-
schaft ist Menschenwerk – aber Menschen, Aufklärer ebenso wie ihre Opponenten, sind
keine wissenschaftlichen Versuchsapparaturen. Aufklärerische Illusionen klammerten sich
schon an alle möglichen Früchte der Wissenschaften: Mal wurde in der völkerverbindenden
Eisenbahn das endlich anbrechende Heil der Menschheit gesehen, mal in der die Glühlampe
und das Ferngespräch schenkenden Elektrizität, mal in der Schutzimpfung oder der Anti-
Baby-Pille oder neuerdings im Internet. Wahrlich, an „Verwissenschaftlichung“ mangelt es
der Gesellschaft seit zwei Jahrhunderten nicht – nur handelt es sich dabei, soweit kollektive
Aneignungsprozesse ins Spiel kommen, eher um eine Verpseudowissenschaftlichung. Diese
ist immerhin das kleinere Übel gegenüber der Alternative (die gewisse Verfechter haben
dürfte): Das Einpflanzen extern programmierbarer Gehirnstimulatoren würde die Gesellschaft
in ein wissenschaftlich zuverlässiger handhabbares System verwandeln helfen. Handhabbar
durch wen?

Auch ohne bis auf weiteres von künstlich-intelligenten Gehirnimplantaten bedroht zu sein
und hoffentlich ohne in den Verdacht weltverschwörerischer Paranoia zu geraten, lässt sich
nach dem künftigen Weg der Gesellschaft im allgemeinen und der Universität im besonderen
fragen, wenn auf der Prioritätenliste ihrer Eliten „Verwissenschaftlichung“ an erster Stelle
steht, nicht aber (wozu Kulturpessimisten wie dem Rezensenten allerdings auch manches
Skeptische einfallen würde) „Persönlichkeitsbildung“ – individuelle Erweckung zum Ethos
statt kollektiver Einschläferung.

Die historisch interessierten Leser dieser Zeilen könnten sich vom rektoralen Bonmot zum
Nachdenken über „Verwissenschaftlichung der Geschichte“ anregen lassen. Was unterschei-
det Geschichte vom real Geschehenen? Welche Rolle – die der Magd oder die des Diktators
– sollte der Wissenschaft beim erkenntnismäßigen Verwandeln von Geschehenem in Ge-
schichte zukommen? Können Personen, die über Vergangenes lediglich aus zweiter Hand
nach wissenschaftlichem Kalkül belehrt werden, sich ihrer selbst als historische Akteure
bewusst werden? Wie sollen Menschen – um auf die bekannte Frage des gebürtigen
Freudenbergers Hans-Ulrich Wehler zu verweisen – „aus der Geschichte lernen“, wenn
„Geschichte“ mit den als Orientierungshilfen im historischen Dickicht entworfenen wissen-
schaftlichen Erklärungsmodellen gleichgesetzt wird?

Nach dem Vorgeplänkel nun aber zur Sache.

„Den Anstand wahren!“ Dafür hatte Johannes Rau 1985 anlässlich eines Wahlkampfes in
Zeitungsanzeigen geworben. Diese Forderung gilt auch für das Besprechen eines Buches,
dessen Thematik dem „Vater der Gesamthochschulen“ einst so vertraut gewesen war. Und
nachdem das – es sei nicht verschwiegen – mit großer Skepsis erwartete Werk nun erschie-
nen ist, stellt der Rezensent fest, dass ihm der Verzicht auf unterhaltsame aber boshafte
Unanständigkeiten gar nicht schwerfällt. „Bücher haben ihre Schicksale“, heißt es so schön:
Damit sich dieses für die vorliegende Publikation auch erfüllt, soll sie ihren Weg hinaus in die
Welt friedlich ziehen können und vor dem Aufbruch zwar nicht totgeschwiegen, aber auch
nicht totrezensiert werden.

Die Festschrift ist – auch wenn sich der institutionelle Herausgeber ein wenig in den Vorder-
grund geschoben hat – eine Gemeinschaftsproduktion zweier der Universität Siegen seit
etlichen Jahren nahestehender Wissenschaftler: Sabine Hering, Sozialpädagogik-Professo-
rin und ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der – wie es modern heißt – „Gender
Studies“ (u.a. Mitgründerin des Archivs der Deutschen Frauenbewegung in Kassel) und Kurt
Schilde, promovierter Historiker mit dem Arbeitsschwerpunkt sozialgeschichtlicher Aspekte
der NS-Zeit. Wer von den Hintergründen des Projekts anfangs am Rande Kenntnis erlangt
hatte, wird nicht darüber erstaunt sein, dass zwei – um es vorsichtig auszudrücken – der
hochschulgeschichtlichen Forschung bislang nicht leidenschaftlich ergebene Autoren nun
ausgerechnet das vielschichtige Thema „Gesamthochschule“ für sich entdeckt haben: Die
Festschrift ist schlicht ein Auftragswerk, anscheinend im akademischen Freundeskreis ange-
regt und Anfang des Jahres 2009 vom damaligen – historisch aufgeschlossenen – Rektor
Ralf Schnell offiziell zum 40. Gedenktag erbeten. Der Versuchung, eine maßstabsetzende
Monographie mit Referenzcharakter für die zukünftige bildungs-, hochschul- und regional-
geschichtliche Forschung anbieten zu wollen, sind die Autoren erfreulicherweise nicht
erlegen. In dem nur etwa dreijährigen Zeitrahmen für das Einarbeiten in einen sehr sperrigen
Stoff und das Ausarbeiten eines dem Anlass würdigen Exponats wäre jeder Versuch, eine
großangelegte „Geschichte der Universität Siegen“ zu produzieren, illusorisch gewesen.
Entstanden ist eine recht sympathische Jubiläumsschrift, eine Reminiszenz an die Veteranen
der Gründungszeit, von diesen sicherlich als ein Kleinod universitärer Erinnerungskultur
dankbar empfangen.

Was als durchaus eigenständiges Druckwerk auftritt, ist genaugenommen „das Buch zum
Film“, nämlich die um einige Beigaben angereicherte Sammlung transkribierter, primär
audiovisuell vorliegender Interviews. Diesen vorangestellt wurde zur Einstimmung lediglich
eine kompakte „Gründungsgeschichte“ (S. 11-35), die den mit der Materie nicht vertrauten
Lesern (falls es solche geben sollte) einen Überblick verschafft.

Sicherlich ist es eine schwierige Gratwanderung, auch dem heterogenen Publikum jenseits
der engeren Zielgruppe gerecht werden zu wollen und dies obendrein innerhalb des selbst-
gewählten Rahmens einer knappen Einführung. Hier und dort müssen zwangsläufig
Wünsche offenbleiben. Einem jüngeren Leserkreis (etwa heutigen Siegener Studierenden)
würde es nicht leichtfallen, anhand bildungspolitischer Extrakte eine Beziehung zu den
einstigen Anliegen der studierenden Elterngeneration zu entwickeln. Für Leser, die keine
alteingesessenen Siegerländer sind, wäre es vielleicht interessant, Genaueres über die
seinerzeitigen örtlichen Verhältnisse und besonders über die Mikrostandortwahl zu erfahren.
Gerade dieses Thema ist allerdings in der Region legendenumwoben, so dass, wer sich nur
auf das „kollektive Gedächtnis“ und nicht auf objektive Quellen stützt, leicht auf Abwege
gerät. Zum Beispiel hatte die Stadt Siegen Ende 1969 nur 10 Tage nach dem Kreis ihren
eigenen Anspruch auf eine Universität artikuliert, wie auch die Initiative für eine regionale
(den Kreis einschließende) „Aktionsgemeinschaft Universität Siegen“ ein Vierteljahr später
von ihr ausging – ein gegenüber dem Landkreis geringeres oder gar fehlendes Interesse, wie
es in den Interviewfragen immer wieder suggeriert wird, lässt sich also kaum behaupten.
Auch dass die Stadt sich „nicht entschließen konnte, einen angemessenen Bauplatz anzu-
bieten“ (S. 18), gehört ins Reich der Fabel. Sie hätte ja gerne, konnte aber nicht. Entgegen
der landläufigen Meinung eröffnete dies nun aber keinen Kalten Krieg zwischen den Siege-
ner und Hüttentaler Verwaltungen, denn die Entscheidungsträger in der Siegmetropole
waren (vielleicht im Gegensatz zu manchen lokalpatriotischen Stammtischrunden)
einsichtsvoll genug, um die einzige realisierbare Option mitzutragen.

Die Ausführungen zur Landespolitik mussten um der angestrebten Kürze willen ebenfalls auf
die an sich wünschenswerte Tiefe verzichten, was dann auch, weil nicht erfragt, durch die
Interviews nicht kompensiert wird. Bei einer großzügiger dimensionierten Darstellung würde
ein guter Ansatzpunkt ja durchaus die (dann besser korrekt, d.h. nicht nach der Sekundär-
literatur zitierte) Äußerung des – übrigens damals für den Hochschulbereich gar nicht mehr
zuständigen – Kultusministers Holthoff zur Schließung von PH-Abteilungen (S. 17) sein.
Verständlich wird sie nur im Kontext der ins „Nordrhein-Westfalen-Programm 1975“ einge-
gangenen Hochschulausbaupläne des 1. Kabinetts Kühn. In dem Zusammenhang ist dann
die Trendwende von der Metropolisierung zur Regionalisierung (2. Kabinett Kühn, nun mit
Wissenschaftsminister Rau) aufschlussreich für die politische Szene vor 40 Jahren, wo
manches Konzept mehr Anklang beim „Gegner“ als im eigenen Lager fand. So stand etwa
die Forderung progressiver Vertreter der CDU nach einer Universitätsgründung im Sieger-
land (besonders vom ehemaligen Kultusminister Paul Mikat erhoben) längst im Raum, bevor
Johannes Rau in die Position gelangte, von der bisherigen sozialliberalen Kabinettspolitik
abweichende Ideen verwirklichen zu können.

Im übrigen ist es nicht verkehrt, sich hin und wieder darauf zu besinnen, dass die politische
Praxis in diesem Staat auf Gewaltenteilung beruht. Zu sagen, „für die Entwicklung des
Gesamthochschulmodells in NRW“ sei das Wissenschaftsministerium „zuständig“ gewesen
(S. 12), beschreibt nur die eine Seite der Medaille. Wer Verständnis für die Hochschulreform
der 1960er/70er Jahre sucht, kommt am Landtag schlichtweg nicht vorbei, wo neben inter-
essanten Gladiatorenkämpfen (im Plenum) eben auch ernsthafte konzeptionelle Arbeit (im
Kulturausschuss) geleistet wurde. Der Landtags-Kulturausschuss war übrigens der Ort, an
den Abgeordnete der zu integrierenden Bildungsstätten eingeladen worden waren, um sich
zum Entwurf des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes auszusprechen (Anhörung am
12.4.1972; aus dem Siegerland und Gummersbach waren neben H.-G. Vitt die Herren
Witthöft, Rimbach, Roth sowie Studentenvertreter Wagner angereist). Ein Jahr zuvor hatte
Rau seine (sicherlich im Ministerium kollektiv erarbeiteten) „Thesen“ vorgelegt und ausdrück-
lich um Stellungnahmen der potentiell betroffenen Einrichtungen gebeten. Schon im Sommer
1970, kurz nach der Amtsübernahme, waren die Pädagogischen Hochschulen aufgefordert
worden, Kommentare zum „Aufbau- und Strukturplan für die Gründung neuer Universitäten“
abzugeben; die eingehenden Stellungnahmen führten mit dazu, gegen Ende des Jahres das
von Heinz Kühn goutierte Konzept der „Erziehungswissenschaftlichen Universitäten“ fallen-
zulassen und sich für regional gestreute Gesamthochschulen zu entscheiden. So verständ-
lich und nachvollziehbar es natürlich ist, dass die damaligen Praktiker „sich vor Ort über-
gangen fühlten“ (S. 22) – Wer fühlt sich von seinen Dienstherren nicht übergangen? – sollte
doch auch daran erinnert werden, dass gerade die Gesamthochschulerrichtung nicht als ein
Paradebeispiel für etatistischen Machtmissbrauch in Anspruch genommen werden kann.

Die Fokussierung des Blicks auf gewisse hervorstechende Charakteristika der Gesamthoch-
schulkonzeption hat leicht zur Folge, dass die historische Dimension des Unternehmens –
quasi der „Reformgeist an sich“ – übersehen wird. Der Intention nach sollte diese Konzeption
eine Abkehr von dem in den Vorjahren beschrittenen Weg der separierten Reformen (mal für
Volksschüler, mal für Ingenieurschüler, mal für angehende Lehrer) einleiten. Die Integration
des tertiären Bereichs war nicht als isolierte Maßnahme beabsichtigt; sie sollte (nach den
Vorstellungen Evers‘, Raus und Gleichgesinnter) in enge Beziehung zu Reformen des
Sekundarbereichs (Integration von Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Berufsschulen)
gebracht werden. Gesehen wurde auch – worauf aus den Kultus- und Wissenschaftsressorts
heraus freilich kein Einfluss genommen werden konnte – die Reformbedürftigkeit des Öffent-
lichen Dienstes mit seinem rigiden Berechtigungswesen, Verbeamtungstheater und Besol-
dungsunrecht. Erst eine Humanisierung dieses Bereichs hätte letztendlich auch die Gesamt-
schulen und Gesamthochschulen ihr volles Potential entfalten lassen; doch wäre hierzu ein
gesamtgesellschaftlicher Wertewandel erforderlich gewesen, auf den der im pietistischen
Wuppertal sozialisierte „Bruder Johannes“ vielleicht gehofft haben mag, der sich aber offen-
sichtlich nicht einleiten ließ (und lässt). Dies alles in den Blick gefasst, wird deutlich, was hier
eigentlich gescheitert und nicht einmal über erste Anfänge hinausgelangt war. Darüber kann
auch das Beschwören formaler Übereinstimmungen zwischen damaligen und heutigen Orga-
nisationsdetails nicht hinwegtäuschen. Es mag ja sein, dass konsekutive Studienmodelle,
wie sie in den Reformjahren um 1970 entworfen worden waren, viel Ähnlichkeit mit dem
aktuellen Bachelor-Master-System aufweisen. Solche Formalismen schönzureden, verstellt
aber nur den Blick auf die unterschiedlichen Intentionen hinter beiden Prozessen. Ohne
Zweifel waren auch diejenigen Protagonisten der 1960er/70er Jahre, die es wirklich ernst mit
der Bildungsreform (als Katalysator für erhoffte gesamtgesellschaftliche Reformen) meinten,
„Kinder ihrer Zeit“ und keine Heroen, aber zugestehen kann man ihnen immerhin den guten
Willen, das Ideal der Humanität in die bildungspolitische Sphäre hineinzutragen. Mit der
technokratischen Hochschulglobalisierung, die sich des Namens der ehrwürdigen Bologne-
ser Universität bemächtigte, hat das nun gar nichts zu tun.

(Als kleine Abschweifung sei auf die – einige Jahre vor dem Anstoß des „Bologna-Prozes-
ses“ – anlässlich der 900-Jahr-Feier dort initiierte „Magna Charta der Universitäten“ hinge-
wiesen, ein Bekenntnis abendländischer und außereuropäischer Hochschulen zu den Tradi-
tionen humanitärer Bildung und deren Bewahrung unter den Herausforderungen der Zukunft
– fraglos eine völlig nutzlose Gesinnungserklärung, die nichtsdestotrotz seit 1988 von bislang
insgesamt 752 offensichtlich auch Zweckfreies schätzenden Universitätsrektoren und -präsi-
denten unterzeichnet worden ist, darunter 30 Repräsentanten deutscher Universitäten, alter
wie neuer Gründungen, einschließlich Duisburg/Essen und Paderborn. Siegen ist nicht
dabei, warum auch, will man doch hier die Gesellschaft verwissenschaftlichen und keine
Sentimentalitäten pflegen.)

Wer aus der Perspektive eines der fünf Gründungsstandorte schreibt, wird leicht versucht
sein, eine gewisse regionale Selbstbezogenheit nicht zu hinterfragen. Die legislatorische
Errichtung von Gesamthochschulen in NRW und die Planung einer davon im Siegerland
durch regionale Gremien sind, wie man sagt, zwei Paar Schuhe. Hier zu differenzieren, ist
für das Verständnis des landespolitischen „Regionalisierungsprinzips“ wichtig. Dieses bedeu-
tete eben gerade nicht, die am lautesten rufenden unterversorgten Regionen mit dem
Geschenk einer Hochschule ruhigzustellen. Neue Universitäten sollten, worauf schon Paul
Mikat ein paar Jahre vor 1972 hingewiesen hatte, nicht gebaut werden, „um den Städten
eine Freude zu machen“. Die Bewilligung konkreter Makrostandorte konnte – daran ließ auch
der Wissenschaftsminister nie einen Zweifel – allein das Ergebnis zentral vorgenommener
komplexer Landesplanungen sein, ausgehend von prognostizierten Studierendenzahlen,
Wanderbewegungen, gegenseitigen Beeinflussungen benachbarter Gründungen (z.B.:
Würde eine Gesamthochschule in Paderborn der selbst noch am Aufbaubeginn stehenden
Universität Bielefeld das Wasser abgraben?), sekundären Effekten für den Strukturwandel
und so fort. Keine Überredungkraft hatte die persönliche Meinung von Stadtvätern, ihre
Kommune sei besser als andere für die Ansiedlung einer Hochschule geeignet. Für die
Doppelstadt Siegen/Hüttental und die vier übrigen dann gewählten Kandidaten traf dies,
anders als für die vielen sonstigen Bewerber jener Zeit (insgesamt sollen es um die 40 gewe-
sen sein), in der Tat zu, deshalb bekam das Siegerland eine Gesamthochschule (übrigens
nicht, weil es „calvinistisch“ war und ein Gegengewicht zum katholischen Paderborn herge-
stellt werden sollte, wie sich Manfred Zabel – S. 209 – zu erinnern glaubt). Des Biedenkopf-
Lohmar-Gutachtens hätte es zur Beeinflussung der Landesregierung gar nicht bedurft; es
diente mehr der regionalen Selbstvergewisserung, ob man ein solches Großprojekt auch
„stemmen“ könne. Die für das Ministerium relevante Datenbasis lieferte ein von ihm wohl-
weislich außerhalb der Landesgrenzen in Auftrag gegebenes wissenschaftliches Gutachten
(Arbeitsgruppe Standortforschung an der Universität Hannover).

Mit dem bewussten (natürlich der gewünschten Kompaktheit geschuldeten) Ausblenden des
bildungspolitischen Geschehens vor der Thematisierung des Gesamthochschulmodells wird
in Kauf genommen, dass ein wirklich abgerundetes Bild der Siegerländer Hochschul-
geschichte nicht vermittelt werden kann. Nachdem sich das Land erst einmal grundsätzlich
für den Weg der Regionalisierung entschieden hatte, war die Gründung einer Gesamthoch-
schule im Siegener Raum nahezu unvermeidlich (was den Wert der ihr dargebrachten
regionalen Bemühungen ja nicht schmälert), da sie sich aus längst geschaffenen Voraus-
setzungen ableitete. Es gab in Nordrhein-Westfalen Anfang 1971 genau fünf Kommunen
(wenn man Siegen und Hüttental hier als Einheit sehen will), die 1. selbst oder im nahen
Einzugsbereich über keine Universität verfügten, 2. eine Pädagogische Hochschul-Abteilung
beherbergten, 3. demnächst durch Zusammenschluss mehrerer höherer Fachschulen Sitz
einer Fachhochschule werden sollten und 4. (was Hagen ausschloss) auf Jahre hinaus ein
wachsendes Studierendenaufkommen erwarten ließen. Diese genau fünf Kommunen
wurden nach dem Willen der Landesregierung und natürlich (worüber trotz der anders moti-
vierten Ablehnung des GH-Entwicklungsgesetzes durch die CDU-Opposition parteiüber-
greifender Konsens herrschte) auch des Landtags dafür vorgesehen, die Reformen in NRW
ein Stück weit voranzubringen. Es hätte schwerwiegender Argumente seitens der Städte,
etwa des Fehlens geeigneter Grundstücke bedurft, um sich diesem vom Land gewünschten
Aufbauwerk entziehen zu können. Im Siegerland zum Beispiel wäre ein am Haardter Berg
von frustrierten Häuslebauern angezettelter Bürgerkrieg vermutlich überzeugend genug für
die Aufgabe des Projekts gewesen. Die Entscheidungsspielräume waren für die kommuna-
len Körperschaften und Aktionsgemeinschaften 1971, als in Düsseldorf das Quintett der
Hochschulen neuen Typs zusammengestellt wurde, durchaus bescheiden. Ob sie nun
unbedingt wollten oder nicht, die Fünf hätten dazugehört; glücklicherweise wollten sie es alle.
Die in der Konsequenz entscheidenden Weichen waren zu dieser Zeit längst gestellt worden.
Um die Leistungen der regionalen Reformkräfte angemessen würdigen zu können, müsste
die Gründung der Siegener Gesamthochschule in einem offeneren zeitlichen Rahmen
betrachtet werden. Zum Beispiel hätte es ohne das jahrelange Festhalten am Wunsch nach
sowohl einer Pädagogischen Hochschule als einer Ingenieurschule für Maschinenwesen in
den 1950er/60er Jahren später keine Gesamthochschule gegeben. Ohne die geduldigen und
zeitweise demütigenden Auseinandersetzungen mit gewissen Haubergsgenossen zu Beginn
des Städtebauprogramms am Haardter Berg Anfang der 1960er Jahre hätte die Hüttentaler
Verwaltung weder für die PH noch für die GH Grundstücke anbieten können. In Gummers-
bach hätte das Misslingen des lange verfolgten Ingenieurschulplans (1963 verwirklicht) das
Entstehen einer Einrichtung vereitelt, ohne die vermutlich Siegen nicht Sitz einer Fachhoch-
schule geworden wäre. (Die oberbergische Außenabteilung steuerte mit ca. 1000 Studieren-
den ein Drittel bei. Dass Gummersbach, bis 1983 dazugehörend, in der Festschrift weit-
gehend unerwähnt bleibt, werden die dort tätig gewesenen noch lebenden „Gründer“ sicher-
lich mit Enttäuschung registrieren.)

Gern würde der Rezensent an dieser Stelle zusammenfassend sagen, die 25seitige „Grün-
dungsgeschichte“ werfe mehr Fragen auf, als sie und die nachfolgenden Interviews beant-
worten – gern, weil mit dem Entdecken von Frag-Würdigem die Bildung beginnt. Wenn die
Darstellung solches bewirkt, hat sie womöglich nicht ihren beabsichtigten, wohl aber einen
noch edleren Zweck erfüllt. Jedoch lehrt die Erfahrung, dass der Neugier des literarisch über-
sättigten Publikums durchaus Grenzen gesetzt sind. Wo sich keine unmittelbare Betroffen-
heit einstellt, wird die Lektüre meist folgenlos absolviert und zum nächsten zufällig präsenten
Text übergegangen.

Es ist ja das grundsätzliche Manko jeder Darstellung historischer Abläufe, dass den Empfän-
gern wesentlich mehr Einzelheiten vorenthalten als mitgeteilt werden und die Auswahl nicht
sie selbst frei und im Einklang mit ihren spezifischen Interesse-Nuancen vornehmen, son-
dern der Vermittler nach seinen Kriterien. So entsteht „Geschichte aus zweiter Hand“, welche
je nach dem Grad der „Verwissenschaftlichung“ die Rezipienten entweder gleichgültig lässt
oder ihnen das trügerische Gefühl gibt, etwas verstanden zu haben, ohne dass sie es sich
selbst erarbeiten mussten. Zwischen ihnen und den Zeugnissen der Vergangenheit steht
immer die Subjektivität des Vermittlers (Achtung: Der Rezensent ist auch einer!), sei es als
Filter für faktische Informationen, sei es als Übersetzer von Mannigfaltigkeit in abstrahierte
Lehrsätze. Schreibende Historiker können diesem Dilemma schwerlich entrinnen, aber es
wird sie im besten Fall stets an ihre Verantwortung mahnen: Da es sich nun einmal nicht
vermeiden lässt, die Leser zu manipulieren, sollte man es wenigsten so quellenbasiert wie
möglich tun. Freilich entspricht das zähneknirschend-geduldige Durchforsten von Archiven,
die Kärrnerarbeit, dem dynamischen Naturell mancher Historiker eher wenig. Wer selbst dem
alten Schlachtruf „Ad fontes!“ mit Blut, Schweiß und Tränen Folge zu leisten versucht, wird
auf saloppere Annäherungen an die Historie mit großem Misstrauen blicken, zumal dann
(was aber bei der Festschrift nicht der Fall ist), wenn sich unter dem Mantel der Geschichte
nur „Brot und Spiele“ verbergen.

Doch bevor dies allzusehr in Schwafelei ausartet, wenden wir uns hurtig dem Hauptteil des
Buches zu, den Interviews.

Diese stellen einen gewichtigen Versuch dar, „Oral History“ in die Geschichtsschreibung der
Universität einzubeziehen. Respektabel ist dies allemal, sind doch von Mensch zu Mensch
erzählte Geschichten ein Ferment der historischen Bewusstwerdung. „Oral History“ –
meistens, aber nicht erschöpfend, mit „Geschichte von unten“ assoziiert – ist das Instrument
zur Aufarbeitung der nicht oder zumindest nicht adäquat verschriftlichten Aspekte menschli-
chen Treibens, solange noch Zeitgenossenschaft besteht. Ihr Gegenstand kann das Leben
der sogenannten „kleinen Leute“ sein, die wenig materielles Erinnerungsgut hinterlassen,
aber auch das der „größeren“, wenn etwa mentalitätsgeschichtliche Fragen interessieren. So
wird man über die Befindlichkeiten deutscher Professoren und Fachhochschuldozenten um
1972 in der Tat am meisten erfahren, wenn man sie einfach reden lässt. Vergleichsweise
wenig kann „Oral History“ zur institutionsgeschichtlichen Thematik im engeren Sinne beitra-
gen, abgesehen von stets willkommenen Anekdoten, sofern es den Fragenden gelingt,
solche hervorzulocken. Moderne Institutionen sind durchweg kollektive Schöpfungen und
während des Entstehens auf die Absicherung kommunikativer Prozesse durch Schriftlichkeit
angewiesen. Dem bei Großprojekten überwältigenden Corpus dokumentierter Überlieferung
(die natürlich nicht mit der Sekundärliteratur zu verwechseln ist) wird aus persönlicher, nach
Jahrzehnten ohnehin oft trügerischer Rückschau selten etwas bis dato Unbekanntes aber
Wichtiges hinzufügbar sein. Solche verschütteten Erinnerungen bei Gesprächspartnern dann
durch geschicktes Fragen vielleicht doch freizulegen, setzt eine sehr souveräne Kenntnis
eben jener verschriftlichten Geschehnisse voraus – sowohl um für die offensive Gesprächs-
führung gerüstet zu sein, als auch um das Erinnerte mit dem überlieferten Kontext in die
rechte verifizierte Beziehung bringen zu können.

Damit ist freilich nur gesagt, dass Interviews den durch Aufarbeitung des reichen archivi-
schen Quellenmaterials möglichen Kenntnisstand über die Gesamthochschulerrichtung
heute nicht mehr spektakulär bereichern. Das dürfte aber primär auch gar nicht die Moti-
vation der Befragungen gewesen sein. Man könnte sie im Anklang an den ein wenig peinli-
chen Slogan der Siegener Universität „Zukunft menschlich gestalten“ (Die Gegenwart dem-
nach nicht???) unter das Motto stellen „Das Menschliche in der Vergangenheit verstehen“.
Dies ist nicht ganz so trivial, wie es klingt. Obwohl natürlich erkundende Gespräche zunächst
darauf hinzielen sollten, konkrete, in der jüngeren Vergangenheit wirkende oder sogar etwas
gründende Persönlichkeiten zu verstehen, kann dies nicht die letzte Erfüllung von „Oral
History“ sein. Die menschliche Gesellschaft war und ist kein wissenschaftlich organisiertes
Laboratorium und Geschichte weder Versuchsprotokoll noch daraus abgeleitete Theorie.
Geschichte kann sich ebenso wenig im Sammeln und Sortieren protokollierter Fakten (der
„Quellen“ im weitesten Sinne, schriftlicher wie mündlicher) erschöpfen, wie sie sich von
Theorieentwürfen reglementieren lassen darf. Die gegenwärtige Gesellschaft, in der gefragt
wird, ist qualitativ nichts anderes, als die vergangene Gesellschaft, aus der die Antworten
erhofft werden: eine Bühne für das aktive Handeln und passive Behandelt-Werden von
Menschen (die „Taten und Leiden“, wie es Goethe nannte) in der Spannung zwischen indivi-
dueller Behauptung und kollektiver Vereinnahmung. Die konventionelle Frage „Wie ist etwas
objektiv gewesen?“ führt noch nicht über die virtuelle Grenze der Zeit hinaus, obgleich sie
sehr komplexe Glasperlenspiele anregen kann. Existentielle Bedeutung für Menschen in der
Gegenwart erlangt Geschichtserkenntnis erst, wenn sie die menschlichen Irrungen und
Wirrungen in der Vergangenheit verstehen hilft. Dann könnte aus der Geschichte vielleicht (!)
sogar gelernt werden. Soweit das Ideal.

Wer die gedruckten Interviews liest, wird sich bewusst sein, dass es Nachschriften sind;
solche können nicht die Lebendigkeit leibhafter Gespräche abbilden, wie es Filmaufnahmen
möglich ist. (Die Mitschnitte werden voraussichtlich später auf DVD veröffentlicht.) Leider
fehlen im Buch Auskünfte über den Charakter der sicherlich stattgefundenen redaktionellen
Bearbeitung. Sind die Niederschriften gekürzt, sind sie geglättet? Geben sie die spontanen
Redebeiträge wieder oder nachträglich autorisierte Versionen? Wurden noch mehr Inter-
views als die 18 transkribierten geführt und wenn ja, nach welchen Kriterien erfolgte die
Endauswahl? Das Fehlen von Hintergrundinformationen macht es schwer, die Kollektion
gerecht zu beurteilen. Den Lesern wird ja kaum eine gewisse Unausgewogenheit entgehen,
die sich vielleicht versehentlich ergeben hat, womöglich aber auch durch Sachzwänge
bedingt war. Ohne Frage wäre es gar nicht möglich gewesen, jeden voraussichtlich inter-
essanten Gesprächspartner einzubeziehen. Auch 18 solcher Befragungen, zum Teil mit
Reisen verbunden, haben zweifellos mehr Mühe und Aufwand erfordert, als viele einsiedle-
risch über Akten brütende Historiker (oder Rezensenten) zu investieren bereit gewesen
wären. Die eine oder andere Persönlichkeit, von der zu vermuten ist, dass sie eigentlich
interviewt werden sollte, hat dies nicht mehr erlebt, weil sie im Laufe der letzten drei Jahre
verstorben ist. Es könnte gelegentlich auch persönliche Gründe gegeben haben, für ein
Gespräch nicht zur Verfügung zu stehen. Über die Auswahl mag man sich also wundern,
sollte jedoch nicht zu viel hineininterpretieren.

Natürlich fällt auf, dass nur eine einzige Frau zu Wort kommt, welche zugleich auch noch die
einzige Vertreterin des nichtwissenschaftlichen Gesamthochschulpersonals ist. Frauen an
den Herd oder allenfalls an die Schreibmaschine? Solcher Gesinnung sind die Autoren nun
wirklich nicht zu verdächtigen! Wie immer diese Diskrepanz (Altrektor Rimbach hätte tadeln-
de Worte gefunden) verursacht sein mag, illustriert sie jedenfalls treffend die Situation zur
Gründungszeit der Gesamthochschule. Nicht einmal 5 % der 1972/73 in Siegen tätigen
Hochschullehrer waren Frauen; deren Domäne bildete der Verwaltungsbereich, vor allem der
Schreibdienst, denn Leitungsposten waren natürlich ausnahmslos maskulin besetzt.

Die Wahl der Gesprächspartner (1 Rektor, 2 Kanzler, 1 Landrat, 1 IHK-Präsident, 2 hohe
Ministerialbeamte, daneben etliche Professoren) könnte den Eindruck einer ausgeprägten
Herrschaftsfreundlichkeit seitens der Festschriftautoren erwecken, was aber sicherlich ein
Fehlurteil wäre, würde man doch bei Frau Hering und Herrn Schilde anhand ihrer Lebens-
läufe ein eher gemäßigt „linkes“ Selbstverständnis vermuten. Gleichwohl kommt natürlich die
Tatsache zu kurz, dass die Gründungszeit der Gesamthochschule noch mehr umfasste als
höchst anspruchsvolle wissenschaftliche Unternehmungen. Die Belastungen dürften in den
von Bauarbeiten und Umzügen begleiteten Anfangsjahren für die Mitarbeiter aus Technik
und Verwaltung besonders groß gewesen sein und ihre Verdienste um das Aufbauwerk,
soweit sie sich an individuellem Engagement messen lassen, nicht minder respektabel als
die des wissenschaftlichen Personals. Es kann bezweifelt werden, ob dieser Gruppe die
Befragung einer einzelnen „Alibi-Sekretärin“ das Gefühl gibt, an der Festtafel willkommen zu
sein.

Freuen darf man sich mit den Autoren darüber, dass es ihnen gelungen ist, Dietrich Küchen-
hoff und Hans Engel, seinerzeit Gruppenleiter und Regionalreferent im Wissenschaftsmini-
sterium, als Zeitzeugen zu gewinnen: Man spricht ja oft leichthin abfällig von der „Ministerial-
bürokratie“ und verbindet damit vielleicht die regelmäßig wiederkehrenden Signaturen unter
amtlichen Schriftstücken. Durch den Auftritt der beiden sympathischen älteren Herren wird
man daran erinnert, dass auch hinter den Düsseldorfer Bürotüren ganz normale Menschen
ihrem Tageswerk nachgingen.

Auf einen aus seiner Sicht schwerwiegenden Mangel hinzuweisen, bleibt dem Rezensenten
nicht erspart. Die integrierten Gesamthochschulen sollten drei Kategorien tertiärer Bildungs-
einrichtungen zu neuen Einheiten verschmelzen. Wenn in der Siegener Rückschau nur zwei
Dritteln des Trios Beachtung geschenkt wird, ergibt sich ein sehr unvollständiges, wenn nicht
verzerrtes Bild der Gründung und hat dies zur Folge, dass sich eine wichtige Gruppe der
Gründer brüskiert fühlen muss. Ohne die Existenz und Bewährung der Pädagogischen
Hochschule wäre im Siegerland keine Gesamthochschule entstanden. Dass ihre Integration
nicht reibungslos ablaufen würde, dürfte damals niemanden überrascht haben: Die Vertreter
der PH kamen gewissermaßen zwischen den Stühlen der übergeleiteten Fachhochschul-
dozenten, die für sie eine eher fremde Welt repräsentierten, und der berufenen Universitäts-
professoren, von denen sie sich nicht recht ernstgenommen fühlten, zu sitzen. In einem
Rückblick auf die Gründung und die Gründer hätten sie, neben den beiden anderen
Personengruppen, nicht fehlen dürfen. Wenn sie womöglich auch als ein etwas komplizierter
Partner im Dreiergespann wahrgenommen wurden (wie es z.B. im Gespräch mit Berthold
Stötzel anklingt), wäre es nur recht und billig gewesen, an das von ihnen eingebrachte
Positive zu erinnern. Die Lehrerausbildung war ein Standbein der Gesamthochschule, und
an ihrem wohl guten Ruf hatten sicherlich die den Paradigmen der PH verpflichteten
Kollegen einen besonderen Anteil. Welche Konflikte gab es zwischen den von klassischen
philosophischen Fakultäten nach Siegen berufenen Hochschullehrern und den im gleichen
Fach arbeitenden PH-Professoren mit ihrem mehr lebensnah-didaktischen Ansatz? Trifft es
zu, dass die Universitätsleitung auch noch Jahrzehnte später lieber an Traditionen wie die
der Wiesenbauschule erinnert werden möchte als an die der PH? Wie viel von der Pädagogi-
schen Hochschule Westfalen-Lippe, Abteilung Siegerland, wirkt heute noch in der Universität
Siegen nach, was hat sich nicht durchgesetzt oder ist mit „Bologna“ verschwunden? Was
ließe sich nach den Erfahrungen von 8 + 40 Jahren – mit erweitertem Blick auf die preußi-
schen Reformen der Lehrerausbildung um 1926, ohne die das Phänomen „Pädagogische
Hochschule“ kaum zu verstehen ist, den künftigen Siegener Pädagogen mit auf den Weg
geben? Aus der Festschrift ist all dies nicht zu ersehen, und das betrübt den Rezensenten
ebenso, wie es manchen Leser enttäuschen wird.

Freundliche Neugier und ein vorgefertigter Katalog recht allgemein gehaltener Fragen genü-
gen noch nicht, um jedes Interview mit dem bestmöglichen Ergebnis abzuschließen. Eine
denkbare Alternative zu netten solitären Plaudereien wäre gewesen, jeweils zwei oder drei in
ihren Ansichten vermutlich divergierende Zeitzeugen zu behutsam moderierten Streitgesprä-
chen einzuladen. Natürlich hängt der Ertrag eines Interviews auch immer von Temperament
und Erfahrungshintergrund des Befragten ab, so wie der Aussagewert für den Leser in
gewissem Maße durch persönliche Faktoren wie Sympathie oder nähere Bekanntschaft
beeinflusst wird. Deshalb soll hier gar nicht erst versucht werden, die einzelnen Beiträge zu
charakterisieren.

Das menschliche Gedächtnis hat bekanntlich seine Tücken, und es wäre sehr erstaunlich,
bei dem insgesamt so umfangreichen Rückblick auf vor mehreren Jahrzehnten erlebte
Geschehnisse nicht die eine oder andere faktische Ungereimtheit zu entdecken. Durch noch
sorgfältigere Endredaktion hätte gewiss vermieden werden können, manches Irreführende
an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Wenn etwa die Chronologie durcheinander gerät (z.B. S.
208), sollte das für gut vorbereitete Bearbeiter leicht erkennbar sein; wenn sich in der
Erinnerung Tatsache und Wunschbild unglücklich vermischt haben (S. 182), hätte man das
durch einen Blick in die alten Protokolle unschwer aufklären können. Aber es muss jetzt nicht
argwöhnisch nach Haaren in der Festtagssuppe geforscht und jedes Versehen oberlehrer-
haft zur Sprache gebracht werden. Die Interviews sind keine Examen. Wer sie liest, wird den
Befragten das gleiche zugestehen, was er im Zeugenstand für sich selbst beanspruchen
würde, nämlich dass Irren menschlich ist.

Vorhin ist von den Interviews als einem „Versuch“ die Rede gewesen, und das war nicht
despektierlich gemeint. Geschichte als bewusstes Nachzeichnen von Geschehenem ist ein
stetiger Prozess, nichts innerhalb von drei Jahren oder der Lebensspanne von Personen
Abzuschließendes. Sie hat Werkstattcharakter. Der einzelne Beiträger kann – auch wenn er
für sich selbst nach Vollendung streben mag – letztendlich doch nur „Versuche“ unterneh-
men und darauf hoffen, dass sich irgendwo in der großen Werkstatt Kollegen zur Weiterfüh-
rung des Begonnenen angeregt fühlen werden.

Zu den Anhängen: Das „Personenglossar“ (S. 215-250), eine anerkennenswerte Fleißarbeit,
bringt Biogramme der Interviewpartner und zahlreicher weiterer im Kontext mehr oder minder
relevanter Persönlichkeiten. Manche, die eher als andere dazugehören würden, fehlen – was
sich natürlich leicht monieren lässt, wenn man selbst von der sich irgendwann unweigerlich
einstellenden „Betriebsblindheit“ nicht betroffen war. (Was würden Freud und die Gleich-
stellungsbeauftragte dazu sagen, dass sämtliche männliche Rektoren von Woll bis Burckhart
aufgenommen wurden, nicht aber Frau Hantos? Ekkehard Birnstiel, den letzten Leiter der
Höheren Wirtschaftsfachschule, hätte man nicht vergessen sollen, zumal der alte Herr das
Buch wahrscheinlich noch in die Hand bekommen wird. Auf die „PH-Abstinenz“ ist oben
schon eingegangen worden.)

Die Erstellung des 20seitigen Literaturverzeichnisses („zur Geschichte des Gesamthoch-
schulmodells / Universität Siegen“) dürfte, wie es solche Hilfsmittel nun einmal erfordern,
dem Kompilator einige Mühe abverlangt haben – für die er keinen angemessenen Dank
ernten wird: Lesern, die einen eher feuilletonistischen Zugang zur Thematik suchen, muss
das Verzeichnis überfrachtet erscheinen; zur Vorbereitung systematischer Recherchen
würde man auf umfänglichere Bibliografien zurückgreifen.

Ein paar Worte noch zu Äußerlichkeiten, denn das Auge isst bekanntlich mit – besonders
dann, wenn leicht verdauliche Speisen serviert werden, bei denen scharfe Zähne und
ätzende Magensäure nicht viel zu tun bekommen.

Die ebenso schlichte wie geschmackvolle Aufmachung und die handwerklich solide Herstel-
lung des Bandes verdienen hervorgehoben zu werden; sie entsprechen dem Anlass des Ent-
stehens. Als für alternde Knaben wie ihn gerade noch zumutbar empfand der Rezensent die
Schriftgröße – ein Ärgernis dürfte sie aber für die im achten oder neunten Lebensjahrzehnt
stehenden Leser sein, denen als Angehörigen der Gründergeneration das Buch ja auf den
Gabentisch gelegt worden ist. Die bildliche Ausstattung wurde – hoffentlich nicht mit Rück-
sicht auf das calvinistische Erbe des Verlagsortes – sehr karg gehalten; außer kleinen
Porträts der Interviewten mit dem Charme von Passbildern gibt es nichts. Eine Festschrift
aber, in der nur gelesen werden kann, ist wie ein Fest, bei dem nur geredet wird. Wäre nicht
der eine oder andere Gesprächspartner bereit gewesen, seine alten Fotoalben zu öffnen?

„Die Gründung und die Gründer“ ist ein Buch, das – Welch eine Binsenweisheit! – unter der
Hand anderer Autoren und Redakteure anders ausgefallen wäre. „Anders“ könnte heißen:
dieses oder jenes Detail prononcierter auszuarbeiten, bei mancher Ansicht die Perspektive
des Frosches gegen die des Vogels zu tauschen oder umgekehrt, hier und dort die glatte
Oberfläche aufzurauhen, den einen oder anderen Nebenschauplatz zu erkunden ... –
„anders“ heißt nicht zwangsläufig: als Ganzes besser.

Das Buch wendet sich zunächst einmal an die im Titel genannte Zielgruppe. Wer zu den
„Gründern“ gehörte, wird seine eigenen Erfahrungen sicherlich – ob schwarz auf weiß oder
zwischen den Zeilen – reflektiert finden, wird sich in seiner Empfindung, Profiteur oder
Verlierer gewesen zu sein, bestätigt fühlen. Die Aufmerksamkeit dieses überschaubaren, von
Jahr zu Jahr mehr schwindenden Publikums ist der Festschrift zu recht sicher. Die außerhalb
der Festgemeinde stehenden Interessenten sollten sich klarmachen, was diese Veröffent-
lichung nicht sein will und deshalb auch nicht ist: weder eine sensationslüsterne Enthüllungs-
story noch eine historische Dokumentation, wie sie Universitäten nach mehrhundertjährigem
Bestehen herauszugeben pflegen. Alles in allem ist es ein anständiges Buch geworden, das
mit anständigen Worten auf seinen Weg zu den Lesern geschickt werden kann.

Damit sei es geschlossen und das Auge noch für einen Moment am Einband erquickt,
dessen Farbgebung natürlich, wer würde daran zweifeln, der schönen blauen Sieg ebenso
wie dem ewig strahlenden Himmel über der Universität nachempfunden ist.

                                                                            Peter Kunzmann

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Rezension "Die Gründung und die Gründer"

  • 1. Universität Siegen (Hrsg.) Die Gründung und die Gründer: Ein Rückblick auf die Anfänge der Universität Siegen 1972 - 1980 Siegen : universi, 2012 271 Seiten ISBN 978-3-936533-6 € 19,90 Rezension Das Dezimalsystem ist eine segensreiche Erfindung, ohne die sich der nostalgische Bildungsbürger im Dschungel vergangener Ereignisse schwer zurechtfinden würde. Um beim Kaffeekränzchen, am Stammtisch oder im Heimatvereinskreis angeregt parlieren zu können, nachdem die Gegenwartskrisen als Tagesordnungspunkte abgehakt sind, bedarf es der runden Jubiläen. Diese reihen sich zum Glück so nahtlos aneinander, dass der sanft dahin- plätschernde Fluss des Konversierens nie unterbrochen zu werden braucht: Irgend etwas vor 10, 25, 50, 100, 200 ... Jahren Geschehenes findet der Geschichtsfreund immer. Die Historie wird zum Abreißkalender einer nie erschöpfbaren Folge von Jubelfesten; was zwischen den mit Leuchtfarbe markierten „besonderen“ Jahren liegt, kann da nicht auch noch beachtet werden. Wozu also „40 Jahre Universität Siegen“? Die Null ist eine Konzession an die Jubiläumsmentalität, man hätte auch 38 oder 42 wählen können – bis zum Fünfzigsten warten aber nicht. Wenn Menschen zu Gründern neuartiger Institutionen werden, stehen sie gewöhnlich seit einiger Zeit im Beruf, haben vielfältige Erfahrungen gesammelt, sich bewährt, vielleicht auch Einfluss gewonnen, sind andererseits längst noch nicht etabliert, bequem oder auch resig- niert genug, um sich auf keine Neuanfänge und Herausforderungen mehr einlassen zu wollen. Kurzum: Es sind meist Menschen zwischen der Mitte des vierten und dem Anfang des fünften Lebensjahrzehnts. Vierzig Jahre nach Errichtung der Gesamthochschule haben sich die Reihen dieser Generation schon zu lichten begonnen, aber noch weilen viele unter uns, die als Zeitzeugen befragt werden können und den Respekt der Jüngeren für ihr Lebenswerk empfangen sollen. Zehn Jahre später, wenn wieder einmal ein konventionelle- res Jubiläum ansteht, wird das nicht mehr der Fall sein. Diese Überlegung war motivierend genug, gerade jetzt einen „Rückblick auf die Anfänge“ vorzulegen. Als „Herausgeber“ firmiert keine natürliche Person, sondern die Universität – womit sich dem Spitzenfunktionär des Hauses, wie es in solchen Fällen Brauch ist, die Gelegenheit zu einem Vorwort bietet. Hochamtliche Prologe muss man ja normalerweise nicht lesen und erst recht nicht rezensieren; wenn sich ersteres aber versehentlich doch ergibt, wird man zuweilen mit wundersamen Blüten am Baum der Erkenntnis belohnt, die – auch wenn es das Haupt- geschäft aufhält – den geschätzten Mitbürgern nicht ganz vorenthalten werden sollten. „Derzeit bestreitet wohl kaum jemand mehr, dass eine Verwissenschaftlichung der Gesell- schaft notwendig ist“, erfährt man (S. 8) von Holger Burckhart, der seine Brötchen als professioneller = professoraler Philosoph verdient hatte, bevor er Siegener Rektor wurde. Seltsamerweise fällt dem Rezensenten niemand aus seinem engeren Bekanntenkreis ein,
  • 2. der diese angebliche Notwendigkeit nicht bestreiten würde, aber vielleicht verkehrt er bloß in den falschen Kreisen. Die These an sich ist natürlich nicht neu. Weisheiten wie diese befruchteten beispielsweise auch die Lehrpläne der DDR-Schule und -Hochschule, welche ihrerseits Vollstrecker der (wie so ziemlich alles vor und neben Hegel einschließlich seiner selbst “vom Kopf auf die Füße gestellten“) Aufklärungsphilosophie waren. „Verwissenschaft- lichung“ (Man genieße das Wort!) lässt sich mit vielem treiben: Kriegsführung, Massentier- haltung, massenmediale Volksverdummung etc. – es funktioniert ja zweifellos, und wer will behaupten, dass hier eine andere Wissenschaft am Werke sei, als diejenige, welche die Gesellschaft insgesamt, die Schöne Neue Welt, nach den Vorstellungen des Neo-Aufklä- rungsphilosophen Burckhart uniformieren soll. Die einzige zur Verfügung stehende Wissen- schaft ist Menschenwerk – aber Menschen, Aufklärer ebenso wie ihre Opponenten, sind keine wissenschaftlichen Versuchsapparaturen. Aufklärerische Illusionen klammerten sich schon an alle möglichen Früchte der Wissenschaften: Mal wurde in der völkerverbindenden Eisenbahn das endlich anbrechende Heil der Menschheit gesehen, mal in der die Glühlampe und das Ferngespräch schenkenden Elektrizität, mal in der Schutzimpfung oder der Anti- Baby-Pille oder neuerdings im Internet. Wahrlich, an „Verwissenschaftlichung“ mangelt es der Gesellschaft seit zwei Jahrhunderten nicht – nur handelt es sich dabei, soweit kollektive Aneignungsprozesse ins Spiel kommen, eher um eine Verpseudowissenschaftlichung. Diese ist immerhin das kleinere Übel gegenüber der Alternative (die gewisse Verfechter haben dürfte): Das Einpflanzen extern programmierbarer Gehirnstimulatoren würde die Gesellschaft in ein wissenschaftlich zuverlässiger handhabbares System verwandeln helfen. Handhabbar durch wen? Auch ohne bis auf weiteres von künstlich-intelligenten Gehirnimplantaten bedroht zu sein und hoffentlich ohne in den Verdacht weltverschwörerischer Paranoia zu geraten, lässt sich nach dem künftigen Weg der Gesellschaft im allgemeinen und der Universität im besonderen fragen, wenn auf der Prioritätenliste ihrer Eliten „Verwissenschaftlichung“ an erster Stelle steht, nicht aber (wozu Kulturpessimisten wie dem Rezensenten allerdings auch manches Skeptische einfallen würde) „Persönlichkeitsbildung“ – individuelle Erweckung zum Ethos statt kollektiver Einschläferung. Die historisch interessierten Leser dieser Zeilen könnten sich vom rektoralen Bonmot zum Nachdenken über „Verwissenschaftlichung der Geschichte“ anregen lassen. Was unterschei- det Geschichte vom real Geschehenen? Welche Rolle – die der Magd oder die des Diktators – sollte der Wissenschaft beim erkenntnismäßigen Verwandeln von Geschehenem in Ge- schichte zukommen? Können Personen, die über Vergangenes lediglich aus zweiter Hand nach wissenschaftlichem Kalkül belehrt werden, sich ihrer selbst als historische Akteure bewusst werden? Wie sollen Menschen – um auf die bekannte Frage des gebürtigen Freudenbergers Hans-Ulrich Wehler zu verweisen – „aus der Geschichte lernen“, wenn „Geschichte“ mit den als Orientierungshilfen im historischen Dickicht entworfenen wissen- schaftlichen Erklärungsmodellen gleichgesetzt wird? Nach dem Vorgeplänkel nun aber zur Sache. „Den Anstand wahren!“ Dafür hatte Johannes Rau 1985 anlässlich eines Wahlkampfes in Zeitungsanzeigen geworben. Diese Forderung gilt auch für das Besprechen eines Buches, dessen Thematik dem „Vater der Gesamthochschulen“ einst so vertraut gewesen war. Und nachdem das – es sei nicht verschwiegen – mit großer Skepsis erwartete Werk nun erschie- nen ist, stellt der Rezensent fest, dass ihm der Verzicht auf unterhaltsame aber boshafte Unanständigkeiten gar nicht schwerfällt. „Bücher haben ihre Schicksale“, heißt es so schön:
  • 3. Damit sich dieses für die vorliegende Publikation auch erfüllt, soll sie ihren Weg hinaus in die Welt friedlich ziehen können und vor dem Aufbruch zwar nicht totgeschwiegen, aber auch nicht totrezensiert werden. Die Festschrift ist – auch wenn sich der institutionelle Herausgeber ein wenig in den Vorder- grund geschoben hat – eine Gemeinschaftsproduktion zweier der Universität Siegen seit etlichen Jahren nahestehender Wissenschaftler: Sabine Hering, Sozialpädagogik-Professo- rin und ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der – wie es modern heißt – „Gender Studies“ (u.a. Mitgründerin des Archivs der Deutschen Frauenbewegung in Kassel) und Kurt Schilde, promovierter Historiker mit dem Arbeitsschwerpunkt sozialgeschichtlicher Aspekte der NS-Zeit. Wer von den Hintergründen des Projekts anfangs am Rande Kenntnis erlangt hatte, wird nicht darüber erstaunt sein, dass zwei – um es vorsichtig auszudrücken – der hochschulgeschichtlichen Forschung bislang nicht leidenschaftlich ergebene Autoren nun ausgerechnet das vielschichtige Thema „Gesamthochschule“ für sich entdeckt haben: Die Festschrift ist schlicht ein Auftragswerk, anscheinend im akademischen Freundeskreis ange- regt und Anfang des Jahres 2009 vom damaligen – historisch aufgeschlossenen – Rektor Ralf Schnell offiziell zum 40. Gedenktag erbeten. Der Versuchung, eine maßstabsetzende Monographie mit Referenzcharakter für die zukünftige bildungs-, hochschul- und regional- geschichtliche Forschung anbieten zu wollen, sind die Autoren erfreulicherweise nicht erlegen. In dem nur etwa dreijährigen Zeitrahmen für das Einarbeiten in einen sehr sperrigen Stoff und das Ausarbeiten eines dem Anlass würdigen Exponats wäre jeder Versuch, eine großangelegte „Geschichte der Universität Siegen“ zu produzieren, illusorisch gewesen. Entstanden ist eine recht sympathische Jubiläumsschrift, eine Reminiszenz an die Veteranen der Gründungszeit, von diesen sicherlich als ein Kleinod universitärer Erinnerungskultur dankbar empfangen. Was als durchaus eigenständiges Druckwerk auftritt, ist genaugenommen „das Buch zum Film“, nämlich die um einige Beigaben angereicherte Sammlung transkribierter, primär audiovisuell vorliegender Interviews. Diesen vorangestellt wurde zur Einstimmung lediglich eine kompakte „Gründungsgeschichte“ (S. 11-35), die den mit der Materie nicht vertrauten Lesern (falls es solche geben sollte) einen Überblick verschafft. Sicherlich ist es eine schwierige Gratwanderung, auch dem heterogenen Publikum jenseits der engeren Zielgruppe gerecht werden zu wollen und dies obendrein innerhalb des selbst- gewählten Rahmens einer knappen Einführung. Hier und dort müssen zwangsläufig Wünsche offenbleiben. Einem jüngeren Leserkreis (etwa heutigen Siegener Studierenden) würde es nicht leichtfallen, anhand bildungspolitischer Extrakte eine Beziehung zu den einstigen Anliegen der studierenden Elterngeneration zu entwickeln. Für Leser, die keine alteingesessenen Siegerländer sind, wäre es vielleicht interessant, Genaueres über die seinerzeitigen örtlichen Verhältnisse und besonders über die Mikrostandortwahl zu erfahren. Gerade dieses Thema ist allerdings in der Region legendenumwoben, so dass, wer sich nur auf das „kollektive Gedächtnis“ und nicht auf objektive Quellen stützt, leicht auf Abwege gerät. Zum Beispiel hatte die Stadt Siegen Ende 1969 nur 10 Tage nach dem Kreis ihren eigenen Anspruch auf eine Universität artikuliert, wie auch die Initiative für eine regionale (den Kreis einschließende) „Aktionsgemeinschaft Universität Siegen“ ein Vierteljahr später von ihr ausging – ein gegenüber dem Landkreis geringeres oder gar fehlendes Interesse, wie es in den Interviewfragen immer wieder suggeriert wird, lässt sich also kaum behaupten. Auch dass die Stadt sich „nicht entschließen konnte, einen angemessenen Bauplatz anzu- bieten“ (S. 18), gehört ins Reich der Fabel. Sie hätte ja gerne, konnte aber nicht. Entgegen der landläufigen Meinung eröffnete dies nun aber keinen Kalten Krieg zwischen den Siege-
  • 4. ner und Hüttentaler Verwaltungen, denn die Entscheidungsträger in der Siegmetropole waren (vielleicht im Gegensatz zu manchen lokalpatriotischen Stammtischrunden) einsichtsvoll genug, um die einzige realisierbare Option mitzutragen. Die Ausführungen zur Landespolitik mussten um der angestrebten Kürze willen ebenfalls auf die an sich wünschenswerte Tiefe verzichten, was dann auch, weil nicht erfragt, durch die Interviews nicht kompensiert wird. Bei einer großzügiger dimensionierten Darstellung würde ein guter Ansatzpunkt ja durchaus die (dann besser korrekt, d.h. nicht nach der Sekundär- literatur zitierte) Äußerung des – übrigens damals für den Hochschulbereich gar nicht mehr zuständigen – Kultusministers Holthoff zur Schließung von PH-Abteilungen (S. 17) sein. Verständlich wird sie nur im Kontext der ins „Nordrhein-Westfalen-Programm 1975“ einge- gangenen Hochschulausbaupläne des 1. Kabinetts Kühn. In dem Zusammenhang ist dann die Trendwende von der Metropolisierung zur Regionalisierung (2. Kabinett Kühn, nun mit Wissenschaftsminister Rau) aufschlussreich für die politische Szene vor 40 Jahren, wo manches Konzept mehr Anklang beim „Gegner“ als im eigenen Lager fand. So stand etwa die Forderung progressiver Vertreter der CDU nach einer Universitätsgründung im Sieger- land (besonders vom ehemaligen Kultusminister Paul Mikat erhoben) längst im Raum, bevor Johannes Rau in die Position gelangte, von der bisherigen sozialliberalen Kabinettspolitik abweichende Ideen verwirklichen zu können. Im übrigen ist es nicht verkehrt, sich hin und wieder darauf zu besinnen, dass die politische Praxis in diesem Staat auf Gewaltenteilung beruht. Zu sagen, „für die Entwicklung des Gesamthochschulmodells in NRW“ sei das Wissenschaftsministerium „zuständig“ gewesen (S. 12), beschreibt nur die eine Seite der Medaille. Wer Verständnis für die Hochschulreform der 1960er/70er Jahre sucht, kommt am Landtag schlichtweg nicht vorbei, wo neben inter- essanten Gladiatorenkämpfen (im Plenum) eben auch ernsthafte konzeptionelle Arbeit (im Kulturausschuss) geleistet wurde. Der Landtags-Kulturausschuss war übrigens der Ort, an den Abgeordnete der zu integrierenden Bildungsstätten eingeladen worden waren, um sich zum Entwurf des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes auszusprechen (Anhörung am 12.4.1972; aus dem Siegerland und Gummersbach waren neben H.-G. Vitt die Herren Witthöft, Rimbach, Roth sowie Studentenvertreter Wagner angereist). Ein Jahr zuvor hatte Rau seine (sicherlich im Ministerium kollektiv erarbeiteten) „Thesen“ vorgelegt und ausdrück- lich um Stellungnahmen der potentiell betroffenen Einrichtungen gebeten. Schon im Sommer 1970, kurz nach der Amtsübernahme, waren die Pädagogischen Hochschulen aufgefordert worden, Kommentare zum „Aufbau- und Strukturplan für die Gründung neuer Universitäten“ abzugeben; die eingehenden Stellungnahmen führten mit dazu, gegen Ende des Jahres das von Heinz Kühn goutierte Konzept der „Erziehungswissenschaftlichen Universitäten“ fallen- zulassen und sich für regional gestreute Gesamthochschulen zu entscheiden. So verständ- lich und nachvollziehbar es natürlich ist, dass die damaligen Praktiker „sich vor Ort über- gangen fühlten“ (S. 22) – Wer fühlt sich von seinen Dienstherren nicht übergangen? – sollte doch auch daran erinnert werden, dass gerade die Gesamthochschulerrichtung nicht als ein Paradebeispiel für etatistischen Machtmissbrauch in Anspruch genommen werden kann. Die Fokussierung des Blicks auf gewisse hervorstechende Charakteristika der Gesamthoch- schulkonzeption hat leicht zur Folge, dass die historische Dimension des Unternehmens – quasi der „Reformgeist an sich“ – übersehen wird. Der Intention nach sollte diese Konzeption eine Abkehr von dem in den Vorjahren beschrittenen Weg der separierten Reformen (mal für Volksschüler, mal für Ingenieurschüler, mal für angehende Lehrer) einleiten. Die Integration des tertiären Bereichs war nicht als isolierte Maßnahme beabsichtigt; sie sollte (nach den Vorstellungen Evers‘, Raus und Gleichgesinnter) in enge Beziehung zu Reformen des
  • 5. Sekundarbereichs (Integration von Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Berufsschulen) gebracht werden. Gesehen wurde auch – worauf aus den Kultus- und Wissenschaftsressorts heraus freilich kein Einfluss genommen werden konnte – die Reformbedürftigkeit des Öffent- lichen Dienstes mit seinem rigiden Berechtigungswesen, Verbeamtungstheater und Besol- dungsunrecht. Erst eine Humanisierung dieses Bereichs hätte letztendlich auch die Gesamt- schulen und Gesamthochschulen ihr volles Potential entfalten lassen; doch wäre hierzu ein gesamtgesellschaftlicher Wertewandel erforderlich gewesen, auf den der im pietistischen Wuppertal sozialisierte „Bruder Johannes“ vielleicht gehofft haben mag, der sich aber offen- sichtlich nicht einleiten ließ (und lässt). Dies alles in den Blick gefasst, wird deutlich, was hier eigentlich gescheitert und nicht einmal über erste Anfänge hinausgelangt war. Darüber kann auch das Beschwören formaler Übereinstimmungen zwischen damaligen und heutigen Orga- nisationsdetails nicht hinwegtäuschen. Es mag ja sein, dass konsekutive Studienmodelle, wie sie in den Reformjahren um 1970 entworfen worden waren, viel Ähnlichkeit mit dem aktuellen Bachelor-Master-System aufweisen. Solche Formalismen schönzureden, verstellt aber nur den Blick auf die unterschiedlichen Intentionen hinter beiden Prozessen. Ohne Zweifel waren auch diejenigen Protagonisten der 1960er/70er Jahre, die es wirklich ernst mit der Bildungsreform (als Katalysator für erhoffte gesamtgesellschaftliche Reformen) meinten, „Kinder ihrer Zeit“ und keine Heroen, aber zugestehen kann man ihnen immerhin den guten Willen, das Ideal der Humanität in die bildungspolitische Sphäre hineinzutragen. Mit der technokratischen Hochschulglobalisierung, die sich des Namens der ehrwürdigen Bologne- ser Universität bemächtigte, hat das nun gar nichts zu tun. (Als kleine Abschweifung sei auf die – einige Jahre vor dem Anstoß des „Bologna-Prozes- ses“ – anlässlich der 900-Jahr-Feier dort initiierte „Magna Charta der Universitäten“ hinge- wiesen, ein Bekenntnis abendländischer und außereuropäischer Hochschulen zu den Tradi- tionen humanitärer Bildung und deren Bewahrung unter den Herausforderungen der Zukunft – fraglos eine völlig nutzlose Gesinnungserklärung, die nichtsdestotrotz seit 1988 von bislang insgesamt 752 offensichtlich auch Zweckfreies schätzenden Universitätsrektoren und -präsi- denten unterzeichnet worden ist, darunter 30 Repräsentanten deutscher Universitäten, alter wie neuer Gründungen, einschließlich Duisburg/Essen und Paderborn. Siegen ist nicht dabei, warum auch, will man doch hier die Gesellschaft verwissenschaftlichen und keine Sentimentalitäten pflegen.) Wer aus der Perspektive eines der fünf Gründungsstandorte schreibt, wird leicht versucht sein, eine gewisse regionale Selbstbezogenheit nicht zu hinterfragen. Die legislatorische Errichtung von Gesamthochschulen in NRW und die Planung einer davon im Siegerland durch regionale Gremien sind, wie man sagt, zwei Paar Schuhe. Hier zu differenzieren, ist für das Verständnis des landespolitischen „Regionalisierungsprinzips“ wichtig. Dieses bedeu- tete eben gerade nicht, die am lautesten rufenden unterversorgten Regionen mit dem Geschenk einer Hochschule ruhigzustellen. Neue Universitäten sollten, worauf schon Paul Mikat ein paar Jahre vor 1972 hingewiesen hatte, nicht gebaut werden, „um den Städten eine Freude zu machen“. Die Bewilligung konkreter Makrostandorte konnte – daran ließ auch der Wissenschaftsminister nie einen Zweifel – allein das Ergebnis zentral vorgenommener komplexer Landesplanungen sein, ausgehend von prognostizierten Studierendenzahlen, Wanderbewegungen, gegenseitigen Beeinflussungen benachbarter Gründungen (z.B.: Würde eine Gesamthochschule in Paderborn der selbst noch am Aufbaubeginn stehenden Universität Bielefeld das Wasser abgraben?), sekundären Effekten für den Strukturwandel und so fort. Keine Überredungkraft hatte die persönliche Meinung von Stadtvätern, ihre Kommune sei besser als andere für die Ansiedlung einer Hochschule geeignet. Für die
  • 6. Doppelstadt Siegen/Hüttental und die vier übrigen dann gewählten Kandidaten traf dies, anders als für die vielen sonstigen Bewerber jener Zeit (insgesamt sollen es um die 40 gewe- sen sein), in der Tat zu, deshalb bekam das Siegerland eine Gesamthochschule (übrigens nicht, weil es „calvinistisch“ war und ein Gegengewicht zum katholischen Paderborn herge- stellt werden sollte, wie sich Manfred Zabel – S. 209 – zu erinnern glaubt). Des Biedenkopf- Lohmar-Gutachtens hätte es zur Beeinflussung der Landesregierung gar nicht bedurft; es diente mehr der regionalen Selbstvergewisserung, ob man ein solches Großprojekt auch „stemmen“ könne. Die für das Ministerium relevante Datenbasis lieferte ein von ihm wohl- weislich außerhalb der Landesgrenzen in Auftrag gegebenes wissenschaftliches Gutachten (Arbeitsgruppe Standortforschung an der Universität Hannover). Mit dem bewussten (natürlich der gewünschten Kompaktheit geschuldeten) Ausblenden des bildungspolitischen Geschehens vor der Thematisierung des Gesamthochschulmodells wird in Kauf genommen, dass ein wirklich abgerundetes Bild der Siegerländer Hochschul- geschichte nicht vermittelt werden kann. Nachdem sich das Land erst einmal grundsätzlich für den Weg der Regionalisierung entschieden hatte, war die Gründung einer Gesamthoch- schule im Siegener Raum nahezu unvermeidlich (was den Wert der ihr dargebrachten regionalen Bemühungen ja nicht schmälert), da sie sich aus längst geschaffenen Voraus- setzungen ableitete. Es gab in Nordrhein-Westfalen Anfang 1971 genau fünf Kommunen (wenn man Siegen und Hüttental hier als Einheit sehen will), die 1. selbst oder im nahen Einzugsbereich über keine Universität verfügten, 2. eine Pädagogische Hochschul-Abteilung beherbergten, 3. demnächst durch Zusammenschluss mehrerer höherer Fachschulen Sitz einer Fachhochschule werden sollten und 4. (was Hagen ausschloss) auf Jahre hinaus ein wachsendes Studierendenaufkommen erwarten ließen. Diese genau fünf Kommunen wurden nach dem Willen der Landesregierung und natürlich (worüber trotz der anders moti- vierten Ablehnung des GH-Entwicklungsgesetzes durch die CDU-Opposition parteiüber- greifender Konsens herrschte) auch des Landtags dafür vorgesehen, die Reformen in NRW ein Stück weit voranzubringen. Es hätte schwerwiegender Argumente seitens der Städte, etwa des Fehlens geeigneter Grundstücke bedurft, um sich diesem vom Land gewünschten Aufbauwerk entziehen zu können. Im Siegerland zum Beispiel wäre ein am Haardter Berg von frustrierten Häuslebauern angezettelter Bürgerkrieg vermutlich überzeugend genug für die Aufgabe des Projekts gewesen. Die Entscheidungsspielräume waren für die kommuna- len Körperschaften und Aktionsgemeinschaften 1971, als in Düsseldorf das Quintett der Hochschulen neuen Typs zusammengestellt wurde, durchaus bescheiden. Ob sie nun unbedingt wollten oder nicht, die Fünf hätten dazugehört; glücklicherweise wollten sie es alle. Die in der Konsequenz entscheidenden Weichen waren zu dieser Zeit längst gestellt worden. Um die Leistungen der regionalen Reformkräfte angemessen würdigen zu können, müsste die Gründung der Siegener Gesamthochschule in einem offeneren zeitlichen Rahmen betrachtet werden. Zum Beispiel hätte es ohne das jahrelange Festhalten am Wunsch nach sowohl einer Pädagogischen Hochschule als einer Ingenieurschule für Maschinenwesen in den 1950er/60er Jahren später keine Gesamthochschule gegeben. Ohne die geduldigen und zeitweise demütigenden Auseinandersetzungen mit gewissen Haubergsgenossen zu Beginn des Städtebauprogramms am Haardter Berg Anfang der 1960er Jahre hätte die Hüttentaler Verwaltung weder für die PH noch für die GH Grundstücke anbieten können. In Gummers- bach hätte das Misslingen des lange verfolgten Ingenieurschulplans (1963 verwirklicht) das Entstehen einer Einrichtung vereitelt, ohne die vermutlich Siegen nicht Sitz einer Fachhoch- schule geworden wäre. (Die oberbergische Außenabteilung steuerte mit ca. 1000 Studieren- den ein Drittel bei. Dass Gummersbach, bis 1983 dazugehörend, in der Festschrift weit-
  • 7. gehend unerwähnt bleibt, werden die dort tätig gewesenen noch lebenden „Gründer“ sicher- lich mit Enttäuschung registrieren.) Gern würde der Rezensent an dieser Stelle zusammenfassend sagen, die 25seitige „Grün- dungsgeschichte“ werfe mehr Fragen auf, als sie und die nachfolgenden Interviews beant- worten – gern, weil mit dem Entdecken von Frag-Würdigem die Bildung beginnt. Wenn die Darstellung solches bewirkt, hat sie womöglich nicht ihren beabsichtigten, wohl aber einen noch edleren Zweck erfüllt. Jedoch lehrt die Erfahrung, dass der Neugier des literarisch über- sättigten Publikums durchaus Grenzen gesetzt sind. Wo sich keine unmittelbare Betroffen- heit einstellt, wird die Lektüre meist folgenlos absolviert und zum nächsten zufällig präsenten Text übergegangen. Es ist ja das grundsätzliche Manko jeder Darstellung historischer Abläufe, dass den Empfän- gern wesentlich mehr Einzelheiten vorenthalten als mitgeteilt werden und die Auswahl nicht sie selbst frei und im Einklang mit ihren spezifischen Interesse-Nuancen vornehmen, son- dern der Vermittler nach seinen Kriterien. So entsteht „Geschichte aus zweiter Hand“, welche je nach dem Grad der „Verwissenschaftlichung“ die Rezipienten entweder gleichgültig lässt oder ihnen das trügerische Gefühl gibt, etwas verstanden zu haben, ohne dass sie es sich selbst erarbeiten mussten. Zwischen ihnen und den Zeugnissen der Vergangenheit steht immer die Subjektivität des Vermittlers (Achtung: Der Rezensent ist auch einer!), sei es als Filter für faktische Informationen, sei es als Übersetzer von Mannigfaltigkeit in abstrahierte Lehrsätze. Schreibende Historiker können diesem Dilemma schwerlich entrinnen, aber es wird sie im besten Fall stets an ihre Verantwortung mahnen: Da es sich nun einmal nicht vermeiden lässt, die Leser zu manipulieren, sollte man es wenigsten so quellenbasiert wie möglich tun. Freilich entspricht das zähneknirschend-geduldige Durchforsten von Archiven, die Kärrnerarbeit, dem dynamischen Naturell mancher Historiker eher wenig. Wer selbst dem alten Schlachtruf „Ad fontes!“ mit Blut, Schweiß und Tränen Folge zu leisten versucht, wird auf saloppere Annäherungen an die Historie mit großem Misstrauen blicken, zumal dann (was aber bei der Festschrift nicht der Fall ist), wenn sich unter dem Mantel der Geschichte nur „Brot und Spiele“ verbergen. Doch bevor dies allzusehr in Schwafelei ausartet, wenden wir uns hurtig dem Hauptteil des Buches zu, den Interviews. Diese stellen einen gewichtigen Versuch dar, „Oral History“ in die Geschichtsschreibung der Universität einzubeziehen. Respektabel ist dies allemal, sind doch von Mensch zu Mensch erzählte Geschichten ein Ferment der historischen Bewusstwerdung. „Oral History“ – meistens, aber nicht erschöpfend, mit „Geschichte von unten“ assoziiert – ist das Instrument zur Aufarbeitung der nicht oder zumindest nicht adäquat verschriftlichten Aspekte menschli- chen Treibens, solange noch Zeitgenossenschaft besteht. Ihr Gegenstand kann das Leben der sogenannten „kleinen Leute“ sein, die wenig materielles Erinnerungsgut hinterlassen, aber auch das der „größeren“, wenn etwa mentalitätsgeschichtliche Fragen interessieren. So wird man über die Befindlichkeiten deutscher Professoren und Fachhochschuldozenten um 1972 in der Tat am meisten erfahren, wenn man sie einfach reden lässt. Vergleichsweise wenig kann „Oral History“ zur institutionsgeschichtlichen Thematik im engeren Sinne beitra- gen, abgesehen von stets willkommenen Anekdoten, sofern es den Fragenden gelingt, solche hervorzulocken. Moderne Institutionen sind durchweg kollektive Schöpfungen und während des Entstehens auf die Absicherung kommunikativer Prozesse durch Schriftlichkeit angewiesen. Dem bei Großprojekten überwältigenden Corpus dokumentierter Überlieferung (die natürlich nicht mit der Sekundärliteratur zu verwechseln ist) wird aus persönlicher, nach
  • 8. Jahrzehnten ohnehin oft trügerischer Rückschau selten etwas bis dato Unbekanntes aber Wichtiges hinzufügbar sein. Solche verschütteten Erinnerungen bei Gesprächspartnern dann durch geschicktes Fragen vielleicht doch freizulegen, setzt eine sehr souveräne Kenntnis eben jener verschriftlichten Geschehnisse voraus – sowohl um für die offensive Gesprächs- führung gerüstet zu sein, als auch um das Erinnerte mit dem überlieferten Kontext in die rechte verifizierte Beziehung bringen zu können. Damit ist freilich nur gesagt, dass Interviews den durch Aufarbeitung des reichen archivi- schen Quellenmaterials möglichen Kenntnisstand über die Gesamthochschulerrichtung heute nicht mehr spektakulär bereichern. Das dürfte aber primär auch gar nicht die Moti- vation der Befragungen gewesen sein. Man könnte sie im Anklang an den ein wenig peinli- chen Slogan der Siegener Universität „Zukunft menschlich gestalten“ (Die Gegenwart dem- nach nicht???) unter das Motto stellen „Das Menschliche in der Vergangenheit verstehen“. Dies ist nicht ganz so trivial, wie es klingt. Obwohl natürlich erkundende Gespräche zunächst darauf hinzielen sollten, konkrete, in der jüngeren Vergangenheit wirkende oder sogar etwas gründende Persönlichkeiten zu verstehen, kann dies nicht die letzte Erfüllung von „Oral History“ sein. Die menschliche Gesellschaft war und ist kein wissenschaftlich organisiertes Laboratorium und Geschichte weder Versuchsprotokoll noch daraus abgeleitete Theorie. Geschichte kann sich ebenso wenig im Sammeln und Sortieren protokollierter Fakten (der „Quellen“ im weitesten Sinne, schriftlicher wie mündlicher) erschöpfen, wie sie sich von Theorieentwürfen reglementieren lassen darf. Die gegenwärtige Gesellschaft, in der gefragt wird, ist qualitativ nichts anderes, als die vergangene Gesellschaft, aus der die Antworten erhofft werden: eine Bühne für das aktive Handeln und passive Behandelt-Werden von Menschen (die „Taten und Leiden“, wie es Goethe nannte) in der Spannung zwischen indivi- dueller Behauptung und kollektiver Vereinnahmung. Die konventionelle Frage „Wie ist etwas objektiv gewesen?“ führt noch nicht über die virtuelle Grenze der Zeit hinaus, obgleich sie sehr komplexe Glasperlenspiele anregen kann. Existentielle Bedeutung für Menschen in der Gegenwart erlangt Geschichtserkenntnis erst, wenn sie die menschlichen Irrungen und Wirrungen in der Vergangenheit verstehen hilft. Dann könnte aus der Geschichte vielleicht (!) sogar gelernt werden. Soweit das Ideal. Wer die gedruckten Interviews liest, wird sich bewusst sein, dass es Nachschriften sind; solche können nicht die Lebendigkeit leibhafter Gespräche abbilden, wie es Filmaufnahmen möglich ist. (Die Mitschnitte werden voraussichtlich später auf DVD veröffentlicht.) Leider fehlen im Buch Auskünfte über den Charakter der sicherlich stattgefundenen redaktionellen Bearbeitung. Sind die Niederschriften gekürzt, sind sie geglättet? Geben sie die spontanen Redebeiträge wieder oder nachträglich autorisierte Versionen? Wurden noch mehr Inter- views als die 18 transkribierten geführt und wenn ja, nach welchen Kriterien erfolgte die Endauswahl? Das Fehlen von Hintergrundinformationen macht es schwer, die Kollektion gerecht zu beurteilen. Den Lesern wird ja kaum eine gewisse Unausgewogenheit entgehen, die sich vielleicht versehentlich ergeben hat, womöglich aber auch durch Sachzwänge bedingt war. Ohne Frage wäre es gar nicht möglich gewesen, jeden voraussichtlich inter- essanten Gesprächspartner einzubeziehen. Auch 18 solcher Befragungen, zum Teil mit Reisen verbunden, haben zweifellos mehr Mühe und Aufwand erfordert, als viele einsiedle- risch über Akten brütende Historiker (oder Rezensenten) zu investieren bereit gewesen wären. Die eine oder andere Persönlichkeit, von der zu vermuten ist, dass sie eigentlich interviewt werden sollte, hat dies nicht mehr erlebt, weil sie im Laufe der letzten drei Jahre verstorben ist. Es könnte gelegentlich auch persönliche Gründe gegeben haben, für ein
  • 9. Gespräch nicht zur Verfügung zu stehen. Über die Auswahl mag man sich also wundern, sollte jedoch nicht zu viel hineininterpretieren. Natürlich fällt auf, dass nur eine einzige Frau zu Wort kommt, welche zugleich auch noch die einzige Vertreterin des nichtwissenschaftlichen Gesamthochschulpersonals ist. Frauen an den Herd oder allenfalls an die Schreibmaschine? Solcher Gesinnung sind die Autoren nun wirklich nicht zu verdächtigen! Wie immer diese Diskrepanz (Altrektor Rimbach hätte tadeln- de Worte gefunden) verursacht sein mag, illustriert sie jedenfalls treffend die Situation zur Gründungszeit der Gesamthochschule. Nicht einmal 5 % der 1972/73 in Siegen tätigen Hochschullehrer waren Frauen; deren Domäne bildete der Verwaltungsbereich, vor allem der Schreibdienst, denn Leitungsposten waren natürlich ausnahmslos maskulin besetzt. Die Wahl der Gesprächspartner (1 Rektor, 2 Kanzler, 1 Landrat, 1 IHK-Präsident, 2 hohe Ministerialbeamte, daneben etliche Professoren) könnte den Eindruck einer ausgeprägten Herrschaftsfreundlichkeit seitens der Festschriftautoren erwecken, was aber sicherlich ein Fehlurteil wäre, würde man doch bei Frau Hering und Herrn Schilde anhand ihrer Lebens- läufe ein eher gemäßigt „linkes“ Selbstverständnis vermuten. Gleichwohl kommt natürlich die Tatsache zu kurz, dass die Gründungszeit der Gesamthochschule noch mehr umfasste als höchst anspruchsvolle wissenschaftliche Unternehmungen. Die Belastungen dürften in den von Bauarbeiten und Umzügen begleiteten Anfangsjahren für die Mitarbeiter aus Technik und Verwaltung besonders groß gewesen sein und ihre Verdienste um das Aufbauwerk, soweit sie sich an individuellem Engagement messen lassen, nicht minder respektabel als die des wissenschaftlichen Personals. Es kann bezweifelt werden, ob dieser Gruppe die Befragung einer einzelnen „Alibi-Sekretärin“ das Gefühl gibt, an der Festtafel willkommen zu sein. Freuen darf man sich mit den Autoren darüber, dass es ihnen gelungen ist, Dietrich Küchen- hoff und Hans Engel, seinerzeit Gruppenleiter und Regionalreferent im Wissenschaftsmini- sterium, als Zeitzeugen zu gewinnen: Man spricht ja oft leichthin abfällig von der „Ministerial- bürokratie“ und verbindet damit vielleicht die regelmäßig wiederkehrenden Signaturen unter amtlichen Schriftstücken. Durch den Auftritt der beiden sympathischen älteren Herren wird man daran erinnert, dass auch hinter den Düsseldorfer Bürotüren ganz normale Menschen ihrem Tageswerk nachgingen. Auf einen aus seiner Sicht schwerwiegenden Mangel hinzuweisen, bleibt dem Rezensenten nicht erspart. Die integrierten Gesamthochschulen sollten drei Kategorien tertiärer Bildungs- einrichtungen zu neuen Einheiten verschmelzen. Wenn in der Siegener Rückschau nur zwei Dritteln des Trios Beachtung geschenkt wird, ergibt sich ein sehr unvollständiges, wenn nicht verzerrtes Bild der Gründung und hat dies zur Folge, dass sich eine wichtige Gruppe der Gründer brüskiert fühlen muss. Ohne die Existenz und Bewährung der Pädagogischen Hochschule wäre im Siegerland keine Gesamthochschule entstanden. Dass ihre Integration nicht reibungslos ablaufen würde, dürfte damals niemanden überrascht haben: Die Vertreter der PH kamen gewissermaßen zwischen den Stühlen der übergeleiteten Fachhochschul- dozenten, die für sie eine eher fremde Welt repräsentierten, und der berufenen Universitäts- professoren, von denen sie sich nicht recht ernstgenommen fühlten, zu sitzen. In einem Rückblick auf die Gründung und die Gründer hätten sie, neben den beiden anderen Personengruppen, nicht fehlen dürfen. Wenn sie womöglich auch als ein etwas komplizierter Partner im Dreiergespann wahrgenommen wurden (wie es z.B. im Gespräch mit Berthold Stötzel anklingt), wäre es nur recht und billig gewesen, an das von ihnen eingebrachte Positive zu erinnern. Die Lehrerausbildung war ein Standbein der Gesamthochschule, und
  • 10. an ihrem wohl guten Ruf hatten sicherlich die den Paradigmen der PH verpflichteten Kollegen einen besonderen Anteil. Welche Konflikte gab es zwischen den von klassischen philosophischen Fakultäten nach Siegen berufenen Hochschullehrern und den im gleichen Fach arbeitenden PH-Professoren mit ihrem mehr lebensnah-didaktischen Ansatz? Trifft es zu, dass die Universitätsleitung auch noch Jahrzehnte später lieber an Traditionen wie die der Wiesenbauschule erinnert werden möchte als an die der PH? Wie viel von der Pädagogi- schen Hochschule Westfalen-Lippe, Abteilung Siegerland, wirkt heute noch in der Universität Siegen nach, was hat sich nicht durchgesetzt oder ist mit „Bologna“ verschwunden? Was ließe sich nach den Erfahrungen von 8 + 40 Jahren – mit erweitertem Blick auf die preußi- schen Reformen der Lehrerausbildung um 1926, ohne die das Phänomen „Pädagogische Hochschule“ kaum zu verstehen ist, den künftigen Siegener Pädagogen mit auf den Weg geben? Aus der Festschrift ist all dies nicht zu ersehen, und das betrübt den Rezensenten ebenso, wie es manchen Leser enttäuschen wird. Freundliche Neugier und ein vorgefertigter Katalog recht allgemein gehaltener Fragen genü- gen noch nicht, um jedes Interview mit dem bestmöglichen Ergebnis abzuschließen. Eine denkbare Alternative zu netten solitären Plaudereien wäre gewesen, jeweils zwei oder drei in ihren Ansichten vermutlich divergierende Zeitzeugen zu behutsam moderierten Streitgesprä- chen einzuladen. Natürlich hängt der Ertrag eines Interviews auch immer von Temperament und Erfahrungshintergrund des Befragten ab, so wie der Aussagewert für den Leser in gewissem Maße durch persönliche Faktoren wie Sympathie oder nähere Bekanntschaft beeinflusst wird. Deshalb soll hier gar nicht erst versucht werden, die einzelnen Beiträge zu charakterisieren. Das menschliche Gedächtnis hat bekanntlich seine Tücken, und es wäre sehr erstaunlich, bei dem insgesamt so umfangreichen Rückblick auf vor mehreren Jahrzehnten erlebte Geschehnisse nicht die eine oder andere faktische Ungereimtheit zu entdecken. Durch noch sorgfältigere Endredaktion hätte gewiss vermieden werden können, manches Irreführende an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Wenn etwa die Chronologie durcheinander gerät (z.B. S. 208), sollte das für gut vorbereitete Bearbeiter leicht erkennbar sein; wenn sich in der Erinnerung Tatsache und Wunschbild unglücklich vermischt haben (S. 182), hätte man das durch einen Blick in die alten Protokolle unschwer aufklären können. Aber es muss jetzt nicht argwöhnisch nach Haaren in der Festtagssuppe geforscht und jedes Versehen oberlehrer- haft zur Sprache gebracht werden. Die Interviews sind keine Examen. Wer sie liest, wird den Befragten das gleiche zugestehen, was er im Zeugenstand für sich selbst beanspruchen würde, nämlich dass Irren menschlich ist. Vorhin ist von den Interviews als einem „Versuch“ die Rede gewesen, und das war nicht despektierlich gemeint. Geschichte als bewusstes Nachzeichnen von Geschehenem ist ein stetiger Prozess, nichts innerhalb von drei Jahren oder der Lebensspanne von Personen Abzuschließendes. Sie hat Werkstattcharakter. Der einzelne Beiträger kann – auch wenn er für sich selbst nach Vollendung streben mag – letztendlich doch nur „Versuche“ unterneh- men und darauf hoffen, dass sich irgendwo in der großen Werkstatt Kollegen zur Weiterfüh- rung des Begonnenen angeregt fühlen werden. Zu den Anhängen: Das „Personenglossar“ (S. 215-250), eine anerkennenswerte Fleißarbeit, bringt Biogramme der Interviewpartner und zahlreicher weiterer im Kontext mehr oder minder relevanter Persönlichkeiten. Manche, die eher als andere dazugehören würden, fehlen – was sich natürlich leicht monieren lässt, wenn man selbst von der sich irgendwann unweigerlich einstellenden „Betriebsblindheit“ nicht betroffen war. (Was würden Freud und die Gleich-
  • 11. stellungsbeauftragte dazu sagen, dass sämtliche männliche Rektoren von Woll bis Burckhart aufgenommen wurden, nicht aber Frau Hantos? Ekkehard Birnstiel, den letzten Leiter der Höheren Wirtschaftsfachschule, hätte man nicht vergessen sollen, zumal der alte Herr das Buch wahrscheinlich noch in die Hand bekommen wird. Auf die „PH-Abstinenz“ ist oben schon eingegangen worden.) Die Erstellung des 20seitigen Literaturverzeichnisses („zur Geschichte des Gesamthoch- schulmodells / Universität Siegen“) dürfte, wie es solche Hilfsmittel nun einmal erfordern, dem Kompilator einige Mühe abverlangt haben – für die er keinen angemessenen Dank ernten wird: Lesern, die einen eher feuilletonistischen Zugang zur Thematik suchen, muss das Verzeichnis überfrachtet erscheinen; zur Vorbereitung systematischer Recherchen würde man auf umfänglichere Bibliografien zurückgreifen. Ein paar Worte noch zu Äußerlichkeiten, denn das Auge isst bekanntlich mit – besonders dann, wenn leicht verdauliche Speisen serviert werden, bei denen scharfe Zähne und ätzende Magensäure nicht viel zu tun bekommen. Die ebenso schlichte wie geschmackvolle Aufmachung und die handwerklich solide Herstel- lung des Bandes verdienen hervorgehoben zu werden; sie entsprechen dem Anlass des Ent- stehens. Als für alternde Knaben wie ihn gerade noch zumutbar empfand der Rezensent die Schriftgröße – ein Ärgernis dürfte sie aber für die im achten oder neunten Lebensjahrzehnt stehenden Leser sein, denen als Angehörigen der Gründergeneration das Buch ja auf den Gabentisch gelegt worden ist. Die bildliche Ausstattung wurde – hoffentlich nicht mit Rück- sicht auf das calvinistische Erbe des Verlagsortes – sehr karg gehalten; außer kleinen Porträts der Interviewten mit dem Charme von Passbildern gibt es nichts. Eine Festschrift aber, in der nur gelesen werden kann, ist wie ein Fest, bei dem nur geredet wird. Wäre nicht der eine oder andere Gesprächspartner bereit gewesen, seine alten Fotoalben zu öffnen? „Die Gründung und die Gründer“ ist ein Buch, das – Welch eine Binsenweisheit! – unter der Hand anderer Autoren und Redakteure anders ausgefallen wäre. „Anders“ könnte heißen: dieses oder jenes Detail prononcierter auszuarbeiten, bei mancher Ansicht die Perspektive des Frosches gegen die des Vogels zu tauschen oder umgekehrt, hier und dort die glatte Oberfläche aufzurauhen, den einen oder anderen Nebenschauplatz zu erkunden ... – „anders“ heißt nicht zwangsläufig: als Ganzes besser. Das Buch wendet sich zunächst einmal an die im Titel genannte Zielgruppe. Wer zu den „Gründern“ gehörte, wird seine eigenen Erfahrungen sicherlich – ob schwarz auf weiß oder zwischen den Zeilen – reflektiert finden, wird sich in seiner Empfindung, Profiteur oder Verlierer gewesen zu sein, bestätigt fühlen. Die Aufmerksamkeit dieses überschaubaren, von Jahr zu Jahr mehr schwindenden Publikums ist der Festschrift zu recht sicher. Die außerhalb der Festgemeinde stehenden Interessenten sollten sich klarmachen, was diese Veröffent- lichung nicht sein will und deshalb auch nicht ist: weder eine sensationslüsterne Enthüllungs- story noch eine historische Dokumentation, wie sie Universitäten nach mehrhundertjährigem Bestehen herauszugeben pflegen. Alles in allem ist es ein anständiges Buch geworden, das mit anständigen Worten auf seinen Weg zu den Lesern geschickt werden kann. Damit sei es geschlossen und das Auge noch für einen Moment am Einband erquickt, dessen Farbgebung natürlich, wer würde daran zweifeln, der schönen blauen Sieg ebenso wie dem ewig strahlenden Himmel über der Universität nachempfunden ist. Peter Kunzmann