Programmheft_10-06-10_Tag der Musik mit Viktoria Mullova.pdf
1. FR 18.06.2010 20.00 Uhr
SA 19.06.2010 20.00 Uhr
Großer Saal, Abonnement E, 4. Konzert
Konzerthausorchester Berlin
Lothar Zagrosek
Viktoria Mullova Violine
Béla Bartók (1881 – 1945)
»Der wunderbare Mandarin« – Suite nach der Ballettmusik op. 19
Jean Sibelius (1867 – 1957)
Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47
Allegro maestoso
Adagio di molto
Allegro, ma non tanto
Pause
Johannes Brahms (1833 - 1897)
Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68
Un poco sostenuto – Allegro
Andante sostenuto
Un poco Allegretto e grazioso
Adagio – Allegro non troppo, ma con brio
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2. Béla Bartók: »Der wunderbare Mandarin« – Suite nach der
Ballettmusik op. 19
Entstehung 1918/19
Uraufführung 27.11.1926 Köln (Ballett), 15.10.1928 Budapest (Suite)
Besetzung 3 Flöten (2. und 3. auch Piccolo), 3 Oboen (3. auch
Englischhorn), 3 Klarinetten (3. auch Bassklarinette), 3 Fagotte
(2. und 3. auch Kontrafagott), 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen,
Tuba, Pauken, Schlagzeug (Große und Kleine Trommel, Triangel,
Becken, Tamtam, Xylophon, Celesta, Klavier, Harfe, Streicher
Dauer ca. 21 Minuten
Ermutigt durch die erfolgreichen Premieren des Tanzspiels »Der holz-
geschnitzte Prinz« (1917) und der Oper »Herzog Blaubarts Burg«
(1918) entwarf Bartók im Sommer 1918 Skizzen zu einem neuen
Bühnenwerk, einer einaktigen Ballettpantomime mit dem Titel »Der
wunderbare Mandarin«.
Die Handlungsvorlage fand der
Komponist in einer Novelle von
Menyhért Lengyel, die 1917 in der
Budapester Zeitschrift »Nyugat«
erschienen war. Einer Überlie-
ferung des Bartókschen Freundes-
kreises zufolge hatte Lengyel den
Stoff ursprünglich, auf Bitten
Diaghilews, als Libretto für die
Ballets Russes nach ihrem erfolg-
reichen Budapester Gastspiel von
1912 konzipiert. Textdichter und
Komponist lernten sich Anfang
Szenenbild aus »Der wunderbare Mandarin«
1918 kennen, und damals wohl
gab Lengyel sein Placet zur Vertonung der »Pantomime grotesque«,
deren Verschränkung von brutalem Naturalismus, futuristischer
Großstadtvision und humaner moralischer Botschaft Bartók von
Anfang an außerordentlich faszinierte. Bereits im Mai 1919 lag der
kompositorische Entwurf fertig vor, allerdings nur als Klavierauszug.
Da man eine Aufführung in Budapest wegen moralischer Bedenken
gegen die »krude Erotik« des Sujets kategorisch ablehnte, ließ Bartók
3. sich Zeit mit der Instrumentation. Die Partiturfassung wurde erst im
Sommer 1923 in Angriff genommen und im folgenden Jahr (April bis
November 1924) nochmals gekürzt und revidiert. Doch hat sich Bartók
noch bis 1931, immer wieder feilend und Details verändernd, mit dem
»Wunderbaren Mandarin« beschäftigt.
Skandal und Verbot
Die szenische Uraufführung am 27. November 1926 im Kölner
Opernhaus endete mit jenem berüchtigten Skandal, der den Dirigenten
Eugen Szenkár, seinerzeit Generalmusikdirektor in Köln, beinahe seine
Stellung gekostet hätte. Nach kirchlichen und behördlichen Protesten
ließ der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer alle wei-
teren Aufführungen verbieten.
Anstoß erregte vor allem die so kühne wie freizügige Thematik der
Ballettpantomime, ihre satirische und sozialkritische Haltung, ihre so
demonstrative Abkehr von der Ästhetik traditioneller Tanzpartituren.
Bartók selbst hat die Handlung, die er als »wunderschön« bezeichnete,
1919 folgendermaßen zusammengefasst:
»In ihrem Unterschlupf zwingen drei Apachen ein schönes junges
Mädchen, Männer zu sich auf die Stube zu locken, die dann von den
dreien vereint ausgeraubt werden. Der erste ist ein armer Bursche, der
zweite auch nicht viel besser, der dritte jedoch, ein reicher Chinese, ver-
spricht einen guten Fang. Das Mädchen tanzt für den Mandarin und
erweckt seine heftige Begierde. Er ist in Liebe entbrannt, dem Mädchen
aber graut es vor ihm. Die Apachen überfallen den Chinesen, rauben
ihn aus, ersticken ihn mit Kissen, durchstechen ihn mit dem Degen,
können aber nicht mit ihm fertig werden: Er wendet die sehnsuchtsvoll
verliebten Augen nicht von dem Mädchen. Endlich folgt das Mädchen
seinen weiblichen Instinkten, ist ihm zu Willen, und der Mandarin
sinkt leblos zu Boden.«
Musik voll Härte und Schroffheit
Bartók hat dazu eine Musik von kompromissloser Härte und
Schroffheit der Diktion geschrieben, die den realistischen Charakter
und das sozialkritische Engagement der Handlung in jedem Detail
genau reflektiert. Bei aller gerafften Bewegung und explosiven Drama-
tik weist die Partitur gleichwohl, ähnlich wie die des »Holzgeschnitzten
Prinzen«, eine streng symmetrische Konstruktion auf: Von der furiosen
4. Introduktion bis hin zum Lento-Epilog der Todesszene ist sie mit all
ihren kontrastierenden Abschnitten auf eine zentrale Achse bezogen.
Auch der Einbezug stilisierter Tanzcharaktere von Marsch und Walzer
und die plastisch durchgeformten kontrapunktischen Steigerungen
sichern der Musik ein hohes Maß an formaler Objektivierung. Aus-
schlaggebend für ihren inneren Zusammenhalt ist nicht zuletzt ein sub-
tiles Netz von quasi »leitmotivischen« Figuren und »symbolischen«
Intervallen, die den sozialen Sphären, den Protagonisten des Dramas,
ihren psychischen Haltungen und emotionalen Wandlungen minuziös
zugeordnet sind.
Die Dynamik der Musik, ihre geballte rhythmische Spannung, ihre
ostinate Motivik, auch gewisse Charaktere des Orchesterklangs erin-
nern deutlich an Strawinskys »Sacre du Printemps«, den Bartók freilich
damals nur aus dem Klavierauszug kannte. Dagegen verweisen die dis-
sonanzreiche, kaum noch tonal gebundene Harmonik und die zerklüf-
tete, gestisch hochexpressive Melodik eher auf Parallelen zur »Wiener
Schule«, zu Partituren Schönbergs und Bergs. Bartóks »Wunderbarer
Mandarin« ist »neue Musik« im emphatischen Sinn wie kaum ein ande-
res Werk des Komponisten – eines der großen Dokumente expressioni-
stischen Musiktheaters.
Bartók selbst hielt dieses Werk für eine seiner besten Arbeiten, und
er gab auch nach dem kläglichen Scheitern des ersten Bühnenversuchs
die Hoffnung nicht auf. Um die Musik wenigstens im Konzertsaal
zugänglich zu machen, hat er in mehreren Anläufen eine Suitenfassung
erarbeitet; die dritte, definitive Version wurde im Februar 1927 vollen-
det und am 15. Oktober 1928 unter Leitung von Ernst von Dohnány in
Budapest uraufgeführt. Sie ist, von unwesentlichen Kürzungen abgese-
hen, mit der Musik der ursprünglichen Bühnenpartitur identisch, ver-
zichtet indes auf die Schlußszene und endet – nach der »Hetzjagd« auf
den Mandarin – mit wenigen, eigens zu diesem Zweck hinzukompo-
nierten Schlusstakten.
5. Jean Sibelius: Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47
Entstehung 1903/04
Uraufführung 8.2.1904 Helsinki (unter Leitung des Komponisten)
Besetzung 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner,
2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Streicher
Dauer ca. 33 Minuten
Hört man das Violinkonzert von
Sibelius ohne Wissen um die
biographisch-genetische Konstella-
tion, wird man überrascht sein zu
erfahren, dass das Werk erst nach
der Jahrhundertwende, im Sommer
1903 – etwa zu gleichen Zeit wie
Strauss‘ »Salome« oder Mahlers
Sinfonien Nr. 5 und 6 – entstanden
ist. Freilich muss man sich ver-
gegenwärtigen, dass Sibelius ein
»Spätgeborener« war: einer der
letzten großen Romantiker, der
Finnland und »finnisches Idiom«
in der Musik überhaupt erst salon-
fähig machte – zu einer Zeit, als
Jean Sibelius. Gemälde von Alexis Gallen-Kallela
der musikalische Nationalismus
anderorts bereits an Substanz und Wirkungskraft verloren hatte. Der
Schwerpunkt seines kompositorischen Œuvres liegt zweifellos auf dem
Gebiet der Sinfonie und der Sinfonischen Dichtung. Nicht minder
bekannt, ja weltweit populär wurde das Konzert für Violine und
Orchester d-Moll op. 47, das in Motivik und Struktur der thematischen
Arbeit mitunter an die Sinfonien Nr. 1 und 2 erinnert.
Sibelius und die Geige
Dass Sibelius seine konzertanten Werke – nicht nur dieses Solokonzert,
sondern auch die Serenaden op. 69 und die Humoresken op. 87 und 89
– ausschließlich für Violine geschrieben hat, nimmt nicht wunder, war
er doch selbst ein exzellenter Geiger, der noch im Alter der
Virtuosenkarriere nachtrauerte. »Die Geige«, berichtete er über seine
Studienzeit, »hatte mich ganz in ihren Bann geschlagen; zehn Jahre war
6. es mein frommster Wunsch, ein großer Geigenvirtuose zu werden... und
es bedeutete ein recht schmerzhaftes Erwachen für mich, als ich eines
Tages feststellen musste, daß ich meine Ausbildung für den mühseligen
Weg eines Virtuosen zu spät begonnen hatte.« Gewiss hat Sibelius hier
einen Solopart von hochprofessionellem Anspruch und technischem
Raffinement, von außerordentlich flexibler und nuancenreicher Idio-
matik entworfen. Gleichwohl verliert sich sein d-Moll-Konzert nirgends
in den hybriden Ekstasen spätromantischen Bravourvirtuosentums,
sondern definiert sich primär als ein Stück konzertanter Sinfonik, und
das hat ihm bis heute einen Platz im Standardrepertoire gesichert.
Das eröffnende Allegro moderato folgt dem traditionellen Sonaten-
satzmodell, mit dreithemiger Exposition und substantiell variierter
Reprise. Allerdings treten hier auch assoziativ-rhapsodische Momente
deutlich hervor, und eine großangelegte Solokadenz im Mittelteil über-
nimmt gleichsam die Funktion der Durchführung. Intimeren Charakter
hat das Adagio di molto, ein weitgespannter dreiteiliger Liedsatz, des-
sen lyrische Figuration mitunter an die Ausdrucksmystik des Streich-
quartetts »Voces intimae« gemahnt. Als stilisierter Nationaltanz mit
zwei doppelt variierten Hauptthemen, Introduktion und Coda präsen-
tiert sich das abschließende Allegro ma non tanto – ein Finalsatz von
forcierter Intensität in Ausdruck und Bewegung, mit kräftigen Farb-
akzenten im Orchester und einem Solopart von effektvoller Brillanz.
Nach dem Misserfolg der Uraufführung am 8. Februar 1904 in
Helsinki (mit dem Komponisten am Pult und dem Geiger Victor
Novácek) hat Sibelius das Konzert 1904/05 nochmals gründlich über-
arbeitet. Die Erstaufführung der definitiven Fassung spielte Carl Halir
unter der Leitung von Richard Strauss am 19. Oktober 1905 in einem
Konzert der Berliner Hofkapelle. Die ebenfalls in Berlin, bei Robert
Lienau, verlegte Partitur widmete Sibelius dem jungen ungarischen
Violinisten Franz von Vecsey, der seinerzeit als Wunderkind in Europa
Furore machte.
7. Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68
Entstehung 1862-76 (mit Unterbrechungen)
Uraufführung 4.11.1876 Karlsruhe
Besetzung 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte,
Kontrafagott, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken,
Streicher
Dauer ca. 48 Minuten
Seitdem Robert Schumann 1853 in
seinem gutgemeinten Brahms-Arti-
kel »Neue Bahnen« diesen als
einen künftigen Messias der Musik
angekündigt und die Hoffnung auf
zukünftige sinfonische Großtaten
ausgesprochen hatte, waren in der
musikalischen Öffentlichkeit höch-
ste Erwartungen geweckt: »Wenn
er seinen Zauberstab dahin senken
wird, wo ihm die Mächte der
Massen im Chor und Orchester
ihre Kräfte leihen, so stehen uns
noch wunderbarere Blicke in die
Geheimnisse der Geisteswelt be-
vor«, hatte Schumann prophezeit,
Johannes Brahms, 1874
und seitens des öffentlich so gelob-
ten Komponisten fehlte es nicht an Versuchen, sich nach den so beifäl-
lig aufgenommenen Klavierwerken auch als Sinfoniker zu behaupten.
Doch es wollte zunächst nichts gelingen, und der junge Komponist
musste sich die fehlende Erfahrung im Umgang mit großer Form und
großem Orchester eingestehen. Verschiedene sinfonische Versuche fan-
den dann Eingang in andere Werke – so waren sowohl die Serenade
D-Dur op. 11 als auch das 1. Klavierkonzert zunächst als Sinfonie
geplant und wurden dann »umgewidmet«. Einstweilen aber verlegte
sich Brahms auf die Klavierkammermusik als Probefeld, um seine
Erfahrungen mit einem reich ausdifferenzierten Klaviersatz durch die
Arbeit an einer auf Dialog von Instrumentengruppen angelegten
Großform zu ergänzen. 1862 komponierte Brahms jedoch einen
Sinfoniesatz in c-Moll, dessen leidenschaftliches Kopfthema die
8. Freunde zu Kundgaben des Entzückens hinriss – der jedoch zunächst
keine Komplettierung zu einer viersätzigen Sinfonie erfuhr. Es mussten
abermals über zehn Jahre vergehen, bis sich der Komponist reif fühlte,
mit einer großen Sinfonie in die Öffentlichkeit zu treten. Die 1873 voll-
endeten Haydn-Variationen mit ihrer überaus schönen und differen-
zierten Instrumentation gaben letztendlich den Ausschlag. Im Sommer
1874 nahm sich Brahms das Sinfonie-Projekt wieder vor und skizzierte
zu dem bereits vorliegenden Kopfsatz ein gleichermaßen gewichtiges
und großangelegtes Finale, das im Sommer 1876 auf der Insel Rügen
seiner Vollendung entgegenreifte. Dabei wurde der Kopfsatz um die
düster-leidenschaftliche langsame Einleitung erweitert, die einen zykli-
schen Bogen zu dem gleichfalls durch eine langsamen Einleitung eröff-
neten Finalsatz schlägt. Die beiden Mittelsätze gingen dem Kompo-
nisten dann leicht von der Hand, im Oktober 1876 vollendete Brahms
in Lichtental (bei Baden-Baden) – die bereits längerfristig für den 4.11.
festgesetzte Karlsruher Uraufführung fest im Blick – seine 1. Sinfonie.
Autograph des vierhändigen Klavierauszugs der 1. Sinfonie
9. Uraufführung und Revision
Mit Vorsicht und Bedacht bahnte Brahms seiner von der Musikwelt so
lange erwarteten Sinfonie den Weg in die Öffentlichkeit. Als
Uraufführungsort war keines der bekannten Musikzentren, sondern die
kleine Residenz Karlsruhe ausersehen, wo Brahms’ Freund Otto
Dessoff als Kapellmeister den Taktstock schwang und das Werk mit
dem dortigen Hoforchester aus der Taufe hob. Eine zweite Aufführung
mit dem gleichen Orchester fand drei Tage nach der Uraufführung in
Mannheim statt, nun dirigierte der Komponist selbst. Die von Hermann
Levi geleitete Münchner Hofkapelle hatte das Werk am 15.11. unter
Stabführung des Komponisten auf dem Programm. Das Werk wurde
vom Publikum respektvoll, aber nicht unbedingt überschwänglich auf-
genommen. Das Wiener Publikum bekam die lange erwartete Novität
erst am 17.12.1876 zu hören, die Zwischenzeit hatte sich Brahms für
Korrekturen und kleine Retuschen freigehalten. Noch mehr Geduld
musste Brahms’ Verleger Simrock aufbringen, denn Brahms gab das
Werk zunächst noch seinem Freund Joseph Joachim auf eine England-
Tournee mit – erst nach dieser letzten Phase der Erprobung und
Korrektur war er bereit, das Werk in Druck zu geben. Nach kurzen
Verhandlungen zahlte Simrock für die 1. Sinfonie an Brahms ein fürst-
liches Honorar von 5000 Talern – er konnte sich bei dieser langerwar-
teten Novität aber eines hohen Absatzes und Gewinnes sicher sein!
Beethovens »Zehnte«
Hans von Bülows Bezeichnung der 1. Sinfonie von Brahms als »Beet-
hovens Zehnte« war sicherlich mehr als Lob gemeint, hat dem Kom-
ponisten und seinem Werk aber eher geschadet als genützt. Gemeint
war mit diesem Bonmot eigentlich nur, dass nach jahrzehntelanger
Pause endlich ein Komponist in der Lage war, an die große
Beethovensche Tradition anzuknüpfen – was eben Schubert, Mendels-
sohn und auch Schumann mit ihren sinfonischen Werken nicht gelun-
gen sei, von Bruckners bis dahin ausgeführten bzw. skizzierten sinfoni-
schen Riesenwerken ganz zu schweigen. Doch war dieses Bülowsche
Bonmot auch anders auslegbar, z. B. dass ein ängstliches Beharren auf
Beethovenschen Gestus das Fehlen eigener Gedanken und Kompo-
sitionstechnik hätte kaschieren sollen …, und so wurde es von den
Brahms-Gegnern auch weidlich genutzt.
Natürlich beschwört Brahms’ 1. Sinfonie das Vorbild Beethovens –
10. schon allein die Wahl der Tonart c-Moll weckt Erinnerungen an dessen
5. Sinfonie, den Weg »durch Nacht zum Licht« vom ersten zum letzten
Satz (und noch einmal in der Einleitung zum 4. Satz zusammengefasst)
hatte Beethoven in seinen beiden Moll-Sinfonien vorgezeichnet. Und
wenn man den Komponisten auf die Ähnlichkeit des Final-
Hauptthemas seiner 1. Sinfonie mit der Beethovenschen »Freuden-
melodie« aufmerksam machte, konnte man einer ungnädigen Antwort
gewiss sein (etwa »das erkennt ja jeder Esel!«). Sind es vor allem
Beobachtungen an der Oberfläche des Werkes, die Brahms 1. Sinfonie
in die Nachfolge von Beethovens Meisterwerken stellten, so zeigt das
Eindringen in die Detailstrukturen immer deutlicher, wo der Jüngere
seine ganz eigenen, vorbildlosen Wege geht, etwa in der kammermusi-
kalischen Dichte des Geflechtes motivisch-thematischer Strukturen
oder in der Verknüpfung der vier Sätze zur großen zyklischen Form.
Ein durchschlagender Erfolg beim Publikum war Brahms’ 1. Sin-
fonie zunächst noch nicht. (Ein Wiener Kritiker bescheinigte dem Werk
lediglich den Rang »eines bedeutenden Epigonenwerkes« …) Nach den
ersten Aufführungen gab es von den Freunden und Kollegen zwar viel
Lob, in Einzelfragen aber auch Verständnislosigkeit und Kritik.
Bezeichnenderweise berührten die kritischen Anmerkungen zumeist
die Punkte, wo Brahms sich am meisten von den einschlägigen
Vorbildern entfernt hatte: etwa der serenadenartig-leichte Grund-
charakter der beiden Mittelsätze (etwa mit dem schönen Violin-Solo im
Adagio), der zunächst noch befremdete. Die Sinfonie benötigte aber nur
kurze Zeit, um sich im Repertoire durchsetzen – und Brahms, offenbar
auf den Geschmack des Sinfonienschreibens gekommen, begann be-
reits im Folgejahr 1877 mit seiner 2. Sinfonie und schrieb diese dann in
einem Zuge nieder! Bis 1885 sollten noch eine dritte und vierte folgen.
11. Highlights der Saison 2010/11
Haben Sie den Abend genossen? Dann werfen Sie jetzt schon
einen Blick auf das Programm der kommenden Saison. Viele
Highlights erwarten Sie.
Der türkische Pianist und Komponist Fazil Say ist unser neuer
Artist in Residence. Wie seine Vorgänger wird er nicht nur dem
Konzerthausorchester als Solist zur Verfügung stehen, sondern
auch bei Kammerkonzerten, innerhalb des Junior-Programms,
bei einer Mozart-Matinee und in einem Recital zu hören sein. In
der Spielzeit 2010/11 wird es insgesamt 77 Sinfoniekonzerte mit
dem Konzerthausorchester Berlin in der heimischen Spielstätte
geben, davon 21 mit Chefdirigent Lothar Zagrosek.
Ganz neu im Programm sind drei Themeninseln, die »Musik
mit Mahler« präsentieren. Teil 1 beginnt zum Saisonstart im
September. Neue Reihen bieten attraktive Angebote, so »Pianis-
simo« mit der ersten Liga internationaler Meisterpianisten
(Pierre-Laurent Aimard, Arcadi Volodos u.a.) und die »Haus-
Konzerte« mit ehemaligen Artists in Residence (Viviane Hagner,
Martin Helmchen u.a.). Dirigenten wie Vladimir Fedoseyev und
Michael Gielen werden unsere Gäste sein.
Saisoneröffnung am 26. August 2010
Klaus-Maria Brandauer eröffnet mit dem
Konzerthausorchester Berlin und Lothar Zagrosek
die neue Spielzeit 2010/11.
Sichern Sie sich schon jetzt die besten
P
TIP
Plätze im Vorverkauf!
12. Porträt der Mitwirkenden
Lothar Zagrosek
Seine erste musikalische Ausbildung erhielt Lothar
Zagrosek als Mitglied der Regensburger Dom -
spatzen. Er studierte Dirigieren bei Hans Swa-
rowsky, Istvàn Kertész, Bruno Maderna und Herbert
von Karajan. Nach Stationen als Generalmusik-
direktor in Solingen und in Krefeld-Mönchen -
gladbach wurde Zagrosek Chefdirigent des Österrei-
chischen Radiosinfonieorchesters in Wien. Diesem Engagement folgten
drei Jahre als Directeur musicale der Grand Operá de Paris sowie als
Chief Guest Conductor des BBC Symphony Orchestra in London. Von
1990 bis 1992 wirkte Lothar Zagrosek als Generalmusikdirektor der
Oper Leipzig. Seit 1995 ist er als Erster Gastdirigent und Künstlerischer
Berater der Jungen Deutschen Philharmonie verbunden. Von 1997 bis
2006 war Lothar Zagrosek Generalmusikdirektor der Württem -
bergischen Staatsoper Stuttgart. Seine Arbeit an diesem Haus wurde in
der Kritikerumfrage der Zeitschrift »Opernwelt« zweimal mit der
Auszeichnung »Dirigent des Jahres« gewürdigt. Die Staatsoper
Stuttgart wurde während seiner Amtszeit fünfmal zum Opernhaus des
Jahres gewählt. Seit der Saison 2006/2007 ist Lothar Zagrosek Chef-
dirigent des Konzerthausorchesters Berlin.
Lothar Zagrosek, dem Nachwuchsförderung und kulturelle Bildung
sehr am Herzen liegen, ist Schirmherr der Offensive Kulturelle Bildung
in Berlin, Ehrenvorsitzender der Jury des Hochschulwettbewerbs
Dirigieren 2008 und Vorsitzender des künstlerischen Beirats des
Dirigentenforums des Deutschen Musikrats.
Im März 2006 wurde Lothar Zagrosek mit dem Hessischen
Kulturpreis ausgezeichnet. Im Juni 2009 erhielt er den Deutschen
Kritikerpreis.
13. Viktoria Mullova
Viktoria Mullova studierte an der Zentralen Musik-
schule Moskau und am Moskauer Konservatorium.
1980 gewann sie den 1. Preis beim Sibelius-
Wettbewerb in Helsinki sowie 1982 die Gold -
medaille beim Tschaikowsky-Wettbewerb. Es folgte
1983 ihre von großem Medienecho begleitete drama-
tische Flucht in den Westen. Seither musiziert sie mit
den besten Orchestern und Dirigenten der Welt und tritt bei allen gro-
ßen internationalen Festivals auf. Ihr Interesse gilt dem barocken und
klassischen Repertoire bis hin zu zeitgenössischen Werken und
Experimentalmusik. Sie arbeitet mit Ensembles wie dem Orchestra of
the Age of Enlightenment, Il Giardino Armonico, Venice Baroque und
Orchestre Révolutionnaire et Romantique. Eine enge musikalische
Partnerschaft verbindet sie mit dem Cembalisten Ottavio Dantone, mit
dem sie regelmäßig Tourneen unternimmt.
Viktoria Mullovas intensive Auseinandersetzung mit kreativer zeit-
genössischer Musik begann im Jahr 2000 mit ihrem Album Through
The Looking Glass mit von Matthew Barley für Solovioline und
Ensemble arrangierten Werken aus den Bereichen Weltmusik, Jazz und
Pop. Sie vergibt immer wieder Kompositionsaufträge an junge Kom-
ponisten, wie z. B. Fraser Trainer und Thomas Larcher. Das Londoner
Southbank Centre lud sie als »Artist-in-Focus« in die neu konzipierte
internationale Kammermusikreihe ein. Im Laufe dieser Spielzeit prä-
sentiert das Wiener Konzerthaus die Künstlerin in ihrer ganzen
Vielseitigkeit; ein ähnliches Projekt findet in der nächsten Saison mit
dem London Symphony Orchestra in einer Reihe von Konzerten im
Barbican Centre und St. Luke’s statt.
Als Kammermusikerin ist sie regelmäßig mit Katia Labèque zu erle-
ben. Seit einiger Zeit spielt sie im Duo mit Kristian Bezuidenhout
(Hammerklavier) Werke von Schubert und Beethoven. Die Sonaten von
Ludwig van Beethoven haben beide auch bereits aufgenommen.
Bei Philips liegt eine umfangreiche Diskographie von Viktoria
Mullova vor; viele ihrer Aufnahmen gewannen bedeutende Preise. Seit
2005 arbeitet sie eng mit dem Label Onyx Classics zusammen. Die erste
gemeinsame Produktion – Vivaldi-Konzerte mit Il Giardino Armonico
unter der Leitung von Giovanni Antonini – wurde mit dem renommier-
ten Diapason d’Or ausgezeichnet. Zu weiteren Einspielungen zählen
14. Schuberts Oktett mit dem Mullova Ensemble, ein Rezital mit Katia
Labèque und Bach-Aufnahmen gemeinsam mit Ottavio Dantone sowie
die sechs Solo-Sonaten und Partiten.
Viktoria Mullova musiziert entweder auf der Stradivari »Jules Falk«
aus dem Jahr 1723 oder auf einem Instrument von Guadagnini.
musik
fest
berlin
vollständiges Programm und
Tickets unter (030) 254 89 100
2. September
bis 21. September
1o
www.musikfest-berlin.de
Das Konzerthausorchester Berlin
Berliner Festspiele in Zusammenarbeit beim musikfest berlin 2010
mit der Stiftung Berliner Philharmoniker am 16. September 2010 in der Philharmonie
15. Aktuelles
Publikumsorchester bekommt neuen Termin
Sehr geehrte Konzertbesucher,
seit 2006 ist es für das Konzerthausorchester und seinen Chef-
dirigenten, Lothar Zagrosek, Tradition, zur Saisoneröffnung mit einem
Publikumsorchester ein ausgewähltes Werk einzustudieren. Dieses
Angebot an Hobby-Musiker, egal welchen Alters, erfreut sich jährlich
eines regen Zuspruchs. Im vollbesetzten Großen Saal ist Stimmung
garantiert!
Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass in der nächsten
Saison ebenfalls die Möglichkeit besteht, sich für einen Platz in
diesem besonderen Orchester zu bewerben. Diesmal laden wir Sie
jedoch nicht zur Saisoneröffnung im August ein, sondern zum
Tag der offenen Tür am 22. Mai 2011.
In einer öffentlichen Probe auf dem Konzertpodium des Großen
Saales wird Herr Zagrosek mit Ihnen Ausschnitte aus dem Ballett
»Der Nussknacker« von Pjotr Tschaikowsky erarbeiten.
Merken Sie sich »Ihren« Konzerttermin vor und melden Sie sich
rechtzeitig in unserem Orchesterbüro an (Telefon: 030 20309-2388
oder per Mail: orchesterbuero@konzerthaus.de).
16. Sie wollen das Konzerthaus fördern und unterstützen
oder interessieren sich für eine Stuhlpatenschaft?
Zukunft Konzerthaus e.V.
Gendarmenmarkt 2 10117 Berlin
Telefon: (030) 20309-2344, Fax: (030) 20309-2076
E-Mail: zukunft@konzerthaus.de
www.zukunft-konzerthaus.de
Freundeskreis Konzerthaus Berlin e.V.
Informationen über Detlef Gogalla, 10106 Berlin
Telefon: (030) 20309-2020, Fax: (030) 20309-2021
E-Mail: freundeskreis@konzerthaus.de
IMPRESSUM
Herausgeber Konzerthaus Berlin
Intendant Prof. Dr. Sebastian Nordmann
Text Dr. Monika Lichtenfeld (Bartók, Sibelius), Dr. Dietmar Hiller (Brahms)
Redaktion Tanja-Maria Martens
Titelfoto Christian Nielinger
Abbildungen Christian Nielinger, Henry Fair, Archiv Konzerthaus Berlin
Satz und Reinzeichnung www.graphiccenter.de
Herstellung REIHER Grafikdesign & Druck
2,30 €