Usage and impact of controlled vocabularies in a subject repository for index...
Medienkompetenz und Wikipedia an Hochschulen
1. Medienkompetenz und Wikipedia an
Hochschulen
Dr. Timo Borst
Deutsche Zentralbibliothek für
Wirtschaftswissenschaften (ZBW) /
Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
Kiel/Hamburg
e-teaching.org-Ringvorlesung, 13.12.2010
2. Überblick
1. Die Erosion klassischer Wissensformen im
Web 2.0
2. Drei Thesen zum Einsatz von
Web 2.0-Techniken in Unterricht und Lehre
3. Mediendidaktische Konzepte zur
Bewältigung von Ungewissheit
4. Einsatzszenarien für Wikipedia und
Wikisysteme an Hochschulen
3. 1. Die Erosion klassischer Wissensformen im
Web 2.0
2. Drei Thesen zum Einsatz von
Web 2.0-Techniken in Unterricht und Lehre
3. Mediendidaktische Konzepte zur
Bewältigung von Ungewissheit
4. Einsatzszenarien für Wikipedia und
Wikisysteme an Hochschulen
4. „Wissen“ vormodern
Vormoderner Wissensbegriff:
– „narratives Wissen“
– (Aber-)Glaube und Meinungen
– auf Überlieferungen und Erzählungen
beruhend
– anekdotisch
– für „Eingeweihte“
Symbole der Alchimie
5. „Wissen“ neuzeitlich
Neuzeitlicher Wissensbegriff:
– „diskursives Wissen“
– Wissen = wahre gerechtfertigte Meinung
– Intersubjektiv, prinzipiell durch jede Person
überprüfbar
– methodisch abgesichert
– handlungsleitend im Sinne wissenschaftlich-
technischen Fortschritts
6. „Wissen“ postmodern
Postmoderner Wissensbegriff:
– Wissen um das Ende von ideologischen
Grundwahrheiten
– reflexives Wissen
um die prinzipielle Kontingenz von
Wahrheiten
– kontingent, weil
• gruppenbezogen
• risikobehaftet
[Lyotard 1979, Beck 1986]
7. Begriffsbestimmung: Web 2.0
Sozio-technische Systeme
zur partizipativen
Erzeugung, Anwendung, Verbreitung und
Speicherung von Wissen
8. Tagging und
Folksonomies
Postmodernes + narratives Wissen
Merkmale
– Spontan
– Relativ unsystematisch
– Semi-professionell
– Teilweise anekdotisch
Tagging ≠ Indexieren
– Tagging = freie Schlagwortvergabe, gruppenbezogen
und auf individuellen Zuschreibungen beruhend
– Indexieren = basierend auf Klassifikationssystemen,
zunehmend automatisiert und durch entsprechend
trainierte Systeme ausgeführt
9. Empfehlungssysteme -
„Social Navigation“
Postmodernes Wissen wirksam
Kaufentscheidungen (z.B. bei Amazon.com)
orientieren sich an der Wahrscheinlichkeit, mit
der zwei Produkte im Zusammenhang
betrachtet oder gekauft wurden
Speziell bei Literatur: Kein mit
(wissenschaftlicher) Autorität versehener
Kanon, sondern Empfehlungslisten, die von
Personen mit gleicher Bedürfnislage erstellt
bzw. geteilt werden
10. Qualitätssicherung
in der Wikipedia
Postmodernes + diskursives Wissen
Einerseits soziale Aushandlung von
„Wahrheiten“
Andererseits klassische Formen der
Wissenslegitimation und Qualitätssicherung
– Relevanzkriterien für Einträge
– Begutachtungen (gesichtete/geprüfte
Versionen)
– Auszeichnungen (exzellenter/lesenswerter
Artikel)
– Verknüpfungen mit anderen (zuverlässigen)
Quellen über Normdaten, z.B. Literaturlisten
11. Merkmale von „Wissen“ im Web 2.0
Nebeneinander von
– modern-narrativen
– diskursiv-neuzeitlichen
– postmodernen Wissensformen
Popularisierung diskursiven Wissens
gleichzeitig: Handlungsdruck, indem dieses
Wissen in Entscheidungssituationen
zunehmend relevant wird
Handeln unter den Bedingungen von
Ungewissheit
12. Transformation von Wissen
und sozialer Geltung
Ungewissheit
– nimmt tendenziell zu bei gleichzeitig
fortschreitender Informierung (auch über
die Begrenztheit von Wissen)
– gewinnt im Web 2.0 neue produktive
Formen:
Vorläufigkeit als Qualität („perpetual beta“, O‘Reilly)
Spontane, sichtbare und reversible Meinungen
(„Blogosphere“)
Statistischer Imperativ („Recommender-Systeme“)
Dynamische Kontexte
13. 1. Die Erosion klassischer Wissensformen im
Web 2.0
2. Drei Thesen zum Einsatz von
Web 2.0-Techniken in Unterricht und Lehre
3. Mediendidaktische Konzepte zur
Bewältigung von Ungewissheit
4. Einsatzszenarien für Wikipedia und
Wikisysteme an Hochschulen
14. Drei Thesen (I)
„Zu beobachten ist eine Erosion
neuzeitlicher Formen der Vermittlung und
Schaffung von Wissen.“
– insbesondere, wenn
Web 2.0-Techniken und -Anwendungen
in der pädagogischen Praxis zum Einsatz
kommen bzw. seitens der Lernenden
genutzt werden (sollen)
15. Drei Thesen (II)
„Gängige Verfahren des Erwerbs oder der
Vermittlung fachlicher Kompetenzen
werden umgangen oder verkürzt.“
– Informiertheit tritt an die Stelle von
Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten
16. Drei Thesen (III)
„Das spezifische Potenzial mit Web 2.0
verbundener Techniken und Anwendungen
bleibt in der Mediendidaktik derzeit noch
weitgehend ungenutzt.“
– solange nicht in der Mediendidaktik der
Umgang mit Ungewissheit thematisiert
wird, die durch Web 2.0-Anwendungen
hervorgerufen wird
17. 1. Die Erosion klassischer Wissensformen im
Web 2.0
2. Drei Thesen zum Einsatz von
Web 2.0-Techniken in Unterricht und Lehre
3. Mediendidaktische Konzepte zur
Bewältigung von Ungewissheit
4. Einsatzszenarien für Wikipedia und
Wikisysteme an Hochschulen
18. Risikokompetenz
Thematisierung in
unterschiedlichen Kontexten
– Drogenhilfe
(Drogenarbeit, Suchtprävention)
– Sportpädagogik (Wagniserziehung bei
der Entwicklung von Jugendlichen)
– Arbeitsschutz, Sicherheitsforschung
– Erlebnispädagogik
– Risikomanagement im
unternehmerischen Handeln
19. Risikokompetenz im Kontext von
Web 2.0
Techniken und Anwendungen im Web 2.0 führen
dazu, dass die Zustände der Ungewissheit
einerseits, des fachlich gesicherten Wissens
andererseits zunehmend ununterscheidbar werden
Risikokompetenz bedeutet, unsicheres Wissen in
seinen medienspezifisch verfassten Formen
gegenüber der Gelehrtenmeinung zu erkennen,
z.B.:
– als persönlichen Blogeintrag
– als sozial verhandeltes Wissen in Wikis
21. Risikokompetenz zur Bewältigung
von Ungewissheiten
Risikokompetenz bedeutet
1. Die Einsicht in die Ungewissheit einer
Entscheidungslage
2. Die bewusste Entscheidung über die
Bewältigung der Ungewissheit durch
a) Überführung in Fachwissen, oder
b) Anwendung von Heuristiken
(„Faustregeln“ wie z.B. die Regel vom
einzigen guten Grund)
22. 1. Die Erosion klassischer Wissensformen im
Web 2.0
2. Drei Thesen zum Einsatz von
Web 2.0-Techniken in Unterricht und Lehre
3. Mediendidaktische Konzepte zur
Bewältigung von Ungewissheit
4. Einsatzszenarien für Wikipedia und
Wikisysteme an Hochschulen
23. Einsatzszenarien für Wikipedia und
Wikisysteme an Hochschulen
Wikipedia-Einträge als Lehr-/Lernmaterialien
– Landläufige Meinung: Wikipedia-Artikel eignen sich vor
allem für den Einstieg in ein Thema, das dann anhand
weiter gehender Literatur vertieft werden kann.
– Die „Einstiegstext-Legende“, P. Haber:
http://www.cpov.de/wp-
content/uploads/2010/10/Haber.pdf
– Befund:
• Artikel sind als Einstieg in komplexe Themen häufig
nicht geeignet
• Schlecht strukturiert
• Große Unterschiede zwischen Sprachversionen
(deutsch/englisch)
26. Maßnahmen
Sensibilisierung bei Rezeption und Zitierung
Studium und Vergleich verschiedener
Sprachversionen
Analyse der Gliederung
Rückgriff auf Sekundärmaterialien (Zugriff
auf einschlägige Bibliothekskataloge,
Normdateneinträge verfolgen)
27. Einsatzszenarien für Wikipedia und
Wikisysteme an Hochschulen
Das „Wiki-Prinzip“ in der Lehre:
Nutzung z.B. der Mediawiki-Software als
Lernumgebung für die (kollaborative) Textrezeption,
-erstellung und -bearbeitung
Anleitung bei der Textstrukturierung
(==Gliederung_1==, ==Gliederung_2==…)
Ggf. Erweiterung um weitere
AutorInnenunterstützung z.B. durch Mindmaps
(http://www.mediawiki.org/wiki/Extension:MindMap)
Erfordert Medienkompetenz seitens der Lernenden
und Lehrenden
Beseitigung von Ungewissheit durch Überführung in
Fachwissen
28. Einsatzszenarien für Wikipedia und
Wikisysteme an Hochschulen
Das „Wiki-Prinzip“ in der Forschung:
Nutzung z.B. der Mediawiki-Software als
AutorInnenumgebung für die (kollaborative)
Textrezeption, -erstellung, -bearbeitung,
-bewertung und –veröffentlichung
z.B. http://www.scholarpedia.org/
D. Mietchen: Wikis as platforms for scholarly
publishing (COASP 2010)
Prinzip: Beseitigung von Ungewissheit durch
schnellere Überführung in Fachwissen
29. Zusammenfassung
In typischen Web 2.0-Anwendungen und
–Techniken manifestieren sich Mischformen aus
traditionellem, diskursivem und postmodernem
Wissen
Daraus entstehen Ungewissheiten, die aus
mediendidaktischer Sicht zu thematisieren sind
Die Wikipedia und entsprechende Systeme können
genutzt werden, um solche Ungewissheiten im
Kontext wissenschaftlicher Lehre und Forschung
zu thematisieren bzw. zeitnah in Fachwissen zu
überführen