1. LEBEN
„O h
n e M u s i k w ä re
i ch u
n g l ü c k l i c h“
Der GENIESSER
sprach mit dem Pianisten
u n d D i r i g e n te n R u d o l f
B u c h b i n d e r ü b e r D i s zi -
plin, Genuss und dem
H err Buchbinder, im Alter von fünf Jahren wurden Sie
als jüngster Student an der Hochschule für Musik in
Wien aufgenommen – ein Beweis für Ihr frühes und großes
G r u n d d a f ü r, wa r u m e r Talent. Inwiefern verlief Ihre Kindheit dennoch normal? Hatten
Sie überhaupt gleichaltrige Freunde?
sich ein Leben als pen- Obwohl ich täglich üben musste, brauchte ich auf nichts zu
s i o n i e r te r B a n kd i r e k to r verzichten. Neben dem Klavier habe ich auch regelmäßig
Fußball gespielt – zum Leidwesen meiner Familie und Leh-
n i c h t vo r s te l l e n k a n n . rer am liebsten im Tor.
Zu einem Beruf wie Ihrem gehört viel Talent, aber sicher
auch viel Übung. Wie viel Ihres Berufs ist Disziplin, wie viel
gelebte Leidenschaft?
Mit einem Talent auf die Welt zu kommen, das ist wohl das
größte Geschenk. Und zugleich auch eine Verpflichtung. Dis-
ziplin und Leidenschaft bedingen sich dabei gegenseitig: Meine
Professionalität beim Proben erlaubt es mir meinen Emotionen
während des Konzerts freien Lauf zu lassen. Musik ist mein
Beruf, mein Hobby und mein Lebensinhalt – aus Leidenschaft.
„Es ist nicht erforderlich Musik zu verstehen. Man braucht
sie nur zu genießen,“ sagte zu seinen Lebzeiten der berühmte
englische Dirigent Leopold Stokowski. Stimmen Sie zu?
Ein minimaler Prozentsatz des Publikums ist das sogenannte Rudolf
„verständige“. Viel wichtiger ist der andere, weit größere Teil: Buchbinder
Musikliebhaber, die ins Konzert gehen, um sich zu erfreuen wurde am
und zu genießen. Diese Art Zuhörerschaft unterscheidet sich 1. Dezember
weltweit in keinster Weise. 1946 in der
Tschechos-
lowakei geboren.
Was bedeutet es Ihnen, gut zu essen und zu trinken?
Bereits neun
In meinem Beruf kann ich es mir nicht erlauben, schlecht zu Jahre später
essen, um mir damit den Magen zu verderben. Mein Pub- gab er sein
likum würde dies als erstes registrieren, daher bin ich zum erstes Konzert
Glück gezwungen, immer auf eine ausgewogene Ernährung in Wien.
zu achten.
DER
50 GENIESSER
3. LEBEN
s .“
z e nlo
„Ic n
hb
ra u c i s t g re
h e ke
i n M o t i v, d i e F an tasie
Im Jahr 2003 sind sie von einer Gault Millau-Jury sogar In einem Interview sagten Sie einmal, Sie seien ein absoluter
zum „Feinschmecker des Jahres gewählt worden“. Warum, Optimist, Gemütsverstimmungen kennen Sie nicht. Seien Sie
glauben Sie, hat man gerade Sie ausgewählt? ehrlich – geht das überhaupt?
Meine internationale Gaumenerfahrung hat mich gelehrt, dass Doch, das stimmt. Meine Probleme trage ich tatsächlich nie in
es sowohl eine Ess- als auch eine Trink-Kultur gibt. Vielleicht die Öffentlichkeit und ich habe aufgehört, mich über Dinge
ist dies der Grund für meine Auszeichnung. zu ärgern, die ich sowieso nicht ändern kann. Verspätete Flüge
gehören dazu oder nicht mitgekommene Koffer. Notfalls spiele
ich das Konzert dann eben im normalen Straßenanzug.
Buchbinder hat
in seinem Leben
mehr als 200 Ton- Neben der Musik interessieren Sie sich außerdem für Malerei,
träger bespielt. malen selbst Aquarelle. Was sind Ihre Lieblingsmotive?
1976 gewann er Meine Malerei, beeinflusst und gefördert von meinen vielen
den Grand Prix du Malerfreunden wie Arik Brauer, Rudolf Hausner u.a., diente
Disque für die Auf- mir in erster Linie als Ausgleich und Entspannung – dazu
nahme sämtlicher brauchte ich nie ein Motiv, die Fantasie ist grenzenlos.
Klavierwerke Joseph
Haydns. Seit 2007
ist Buchbinder
Auch Literatur gehört zu Ihren Leidenschaften, Ihr Leben
zudem künstleri- scheint ganz und gar der Kultur und den Künsten gewidmet
scher Leiter des zu sein. Haben Sie eigentlich auch eher triviale, sagen wir,
neuen Musik-Festi- „Nicht-Akademiker-Hobbys“ – zum Beispiel Fußball-Schauen,
vals Grafenegg auf Kegeln oder Comics sammeln?
Schloss Grafenegg Ich versäume, wenn es die Zeit zulässt, kein wichtiges Sport-
(Niederösterreich). ereignis – sei es nun die Fußball WM , Tennis oder auch jede
Art von Wintersport. Nur Baseball, Cricket und Golf finde ich
weniger spannend. Außerdem liebe ich es, mit meiner Frau und
Familie zu plaudern, mit ihnen Gesellschaftsspiele zu spielen.
Welchen Beruf hätten Sie ergriffen, wären Sie nicht Pianist
und Dirigent geworden?
Ohne Musik wäre ich wohl nie wirklich glücklich geworden.
Selbst wenn ich als pensionierter Bankdirektor auf die Welt
gekommen wäre, hätte mir dieses Leben ohne Klänge keine
Freude bereitet.
Te r m i n e
Rudolf Buchbinder spielt als Capell-Virtuos der Sächsischen Staatskapelle
Dresden zu folgenden Terminen: 19. September und 28. November,
Semperoper: Rezitale mit Beethovens Klavier-Sonaten; 17./18./19. Oktober,
Semperoper: Beethoven, Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58; Schumann,
Klavierkonzert a-Moll op. 54, Dirigent: Daniel Harding
Weitere Informationen unter www.buchbinder.net.
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