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Friedrich Ebert als Reichspräsident
Author(s): Günter Arns
Source: Historische Zeitschrift. Beihefte, New Series, Vol. 1, Beiträge zur Geschichte der
Weimarer Republik (1971), pp. 1-30
Published by: Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH (and its subsidary Akademie Verlag GmbH)
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/20519403 .
Accessed: 29/03/2011 17:39

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FRIEDRICH                     EBERT            ALS REICHSPRASIDENT
                                                    VON

                                         GUNTER             ARNS

                                                      I.

WAHREND                  tiber die Reichsprasidentschaft Paul von Hinden
burgs eingehende Detailuntersuchungen      gerade auch aus jiingerer
Zeit vorliegen, hat Friedrich Eberts Wirken      als Reichsprasident
bislang eine mehr oberflachliche   Betrachtung     erfahren. Eine auf
Primarquellen   basierende Biographie   Eberts   fehltl), und wer ein
wertendes Urteil iuber dessen Reichsprasidententatigkeit sucht,
sieht sich auf Randbemerkungen      verwiesen. Dabei wird ganz uber
wiegend die Ansicht vertreten, daB Ebert auf die Politik ,,betracht
 lichen EinfluB" ausgetibt2), daB er ,,in mehr als einer Krise ent
scheidend eingegriffen" habe3), daB sein ,,Verdienst um die Erhal
 tung verfassungsmaBiger     Zustande    und der Reichseinheit   [...]
kaum tiberschatzt werden" konne4).
     Solche Ansicht    ist sicherlich eine Konsequenz      der unbefriedi
genden Quellenlage,     die eine Beschrankung        auf die - allerdings
umfangreiche     - Memoirenliteratur     der Weimarer    Zeit geradezu zu
erzwingen     schien. Die einschlagigen      Akten    aus dem Buro des
Reichsprasidenten,    die viel zur Erhellung der Amtsfuihrung Eberts
und seines Einflusses     beitragen    dturften, sind als Archivgut     des
Potsdamer Zentralarchivs      westlichen Historikern     nur sehr begrenzt

x)Waldemar    Besson,              Friedrich     Ebert.     Verdienst     und    Grenze  (Pers?nlich
keit und Geschichte,             Bd.  30), G?ttingen    1963, referiert          nur summarisch      die
                                   Eberts.   Von     dem Werk      von          Georg   Kotowski,
Reichspr?sidentenzeit
Friedrich     Ebert.      Eine                    Biographie,        liegt bisher   nur der Band              1
                                   politische
 (?Der   Aufstieg       eines    deutschen      Arbeiterf?hrers         1871 bis 1917", Wiesbaden

 1963)   vor.

 2) So   Peter    Haungs,     Reichspr?sident       und parlamentarische                      Kabinetts

regierung.     Eine   Studie   zum Regierungssystem         der Weimarer                    Republik          in
den Jahren       1924 bis 1929, K?ln/Opladen        1968, S. 175.
3) So Andreas        Dor palen,     Hindenburg       in der Geschichte                     der Weimarer

Republik,   Berlin/Frankfurt       1966,           S. 68.

 4) So Georg Kotowski,         ?Friedrich            Ebert",       in: Neue     Deutsche     Biographie,
Bd. 4, Berlin    1959, S. 256.

     Historische Zeitschrift, Beiheft     1                                                               1
2                                       Giinter A ns


zuganglich; private Papiere des ersten Weimarer Staatsoberhauptes
sind nach dem derzeitigen Stand der Forschung               nicht uiberliefert.
Man ist demnach         auf das Primarquellenmaterial         anderer Prove
nienz, an erster Stelle auf die vom Bundesarchiv               in Koblenz    be
 treuten Akten       der Reichskanzlei       und auf NachlaBpapiere         von
Personen aus der unmittelbaren           Umgebung     Eberts, angewiesen.
      Hier aber erhebt sich gleich die Frage nach dem Quellenwert,
- nicht des einzelnen Dokumentes,              sondern generell. Als unbe
streitbare Tatsache bleibt etwa festzuhalten,          daB Ebert wiederholt
an Kabinettssitzungen         teilgenommen     hat. Was beweist      indes eine
derartige Teilnahme       ? Tatsache     ist namlich andererseits,     daB der
Reichsprasident       im Kabinett     kein Stimmrecht     besaB5). Es miiBte
also gepruft werden,         inwieweit    eine Anregung     Eberts wahrend
einer Kabinettssitzung        von den Ministern      bewuBt oder unbewuBt
als Richtlinienerteilung      aufgefaBt wurde, inwieweit eine Meinungs
aiuBerung Eberts direkt oder indirekt in einen KabinettsbeschluB
Eingang gefunden hat, Fragen, die auch bei sorgfaltigster Analyse
der Sitzungsprotokolle         auBerst schwierig und kaum vollig sicher
zu beantworten       waren. Des weiteren mthBte geprtift werden, wie
wichtig dem Reichsprasidenten ein Beratungsgegenstand erschien,
um an einer Kabinettssitzung          teilzunehmen    oder femzubleiben,
 in welchem MaBe Ebert von auBen her (durch Zeitungsinterviews
oder durch informelle Besprechungen           mit Ministern     und Parla
mentariern)     auf den EntscheidungsprozeB         des Kabinetts    einzu
wirken    versucht  hat bzw. in welchem MaBe ein Kabinettswille
durch eine derartige    ,,mediatisierte"    Einwirkung    tatsachlich mit
bestimmt wurde.
     Angesichts     dieser Problematik    kann die folgende Betrachtung
nur eine provisorische      Skizze entwerfen, mehr Anregung          vermit
teln als AbschlieBendes      bieten wollen. Auch mag von vornherein
festgestellt  sein, daB - wenngleich     einige Andeutungen      zur Person
lichkeit dieses Mannes      erforderlich   schienen6) - nicht die Person,
sondern der Amtstrager        Ebert    im Mittelpunkt     der Erorterungen
steht; alles, was an nachempfindendem           Verstehen   eine Biographie
bereichert, muB hier unberucksichtigt bleiben.

 5) So ausdr?cklich       der DNVP-Abg.      Delbr?ck     als Berichterstatter      des       Ab
 schnitts   ?Reichsregierung"        am   10. April   1919    im Verfassungsausschu?:
Verhandlungen        der Nationalversammlung          (im folgenden:       RTA),   Bd.        336,
S. 302.
 6) Ulrich   Scheuner,        Das   Amt      des Bundespr?sidenten       als Aufgabe      verfas
sungsrechtlicher         Gestaltung,   T?bingen        1966, weist   einleitend     (S. 9f.)   auf
die Interdependenz            von Person    und    Amt     bei einem    Organ   wie    dem     des
Bundes-      (Reichs-)Pr?sidenten         hin.
Friedrich Ebert als Reichsprdsident                     3


    Eine zweite Frage ist derUntersuchung tiberEberts politische
Tatigkeit als Reichsprasident voranzustellen: die nach den Inten
tionen der Weimarer Verfassung und nach der Amtsauffassung
Eberts.
      Fur die Verfassungsschopfer                 stand auBer Frage,                 daB nach der
Umsturzphase desWinters 1918/19 ein parlamentarisches Regie
rungssystem zu errichten sei; weder das Prasidialsystem nach
amerikanischem          Vorbild       noch gar ein Ratesystem                       nach    sozialisti
schen Vorstellungen wurden ernsthaft als Alternativlosungen in
Erwagung         gezogen.       DaB      ein    allgemein           gehaltenes          Grundsatz
bekenntnis zum parlamentarischen System jedoch nicht gleich
bedeutend      war mit       seiner Kodifizierung             en detail,        zeigte      sich wah
rend der Verfassungsberatungen nur allzu rasch7). Dort woilte
man     dann      ,,kein System          der unumschrankten                     Parlamentsherr
schaft"8), wollte dem ,,durch eine starke Kontrollgewalt eines
anderen nebengeordnetenOrgans" begegnen9),wollte ,,ein Gegen
gewicht gegen die Macht                 des Parlaments" schaffen10). Nach sol
chem Modell, das sowohl                 dem Parlament wie auch - als ,,Gegen
gewicht" - dem Reichsprasidenten politische Verantwortlichkeit
zuerkannte,       wurde      die Weimarer           Verfassung              konzipiert,       und das
Ergebnis war, was Bracher ihre ,,Kompromi3struktur" nenntl').
Es muBte weitgehend              von der zukuinftigen                Praktizierung,           von der
politischen Befahigung des einen wie des anderen Staatsorgans
abhangen,   ob die reprasentative     oder                        die plebiszitare           Kompo
nente12) in den Vordergrund    trat.
    Mehrdeutig   wie der Verfassungstext                          waren       die Erlauterungen
von Hugo PreuB in seinerDenkschrift zum Verfassungsentwurf13).
7) Zu den Verfassungsberatungen                 neuerdings        Haungs,           Reichspr?sident,
S. 22-A3, mit weiterer     Literatur.

 8) So der SPD-Abg.    Katzenstein         als Berichterstatter        des Abschnitts      ?Reichs
tag" am 3. Juli 1919    in der Nationalversammlung:                    RTA,      Bd. 327, S. 1263.
9) So der DDP-Abg.   Abla?    als Berichterstatter                des Abschnitts     ?Reichspr?si
dent"  am 4. Juli 1919 in der Nationalversammlung:                      RTA,     Bd. 327, S. 1309.

10) So der SPD-Abg.   Fischer    als Mitberichterstatter               des Abschnitts      ?Reichs
              am 8. April    1919 im Verfassungsausschu?:          RTA,   Bd. 336, S. 274.
pr?sident"
n) Karl Dietrich      Bracher,      Die Aufl?sung      der Weimarer       Republik.      Eine
Studie    zum Problem     des Machtverfalls     in der Demokratie,      4. Aufl., Villingen
 1964, S. 21.
12) Vgl. Ernst   Fraenkel,         Die    repr?sentative      und die plebiszit?re              Kompo
nente   im demokratischen         Verfassungsstaat        (Recht und Staat, Heft               219/220),
T?bingen      1958;   auch    in: Fraenkel,     Deutschland      und die westlichen              Demo
kratien,   2. Aufl.,   Stuttgart     1966, S. 71-109.
 13) Abdruck      in: Hugo      Preu?,      Staat,   Recht        und   Freiheit,   hg. v. Theodor
Heuss,    T?bingen      1926     (Neudruck:    Hildesheim          1964),   S. 368-394.

                                                                                                       1*
4                                  Giinter Arns


Einerseits     sprach PreuB dem Reichsprasidenten                   explicite   ,,Regie
  rungsfunktionen"       zu, andererseits         sollte er diese ,nur unter der
 verantwortlichen       Mitwirkung         der [...] Reichsminister           ausiiben"
 k6nnen14). Da der Reichsprdsident               iuberdies keine klar umrissenen
Kompetenzen         besaB, hing er, wie es ein Abgeordneter                ausdrtickte,
  ,,politisch gleichsam      in der Luft"'5). Nur in einem Punkte wurden
 seine Amtsgeschafte        naher umrissen: Bei der Bildung der Reichs
kabinette     sollte der Prasident       frei entscheiden diirfen und lediglich
 an das (notfalls mutmaBliche)            Vertrauen        des Parlamentes       zu den
von ihm berufenen Kabinetten                 gebunden       sein, eine Befugnis,      die
nach PreuB zugleich            ,,die wichtigste        selbstandige     Funktion     des
Reichsprasidenten"          darstelltel6).      Eine Priufung des politischen
Wirkens Eberts wird somit seiner EinfluBnahme                     bei den Kabinetts
bildungen besondere Beachtung                schenken miussen.
       Doch ist bei aller Unentschiedenheit,               wenn nicht Unklarheit
der Verfassungskonzeption             den Beratungen         der Nationalversamm
 lung deutlich zu entnehmen,             daB der Reichsprasident             neben der
Regierung      und dem Parlament           einen gewichtigen,         ,,ebenbiurtigen"
politischen Machtfaktor            bilden sollte; dessen Beschrankung                auf
ausschlieBlich      reprasentative       Aufgaben        wurde von den Verfas
sungsschopfern       wiederholt      und nachdruicklich         verworfen.
       Auch Ebert selbst hat anfangs seine ,,Regierungsfunktionen"
offenbar in recht extensivem            Sinne ausgelegt,         jedenfalls berichtet
 sein Mitstreiter       aus der Revolutionszeit               und erste Weimarer
Regierungschef        Scheidemann,           der Reichsprasident           habe nach
Eberts Auffassung         die Richtlinien       der Politik bestimmen          und der
Reichskanzler       diese ,,decken"         sollen17). Obwohl Zweifel an den
Auslassungen       Scheidemanns        grundsatzlich       angezeigt sind18), schei
nen sie nichtsdestoweniger           den Vorstellungen         Eberts einigermaBen
gerecht zu werden, nahm dieser doch einen Tag nach seiner Wahl
zum Reichsprasidenten            vor Pressevertretern          zu Fragen der kuinf
tigen Politik und zum Programm                   des noch gar nicht im Amte
befindlichen     Kabinetts        in einer Weise        Stellung,    die eher einem
Regierungsmitglied zugekommen ware'9).

 14) Preu?,     Staat, Recht    und Freiheit,     S. 387.
 15) So Fischer      (Anm. 10).
 16) Preu?,     Staat, Recht    und Freiheit,        S. 388.
 17) Philipp     Scheidemann,        Memoiren            eines     Sozialdemokraten,           Bd.      2,
Dresden     1928,   S. 353.
18)Wilhelm     Keil,   Erlebnisse    eines   Sozialdemokraten,            Bd.   2, Stuttgart    1948,
S. 170f., wei?     von einer Rivalit?t       zwischen   Ebert       und     Scheidemann        gerade
 in der Besetzung     der beiden    h?chsten     Reichs?mter          im Februar       1919.

 19) Text :
          Frankfurter    Zeitung                         :
                                                         FZ) Nr.    118 vom      13. Februar    1919.
                                     (im folgenden
Friedrich Ebert als Reichsprdsident                            5


                                                         II.
        Falsch        ist es aber, wie Bracher                    dies    tut20), die von Scheide
mann referierte, zeitbedingte AuBerung Eberts als abstraktes,
quasi       zeitloses      Statement               fur ein ebenso          unverwandeltes               Amts
verstandnis Eberts zu werten. Denn sehr schnell scheinen die
hochfliegenden Erwartungen Eberts einer rapiden Ernuichterung
gewichen zu sein. Dazu wird die allgemeine politische Konstellation
schon zu Beginn     seiner Amtszeit  in nicht geringem MaBe bei
getragen haben. So hat Ebert - wenn ilberhaupt - an den Koali
tionsverhandlungen,die derKonstituierung desKabinetts Scheide
mann voraufgingen, allenfalls als SPD-Fraktionsmitglied bzw. als
Mitglied des Fraktionsvorstandes teilgenommen; das Regierungs
programm ist nachweislich ohne sein Einwirken aufgestellt wor
den2l), und zu Personalfragen                             hat     sich Ebert   (zumindest nach
Ausweis    der Fraktionsprotokolle)                             nur ein einziges Mal kurz ge
duBert22).
     Die von PreuB und anderen Zeitgenossen mit Besorgnis regi
          Untatigkeit Eberts bei der erstenWeimarer Regierungs
strierte23)
bildung       war       durch      die Tatsache            mitbedingt,          daB die Koalitions
verhandlungen vor seiner formellen Amtseinsetzung im wesent
lichen       abgeschlossen            werden           konnten;          bei dem Ringen                 um   die
Annahme des Versailler Friedensvertrages aber iibte Ebert glei
chermaBen            eine Zuruckhaltung,                   die sich nicht mehr mit                  auBeren
Umstanden erklaren laBt.DaB Ebert gegen die Friedensbedingun
gen der Entente-Machte                      eingestellt         war24),     stellt   keine Besonder


*?) Bracher,          Aufl?sung,        S. 48.

21) F?r      die       interfraktionellen
                                        Besprechungen        hatte                   die   SPD-Fraktion
Richard    Fischer,   Paul Lobe    und Carl Severing       delegiert:                  Severing,    Mein
Lebensweg,      Bd.  1, K?ln   1950,   S. 237; die Ausarbeitung                        eines Programm^
entwurfs    ?bertrug    die SPD-Fraktion       einer  zehnk?pfigen                     Kommission,        der
Ebert      nicht    angeh?rte:       Protokoll         der SPD-Fraktionssitzung          vom 4. Februar
1919,      vorm.                                 Instituut   voor    Sociale    Geschiedenis,      Amster
                    (Internationaal
dam;      die Edition               steht bevor).
                          der Protokolle
                 der SPD-Fraktionssitzung         vom                       10. Februar
2a) Im Protokoll                                                                                1919,    vorm.,
hei?t es nur summarisch,   da?    (u. a.) Ebert   sich                     an    ?l?ngerer     Diskussion"
?ber    die Besetzung    der drei h?chsten     Reichs?mter                   beteiligt    h?tte.

 23) Preu?   am 8. April    1919 im Verfassungsausschu?:          RTA,    Bd. 336, S. 276;
Heinze     am 5. Juli 1919 in der Nationalversammlung           :
                                                                RTA, Bd. 327, S. 13391     ;
Koch-Weser        am 13. Februar    1919: G?nter       Arns,   Erich   Koch-Wesers    Auf

zeichnungen       vom  13. Februar   1919, VfZG       17 (1969), S. 112.

24) Dies     kann     als Tatsache       gelten;    viele voneinander      unabh?ngige    Zeugnisse
stimmen        in diesem         Punkte    ?berein.     Wenn    ?berhaupt,      so ist Ebert    (nach
Otto    Meissner,          Staatssekret?r        unter Ebert,    Hindenburg,      Hitler, Hamburg
6                                     Giinter A mns


heit dar; daB der Vertrag schlieBlich unterzeichnet wurde, ist kein
Beweis   fur einen Wandel  von Eberts Amtsauffassung.     Indes: es
gibt keinen Hinweis,   dem zu entnehmen ware, daB Ebert seiner
Haltung zum FriedensschluB energischen Nachdruck verliehen
hatte, geschweige            denn, daB er dem Kabinett   seine Ansicht aufzu
zwingen bestrebt            gewesen ware, - dies, obwohl Ebert seit Bekannt
werden des Vertragsentwurfes regelmaBigden Kabinettssitzungen
beigewohnt     hat, dies, obwohl er mit Scheidemann             ,,in jenen Tagen
 in dauernder     Fuhlung      stand"25). Die mangelnde            EinfluBnahme
Eberts mag das Protokoll           der Kabinettssitzung         vom Vormittag
des 8. Mai veranschaulichen,          das mit den Worten          beginnt:     ,,Der
Reichsprasident     eroffnet die Sitzung. Er bittet, trotz der Erregung,
die alle Anwesenden        in Folge der bekannt gewordenen               Friedens
bedingungen     der Entente durchzittert,          das, was z. Z. vorliege, mit
Ruhe zu prtifen"26). Danach          setzte die Diskussion      unter den Mini
stern ein, an der Ebert sich nicht weiter beteiligte. Bei aller Vor
sicht, die der Worttreue          der Protokolle       gegeniuber geboten         ist,
erlaubt die wiedergegebene          Formulierung       die Interpretation,       daB
Ebert sich hier als outsider des Kabinetts,            als Ehrengast     empfand,
dem es verstattet      war, einige einleitende Worte           zu sprechen und
gegebenenfalls     klarende Zwischenfragen           zu stellen, nicht aber in
haltlich in die Debatte       einzugreifen.
      Was uiber das Verhaltnis         von Reichsprasident         und Kabinett
bereits    fur den Frtihsommer         1919 zu bemerken          ist, laBt Rtick
 schliisse auf Eberts       inzwischen      gewandeltes     Verstandnis       seiner
Amtsfunktionen        zu: drei Monate        nach seiner Wahl wollte Ebert
nicht mehr ,,die Politik bestimmen". Ware dem anders, hatte der
Reichsprasident      die Verfassungsnorm,          die ihm den AbschluB von
Vertragen     mit   anderen Staaten          zusprach27),     ohne sonderliches
 juristisches Raffinement       materiellrechtlich      zu seinen Gunsten        aus
  legen konnen. Statt dessen belieB Ebert die Entscheidung                 fiber die
Friedensunterzeichnung dem Parlament28).
 1950,   S. 61)     erst   am   Abend   des   19. Juni   ?in   seiner                 schwankend
                                                                        Meinung
geworden".
 *5) Scheidemann,        Memoiren,      Bd. 2, S. 368.
 26) Bundesarchiv     (im folgenden:      BA) R 43 1/1349, Bl. 52.
27) Art. 45 Abs.    1 WRV;        entsprechend        ? 6 Satz 2 des ?Gesetzes     ?ber die

vorl?ufige Reichsgewalt"       vom      10. Februar      1919  (RGB1.1919,  S. 169).
 28) Alma  Luc kau,      Unconditional        Acceptance      of the Treaty   of Versailles
by the German      Government,         June 22-28,       1919  [Memorandum     von Mayer
Kaufbeuren,      Johannes   Bell  und Victor     Naumann],              Journal     of Modern    Hi
story   17 (1945),   S. 216: ?President    Friedrich   Ebert            then    [18. 6.] ruled   that
the final decision    on the treaty   be left to the plenary             session   of the national
 assembly".
Friedrich Ebert als Reichsprdsident                                              7


     In diesem Zusammenhang sei als weiteres Kriterium fur die
Eigenrestriktion der Ebertschen Kompetenzauslegung vermerkt,
daB die zu verzeichnende Zuriickhaltung noch vor der Verabschie
dung der Verfassung erfolgte. Hatte Ebert mitbestimmend oder
gar entscheidend   in die Politik einwirken wollen,    so hatte er sich
 (wenigstens formalrechtlich)   auf den ? 6 der bis Mitte August guil
tigen Notverfassung29) sttitzen k6nnen, nach dessen erstem Satz
 ,,dieGeschafte des Reichs" ausdruicklichvom ,,Reichsprasidenten
gefuihrt"werden sollten, eine Bestimmung, die in die Weimarer
Reichsverfassung keinen Eingang gefunden hat. Verfassungstreue
allein,wie gern argumentiertwird, kannmithin diese Eigenrestrik
tion keineswegs erklaren; es muissen starke personliche Imponde
rabilienmitgewirkt haben, die anscheinend auch von Hugo PreuB3
mit einigem Befremden beobachtet worden sind. In seiner im
Herbst 1919 verfaBten Broschuire fiber ,,Deutschlands Staatsum
walzung" entwickelt PreuB seine bekannten Thesen eines demo
kratisch-parlamentarischen Staatswesens; an einer Stelle ist eine
Bemerkung eingeschoben, die in seinen frtuherenSchriften fehlt
und die,         falls nicht        alles       tauscht,        leicht verschleierte              Zweifel        an
der Person Eberts anmeldenwill: Der Reichsprasident, sagt PreuB3
hier, k6nne          ein Gegengewicht                     der Parteien         bilden,        ,,wenn    er der
Mann danach" sei30).Sofern diese Parenthese richtig gedeutet ist,
hatte Ebert seine Handlungs- und Entscheidungsfreiheit binnen
weniger Monate       enger begrenzt aufgefaBt als es den Intentionen
der Verfassung     entsprochen hatte; dies als ,,Verfassungstreue"     zu
definieren, erscheint wenig sinnvoll.
      Wahrend     seiner gesamten weiteren Amtszeit     ist durchgangig
dieselbe Tendenz Eberts zu erkennen, sich der Tagespolitik         m6g
 lichst fernzuhalten.    Bekanntlich hat Ebert dem Rapallo-Vertrag
mit erheblicherReserve gegenflbergestanden3l).
                                             Nicht bekannt ist
 jedoch, daB er sich dem VertragsabschluB   widersetzt   hatte, und
wenn, so ware er dem Willen    des Reichskanzlers  Wirth     letztlich

 29) ?Gesetz    ?ber die vorl?ufige      Reichsgewalt"       (Anm. 27).
 80) Hugo    Preu?,     Deutschlands        Staatsumw?lzung.       Die verfassungsm??igen

Grundlagen       der deutschen        Republik,     Berlin   1919,   S. 11 : ?Nur   durch     die
unmittelbare       Volkswahl       [...]  erh?lt   der Reichspr?sident       die den     echten
Parlamentarismus            bedingende       ebenb?rtige       Stellung   neben  dem Reichstage;
 sie gibt ihm, wenn         er der Mann       danach     ist, die M?glichkeit,    dem Kleinkriege
 der Parteien   und         ihren Eintagsintrigen         ein Gegengewicht      zu bieten".

 81) Vgl.    Ernst   Laubach,           Die     Politik     der Kabinette          Wirth    1921/22,  L?beck/
Hamburg          1968,  S. 216,     mit       weiterer      Literatur.      Vgl.     auch   das Zitat Wirths
bei Rudolf        Morsey,         Die     Deutsche         Zentrumspartei            1917-1923,     D?sseldorf
 1966,      S. 491 Anm.      2.
8                                                Giinter A rns


gefiugig gewesen. Zweifellos hatte eine Unterschriftsverweigerung
Eberts eine eklatante Desavouierung Wirths dargestellt, die
h6chstwahrscheinlich dessen Ruicktritt nach sich gezogen hatte;
doch daB  Wirth eine vorherige Information oder gar Konsultation
des Reichsprasidenten trotz entsprechender dringender Bitten
Eberts32) furuiberfliissigerachtete,weist auf,wie wenig derKanzler
mit einer Intervention Eberts rechnete, wie gering - ailgemeiner
formuliert - der EinfluB des Reichsprasidenten auf die Politik
eingeschatzt wurde.
          Ein     halbes       Jahr zuvor war                     es uber            die prasidentielle               Amts
befugnis zu einer erregtenDiskussion in der Offentlichkeit gekom
men33). AnlaB war das Scheitern der interfraktionellenVerhand
lungen, die die Umbildung der Regierungsbasis in eine GroBe
Koalition zum Gegenstand hatten34).Ebert beftirwortete die Her
stellung der GroBen Koalition35), und mancherorts glaubte man
aus der Tatsache,                   daB an ein und demselben                                   Tage      sich SPD       und
DVP fur eine Regierungsbeteiligung der jeweils anderen Partei
aussprachen36),einenmanipulativen Winkelzug Eberts herauslesen
32) Vgl. G?nter           Rosenfeld,              Das          Zustandekommen                   des   Rapallovertrages,
Zs. f. Gesch.wiss.         4 (1956),           S. 678-697;           dort          (S. 683)     Ausf?hrungen         Eberts
nach      Akten     des B?ros         des Reichspr?sidenten.
 *) Besonders        temperamentvoll              die dem               linken        DVP-Fl?gel      nahestehende,
durchaus      staatsloyale    K?lnische                    Ztg. Nr.         697     vom   16. Oktober      1921    (dort
u.a.:   ?der Reichspr?sident          hat                sich nicht
                                                         ger?hrt,  obwohl     [...] eine Regie
rung   von Stresemann      bis Scheidemann,         soviel wir wissen,    auch den Anschau
ungen    des Herrn    Ebert      entspricht"),    Nr. 711 vom      21. Oktober       1921   (?Wo
bleibt   der Reichspr?sident?").            In diesem     Zusammenhang         steht   auch   der
Artikel   von Hugo       Preu?,    ?Parlamentarische       Regierungsbildung",         Berliner
Tageblatt    Nr. 476 vom 9. Oktober          1921    (auch in: Preu?,      Staat, Recht      und
Freiheit,   S. 442-^-46;    dort S. 445 :?die Initiative     zur Bildung     der Koalition      [!]
sowohl    nach der sachlich      programmatischen        wie nach der pers?nlichen          Seite
 ist Recht        und    Pflicht      des      leitenden        Staatsmannes                  [gemeint    ist der Reichs

pr?sident],         dessen         verantwortliche               F?hrung            nicht        durch    vorherige      Ab
machungen           der Fraktionen              zu binden          ist").
 84) Vgl.       neben    Lau       bach,       Politik         der Kabinette             Wirth,     S. 86-89:    Lothar
Albertin,          Die  Verantwortung                    der    liberalen         Parteien      f?r das Scheitern     der
Gro?en        Koalition     im Herbst
                                   1921, HZ 205 (1967), S. 566-627.
 35) Vgl. das Schreiben     Eberts   vom     25. Oktober      1921,   in dem dieser Wirth
mit der Kabinettsneubildung         beauftragte       (Europ?ischer     Geschichtskalender
37 [1921]    I, S. 294) : ?Seit Wochen          ist es mein     unausgesetztes       Bem?hen
gewesen,          f?r eine Verbreiterung                  der
                                                          gegenw?rtigen       Regierungskoalition         die
Grundlage            zu schaffen".   Da?             Ebert  sich ?bem?ht"        habe,    ist formelhafte
?bertreibung;            vgl. das          Zitat   aus der K?lnischen       Ztg. Nr. 697        in Anm.    33.
 36) Die am        20. September              1921 angenommene       Resolution      des G?rlitzer      SPD
Parteitages:          Protokoll   ?ber            die     Verhandlungen                 des     Parteitages      der    SPD,
Friedrich Ebert als Reichsprdsident                      9


 zu k6nnen37). Diese Unterstellung entspricht nach aller Wahr
 scheinlichkeit nicht den Gegebenheiten38), wie denn Ebert die
 daraufhin einsetzenden langwierigen Koalitionsverhandlungen -
 nimmt        man         das Schweigen           der Quellen        als Indiz - vollig                  passiv
 dem ergebnislosen Abbruch hat zutreiben lassen. Der denkbare
 Einwand, daB eine Erweiterung der Regierungskoalition nicht
 unmittelbar die Interessensphare des Reichsprasidenten beriihrt
 habe, ist schon deshalb nicht stichhaltig, weil das MifBlingendieses
 Versuches die nachste Regierungskrise und die Demission des
 ersten Kabinetts Wirth im Oktober 1921 wesentlich mitbedingte
 und weil Ebert,             wie     erwahnt,       an einer GroBen Koalition                      de facto
interessiertwar. Dabei konnten die bisherigen Erfahrungen wenig
den Optimismus rechtfertigen, die Fraktionen wiirden sich ohne
AnstoB von auBenuntereinander verstandigen k6nnen. Konzediert
man aber Ebert eine auch nur mittelmaBige      Fahigkeit   zu politi
 scher Erfahrung und zu politischer  Prognose,  so bleibt nur, daB
er nicht wuBte, wo, wie und in welchem Umfange      er auf die Koa
 litionsverhandlungen einwirken soilte und daB er aus diesem
Grunde lieber uberhaupt                     nicht einwirkte. Als dann das Dilemma
passiert und das Kabinett                   zurtickgetreten war, bat Ebert die Fuihrer
 der Demokratischen Partei, nochmals einen Schritt in Richtung
 abgehalten         in G?rlitz vom      18. bis 24. September     1921, Berlin       1921, S. 389
              Nr.           S. 207                       - Zu dem
 (Antrag           304),               (Abstimmung).                    Beschlu?       der DVP
Fraktion       auf der Sitzung       am 20. September       1921 in Heidelberg        vgl. Henry
                                         -
Ashby      Turner,      Stresemann         Republikaner    aus Vernunft,     Berlin/Frankfurt
1968,      S. 96; vgl. dazu      Stresemanns       Rede  am 21. September          in Pforzheim
  (FZ Nr. 707 vom 23. September            1921) : ?Die Frage,     ob die Deutsche    Volks
 partei mit    der Sozialdemokratischen          Partei   in einer Regierung     zusammen
 arbeiten   soll, beantworte     ich mit    einem glatten    Ja".
 87) Rudolf    Breitscheid,       Das    Spiel von G?rlitz,     Der   Sozialist Nr. 30 vom
 26. September      1921 : ?Heute       ist bekannt,    da?          schon     vor     einer     Reihe        von
Wochen     Besprechungen         zwischen    F?hrern    der          Sozialdemokratie             und     F?h
 rern der DVP      stattgefunden      haben. Wir     kennen           die Namen         der Beteiligten
 und wissen,        da?    unter    ihnen   der   oberste   Beamte      der Republik,       der Reichs
pr?sident  Ebert,          eine hervorragende     Rolle     spielt".
88) Der Vorw?rts           Nr.  459 vom 29. September            1921    bezeichnete           Breitscheids
Ausf?hrungen        als      ?Gruselgeschichten".       Stresemann           ?u?erte     am      3. Oktober
 im Gesch?ftsf?hrenden              Ausschu?       der DVP        (BA R 45 H/55,       Bl. 425) : ?Die
Reichstagsfraktion         habe       ihre Stellungnahme           zur Bildung    einer breiten     Koa
 lition  in ihrer Heidelberger             Sitzung    festgelegt.     Diese   Heidelberger       Tagung
sei zuf?llig     auf denselben         Zeitpunkt     gefallen     wie der G?rlitzer      Parteitag    der
Sozialdemokratie.            Irgend    ein Zusammenhang        habe   selbstverst?ndlich       nicht
bestanden".         Vgl.    schon   die Meldung     der Nationalliberalen          Correspondenz
vom     23. September          1921 ; zit. Deutsche  Allgemeine     Ztg. Nr. 448 vom 24. Sep
 tember.
10                                       Giinter A ns


auf die GroBe Koalition          zu unternehmen39),          ein Ansinnen,    das
allerdings auch an Eberts politische          Instinktsicherheit     einige Zwei
fel heranzutragen     nahelegt.    Innerhalb von nicht 24 Stunden schlug
auch dieser erneute Versuch          fehl40).
      Geradezu    selbstaufopfernd      war die politische Enthaltsamkeit
Eberts,   als die Fraktionen       des Reichstages        ein Jahr spater tiber
die Prasidentenneuwahl         verhandelten.      Ebert hatte schon wieder
holt auf eine plebiszitare Wahl gedrangt4l), wie die Verfassung                sie
vorschrieb. Anfang Oktober          1922 eroffnete Vizekanzler         Bauer den
Parteien von der Sozialdemokratie             bis zu den Deutschnationalen,
die Neuwahl      solle ,,nunmehr        in absehbarer       Zeit durchgefuihrt"
werden;    die Regierung      sehe als Wahltermin           den 3. oder 10. De
zember vor42). Die Vertreter          der Parteien erklarten sich mit dem
Regierungsvorschlag        einverstanden      mit Ausnahme         der Abgeord
neten der DVP,        die ,,einige personliche       Bedenken"       anzumelden
hatten und in Erwagung zogen, die Prasidentenwahl                 um zwei Jahre
zu verschieben,    um sie dann gleichzeitig mit den Reichstagswahlen
 im Sommer 1924 abzuhalten43). Die ,,pers6nlichen Bedenken"                   der
DVP bestanden         in einer vermuteten         Nominierung      Hindenburgs
durch die Deutschnationalen zum Prasidentschaftskandidaten, die
die Volkspartei, wie ein ftihrender DVP-Abgeordneter                                         an Strese
mann schrieb44), ,,in eine unangenehme  Lage" versetzt                                       hatte. Um
39) Referat    Petersens    in der Sitzung     des DDP-Parteiausschusses           am 11. No
vember      1921 :BA R     45 HI/11,     Bl. 69.
40) Das Ersuchen       Eberts     ist auf den Nachmittag         des 23. Oktober       1921 zu
datieren;   sp?testens      am Nachmittag         des 24. wurde      der Plan     aufgegeben.
 (Nach Sitzungsprotokollen           der Zentrumsfraktion        in diesem    Zeitraum:      BA
Kl. Erw. 476-1,      Bl. 365-377;       der zwischenzeitlich      formulierte    Kompromi?
zwischen  DDP      und DVP:      8 Uhr-Morgenblatt        Nr. 246 vom 25. Oktober         1921.)
 41) Vgl. Meissner, Staatssekret?r,                  S. 94.
 42) FZ Nr. 707 vom  5. Oktober                  1922.   Die   Besprechungen        fanden         am   4. Ok
 tober     in der Reichskanzlei         statt.

43) So die offizi?se        DVP-Mitte?ung          in Die Zeit Nr. 371 vom 5. Oktober       1922.
An der ?Mitteilung            einer Nachrichtenstelle,       da? man     als Ergebnis der gestri
 gen   Besprechungen             [4. Oktober]    einen    demokratischen       Antrag  auf zwei

 j?hrige Verl?ngerung         der Amtsdauer       des gegenw?rtigen       Reichspr?sidenten
 erwarte"      (FZ Nr. 710 vom      6. Oktober       1922, die hinzuf?gt,      diese Meldung
 sei ?unrichtig;     ein solcher Antrag     liegt nicht vor"),    scheint   also doch einiges
 zutreffend      zu sein.

u) Brief    Moldenhauers       an Stresemann      vom    16. Oktober   1922 : Nachla?
 Stresemann       (Pol. Archiv   des Ausw.   Amtes,   Bonn)    252, H 144504-7.  Nach
Moldenhauer     war zu bef?rchten,      ?da?, wenn wir etwa mit den [Koalitions-]
Parteien       Herrn    Ebert     aufstellten,       die Deutschnationalen              dagegen     Hinden
burg    oder     eine   andere    Pers?nlichkeit,         90%     unserer      W?hler        den    deutsch
nationalen       Kandidaten       w?hlen    w?rden".
Friedrich Ebert als Reichsprdsident                                   11


derWahlalternative Sozialist gegen Nationalheros aus demWege
zu gehen, hielt die Volkspartei,               die sich gerade zu diesem Zeitpunkt
wieder einmal koalitionsfreudig gerierte, aber doch von den
Deutschnationalen nicht allzu demonstrativ abrtickenwollte, eine
Aussetzung derWahl ftir die ihr giinstigste L6sung.
    Da weder das Kabinett noch die Regierungsparteien (SPD,
DDP und Zentrum) den volksparteilichen Bedenken einen massi
ven und einheitlichen Willen entgegensetzten, verhandelte man
erst einmal uber eine Woche                   lang, bis man sich gegenseitig in eine
Sackgasse hineinman6vriert                   hatte. Als am 14. Oktober der DVP
Parteivorstand formell die Verschiebung der Prasidentenwahl for
derte45)- ein sicheresZeichen daftir, daB die Verhandlungen nicht
,,in kameradschaftlicherAtmosphare" verlaufen waren -, schien
die Situation endgtiltig verfahren. Das Zentrum sah ,,vielleicht
noch einen Ausweg, namlich die Wahl durch den Reichstag"46).
Dies     aber    setzte      eine Verfassungsanderung                  und      also eine Zwei
drittel-Mehrheit des Parlaments voraus. Gegentiber solch heiklem
Unterfangen erachtete man die Anregung Stresemanns doch fur
passabler,      wonach        das Parlament            ein Vertrauensvotum               fur Ebert
abgeben, daftir die Prasidentenwahl erst 1924 erfolgen solle47).
Beim Zentrum war bereits vorher eine wenig dezidierte Haltung
festzustellen gewesen; nunmehr schien auch die Demokratische
Partei sich von dem Regierungsvorschlag                             abwenden und auf die
Seite der DVP uberschwenken   zu wollen.                          ,,Leider haben wir AnlaB
 zu der Befuirchtung", schrieb die der DDP nahestehende ,,Frank
furter Zeitung"48),         ,,daB auch hier eine Erweichung       bereits ein
getreten    ist". In einer groB angelegten        Besprechung      am Mittag
des 16. Oktober       stellte sich deutlich heraus, daB3 die buirgerlichen
Parteien    inzwischen den von der Volkspartei         aufgezeigten Weg zu
beschreiten     geneigt waren. Nur die Sozialdemokraten            hielten ihn
fur ungangbar. Nach ihrer - durchaus begrtindeten               - Auffassung
sei eine parlamentarische          Vertrauenskundgebung        fur Ebert    ein
politischer Akt ohne jegliche verfassungsrechtliche Bedeutung;
von     einer Prasidentenneuwahl                   konne     deshalb      die SPD        nur dann

                       vom     15. Oktober     1922.     Vgl. auch   die                        der
 45) FZ Nr. 735                                                                Stellungnahme
Nationalliberalen         Correspondenz      vom     13. Oktober   1922;       zit. FZ Nr. 732 vom
 14. Oktober.

46)    Zentrums-Parlaments-Korrespondenz                    vom      14. Oktober     1922     (zit. FZ
Nr.    735 vom 15. Oktober),        die hinzuf?gt:        ?eine M?glichkeit,       die   in Abgeord
 netenkreisen   auch schon besprochen              worden      ist".
                               der Fraktionsf?hrer            der b?rgerlichen
 47) In einer Besprechung                                                        Mittelparteien
 am Nachmittag       des 14. Oktober:     FZ Nr.           736 vom   15. Oktober    1922.

 48) FZ Nr. 736 vom       15. Oktober    1922.
12                                           Giinter A ns


absehen, wenn die bislang provisorische Stellung des Reichsprasi
denten in eine definitive umgewandelt wiirde49).Hierdurch ware
aber faktisch die Amtszeit Eberts bis zum Februar 1926 verlangert
worden,    eine Aussicht,    die der DVP ebenso unangenehm            war wie
die auf eine Neuwahl. AuBerdem hatte es dazu eines verfassungs
andemden      Gesetzes    bedurft,  das zu verabschieden       den Parteien
noch zwei Tage zuvor als zu problematisch              erschienen war. So
regte die DVP an, die provisorische         Stellung Eberts zwar beizu
behalten,    seine Amtszeit     jedoch nicht, wie sie urspriinglich       ver
 langt hatte, im Sommer 1924, sondem erst mit dem 1. Januar 1925
ablaufen    zu lassen50). Am 18. Oktober         1922 fand beim Reichs
kanzler eine erneute Konferenz         der Fraktionsfuihrer     statt, in der
sich diese auch nach langerer Diskussion          nicht auf einen Termin
zu einigen vermochten,        bis dann der Vorsitzende       der Zentrums
 fraktionWilhelm Marx den Vermittlungsvorschlag machte, die
Prasidentschaft  Eberts weder      bis Anfang   1925 noch bis zum
Februar 1926, sondern bis zum 30. Juni 1925 zu befristen5l). Auch
hiertiber konnte erst in einer weiteren Besprechung   am Abend des
 18. eine Einigung zwischen SPD und DVP erzielt werden52).Noch
an demselben            Abend         wurde         gemeinsam             von SPD, Zentrum,                    DVP,
DDP und BVP ein entsprechender Gesetzesinitiativantrag                                                                 im
Reichstag  eingebracht53), der nach kurzer Plenardebatte   wenige
Tage darauf, und nun doch wieder mit Zweidrittel-Mehrheit,     an
genommen wurdeT4).
         Wir      haben      den Gang             der mehr          als vierzehntagigen                 Verhand
lungen etwas ausfuihrlicherreferiert, um unsere Meinung zu fun
dieren, daB der Reichsprasident wiederholt Gelegenheit gehabt
hatte,         in die Diskussion                 einzugreifen.         Mehr        als einmal waren                  die

49) An der Besprechung         nahmen     teil die Fraktionsf?hrer                        der drei Koalitions
parteien,    der DVP       und der BVP        sowie Reichskanzler                       Wirth,    Vizekanzler
Bauer,    Innenminister      K?ster   und Reichstagspr?sident                          Lobe    (Ebert nicht!);
FZ Nr. 739 vom         17. Oktober    1922.
50) Beschlu?         der     DVP-Fraktion             vom        17. Oktober:       Die    Zeit       Nr.    382    vom
18. Oktober         1922.
 51) FZ Nr. 745 vom        19. Oktober                   1922.   Nicht      ganz    korrekt       also Morsey,
Deutsche   Zentrumspartei,       S. 484.
 52) FZ Nr. 746 vom        19. Oktober                   1922.   Die     Besprechung           fand     um     18 Uhr
statt.

S8) ?Schleuniger            Antrag"        Nr.    5074     vom     18. Oktober         1922:    RTA,         Bd.     375,
S. 5506.
 54) Reichstagsdebatte                am  20. Oktober:     RTA,   Bd. 357,                 S. 8816-8843;              am
24. Oktober:       RTA,         Bd.    357,   S. 8920-8927.     Abstimmung                    am    24.:           RTA,
Bd. 357, S. 8933-8937             unter Nr. 3 (314 Ja-, 76 Nein-Stimmen,                          1 Enthaltung).
Das      Gesetz   vom       27. Oktober:     RGB1.     1922 I, S. 801.
Friedrich Ebert als Reichsprdsident                        13


Fraktionen      an einem        toten Punkt      angelangt,   an dem      sie ein kla
     Wort wahrscheinlichmit innererErleichterung vernommen
rendes
hatten. Auch sachlich ware eine Intervention Eberts gerechtfertigt
gewesen: einmal muBte er ein vitales personliches  Interesse daran
haben, seine transitorische Amtsausubung    durch eine den verfas
sungsrechtlichen Normen entsprechende abzulosen; zum zweiten
hatte    er den Sinn       der Verfassung      wahren     helfen,   die   ja mit   der
Prasidentenwahl durch das Volk ihr spezifischesDemokratiever
standnis realisieren woilte; und zum dritten ware Ebert zur Wah
rung der Wtirde     seines Amtes geradezu verpflichtet  gewesen, das
Gezank der Parteien um die Frage der Wahl           zumindest   einzu
schranken.
     Was      hatte     Ebert   ganz   konkret      tun k6nnen?     Er hatte mit
guten rechtlichen           Griunden die interfraktionellenVerhandlun
gen als unangebracht         und ilberfluissig ignorieren konnen, d. h. er
hatte beispielsweise      - noch am 14., selbst noch am 17. Oktober -
demonstrativ        in der Offentlichkeit     erklaren k6nnen,      er wuinsche
alsbald Neuwahlen         und erwarte vom Kabinett           deren technische
Vorbereitung;       was die Fraktionen unter sich aushandelten,           sei ihm
gleichgtiltig. Er hatte mit einer solch spektakularen MaBnahme                   in
 internem Kreise drohen konnen, hatte allein durch diese Drohung
die interfraktionellen     Verhandlungen         in eine von ihm gewuinschte
Richtung      lenken und jedenfalls den unerquicklichen         Hader um die
Befristung      seiner Amtszeit    abschneiden      konnen. Indes tat Ebert
uberhaupt       nichts. Fur die Verhandlungsphase            vom 4. bis zum
18. Oktober       laBt sich nur eine einzige (ihrem Inhalt nach unbe
kannte) Unterredung          zwischen Ebert und Reichskanzler             Wirth
n-achweisen; mit den Fraktionen           scheint Ebert gar nicht konferiert
zu haben. Vielleicht       ist die Tatsache,      daB die SPD sich bis zum
Abend des 17. Oktober mit dem Gedanken einer Wahlverschiebung
nicht recht befreunden konnte55), ein indirekter Hinweis auf Kon
 takte Eberts zu den Sozialdemokraten.               Doch auch diese ftigten
sich dem Verlangen          der buirgerlichen Mittelparteien,         und ganz
sicher ftigte sich Ebert dem Ergebnis              der interfraktionellen     Be
sprechungen.
    Welche politischen        Gruinde m6gen Ebert bewogen haben,
die Parteien,    die buchstablich     uber seinen Kopf verhandelten,
unbeteiligt   gewahren zu lassen? Wir finden keine. GewiB ware es
im Falle der Wahl      eine Erleichterung     gewesen, wenn die Koali
tionsparteien    ihren Wahleranhang       fur Ebert mobilisiert   hatten;
gewiB muBte es Ebert auch wuinschenswert           sein, daB die DVP fur

 55) FZ Nr.   743 vom    18. Oktober   1922.
14                                          Giunter Arns


 ihn und nicht fur einen Kandidaten        der Rechten      pladierte. Mehr
politisches Gewicht besaBen die Parteien hier jedoch wohl nicht"6),
 selbst unter der Voraussetzung,      daB die Wahler      bei der Prasiden
 tenwahl die gleiche parteipolitische     Orientierung     wie bei Reichs
 tagswahlen zeigen wiirden.     Im iibrigen konnten die beiden ersten
Parlamentswahlen      der Weimarer     Republik,     bei denen eine starke
Wahlerfluktuation      zu verzeichnen     gewesen war, eine derartige
Voraussetzung     kaum bestatigen.     Die Parteien verzerrten die Bin
dung Eberts an ihr Votum zu einer in keiner Weise              realitatsbezo
genen Abhangigkeit,     wenn sie die Frage diskutierten,         wann denn
nun und ob uiberhaupt gewahlt werden             solle; nicht gut denkbar
 ist, daB Ebert die objektiv nicht gegebene Abhangigkeit             subjektiv
 so empfunden haben sollte.
       Sind es also weder politische noch gar rechtliche Griinde, die
Ebert zu seinem politischen Entsagen         bewogen haben kbnnen, so
mulssen daftir wiederum      pers6nliche    Hemmnisse        verantwortlich
 gemacht werden,     Imponderabilien,    wie wir sie genannt haben, die
mit grobschlachtigen    Worten,     als da sind: Machtscheu,       Kampfes
unmut und Altersresignation,       nur unzureichend      umschrieben wer
 den.
     Aus dieser Perspektive    erscheint   die fur die ,,Machtsteige
rung" des Prasidentenamtes57)    gern herangezogene Diktaturgewalt
des Reichsprasidenten     nach Artikel   48 in etwas gedampfterem
Lichte. Nur unter erheblichen Vorbehalten         kann man   aus der
 verhaltnismaBig haufigen Anwendung dieser Verfassungsbestim
mung       im Jahre 1923 einen wachsenden       EinfluB Eberts    auf die
Politik folgern. Wenn man auch unterstellen        darf, daB Ebert uiber
den Zweck der von ihm erlassenen Verordnungen            hinreichend   in
 formiert war, so waren diese doch zum uiberwiegenden Teil derart
 spezifiziert, daB die Initiative des Kabinetts    klar zu erkennen ist,
wozu nebenbei auch eine Rechtsverpflichtung        bestand58). Eine Pra
  56) Dem     Problem,            wie   eine ?Volks"w?hl       organisatorisch     abzuwickeln       sein
 w?rde,     ist Preu?         aus     dem Wege      gegangen.     Die Konstatierung        Brachers
  (Aufl?sung,       S. 40),        ?da?    solche Akte    [...] eben doch      durch   Parteien     oder
 parteien?hnliche                    eingeleitet
                             Gruppierungen          wurden",       ist de facto sicher rich
 tig. Die Frage           ist nur, ob dazu
                                   ein systemimmanenter              Zwang    bestand,   oder
 ob nicht   gerade das Verhalten   Eberts        im Oktober     1922 Pr?judizien       schuf,
 auf die sich die Parteien  - etwa 1925 - berufen         konnten.
  57) Bracher.     Aufl?sung,      S. 47.
  58) Vgl.   Gemeinsame       Gesch?ftsordnung                    der     Reichsministerien,       ? 64:   ?Bei
 der Vorbereitung           von  Verordnungen              nach    Art.     48 der Reichsverfassung         sind
 in allen F?llen          der Reichsminister             des    Innern,  das Bureau      des Reichspr?si
 denten     und     die    Reichskanzlei            zu   beteiligen.    Der   in der Sache      zust?ndige
 Reichsminister            legt     den   Entwurf        dem Kabinett       vor.  [...] Der   in der Sache
Friedyich Ebert als Reichsprdsident                                                 15


sidialverordnungwie z. B. die ,,uber Steueraufwertung und Ver
einfachungen im Besteuerungsverfahren" bedurfte einer so de
                                        59)
taillierten         Sachkenntnis,              daB fur die Paraphierung                           nur die zustan
dige Ministerialbehorde, fur deren Anregung nur der betreffende
Ressortminister, eventuell noch der Reichskanzler  in Frage kam.
Vor Verordnungen   mit hochpolitischer Brisanz wie etwa der tiber
die Reichsexekution gegen Sachsen60) sind ausgiebige Debatten
im Kabinett und ein entschiedener Wille des Reichskanzlers
Stresemann aktenkundlich, eine Mitwirkung Eberts bei derWil
lensbildung              dagegen,      um es ganz neutral                auszudrticken,                  nicht     recht
greifbar6l).So erweist sich das Institut der prasidentiellenDiktatur
unter Ebert              weniger        als Instrument                zur Starkung                der Macht           des
Reichsprasidenten, sondern eher als Medium zur Durchsetzung
und rechtlichen Absicherung von MaBnahmen des Kabinetts62),
wobei       eingeraumt            werden        soll, daB der Artikel                48 ein potentielles
Instrument zur Ausbildung eines Prasidialsystems blieb63). Die

zust?ndige     Reichsminister                zeichnet      die Verordnung      gegen und                 leitet   sie dem
Reichsminister       des Innern               zu, der     sie ebenfalls   gegenzeichnet,               in wichtigen
F?llen      auch     die Gegenzeichnung       des Reichskanzlers                      einholt       und sie sodann
dem    Reichspr?sidenten           zur Unterschrift    vorlegt".
 59) Vom    11. Oktober        1923: RGB1.      1923 I, S. 939-941.

60) Verordnung                 ?betreffend       die      zur Wiederherstellung         der    ?ffentlichen
Sicherheit   und           Ordnung           im Gebiet       des Freistaats     Sachsen     n?tigen     Ma?
nahmen"            vom    29. Oktober         1923:     RGB1.1923       I, S. 995.
 61) Vgl.       Bernhard            [/Stresemann],           ?Das   Kabinett       Stresemann"       III,
Deutsche           Stimmen        36 (1924),     S. 23-29;     dort  S. 251:     Das Kabinett       habe
er?rtert,        ?inwieweit        auf Grund       des Artikels     48 der Reichsverfassung           die
s?chsische         Regierung       zum R?cktritt       aufzufordern     sei. [...] Der Reichskanzler
 setzte     sich    darauf       [am Abend       des 28. Oktober       1923],    da eine Verbindung
mit       dem    Reichspr?sidenten       nicht  gelang,   zun?chst                    mit         dem    Reichswehr
minister         in Verbindung     und besprach     die Ma?nahmen,                          die    ergriffen      werden
m??ten.          [...] Er (der Reichskanzler)    w?rde    sich mit                   dem     Reichspr?sidenten
zur Erlangung              der Zustimmung    in Verbindung                      setzen".     In den Kabinetts

sitzungen   des           29. Oktober   (BA R 43 1/1388,                 Bl.     383-390)         war     Ebert     nicht
anwesend.

 62) Diese      Beobachtung        schon         bei Gerhard          Schulz,        Der     Artikel        48    in poli
 tisch-historischer         Sicht,    in:        Der    Staatsnotstand,               hg.    v. Ernst          Fraenkel,
Berlin    1965, S. 51 f. Schulz               ist jedoch nicht      ganz        konsequent,             spricht   (S. 40)
von    einem     ?Zuwachs    an Macht",                     (S. 44)    von      ?Machtf?lle             des Pr?sidial
amtes"      sowie   (S. 42) davon,  da?        die ?schwerwiegende           Entscheidung",           ob
St?rung      bzw. Gef?hrdung       von Sicherheit       und Ordnung        im Reiche      vorgelegen
habe,     ?ausschlie?lich     im Ermessen       des Reichspr?sidenten"            gestanden      habe.
 6S) Dies    als Konzession      an K.D.     Bracher,       Parteienstaat-Pr?sidialsystem
Notstand,        in: Bracher,      Deutschland        zwischen    Demokratie         und Diktatur,

Bern/M?nchen/Wien             1964, S. 33-49,      f?r den     (S. 38) die ?Handhabung               der
16                                   Giunter A ns


etwas anders gelagerte Frage, ob die Regierungen            ab Ende 1922
den Charakter von Prasidialkabinetten         getragen hatten,    ist nicht
allein nach dieser Diktaturbestimmung,          sondem auf Grund von
noch weiteren Kriterien      zu untersuchen     und muB hier unbeant
wortet bleiben. Unbeantwortet      bleiben muB ferner, ob nicht auch
unter Hindenburg     die durch Anwendung      des Artikels 48 gesteigerte
Formalverantwortlichkeit      des Prasidenten     seit 1930 mehr nur die
Fassade fur eine autonome Politik der letzten Weimarer Kabinette
 bildete.
      Nur ein einziges Mal scheint Ebert mit einem Anflug herr
 scherlicher Geste auf die politische Fuhrung eingewirkt zu haben.
Das war in den Tagen des Kapp-Liuttwitz-Putsches,                 als er zusam
men mit dem Kabinett         zuerst nach Dresden, dann nach Stuttgart
geflohen war. In jenen Tagen stand Ebert mit den Ministern                       in
 standiger Verbindung,       nahm an praktisch          samtlichen     interfrak
 tionellen Konferenzen     und Kabinettssitzungen         teil und gab wieder
holt seiner Meinung zu den durch den Umsturzversuch                geschaffenen
Problemen     Ausdruck.     Dies     allein wuirde noch keinen EinfluB
Eberts auf die politischen Entscheidungen              beweisen; wie noch zu
 zeigen sein wird, wurden      seine Anregungen        bei der nachfolgenden
Regierungskrise     verschiedentlich      wenn nicht miBachtet,          so doch
uibergangen. Bei einer Gelegenheit           allerdings hat Ebert offenbar
bewuBt und in leicht usurpatorischer Weise die Initiative ergriffen.
Am 16. Marz 1920 fuhr der Kommandeur               des Wehrkreises     Dresden,
General Maercker,        zur ,,Vermittlung"        zwischen Kapp und der
Reichsregierung     nach Stuttgart64). Nach mehreren Vorbesprechun
gen erschien Maercker        am spaten Nachmittag            im Kabinett,      um
die ,,Bedingungen"       Kapps     fur eine Einigung65)        zu unterbreiten.
Wahrend     der Sitzung machte        sich der ebenfalls anwesende DDP
Fulhrer Conrad HauBmann             einige Aufzeichnungen,         die w6rtlich
wiedergegeben      seien, da es wesentlich          auf deren Wortlaut         an
 kommt66):
        [Stuttgart]    Altes SchloB    16 III 1920
       Reichsministerium-Sitzung       mit   Fehrenbach      u. HauBmann
       Ebert eroffnet [...]
       5 Uhr Reichsministerium      mit Marker    [!], Heine


 pr?sidialen    Gewalt     besonders     im Krisenjahr      1923 die potentiellen     Gefahren"
 der dualistischen      Verfassungskonstruktion            ?schon     sichtbar werden     lie?".
  64) Vgl. hierzu      Johannes      Erger,     Der    Kapp-L?ttwitz-Putsch,          D?sseldorf
 1967, S. 244-246.
 65) Die Bedingungen    bei Erger,     Kapp-L?ttwitz-Putsch,                S. 236.
 66) Nachla?   Hau?mann        (Hauptstaatsarehiv,        Stuttgart)        43.
Friedrich Ebert als Reichsprdsident                                 17


      Ebert:       Es ist meine freie Ueberzeugung67), daBWahl der
                   Nat.Vers. u. des RPraesidenten schnellstens vor
                   genommenwerden miissen.
      Marker:       Ich will     Ihnen      sagen, was        [Kapp]68)       in Berlin     sagt.
             Wahl betr. Praesident durchVolk. Fachleute. Amne
             stie. Berufsstand. Kammer. Eine Briicke fur die
             Reichswehr. Oberst Bauer- Die [Kapp-]Regierung
              ist zu jedem Entgegenkommen in Personalfragen
             bereit.
      Ebert: Ich lehne ab. Ist jemand andererAnsich[t]? Niemand
             meldet sich.
Auf    diese AulBerungen          Eberts      hin setzte      die recht zahfluissige De
batte ein; Maerckers Mission scheiterte sehr bald. Quellenkritisch
ist den Aufzeichnungen HauBmanns gegenilber erh6hte Acht
                  Wenn es auch unwahrscheinlich ist, daBEbert
samkeit geboten69).
wortw6rtlich    dieses und auch nur das gesprochen hat, was HauB
mann notierte, so bleibt doch der Eindruck unabweisbar,    daB der
Reichsprasident    mit seiner unmittelbaren  Stellungnahme  eine in
haltliche Diskussion uiber das ,,Entgegenkommen" Kapps unter
den Ministern vereiteln und die ablehnende Entscheidung des
Kabinetts prajudizierenwoilte.
    Moglicherweise hat Ebert sein politisches Engagement in den
Marztagen    1920, das freilich nur bei dieser einen Episode          etwas
mehr Plastizitat    gewinnt,    spater selbst als peinlich und amtsan
maBend    empfunden.     Denn Koch-Weser          schrieb etwa ein Jahr
darauf - kurz nach seiner Entlassung        aus dem Innenministerium       -
an seine Frau, Ebert stuinde ihm schon seit langerem merkwtirdig
abweisend   gegenulber.    ,,Er mag keine Leute, die ihm widerspre
chen", erklarte Koch-Weser        dieses Verhalten,    ,,und ich habe beim
Kapp-Putsch      ihm zu tief in die Karten gesehen"70).
       Die Nachwirkungen des Kapp-Liittwitz-Putsches zeigen zu
gleich die Grenzen der prasidentiellen EinfluBnahme  auf. Die sozial
demokratische    Fraktion  forderte nach dem perfiden Attentismus

  67) Zun?chst     notierte   Hau?mann        ?Entsch"     (Entscheidung),     strich das Wort

 fragment      durch und schrieb         ?Ueberzeugung".
  68) Im Original:       ?die Herrfen]".
            eine andere Niederschrift           von der Hand      Koch-Wesers;       abgedruckt
 69) Vgl.
 bei Erger,      Kapp-L?ttwitz-Putsch,            S. 339f.

  70) Brief vom 4. Juni 1921          (in Abschrift):     Nachla?    Koch-Weser           (Bundes
 archiv, Koblenz)     27, Bl. 545 f. Der Formulierung             k?nnte   entnommen      werden,
 da? Ebert     seine eigenen      Intentionen       w?hrend     des Kapp-L?ttwitz-Putsches

 verfolgt   habe;    die umfangreichen           Notizen      Koch-Wesers        aus dieser    Zeit
  lassen aber nicht     erkennen,    was Koch-W.          gemeint    haben    k?nnte.

              Zeitschrift, 1
      Historische    Beiheft                                                                   2
18                                              Giinter A ns


der Truppe die Abl6sung          des Reichswehrministers        Noske; Ebert
dagegen versuchte        diesen zu halten und die SPD-Fraktion             von
 ihrer Forderung      abzubringen,     schlieBlich gar durch die Drohung
mit seinem Riicktritt.       Nichtsdestoweniger        bestanden   die Sozial
demokraten        auf Noskes Entlassung,        und Ebert beugte sich der
Fraktionsentscheidung7l).        Genauso      wenig    konnte Ebert     seinen
Willen   bei der Neubesetzung        des Wehrministeriums        durchsetzen.
Unsicher     ist, ob Ebert oder Reichskanzler         Bauer gerne als Nach
 folger Noskes den Deutsch-Demokraten             Petersen gesehen hatte72);
 sicher ist, daB Ebert sich der Nominierung          GeBlers durch die DDP
Fraktion73) widersetzte74); sicher ist ebenfalls, daB die DDP
Fraktion    ihre Nominierung      aufrecht erhalten konnte.
      Hiermit    ist die Darstellung     unwillktirlich  wieder    in die The
matik    der Regierungsbildung        eingemiindet.     Wie   ist das Wirken
des Reichsprasidenten,       sein EinfluB speziell auf die Gestaltung       der
Reichskabinette       zu beurteilen?      Die bereits      angedeutete    erste
Kabinettsbildung      vollzog sich in einer Ausnahmesituation          und lIBt
Verallgemeinerungen        nur bedingt     zu. Exemplarisch       sei hier die

                                   von Otto Wels        in der Sitzung      des SPD-Partei
 71) Vgl. die Ausf?hrungen
ausschusses       vom 30. M?rz    1920 (Protokoll,    S. 7; Archiv   des SPD-Vorstandes,
Bonn)       : ?Wir hatten  die ?berzeugung,      da? Noske     die Dinge     nicht ?bersehen
hat    [...] und forderten    deshalb    seinen R?cktritt.    Ebert    erkl?rte   uns darauf,
 dann      gehe     er selbst   und       setzte    uns unter   den denkbar     st?rksten   Druck.
Diesen       hielten    wir aus      [...]. Ebert      hat die Drohung,     da? er zur?cktreten
m?sse,      weil     er verantwortlich           f?r die Handlungen     des Kriegsministers      sei,
nicht    aufrechterhalten".
  72) Aufzeichnung          Koch-Wesers       von    der    interfraktionellen       Sitzung   am
 23. M?rz     1^20 (Nachla?      Koch-W.       27, Bl. 35) :?Jetzt       schl?gt Bauer Petersen
 als Reichswehrminister           vor. Petersen     sagt   (ver?rgert      wie  er ist), er k?nne
 es [...] nicht".      Anders    die Aufzeichnung        Hau?manns          von der DDP-Frak

 tionssitzung        am 24. M?rz         (Nachla?  Hau?mann                       25)     : ?Payer:   Ebert        verlangte
  [gestern],      heute      noch     Reichswehrminister                     u.         zwar    Petersen.           [...]  Die
 Fraktion       soll beschlie?en            Petersen".

 73) Vgl. hierzu          Otto   Ge?ler,  Reichwehrpolitik                         in der Weimarer               Zeit,   hg.    v.
Kurt     Sendtner,         Stuttgart  1958, S. 129.
 74) Aufzeichnung           Hau?manns      vom 23. M?rz                   1920   (Nachla?               Hau?mann           43)       :
 ?Um 3 Uhr gehe              ich zu Ebert            u. empfehle:       [...] Ge?ler    sei             [als Reichswehr
minister]       vorgeschlagen.         Nein,           sagt Ebert,     der ist zu weich.                 Ge?ler    soll sein
Ministerium          [f?r Wiederaufbau]                  behalten.      [...]     Von       Noske       trenne       ich mich
 sehr   schwer.      Ich: er wird     in einem            Vierteljahr      wiedergerufen.                   ?B?lder?       sagt
Ebert".     -            scheint  Ebert                an Ge?ler      etwas mehr     Gefallen                                zu
               Sp?ter                                                                                         gefunden
 haben;    vgl. die Ausf?hrungen          Petersens   nach    dem                           Austritt        der DDP            aus
 der Regierung        in der Sitzung    des DDP-Parteiausschusses                                      am   11. November
 1921      (BA R     45 HI/11,        Bl.     70):     ?Gessler      blieb        [...]    auf   dringenden         Wunsch
Eberts".
Friedrich Ebeyt als Reichsprdsident                                          19


Regierungsbildung nach dem Putschabenteuer Kapps unter beson
derer Beobachtung                        der Tatigkeit              Eberts       kurz    verfolgt,       da die
Konstituierung des ersten Kabinetts Muller durchaus nicht auBer
gewohnliche und mithin                          durchaus symptomatische  Zuige tragt.
    Bis zum Vormittag                            des 26. Marz 1920 hatte Reichskanzler
Bauer geglaubt, die Regierungskrise durch eine einfache personelle
Aufftillung seines torsohaftenKabinetts, u. a. durch die erwahnte
Ersetzung Noskes, beheben zu konnen. Auch hierin ist eine Igno
rierung derWiinsche Eberts zu erblicken, der bereits fiinf Tage
vorher, anscheinend direkt nach seinerRuickkehr aus Stuttgart75),
die Demission des Ministeriums befiirwortet hatte. Kurze Zeit
darauf hatte Ebert seineMeinung geandert, wollte das Kabinett
sich nur noch                   ,,alsbald       erganzen"           lassen76),    so daB der dann                 er
folgteRuicktritt der Regierung Bauer wiederum nicht als im Sinne
des Reichsprasidenten gelten kann. Die zwischenzeitlich versuchte
Personalerganzung aber scheint nach Ansicht Eberts ausschlieB
liches Privileg der Koalitionsfraktionen gewesen zu sein. ,,Jede
Partei muB einfach sagen, was sie wiinscht",                                            ermunterte  er sie
und bemangelte   in vorwurfsvollem Unterton                                            deren mangelnden
Eifer: ,,K6nnen die Parteien nicht wenigstens sagen,welche Posten
sie behalten          wollen        und welche             sie etwa fur sich beantragen                   [ ?]" 77)
Sondierungsbemuhungen solcherArt sind schwerlich als vehemente
Einwirkungen                auf die Parteien,                  nervoses        Drangen        auf zwischen
parteiliche Einigung kaum als EinfluBnahme des Reichsprasidenten
bei der Regierungsbildung anzusprechen.Und doch bezeugt diese
Zuruickhaltung  abermals das Selbstverstandnis    Eberts von seinem
Amte. Wenn er wenige Tage zuvor, kurz vor seiner Riickreise nach
Berlin, auf die Frage eines Journalisten,     ob ,,Erganzungen  oder
teilweise Anderungen in der Reichsregierung vorgesehen" seien,
 75) Reichskanzler              Bauer      sowie     die Minister     M?ller     und    Giesberts     waren       am

Vormittag     des        20. M?rz        1920      in Berlin    eingetroffen;      Ebert   fuhr mit    den    ?bri
gen Ministern            erst     am     20.    um     23 Uhr von        Stuttgart      ab (FZ Nr.      218   vom
21. M?rz        1920),     d. h.       er konnte        fr?hestens     am Vormittag         des 21.     in Berlin
sein.

 76) Ebert    am 22. M?rz    1920 in einer Ministerbesprechung          (Nachla?    Koch-W.
27, Bl. 12) : ,,Kabinet[t]       soll R?cktritt     anmelden,     wie    ich gestern    sagte,
damit      ich es bitten  kann,   zun?chst   weiter   zu arbeiten.    Dann    h?tte man       es
in      14 Tagen   best?tigen       k?nnen.       Ich   tat das    f?r Noske,      der                aber    jetzt
endg?ltig      zur?ckgetreten         ist. Nun      w?rde     ich nicht mehr      das                Kabinetft]
zur?cktreten       lassen,    sondern     alsbald    erg?nzen".
 77) Aufzeichnung       Koch-Wesers          von der interfraktionellen       Sitzung                 am Abend
des     23. M?rz      1920:      Nachla?        Koch-W.         27, Bl. 33/37. Koch-Wesers         Kommen
tar:      ?Ein      trostloser      Zustand!         Es     ist alles  in Verwirrung.       Ebert,   sonst           so

klug,      versteht      nicht     den     einfachen       Vorgang      einer Kabinettsbildung".

                                                                                                              2*
20                                             Giinter Arns


zur Antwort     gab, daB hierfiir die Beschliisse                                   des Kabinetts   und
des Parlamentes    entscheidend  sein wfirden78),                                  so auBerte sich darin
eben dieses Selbstverstandnis, das Eberts EinfluBmoglichkeiten
nicht nur auf die Politik  im allgemeinen,   sondern                                         auch auf die
Regierungsbildung  im besonderen   starker begrenzte                                         als samtliche
Verfassungskautelen.
      Nach dem Ruicktritt        des Kabinetts      Bauer wurde noch am
gleichen Tage der Sozialdemokrat            Hermann Muller mit der Neu
bildung eines Ministeriums          beauftragt.   Das Protokoll      der Kabi
nettssitzung     vom Vormittag      des 26. Marz, in der tiber die Demission
der Bauer-Regierung         endgtiltig BeschluB      gefaBt wurde,      erweckt
die Ansicht,     als ob Ebert sich in der Auswahl des Kanzlerkandida
 ten freie Entscheidungsbefugnis         ausbedungen     habe79). Eine solche
Ansicht ware falsch: Zwanzig Minuten vor Sitzungsbeginn                beschloB
die SPD-Fraktion,      Miller dem Reichsprasidenten         als neuen Kanzler
zu prasentieren80).     Die Forderung Eberts        im Kabinett      nach Frei
heit bei der Regierungsbildung         und die Zusicherung      dieser Freiheit
seitens der SPD-Fraktion           ausgerechnet    durch Hermann         Miuller
sind also offenbar mit beiderseitigem Augenzwinkern             ausgesprochen
worden. Spatestens       sechs Stunden darauf war letzterem der Auf
 trag erteilt8l). Ebert kann demnach            gar nicht ernsthaft      andere
Kandidaten       in Erwagung gezogen haben; er muB dem sozialdemo
kratischen     Beschlul3 vorbehaltlos       und ohne langes Zogern ent

 78) Interview     Eberts    mit  der  Schweizerischen      Depeschen-Agentur           am
20. M?rz     1920;  zit. FZ Nr. 218 vom    21. M?rz:    ?Dar?ber     kann   zurzeit   noch
nichts  gesagt werden.     Wir werden   in Berlin   dar?ber   sprechen.   Entscheidend
hierf?r      sind     die Beschl?sse           des Kabinetts           und   der Nationalversammlung".
   ) BA R       43      1/1354, Bl.     334:     ?Der  Reichspr?sident             erkl?rte    sich bereit, die
Demission            anzunehmen         vorausgesetzt,        da?    ihm        Freiheit    bei der Bildung
eines     Kabinetts       gelassen      w?rde.     Der Au?enminister               M?ller       erwiderte,    da?
die     sozialdemokratische        Fraktion               dem Herrn       Reichspr?sidenten         die Freiheit
 lassen     w?rde.   Der Reichspr?sident                    schlug     vor, da? das Kabinett              sich    nun
mehr                   machen     solle,             ob    es demissionieren        wolle    oder     nicht.        Er
           schl?ssig
 seinerseits     w?rde   die Demission                  bef?rworten         [...]. Wenn   das    Kabinett           zu
r?cktrete,    so w?rde          er einen        Reichskanzler            bestellen    und mit       ihm     die    Bil
dung     eines Kabinetts               versuchen.          Dem        Vorschlag    des   Reichspr?sidenten
wurde     zugestimmt".     Die Sitzung    begann                      um 11 Uhr.

 80) Aufzeichnung       Koch-Wesers      vom     26. M?rz    1920      (Nachla?    Koch-W.      27,
Bl. 55): ?10% Uhr         gehe   ich zu Loebe.      Er sagt    [...]: Vor     5 Minuten     haben
wir   beschlossen,      dem Reichspr?sidenten         klar   zu machen,          da?    ein neues
                           von M?ller                                       -
Kabinett      m?glichst                    gebildet   werden        soll".     Was     Haungs,
Reichspr?sident,            S. 326 Anm.           48,     ?ber   die Haltung       des   Zentrums          sagt,     ist
 legend?r.
 81) Vgl.     die Angabe       in Anm.         84.
Friedrich Ebert als Reichsprasident                                                21


 sprochen haben. Als uiberaus treffend erweist sich so die Formu
 lierung,
        mit der das SPD-Zentralorgan die neue politische Situation
verbreitete:   ,,Genosse Bauer hat heute um 11 Uhr vormittags
seine Demission    gegeben, und der Reichsprasident hat auf ein
stimmigen BeschluB der sozialdemokratischenFraktion den Mini
ster des Auswartigen, Genossen Hermann Muller, mit der Bildung
einer neuen Regierung betraut"82). An den nachfolgenden Ver
handlungenMullers mit den Fraktionen war Ebert ganzlich unbe
 teiligt, und            abgesehen              von der formalen Emennung                                der Minister
trat der Reichsprasident bei der Kabinettsbildung nicht weiter in
Erscheinung83).Es hat fast symbolhaften Charakter, daB Ebert
 sich von             den versammelten                          Parteifulhrern           entfernte,          als Muller
 zur Aufnahme der Koalitionsverhandlungen im Beratungszimmer
            Eine geringere EinfluBnahme als die schlichte Absenz
 erschien84).
 IaBtsich schlechterdings nicht denken.
          Ganz         ahnlich          war Eberts                Verhalten         bei der Konstituierung
 des zweiten Kabinetts Wirth. Schon gleich nach dem Regierungs
 rticktritt   im Oktober    1921                            dachte Ebert   an eine Neuberufung
Wirths      zum Reichskanzler85),                             zogerte aber mehrere Tage, da die
 fur eine Koalition in Frage kommenden Parteien keine Einigung
untereinander                   zu erzielen               vermochten.             Erst     nachdem              Zentrum
und Sozialdemokratie sich uber die nachsten politischen Schritte
verstandigt hatten und eine parlamentarische (Minderheits-)Basis
 fur das neue Kabinett                          als gesichert gelten konnte, wurde die aber
malige Kanzlerschaft                           Wirths     diskutiert, dem Ebert sogleich die
Fuhrung weiterer interfraktionellerVerhandlungen uberlieB86).

 82) Vorw?rts     Nr. 159 vom 26. M?rz   1920.
 8S) Vgl. dazu die Aufzeichnung     Koch-Wesers                                  vom     26. M?rz        1920      (Nachla?
Koch-W.       27, Bl. 59).
  84)Nachla?          Hau?mann             25 :?Fraktion.             26 III1920,    5 Uhr. Payer:   Ich komme
 von Ebert,           der      sich     zur?ckzog,         als M?ller,       sein beauftragter   Kanzlerkandi
 dat,     eintrat".
 85) Vgl.     den      Brief      Petersens          an    seine    Frau    vom     20. Oktober          1921      (Nachla?
Petersen;            in Privatbesitz):       ?Trotzdem       wird mangels                   eines     besseren      Gegen
standes          sich gestritten       ?ber Wirth     : soll er das etwaige                 neue     Kabinett       wieder
 bilden      oder      nicht?         Ebert     will      das      offenbar;  Wirth    will  auch gern              wieder.

 '[... Doch:]  Es kommen    die                        Parteien         zu Geh?r    u. werden    gefragt,               ob    sie
Wirth     auch das neue Kabinett                          f?hren       lassen   wollen    oder      nicht;      damit     geht
 die Zankerei           los u. weiter.
                                     Mein Rat      an Ebert, Wirth        zu veranlassen,                                doch
 die     Sache      durch        eine
                                Erkl?rung     seinerseits     zu kl?ren,    fand bei ihm taube
Ohren".        (Unterstreichungen        im Original     hier kursiv.)

 86) FZ      Nr. 793 vom        25. Oktober     1921:     ?Der Reichspr?sident        hat gestern

 [23.] die Fraktionsf?hrer                     gebeten,     ihn heute nachmittag                 ?ber    den Fortgang
 ihrer     Verhandlungen                  zu    unterrichten,     und  er wird               dann       wahrscheinlich
22                                              Giunter Arns


      Lediglich    im November          1922 hat Ebert eigenmachtig            eine
Regierungsbildung        in die Hand genommen. Von einer ,,Initiative"
des Reichsprasidenten        zu sprechen ware auch in diesem Falle nicht
ganz zutreffend       (initium!),   da der Kanzlerkandidat           Cuno, bevor
er von Ebert ,,freie Hand" zugesichert              erhielt, mehrere Tage lang
eine Verstandigung       mit und unter den Parteien angestrebt hatte.
Die dann erfolgte MaBgabe, Cuno solle ein ,,Geschaftsministerium"
ohne parteipolitische        Ausrichtung        bilden,    riskierte Ebert    erst,
nachdem er widersinnigerweise            die Zustimmung        der Fraktionen    zu
diesem Unternehmen            eingeholt     hatte87).    Ein zweiter Versuch
eigenmachtiger      Kabinettsbildung         ein Jahr spater, als Ebert den
Nichtparlamentarier        Albert mit der Bildung eines iuberparteilichen
Kabinetts     beauftragte,     scheiterte    schon im Ansatz        an der kuihlen
Resonanz      der Parteien88).      Eine Regierung         ohne oder gar gegen
den Willen      der Parteien      zu installieren hat Ebert stets sich ge
scheut.
      tberblickt man die Regierungsbildungen           wahrend      der Prasi
dentschaft Eberts, so ergibt sich zusammenfassend            folgendes Bild:
 In Besprechungen    mit Partei- bzw. Fraktionsftihrern            konnte der
Reichsprasident     zu einem aktuellen       politischen    Problem      deren
Haltung,     die fur eine Neugestaltung      des Kabinetts       geklart sein
muBte, und deren Stimmung          zugunsten     einer bestimmten       Koali
 tion erkunden. Bei dieser Gelegenheit       konnte er seine eigene Mei
nung prononcieren,      beratend und vermittelnd          in die Diskussion
eingreifen    und   im gegebenen      Augenblick       einen     ,,dringenden

seinen      Entschlu?              ?ber      die Ernennung              eines     neuen        Kanzlers       treffen".       FZ
Nr.    795 vom           25. Oktober           1921:  ?Nach         dem         Abschlu?        der     interfraktionellen
Besprechung              beim  Reichspr?sidenten                   [am Nachmittag                 des      24.] blieben       die
Vertreter          des    Zentrums     und der               Sozialdemokraten                  noch       zur?ck,    um      mit
Dr. Wirth,    der            inzwischen            erschienen       war,          zu   einer      engeren      Aussprache
zusammenzutreten'                    '.
 87) FZ Nr. 831             vom           19. November          1922:       ?Reichspr?sident      Ebert    forderte
die Parteif?hrer              auf,         [...] noch  einen      letzten     Versuch     Geheimrat     Cunos,    ein
Kabinett           zu    bilden,          zu unterst?tzen.      Diese   M?glichkeit      w?re     allein                  dann
gegeben,       wenn          die     Parteif?hrer         ihr Einverst?ndnis        damit     erkl?rten,                     da?
Geheimrat          Cuno         in der Auswahl           der Mitglieder      seines Kabinetts      und                    in der

Besetzung           der     einzelnen          Ministerien        v?llig  freie Hand      erhalte,    um ohne

Bindung     an W?nsche                    und Forderungen          der einzelnen   Parteien      sein Kabinett
zu bilden".

 88) Ebert      beauftragte   Albert    am Nachmittag        des 25. November     1923;    am

Mittag       des  27. gab Albert   den Auftrag     zur?ck.   Die FZ Nr. 879 vom 27. No
vember        1923 meldete,   die Berufung   Alberts    habe bei den Fraktionen      ??ber
raschung        hervorgerufen     und   zum gro?en      Teil   vielfach  starke Ablehnung
gefunden".
Friedrich Ebert als Reichsprdsident                                              23


Wunsch"89)            auBern. Es hing von dem Grad                           der jeweiligen              partei
politischen Zerfahrenheit ab, inwieweit die Fraktionen die An
regungenEberts aufzugreifen gesonnen waren. Je allgemeiner und
unverbindlicher solche Anregungen gehalten waren, desto eher
zeigten sich die Fraktionen geneigt, ihnen zuzustimmen. Je kon
kreter und detaillierter seine Vorschlage ausfielen - das gilt ins
besondere fur Fragen personellerArt -, desto eher muBte Ebert
mit einer Ablehnung durch die Parteien rechnen90).Ablehnen
konnte Ebert auch; dann kam es auf die Standhaftigkeit                                             der Par
teien an, ob dieser auf seiner ablehnenden   Haltung                                              beharren
konnte. Wie die Nominierung GeBlers zumWehrminister gezeigt
hat, bedurfte          es im groBen und ganzen                         keiner allzu eisernen Stand
haftigkeit, um die Entscheidungen Eberts umzustoBen. Nur ein
einziger Fall ist bekannt,   in dem der Reichsprasident    sein Veto
nicht zu revidieren brauchte, und dieser Fall scheint nur ein neben
 sachlichesRandereignis gewesen zu sein9l).
        Sofern der Reichsprasident                      nicht      die Initiative         bei der Regie
 rungsbildung ergreifenwollte - und daftir spricht sein ganzes Ver
halten       -, konnte       er in den Koalitionsverhandlungen                             nur mit mehr
 oder weniger geschicktem Auftreten das moralische Gewicht eines
 iiberparteilichenpouvoir neutre auszuspielen versuchen; er konnte
 auBerstenfallsden Gang derVerhandlungen durch eine Riicktritts
 drohung zu beschleunigen bzw. zu beeinflussen trachten. Aber
 gerade der so ubermaBig haufige Gebrauch der Rticktrittsdrohung
 durch Ebert zeigt, daB er weder das eine noch das andere, weder
Verhandlungsgeschick nochmoralisches Ansehen, Autoritat, besaB,
 - zumindest,           daB er glaubte,               keine Autoritat               zu besitzen92).          Bis

  89) Vgl.   das Petersen-Zitat           in Anm.      74.
 90) Meissner,         Staatssekret?r,        S. 133         (Anfang    November        1923):   ?Ebert          [...]
 bem?hte       sich   in eingehenden          Besprechungen       mit       den     f?hrenden    Mitgliedern
 der    Sozialdemokratischen              Partei     und Fraktion,          diese Entschlie?ung      [ihre
 Minister       zur?ckzuziehen,          ...] wieder    r?ckg?ngig         zu machen,     fand aber kein
               - Protokoll      der                                        vom   20. Juni    1919:
 Geh?r".                          SPD-Fraktionssitzung                                             ?Lobe
 tr?gt   dann     einen Wunsch      Eberts     vor, da? die Fraktion         auf Scheidemann
                                                                               - Diese
 einwirken    m?ge,     da? er in der Regierung         verbleiben    solle.               Einwir

 kung wird     nach ausgiebiger       Er?rterung     abgelehnt".
  91) Scheidemann,           Memoiren,      Bd. 2, S. 373       (wohl 20. Juni      1919):    ?Auf
 die vertrauliche      Frage   Eberts    an Landsberg      und mich,    wen     er als Minister

 pr?sident       jetzt berufen     sollte,   machte      Landsberg          einen   Vorschlag,      den Ebert
 entschieden        ablehnte".

 9a) Nach   Theodor     Heuss,     Politik.   Ein Nachschlagebuch                          f?r Theorie         und
Praxis,   Halberstadt      1927,   S. 18, bedeutet     Autorit?t       ?im                 politischen       Sinn
 die F?higkeit      einer  Staatsgewalt      oder   eines   politischen                    F?hrers,     seinen
Willen    oder seine Anschauung          zu Geltung    und zu Wirkung                        zu bringen.    Es
24                                        Giinter Arns


zum Jahre 1922 hat Ebert bei jeder Regierungsbildung     (mit Aus
nahme der Umbildung    der Regierung   Bauer    im Oktober    1919,
wahrend der er auf der Frankfurter Herbstmesse weilte93) diese
 scharfe Waffe           der Demission             ins Feld gefiuhrt94) und so ohne merk
lichenEffekt abgestumpft. Und nicht immer scheint er diese Mal3
nahme sorgsam bedacht und mit bedeutungsschwerer Gravitat
getatigt zu haben, wie man aus einer Notiz ersehen kann, die HauB
mann wahrend      der Regierungskrise nach den ersten Reichstags
wahlen aufzeichnete95):
           17. Juni      [1920]     [...] 6 Uhr          bei Ebert          [...]     Ich     trete dem Co
           operierenmit der heterogenen Volkspartei entgegen. Ebert ist
           iuber Hemmung durchmich unbefriedigt. Ich bleibe dabei
                die
          [...]. Ebert IaBt mich auf morgen Mittag    bitten. [...] 18. Juni
         Freitag     [...] Ich zu Ebert. Er muBte weg,      laBtmich durch
         Geh.Rat      Meissner   bitten, doch ja meine Parteigenossen     zu
           bitten, in die Combination Deutsche Volkspartei einzutreten.
           Sonst mt!Bte         er als Reichsprasident                  wegen             Unfahigkeit,           eine
     Regierung zu bilden, demissionieren.
Die tbermittlung der Rticktrittsabsicht durch einen Beamten
degradierte den (wahrscheinlich gar nicht beabsichtigten) Ruick
tritt zu einem Verwaltungsakt von minderer politischer Relevanz
und nahm              schon allein dadurch                der Drohung                ihre (wohl doch be
wird   dabei nicht  so sehr an den Gebrauch                       von   Gewaltmitteln               gedacht    [...]
als an die moralische    Verbundenheit,   die                    sich      freiwillige       sachliche    Gefolg
schaft   erzwingt".
 93) Ebert ernannte die            neuen      Minister     telegraphisch            von    Frankfurt      aus:    FZ
Nr. 742 vom 4. Oktober                1919.
 94) F?r die Kabinettsbildung                Bauer:      Otto    Landsberg,          Die Entscheidung
 im Kabinett          19. Juni     1919,    in: Victor     Schiff,       So war     es in Versailles          ...,
Berlin       1929,     S. 114f.       (Unterredung         Ebert-Scheidemann-Landsberg                       am
 19. Juni);      Nachla?      Koch-W.         16, Bl. 179f.        (Aufzeichnung        der    interfraktio
nellen     Sitzung     vom     19. Juni 1919); Friedrich            Naumann,           ?Kriegschronik",
Die Hufe         25 (1919),      S. 338     (Aufzeichnung         vom     21. Juni);     Nachla?       Hau?
mann       59 (Aufzeichnung            der DDP-Fraktionssitzung                vom     20. Juni                  ?
                                                                                                     1919).
F?r M?ller         I vgl. oben Anm.         71. - F?r Fehrenbach:              ?Streng      vertrauliches"
Rundschreiben            des SPD-Vorstandes             an die Parteipresse           vom     9. Juni     1920
 (Freiheit      Nr. 256      vom       2. Juli    1920);     Bayerischer        Kurier       Nr. 168 vom
 16. Juni 1920; vgl. auch n?chste                Anm.     - F?r Wirth        I: Nachla?       Koch-W.        27,
Bl. 520                            vom     10. Mai               - F?r Wirth         II: Marx
              (Aufzeichnung                            1921).                                        auf dem
Zentrumsparteitag             f?r den Wahlkreis           D?sseldorf-Ost         am 30. Oktober            1921
 in Elberfeld               Ztg. Nr. 515 vom      1. November
               (Vossische                                          1921);   Josef Wirth,
Die  Festigung   der Republik,     in :Friedrich  Ebert   und seine Zeit. Ein Gedenk
werk   ?ber den ersten    Pr?sidenten      der deutschen    Republik,     Charlottenburg
 1928,     S. 321.
95) Nachla?          Hau?mann        150.
Friedrich Ebert als Reichsprdsident                                        25


absichtigte) Pressionswirkung. Auch ware zu fragen, ob eine De
missionsandrohung uiberhaupt erforderlich war oder ob nicht
geringerwertige Mittel ausgereicht hatten, dem Willen Eberts
gegeniuber HauBmann Geltung zu verschaffen. Ebert hatte ihn ein
zweites Mal und zu demselben Termin einen DVP-Abgeordneten
zu sich bestellen k6nnen; er hatte abwarten k6nnen, ob HauBmann
 seine Bedenken gegen eine Koalition   der DDP mit der Volkspartei
auch in dessen Gegenwart   vorgetragen hatte. Ein kundiger Staats
mann hatte um HauBmanns         gerade in diesem Punkte   schwache
Position innerhalb der DDP-Fraktion96) gewuBt und diese Tat
sache zu nutzen              verstanden.              Die       so manches          Mal    unangebrachte
oder doch verfrtihte Drohung mit seinem Ruicktritt offenbart eine
recht schwach ausgepragte Feinnervigkeit Eberts fur taktische
Situationen,           was       den durchgangig                  zu verzeichnenden            Mangel        an
EinfluB auf die Kabinettsbildungen in nicht geringem MaBe mit
bedingt haben wird.
    Die gegen Ende 1923 in weiten politischen Kreisen gefuihrte
Diskussion uber eine Auflosung des Reichstages gab dem Reichs
prasidenten die M6glichkeit, den entsprechenden Artikel 25 der
Weimarer   Verfassung  zum Aus- bzw. Aufbau einer Machtposition
zu benutzen,   oder genauer:  sie hatte ihm die Moglichkeit   dazu
gegeben. Ebert handhabte     jedoch auch diese genuin prasidiale
Verfassungskompetenz nicht zielbewuBt und augenscheinlichmehr
nach momentanen      Eingebungen   als nach politischer Rationalitat.
Mitte Oktober     1923 gewahrte  er dem Reichskanzler      Stresemann
eine Auflosungsermachtigung,     drei Wochen     spater verweigerte   er
 sie ihm97); dem Zentrumsabgeordneten      Stegerwald,   der sich nach

               den Brief     Petersens an seine Frau       vom   24. Juni    1920
 9<J)Vgl.                                                                            (Nachla?
Petersen)        :Petersensei von Anfang     an f?r eine Koalition      aus DDP,    Zentrum
und DVP      eingetreten.      ?Aber    das nun der Fraktion         und gar der W?hler
 schaft klar und annehmbar           zu machen,    unmittelbar     nach dem Wahlkampf,
 ist und war keine Kleinigkeit.         Und    die F?hrung     in der Sache     lag und liegt
haupts?chlich           in meinen       H?nden.          Bisher       ist eigentlich   Alles   gut gegangen
 [...]. Selbst     der Parteiausschu?                ist mir    gefolgt;    die opponierende      Minderheit
 bei    uns    in der Fraktion          [...] war      zum     Schlu?       sehr klein".

 97) Am 4. November              1923      schrieb     das     Stresemann
                                                             nahestehende     DVP-Organ
Die Zeit Nr. 256:   ?Bringt   der Reichstag        eine sichere Mehrheit      nicht   auf, so
wird der Regierung   kein anderer Weg        bleiben    als das Parlament     aufzul?sen".
FZ Nr. 820 vom gleichen     Tage meldete,        Stresemann     wolle   u. U. ?auf Grund
 einer Erm?chtigung     des Reichspr?sidenten,          die er entweder      schon besitzt
 oder     f?r sicher    h?lt",  den Reichstag      aufl?sen.    Am n?chsten      Tage korrigierte
 sich    die   FZ Nr.     822:  ?Eine Reichstagsaufl?sung            [...] kommt    deshalb      nicht
 in Frage,  weil,       wie wir zu wissen      glauben,      die daf?r ma?gebende         Stelle    aus
         Gr?nden          nicht  bereit   ist, die Erm?chtigung            dazu  zu erteilen".      FZ
 guten
26                                                 Giinter Arns


dem          Sturz           des Kabinetts                Stresemann               um      eine Neubildung                       be
muihte, verweigerte er die Aufl6sungsermachtigung98), dem Zen
 trumsabgeordneten      Marx,   der nach dem Scheitern        Stegerwalds
das neue Kabinett     schuf, gewahrte er sie. Und in den beiden Fallen,
da Ebert eine Aufl6sungsorder        zur Verfuigung stellte, unterwarf er
sich anscheinend     bedingungslos     und ohne Umschweife      den Wutn
schen der Kabinettschefs99).      Aber gerade zwischen einem glatten
Ja und einem plumpen Nein bestand der taktische Spielraum des
Reichsprasidenten,      um sich bei den anderen politischen Macht
faktoren Gehor zu verschaffen.        Solches Finassieren mag Ebert als
unehrenwert,     als unfein, widerstrebt     haben, und so begab er sich
der letzten Chance, EinfluB auf die Kabinettsbildung          und auf die
Politik zuruckzugewinnen.
            Insgesamt   gesehen besaB Ebert nicht mehr politisches       Ge
wicht         als ein durchschnittliches Partei- oder Fraktionsvorstands

Nr.      855       vom       17. November             1923 wu?te           zu der Mitteilung    der Zeit Nr. 262
vom    gleichen     Tage,              da?     Stresemann         ?gegen?ber         allen Anzweiflungen"      die
Aufl?sung      vollziehen               werde:        ?[Trotzdem]      m?chten        wir vorl?ufig    daran fest
halten,            da?     diese    Eventualit?t          bis jetzt nur in den W?nschen          des Reichs
kanzlers             Dr.    Stresemann           selbst     eineRolle     spielt;   da? die entscheidenden
Stellen sich f?r eine solche                       L?sung    bereitfinden      werden,  haben wir nach wie
vor Grund   zu bezweifeln".                        Nach   einem Brief      an Stresemann     vom 5. Dezem
ber      1923
           (Nachla?    Stresemann      88, H                        171547-171551)            war        die Verweigerung
durch   Ebert    ?mindestens      teilweise                         auf die Haltung                des    Herrn    Generals
v. Seeckt   zur?ckzuf?hren".
98) Vgl.           die Ausf?hrungen              Stegerwaids    in Der Deutsche  Nr. 281 vom 30. No
vember              1923:  ?Diese           [Aufl?sungsorder]      zu gew?hren  konnte       sich der Herr
Reichspr?sident,                   gest?tzt     auf die Verfassung     und aus begreiflichen      Gr?nden,
nicht   entschlie?en".
99) Die mangelnde                   Einflu?nahme            Eberts        Mitte     Oktober        1923      ergibt   sich aus
der Schnelligkeit       der Entscheidungen:        Unmittelbar                              vor     Beginn        der Plenar
sitzung,    ?kurz nach       10 Uhr",    erschien   Stresemann                              im Reichstag,            ?um sich
?ber die Chancen          der Abstimmung        zu informieren";                              ?er begab          sich alsbald
zum                                um  ihm ?ber      die Situation                             Bericht           zu    erstatten
       Reichspr?sidenten,
und         sich     von
                       ihm die Erm?chtigung     zur Aufl?sung                               des    Parlaments               f?r den
Fall        der Ablehnung     des [ersten Erm?chtigungs-]Gesetzes                                        geben        zu     lassen.
Mit      dem         vorbereiteten           Dekret       ?ber      die  Aufl?sung    des Reichstages                        kehrte
der     Reichskanzler                kurz     vor     12 Uhr         in den Reichstag     zur?ck.    Er        empfing
sofort         die    Fraktionsf?hrer               und    teilte     ihnen       den   Beschlu?    des Reichspr?si
                                                                                                                 - F?r
denten          und        der Regierung    mit".           (FZ Nr. 756 vom               12. Oktober   1923.)
die      Situation            Anfang    Dezember             1923 vgl. die Ausf?hrungen                          von        Staats
 sekret?r          Meissner          im Kabinett          am 2. Dezember     (BA R 43                               10):   Bl.
                                                                                                           1/1390,
Der   Reichspr?sident       w?nsche      die Parlamentsaufl?sung                                 ?m?glichst    hinaus
zuschieben      [...]. Er mache     jedoch   seine Entscheidung                               von der Entscheidung
des Kabinetts                 abh?ngig".
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20519403[1]

  • 1. Akademie Verlag GmbH Friedrich Ebert als Reichspräsident Author(s): Günter Arns Source: Historische Zeitschrift. Beihefte, New Series, Vol. 1, Beiträge zur Geschichte der Weimarer Republik (1971), pp. 1-30 Published by: Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH (and its subsidary Akademie Verlag GmbH) Stable URL: http://www.jstor.org/stable/20519403 . Accessed: 29/03/2011 17:39 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at . http://www.jstor.org/action/showPublisher?publisherCode=oldwiss. . Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org. Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH and Akademie Verlag GmbH are collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Historische Zeitschrift. Beihefte. http://www.jstor.org
  • 2. FRIEDRICH EBERT ALS REICHSPRASIDENT VON GUNTER ARNS I. WAHREND tiber die Reichsprasidentschaft Paul von Hinden burgs eingehende Detailuntersuchungen gerade auch aus jiingerer Zeit vorliegen, hat Friedrich Eberts Wirken als Reichsprasident bislang eine mehr oberflachliche Betrachtung erfahren. Eine auf Primarquellen basierende Biographie Eberts fehltl), und wer ein wertendes Urteil iuber dessen Reichsprasidententatigkeit sucht, sieht sich auf Randbemerkungen verwiesen. Dabei wird ganz uber wiegend die Ansicht vertreten, daB Ebert auf die Politik ,,betracht lichen EinfluB" ausgetibt2), daB er ,,in mehr als einer Krise ent scheidend eingegriffen" habe3), daB sein ,,Verdienst um die Erhal tung verfassungsmaBiger Zustande und der Reichseinheit [...] kaum tiberschatzt werden" konne4). Solche Ansicht ist sicherlich eine Konsequenz der unbefriedi genden Quellenlage, die eine Beschrankung auf die - allerdings umfangreiche - Memoirenliteratur der Weimarer Zeit geradezu zu erzwingen schien. Die einschlagigen Akten aus dem Buro des Reichsprasidenten, die viel zur Erhellung der Amtsfuihrung Eberts und seines Einflusses beitragen dturften, sind als Archivgut des Potsdamer Zentralarchivs westlichen Historikern nur sehr begrenzt x)Waldemar Besson, Friedrich Ebert. Verdienst und Grenze (Pers?nlich keit und Geschichte, Bd. 30), G?ttingen 1963, referiert nur summarisch die Eberts. Von dem Werk von Georg Kotowski, Reichspr?sidentenzeit Friedrich Ebert. Eine Biographie, liegt bisher nur der Band 1 politische (?Der Aufstieg eines deutschen Arbeiterf?hrers 1871 bis 1917", Wiesbaden 1963) vor. 2) So Peter Haungs, Reichspr?sident und parlamentarische Kabinetts regierung. Eine Studie zum Regierungssystem der Weimarer Republik in den Jahren 1924 bis 1929, K?ln/Opladen 1968, S. 175. 3) So Andreas Dor palen, Hindenburg in der Geschichte der Weimarer Republik, Berlin/Frankfurt 1966, S. 68. 4) So Georg Kotowski, ?Friedrich Ebert", in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 4, Berlin 1959, S. 256. Historische Zeitschrift, Beiheft 1 1
  • 3. 2 Giinter A ns zuganglich; private Papiere des ersten Weimarer Staatsoberhauptes sind nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht uiberliefert. Man ist demnach auf das Primarquellenmaterial anderer Prove nienz, an erster Stelle auf die vom Bundesarchiv in Koblenz be treuten Akten der Reichskanzlei und auf NachlaBpapiere von Personen aus der unmittelbaren Umgebung Eberts, angewiesen. Hier aber erhebt sich gleich die Frage nach dem Quellenwert, - nicht des einzelnen Dokumentes, sondern generell. Als unbe streitbare Tatsache bleibt etwa festzuhalten, daB Ebert wiederholt an Kabinettssitzungen teilgenommen hat. Was beweist indes eine derartige Teilnahme ? Tatsache ist namlich andererseits, daB der Reichsprasident im Kabinett kein Stimmrecht besaB5). Es miiBte also gepruft werden, inwieweit eine Anregung Eberts wahrend einer Kabinettssitzung von den Ministern bewuBt oder unbewuBt als Richtlinienerteilung aufgefaBt wurde, inwieweit eine Meinungs aiuBerung Eberts direkt oder indirekt in einen KabinettsbeschluB Eingang gefunden hat, Fragen, die auch bei sorgfaltigster Analyse der Sitzungsprotokolle auBerst schwierig und kaum vollig sicher zu beantworten waren. Des weiteren mthBte geprtift werden, wie wichtig dem Reichsprasidenten ein Beratungsgegenstand erschien, um an einer Kabinettssitzung teilzunehmen oder femzubleiben, in welchem MaBe Ebert von auBen her (durch Zeitungsinterviews oder durch informelle Besprechungen mit Ministern und Parla mentariern) auf den EntscheidungsprozeB des Kabinetts einzu wirken versucht hat bzw. in welchem MaBe ein Kabinettswille durch eine derartige ,,mediatisierte" Einwirkung tatsachlich mit bestimmt wurde. Angesichts dieser Problematik kann die folgende Betrachtung nur eine provisorische Skizze entwerfen, mehr Anregung vermit teln als AbschlieBendes bieten wollen. Auch mag von vornherein festgestellt sein, daB - wenngleich einige Andeutungen zur Person lichkeit dieses Mannes erforderlich schienen6) - nicht die Person, sondern der Amtstrager Ebert im Mittelpunkt der Erorterungen steht; alles, was an nachempfindendem Verstehen eine Biographie bereichert, muB hier unberucksichtigt bleiben. 5) So ausdr?cklich der DNVP-Abg. Delbr?ck als Berichterstatter des Ab schnitts ?Reichsregierung" am 10. April 1919 im Verfassungsausschu?: Verhandlungen der Nationalversammlung (im folgenden: RTA), Bd. 336, S. 302. 6) Ulrich Scheuner, Das Amt des Bundespr?sidenten als Aufgabe verfas sungsrechtlicher Gestaltung, T?bingen 1966, weist einleitend (S. 9f.) auf die Interdependenz von Person und Amt bei einem Organ wie dem des Bundes- (Reichs-)Pr?sidenten hin.
  • 4. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 3 Eine zweite Frage ist derUntersuchung tiberEberts politische Tatigkeit als Reichsprasident voranzustellen: die nach den Inten tionen der Weimarer Verfassung und nach der Amtsauffassung Eberts. Fur die Verfassungsschopfer stand auBer Frage, daB nach der Umsturzphase desWinters 1918/19 ein parlamentarisches Regie rungssystem zu errichten sei; weder das Prasidialsystem nach amerikanischem Vorbild noch gar ein Ratesystem nach sozialisti schen Vorstellungen wurden ernsthaft als Alternativlosungen in Erwagung gezogen. DaB ein allgemein gehaltenes Grundsatz bekenntnis zum parlamentarischen System jedoch nicht gleich bedeutend war mit seiner Kodifizierung en detail, zeigte sich wah rend der Verfassungsberatungen nur allzu rasch7). Dort woilte man dann ,,kein System der unumschrankten Parlamentsherr schaft"8), wollte dem ,,durch eine starke Kontrollgewalt eines anderen nebengeordnetenOrgans" begegnen9),wollte ,,ein Gegen gewicht gegen die Macht des Parlaments" schaffen10). Nach sol chem Modell, das sowohl dem Parlament wie auch - als ,,Gegen gewicht" - dem Reichsprasidenten politische Verantwortlichkeit zuerkannte, wurde die Weimarer Verfassung konzipiert, und das Ergebnis war, was Bracher ihre ,,Kompromi3struktur" nenntl'). Es muBte weitgehend von der zukuinftigen Praktizierung, von der politischen Befahigung des einen wie des anderen Staatsorgans abhangen, ob die reprasentative oder die plebiszitare Kompo nente12) in den Vordergrund trat. Mehrdeutig wie der Verfassungstext waren die Erlauterungen von Hugo PreuB in seinerDenkschrift zum Verfassungsentwurf13). 7) Zu den Verfassungsberatungen neuerdings Haungs, Reichspr?sident, S. 22-A3, mit weiterer Literatur. 8) So der SPD-Abg. Katzenstein als Berichterstatter des Abschnitts ?Reichs tag" am 3. Juli 1919 in der Nationalversammlung: RTA, Bd. 327, S. 1263. 9) So der DDP-Abg. Abla? als Berichterstatter des Abschnitts ?Reichspr?si dent" am 4. Juli 1919 in der Nationalversammlung: RTA, Bd. 327, S. 1309. 10) So der SPD-Abg. Fischer als Mitberichterstatter des Abschnitts ?Reichs am 8. April 1919 im Verfassungsausschu?: RTA, Bd. 336, S. 274. pr?sident" n) Karl Dietrich Bracher, Die Aufl?sung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 4. Aufl., Villingen 1964, S. 21. 12) Vgl. Ernst Fraenkel, Die repr?sentative und die plebiszit?re Kompo nente im demokratischen Verfassungsstaat (Recht und Staat, Heft 219/220), T?bingen 1958; auch in: Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demo kratien, 2. Aufl., Stuttgart 1966, S. 71-109. 13) Abdruck in: Hugo Preu?, Staat, Recht und Freiheit, hg. v. Theodor Heuss, T?bingen 1926 (Neudruck: Hildesheim 1964), S. 368-394. 1*
  • 5. 4 Giinter Arns Einerseits sprach PreuB dem Reichsprasidenten explicite ,,Regie rungsfunktionen" zu, andererseits sollte er diese ,nur unter der verantwortlichen Mitwirkung der [...] Reichsminister ausiiben" k6nnen14). Da der Reichsprdsident iuberdies keine klar umrissenen Kompetenzen besaB, hing er, wie es ein Abgeordneter ausdrtickte, ,,politisch gleichsam in der Luft"'5). Nur in einem Punkte wurden seine Amtsgeschafte naher umrissen: Bei der Bildung der Reichs kabinette sollte der Prasident frei entscheiden diirfen und lediglich an das (notfalls mutmaBliche) Vertrauen des Parlamentes zu den von ihm berufenen Kabinetten gebunden sein, eine Befugnis, die nach PreuB zugleich ,,die wichtigste selbstandige Funktion des Reichsprasidenten" darstelltel6). Eine Priufung des politischen Wirkens Eberts wird somit seiner EinfluBnahme bei den Kabinetts bildungen besondere Beachtung schenken miussen. Doch ist bei aller Unentschiedenheit, wenn nicht Unklarheit der Verfassungskonzeption den Beratungen der Nationalversamm lung deutlich zu entnehmen, daB der Reichsprasident neben der Regierung und dem Parlament einen gewichtigen, ,,ebenbiurtigen" politischen Machtfaktor bilden sollte; dessen Beschrankung auf ausschlieBlich reprasentative Aufgaben wurde von den Verfas sungsschopfern wiederholt und nachdruicklich verworfen. Auch Ebert selbst hat anfangs seine ,,Regierungsfunktionen" offenbar in recht extensivem Sinne ausgelegt, jedenfalls berichtet sein Mitstreiter aus der Revolutionszeit und erste Weimarer Regierungschef Scheidemann, der Reichsprasident habe nach Eberts Auffassung die Richtlinien der Politik bestimmen und der Reichskanzler diese ,,decken" sollen17). Obwohl Zweifel an den Auslassungen Scheidemanns grundsatzlich angezeigt sind18), schei nen sie nichtsdestoweniger den Vorstellungen Eberts einigermaBen gerecht zu werden, nahm dieser doch einen Tag nach seiner Wahl zum Reichsprasidenten vor Pressevertretern zu Fragen der kuinf tigen Politik und zum Programm des noch gar nicht im Amte befindlichen Kabinetts in einer Weise Stellung, die eher einem Regierungsmitglied zugekommen ware'9). 14) Preu?, Staat, Recht und Freiheit, S. 387. 15) So Fischer (Anm. 10). 16) Preu?, Staat, Recht und Freiheit, S. 388. 17) Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 2, Dresden 1928, S. 353. 18)Wilhelm Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Bd. 2, Stuttgart 1948, S. 170f., wei? von einer Rivalit?t zwischen Ebert und Scheidemann gerade in der Besetzung der beiden h?chsten Reichs?mter im Februar 1919. 19) Text : Frankfurter Zeitung : FZ) Nr. 118 vom 13. Februar 1919. (im folgenden
  • 6. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 5 II. Falsch ist es aber, wie Bracher dies tut20), die von Scheide mann referierte, zeitbedingte AuBerung Eberts als abstraktes, quasi zeitloses Statement fur ein ebenso unverwandeltes Amts verstandnis Eberts zu werten. Denn sehr schnell scheinen die hochfliegenden Erwartungen Eberts einer rapiden Ernuichterung gewichen zu sein. Dazu wird die allgemeine politische Konstellation schon zu Beginn seiner Amtszeit in nicht geringem MaBe bei getragen haben. So hat Ebert - wenn ilberhaupt - an den Koali tionsverhandlungen,die derKonstituierung desKabinetts Scheide mann voraufgingen, allenfalls als SPD-Fraktionsmitglied bzw. als Mitglied des Fraktionsvorstandes teilgenommen; das Regierungs programm ist nachweislich ohne sein Einwirken aufgestellt wor den2l), und zu Personalfragen hat sich Ebert (zumindest nach Ausweis der Fraktionsprotokolle) nur ein einziges Mal kurz ge duBert22). Die von PreuB und anderen Zeitgenossen mit Besorgnis regi Untatigkeit Eberts bei der erstenWeimarer Regierungs strierte23) bildung war durch die Tatsache mitbedingt, daB die Koalitions verhandlungen vor seiner formellen Amtseinsetzung im wesent lichen abgeschlossen werden konnten; bei dem Ringen um die Annahme des Versailler Friedensvertrages aber iibte Ebert glei chermaBen eine Zuruckhaltung, die sich nicht mehr mit auBeren Umstanden erklaren laBt.DaB Ebert gegen die Friedensbedingun gen der Entente-Machte eingestellt war24), stellt keine Besonder *?) Bracher, Aufl?sung, S. 48. 21) F?r die interfraktionellen Besprechungen hatte die SPD-Fraktion Richard Fischer, Paul Lobe und Carl Severing delegiert: Severing, Mein Lebensweg, Bd. 1, K?ln 1950, S. 237; die Ausarbeitung eines Programm^ entwurfs ?bertrug die SPD-Fraktion einer zehnk?pfigen Kommission, der Ebert nicht angeh?rte: Protokoll der SPD-Fraktionssitzung vom 4. Februar 1919, vorm. Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amster (Internationaal dam; die Edition steht bevor). der Protokolle der SPD-Fraktionssitzung vom 10. Februar 2a) Im Protokoll 1919, vorm., hei?t es nur summarisch, da? (u. a.) Ebert sich an ?l?ngerer Diskussion" ?ber die Besetzung der drei h?chsten Reichs?mter beteiligt h?tte. 23) Preu? am 8. April 1919 im Verfassungsausschu?: RTA, Bd. 336, S. 276; Heinze am 5. Juli 1919 in der Nationalversammlung : RTA, Bd. 327, S. 13391 ; Koch-Weser am 13. Februar 1919: G?nter Arns, Erich Koch-Wesers Auf zeichnungen vom 13. Februar 1919, VfZG 17 (1969), S. 112. 24) Dies kann als Tatsache gelten; viele voneinander unabh?ngige Zeugnisse stimmen in diesem Punkte ?berein. Wenn ?berhaupt, so ist Ebert (nach Otto Meissner, Staatssekret?r unter Ebert, Hindenburg, Hitler, Hamburg
  • 7. 6 Giinter A mns heit dar; daB der Vertrag schlieBlich unterzeichnet wurde, ist kein Beweis fur einen Wandel von Eberts Amtsauffassung. Indes: es gibt keinen Hinweis, dem zu entnehmen ware, daB Ebert seiner Haltung zum FriedensschluB energischen Nachdruck verliehen hatte, geschweige denn, daB er dem Kabinett seine Ansicht aufzu zwingen bestrebt gewesen ware, - dies, obwohl Ebert seit Bekannt werden des Vertragsentwurfes regelmaBigden Kabinettssitzungen beigewohnt hat, dies, obwohl er mit Scheidemann ,,in jenen Tagen in dauernder Fuhlung stand"25). Die mangelnde EinfluBnahme Eberts mag das Protokoll der Kabinettssitzung vom Vormittag des 8. Mai veranschaulichen, das mit den Worten beginnt: ,,Der Reichsprasident eroffnet die Sitzung. Er bittet, trotz der Erregung, die alle Anwesenden in Folge der bekannt gewordenen Friedens bedingungen der Entente durchzittert, das, was z. Z. vorliege, mit Ruhe zu prtifen"26). Danach setzte die Diskussion unter den Mini stern ein, an der Ebert sich nicht weiter beteiligte. Bei aller Vor sicht, die der Worttreue der Protokolle gegeniuber geboten ist, erlaubt die wiedergegebene Formulierung die Interpretation, daB Ebert sich hier als outsider des Kabinetts, als Ehrengast empfand, dem es verstattet war, einige einleitende Worte zu sprechen und gegebenenfalls klarende Zwischenfragen zu stellen, nicht aber in haltlich in die Debatte einzugreifen. Was uiber das Verhaltnis von Reichsprasident und Kabinett bereits fur den Frtihsommer 1919 zu bemerken ist, laBt Rtick schliisse auf Eberts inzwischen gewandeltes Verstandnis seiner Amtsfunktionen zu: drei Monate nach seiner Wahl wollte Ebert nicht mehr ,,die Politik bestimmen". Ware dem anders, hatte der Reichsprasident die Verfassungsnorm, die ihm den AbschluB von Vertragen mit anderen Staaten zusprach27), ohne sonderliches juristisches Raffinement materiellrechtlich zu seinen Gunsten aus legen konnen. Statt dessen belieB Ebert die Entscheidung fiber die Friedensunterzeichnung dem Parlament28). 1950, S. 61) erst am Abend des 19. Juni ?in seiner schwankend Meinung geworden". *5) Scheidemann, Memoiren, Bd. 2, S. 368. 26) Bundesarchiv (im folgenden: BA) R 43 1/1349, Bl. 52. 27) Art. 45 Abs. 1 WRV; entsprechend ? 6 Satz 2 des ?Gesetzes ?ber die vorl?ufige Reichsgewalt" vom 10. Februar 1919 (RGB1.1919, S. 169). 28) Alma Luc kau, Unconditional Acceptance of the Treaty of Versailles by the German Government, June 22-28, 1919 [Memorandum von Mayer Kaufbeuren, Johannes Bell und Victor Naumann], Journal of Modern Hi story 17 (1945), S. 216: ?President Friedrich Ebert then [18. 6.] ruled that the final decision on the treaty be left to the plenary session of the national assembly".
  • 8. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 7 In diesem Zusammenhang sei als weiteres Kriterium fur die Eigenrestriktion der Ebertschen Kompetenzauslegung vermerkt, daB die zu verzeichnende Zuriickhaltung noch vor der Verabschie dung der Verfassung erfolgte. Hatte Ebert mitbestimmend oder gar entscheidend in die Politik einwirken wollen, so hatte er sich (wenigstens formalrechtlich) auf den ? 6 der bis Mitte August guil tigen Notverfassung29) sttitzen k6nnen, nach dessen erstem Satz ,,dieGeschafte des Reichs" ausdruicklichvom ,,Reichsprasidenten gefuihrt"werden sollten, eine Bestimmung, die in die Weimarer Reichsverfassung keinen Eingang gefunden hat. Verfassungstreue allein,wie gern argumentiertwird, kannmithin diese Eigenrestrik tion keineswegs erklaren; es muissen starke personliche Imponde rabilienmitgewirkt haben, die anscheinend auch von Hugo PreuB3 mit einigem Befremden beobachtet worden sind. In seiner im Herbst 1919 verfaBten Broschuire fiber ,,Deutschlands Staatsum walzung" entwickelt PreuB seine bekannten Thesen eines demo kratisch-parlamentarischen Staatswesens; an einer Stelle ist eine Bemerkung eingeschoben, die in seinen frtuherenSchriften fehlt und die, falls nicht alles tauscht, leicht verschleierte Zweifel an der Person Eberts anmeldenwill: Der Reichsprasident, sagt PreuB3 hier, k6nne ein Gegengewicht der Parteien bilden, ,,wenn er der Mann danach" sei30).Sofern diese Parenthese richtig gedeutet ist, hatte Ebert seine Handlungs- und Entscheidungsfreiheit binnen weniger Monate enger begrenzt aufgefaBt als es den Intentionen der Verfassung entsprochen hatte; dies als ,,Verfassungstreue" zu definieren, erscheint wenig sinnvoll. Wahrend seiner gesamten weiteren Amtszeit ist durchgangig dieselbe Tendenz Eberts zu erkennen, sich der Tagespolitik m6g lichst fernzuhalten. Bekanntlich hat Ebert dem Rapallo-Vertrag mit erheblicherReserve gegenflbergestanden3l). Nicht bekannt ist jedoch, daB er sich dem VertragsabschluB widersetzt hatte, und wenn, so ware er dem Willen des Reichskanzlers Wirth letztlich 29) ?Gesetz ?ber die vorl?ufige Reichsgewalt" (Anm. 27). 80) Hugo Preu?, Deutschlands Staatsumw?lzung. Die verfassungsm??igen Grundlagen der deutschen Republik, Berlin 1919, S. 11 : ?Nur durch die unmittelbare Volkswahl [...] erh?lt der Reichspr?sident die den echten Parlamentarismus bedingende ebenb?rtige Stellung neben dem Reichstage; sie gibt ihm, wenn er der Mann danach ist, die M?glichkeit, dem Kleinkriege der Parteien und ihren Eintagsintrigen ein Gegengewicht zu bieten". 81) Vgl. Ernst Laubach, Die Politik der Kabinette Wirth 1921/22, L?beck/ Hamburg 1968, S. 216, mit weiterer Literatur. Vgl. auch das Zitat Wirths bei Rudolf Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei 1917-1923, D?sseldorf 1966, S. 491 Anm. 2.
  • 9. 8 Giinter A rns gefiugig gewesen. Zweifellos hatte eine Unterschriftsverweigerung Eberts eine eklatante Desavouierung Wirths dargestellt, die h6chstwahrscheinlich dessen Ruicktritt nach sich gezogen hatte; doch daB Wirth eine vorherige Information oder gar Konsultation des Reichsprasidenten trotz entsprechender dringender Bitten Eberts32) furuiberfliissigerachtete,weist auf,wie wenig derKanzler mit einer Intervention Eberts rechnete, wie gering - ailgemeiner formuliert - der EinfluB des Reichsprasidenten auf die Politik eingeschatzt wurde. Ein halbes Jahr zuvor war es uber die prasidentielle Amts befugnis zu einer erregtenDiskussion in der Offentlichkeit gekom men33). AnlaB war das Scheitern der interfraktionellenVerhand lungen, die die Umbildung der Regierungsbasis in eine GroBe Koalition zum Gegenstand hatten34).Ebert beftirwortete die Her stellung der GroBen Koalition35), und mancherorts glaubte man aus der Tatsache, daB an ein und demselben Tage sich SPD und DVP fur eine Regierungsbeteiligung der jeweils anderen Partei aussprachen36),einenmanipulativen Winkelzug Eberts herauslesen 32) Vgl. G?nter Rosenfeld, Das Zustandekommen des Rapallovertrages, Zs. f. Gesch.wiss. 4 (1956), S. 678-697; dort (S. 683) Ausf?hrungen Eberts nach Akten des B?ros des Reichspr?sidenten. *) Besonders temperamentvoll die dem linken DVP-Fl?gel nahestehende, durchaus staatsloyale K?lnische Ztg. Nr. 697 vom 16. Oktober 1921 (dort u.a.: ?der Reichspr?sident hat sich nicht ger?hrt, obwohl [...] eine Regie rung von Stresemann bis Scheidemann, soviel wir wissen, auch den Anschau ungen des Herrn Ebert entspricht"), Nr. 711 vom 21. Oktober 1921 (?Wo bleibt der Reichspr?sident?"). In diesem Zusammenhang steht auch der Artikel von Hugo Preu?, ?Parlamentarische Regierungsbildung", Berliner Tageblatt Nr. 476 vom 9. Oktober 1921 (auch in: Preu?, Staat, Recht und Freiheit, S. 442-^-46; dort S. 445 :?die Initiative zur Bildung der Koalition [!] sowohl nach der sachlich programmatischen wie nach der pers?nlichen Seite ist Recht und Pflicht des leitenden Staatsmannes [gemeint ist der Reichs pr?sident], dessen verantwortliche F?hrung nicht durch vorherige Ab machungen der Fraktionen zu binden ist"). 84) Vgl. neben Lau bach, Politik der Kabinette Wirth, S. 86-89: Lothar Albertin, Die Verantwortung der liberalen Parteien f?r das Scheitern der Gro?en Koalition im Herbst 1921, HZ 205 (1967), S. 566-627. 35) Vgl. das Schreiben Eberts vom 25. Oktober 1921, in dem dieser Wirth mit der Kabinettsneubildung beauftragte (Europ?ischer Geschichtskalender 37 [1921] I, S. 294) : ?Seit Wochen ist es mein unausgesetztes Bem?hen gewesen, f?r eine Verbreiterung der gegenw?rtigen Regierungskoalition die Grundlage zu schaffen". Da? Ebert sich ?bem?ht" habe, ist formelhafte ?bertreibung; vgl. das Zitat aus der K?lnischen Ztg. Nr. 697 in Anm. 33. 36) Die am 20. September 1921 angenommene Resolution des G?rlitzer SPD Parteitages: Protokoll ?ber die Verhandlungen des Parteitages der SPD,
  • 10. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 9 zu k6nnen37). Diese Unterstellung entspricht nach aller Wahr scheinlichkeit nicht den Gegebenheiten38), wie denn Ebert die daraufhin einsetzenden langwierigen Koalitionsverhandlungen - nimmt man das Schweigen der Quellen als Indiz - vollig passiv dem ergebnislosen Abbruch hat zutreiben lassen. Der denkbare Einwand, daB eine Erweiterung der Regierungskoalition nicht unmittelbar die Interessensphare des Reichsprasidenten beriihrt habe, ist schon deshalb nicht stichhaltig, weil das MifBlingendieses Versuches die nachste Regierungskrise und die Demission des ersten Kabinetts Wirth im Oktober 1921 wesentlich mitbedingte und weil Ebert, wie erwahnt, an einer GroBen Koalition de facto interessiertwar. Dabei konnten die bisherigen Erfahrungen wenig den Optimismus rechtfertigen, die Fraktionen wiirden sich ohne AnstoB von auBenuntereinander verstandigen k6nnen. Konzediert man aber Ebert eine auch nur mittelmaBige Fahigkeit zu politi scher Erfahrung und zu politischer Prognose, so bleibt nur, daB er nicht wuBte, wo, wie und in welchem Umfange er auf die Koa litionsverhandlungen einwirken soilte und daB er aus diesem Grunde lieber uberhaupt nicht einwirkte. Als dann das Dilemma passiert und das Kabinett zurtickgetreten war, bat Ebert die Fuihrer der Demokratischen Partei, nochmals einen Schritt in Richtung abgehalten in G?rlitz vom 18. bis 24. September 1921, Berlin 1921, S. 389 Nr. S. 207 - Zu dem (Antrag 304), (Abstimmung). Beschlu? der DVP Fraktion auf der Sitzung am 20. September 1921 in Heidelberg vgl. Henry - Ashby Turner, Stresemann Republikaner aus Vernunft, Berlin/Frankfurt 1968, S. 96; vgl. dazu Stresemanns Rede am 21. September in Pforzheim (FZ Nr. 707 vom 23. September 1921) : ?Die Frage, ob die Deutsche Volks partei mit der Sozialdemokratischen Partei in einer Regierung zusammen arbeiten soll, beantworte ich mit einem glatten Ja". 87) Rudolf Breitscheid, Das Spiel von G?rlitz, Der Sozialist Nr. 30 vom 26. September 1921 : ?Heute ist bekannt, da? schon vor einer Reihe von Wochen Besprechungen zwischen F?hrern der Sozialdemokratie und F?h rern der DVP stattgefunden haben. Wir kennen die Namen der Beteiligten und wissen, da? unter ihnen der oberste Beamte der Republik, der Reichs pr?sident Ebert, eine hervorragende Rolle spielt". 88) Der Vorw?rts Nr. 459 vom 29. September 1921 bezeichnete Breitscheids Ausf?hrungen als ?Gruselgeschichten". Stresemann ?u?erte am 3. Oktober im Gesch?ftsf?hrenden Ausschu? der DVP (BA R 45 H/55, Bl. 425) : ?Die Reichstagsfraktion habe ihre Stellungnahme zur Bildung einer breiten Koa lition in ihrer Heidelberger Sitzung festgelegt. Diese Heidelberger Tagung sei zuf?llig auf denselben Zeitpunkt gefallen wie der G?rlitzer Parteitag der Sozialdemokratie. Irgend ein Zusammenhang habe selbstverst?ndlich nicht bestanden". Vgl. schon die Meldung der Nationalliberalen Correspondenz vom 23. September 1921 ; zit. Deutsche Allgemeine Ztg. Nr. 448 vom 24. Sep tember.
  • 11. 10 Giinter A ns auf die GroBe Koalition zu unternehmen39), ein Ansinnen, das allerdings auch an Eberts politische Instinktsicherheit einige Zwei fel heranzutragen nahelegt. Innerhalb von nicht 24 Stunden schlug auch dieser erneute Versuch fehl40). Geradezu selbstaufopfernd war die politische Enthaltsamkeit Eberts, als die Fraktionen des Reichstages ein Jahr spater tiber die Prasidentenneuwahl verhandelten. Ebert hatte schon wieder holt auf eine plebiszitare Wahl gedrangt4l), wie die Verfassung sie vorschrieb. Anfang Oktober 1922 eroffnete Vizekanzler Bauer den Parteien von der Sozialdemokratie bis zu den Deutschnationalen, die Neuwahl solle ,,nunmehr in absehbarer Zeit durchgefuihrt" werden; die Regierung sehe als Wahltermin den 3. oder 10. De zember vor42). Die Vertreter der Parteien erklarten sich mit dem Regierungsvorschlag einverstanden mit Ausnahme der Abgeord neten der DVP, die ,,einige personliche Bedenken" anzumelden hatten und in Erwagung zogen, die Prasidentenwahl um zwei Jahre zu verschieben, um sie dann gleichzeitig mit den Reichstagswahlen im Sommer 1924 abzuhalten43). Die ,,pers6nlichen Bedenken" der DVP bestanden in einer vermuteten Nominierung Hindenburgs durch die Deutschnationalen zum Prasidentschaftskandidaten, die die Volkspartei, wie ein ftihrender DVP-Abgeordneter an Strese mann schrieb44), ,,in eine unangenehme Lage" versetzt hatte. Um 39) Referat Petersens in der Sitzung des DDP-Parteiausschusses am 11. No vember 1921 :BA R 45 HI/11, Bl. 69. 40) Das Ersuchen Eberts ist auf den Nachmittag des 23. Oktober 1921 zu datieren; sp?testens am Nachmittag des 24. wurde der Plan aufgegeben. (Nach Sitzungsprotokollen der Zentrumsfraktion in diesem Zeitraum: BA Kl. Erw. 476-1, Bl. 365-377; der zwischenzeitlich formulierte Kompromi? zwischen DDP und DVP: 8 Uhr-Morgenblatt Nr. 246 vom 25. Oktober 1921.) 41) Vgl. Meissner, Staatssekret?r, S. 94. 42) FZ Nr. 707 vom 5. Oktober 1922. Die Besprechungen fanden am 4. Ok tober in der Reichskanzlei statt. 43) So die offizi?se DVP-Mitte?ung in Die Zeit Nr. 371 vom 5. Oktober 1922. An der ?Mitteilung einer Nachrichtenstelle, da? man als Ergebnis der gestri gen Besprechungen [4. Oktober] einen demokratischen Antrag auf zwei j?hrige Verl?ngerung der Amtsdauer des gegenw?rtigen Reichspr?sidenten erwarte" (FZ Nr. 710 vom 6. Oktober 1922, die hinzuf?gt, diese Meldung sei ?unrichtig; ein solcher Antrag liegt nicht vor"), scheint also doch einiges zutreffend zu sein. u) Brief Moldenhauers an Stresemann vom 16. Oktober 1922 : Nachla? Stresemann (Pol. Archiv des Ausw. Amtes, Bonn) 252, H 144504-7. Nach Moldenhauer war zu bef?rchten, ?da?, wenn wir etwa mit den [Koalitions-] Parteien Herrn Ebert aufstellten, die Deutschnationalen dagegen Hinden burg oder eine andere Pers?nlichkeit, 90% unserer W?hler den deutsch nationalen Kandidaten w?hlen w?rden".
  • 12. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 11 derWahlalternative Sozialist gegen Nationalheros aus demWege zu gehen, hielt die Volkspartei, die sich gerade zu diesem Zeitpunkt wieder einmal koalitionsfreudig gerierte, aber doch von den Deutschnationalen nicht allzu demonstrativ abrtickenwollte, eine Aussetzung derWahl ftir die ihr giinstigste L6sung. Da weder das Kabinett noch die Regierungsparteien (SPD, DDP und Zentrum) den volksparteilichen Bedenken einen massi ven und einheitlichen Willen entgegensetzten, verhandelte man erst einmal uber eine Woche lang, bis man sich gegenseitig in eine Sackgasse hineinman6vriert hatte. Als am 14. Oktober der DVP Parteivorstand formell die Verschiebung der Prasidentenwahl for derte45)- ein sicheresZeichen daftir, daB die Verhandlungen nicht ,,in kameradschaftlicherAtmosphare" verlaufen waren -, schien die Situation endgtiltig verfahren. Das Zentrum sah ,,vielleicht noch einen Ausweg, namlich die Wahl durch den Reichstag"46). Dies aber setzte eine Verfassungsanderung und also eine Zwei drittel-Mehrheit des Parlaments voraus. Gegentiber solch heiklem Unterfangen erachtete man die Anregung Stresemanns doch fur passabler, wonach das Parlament ein Vertrauensvotum fur Ebert abgeben, daftir die Prasidentenwahl erst 1924 erfolgen solle47). Beim Zentrum war bereits vorher eine wenig dezidierte Haltung festzustellen gewesen; nunmehr schien auch die Demokratische Partei sich von dem Regierungsvorschlag abwenden und auf die Seite der DVP uberschwenken zu wollen. ,,Leider haben wir AnlaB zu der Befuirchtung", schrieb die der DDP nahestehende ,,Frank furter Zeitung"48), ,,daB auch hier eine Erweichung bereits ein getreten ist". In einer groB angelegten Besprechung am Mittag des 16. Oktober stellte sich deutlich heraus, daB3 die buirgerlichen Parteien inzwischen den von der Volkspartei aufgezeigten Weg zu beschreiten geneigt waren. Nur die Sozialdemokraten hielten ihn fur ungangbar. Nach ihrer - durchaus begrtindeten - Auffassung sei eine parlamentarische Vertrauenskundgebung fur Ebert ein politischer Akt ohne jegliche verfassungsrechtliche Bedeutung; von einer Prasidentenneuwahl konne deshalb die SPD nur dann vom 15. Oktober 1922. Vgl. auch die der 45) FZ Nr. 735 Stellungnahme Nationalliberalen Correspondenz vom 13. Oktober 1922; zit. FZ Nr. 732 vom 14. Oktober. 46) Zentrums-Parlaments-Korrespondenz vom 14. Oktober 1922 (zit. FZ Nr. 735 vom 15. Oktober), die hinzuf?gt: ?eine M?glichkeit, die in Abgeord netenkreisen auch schon besprochen worden ist". der Fraktionsf?hrer der b?rgerlichen 47) In einer Besprechung Mittelparteien am Nachmittag des 14. Oktober: FZ Nr. 736 vom 15. Oktober 1922. 48) FZ Nr. 736 vom 15. Oktober 1922.
  • 13. 12 Giinter A ns absehen, wenn die bislang provisorische Stellung des Reichsprasi denten in eine definitive umgewandelt wiirde49).Hierdurch ware aber faktisch die Amtszeit Eberts bis zum Februar 1926 verlangert worden, eine Aussicht, die der DVP ebenso unangenehm war wie die auf eine Neuwahl. AuBerdem hatte es dazu eines verfassungs andemden Gesetzes bedurft, das zu verabschieden den Parteien noch zwei Tage zuvor als zu problematisch erschienen war. So regte die DVP an, die provisorische Stellung Eberts zwar beizu behalten, seine Amtszeit jedoch nicht, wie sie urspriinglich ver langt hatte, im Sommer 1924, sondem erst mit dem 1. Januar 1925 ablaufen zu lassen50). Am 18. Oktober 1922 fand beim Reichs kanzler eine erneute Konferenz der Fraktionsfuihrer statt, in der sich diese auch nach langerer Diskussion nicht auf einen Termin zu einigen vermochten, bis dann der Vorsitzende der Zentrums fraktionWilhelm Marx den Vermittlungsvorschlag machte, die Prasidentschaft Eberts weder bis Anfang 1925 noch bis zum Februar 1926, sondern bis zum 30. Juni 1925 zu befristen5l). Auch hiertiber konnte erst in einer weiteren Besprechung am Abend des 18. eine Einigung zwischen SPD und DVP erzielt werden52).Noch an demselben Abend wurde gemeinsam von SPD, Zentrum, DVP, DDP und BVP ein entsprechender Gesetzesinitiativantrag im Reichstag eingebracht53), der nach kurzer Plenardebatte wenige Tage darauf, und nun doch wieder mit Zweidrittel-Mehrheit, an genommen wurdeT4). Wir haben den Gang der mehr als vierzehntagigen Verhand lungen etwas ausfuihrlicherreferiert, um unsere Meinung zu fun dieren, daB der Reichsprasident wiederholt Gelegenheit gehabt hatte, in die Diskussion einzugreifen. Mehr als einmal waren die 49) An der Besprechung nahmen teil die Fraktionsf?hrer der drei Koalitions parteien, der DVP und der BVP sowie Reichskanzler Wirth, Vizekanzler Bauer, Innenminister K?ster und Reichstagspr?sident Lobe (Ebert nicht!); FZ Nr. 739 vom 17. Oktober 1922. 50) Beschlu? der DVP-Fraktion vom 17. Oktober: Die Zeit Nr. 382 vom 18. Oktober 1922. 51) FZ Nr. 745 vom 19. Oktober 1922. Nicht ganz korrekt also Morsey, Deutsche Zentrumspartei, S. 484. 52) FZ Nr. 746 vom 19. Oktober 1922. Die Besprechung fand um 18 Uhr statt. S8) ?Schleuniger Antrag" Nr. 5074 vom 18. Oktober 1922: RTA, Bd. 375, S. 5506. 54) Reichstagsdebatte am 20. Oktober: RTA, Bd. 357, S. 8816-8843; am 24. Oktober: RTA, Bd. 357, S. 8920-8927. Abstimmung am 24.: RTA, Bd. 357, S. 8933-8937 unter Nr. 3 (314 Ja-, 76 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung). Das Gesetz vom 27. Oktober: RGB1. 1922 I, S. 801.
  • 14. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 13 Fraktionen an einem toten Punkt angelangt, an dem sie ein kla Wort wahrscheinlichmit innererErleichterung vernommen rendes hatten. Auch sachlich ware eine Intervention Eberts gerechtfertigt gewesen: einmal muBte er ein vitales personliches Interesse daran haben, seine transitorische Amtsausubung durch eine den verfas sungsrechtlichen Normen entsprechende abzulosen; zum zweiten hatte er den Sinn der Verfassung wahren helfen, die ja mit der Prasidentenwahl durch das Volk ihr spezifischesDemokratiever standnis realisieren woilte; und zum dritten ware Ebert zur Wah rung der Wtirde seines Amtes geradezu verpflichtet gewesen, das Gezank der Parteien um die Frage der Wahl zumindest einzu schranken. Was hatte Ebert ganz konkret tun k6nnen? Er hatte mit guten rechtlichen Griunden die interfraktionellenVerhandlun gen als unangebracht und ilberfluissig ignorieren konnen, d. h. er hatte beispielsweise - noch am 14., selbst noch am 17. Oktober - demonstrativ in der Offentlichkeit erklaren k6nnen, er wuinsche alsbald Neuwahlen und erwarte vom Kabinett deren technische Vorbereitung; was die Fraktionen unter sich aushandelten, sei ihm gleichgtiltig. Er hatte mit einer solch spektakularen MaBnahme in internem Kreise drohen konnen, hatte allein durch diese Drohung die interfraktionellen Verhandlungen in eine von ihm gewuinschte Richtung lenken und jedenfalls den unerquicklichen Hader um die Befristung seiner Amtszeit abschneiden konnen. Indes tat Ebert uberhaupt nichts. Fur die Verhandlungsphase vom 4. bis zum 18. Oktober laBt sich nur eine einzige (ihrem Inhalt nach unbe kannte) Unterredung zwischen Ebert und Reichskanzler Wirth n-achweisen; mit den Fraktionen scheint Ebert gar nicht konferiert zu haben. Vielleicht ist die Tatsache, daB die SPD sich bis zum Abend des 17. Oktober mit dem Gedanken einer Wahlverschiebung nicht recht befreunden konnte55), ein indirekter Hinweis auf Kon takte Eberts zu den Sozialdemokraten. Doch auch diese ftigten sich dem Verlangen der buirgerlichen Mittelparteien, und ganz sicher ftigte sich Ebert dem Ergebnis der interfraktionellen Be sprechungen. Welche politischen Gruinde m6gen Ebert bewogen haben, die Parteien, die buchstablich uber seinen Kopf verhandelten, unbeteiligt gewahren zu lassen? Wir finden keine. GewiB ware es im Falle der Wahl eine Erleichterung gewesen, wenn die Koali tionsparteien ihren Wahleranhang fur Ebert mobilisiert hatten; gewiB muBte es Ebert auch wuinschenswert sein, daB die DVP fur 55) FZ Nr. 743 vom 18. Oktober 1922.
  • 15. 14 Giunter Arns ihn und nicht fur einen Kandidaten der Rechten pladierte. Mehr politisches Gewicht besaBen die Parteien hier jedoch wohl nicht"6), selbst unter der Voraussetzung, daB die Wahler bei der Prasiden tenwahl die gleiche parteipolitische Orientierung wie bei Reichs tagswahlen zeigen wiirden. Im iibrigen konnten die beiden ersten Parlamentswahlen der Weimarer Republik, bei denen eine starke Wahlerfluktuation zu verzeichnen gewesen war, eine derartige Voraussetzung kaum bestatigen. Die Parteien verzerrten die Bin dung Eberts an ihr Votum zu einer in keiner Weise realitatsbezo genen Abhangigkeit, wenn sie die Frage diskutierten, wann denn nun und ob uiberhaupt gewahlt werden solle; nicht gut denkbar ist, daB Ebert die objektiv nicht gegebene Abhangigkeit subjektiv so empfunden haben sollte. Sind es also weder politische noch gar rechtliche Griinde, die Ebert zu seinem politischen Entsagen bewogen haben kbnnen, so mulssen daftir wiederum pers6nliche Hemmnisse verantwortlich gemacht werden, Imponderabilien, wie wir sie genannt haben, die mit grobschlachtigen Worten, als da sind: Machtscheu, Kampfes unmut und Altersresignation, nur unzureichend umschrieben wer den. Aus dieser Perspektive erscheint die fur die ,,Machtsteige rung" des Prasidentenamtes57) gern herangezogene Diktaturgewalt des Reichsprasidenten nach Artikel 48 in etwas gedampfterem Lichte. Nur unter erheblichen Vorbehalten kann man aus der verhaltnismaBig haufigen Anwendung dieser Verfassungsbestim mung im Jahre 1923 einen wachsenden EinfluB Eberts auf die Politik folgern. Wenn man auch unterstellen darf, daB Ebert uiber den Zweck der von ihm erlassenen Verordnungen hinreichend in formiert war, so waren diese doch zum uiberwiegenden Teil derart spezifiziert, daB die Initiative des Kabinetts klar zu erkennen ist, wozu nebenbei auch eine Rechtsverpflichtung bestand58). Eine Pra 56) Dem Problem, wie eine ?Volks"w?hl organisatorisch abzuwickeln sein w?rde, ist Preu? aus dem Wege gegangen. Die Konstatierung Brachers (Aufl?sung, S. 40), ?da? solche Akte [...] eben doch durch Parteien oder parteien?hnliche eingeleitet Gruppierungen wurden", ist de facto sicher rich tig. Die Frage ist nur, ob dazu ein systemimmanenter Zwang bestand, oder ob nicht gerade das Verhalten Eberts im Oktober 1922 Pr?judizien schuf, auf die sich die Parteien - etwa 1925 - berufen konnten. 57) Bracher. Aufl?sung, S. 47. 58) Vgl. Gemeinsame Gesch?ftsordnung der Reichsministerien, ? 64: ?Bei der Vorbereitung von Verordnungen nach Art. 48 der Reichsverfassung sind in allen F?llen der Reichsminister des Innern, das Bureau des Reichspr?si denten und die Reichskanzlei zu beteiligen. Der in der Sache zust?ndige Reichsminister legt den Entwurf dem Kabinett vor. [...] Der in der Sache
  • 16. Friedyich Ebert als Reichsprdsident 15 sidialverordnungwie z. B. die ,,uber Steueraufwertung und Ver einfachungen im Besteuerungsverfahren" bedurfte einer so de 59) taillierten Sachkenntnis, daB fur die Paraphierung nur die zustan dige Ministerialbehorde, fur deren Anregung nur der betreffende Ressortminister, eventuell noch der Reichskanzler in Frage kam. Vor Verordnungen mit hochpolitischer Brisanz wie etwa der tiber die Reichsexekution gegen Sachsen60) sind ausgiebige Debatten im Kabinett und ein entschiedener Wille des Reichskanzlers Stresemann aktenkundlich, eine Mitwirkung Eberts bei derWil lensbildung dagegen, um es ganz neutral auszudrticken, nicht recht greifbar6l).So erweist sich das Institut der prasidentiellenDiktatur unter Ebert weniger als Instrument zur Starkung der Macht des Reichsprasidenten, sondern eher als Medium zur Durchsetzung und rechtlichen Absicherung von MaBnahmen des Kabinetts62), wobei eingeraumt werden soll, daB der Artikel 48 ein potentielles Instrument zur Ausbildung eines Prasidialsystems blieb63). Die zust?ndige Reichsminister zeichnet die Verordnung gegen und leitet sie dem Reichsminister des Innern zu, der sie ebenfalls gegenzeichnet, in wichtigen F?llen auch die Gegenzeichnung des Reichskanzlers einholt und sie sodann dem Reichspr?sidenten zur Unterschrift vorlegt". 59) Vom 11. Oktober 1923: RGB1. 1923 I, S. 939-941. 60) Verordnung ?betreffend die zur Wiederherstellung der ?ffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Freistaats Sachsen n?tigen Ma? nahmen" vom 29. Oktober 1923: RGB1.1923 I, S. 995. 61) Vgl. Bernhard [/Stresemann], ?Das Kabinett Stresemann" III, Deutsche Stimmen 36 (1924), S. 23-29; dort S. 251: Das Kabinett habe er?rtert, ?inwieweit auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung die s?chsische Regierung zum R?cktritt aufzufordern sei. [...] Der Reichskanzler setzte sich darauf [am Abend des 28. Oktober 1923], da eine Verbindung mit dem Reichspr?sidenten nicht gelang, zun?chst mit dem Reichswehr minister in Verbindung und besprach die Ma?nahmen, die ergriffen werden m??ten. [...] Er (der Reichskanzler) w?rde sich mit dem Reichspr?sidenten zur Erlangung der Zustimmung in Verbindung setzen". In den Kabinetts sitzungen des 29. Oktober (BA R 43 1/1388, Bl. 383-390) war Ebert nicht anwesend. 62) Diese Beobachtung schon bei Gerhard Schulz, Der Artikel 48 in poli tisch-historischer Sicht, in: Der Staatsnotstand, hg. v. Ernst Fraenkel, Berlin 1965, S. 51 f. Schulz ist jedoch nicht ganz konsequent, spricht (S. 40) von einem ?Zuwachs an Macht", (S. 44) von ?Machtf?lle des Pr?sidial amtes" sowie (S. 42) davon, da? die ?schwerwiegende Entscheidung", ob St?rung bzw. Gef?hrdung von Sicherheit und Ordnung im Reiche vorgelegen habe, ?ausschlie?lich im Ermessen des Reichspr?sidenten" gestanden habe. 6S) Dies als Konzession an K.D. Bracher, Parteienstaat-Pr?sidialsystem Notstand, in: Bracher, Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur, Bern/M?nchen/Wien 1964, S. 33-49, f?r den (S. 38) die ?Handhabung der
  • 17. 16 Giunter A ns etwas anders gelagerte Frage, ob die Regierungen ab Ende 1922 den Charakter von Prasidialkabinetten getragen hatten, ist nicht allein nach dieser Diktaturbestimmung, sondem auf Grund von noch weiteren Kriterien zu untersuchen und muB hier unbeant wortet bleiben. Unbeantwortet bleiben muB ferner, ob nicht auch unter Hindenburg die durch Anwendung des Artikels 48 gesteigerte Formalverantwortlichkeit des Prasidenten seit 1930 mehr nur die Fassade fur eine autonome Politik der letzten Weimarer Kabinette bildete. Nur ein einziges Mal scheint Ebert mit einem Anflug herr scherlicher Geste auf die politische Fuhrung eingewirkt zu haben. Das war in den Tagen des Kapp-Liuttwitz-Putsches, als er zusam men mit dem Kabinett zuerst nach Dresden, dann nach Stuttgart geflohen war. In jenen Tagen stand Ebert mit den Ministern in standiger Verbindung, nahm an praktisch samtlichen interfrak tionellen Konferenzen und Kabinettssitzungen teil und gab wieder holt seiner Meinung zu den durch den Umsturzversuch geschaffenen Problemen Ausdruck. Dies allein wuirde noch keinen EinfluB Eberts auf die politischen Entscheidungen beweisen; wie noch zu zeigen sein wird, wurden seine Anregungen bei der nachfolgenden Regierungskrise verschiedentlich wenn nicht miBachtet, so doch uibergangen. Bei einer Gelegenheit allerdings hat Ebert offenbar bewuBt und in leicht usurpatorischer Weise die Initiative ergriffen. Am 16. Marz 1920 fuhr der Kommandeur des Wehrkreises Dresden, General Maercker, zur ,,Vermittlung" zwischen Kapp und der Reichsregierung nach Stuttgart64). Nach mehreren Vorbesprechun gen erschien Maercker am spaten Nachmittag im Kabinett, um die ,,Bedingungen" Kapps fur eine Einigung65) zu unterbreiten. Wahrend der Sitzung machte sich der ebenfalls anwesende DDP Fulhrer Conrad HauBmann einige Aufzeichnungen, die w6rtlich wiedergegeben seien, da es wesentlich auf deren Wortlaut an kommt66): [Stuttgart] Altes SchloB 16 III 1920 Reichsministerium-Sitzung mit Fehrenbach u. HauBmann Ebert eroffnet [...] 5 Uhr Reichsministerium mit Marker [!], Heine pr?sidialen Gewalt besonders im Krisenjahr 1923 die potentiellen Gefahren" der dualistischen Verfassungskonstruktion ?schon sichtbar werden lie?". 64) Vgl. hierzu Johannes Erger, Der Kapp-L?ttwitz-Putsch, D?sseldorf 1967, S. 244-246. 65) Die Bedingungen bei Erger, Kapp-L?ttwitz-Putsch, S. 236. 66) Nachla? Hau?mann (Hauptstaatsarehiv, Stuttgart) 43.
  • 18. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 17 Ebert: Es ist meine freie Ueberzeugung67), daBWahl der Nat.Vers. u. des RPraesidenten schnellstens vor genommenwerden miissen. Marker: Ich will Ihnen sagen, was [Kapp]68) in Berlin sagt. Wahl betr. Praesident durchVolk. Fachleute. Amne stie. Berufsstand. Kammer. Eine Briicke fur die Reichswehr. Oberst Bauer- Die [Kapp-]Regierung ist zu jedem Entgegenkommen in Personalfragen bereit. Ebert: Ich lehne ab. Ist jemand andererAnsich[t]? Niemand meldet sich. Auf diese AulBerungen Eberts hin setzte die recht zahfluissige De batte ein; Maerckers Mission scheiterte sehr bald. Quellenkritisch ist den Aufzeichnungen HauBmanns gegenilber erh6hte Acht Wenn es auch unwahrscheinlich ist, daBEbert samkeit geboten69). wortw6rtlich dieses und auch nur das gesprochen hat, was HauB mann notierte, so bleibt doch der Eindruck unabweisbar, daB der Reichsprasident mit seiner unmittelbaren Stellungnahme eine in haltliche Diskussion uiber das ,,Entgegenkommen" Kapps unter den Ministern vereiteln und die ablehnende Entscheidung des Kabinetts prajudizierenwoilte. Moglicherweise hat Ebert sein politisches Engagement in den Marztagen 1920, das freilich nur bei dieser einen Episode etwas mehr Plastizitat gewinnt, spater selbst als peinlich und amtsan maBend empfunden. Denn Koch-Weser schrieb etwa ein Jahr darauf - kurz nach seiner Entlassung aus dem Innenministerium - an seine Frau, Ebert stuinde ihm schon seit langerem merkwtirdig abweisend gegenulber. ,,Er mag keine Leute, die ihm widerspre chen", erklarte Koch-Weser dieses Verhalten, ,,und ich habe beim Kapp-Putsch ihm zu tief in die Karten gesehen"70). Die Nachwirkungen des Kapp-Liittwitz-Putsches zeigen zu gleich die Grenzen der prasidentiellen EinfluBnahme auf. Die sozial demokratische Fraktion forderte nach dem perfiden Attentismus 67) Zun?chst notierte Hau?mann ?Entsch" (Entscheidung), strich das Wort fragment durch und schrieb ?Ueberzeugung". 68) Im Original: ?die Herrfen]". eine andere Niederschrift von der Hand Koch-Wesers; abgedruckt 69) Vgl. bei Erger, Kapp-L?ttwitz-Putsch, S. 339f. 70) Brief vom 4. Juni 1921 (in Abschrift): Nachla? Koch-Weser (Bundes archiv, Koblenz) 27, Bl. 545 f. Der Formulierung k?nnte entnommen werden, da? Ebert seine eigenen Intentionen w?hrend des Kapp-L?ttwitz-Putsches verfolgt habe; die umfangreichen Notizen Koch-Wesers aus dieser Zeit lassen aber nicht erkennen, was Koch-W. gemeint haben k?nnte. Zeitschrift, 1 Historische Beiheft 2
  • 19. 18 Giinter A ns der Truppe die Abl6sung des Reichswehrministers Noske; Ebert dagegen versuchte diesen zu halten und die SPD-Fraktion von ihrer Forderung abzubringen, schlieBlich gar durch die Drohung mit seinem Riicktritt. Nichtsdestoweniger bestanden die Sozial demokraten auf Noskes Entlassung, und Ebert beugte sich der Fraktionsentscheidung7l). Genauso wenig konnte Ebert seinen Willen bei der Neubesetzung des Wehrministeriums durchsetzen. Unsicher ist, ob Ebert oder Reichskanzler Bauer gerne als Nach folger Noskes den Deutsch-Demokraten Petersen gesehen hatte72); sicher ist, daB Ebert sich der Nominierung GeBlers durch die DDP Fraktion73) widersetzte74); sicher ist ebenfalls, daB die DDP Fraktion ihre Nominierung aufrecht erhalten konnte. Hiermit ist die Darstellung unwillktirlich wieder in die The matik der Regierungsbildung eingemiindet. Wie ist das Wirken des Reichsprasidenten, sein EinfluB speziell auf die Gestaltung der Reichskabinette zu beurteilen? Die bereits angedeutete erste Kabinettsbildung vollzog sich in einer Ausnahmesituation und lIBt Verallgemeinerungen nur bedingt zu. Exemplarisch sei hier die von Otto Wels in der Sitzung des SPD-Partei 71) Vgl. die Ausf?hrungen ausschusses vom 30. M?rz 1920 (Protokoll, S. 7; Archiv des SPD-Vorstandes, Bonn) : ?Wir hatten die ?berzeugung, da? Noske die Dinge nicht ?bersehen hat [...] und forderten deshalb seinen R?cktritt. Ebert erkl?rte uns darauf, dann gehe er selbst und setzte uns unter den denkbar st?rksten Druck. Diesen hielten wir aus [...]. Ebert hat die Drohung, da? er zur?cktreten m?sse, weil er verantwortlich f?r die Handlungen des Kriegsministers sei, nicht aufrechterhalten". 72) Aufzeichnung Koch-Wesers von der interfraktionellen Sitzung am 23. M?rz 1^20 (Nachla? Koch-W. 27, Bl. 35) :?Jetzt schl?gt Bauer Petersen als Reichswehrminister vor. Petersen sagt (ver?rgert wie er ist), er k?nne es [...] nicht". Anders die Aufzeichnung Hau?manns von der DDP-Frak tionssitzung am 24. M?rz (Nachla? Hau?mann 25) : ?Payer: Ebert verlangte [gestern], heute noch Reichswehrminister u. zwar Petersen. [...] Die Fraktion soll beschlie?en Petersen". 73) Vgl. hierzu Otto Ge?ler, Reichwehrpolitik in der Weimarer Zeit, hg. v. Kurt Sendtner, Stuttgart 1958, S. 129. 74) Aufzeichnung Hau?manns vom 23. M?rz 1920 (Nachla? Hau?mann 43) : ?Um 3 Uhr gehe ich zu Ebert u. empfehle: [...] Ge?ler sei [als Reichswehr minister] vorgeschlagen. Nein, sagt Ebert, der ist zu weich. Ge?ler soll sein Ministerium [f?r Wiederaufbau] behalten. [...] Von Noske trenne ich mich sehr schwer. Ich: er wird in einem Vierteljahr wiedergerufen. ?B?lder? sagt Ebert". - scheint Ebert an Ge?ler etwas mehr Gefallen zu Sp?ter gefunden haben; vgl. die Ausf?hrungen Petersens nach dem Austritt der DDP aus der Regierung in der Sitzung des DDP-Parteiausschusses am 11. November 1921 (BA R 45 HI/11, Bl. 70): ?Gessler blieb [...] auf dringenden Wunsch Eberts".
  • 20. Friedrich Ebeyt als Reichsprdsident 19 Regierungsbildung nach dem Putschabenteuer Kapps unter beson derer Beobachtung der Tatigkeit Eberts kurz verfolgt, da die Konstituierung des ersten Kabinetts Muller durchaus nicht auBer gewohnliche und mithin durchaus symptomatische Zuige tragt. Bis zum Vormittag des 26. Marz 1920 hatte Reichskanzler Bauer geglaubt, die Regierungskrise durch eine einfache personelle Aufftillung seines torsohaftenKabinetts, u. a. durch die erwahnte Ersetzung Noskes, beheben zu konnen. Auch hierin ist eine Igno rierung derWiinsche Eberts zu erblicken, der bereits fiinf Tage vorher, anscheinend direkt nach seinerRuickkehr aus Stuttgart75), die Demission des Ministeriums befiirwortet hatte. Kurze Zeit darauf hatte Ebert seineMeinung geandert, wollte das Kabinett sich nur noch ,,alsbald erganzen" lassen76), so daB der dann er folgteRuicktritt der Regierung Bauer wiederum nicht als im Sinne des Reichsprasidenten gelten kann. Die zwischenzeitlich versuchte Personalerganzung aber scheint nach Ansicht Eberts ausschlieB liches Privileg der Koalitionsfraktionen gewesen zu sein. ,,Jede Partei muB einfach sagen, was sie wiinscht", ermunterte er sie und bemangelte in vorwurfsvollem Unterton deren mangelnden Eifer: ,,K6nnen die Parteien nicht wenigstens sagen,welche Posten sie behalten wollen und welche sie etwa fur sich beantragen [ ?]" 77) Sondierungsbemuhungen solcherArt sind schwerlich als vehemente Einwirkungen auf die Parteien, nervoses Drangen auf zwischen parteiliche Einigung kaum als EinfluBnahme des Reichsprasidenten bei der Regierungsbildung anzusprechen.Und doch bezeugt diese Zuruickhaltung abermals das Selbstverstandnis Eberts von seinem Amte. Wenn er wenige Tage zuvor, kurz vor seiner Riickreise nach Berlin, auf die Frage eines Journalisten, ob ,,Erganzungen oder teilweise Anderungen in der Reichsregierung vorgesehen" seien, 75) Reichskanzler Bauer sowie die Minister M?ller und Giesberts waren am Vormittag des 20. M?rz 1920 in Berlin eingetroffen; Ebert fuhr mit den ?bri gen Ministern erst am 20. um 23 Uhr von Stuttgart ab (FZ Nr. 218 vom 21. M?rz 1920), d. h. er konnte fr?hestens am Vormittag des 21. in Berlin sein. 76) Ebert am 22. M?rz 1920 in einer Ministerbesprechung (Nachla? Koch-W. 27, Bl. 12) : ,,Kabinet[t] soll R?cktritt anmelden, wie ich gestern sagte, damit ich es bitten kann, zun?chst weiter zu arbeiten. Dann h?tte man es in 14 Tagen best?tigen k?nnen. Ich tat das f?r Noske, der aber jetzt endg?ltig zur?ckgetreten ist. Nun w?rde ich nicht mehr das Kabinetft] zur?cktreten lassen, sondern alsbald erg?nzen". 77) Aufzeichnung Koch-Wesers von der interfraktionellen Sitzung am Abend des 23. M?rz 1920: Nachla? Koch-W. 27, Bl. 33/37. Koch-Wesers Kommen tar: ?Ein trostloser Zustand! Es ist alles in Verwirrung. Ebert, sonst so klug, versteht nicht den einfachen Vorgang einer Kabinettsbildung". 2*
  • 21. 20 Giinter Arns zur Antwort gab, daB hierfiir die Beschliisse des Kabinetts und des Parlamentes entscheidend sein wfirden78), so auBerte sich darin eben dieses Selbstverstandnis, das Eberts EinfluBmoglichkeiten nicht nur auf die Politik im allgemeinen, sondern auch auf die Regierungsbildung im besonderen starker begrenzte als samtliche Verfassungskautelen. Nach dem Ruicktritt des Kabinetts Bauer wurde noch am gleichen Tage der Sozialdemokrat Hermann Muller mit der Neu bildung eines Ministeriums beauftragt. Das Protokoll der Kabi nettssitzung vom Vormittag des 26. Marz, in der tiber die Demission der Bauer-Regierung endgtiltig BeschluB gefaBt wurde, erweckt die Ansicht, als ob Ebert sich in der Auswahl des Kanzlerkandida ten freie Entscheidungsbefugnis ausbedungen habe79). Eine solche Ansicht ware falsch: Zwanzig Minuten vor Sitzungsbeginn beschloB die SPD-Fraktion, Miller dem Reichsprasidenten als neuen Kanzler zu prasentieren80). Die Forderung Eberts im Kabinett nach Frei heit bei der Regierungsbildung und die Zusicherung dieser Freiheit seitens der SPD-Fraktion ausgerechnet durch Hermann Miuller sind also offenbar mit beiderseitigem Augenzwinkern ausgesprochen worden. Spatestens sechs Stunden darauf war letzterem der Auf trag erteilt8l). Ebert kann demnach gar nicht ernsthaft andere Kandidaten in Erwagung gezogen haben; er muB dem sozialdemo kratischen Beschlul3 vorbehaltlos und ohne langes Zogern ent 78) Interview Eberts mit der Schweizerischen Depeschen-Agentur am 20. M?rz 1920; zit. FZ Nr. 218 vom 21. M?rz: ?Dar?ber kann zurzeit noch nichts gesagt werden. Wir werden in Berlin dar?ber sprechen. Entscheidend hierf?r sind die Beschl?sse des Kabinetts und der Nationalversammlung". ) BA R 43 1/1354, Bl. 334: ?Der Reichspr?sident erkl?rte sich bereit, die Demission anzunehmen vorausgesetzt, da? ihm Freiheit bei der Bildung eines Kabinetts gelassen w?rde. Der Au?enminister M?ller erwiderte, da? die sozialdemokratische Fraktion dem Herrn Reichspr?sidenten die Freiheit lassen w?rde. Der Reichspr?sident schlug vor, da? das Kabinett sich nun mehr machen solle, ob es demissionieren wolle oder nicht. Er schl?ssig seinerseits w?rde die Demission bef?rworten [...]. Wenn das Kabinett zu r?cktrete, so w?rde er einen Reichskanzler bestellen und mit ihm die Bil dung eines Kabinetts versuchen. Dem Vorschlag des Reichspr?sidenten wurde zugestimmt". Die Sitzung begann um 11 Uhr. 80) Aufzeichnung Koch-Wesers vom 26. M?rz 1920 (Nachla? Koch-W. 27, Bl. 55): ?10% Uhr gehe ich zu Loebe. Er sagt [...]: Vor 5 Minuten haben wir beschlossen, dem Reichspr?sidenten klar zu machen, da? ein neues von M?ller - Kabinett m?glichst gebildet werden soll". Was Haungs, Reichspr?sident, S. 326 Anm. 48, ?ber die Haltung des Zentrums sagt, ist legend?r. 81) Vgl. die Angabe in Anm. 84.
  • 22. Friedrich Ebert als Reichsprasident 21 sprochen haben. Als uiberaus treffend erweist sich so die Formu lierung, mit der das SPD-Zentralorgan die neue politische Situation verbreitete: ,,Genosse Bauer hat heute um 11 Uhr vormittags seine Demission gegeben, und der Reichsprasident hat auf ein stimmigen BeschluB der sozialdemokratischenFraktion den Mini ster des Auswartigen, Genossen Hermann Muller, mit der Bildung einer neuen Regierung betraut"82). An den nachfolgenden Ver handlungenMullers mit den Fraktionen war Ebert ganzlich unbe teiligt, und abgesehen von der formalen Emennung der Minister trat der Reichsprasident bei der Kabinettsbildung nicht weiter in Erscheinung83).Es hat fast symbolhaften Charakter, daB Ebert sich von den versammelten Parteifulhrern entfernte, als Muller zur Aufnahme der Koalitionsverhandlungen im Beratungszimmer Eine geringere EinfluBnahme als die schlichte Absenz erschien84). IaBtsich schlechterdings nicht denken. Ganz ahnlich war Eberts Verhalten bei der Konstituierung des zweiten Kabinetts Wirth. Schon gleich nach dem Regierungs rticktritt im Oktober 1921 dachte Ebert an eine Neuberufung Wirths zum Reichskanzler85), zogerte aber mehrere Tage, da die fur eine Koalition in Frage kommenden Parteien keine Einigung untereinander zu erzielen vermochten. Erst nachdem Zentrum und Sozialdemokratie sich uber die nachsten politischen Schritte verstandigt hatten und eine parlamentarische (Minderheits-)Basis fur das neue Kabinett als gesichert gelten konnte, wurde die aber malige Kanzlerschaft Wirths diskutiert, dem Ebert sogleich die Fuhrung weiterer interfraktionellerVerhandlungen uberlieB86). 82) Vorw?rts Nr. 159 vom 26. M?rz 1920. 8S) Vgl. dazu die Aufzeichnung Koch-Wesers vom 26. M?rz 1920 (Nachla? Koch-W. 27, Bl. 59). 84)Nachla? Hau?mann 25 :?Fraktion. 26 III1920, 5 Uhr. Payer: Ich komme von Ebert, der sich zur?ckzog, als M?ller, sein beauftragter Kanzlerkandi dat, eintrat". 85) Vgl. den Brief Petersens an seine Frau vom 20. Oktober 1921 (Nachla? Petersen; in Privatbesitz): ?Trotzdem wird mangels eines besseren Gegen standes sich gestritten ?ber Wirth : soll er das etwaige neue Kabinett wieder bilden oder nicht? Ebert will das offenbar; Wirth will auch gern wieder. '[... Doch:] Es kommen die Parteien zu Geh?r u. werden gefragt, ob sie Wirth auch das neue Kabinett f?hren lassen wollen oder nicht; damit geht die Zankerei los u. weiter. Mein Rat an Ebert, Wirth zu veranlassen, doch die Sache durch eine Erkl?rung seinerseits zu kl?ren, fand bei ihm taube Ohren". (Unterstreichungen im Original hier kursiv.) 86) FZ Nr. 793 vom 25. Oktober 1921: ?Der Reichspr?sident hat gestern [23.] die Fraktionsf?hrer gebeten, ihn heute nachmittag ?ber den Fortgang ihrer Verhandlungen zu unterrichten, und er wird dann wahrscheinlich
  • 23. 22 Giunter Arns Lediglich im November 1922 hat Ebert eigenmachtig eine Regierungsbildung in die Hand genommen. Von einer ,,Initiative" des Reichsprasidenten zu sprechen ware auch in diesem Falle nicht ganz zutreffend (initium!), da der Kanzlerkandidat Cuno, bevor er von Ebert ,,freie Hand" zugesichert erhielt, mehrere Tage lang eine Verstandigung mit und unter den Parteien angestrebt hatte. Die dann erfolgte MaBgabe, Cuno solle ein ,,Geschaftsministerium" ohne parteipolitische Ausrichtung bilden, riskierte Ebert erst, nachdem er widersinnigerweise die Zustimmung der Fraktionen zu diesem Unternehmen eingeholt hatte87). Ein zweiter Versuch eigenmachtiger Kabinettsbildung ein Jahr spater, als Ebert den Nichtparlamentarier Albert mit der Bildung eines iuberparteilichen Kabinetts beauftragte, scheiterte schon im Ansatz an der kuihlen Resonanz der Parteien88). Eine Regierung ohne oder gar gegen den Willen der Parteien zu installieren hat Ebert stets sich ge scheut. tberblickt man die Regierungsbildungen wahrend der Prasi dentschaft Eberts, so ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild: In Besprechungen mit Partei- bzw. Fraktionsftihrern konnte der Reichsprasident zu einem aktuellen politischen Problem deren Haltung, die fur eine Neugestaltung des Kabinetts geklart sein muBte, und deren Stimmung zugunsten einer bestimmten Koali tion erkunden. Bei dieser Gelegenheit konnte er seine eigene Mei nung prononcieren, beratend und vermittelnd in die Diskussion eingreifen und im gegebenen Augenblick einen ,,dringenden seinen Entschlu? ?ber die Ernennung eines neuen Kanzlers treffen". FZ Nr. 795 vom 25. Oktober 1921: ?Nach dem Abschlu? der interfraktionellen Besprechung beim Reichspr?sidenten [am Nachmittag des 24.] blieben die Vertreter des Zentrums und der Sozialdemokraten noch zur?ck, um mit Dr. Wirth, der inzwischen erschienen war, zu einer engeren Aussprache zusammenzutreten' '. 87) FZ Nr. 831 vom 19. November 1922: ?Reichspr?sident Ebert forderte die Parteif?hrer auf, [...] noch einen letzten Versuch Geheimrat Cunos, ein Kabinett zu bilden, zu unterst?tzen. Diese M?glichkeit w?re allein dann gegeben, wenn die Parteif?hrer ihr Einverst?ndnis damit erkl?rten, da? Geheimrat Cuno in der Auswahl der Mitglieder seines Kabinetts und in der Besetzung der einzelnen Ministerien v?llig freie Hand erhalte, um ohne Bindung an W?nsche und Forderungen der einzelnen Parteien sein Kabinett zu bilden". 88) Ebert beauftragte Albert am Nachmittag des 25. November 1923; am Mittag des 27. gab Albert den Auftrag zur?ck. Die FZ Nr. 879 vom 27. No vember 1923 meldete, die Berufung Alberts habe bei den Fraktionen ??ber raschung hervorgerufen und zum gro?en Teil vielfach starke Ablehnung gefunden".
  • 24. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 23 Wunsch"89) auBern. Es hing von dem Grad der jeweiligen partei politischen Zerfahrenheit ab, inwieweit die Fraktionen die An regungenEberts aufzugreifen gesonnen waren. Je allgemeiner und unverbindlicher solche Anregungen gehalten waren, desto eher zeigten sich die Fraktionen geneigt, ihnen zuzustimmen. Je kon kreter und detaillierter seine Vorschlage ausfielen - das gilt ins besondere fur Fragen personellerArt -, desto eher muBte Ebert mit einer Ablehnung durch die Parteien rechnen90).Ablehnen konnte Ebert auch; dann kam es auf die Standhaftigkeit der Par teien an, ob dieser auf seiner ablehnenden Haltung beharren konnte. Wie die Nominierung GeBlers zumWehrminister gezeigt hat, bedurfte es im groBen und ganzen keiner allzu eisernen Stand haftigkeit, um die Entscheidungen Eberts umzustoBen. Nur ein einziger Fall ist bekannt, in dem der Reichsprasident sein Veto nicht zu revidieren brauchte, und dieser Fall scheint nur ein neben sachlichesRandereignis gewesen zu sein9l). Sofern der Reichsprasident nicht die Initiative bei der Regie rungsbildung ergreifenwollte - und daftir spricht sein ganzes Ver halten -, konnte er in den Koalitionsverhandlungen nur mit mehr oder weniger geschicktem Auftreten das moralische Gewicht eines iiberparteilichenpouvoir neutre auszuspielen versuchen; er konnte auBerstenfallsden Gang derVerhandlungen durch eine Riicktritts drohung zu beschleunigen bzw. zu beeinflussen trachten. Aber gerade der so ubermaBig haufige Gebrauch der Rticktrittsdrohung durch Ebert zeigt, daB er weder das eine noch das andere, weder Verhandlungsgeschick nochmoralisches Ansehen, Autoritat, besaB, - zumindest, daB er glaubte, keine Autoritat zu besitzen92). Bis 89) Vgl. das Petersen-Zitat in Anm. 74. 90) Meissner, Staatssekret?r, S. 133 (Anfang November 1923): ?Ebert [...] bem?hte sich in eingehenden Besprechungen mit den f?hrenden Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei und Fraktion, diese Entschlie?ung [ihre Minister zur?ckzuziehen, ...] wieder r?ckg?ngig zu machen, fand aber kein - Protokoll der vom 20. Juni 1919: Geh?r". SPD-Fraktionssitzung ?Lobe tr?gt dann einen Wunsch Eberts vor, da? die Fraktion auf Scheidemann - Diese einwirken m?ge, da? er in der Regierung verbleiben solle. Einwir kung wird nach ausgiebiger Er?rterung abgelehnt". 91) Scheidemann, Memoiren, Bd. 2, S. 373 (wohl 20. Juni 1919): ?Auf die vertrauliche Frage Eberts an Landsberg und mich, wen er als Minister pr?sident jetzt berufen sollte, machte Landsberg einen Vorschlag, den Ebert entschieden ablehnte". 9a) Nach Theodor Heuss, Politik. Ein Nachschlagebuch f?r Theorie und Praxis, Halberstadt 1927, S. 18, bedeutet Autorit?t ?im politischen Sinn die F?higkeit einer Staatsgewalt oder eines politischen F?hrers, seinen Willen oder seine Anschauung zu Geltung und zu Wirkung zu bringen. Es
  • 25. 24 Giinter Arns zum Jahre 1922 hat Ebert bei jeder Regierungsbildung (mit Aus nahme der Umbildung der Regierung Bauer im Oktober 1919, wahrend der er auf der Frankfurter Herbstmesse weilte93) diese scharfe Waffe der Demission ins Feld gefiuhrt94) und so ohne merk lichenEffekt abgestumpft. Und nicht immer scheint er diese Mal3 nahme sorgsam bedacht und mit bedeutungsschwerer Gravitat getatigt zu haben, wie man aus einer Notiz ersehen kann, die HauB mann wahrend der Regierungskrise nach den ersten Reichstags wahlen aufzeichnete95): 17. Juni [1920] [...] 6 Uhr bei Ebert [...] Ich trete dem Co operierenmit der heterogenen Volkspartei entgegen. Ebert ist iuber Hemmung durchmich unbefriedigt. Ich bleibe dabei die [...]. Ebert IaBt mich auf morgen Mittag bitten. [...] 18. Juni Freitag [...] Ich zu Ebert. Er muBte weg, laBtmich durch Geh.Rat Meissner bitten, doch ja meine Parteigenossen zu bitten, in die Combination Deutsche Volkspartei einzutreten. Sonst mt!Bte er als Reichsprasident wegen Unfahigkeit, eine Regierung zu bilden, demissionieren. Die tbermittlung der Rticktrittsabsicht durch einen Beamten degradierte den (wahrscheinlich gar nicht beabsichtigten) Ruick tritt zu einem Verwaltungsakt von minderer politischer Relevanz und nahm schon allein dadurch der Drohung ihre (wohl doch be wird dabei nicht so sehr an den Gebrauch von Gewaltmitteln gedacht [...] als an die moralische Verbundenheit, die sich freiwillige sachliche Gefolg schaft erzwingt". 93) Ebert ernannte die neuen Minister telegraphisch von Frankfurt aus: FZ Nr. 742 vom 4. Oktober 1919. 94) F?r die Kabinettsbildung Bauer: Otto Landsberg, Die Entscheidung im Kabinett 19. Juni 1919, in: Victor Schiff, So war es in Versailles ..., Berlin 1929, S. 114f. (Unterredung Ebert-Scheidemann-Landsberg am 19. Juni); Nachla? Koch-W. 16, Bl. 179f. (Aufzeichnung der interfraktio nellen Sitzung vom 19. Juni 1919); Friedrich Naumann, ?Kriegschronik", Die Hufe 25 (1919), S. 338 (Aufzeichnung vom 21. Juni); Nachla? Hau? mann 59 (Aufzeichnung der DDP-Fraktionssitzung vom 20. Juni ? 1919). F?r M?ller I vgl. oben Anm. 71. - F?r Fehrenbach: ?Streng vertrauliches" Rundschreiben des SPD-Vorstandes an die Parteipresse vom 9. Juni 1920 (Freiheit Nr. 256 vom 2. Juli 1920); Bayerischer Kurier Nr. 168 vom 16. Juni 1920; vgl. auch n?chste Anm. - F?r Wirth I: Nachla? Koch-W. 27, Bl. 520 vom 10. Mai - F?r Wirth II: Marx (Aufzeichnung 1921). auf dem Zentrumsparteitag f?r den Wahlkreis D?sseldorf-Ost am 30. Oktober 1921 in Elberfeld Ztg. Nr. 515 vom 1. November (Vossische 1921); Josef Wirth, Die Festigung der Republik, in :Friedrich Ebert und seine Zeit. Ein Gedenk werk ?ber den ersten Pr?sidenten der deutschen Republik, Charlottenburg 1928, S. 321. 95) Nachla? Hau?mann 150.
  • 26. Friedrich Ebert als Reichsprdsident 25 absichtigte) Pressionswirkung. Auch ware zu fragen, ob eine De missionsandrohung uiberhaupt erforderlich war oder ob nicht geringerwertige Mittel ausgereicht hatten, dem Willen Eberts gegeniuber HauBmann Geltung zu verschaffen. Ebert hatte ihn ein zweites Mal und zu demselben Termin einen DVP-Abgeordneten zu sich bestellen k6nnen; er hatte abwarten k6nnen, ob HauBmann seine Bedenken gegen eine Koalition der DDP mit der Volkspartei auch in dessen Gegenwart vorgetragen hatte. Ein kundiger Staats mann hatte um HauBmanns gerade in diesem Punkte schwache Position innerhalb der DDP-Fraktion96) gewuBt und diese Tat sache zu nutzen verstanden. Die so manches Mal unangebrachte oder doch verfrtihte Drohung mit seinem Ruicktritt offenbart eine recht schwach ausgepragte Feinnervigkeit Eberts fur taktische Situationen, was den durchgangig zu verzeichnenden Mangel an EinfluB auf die Kabinettsbildungen in nicht geringem MaBe mit bedingt haben wird. Die gegen Ende 1923 in weiten politischen Kreisen gefuihrte Diskussion uber eine Auflosung des Reichstages gab dem Reichs prasidenten die M6glichkeit, den entsprechenden Artikel 25 der Weimarer Verfassung zum Aus- bzw. Aufbau einer Machtposition zu benutzen, oder genauer: sie hatte ihm die Moglichkeit dazu gegeben. Ebert handhabte jedoch auch diese genuin prasidiale Verfassungskompetenz nicht zielbewuBt und augenscheinlichmehr nach momentanen Eingebungen als nach politischer Rationalitat. Mitte Oktober 1923 gewahrte er dem Reichskanzler Stresemann eine Auflosungsermachtigung, drei Wochen spater verweigerte er sie ihm97); dem Zentrumsabgeordneten Stegerwald, der sich nach den Brief Petersens an seine Frau vom 24. Juni 1920 9<J)Vgl. (Nachla? Petersen) :Petersensei von Anfang an f?r eine Koalition aus DDP, Zentrum und DVP eingetreten. ?Aber das nun der Fraktion und gar der W?hler schaft klar und annehmbar zu machen, unmittelbar nach dem Wahlkampf, ist und war keine Kleinigkeit. Und die F?hrung in der Sache lag und liegt haupts?chlich in meinen H?nden. Bisher ist eigentlich Alles gut gegangen [...]. Selbst der Parteiausschu? ist mir gefolgt; die opponierende Minderheit bei uns in der Fraktion [...] war zum Schlu? sehr klein". 97) Am 4. November 1923 schrieb das Stresemann nahestehende DVP-Organ Die Zeit Nr. 256: ?Bringt der Reichstag eine sichere Mehrheit nicht auf, so wird der Regierung kein anderer Weg bleiben als das Parlament aufzul?sen". FZ Nr. 820 vom gleichen Tage meldete, Stresemann wolle u. U. ?auf Grund einer Erm?chtigung des Reichspr?sidenten, die er entweder schon besitzt oder f?r sicher h?lt", den Reichstag aufl?sen. Am n?chsten Tage korrigierte sich die FZ Nr. 822: ?Eine Reichstagsaufl?sung [...] kommt deshalb nicht in Frage, weil, wie wir zu wissen glauben, die daf?r ma?gebende Stelle aus Gr?nden nicht bereit ist, die Erm?chtigung dazu zu erteilen". FZ guten
  • 27. 26 Giinter Arns dem Sturz des Kabinetts Stresemann um eine Neubildung be muihte, verweigerte er die Aufl6sungsermachtigung98), dem Zen trumsabgeordneten Marx, der nach dem Scheitern Stegerwalds das neue Kabinett schuf, gewahrte er sie. Und in den beiden Fallen, da Ebert eine Aufl6sungsorder zur Verfuigung stellte, unterwarf er sich anscheinend bedingungslos und ohne Umschweife den Wutn schen der Kabinettschefs99). Aber gerade zwischen einem glatten Ja und einem plumpen Nein bestand der taktische Spielraum des Reichsprasidenten, um sich bei den anderen politischen Macht faktoren Gehor zu verschaffen. Solches Finassieren mag Ebert als unehrenwert, als unfein, widerstrebt haben, und so begab er sich der letzten Chance, EinfluB auf die Kabinettsbildung und auf die Politik zuruckzugewinnen. Insgesamt gesehen besaB Ebert nicht mehr politisches Ge wicht als ein durchschnittliches Partei- oder Fraktionsvorstands Nr. 855 vom 17. November 1923 wu?te zu der Mitteilung der Zeit Nr. 262 vom gleichen Tage, da? Stresemann ?gegen?ber allen Anzweiflungen" die Aufl?sung vollziehen werde: ?[Trotzdem] m?chten wir vorl?ufig daran fest halten, da? diese Eventualit?t bis jetzt nur in den W?nschen des Reichs kanzlers Dr. Stresemann selbst eineRolle spielt; da? die entscheidenden Stellen sich f?r eine solche L?sung bereitfinden werden, haben wir nach wie vor Grund zu bezweifeln". Nach einem Brief an Stresemann vom 5. Dezem ber 1923 (Nachla? Stresemann 88, H 171547-171551) war die Verweigerung durch Ebert ?mindestens teilweise auf die Haltung des Herrn Generals v. Seeckt zur?ckzuf?hren". 98) Vgl. die Ausf?hrungen Stegerwaids in Der Deutsche Nr. 281 vom 30. No vember 1923: ?Diese [Aufl?sungsorder] zu gew?hren konnte sich der Herr Reichspr?sident, gest?tzt auf die Verfassung und aus begreiflichen Gr?nden, nicht entschlie?en". 99) Die mangelnde Einflu?nahme Eberts Mitte Oktober 1923 ergibt sich aus der Schnelligkeit der Entscheidungen: Unmittelbar vor Beginn der Plenar sitzung, ?kurz nach 10 Uhr", erschien Stresemann im Reichstag, ?um sich ?ber die Chancen der Abstimmung zu informieren"; ?er begab sich alsbald zum um ihm ?ber die Situation Bericht zu erstatten Reichspr?sidenten, und sich von ihm die Erm?chtigung zur Aufl?sung des Parlaments f?r den Fall der Ablehnung des [ersten Erm?chtigungs-]Gesetzes geben zu lassen. Mit dem vorbereiteten Dekret ?ber die Aufl?sung des Reichstages kehrte der Reichskanzler kurz vor 12 Uhr in den Reichstag zur?ck. Er empfing sofort die Fraktionsf?hrer und teilte ihnen den Beschlu? des Reichspr?si - F?r denten und der Regierung mit". (FZ Nr. 756 vom 12. Oktober 1923.) die Situation Anfang Dezember 1923 vgl. die Ausf?hrungen von Staats sekret?r Meissner im Kabinett am 2. Dezember (BA R 43 10): Bl. 1/1390, Der Reichspr?sident w?nsche die Parlamentsaufl?sung ?m?glichst hinaus zuschieben [...]. Er mache jedoch seine Entscheidung von der Entscheidung des Kabinetts abh?ngig".