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Ideen haben
„Nuba“, sage ich. „Genau“, sagt er. „Nuba.“
Gibt man nicht schon von vornherein zu erkennen, zu welcher Kategorie ein Roman
gerechnet werden soll, kann es zu keiner Einlösung von Erwartungshaltungen
kommen. Überraschen können wird man erst recht nicht. Es suchen zwar alle ständig
nach Überraschungen, aber nur nach solchen, von denen bereits bekannt ist, dass es
sich um welche handelt. Niemand sucht nach Überraschungen von Unbekannten in
unbekannten Verlagen in einem Buch wie „Südbalkon”, von dem man auf dem
Cover nur erfährt, dass es ein „Roman” ist sowie auf der Cover-Rückseite, dass „das
Leben kein Südbalkon ist” und dass „dieser Autorin wirklich was einfällt”, auch
wenn dieses Zitat aus der Süddeutschen Zeitung stammt.
Worum es in diesem Roman geht, kann man einem weiteren Zitat auf der CoverRückseite entnehmen: „Man sieht es einem Gebäude nicht an, wenn darin
ausführlich gelitten wird.” Nur geht es in „Südbalkon” weder darum, dass
ausführlich gelitten wird noch um einen anderen auf einen einzigen Satz
reduzierbaren Inhalt.
Isabella Straub ist mit ihrem ersten Roman „Südbalkon” das Risiko eingegangen,
ohne Krimihandlung, ohne eine sich über mehrere Generationen erstreckende
Familiengeschichte, ohne bedeutende historische Persönlichkeiten oder Ereignisse
und ohne Mystery- und Fantasy-Elemente auszukommen. Sie hat einen
Unterhaltungsroman geschrieben, der kein Unterhaltungsroman ist, sie hat einen
Schelmenroman aus ihm gemacht, der kein Schelmenroman sein kann – die Streiche
spielt nicht die Hauptperson ihres Romans, die Streiche werden ihr gespielt. Und sie
hat genauso keinen Beziehungsroman/kein Beziehungsdrama verfasst, wie es ihr in
einer Besprechung ihres Romans zugeschrieben wird – es geht bei ihr allenfalls um
wechselnde Arrangements, mit denen alle in Beziehung zueinander stehen –, sie hat
einen Debütroman veröffentlicht, der bei mehreren gesamtdeutschsprachigen
Debütromanpreisen zu den besten Romandebüts des Jahres 2013 gezählt wurde.
„Südbalkon” ist ein Roman zur Arbeitswelt, der sich als kein Roman zur Arbeitswelt,
sondern als Roman zur Nichtarbeitswelt herausstellt, in dem es um prekäre Arbeitsund Lebensbedingungen geht, die von Wiedereingliederungsversuchen in den
Arbeitsprozess reichen, ohne dass es vorher zu einer Eingliederung in den
Arbeitsprozess gekommen wäre, bis zur Chance, die alle haben, eine „Geschäftsidee”
zu entwickeln, mit der man Erfolg hat, und die letztlich heißt, mit einem Produkt
hausieren gehen zu sollen, das niemand braucht und für das sich niemand
interessiert. Früher oder später verkauft jeder das antistatische Hightechputztuch
„Nuba“.
Die in den Texten von Isabella Straub auftretenden Hauptpersonen sind keine
Außenseiter, es sind die mitten im Leben stehenden Außenstehenden. Menschen, die
wissen, worauf es ankommt: auf den ersten Eindruck, den ersten Satz, wie
bekanntlich auch bei jedem Roman, oder auf wenigstens den besten Aussichtspunkt,
um sich, wie beim Beobachten der Kranken bei ihren Spaziergängen im Garten eines
Krankenhauses, wenigstens noch irgendwem überlegen fühlen zu können. Man soll
sich von den grotesken Situationen in den Texten Isabella Straubs nicht täuschen
lassen, sie zeigen eine erbarmungslose Realität, in der denen, die zu ihren Opfern
werden, auch noch ihre Unfähigkeit zum Erkennen des für sie Richtigen vorgehalten
wird: „Sie weiß halt nicht, was gut ist, normal ist das nicht, denkt Hans.”
„Dieser Autorin fällt wirklich was ein”, so simpel die Feststellung auf der Rückseite
ihres Romans „Südbalkon” klingt, so sehr füllt sie Isabella Straub mit Ideen aus,
„Südbalkon” ist erst fertig erzählt und zu keinen weiteren Überraschungen mehr gut,
wenn der Roman aus ist, so wie die Lesebeispiele in dieser Ausgabe, bei denen erst
ganz zuletzt sicher ist, dass nichts mehr passieren kann, aber auch nur, weil der
jeweilige Text zu Ende ist und nicht schon alles passiert sein könnte.
Isabella Straub muss sich keine Sorgen um den bei Roman- und Filmstoffen so
berüchtigten „Ideendiebstahl” machen, nicht, weil sie zu viele Ideen dazu hat,
sondern weil man schon beim Lesen ihrer Exposés weiß, dass nur sie dazu imstande
sein kann, diese Ideen auch auszuführen.
Anfang dieses Jahres gingen zwei Nachrichten durch die Medien: die erste Nachricht
handelte von einer Untersuchung, mit welcher Wortwahl und welchem
Sprachgebrauch Bücher in die Dimension der gern- und vielgelesenen Bücher
vorstoßen, also zu Bestsellern werden können.

1)

Außer der häufigeren Verwendung

von bestimmten einzelnen Wörtern wurde ein verstärkter substantivierender
Sprachgebrauch empfohlen. Häufige Wortwiederholungen oder das allerdings in
seiner eigenen Liga spielende österreichische „Amtsdeutsch” mit
„Außerachtlassungen”, „Inobhutnahmen” und „Bestreifungen” müssten demnach
Erfolgsgaranten sein. Die zweite Meldung betraf den deutlich erkennbaren
Niederschlag der wirtschaftlichen Krise in der Literatur, inklusive der mit ihr
einhergehenden pessimistischen Grundstimmung.

2)

Wie wenig man sich um solche

und andere empirische Erfahrungen und Empfehlungen kümmern muss und sich
trotzdem erfolg- und folgenreich aktueller Themen annehmen und eigenwilliger
Konstruktionen bedienen kann, ist die große Stärke von Isabella Straub. In ihren
Texten spielt die Wirklichkeit nach ihren eigenen Regeln, genauso sprachlich wie
inhaltlich.
Biographisch erfährt man von ihr und über sie als Autorin nicht sehr viel (man muss
nach ihr als Werberin, Tourismus-PR-Fachfrau und Gesundheitsmarketingtexterin
suchen), aber das Entscheidende, wie sie ihr Schreiben begründet und versteht, als
Zugehörige zur Toast-Hawai-Generation, die mittels der lebensverlängernden, aber
falsch geschriebenen „Endsüme” in den Ananas in einem Erlebnisaufsatz, die laut
ihrer Lehrerin richtig „Entsüme” heißen müssten, und die von ihr sagt: „Brav, aber
spricht nicht”, etwas, wozu ihr Onkel befindet: Wer weiß, wozu das noch gut ist.” –
„Im Weihnachtsspiel war ich ein Engel, und weil ich nicht sprechen wollte, hielt ich
selbstgemalte Schilder mit meinem Text hoch. Das war gehörlosenfreundlich, aber
lehrerinnenunfreundlich. Ich musste einen weiteren Phantasie-Aufsatz schreiben.
Und dann noch einen. Und noch einen. Im Prinzip hat das bis heute nicht aufgehört.
Wer weiß, wozu das noch gut ist.” Es war zu mehr als nur „wozu” gut, es hat zu
zahlreichen, jedes Mal von neuem überraschenden Texten der Autorin, die sie heute
ist, geführt. Und übrigens, Isabella Straub spricht. Auch über ihre persönlichen
Interessen, aber nur, weil sie letztlich doch nicht jedes Handeln ihrer Heldin Ruth
Amsel in ihrem Romanerstling oder ihren andern handelnden Personen in ihren
anderen Texten überlassen kann: „Ich selbst interessiere mich besonders für TransitRäume, Nicht-Orte, Zwischen-Orte wie Warteräume, Musterhäuser oder
Musterwohnungen in Möbelhäusern. Diese Musterwohnungen tun so, als wären sie
richtige Wohnungen – sind es aber nicht. Sie sind Fake-Orte. Und Ruth hält sich gern
an solchen ’Als-ob-Orten’ auf.”
Mittlerweile entsteht ein zweiter Roman von Isabella Straub, der über den Wechsel
vom Einen ins Andere erzählt, von der Transformation, vom Transit, von
Zwischenstationen, der bei ihr die Befürchtung auslöst, man könnte die einzelnen
Passagen nur durch die Erklärung des Gesamtzusammenhangs in einem Exposé
verstehen. Dieses Exposé ist für die Positionierung ihres nächsten Romans sicher
wichtig, auch wenn sie und ihr Verlag sich kein zweites Mal der Leserschaft und der
medialen Öffentlichkeit vorstellen müssen, für den Leser spielen die weiteren
Zusammenhänge erst dann eine Rolle, wenn der Text seine Fortsetzung findet, die
jeweiligen Passagen sind auch auf sich allein gestellt aussagekräftig genug.
Man kann einer Autorin, die ihre Romane mit einer Sexszene oder mit einem ersten
Satz beginnt, der heißt: „Vom ersten Satz hängt alles ab”, natürlich ein Heischen um
Aufmerksamkeit vorwerfen, bei Isabella Straub dienen sie zur Etablierung der
Themen, Konstellationen und Entwicklungen von Anfang an: ihre EingangsSexszene beendet der Liebhaber mit der Feststellung „fertig” und der erste Satz vom
ersten Satz und seiner Bedeutung ist nur der erste Hinweis auf das
Unausgesprochene, um das es in weiterer Folge in zahlreichen Varianten geht, wie
u.a. auch in dieser Variante, dass es ganz und gar lächerliche Sätze gibt wie den, dass
man nicht hier, sondern längst woanders sein sollte und dass das alles ein
Missverständnis ist, sodass man letztlich nur dastehen und den Mund halten kann.
Vor lauter Ironie merkt man den Geschichten von Isabella Straub und den
Geschichten in ihren Geschichten nicht die Tragödien an, in die sie ihre Personen
steckt. Ihre Verlierer verlieren nicht, sie sind nur nicht von denselben Verhältnissen
in Mitleidenschaft gezogen, von denen alle anderen in Mitleidenschaft gezogen
werden, sie verweigern ihr Unglück und tauschen ihre Mittelknappheit gegen
Zeitgewinne aus ihren unfreiwilligen Auszeiten aus. Sie erleiden keine Niederlagen,
es gibt nur nicht sehr viel für sie zu gewinnen.
Man ist erstaunt, wenn man von ihren permanenten zermürbenden Zweifeln „an
jedem Wort, an jedem Satz” hört, die sie beim Schreiben ihrer fast immer leichtfüßig
wirkenden Texte hat, und man merkt den meisten Beschreibungen ihrer Texte die
Schwierigkeit an, nicht genau sagen zu können, wie ihre Texte zu verstehen sind –
geistreich, wäre eine Möglichkeit. Oder wie es die Autorin selbst über ihr
Arbeitsverständnis im Umgang mit egal welcher Textsorte sagt: „Ein guter Text
unterhält. Immer.”
Gerhard Ruiss
Wien, 10.2.2014
_______________
1)

u.a. in: „Der Standard”, „Forschung spezial”, Adrian Lobe: „Ein Algorithmus für

Bestseller”, 15.1.2014
2)

u.a. in http://science.orf.at/stories/1731400/, Robert Czepel: „Literatur: Düsternis

in Krisenzeiten”, 9.1.2014

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"Ideen haben": Essay von Gerhard Ruiss über "Südbalkon" von Isabella Straub.

  • 1. Ideen haben „Nuba“, sage ich. „Genau“, sagt er. „Nuba.“ Gibt man nicht schon von vornherein zu erkennen, zu welcher Kategorie ein Roman gerechnet werden soll, kann es zu keiner Einlösung von Erwartungshaltungen kommen. Überraschen können wird man erst recht nicht. Es suchen zwar alle ständig nach Überraschungen, aber nur nach solchen, von denen bereits bekannt ist, dass es sich um welche handelt. Niemand sucht nach Überraschungen von Unbekannten in unbekannten Verlagen in einem Buch wie „Südbalkon”, von dem man auf dem Cover nur erfährt, dass es ein „Roman” ist sowie auf der Cover-Rückseite, dass „das Leben kein Südbalkon ist” und dass „dieser Autorin wirklich was einfällt”, auch wenn dieses Zitat aus der Süddeutschen Zeitung stammt. Worum es in diesem Roman geht, kann man einem weiteren Zitat auf der CoverRückseite entnehmen: „Man sieht es einem Gebäude nicht an, wenn darin ausführlich gelitten wird.” Nur geht es in „Südbalkon” weder darum, dass ausführlich gelitten wird noch um einen anderen auf einen einzigen Satz reduzierbaren Inhalt. Isabella Straub ist mit ihrem ersten Roman „Südbalkon” das Risiko eingegangen, ohne Krimihandlung, ohne eine sich über mehrere Generationen erstreckende Familiengeschichte, ohne bedeutende historische Persönlichkeiten oder Ereignisse und ohne Mystery- und Fantasy-Elemente auszukommen. Sie hat einen Unterhaltungsroman geschrieben, der kein Unterhaltungsroman ist, sie hat einen Schelmenroman aus ihm gemacht, der kein Schelmenroman sein kann – die Streiche spielt nicht die Hauptperson ihres Romans, die Streiche werden ihr gespielt. Und sie hat genauso keinen Beziehungsroman/kein Beziehungsdrama verfasst, wie es ihr in einer Besprechung ihres Romans zugeschrieben wird – es geht bei ihr allenfalls um wechselnde Arrangements, mit denen alle in Beziehung zueinander stehen –, sie hat einen Debütroman veröffentlicht, der bei mehreren gesamtdeutschsprachigen Debütromanpreisen zu den besten Romandebüts des Jahres 2013 gezählt wurde.
  • 2. „Südbalkon” ist ein Roman zur Arbeitswelt, der sich als kein Roman zur Arbeitswelt, sondern als Roman zur Nichtarbeitswelt herausstellt, in dem es um prekäre Arbeitsund Lebensbedingungen geht, die von Wiedereingliederungsversuchen in den Arbeitsprozess reichen, ohne dass es vorher zu einer Eingliederung in den Arbeitsprozess gekommen wäre, bis zur Chance, die alle haben, eine „Geschäftsidee” zu entwickeln, mit der man Erfolg hat, und die letztlich heißt, mit einem Produkt hausieren gehen zu sollen, das niemand braucht und für das sich niemand interessiert. Früher oder später verkauft jeder das antistatische Hightechputztuch „Nuba“. Die in den Texten von Isabella Straub auftretenden Hauptpersonen sind keine Außenseiter, es sind die mitten im Leben stehenden Außenstehenden. Menschen, die wissen, worauf es ankommt: auf den ersten Eindruck, den ersten Satz, wie bekanntlich auch bei jedem Roman, oder auf wenigstens den besten Aussichtspunkt, um sich, wie beim Beobachten der Kranken bei ihren Spaziergängen im Garten eines Krankenhauses, wenigstens noch irgendwem überlegen fühlen zu können. Man soll sich von den grotesken Situationen in den Texten Isabella Straubs nicht täuschen lassen, sie zeigen eine erbarmungslose Realität, in der denen, die zu ihren Opfern werden, auch noch ihre Unfähigkeit zum Erkennen des für sie Richtigen vorgehalten wird: „Sie weiß halt nicht, was gut ist, normal ist das nicht, denkt Hans.” „Dieser Autorin fällt wirklich was ein”, so simpel die Feststellung auf der Rückseite ihres Romans „Südbalkon” klingt, so sehr füllt sie Isabella Straub mit Ideen aus, „Südbalkon” ist erst fertig erzählt und zu keinen weiteren Überraschungen mehr gut, wenn der Roman aus ist, so wie die Lesebeispiele in dieser Ausgabe, bei denen erst ganz zuletzt sicher ist, dass nichts mehr passieren kann, aber auch nur, weil der jeweilige Text zu Ende ist und nicht schon alles passiert sein könnte. Isabella Straub muss sich keine Sorgen um den bei Roman- und Filmstoffen so berüchtigten „Ideendiebstahl” machen, nicht, weil sie zu viele Ideen dazu hat, sondern weil man schon beim Lesen ihrer Exposés weiß, dass nur sie dazu imstande sein kann, diese Ideen auch auszuführen.
  • 3. Anfang dieses Jahres gingen zwei Nachrichten durch die Medien: die erste Nachricht handelte von einer Untersuchung, mit welcher Wortwahl und welchem Sprachgebrauch Bücher in die Dimension der gern- und vielgelesenen Bücher vorstoßen, also zu Bestsellern werden können. 1) Außer der häufigeren Verwendung von bestimmten einzelnen Wörtern wurde ein verstärkter substantivierender Sprachgebrauch empfohlen. Häufige Wortwiederholungen oder das allerdings in seiner eigenen Liga spielende österreichische „Amtsdeutsch” mit „Außerachtlassungen”, „Inobhutnahmen” und „Bestreifungen” müssten demnach Erfolgsgaranten sein. Die zweite Meldung betraf den deutlich erkennbaren Niederschlag der wirtschaftlichen Krise in der Literatur, inklusive der mit ihr einhergehenden pessimistischen Grundstimmung. 2) Wie wenig man sich um solche und andere empirische Erfahrungen und Empfehlungen kümmern muss und sich trotzdem erfolg- und folgenreich aktueller Themen annehmen und eigenwilliger Konstruktionen bedienen kann, ist die große Stärke von Isabella Straub. In ihren Texten spielt die Wirklichkeit nach ihren eigenen Regeln, genauso sprachlich wie inhaltlich. Biographisch erfährt man von ihr und über sie als Autorin nicht sehr viel (man muss nach ihr als Werberin, Tourismus-PR-Fachfrau und Gesundheitsmarketingtexterin suchen), aber das Entscheidende, wie sie ihr Schreiben begründet und versteht, als Zugehörige zur Toast-Hawai-Generation, die mittels der lebensverlängernden, aber falsch geschriebenen „Endsüme” in den Ananas in einem Erlebnisaufsatz, die laut ihrer Lehrerin richtig „Entsüme” heißen müssten, und die von ihr sagt: „Brav, aber spricht nicht”, etwas, wozu ihr Onkel befindet: Wer weiß, wozu das noch gut ist.” – „Im Weihnachtsspiel war ich ein Engel, und weil ich nicht sprechen wollte, hielt ich selbstgemalte Schilder mit meinem Text hoch. Das war gehörlosenfreundlich, aber lehrerinnenunfreundlich. Ich musste einen weiteren Phantasie-Aufsatz schreiben. Und dann noch einen. Und noch einen. Im Prinzip hat das bis heute nicht aufgehört. Wer weiß, wozu das noch gut ist.” Es war zu mehr als nur „wozu” gut, es hat zu zahlreichen, jedes Mal von neuem überraschenden Texten der Autorin, die sie heute ist, geführt. Und übrigens, Isabella Straub spricht. Auch über ihre persönlichen
  • 4. Interessen, aber nur, weil sie letztlich doch nicht jedes Handeln ihrer Heldin Ruth Amsel in ihrem Romanerstling oder ihren andern handelnden Personen in ihren anderen Texten überlassen kann: „Ich selbst interessiere mich besonders für TransitRäume, Nicht-Orte, Zwischen-Orte wie Warteräume, Musterhäuser oder Musterwohnungen in Möbelhäusern. Diese Musterwohnungen tun so, als wären sie richtige Wohnungen – sind es aber nicht. Sie sind Fake-Orte. Und Ruth hält sich gern an solchen ’Als-ob-Orten’ auf.” Mittlerweile entsteht ein zweiter Roman von Isabella Straub, der über den Wechsel vom Einen ins Andere erzählt, von der Transformation, vom Transit, von Zwischenstationen, der bei ihr die Befürchtung auslöst, man könnte die einzelnen Passagen nur durch die Erklärung des Gesamtzusammenhangs in einem Exposé verstehen. Dieses Exposé ist für die Positionierung ihres nächsten Romans sicher wichtig, auch wenn sie und ihr Verlag sich kein zweites Mal der Leserschaft und der medialen Öffentlichkeit vorstellen müssen, für den Leser spielen die weiteren Zusammenhänge erst dann eine Rolle, wenn der Text seine Fortsetzung findet, die jeweiligen Passagen sind auch auf sich allein gestellt aussagekräftig genug. Man kann einer Autorin, die ihre Romane mit einer Sexszene oder mit einem ersten Satz beginnt, der heißt: „Vom ersten Satz hängt alles ab”, natürlich ein Heischen um Aufmerksamkeit vorwerfen, bei Isabella Straub dienen sie zur Etablierung der Themen, Konstellationen und Entwicklungen von Anfang an: ihre EingangsSexszene beendet der Liebhaber mit der Feststellung „fertig” und der erste Satz vom ersten Satz und seiner Bedeutung ist nur der erste Hinweis auf das Unausgesprochene, um das es in weiterer Folge in zahlreichen Varianten geht, wie u.a. auch in dieser Variante, dass es ganz und gar lächerliche Sätze gibt wie den, dass man nicht hier, sondern längst woanders sein sollte und dass das alles ein Missverständnis ist, sodass man letztlich nur dastehen und den Mund halten kann. Vor lauter Ironie merkt man den Geschichten von Isabella Straub und den Geschichten in ihren Geschichten nicht die Tragödien an, in die sie ihre Personen steckt. Ihre Verlierer verlieren nicht, sie sind nur nicht von denselben Verhältnissen
  • 5. in Mitleidenschaft gezogen, von denen alle anderen in Mitleidenschaft gezogen werden, sie verweigern ihr Unglück und tauschen ihre Mittelknappheit gegen Zeitgewinne aus ihren unfreiwilligen Auszeiten aus. Sie erleiden keine Niederlagen, es gibt nur nicht sehr viel für sie zu gewinnen. Man ist erstaunt, wenn man von ihren permanenten zermürbenden Zweifeln „an jedem Wort, an jedem Satz” hört, die sie beim Schreiben ihrer fast immer leichtfüßig wirkenden Texte hat, und man merkt den meisten Beschreibungen ihrer Texte die Schwierigkeit an, nicht genau sagen zu können, wie ihre Texte zu verstehen sind – geistreich, wäre eine Möglichkeit. Oder wie es die Autorin selbst über ihr Arbeitsverständnis im Umgang mit egal welcher Textsorte sagt: „Ein guter Text unterhält. Immer.” Gerhard Ruiss Wien, 10.2.2014 _______________ 1) u.a. in: „Der Standard”, „Forschung spezial”, Adrian Lobe: „Ein Algorithmus für Bestseller”, 15.1.2014 2) u.a. in http://science.orf.at/stories/1731400/, Robert Czepel: „Literatur: Düsternis in Krisenzeiten”, 9.1.2014