4. Aus marxistischer Sicht wird Dialektik vor allem als Theorie
der Höherentwicklung (über Widersprüche
hindurch/hinweg) verstanden. Es wird häufig von
„dialektischer Entwicklung“ gesprochen.
Dabei entstand teilweise eine vereinseitigte Sicht, bei der
Entwicklung nur auf zeitliche Zustandsveränderungen
bezogen wurde, was auch heute noch im Internet zu finden
ist:
„Dialektik ist der Versuch, die Dinge im zeitlichen Ablauf, d.
h. in ihrer Veränderung zu begreifen.“ (Wal Buchenberg:
http://www.trend.infopartisan.net/trd1001/t071001.html)
5. (Historische)
Entwicklung
• Dialektische = historische Entwicklung ?
• Entwicklung bei Hegel
• Zukünftige Entwicklung
6. Früher wurde das Thema „Dialektik“ im marxistisch-
dialektischen Kontext eigentlich immer im Zusammenhang
mit historischen Entwicklungsvorgängen thematisiert.
Dies reduziert die Hegelsche Dialektik jedoch und mit
dieser Einschränkung im Kopf ist Hegel gar nicht zu
verstehen. Deshalb möchte ich zurück gehen: Was hat
Hegel eigentlich selbst gemeint?
7. Dialektische Entwicklung
3 „Grundgesetze“:
• Einheit und „Kampf“ der Gegensätze
• Umschlagen quantitativer
Veränderungen in qualitative
(und umgekehrt)
• Negation der Negation
8. Dies sind die drei „Grundgesetze“, die im Marxismus-Leninismus als
Kernprinzipien der Dialektik gelehrt wurden. Links steht als Beispiel die
Aufeinanderfolge der ersten Kategorien bei Hegel. „Sein“ und „Nichts“
sind Gegensätze. Das „Sein“ ist die Negation des „Nichts“ und das
„Nichts“ ist die Negation des „Sein“. Sie richten sich gegeneinander
(„kämpfen“). Ihre Einheit finden sie im „Werden“ (etwas Werdendes
IST und IST NICHT). Das Werdende/Gewordene ist die Negation der
Negation von „Sein“ und von „Nichts“. Letztlich wird der Übergang in
die Negation der Negation, die höhere Einheit, geschafft, wenn man
„weit genug“ in den Gegensatz hinein gegangen ist. Das Neue
entsteht, nachdem sich im Alten lange genug quantitative
Veränderungen angehäuft haben: aus vielen Körnchen wird ein
Sandhaufen. All dies sind Prinzipien, die bei allen
Entwicklungsvorgängen eine Rolle spielen und die auch in der
Hegelschen Philosophie auftauchen. Deshalb bietet es sich an, diese
Prinzipien als „dialektische Prinzipien“ oder „Grundgesetze“ zu
verallgemeinern.
„Es bietet sich an“… heißt: Es ist irgendwie nicht ganz falsch… aber es
wird sich zeigen, dass diese Sicht, wenn sie verabsolutiert wird, nicht
mehr richtig und ausreichend ist.
10. Wenn man sich auf die Dialektik bezieht, sollte aber auf jeden
Fall bekannt sein, dass im Hegelschen System nicht über
eine zeitliche Veränderung gesprochen wird (außer in den
Fällen, wo er die Geschichte ausdrücklich thematisiert wie in
der Geschichte der Philosophie oder der Weltgeschichte).
Jene Texte, auf die sich die Grundlage der Dialektik meist
bezieht, die „Logik“ hat als Gegenstand aber nicht die zeitlich-
geschichtliche Entwicklung, sondern die Entwicklung des sich
selbst erkennenden Weltgeistes (bzw. des Menschen als Teil
davon).
Das wird schon deutlich, wenn man sich die Kategorien in der
„Logik“ anschaut. Es kann ja nicht sinnvoll behauptet werden,
dass zeitlich nacheinander das „Sein“, danach das „Dasein“
usw. entstehen würden.
Philosophie wird ausdrücklich bei Hegel als “zeitloses
Begreifen” beschrieben, das sich nicht mit der schlechten
Unendlichkeit der Abfolge endlicher Dinge beschäftigt (vgl.
Hegel Enz. II, S. 26 § 248 Zusatz)
12. Wenn man diese logische Entwicklung umstandslos auf historische
Entwicklungen überträgt, entsteht eine ungerechtfertigte
Parallelisierung von Logischem und Historischem.
Auch das Negieren einer Qualität ist bei Hegel kein zeitlicher Vorgang
(vgl. Hegel Enz. I. § 109 Z: 228) und die Beispiele von
Zustandsänderungen (Aggregatzustände von Wasser,
Oxydationsstufen von Metallen, Tonunterschiede) meinen keine
zeitliche, gar entwicklungsgemäße, Aufeinanderfolge.
Auch Marx wusste noch, dass diese Parallelisierung nicht immer
funktioniert:
"Es wäre [...] untubar und falsch, die ökonomischen Kategorien in der
Folge aufeinander folgen lassen, in der sie historisch die
bestimmenden waren. Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch
die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft
aufeinander haben und die gerade das umgekehrte von dem ist, was
als ihre naturgemäße erscheint oder der Reihe der historischen
Entwicklung entspricht.“ (MEW 42: 41)
13. Historische Entwicklung
Entfaltung der
logischen Idee ... als
ein Fortgang vom
Abstrakten zum
Konkreten
http://www.hegel-
system.de/de/poster.htm
14. An zwei Stellen gibt es die Parallele von Logischem und
Historischem auch bei Hegel:
1.Der Philosophiegeschichte: "Das Verhältnis aber der
früheren zu den späteren philosophischen Systemen ist im
allgemeinen dasselbe wie das Verhältnis der früheren zu
den späteren Stufen der logischen Idee, und zwar von der
Art, daß die späteren die früheren als aufgehoben in sich
enthalten." (Hegel Enz.I § 86 Z2: 184)
2.Weltgeschichte (nächste Folie)
15. Historische Entwicklung
Weltgeschichte:
„Darstellung des Geistes [...],
wie er sich das Wissen dessen,
was er an sich ist,
erarbeitet“
(Hegel: VLPG: 31)
„Weltgeschichte [...] den Stufengang der
Entwicklung des Prinzips, dessen Gehalt das
Bewußtsein der Freiheit ist“ (Hegel VPG: 75)
16. Der Kern der Weltgeschichte wird von Hegel im
wachsenden „Bewußtsein der Freiheit“ gesehen. Wie sich
dazu auch gesellschaftliche Institutionen und Verhältnisse
ändern müssen, beschreibt er in den Vorlesungen zur
Weltgeschichte.
17. Historische Entwicklung
Die Eule der Minerva
Als der Gedanke der Welt
erscheint sie [die
Philosophie] erst in der Zeit,
nachdem die Wirklichkeit
ihren Bildungsprozeß
vollendet und sich fertig
gemacht hat. (Hegel GPR 27-28)
18. Dabei gilt, dass die „Logik der historischen Entwicklung“
erst vom erreichten Endpunkt her rekonstruiert werden
kann. Man weiß, wo der Ist-/Endpunkt ist und kann alle
Entwicklungsschritte in Bezug auf diesen Ist-/Endpunkt
rekonstruieren. Für diesen Effekt steht die „Eule der
Minerva“ (wegen ihrer Aktivität erst in der Dämmerung).
(Ernst Bloch schreibt dazu: „wäre die Philosophie wirklich
auf Dämmerung angewiesen, dann wäre die hegelsche zu
ihrer Zeit überhaupt nicht möglich gewesen, sondern
sozusagen erst nach 1850." (Subjekt-Objekt, 231), siehe
dazu auch: http://www.inkrit.de/hkwm/artikel/eule.pdf)
)
19. Historische Entwicklung
Der Eulenstandpunkt bei der Analyse:
• keine „Wunder“
• nachträgliche Rekonstruktion von Abläufen
• Herausfinden wesentlicher Bedingungen für das Bestehende
20. Wir können diesen „Eulenstandpunkt“ tatsächlich
einnehmen, wenn wir historische Entwicklungen hin zu
einem bekannten Ist-Zustand rekonstruieren wollen. Wir
gehen dann davon aus, dass es keine Wunder gibt,
sondern alles, was bis jetzt entstanden ist, sich aus den
jeweils früher angelegten Möglichkeiten heraus bilden und
entfalten konnte. Nachträglich kann jeweils überlegt
werden, was vorher als Voraussetzung, als Bedingung
realisiert gewesen sein muss, um das Folgende zu
ermöglichen. Dabei kann auch erkannt werden, welche der
Bedingungen, die für das Bestehende notwendig sind,
überhaupt erst historisch als Voraussetzungen für das
Jetzige entstanden sind.
Diese Methode verwendet z.B. Klaus Holzkamp in seiner
„Grundlegung der Psychologie“ (siehe z.B.:
http://www.thur.de/philo/kp/5_schritt.htm)
21. Entwicklung bei Hegel
Drei unterschiedliche Formen der Veränderung:
1. Übergehen in Anderes (Seinslogik)
2. Scheinen in Anderes (Wesenslogik)
3. Entwicklung (Begriffslogik)
(Hegel Enz. I § 161 Z: 308)
• entspricht drei unterschiedlich (tiefgehenden) Formen
der Erkenntnis
22. Es gibt bei Hegel verschiedene Formen des Ineinander-Übergehens
von Kategorien in der Logik, nur eine davon nennt er „Entwicklung“:
1.zwei verschiedene Zustände sind unabhängig voneinander
vorhanden und es finden Übergänge zwischen ihnen statt (Hegel WdL
I: 97) (z.B. beim Übergang vom Zustand des Lebens in den Zustand
des Todes)
Wenn wir uns auf den ersten Aspekt konzentrieren, gibt es den zweiten
nicht, und wenn der Übergang vollzogen ist, ist der erste
verschwunden und der zweite existiert.
2.Im Wesen findet kein Übergehen statt, „sondern nur Beziehung“
(Enz. I, § 111, Z 229): Hier interessiert der Zusammenhang, die
Beziehung zwischen Leben und Tod. „Wenn (in der Sphäre des Seins)
das Etwas zu Anderem wird, so ist hiermit das Etwas verschwunden.
Nicht so im Wesen; hier haben wir kein wahrhaft Anderes, sondern nur
Verschiedenheit, Beziehung des Einen auf sein Anderes. Das
Übergehen des Wesens ist also zugleich kein Übergehen; denn beim
Übergehen des Verschiedenen in Verschiedenes verschwindet das
Verschiedene nicht, sondern die Verschiedenen bleiben in ihrer
Beziehung." (ebd.) (weiter: nächste Seite)
23. Wir erkennen, dass zum Leben der Tod gehört und zum Tod das
Leben. Beide sind nicht wirklich unabhängig voneinander. In dieser
Sphäre finden wir auch die Begründung der Quelle aller Veränderung,
den Widerspruch. Er "ist die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit
(Hegel WdL II: 75).
1.Das Lebendige selbst ist die widersprüchliche Einheit seiner beiden
Aspekte: Leben und Tod. Das Lebendige greift in seiner positiven
Bestimmung (Leben) zugleich über seine negative Bestimmung (Tod).
Damit haben wir den Gesamtzusammenhang bereits begriffen, d.h.
begriffslogisch erfasst. Das Übergreifende ist die Einheit von
Gegensatz und Identität, es ist der sich bewegende Widerspruch, der
Entwicklungszusammenhang. Im Begriff des Lebendigen ist bereits
enthalten, dass er sich in seine Momente Leben und Tod zerlegt. ->
begriffslogische "Entwicklung": alle Daseinsformen und Momente
erweisen sich als Momente der Selbstentwicklung des Begriffs. (Hegel
Enz. I § 161 Z: 308)
24. Entwicklung bei Hegel
Drei Formen der „Negation“ Beispiel
Seinslogischer „Übergang“: Flüssigkeit wird zu Gas.
Der erste Zustand verschwindet, der (Verschiedenheit)
neue entsteht.
Wesenslogische Gasförmigkeit ist der andere
Beziehung/Reflexion: das Etwas Aggregatzustand, der zum Zustand
und sein Anderes bleiben. der Flüssigkeit gehört.
(Unterschiedlichkeit)
Begriffslogische „Entwicklung“:
alle Daseinsformen und Momente Es ist die "Natur" des Wassers, in
erweisen sich als Momente der unterschiedlichen
Selbstentwicklung des Begriffs. Aggregatzuständen zu existieren.
25. Aus diesen drei Übergangsformen lassen sich drei Formen
von Negierungen ableiten, die alle gleichzeitig vorhanden
sind – die aber in unterschiedlicher Weise aufeinander
aufbauend gedacht werden können.
26. Entwicklung bei Hegel
Entwicklung mit Notwendigkeit/ notwendige Entwicklung
Die Entwicklung des Begriffs (der "Natur der Sache")
bedeutet lediglich das Herausbringen, das Setzen
desjenigen, was an sich schon vorhanden ist (seines
Begriffs).
Wenn wir davon ausgehen, dass es jeweils nichts außerhalb des
Begriffs (d.h. der Totalität der Sache) gibt, so ist die Negation
notwendig bestimmt. Aus der Natur des Wassers kann nicht folgen,
dass es plötzlich als Goldnugget erscheint. Sollte dies tatsächlich
passieren, so waren wir vom falschen Begriff ausgegangen.
27. Das bedeutet: die (logische) Entwicklung setzt ihren
Endpunkt bereits voraus. Entwicklung bringt ihn hervor. Sie
ist also letztlich zielgerichtet.
Bei Hegel: Das Ganze ist der Geist, der sich selbst
erkennt. Er will natürlich „bei sich selbst“ ankommen und
nicht irgendwo anders. Deshalb ist die Richtung natürlich
notwendigerweise bestimmt.
Es gibt dazu auch eine materialistische Interpretation,
wenn wir den Erkenntnisprozess in seiner Entwicklung
nehmen: Wenn wir die Welt begreifen wollen, dann wollen
wir die wirkliche Welt begreifen und nicht irgend etwas
anderes. Durch die Wirklichkeit ist der Endpunkt unseres
Begreifensprozesses auch notwendigerweise bestimmt (wir
wollen die Wirklichkeit wahrheitsgemäß begreifen, so dass
wir sie bewusst gestalten können – und nicht nur beliebige
Meinungen austauschen).
28. Entwicklung bei Hegel
Entwicklung = Entäußerung
Der Begriff, der die „Natur der Sache“ enthält, bestimmt
notwendig seine eigenen (unterschiedlichen bis
gegensätzlichen) Momente.
H2O kann existieren in
flüssiger, fester oder
gasförmiger Weise.
Unter bestimmten Bedingungen „ist“ eine der möglichen
Formen in unmittelbarer, sinnlich wahrnehmbarer Weise
„da“: …
… in Abhängigkeit von der
Temperatur: Eis, Wasser, Gas
29. Hier wird der Weg vom Sein übers Wesen zum Begriff
noch mal „rückwärts“ gedacht: Die Totalität (das begrifflich
vollständig Bestimmte, das, was sich nur noch aus sich
selbst heraus begreifen lässt und durch nichts anderes
mehr bestimmt wird) entäußert sich: Es zeigt sich als
Verhältnis von Wesentlichem und Erscheinendem, als
Verhältnis von Wirklichem und Möglichem usw. usf. (H2O
zeigt sich als Möglichkeit von Wasser, Eis und Dampf).
Unter bestimmen Bedingungen ist es dann auch da als
Wasser, Eis oder Dampf…
Der Begriff erklärt uns also die Möglichkeit der bestimmten
Erscheinungsweisen und auch, warum unter bestimmten
Bedingungen was da ist. Dies gibt uns die Möglichkeit,
über die Veränderung von Bedingungen das Daseiende zu
verändern!
31. Wir haben also zwei Richtungen: Vom Sein zum Begriff
und von diesem zurück zum Sein. Ein wahrer Kreislauf.
Wenn jedoch dieser Kreislauf der Übereinstimmung von
Sein und Denken als historischer Ablauf
MISSVERSTANDEN wird, entstehen berühmt gewordene
Vorwürfe an Hegel:
32. Entwicklung bei Hegel
Es gibt nichts wirklich NEUES in der Hegelschen
Entwicklung…
Es gilt, "...daß der Begriff in
seinem Prozeß bei sich selbst
bleibt und daß durch denselben
dem Inhalt nach nichts Neues
gesetzt, sondern nur eine
Formveränderung
hervorgebracht wird." (Hegel
Enz. I § 161 Z: 309).
"Anamnesis" (vgl. Bloch 1964)
33. Bloch: Das Werden ist "nichts als die pädagogische
Entwicklung eines fertigen Lehrsatzes an der Tafel vor dem
lernenden Subjekt" (ebd.: 174)
Verflixt noch mal. Bei der logischen Entwicklung geht es
doch gar nicht um historisches Werden, Herr Professor
Bloch!!!
34. … und nun?
Hegel „umstülpen“: Hegel ernst nehmen:
Die („ideell“-)logische Differenz des Logischen
Betrachtungsweise und Historischen
(„materialistisch“) akzeptieren
„historisieren“
Neu überlegen, was das
für uns heißen kann…
Eindimen-
sionaler
Determinismus
35. Wenn das „Umstülpen“ des Idealismus von Hegel in
Richtung eines Materialismus einfach nur so interpretiert
wird, dass die logische
Entwicklung als historische gelesen wird, entsteht jene
berüchtigte Interpretation der Hegelschen Dialektik, dass
es historisch nichts Neues gibt und dass alles schon
vorherbestimmt ist (eindimensionaler Determinismus).
Dagegen käme es darauf an, Hegel ernst zu nehmen und
neu zu überlegen, was wir damit anfangen können…
36. Entwicklung bei Hegel
Drei Formen der „Negation“ Beispiel
Seinslogischer „Übergang“: Flüssigkeit wird zu Gas.
Der erste Zustand verschwindet, der (Verschiedenheit)
neue entsteht.
Wesenslogische Gasförmigkeit ist der andere
Beziehung/Reflexion: das Etwas Aggregatzustand, der zum Zustand
und sein Anderes bleiben. der Flüssigkeit gehört.
(Unterschiedlichkeit)
Begriffslogische „Entwicklung“:
alle Daseinsformen und Momente Es ist die "Natur" des Wassers, in
erweisen sich als Momente der unterschiedlichen
Selbstentwicklung des Begriffs. Aggregatzuständen zu existieren.
37. Wir können u.a. aus der logischen Entwicklung der
Kategorien in der Logik bei Hegel lernen, dass drei
verschiedene Formen von „Negation“ vorkommen, die nicht
historisch „nacheinander“ ablaufen, die wir aber in unserem
Erkenntnisprozess voneinander unterscheiden sollten:
38. Zukünftige Entwicklung
Die „virtuelle“ Eule der Minerva
• keine „Wunder“
• Herausfinden wesentlicher Bedingungen für das Neue
39. Um zukünftige Entwicklungen antizipieren zu können,
können wir den Standpunkt einer „virtuellen Eule der
Minerva“ einnehmen: Wenn wir uns einen gewissen
zukünftigen Zustand vorstellen (können, wollen, müssen),
dann können wir virtuell „zurück“ verfolgen, welche
Bedingungen/Voraussetzungen dazu notwendig waren/sein
werden… Dies ist notwendig, um selbst aktiv auf das
Entstehen/Verhindern erwünschter/nicht erwünschter
Bedingungen einwirken zu können. Um zukünftige
Entwicklungen antizipieren zu können, können wir den
Standpunkt einer „virtuellen Eule der Minerva“ einnehmen:
Wenn wir uns einen gewissen zukünftigen Zustand
vorstellen (können, wollen, müssen), dann können wir
virtuell „zurück“ verfolgen, welche
Bedingungen/Voraussetzungen dazu notwendig waren/sein
werden… Dies ist notwendig, um selbst aktiv auf das
Entstehen/Verhindern erwünschter/nicht erwünschter
Bedingungen einwirken zu können.
40. Zukünftige Entwicklung
Der Sinn der Dialektik für Gesellschaftsveränderer:
• Dialektik = Methode des
begreifenden, vernünftigen
(nicht nur verständiges) Denken
• und ermöglicht:
• Herausfinden wesentlicher Bedingungen für das
Bestehende diese Bedingungen beseitigen
• Das Möglichkeitsfeld analysieren
Möglichkeiten für Neues fördern…
41. Warum also sollten sich jene, die eine
Gesellschaftsveränderung anstreben, noch um die
Hegelsche Dialektik kümmern?
Dialektik als Methode des begreifenden, vernünftigen
Denkens ermöglicht es, für gegebene Verhältnisse
herauszufinden, welche wesentlichen Bedingungen es
tragen, d.h. welche Bedingungen verändert werden
müssen.
Dialektisches Denken orientiert darauf, das jeweilige
Möglichkeitsfeld zu analysieren, um Möglichkeiten für
Neues befördern zu können.
43. Nun sind wir wieder bei der Folie, die im ersten Teil schon
mal auftauchte:
Drei Konsequenzen aus der Verwendung der drei Stufen
der Denkformen/Erkenntnislogik.
1.Das Stehenbleiben auf der ersten Stufe verführt zum
unkritischen Anerkennen der faktischen “Realität”,
2.mit verständigem Denken können verschiedene
Möglichkeiten als Alternativen innerhalb des Wirklichen
erkannt werden.
3.Erst mit begriffslogischem Begreifen kann auch die
Veränderbarkeit der Bedingungen des Wirklichen erfasst
werden.
45. Hier breche ich die Ausführungen aus Zeit- und
Kapazitätsgründen wieder ab…
(Außerdem kann man das selber entwickeln, wenn man
Hegel erst mal ernst nimmt…)
46. Danke…
… für Eure Aufmerksamkeit
http://www.thur.de/philo/h
egel/hegel.hm
Notas do Editor
Teil I: http://de.slideshare.net/philosophenstuebchen/hegelsche-dialektik-grundlagen-teil-i-mit-notizen Teil II: http://de.slideshare.net/philosophenstuebchen/hegelsche-dialektik-grundlagen-teil-ii-mit-notizen Siehe auch die Texte im Internet unter: http://www.thur.de/philo/hegel/hegel.htm Zum Thema Entwicklung insbesondere: http://www.thur.de/philo/hegel/hegelvortrag2.htm http://www.thur.de/philo/hegel/hegel29.htm Die Abbildung zitiert eine Zeichnung von M.C. Escher und verweist auf das Thema Entwicklung mit Spiralformen.
Aus marxistischer Sicht wird Dialektik vor allem als Theorie der Höherentwicklung (über Widersprüche hindurch/hinweg) verstanden. Es wird häufig von „dialektischer Entwicklung“ gesprochen. Dabei entstand teilweise eine vereinseitigte Sicht, bei der Entwicklung nur auf zeitliche Zustandsveränderungen bezogen wurde, was auch heute noch im Internet zu finden ist: „Dialektik ist der Versuch, die Dinge im zeitlichen Ablauf, d. h. in ihrer Veränderung zu begreifen.“ (Wal Buchenberg: http://www.trend.infopartisan.net/trd1001/t071001.html)
Früher wurde das Thema „Dialektik“ im marxistisch-dialektischen Kontext eigentlich immer im Zusammenhang mit historischen Entwicklungsvorgängen thematisiert. Dies reduziert die Hegelsche Dialektik jedoch und mit dieser Einschränkung im Kopf ist Hegel gar nicht zu verstehen. Deshalb möchte ich zurück gehen: Was hat Hegel eigentlich selbst gemeint?
Dies sind die drei „Grundgesetze“, die im Marxismus-Leninismus als Kernprinzipien der Dialektik gelehrt wurden. Links steht als Beispiel die Aufeinanderfolge der ersten Kategorien bei Hegel. „Sein“ und „Nichts“ sind Gegensätze. Das „Sein“ ist die Negation des „Nichts“ und das „Nichts“ ist die Negation des „Sein“. Sie richten sich gegeneinander („kämpfen“). Ihre Einheit finden sie im „Werden“ (etwas Werdendes IST und IST NICHT). Das Werdende/Gewordene ist die Negation der Negation von „Sein“ und von „Nichts“. Letztlich wird der Übergang in die Negation der Negation, die höhere Einheit, geschafft, wenn man „weit genug“ in den Gegensatz hinein gegangen ist. Das Neue entsteht, nachdem sich im Alten lange genug quantitative Veränderungen angehäuft haben: aus vielen Körnchen wird ein Sandhaufen. All dies sind Prinzipien, die bei allen Entwicklungsvorgängen eine Rolle spielen und die auch in der Hegelschen Philosophie auftauchen. Deshalb bietet es sich an, diese Prinzipien als „dialektische Prinzipien“ oder „Grundgesetze“ zu verallgemeinern. „ Es bietet sich an“… heißt: Es ist irgendwie nicht ganz falsch… aber es wird sich zeigen, dass diese Sicht, wenn sie verabsolutiert wird, nicht mehr richtig und ausreichend ist.
Wenn man sich auf die Dialektik bezieht, sollte aber auf jeden Fall bekannt sein, dass im Hegelschen System nicht über eine zeitliche Veränderung gesprochen wird (außer in den Fällen, wo er die Geschichte ausdrücklich thematisiert wie in der Geschichte der Philosophie oder der Weltgeschichte). Jene Texte, auf die sich die Grundlage der Dialektik meist bezieht, die „Logik“ hat als Gegenstand aber nicht die zeitlich-geschichtliche Entwicklung, sondern die Entwicklung des sich selbst erkennenden Weltgeistes (bzw. des Menschen als Teil davon). Das wird schon deutlich, wenn man sich die Kategorien in der „Logik“ anschaut. Es kann ja nicht sinnvoll behauptet werden, dass zeitlich nacheinander das „Sein“, danach das „Dasein“ usw. entstehen würden. Philosophie wird ausdrücklich bei Hegel als “zeitloses Begreifen” beschrieben, das sich nicht mit der schlechten Unendlichkeit der Abfolge endlicher Dinge beschäftigt (vgl. Hegel Enz. II, S. 26 § 248 Zusatz)
Wenn man diese logische Entwicklung umstandslos auf historische Entwicklungen überträgt, entsteht eine ungerechtfertigte Parallelisierung von Logischem und Historischem. Auch das Negieren einer Qualität ist bei Hegel kein zeitlicher Vorgang (vgl. Hegel Enz. I. § 109 Z: 228) und die Beispiele von Zustandsänderungen (Aggregatzustände von Wasser, Oxydationsstufen von Metallen, Tonunterschiede) meinen keine zeitliche, gar entwicklungsgemäße, Aufeinanderfolge. Auch Marx wusste noch, dass diese Parallelisierung nicht immer funktioniert: "Es wäre [...] untubar und falsch, die ökonomischen Kategorien in der Folge aufeinander folgen lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren. Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben und die gerade das umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemäße erscheint oder der Reihe der historischen Entwicklung entspricht.“ (MEW 42: 41)
An zwei Stellen gibt es die Parallele von Logischem und Historischem auch bei Hegel: Der Philosophiegeschichte: "Das Verhältnis aber der früheren zu den späteren philosophischen Systemen ist im allgemeinen dasselbe wie das Verhältnis der früheren zu den späteren Stufen der logischen Idee, und zwar von der Art, daß die späteren die früheren als aufgehoben in sich enthalten." (Hegel Enz.I § 86 Z2: 184) Weltgeschichte (nächste Folie)
Der Kern der Weltgeschichte wird von Hegel im wachsenden „Bewußtsein der Freiheit“ gesehen. Wie sich dazu auch gesellschaftliche Institutionen und Verhältnisse ändern müssen, beschreibt er in den Vorlesungen zur Weltgeschichte.
Dabei gilt, dass die „Logik der historischen Entwicklung“ erst vom erreichten Endpunkt her rekonstruiert werden kann. Man weiß, wo der Ist-/Endpunkt ist und kann alle Entwicklungsschritte in Bezug auf diesen Ist-/Endpunkt rekonstruieren. Für diesen Effekt steht die „Eule der Minerva“ (wegen ihrer Aktivität erst in der Dämmerung). (Ernst Bloch schreibt dazu: „wäre die Philosophie wirklich auf Dämmerung angewiesen, dann wäre die hegelsche zu ihrer Zeit überhaupt nicht möglich gewesen, sondern sozusagen erst nach 1850." (Subjekt-Objekt, 231), siehe dazu auch: http://www.inkrit.de/hkwm/artikel/eule.pdf)
Wir können diesen „Eulenstandpunkt“ tatsächlich einnehmen, wenn wir historische Entwicklungen hin zu einem bekannten Ist-Zustand rekonstruieren wollen. Wir gehen dann davon aus, dass es keine Wunder gibt, sondern alles, was bis jetzt entstanden ist, sich aus den jeweils früher angelegten Möglichkeiten heraus bilden und entfalten konnte. Nachträglich kann jeweils überlegt werden, was vorher als Voraussetzung, als Bedingung realisiert gewesen sein muss, um das Folgende zu ermöglichen. Dabei kann auch erkannt werden, welche der Bedingungen, die für das Bestehende notwendig sind, überhaupt erst historisch als Voraussetzungen für das Jetzige entstanden sind. Diese Methode verwendet z.B. Klaus Holzkamp in seiner „Grundlegung der Psychologie“ (siehe z.B.: http://www.thur.de/philo/kp/5_schritt.htm)
Es gibt bei Hegel verschiedene Formen des Ineinander-Übergehens von Kategorien in der Logik, nur eine davon nennt er „Entwicklung“: zwei verschiedene Zustände sind unabhängig voneinander vorhanden und es finden Übergänge zwischen ihnen statt (Hegel WdL I: 97) (z.B. beim Übergang vom Zustand des Lebens in den Zustand des Todes) Wenn wir uns auf den ersten Aspekt konzentrieren, gibt es den zweiten nicht, und wenn der Übergang vollzogen ist, ist der erste verschwunden und der zweite existiert. Im Wesen findet kein Übergehen statt, „sondern nur Beziehung“ (Enz. I, § 111, Z 229): Hier interessiert der Zusammenhang, die Beziehung zwischen Leben und Tod. „Wenn (in der Sphäre des Seins) das Etwas zu Anderem wird, so ist hiermit das Etwas verschwunden. Nicht so im Wesen; hier haben wir kein wahrhaft Anderes, sondern nur Verschiedenheit, Beziehung des Einen auf sein Anderes. Das Übergehen des Wesens ist also zugleich kein Übergehen; denn beim Übergehen des Verschiedenen in Verschiedenes verschwindet das Verschiedene nicht, sondern die Verschiedenen bleiben in ihrer Beziehung." (ebd.) Wir erkennen, dass zum Leben der Tod gehört und zum Tod das Leben. Beide sind nicht wirklich unabhängig voneinander. In dieser Sphäre finden wir auch die Begründung der Quelle aller Veränderung, den Widerspruch. Er "ist die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit (Hegel WdL II: 75). Das Lebendige selbst ist die widersprüchliche Einheit seiner beiden Aspekte: Leben und Tod. Das Lebendige greift in seiner positiven Bestimmung (Leben) zugleich über seine negative Bestimmung (Tod). Damit haben wir den Gesamtzusammenhang bereits begriffen, d.h. begriffslogisch erfasst. Das Übergreifende ist die Einheit von Gegensatz und Identität, es ist der sich bewegende Widerspruch, der Entwicklungszusammenhang. Im Begriff des Lebendigen ist bereits enthalten, dass er sich in seine Momente Leben und Tod zerlegt. -> begriffslogische "Entwicklung": alle Daseinsformen und Momente erweisen sich als Momente der Selbstentwicklung des Begriffs. (Hegel Enz. I § 161 Z: 308)
Aus diesen drei Übergangsformen lassen sich drei Formen von Negierungen ableiten, die alle gleichzeitig vorhanden sind – die aber in unterschiedlicher Weise aufeinander aufbauend gedacht werden können.
Das bedeutet: die (logische) Entwicklung setzt ihren Endpunkt bereits voraus. Entwicklung bringt ihn hervor. Sie ist also letztlich zielgerichtet. Bei Hegel: Das Ganze ist der Geist, der sich selbst erkennt. Er will natürlich „bei sich selbst“ ankommen und nicht irgendwo anders. Deshalb ist die Richtung natürlich notwendigerweise bestimmt. Es gibt dazu auch eine materialistische Interpretation, wenn wir den Erkenntnisprozess in seiner Entwicklung nehmen: Wenn wir die Welt begreifen wollen, dann wollen wir die wirkliche Welt begreifen und nicht irgend etwas anderes. Durch die Wirklichkeit ist der Endpunkt unseres Begreifensprozesses auch notwendigerweise bestimmt (wir wollen die Wirklichkeit wahrheitsgemäß begreifen, so dass wir sie bewusst gestalten können – und nicht nur beliebige Meinungen austauschen).
Hier wird der Weg vom Sein übers Wesen zum Begriff noch mal „rückwärts“ gedacht: Die Totalität (das begrifflich vollständig Bestimmte, das, was sich nur noch aus sich selbst heraus begreifen lässt und durch nichts anderes mehr bestimmt wird) entäußert sich: Es zeigt sich als Verhältnis von Wesentlichem und Erscheinendem, als Verhältnis von Wirklichem und Möglichem usw. usf. (H2O zeigt sich als Möglichkeit von Wasser, Eis und Dampf). Unter bestimmen Bedingungen ist es dann auch da als Wasser, Eis oder Dampf… Der Begriff erklärt uns also die Möglichkeit der bestimmten Erscheinungsweisen und auch, warum unter bestimmten Bedingungen was da ist. Dies gibt uns die Möglichkeit, über die Veränderung von Bedingungen das Daseiende zu verändern!
Wir haben also zwei Richtungen: Vom Sein zum Begriff und von diesem zurück zum Sein. Ein wahrer Kreislauf. Wenn jedoch dieser Kreislauf der Übereinstimmung von Sein und Denken als historischer Ablauf MISSVERSTANDEN wird, entstehen berühmt gewordene Vorwürfe an Hegel:
Bloch: Das Werden ist "nichts als die pädagogische Entwicklung eines fertigen Lehrsatzes an der Tafel vor dem lernenden Subjekt" (ebd.: 174) Verflixt noch mal. Bei der logischen Entwicklung geht es doch gar nicht um historisches Werden, Herr Professor Bloch!!!
Wenn das „Umstülpen“ des Idealismus von Hegel in Richtung eines Materialismus einfach nur so interpretiert wird, dass die logische Entwicklung als historische gelesen wird, entsteht jene berüchtigte Interpretation der Hegelschen Dialektik, dass es historisch nichts Neues gibt und dass alles schon vorherbestimmt ist (eindimensionaler Determinismus). Dagegen käme es darauf an, Hegel ernst zu nehmen und neu zu überlegen, was wir damit anfangen können…
Wir können u.a. aus der logischen Entwicklung der Kategorien in der Logik bei Hegel lernen, dass drei verschiedene Formen von „Negation“ vorkommen, die nicht historisch „nacheinander“ ablaufen, die wir aber in unserem Erkenntnisprozess voneinander unterscheiden sollten:
Um zukünftige Entwicklungen antizipieren zu können, können wir den Standpunkt einer „virtuellen Eule der Minerva“ einnehmen: Wenn wir uns einen gewissen zukünftigen Zustand vorstellen (können, wollen, müssen), dann können wir virtuell „zurück“ verfolgen, welche Bedingungen/Voraussetzungen dazu notwendig waren/sein werden… Dies ist notwendig, um selbst aktiv auf das Entstehen/Verhindern erwünschter/nicht erwünschter Bedingungen einwirken zu können.
Warum also sollten sich jene, die eine Gesellschaftsveränderung anstreben, noch um die Hegelsche Dialektik kümmern? Dialektik als Methode des begreifenden, vernünftigen Denkens ermöglicht es, für gegebene Verhältnisse herauszufinden, welche wesentlichen Bedingungen es tragen, d.h. welche Bedingungen verändert werden müssen. Dialektisches Denken orientiert darauf, das jeweilige Möglichkeitsfeld zu analysieren, um Möglichkeiten für Neues befördern zu können.
Nun sind wir wieder bei der Folie, die im ersten Teil schon mal auftauchte: Drei Konsequenzen aus der Verwendung der drei Stufen der Denkformen/Erkenntnislogik. Das Stehenbleiben auf der ersten Stufe verführt zum unkritischen Anerkennen der faktischen “Realität”, mit verständigem Denken können verschiedene Möglichkeiten als Alternativen innerhalb des Wirklichen erkannt werden. Erst mit begriffslogischem Begreifen kann auch die Veränderbarkeit der Bedingungen des Wirklichen erfasst werden.
Hier breche ich die Ausführungen aus Zeit- und Kapazitätsgründen wieder ab…