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Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte
          Ludwig Boltzmann Institute of Human Rights




Presseaussendung – 03. Dezember 2009:
Stellungnahme des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte zum Schweizer
Minarettverbot



Laut Abstimmungsergebnis einer Schweizer Volksinitiative vom letzten Wochenende – initiiert durch
die SVP (Schweizerische Volkspartei) sowie die Eidgenössische Demokratische Union (EDU) – soll es
eine neue Verfassungsbestimmung geben, die den Bau von Minaretten in der Schweiz gänzlich ver-
bietet („Der Bau von Minaretten ist verboten.“). Versuche, den Bau von Moscheen zu verhindern sind
aber kein Einzelphänomen in Europa:

In letzter Zeit mehren sich Initiativen, die – auf eher indirektem Wege – darauf abzielen, die Errichtung
von Moscheen und Minaretten zu verbieten oder zumindest zu erschweren (so zB in Vorarlberg und
Kärnten durch die Einführung von raumplanerischen bzw. baurechtlichen Normen). Als Begründung
wird in der Schweiz von den InitiatorInnen der Abstimmung (ähnlich wie in Österreich) die Verteidi-
gung christlicher Grundwerte und die Verhinderung islamischer Machtsymbole angeführt (in
Österreich zusätzlich die Lösung von „Integrationsproblemen“ sowie der Schutz des Ortsbildes).

Ein absolutes Verbot des Minarettbaus verstößt eindeutig gegen völkerrechtliche Verpflichtungen der
Schweiz – dies hat auch bereits der Schweizer Bundesrat festgestellt: so insbesondere gegen die
Religionsfreiheit, die auch die Religionsausübungsfreiheit umfasst (Art 9 der Europäischen Konven-
tion zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK); Art 18 des Internationalen Pakts
über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)) wie auch gegen das Diskriminierungsverbot (Art 14
EMRK). Genauso wäre ein Verbot in Österreich ein eklatanter Verstoß gegen diese internationalen
Bestimmungen.

Wenn BefürworterInnen des Verbots argumentieren, dass es zur Religionsausübung der MuslimInnen
keines Minaretts bedarf, ist dem entgegenzuhalten, dass Art 9 EMRK doch gerade auch religiöse
Gebräuche sowie die Sichtbarmachung des Glaubens durch religiöse Symbole wie Minarette
oder Kirchtürme schützt. Hier ist es auch unerheblich, ob Glaubensvorschriften wie der Koran die Er-
richtung solcher Bauten vorschreiben oder nicht. Während Kirchtürme als Symbol des christlichen
Glaubens selbstverständlich Teil des Ortsbildes fast jeder Gemeinde sind, so wollen auch z.B. Men-
schen mit islamischem Glaubensbekenntnis in der Öffentlichkeit durch Moscheen sichtbar sein, in
denen sie ihre Religion ausüben. Bestimmte Bürgerbewegungen und politische Parteien interpretieren
diesen Teil des Rechts auf Religionsausübungsfreiheit als Kontrolle des Islam über das abendländi-
sche Territorium und schüren damit Ängste vor „dem Islam“ und vor allen MuslimInnen.




                              A-1010 Wien, Freyung 6, 1. Hof, Stiege II
                       Tel.: +43-(0)1-4277/27420, Fax: +43-(0)1-4277/27429
                   e-mail: bim.staatsrecht@univie.ac.at, Internet: http://bim.lbg.ac.at
Ein generelles Minarettverbot ist auch als diskriminierend (Art 14 in Verbindung mit Art 9 EMRK) zu
qualifizieren, da es nur muslimische Religionsausübende hinsichtlich ihrer Religionsausübungsfreiheit,
also des Rechts ihre religiösen Symbole in der Öffentlichkeit zu errichten, trifft. Erschwerend kommt
hinzu, dass aufgrund der langen christlichen Tradition in der Schweiz die Infrastruktur für Angehörige
der christlichen Glaubensrichtung bereits in ausreichendem Maße vorhanden ist, für die circa 400.000
sich zum Islam bekennenden und zum Teil auf Dauer niedergelassenen Menschen bislang jedoch erst
wenige (insgesamt vier) nach außen in Erscheinung tretende Moscheen mit Minarett errichtet wurden.

Bei der Debatte nicht zu übersehen ist, dass – wie auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte wiederholt festgestellt wurde – die Gewährleistung der Religionsfreiheit eine der Grundlagen
einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft darstellt. Aufgabe des Staates ist es daher,
selbst bei religiösen Konflikten gegenseitigen Respekt und Toleranz der verschiedenen Überzeu-
gungen zu sichern und nicht die Pluralität als Ursache von Konflikten zu beseitigen. Der Staat
muss also vor der Unterdrückung einzelner Religionen wie auch vor Unterdrückung, die mit religiösen
Motiven argumentiert, schützen. Um die Religionsausübungsfreiheit auch für AnhängerInnen des is-
lamischen Glaubens zu gewährleisten, wäre daher der Gesetzgeber vielmehr gefordert, bei Plänen
zur Errichtung von Moscheen oder Minaretten Regelungen zu schaffen, die eine stärkere gleichbe-
rechtigte Einbindung aller Beteiligten vorsehen. Weiters darf der Islam an dieser Stelle nicht mit „Isla-
mismus“ im Sinne einer politisch totalitären Einstellung gleichgesetzt werden. Letztere wäre auch nicht
durch das Recht auf Religionsfreiheit geschützt.

Abgesehen davon, dass ein generelles Verbot ohnehin per se bereits eine Verletzung der Religions-
freiheit darstellt, so würde auch das geltend gemachte Argument, dass mit einem Minarettverbot
christliche Grundwerte verteidigt und islamische Machtsymbole verhindert werden sollten, ins Leere
laufen: Einerseits sind gesetzliche Bestimmungen, die die Errichtung von muslimischen Sakralbauten
verbieten, in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Andererseits sind
solche Bestimmungen nicht geeignet, sogenannte „Integrationsprobleme“, die unter anderem auch
durch eine gescheiterte bzw. nicht vorhandene Integrationspolitik entstanden sind, zu lösen. Vielmehr
könnten Moscheen und Minarette Grundlagen für den Islam schaffen, aus der privaten Sphäre her-
aus in den öffentlichen Raum einzutreten und sich als Gesprächspartner für die Gesellschaft
zu qualifizieren. Mehr Dialog könnte emotional geführte Reaktionen in sachliche Bahnen lenken und
zu gemeinsamen Lösungen führen.

Siehe dazu auch die Stellungnahme von ECRI (Europäische Kommission gegen Rassismus und Into-
leranz des Europarates) vom 01.12.2009.


Rückfragehinweis:
Mag.a Margit Ammer
Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte
Tel. 01/4277-27462
E-Mail: margit.ammer@univie.ac.at




                               A-1010 Wien, Freyung 6, 1. Hof, Stiege II
                        Tel.: +43-(0)1-4277/27420, Fax: +43-(0)1-4277/27429
                    e-mail: bim.staatsrecht@univie.ac.at, Internet: http://bim.lbg.ac.at

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Presseaussendung Minarettverbot 2009 12 03

  • 1. Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte Ludwig Boltzmann Institute of Human Rights Presseaussendung – 03. Dezember 2009: Stellungnahme des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte zum Schweizer Minarettverbot Laut Abstimmungsergebnis einer Schweizer Volksinitiative vom letzten Wochenende – initiiert durch die SVP (Schweizerische Volkspartei) sowie die Eidgenössische Demokratische Union (EDU) – soll es eine neue Verfassungsbestimmung geben, die den Bau von Minaretten in der Schweiz gänzlich ver- bietet („Der Bau von Minaretten ist verboten.“). Versuche, den Bau von Moscheen zu verhindern sind aber kein Einzelphänomen in Europa: In letzter Zeit mehren sich Initiativen, die – auf eher indirektem Wege – darauf abzielen, die Errichtung von Moscheen und Minaretten zu verbieten oder zumindest zu erschweren (so zB in Vorarlberg und Kärnten durch die Einführung von raumplanerischen bzw. baurechtlichen Normen). Als Begründung wird in der Schweiz von den InitiatorInnen der Abstimmung (ähnlich wie in Österreich) die Verteidi- gung christlicher Grundwerte und die Verhinderung islamischer Machtsymbole angeführt (in Österreich zusätzlich die Lösung von „Integrationsproblemen“ sowie der Schutz des Ortsbildes). Ein absolutes Verbot des Minarettbaus verstößt eindeutig gegen völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz – dies hat auch bereits der Schweizer Bundesrat festgestellt: so insbesondere gegen die Religionsfreiheit, die auch die Religionsausübungsfreiheit umfasst (Art 9 der Europäischen Konven- tion zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK); Art 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)) wie auch gegen das Diskriminierungsverbot (Art 14 EMRK). Genauso wäre ein Verbot in Österreich ein eklatanter Verstoß gegen diese internationalen Bestimmungen. Wenn BefürworterInnen des Verbots argumentieren, dass es zur Religionsausübung der MuslimInnen keines Minaretts bedarf, ist dem entgegenzuhalten, dass Art 9 EMRK doch gerade auch religiöse Gebräuche sowie die Sichtbarmachung des Glaubens durch religiöse Symbole wie Minarette oder Kirchtürme schützt. Hier ist es auch unerheblich, ob Glaubensvorschriften wie der Koran die Er- richtung solcher Bauten vorschreiben oder nicht. Während Kirchtürme als Symbol des christlichen Glaubens selbstverständlich Teil des Ortsbildes fast jeder Gemeinde sind, so wollen auch z.B. Men- schen mit islamischem Glaubensbekenntnis in der Öffentlichkeit durch Moscheen sichtbar sein, in denen sie ihre Religion ausüben. Bestimmte Bürgerbewegungen und politische Parteien interpretieren diesen Teil des Rechts auf Religionsausübungsfreiheit als Kontrolle des Islam über das abendländi- sche Territorium und schüren damit Ängste vor „dem Islam“ und vor allen MuslimInnen. A-1010 Wien, Freyung 6, 1. Hof, Stiege II Tel.: +43-(0)1-4277/27420, Fax: +43-(0)1-4277/27429 e-mail: bim.staatsrecht@univie.ac.at, Internet: http://bim.lbg.ac.at
  • 2. Ein generelles Minarettverbot ist auch als diskriminierend (Art 14 in Verbindung mit Art 9 EMRK) zu qualifizieren, da es nur muslimische Religionsausübende hinsichtlich ihrer Religionsausübungsfreiheit, also des Rechts ihre religiösen Symbole in der Öffentlichkeit zu errichten, trifft. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund der langen christlichen Tradition in der Schweiz die Infrastruktur für Angehörige der christlichen Glaubensrichtung bereits in ausreichendem Maße vorhanden ist, für die circa 400.000 sich zum Islam bekennenden und zum Teil auf Dauer niedergelassenen Menschen bislang jedoch erst wenige (insgesamt vier) nach außen in Erscheinung tretende Moscheen mit Minarett errichtet wurden. Bei der Debatte nicht zu übersehen ist, dass – wie auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschen- rechte wiederholt festgestellt wurde – die Gewährleistung der Religionsfreiheit eine der Grundlagen einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft darstellt. Aufgabe des Staates ist es daher, selbst bei religiösen Konflikten gegenseitigen Respekt und Toleranz der verschiedenen Überzeu- gungen zu sichern und nicht die Pluralität als Ursache von Konflikten zu beseitigen. Der Staat muss also vor der Unterdrückung einzelner Religionen wie auch vor Unterdrückung, die mit religiösen Motiven argumentiert, schützen. Um die Religionsausübungsfreiheit auch für AnhängerInnen des is- lamischen Glaubens zu gewährleisten, wäre daher der Gesetzgeber vielmehr gefordert, bei Plänen zur Errichtung von Moscheen oder Minaretten Regelungen zu schaffen, die eine stärkere gleichbe- rechtigte Einbindung aller Beteiligten vorsehen. Weiters darf der Islam an dieser Stelle nicht mit „Isla- mismus“ im Sinne einer politisch totalitären Einstellung gleichgesetzt werden. Letztere wäre auch nicht durch das Recht auf Religionsfreiheit geschützt. Abgesehen davon, dass ein generelles Verbot ohnehin per se bereits eine Verletzung der Religions- freiheit darstellt, so würde auch das geltend gemachte Argument, dass mit einem Minarettverbot christliche Grundwerte verteidigt und islamische Machtsymbole verhindert werden sollten, ins Leere laufen: Einerseits sind gesetzliche Bestimmungen, die die Errichtung von muslimischen Sakralbauten verbieten, in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Andererseits sind solche Bestimmungen nicht geeignet, sogenannte „Integrationsprobleme“, die unter anderem auch durch eine gescheiterte bzw. nicht vorhandene Integrationspolitik entstanden sind, zu lösen. Vielmehr könnten Moscheen und Minarette Grundlagen für den Islam schaffen, aus der privaten Sphäre her- aus in den öffentlichen Raum einzutreten und sich als Gesprächspartner für die Gesellschaft zu qualifizieren. Mehr Dialog könnte emotional geführte Reaktionen in sachliche Bahnen lenken und zu gemeinsamen Lösungen führen. Siehe dazu auch die Stellungnahme von ECRI (Europäische Kommission gegen Rassismus und Into- leranz des Europarates) vom 01.12.2009. Rückfragehinweis: Mag.a Margit Ammer Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte Tel. 01/4277-27462 E-Mail: margit.ammer@univie.ac.at A-1010 Wien, Freyung 6, 1. Hof, Stiege II Tel.: +43-(0)1-4277/27420, Fax: +43-(0)1-4277/27429 e-mail: bim.staatsrecht@univie.ac.at, Internet: http://bim.lbg.ac.at