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europalınks 
Beilage der Tageszeitung neues deutschland 
in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift LuXemburg 
Februar 2014 
Europa hat eine andere Zukunft 
Was ist uns Europa? Vor den Wah-len 
zum Europäischen Parlament im 
Mai und eine der schwersten Kri-sen 
vor Augen suchen die Linken auf 
dem Kontinent nach Antworten. 
Europa ist mehr als die EU, mehr 
als ihre von neoliberalen Paradig-men 
getränkten Institutionen, 
mehr als der Euro, sagen die einen 
– und verweisen auf die großen 
Ideale der Integration, auf die 
Chancen linker Veränderung. 
Europa ist das, was uns in Ge-stalt 
undemokratisch-autoritärer 
Apparate, als Motor der Militari-sierung 
und Verwertungslogik, was 
uns als deutsches Machtprojekt ge-genübertritt, 
sagen die anderen – 
und betonen die Dauerhaftigkeit der 
ökonomischen und politischen Ver-hältnisse, 
die dem zugrunde liegen. 
Was ist uns Europa? So wichtig 
ein – mit Gramsci gesprochen – 
mitreißender Optimismus des Wil-lens 
europäischer linker Politik und 
Praxis ist, so notwendig ist ange-sichts 
der Krise Europas ein Pessi-mismus 
des Verstandes. Das Un-behagen 
gegenüber Brüssel, Stras-bourg, 
gegenüber einer von der 
deutschen Regierung orchestrier-ten 
Krisenpolitik; die Wut ob der 
sozialen und politischen Folgen, die 
Hoffnungslosigkeit, die angesichts 
der schieren Unbeweglichkeit eu-ropäischer 
Verhältnisse und der 
momentanen Schwäche der euro-päischen 
Linken aufkommen kann 
– all das beruht auf der realen Er-fahrung 
von Millionen. Und es lässt 
sich nicht allein mit wohlfeilen Ap-pellen 
an eine bessere europäische 
Idee überwinden. 
Was ist unser Europa?, ist die 
Frage der Stunde für eine euro-päische 
Linke, die sich ihrer 
Schwierigkeiten und Fehler be-wusst 
ist, die nach neuen Wegen 
und besseren Antworten sucht – 
und dabei nicht vergisst, dass es am 
Ende die Menschen selbst sein wer-den, 
die über ihre Geschicke ent-scheiden 
wollen. 
Ein anderes Europa ist möglich. 
Und es ist nötig. Die seit 2008 gras-sierende 
Krise macht den Charak-ter 
der gegenwärtig herrschenden 
politischen, ökonomischen und 
konstitutionellen Grundlagen der 
EU für alle sichtbar. Die Linken sind 
aufgerufen, Europa eine andere 
Zukunft vorzuschlagen. 
Die hier vorliegende Sammlung, 
die Beiträge aus Griechenland, 
Spanien, Frankreich, Kroatien, Ös-terreich, 
Italien, Deutschland und 
anderen Ländern zusammen-bringt, 
soll dazu einen Beitrag leis-ten. 
Tom Strohschneider 
Daniel Albarracín 
Nacho Álvarez 
Fabio Amato 
Walter Baier 
Mario Candeias 
Stipe Ćurković 
Giorgos Galanis 
Thomas Händel 
Michel Husson 
Pierre Laurent 
Francisco Louçã 
Bibiana Medialdea 
Sandro Mezzadra 
Mariana Mortagua 
Toni Negri 
Lukas Oberndorfer 
Özlem Onaran 
Bernd Riexinger 
Anne Steckner 
Armando F. Steinko 
Alexis Tsipras 
Stavros Tombazos
2 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg 
Inhalt 
Mario Candeias, Lukas Oberndorfer, Anne Steckner 
Neugründung Europas? 
Strategische Orientierungen 3 
Pierre Laurent 
Ein geschichtlicher Moment. 
Die Linke und Europa 6 
Alexis Tsipras 
Move Forward. 
Die Veränderung hat begonnen 8 
Daniel Albarracín, Nacho Álvarez, Bibiana Medialdea, 
Francisco Louçã, Mariana Mortagua, Michel Husson, 
Stavros Tombazos, Giorgos Galanis, Özlem Onaran 
Schulden und Euro: Was tun? Ein Manifest 10 
Armando Fernández Steinko 
Ein mediterraner Block? 
Südeuropa sucht einen Ausweg 12 
Fabio Amato 
Liste Tsipras. 
Um die Zersplitterung zu überwinden 15 
Stipe Ćurković 
Ein lebendiges Netzwerk: 
Europa und die Neue Linke in Kroatien 17 
Walter Baier 
Drei Aufgaben. 
Zeit der Monster und der Mutigen 18 
Thomas Händel 
Soziales Europa? 
Zukunft in die eigenen Hände nehmen 19 
Sandro Mezzadra, Toni Negri 
Kampffeld Europa: 
Den neoliberalen Zauber brechen 21 
Bernd Riexinger 
Eine Vision: 
Einstieg in ein anderes Europa 23 
Eine andere EU? Mit links? Diese in Kooperation von »neues 
deutschland« und »LuXemburg«, der Zeitschrift der Rosa-Luxem-burg- 
Stiftung entstandene Beilage kann nur einen Ausschnitt aus 
der Debatte über die Krise Europas und Alternativen dokumen-tieren. 
»nd« und »LuXemburg« setzen die Diskussion im Internet un-ter 
anderem mit Beiträgen von Sahra Wagenknecht, Joachim Bi-schoff 
und Heinz Bierbaum fort. Eine Sammlung an Texten zur lin-ken 
Europadebatte und zum Wahlprogramm der Linkspartei, un-ter 
anderem vom Schriftsteller Raul Zelik, findet sich unter 
dasND.de/europalinks. Weitere Texte gibt es unter www.zeitschrift-luxemburg. 
de. Die Zeitschrift »LuXemburg« gibt es übrigens ab Heft 
1/2014 kostenfrei. 
Herausgeber Verlag Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH 
Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin 
www.neues-deutschland.de, (030) 2978-1111 
Redaktion Mario Candeias, Barbara Fried, Rainer Rilling 
Gestaltung Michael Pickardt 
Illustrationen Raúl Soria 
Anzeigen Friedrun Hardt 
V.i.S.d.P. Tom Strohschneider 
Druck Druckhaus Schöneweide GmbH, Ballinstr. 15, Berlin 
GESELLSCHAFTSANALYSE UND LINKE PRAXIS
europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 3 
Neugründung Europas? 
Strategische Orientierungen 
Von Mario Candeias, Lukas Oberndorfer, Anne Steckner 
Europa ist mehr als die Europäische Uni-on 
und die EU mehr als ihre neoliberale 
und zunehmend undemokratisch-autori-täre 
Gestalt. Doch ist letztere die gegen-wärtig 
existierende. Simple Bekenntnisse 
zu Europa oder gar »mehr Europa« ver-fehlen 
den zu Recht skeptischen Alltags-verstand. 
Immer wieder wurde die euro-päische 
Ebene als Hebel genutzt, um So-zial- 
und Arbeitsrechte auszuhöhlen so-wie 
Kapital- und Marktlogik zu stärken – 
und zwar nicht erst seit der Krise 2008, 
sondern spätestens mit dem Mitte der 
1980er Jahre einsetzenden Projekt des 
europäischen Binnenmarktes. 
Hieraus die Rückbesinnung auf die 
Verteidigung nationaler Errun-genschaften 
abzuleiten ist 
ebenso kurzschlüssig. 
Zentrale Richtungsent-scheidungen 
fallen 
nach wie vor im eu-ropäischen 
Rat, also 
durch nationale Re-gierungen, 
aber jen-seits 
nationaler Par-lamente. 
Die Prekari-sierung 
der Arbeit ist 
durch europäische Ent-scheidungen 
erleichtert 
worden. Angetrieben wurde sie 
über nationale Parlamente: die 
Workfare-Programme in Großbritannien 
ebenso wie die Agenda 2010 in Deutsch-land. 
Die Privatisierung kommunaler 
Stadtwerke ist von der EU gewünscht, be-trieben 
wurde sie schon zuvor durch 
klamme Kommunen, die sich dadurch 
schnelle Einnahmen und Effizienzge-winne 
versprachen. Dienstleistungen 
müssen laut EU-Recht europaweit aus-geschrieben 
werden, doch niemand hatte 
die Kommunen gezwungen darauf zu 
verzichten, diese Dienste selbst anzubie-ten. 
Gerade die Bundesregierung nützt 
das europäische Krisenmanagement, um 
die Interessen der deutschen und trans-nationalen 
Export- und Finanzindustrie 
durchzusetzen: Neoliberale Politik wird in 
der ganzen EU verallgemeinert und durch 
Recht auf Dauer gestellt. 
Von rechts bedient die AfD im Chor mit 
anderen rechtspopulistischen Parteien in 
der EU den Traum von der Rückkehr zur 
nationalen Währung. Indem sie zur Kri-senbewältigung 
»imaginäre Gemein-schaften 
« (Benedict Anderson) be-schwört 
– ›wir Deutschen‹ ohne Klassen 
oder andere gesellschaftliche Gegensätze 
– bedient sie die Sehnsucht nach einem 
überschaubaren und beeinflussbaren 
Währungs- und Wirtschaftsraum. Sie malt 
das Bild einer »imaginären Ökonomie« 
von Volkswirtschaften, die es längst nicht 
mehr gibt. Transnationalisierte Produk-tionsnetze 
und liberalisierte globale Fi-nanzmärkte 
bestimmen das Bild. 
Im Ensemble von Institutionen und 
Abkommen der EU sind lokale, regiona-le, 
nationale, supranationale und inter-nationale 
Ebenen zu einem komplexen 
Geflecht verwoben. Zwar hat dieser Um-stand 
keineswegs zur Überwindung der 
Nationalstaaten geführt. Vielmehr spie-len 
nationale Wettbewerbsstaaten eine 
entscheidende Rolle im Prozess der 
Transnationalisierung. Doch übersieht 
bspw. die Forderung nach einem gere-gelten 
Euro-Austritt eben diese transna-tionale 
Qualität: Wie soll auf nationaler 
Ebene die Reregulierung internationaler 
Finanzmärkte erfolgen? Wie soll das Aus-spielen 
von Standorten in transnationa-len 
Produktionsnetzen verhindert wer-den? 
Wie soll angesichts globaler Märkte 
eine national ausgerichtete keynesiani-sche 
Strategie greifen? Sie würde in kür-zester 
Zeit mit der Transnationalisierung 
von Kapitalströmen und Machtstruk-turen 
kollidieren. National-staatlich 
beschränkte Politik 
wird nicht einmal zur Ver-teidigung 
sozialer Er-rungenschaften 
aus-reichen. 
Und auch für 
Griechenland unter 
einer möglichen 
Linksregierung gilt: 
Sozialismus in einem 
Land war schon in we-niger 
transnationali-sierten 
Zeiten ein gera-dezu 
unmögliches Unter-fangen. 
Es gibt keine Möglich-keit 
des Exodus. 
Dabei ist nicht jeder Euroskeptiker 
gleich Nationalist. Es gibt ein wachsen-des 
Unbehagen gegenüber der EU, auch 
innerhalb linker Parteien, das nicht dumpf 
nationalistisch, sondern erfahrungsge-sättigt 
ist. Dem kann mit der Predigt ei-nes 
hilflosen Internationalismus nicht be-gegnet 
werden. Schließlich war in den 
letzten Jahrzehnten fast jeder Schritt zur 
europäischen Integration ein Mittel zur 
Durchsetzung neoliberaler Politiken. Die 
EU gleicht immer mehr einem wirt-schaftsnahen 
Lobbyverein, der ange-sichts 
eines schwachen Europäischen 
Parlaments kaum der politischen Kont-rolle 
oder der Beeinflussung durch zivil-gesellschaftliche 
Auseinandersetzungen 
unterliegt. Die parteiförmige Linke be-wegt 
sich also in einem strategischen Di-lemma, 
welches im Europa-Wahlpro-gramm 
der LINKEN auf den Punkt ge-bracht 
wird: »Für DIE LINKE stellt sich 
keine Entscheidung für oder gegen das ei-ne 
oder andere – wir führen die Kämpfe 
dort, wo sie stattfinden, in der EU, in 
Deutschland, weltweit. Nicht, indem wir 
uns zurückziehen auf den Nationalstaat, 
in der Hoffnung, dass sich Löhne und So-zialstandards 
leichter verteidigen lassen. 
Nicht, indem wir uns Illusionen machen 
über die neoliberale Europäische Union.« 
Autoritärer Konstitutionalismus 
Neben den Troika-Auflagen für »Hilfs-kredite 
«, die auch gegen Grund- und 
Menschenrechte (z.B. das Recht auf Ta-rifautonomie) 
verstoßen, steht eine New 
Economic Governance mit diversen Aus-teritäts- 
und Wettbewerbspeitschen im 
Zentrum des europäischen Krisenma-nagements. 
Hierbei werden demokrati-sche 
Prinzipien und geltendes Rechts, 
wenn nötig, umgangen oder gebrochen. 
Das geschieht über den Umweg zwi-schenstaatlicher 
Abkommen (wie z.B. im 
Fall des Fiskalpaktes) oder über die eu-roparechtswidrige 
Einpressung von Se-kundärecht 
in die geltenden Verträge 
(wie im Fall der New Economic Gover-nance). 
Hierbei werden die Exekutivap-parate 
mit umfassenden Beschluss- und 
Sanktionskompetenzen ausgestattet, 
während die parlamentarischen Arenen 
geschwächt werden – sowohl auf natio-naler 
wie auf europäischer Ebene. Dieser 
autoritäre Konstitutionalismus zählt we-der 
auf Recht noch auf Zustimmung. Sein 
Zwangscharakter tritt nicht nur in Süd-europa 
offen zutage. 
Das heißt: Selbst die im europäischen 
Recht verdichteten Handlungsräume 
werden nun zu eng für die Radikalisie-rung 
des neoliberalen Projekts. Nachdem 
die Regeln für eine strikte Austeritätspo-litik 
europaweit auf Dauer gestellt und 
damit einer demokratischen Infragestel-lung 
entzogen wurden, geht es nun um 
eine Europäisierung der im südeuropäi-schen 
Laboratorium erprobten Struktur-reformen. 
In den »Verträgen für Wettbe-werbsfähigkeit 
« sollen sich die Mitglied-staaten 
gegenüber der Europäischen 
Kommission zur Deregulierung ihrer Ar-beitsmärkte, 
zur Reform ihrer Pensions-systeme 
und zur Senkung ihrer Löhne 
verpflichten (vgl. Thomas Händel, Seite 
19). Die geplanten wie die beschlossenen 
Instrumente der Krisenpolitik gehen noch 
wesentlich weiter als das mögliche Frei-handelsabkommen 
mit den USA. Die 
Kommission erklärt ganz offen, dass die 
angedachten Verträge auf die Überwin-dung 
politischer Widerstände zielen. Die 
zentrale Konfliktachse im autoritären 
Konstitutionalismus lautet daher nicht 
Europa vs. Nationalstaat, sondern euro-päisches 
Staatsapparate-Ensemble vs. 
(repräsentative) Demokratie. 
Strukturelle Selektivität der EU 
Jeder Versuch einer linken Reform muss 
sich außerdem mit der strukturellen Se-lektivität 
der EU-Institutionen auseinan-dersetzen. 
DIE LINKE etwa fordert daher 
zu Recht einen »Neustart mit einer Revi-sion 
jener primärrechtlichen Grundele-mente 
der EU, die militaristisch, unde-mokratisch 
und neoliberal sind«, wie es 
noch im Entwurf des Leitantrages hieß. 
Entsprechende Vertragsänderungen sind 
aber schwierig. Das in Artikel 48 des Ver-trages 
über die Europäische Union fest-geschriebene 
Prozedere sieht die Zu-stimmung 
jedes Nationalstaates vor. 
Durch diese zentrale Rolle im Vertrags-änderungsverfahren 
können sich Inte-ressen 
im Wesentlichen nur als nationale 
Interessen und nur durch ihre Exekuti-ven 
hindurch artikulieren. Französische 
ArbeiterInnen sitzen so im selben Boot mit 
französischen Großbauern und Konzer-nen 
anstatt nach gemeinsamen Interes-sen 
mit deutschen oder österreichischen 
Lohnabhängigen zu suchen. Dieser nati- 
Es gibt 
ein Unbehagen 
gegenüber der EU, 
das nicht dumpf 
nationalistisch, 
sondern erfahrungs-gesättigt 
ist. 
Anne Steckner, Sozialwissen-schaftlerin 
und in der politischen 
Bildung tätig. 
Foto: Mauricio Bustamante 
Lukas Oberndorfer, Wissenschaft-ler 
in Wien und aktiv im Arbeits-kreis 
kritische Europaforschung der 
AkG. 
Foto: Harri Mannsberger 
Mario Candeias ist Direktor des 
Instituts für Gesellschaftsforschung 
der Rosa-Luxemburg-Stiftung 
Foto: privat
4 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg 
Neugründung Europas? 
Strategische Orientierungen 
Von Mario Candeias, 
Lukas Oberndorfer, Anne Steckner 
onalstaatliche Flaschenhals führt zu ei-ner 
Horizontalisierung der Konfliktach-sen: 
›Die Deutschen/Österreicher/Belgi-er‹ 
müssen vermeintlich für ›die Grie-chen/ 
Portugiesen/Irländer‹ die Zeche 
zahlen. Klassenwidersprüche, Ge-schlechterhierarchien 
und andere Macht-verhältnisse 
werden unsichtbar, die Ver-ursacher 
der Krise bleiben ungenannt. 
Zudem ist die komplexe Rechtslage ein 
Feld für ausgewiesene ExpertInnen mit 
Spezialkenntnissen: Nur wer sich im ju-ristischen 
Dschungel der EU zu bewegen 
weiß, kann Vorschläge einbringen, die ins 
bisherige Vertragsgefüge passen. Das 
führt nicht nur zu einer Verrechtlichung 
und Bürokratisierung der Debatte. Es 
stärkt auch die Exekutiven und schließt 
die Bevölkerungen von realer Beteili-gung 
aus. Darüber hinaus kann das Veto 
jedes Mitgliedslandes (bzw. seines Staats-und 
Regierungschefs) dafür sorgen, dass 
auch nur die kleinste Infragestellung der 
autoritär-neoliberalen Integration zu-nichte 
gemacht wird. Ohne den Konsens 
aller Mitgliedsstaaten keine wesentliche 
Vertragsänderung. Auf diese Weise kann 
sich die Vetomacht einer einzigen Regie-rung 
gegen die große Mehrheit der Be-völkerung 
in Europa wenden. Auf dieser 
Grundlage lässt sich eine Neugründung 
Europas von unten nicht einmal in An-sätzen 
erringen. Was bedeutet das für 
strategische Orientierungen der Linken? 
Kritik des autoritären Krisenmanage-ments 
und Solidarität 
Die klare Ablehnung des Krisenmanage-ments 
war medial durchaus erfolgreich 
und wurde an der Wählerbasis von Par-teien 
links der Sozialdemokratie durch-aus 
positiv aufgenommen. Es gelang, die 
Ursachen der Krise mit einer Perspektive 
der Solidarität mit den Krisenopfern zu 
verbinden, statt sich durch nationalisti-sche 
Deutungen spalten zu lassen. 
Sinnvoll bleibt auch, auf nationalem 
Terrain Möglichkeiten gegen neoliberale 
und autoritäre Maßnahmen auf europäi-scher 
Ebene zu nutzen, etwa mit Klagen 
vor dem Bundesverfassungsgericht. Auch 
vor europäischen Gerichten, insbeson-dere 
dem Europäischen Gerichtshof für 
Menschenrechte, lassen sich innerhalb 
des bestehenden Rechts soziale und de-mokratische 
Rechte verteidigen, z.B. mit 
Klagen gegen die Economic Governance, 
den Fiskalpakt, das grund- und kompe-tenzrechtlich 
nicht gedeckte Vorgehen 
der EU-Organe im Rahmen der Troika 
oder gegen das Agieren von Frontex. All 
diese möglichen Schritte sind wichtiger 
Teil einer linken Gegenstrategie und er-reichen 
ein beachtliches Medienecho. 
Verknüpfung von Krise, Alltag und 
Kommune 
Trotz kleiner (kommunikativer) Erfolge 
zeigt sich, dass das Thema Eurokrise oft 
schwer vermittelbar ist. Linke Strategien 
sollten weniger von der großen Krise als 
vom Lebensalltag der Menschen ausge-hend 
entwickelt werden: Wie hängen Kri-se 
und Alltag miteinander zusammen? 
Was haben meine Probleme mit den For-derungen 
vieler Menschen in den Kri-senländern 
zu tun? Wie lässt sich daraus 
eine gemeinsame, solidarische Perspek-tive 
entwickeln? Für die am stärksten von 
der Krise betroffen Länder in Europa ist 
ein Schuldenaudit eine unverzichtbare 
Forderung, um sich von der erdrücken-den 
Schuldenlast zu befreien. Solch ein 
Audit zielt darauf ab, die Unrechtmäßig-keit 
der Schulden herauszustellen, in-dem 
gefragt wird: Muss der Schulden-dienst 
an jene, eben noch vom Staat ge-retteten 
Finanzinstitutionen überhaupt 
geleistet werden? Sind diese Schulden 
nicht zu großen Teilen illegitim, also un-rechtmäßig? 
Welche Schulden soll-ten 
zurückgezahlt werden – und 
vor allem: welche nicht? 
Darüber wäre in demo-kratischen 
Konsultati-ons- 
und Entschei-dungsprozessen 
zu 
beraten. 
In Deutschland lie-ße 
sich die Schulden-problematik 
mit For-derungen 
verknüpfen, 
die der Situation hier-zulande 
Ebene so einzusetzen, 
dass europäische Ver-hältnisse 
entsprechen. Ein 
Es geht 
darum, Möglich-keiten 
auf nationaler 
wichtiges Thema wäre die 
Schuldenbremse. Sie bedroht 
die ohnehin schon recht prekäre Fi-nanzlage 
in Bewe-gung 
geraten. 
der Kommunen ganz unmittel-bar. 
Die Einschränkung von öffentlichen 
Leistungen bekommt die Bevölkerung di-rekt 
zu spüren. Zahlreiche Auseinander-setzungen 
um die soziale Infrastruktur, 
von der Ausstattung der Schulen über 
ausreichende Kindergartenplätze, öf-fentlichen 
Nahverkehr, die Rekommu-nalisierung 
von Wasserwerken und Ener-gieversorgern 
bis hin zu Kämpfen um be-zahlbaren 
Wohnraum, spielen sich auf 
kommunaler Ebene ab. Hier ist die Krise 
am deutlichsten zu spüren. Und es ste-hen 
zahlreiche Kommunalwahlen an. 
Ein Beispiel für eine europaweit ver-bindende 
Perspektive unterschiedlicher 
Kämpfe um soziale Grundbedürfnisse 
wäre die Arbeit an einer Forderung für ei-ne 
entgeltfreie soziale Infrastruktur für 
alle, eine bedingungslose sozial-ökologi-sche 
Grundversorgung in den Bereichen 
Energie, Wasser, Mobilität, Internet etc., 
sowie kostenlose Gesundheit und Bil-dung. 
Europäische Bewegungen und trans-nationale 
Widerstände 
Die Eröffnung des neuen EZB-Hochhau-ses 
im Jahr 2014 und die Neuauflage der 
Blockypy-Proteste in Frankfurt können als 
Verdichtungspunkt transnationaler Or-ganisierung 
eine wichtige symbolische 
Bedeutung entfalten. Wichtiger noch als 
das Ereignis selbst dient die Mobilisie-rung 
dem europaweiten Austausch über 
gemeinsame Strategien und Aktionen. 
Dabei konnte die Orientierung auf na-tionale 
und europäische Schuldenaudits 
von unten bislang nicht die gewünschte 
Dynamik entfalten. So wichtig dies ist, 
so sehr drehen sich die Leidenschaften 
der Vielen auch bei den Bewegungen 
eher um alltagsnahe Kämpfe im prekä-ren 
Leben: Gesundheit, Ausbildung, Er-nährung 
und Wohnen – ob in Istanbul 
oder Berlin, Detroit oder Madrid. In Spa-nien 
sind die darin involvierten Organi-sationen 
ein institutionell-strategisches 
Rückgrat der gesamten Mobilisierung 
und können sogar erste substanzielle Er-folge 
vorweisen. Auch bei uns gehören 
Mobilisierungen gegen Zwangsräumun-gen 
oder Initiativen wie Kotti&Co und für 
ein Recht auf Stadt zu den Hoffnungs-zeichen 
einer ansonsten wenig bewegli-chen 
bundesdeutschen Protestgesell-schaft. 
Doch wie können die lokalen 
Kämpfe transnational ver-knüpft 
werden? Mit ge-meinsamen 
Aktionstagen 
ist ein Anfang gemacht. 
Blockupy kann dafür 
genutzt werden, lo-kale 
und transnatio-nale 
Perspektiven 
zusammenzubringen. 
Eine Europäische 
Bürgerinitiative (EBI) 
gegen Zwangsräumung 
und Vertreibung und für 
bezahlbares Wohnen wäre 
möglicherweise eine unterstüt-zende 
Initiative, die den Alltags-kämpfen 
einen europäischen Resonanz-raum 
geben könnte. Der Forderung nach 
Kommunalisierung von leerstehenden 
Wohnungen und nach demokratisch ver-waltetem, 
sozial-ökologischem Wohn-raum 
müssten klare Finanzierungsquel-len, 
wie die Trockenlegung von Steuer-oasen 
und eine europaweite Harmoni-sierung 
der Unternehmenssteuern, ge-genübergestellt 
werden. 
Auch wenn die Kommission sich vor-erst 
für unzuständig erklären könnte, wä-re 
darüber die Asymmetrie zwischen 
wirtschaftlicher und sozialer Integration 
thematisierbar. Die erste EBI gegen die 
Privatisierung der Wasserversorgung war 
erfolgreich und erzwang, dass sich die 
Kommission mit den Forderungen zu-mindest 
auseinandersetzen musste: Sie 
klammerte daraufhin Wasser und sani-täre 
Grundversorgung von der geplanten 
europäischen Konzessionsrichtline aus. 
Der EBI voraus gingen z.B. das Volksbe-gehren 
gegen die Privatisierung kom-munaler 
Dienstleistungen in Italien 
(2007) und der Volksentscheid zur Re-kommunalisierung 
der Wasserbetriebe in 
Berlin (2011). So könnte auch eine EBI 
gegen Zwangsräumungen und Vertrei-bung 
mit anderen Initiativen auf kom-munaler 
und nationaler Ebene verknüpft 
werden. 
Sofern eine solche Initiative nicht mit 
der Bewegung an sich verwechselt wird, 
sondern diese begleitet und mit ihr ver-bunden 
ist, kann sie ein mobilisierendes 
Moment sein. Zurzeit planen die Ge-werkschaften 
des DGB mit europäischen 
Schwesterorganisationen eine EBI zur
europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 5 
Realisierung eines »Marschall-Plans für 
Europa«. Wäre dieser Prozess begleitet 
von einer Debatte innerhalb des EGB, mit 
den jeweiligen Gewerkschaften bis hin zu 
den betreffenden Regionen in den Kri-senländern, 
die den Plan mit konkreten 
Ideen für seine Umsetzung vor Ort er-gänzen, 
könnte dies eine sinnvolle Kam-pagne 
werden. Andernfalls bliebe es ein 
isolierter Versuch, Einzelforderungen 
durchzusetzen. 
Im Unterschied dazu betreiben die Be-wegungen 
gegen Zwangsräumung in 
Spanien – wie die Plattform der von den 
Hypotheken Betroffenen (PAH) – ihre 
Organisierung als Arbeit an der breiten 
Neuformierung der Linken für eine wei-tergehende 
gesamtgesellschaftliche Ver-änderung. 
Jeder konkrete Einzelerfolg ist 
zwar individuell bedeutsam, verpufft je-doch, 
wenn er nicht zugleich die Hand-lungsfähigkeit 
der Vielen und die Orga-nisationsmacht 
der Bewegung stärkt. 
Vorschläge für eine programmatische 
Reform der EU 
Die vielen nach vorne gerichteten Vor-schläge 
linker Parteien zur Bearbeitung 
der Eurokrise und zur sozialen Gestal-tung 
Europas könnten noch deutlicher als 
Elemente eines solidarischen Prozesses 
der Neukonstitution Europas vertreten 
werden: erstens durch kurzfristige Kri-senintervention 
soziale und finanzielle 
Not von den Menschen abwenden – zu-lasten 
derjenigen, die die Krise verur-sacht 
und mit ihr noch Profite gemacht 
haben; zweitens einen alternativen wirt-schaftlichen 
Entwicklungspfad in Europa 
möglich machen, der soziale und ökolo-gische 
Gerechtigkeit in den Mittelpunkt 
stellt; und drittens eine langfristige Visi-on 
für die Zukunft der europäischen Ei-nigung 
zur Diskussion stellen. 
Zugleich deuten sich in der gegen-wärtigen 
EU-Politik Veränderungen 
herrschender Politik an, die gewisse De-battenräume 
öffnen. Diese Verschie-bungen 
können genutzt werden, um lin-ken 
Vorschlägen mehr Gehör zu ver-schaffen: 
Wie könnte eine kooperative 
europäische Wirtschaftskoordination 
aussehen, was wären Elemente einer so-zial- 
ökologischen Industriepolitik in Eu-ropa, 
wie wären solidarische Perspekti-ven 
europäischer Arbeitsteilung zu ent-wickeln? 
Vor falschen Hoffnungen sollte man je-doch 
auf der Hut sein: Linke Reformen in-nerhalb 
des autoritären Konstitutionalis-mus 
der EU sind aufgrund der genannten 
Selektivitäten kaum durchsetzbar. Viel-mehr 
droht mit sinnvoll erscheinenden 
Reformen die Vertiefung neoliberaler Po-litik: 
So wird Industriepolitik im Sinne der 
Kommission auf verbesserte Wettbe-werbsbedingungen 
und Zugang zu Märk-ten 
reduziert. Ansätze einer europäi-schen 
Arbeitslosenversicherung zur kon-junkturellen 
Abfederung von Krisen soll 
in einzelnen Mitgliedsstaaten an eine 
weitere Flexibilisierung von Arbeits-märkten 
gekoppelt werden. 
Strategien eines demokratisierenden 
Bruchs 
Es ist fraglich, wie lange die gegenwär-tige 
Regierung in Griechenland noch 
hält. Für die Herrschenden in Europa ist 
dies ein Fanal, sie fürchten den Präze-denzfall: 
Gelänge es dem Bündnis der ra-dikalen 
Linken, Syriza, dem drakoni-schen 
Kürzungs- und Wettbewerbsdiktat 
wirksamen Widerstand entgegenzuset-zen, 
droht ein politischer Dominoeffekt. 
In Griechenland haben sich breite Be-wegungen 
organisiert, wodurch die Lin-ke 
bei den Wahlen reüssiert. Die For-mulierung 
eines klaren Antagonismus 
führte das Bündnis nicht in die Isolation. 
Vielmehr scheint es zu gelingen, die in 
den Bewegungen und größeren Teilen 
der Bevölkerung geäußerten Leiden-schaften 
und Forderungen aufzuneh-men 
und zu verdichten: Gegen die au-toritär- 
neoliberale EU und die Macht des 
Finanzkapitals, aber für Europa. Auf in-telligente 
Weise umgeht Syriza die Di-lemmata, 
in denen sich die Linke in Eu-ropa 
sonst häufig verfängt. 
Es geht also darum, Möglichkeiten auf 
nationaler Ebene so einzusetzen, dass 
europäische Verhältnisse in Bewegung 
geraten. Die demokratische Neugrün-dung 
Europas wäre das Ziel. Möglicher-weise 
wird diese Perspektive aber erst 
durch ein Ereignis geöffnet, gar hervor-gebracht, 
das in nur einem Land einen ef-fektiven 
Bruch erzeugt: etwa durch eine 
griechische Linksregierung, die die Kür-zungspolitiken 
der Troika zurückweist, 
Neuverhandlungen und einen Schul-denschnitt 
erzwingt, Kapitalverkehrs-kontrollen 
einführt, Steuerreformen 
umsetzt und mit einem sozial-ökologi-schen 
Umbau des Wirtschaftens beginnt. 
Das politische Risiko, gegen Europa-recht 
zu verstoßen, ist einzugehen. An-dere 
werden folgen. So könnten die in ei-nem 
oder mehreren Ländern begonne-nen 
Reformschritte innerhalb Europas 
ausgedehnt werden. Doch stellt sich die-se 
Perspektive bislang realistisch nur in 
Griechenland. Und die Herrschenden tun 
alles, um eine solche Position zu isolie-ren. 
Und doch ist die Unzufriedenheit mit 
der Politik und den Institutionen der EU 
so groß, dass Brüche mit den geltenden 
Regeln, quasi ein staatlicher ziviler Un-gehorsam 
aus Notwehr, durchaus auf 
Zustimmung treffen könnte. 
Verfassungsgebende Prozesse und 
Neugründung Europas 
Das Grundsatzprogramm der LINKEN 
formuliert einen anspruchsvollen Aus-gangspunkt: 
»Wir setzen uns […] weiter 
für eine Verfassung ein, die von den Bür-gerinnen 
und Bürgern mitgestaltet wird 
und über die sie zeitgleich in allem EU-Mitgliedsstaaten 
in einem Referendum 
abstimmen können. Wir wollen nicht we-niger 
als einen grundlegenden Politik-wechsel. 
« 
Angesichts der hochgradig vermacht-eten 
EU-Institutionen müssen linke Par-teien 
in Europa scheitern, wenn sie nicht 
darauf hinarbeiten, die Anordnung der 
Strukturen selbst zu verändern und das 
Terrain des Kampfes zu verschieben: Oh-ne 
grundlegende Infragestellung und 
Schaffung neuer Institutionen bliebe auch 
eine linke Regierung in Spanien oder 
Griechenland chancenlos. Die Asymmet-rien 
der Macht in Europa sind ungeheu-er. 
So wäre die alleinige Konzentration 
aufs Parlament innerhalb des europäi-schen 
Ensembles von Staatsapparaten ei-ne 
Selbstbeschränkung auf ein nahezu 
hoffnungslos vermachtetes Terrain. Es 
gälte daher, einen Terrainwechsel zu 
vollziehen und demokratische Gegen-institutionen 
aufzubauen. Ein partizipa-tiver, 
lokal und überregional verknüpfter 
verfassungsgebender Prozess der Bera-tung 
und Organisierung in Räte-Struk-turen 
– von den Vierteln bis zur europäi-schen 
Ebene – hätte die enorme Aufgabe 
zu bewältigen, vielfältige Positionen der 
gesellschaftlichen Linken zu einer ge-meinsamen 
Alternative zu verdichten. 
Zahlreiche gesellschaftliche Kräfte in 
Südeuropa und darüber hinaus diskutie-ren 
in diese Richtung. Am Ende stünde ei-ne 
verfassungsgebende Versammlung für 
Europa, die zumindest durch allgemeine 
und gleiche Wahlen zusammengesetzt 
sein müsste – eine Strategie, die schon zu 
Beginn des 20. Jahrhunderts das Ein-dringen 
der Massen in die Politik er-möglicht 
hat. 
Ein solcher Prozess wäre ein wichti-ger 
Verdichtungspunkt einer bereits be-gonnenen 
Dynamik für ein anderes Eu-ropa. 
Er kann begonnen werden ohne ein 
Mandat der gegebenen Institutionen. So 
ließe sich die Mobilisierung gegen die 
Hauptquartiere der Macht und gegen das 
europäische Ensemble von Staatsappa-raten 
mit ihrer notwendigen Umgestal-tung 
verbinden: nicht weiter mit diesem 
Herrschaftsprojekt EU! Es gälte, die 
durch die EU-Institutionen erzwungene 
horizontale Konfliktachse zwischen na-tionalen 
Interessen in eine vertikale Ach-se 
zwischen den subalternen Gruppen 
und Klassen in der EU einerseits und den 
herrschenden Machtgruppen und domi-nanten 
Kapitalfraktionen andererseits zu 
drehen. Ein solcher Prozess könnte – an-ders 
als richtige, aber nicht durchsetz-bare 
Einzelforderungen – eine größere 
Wirkung entfalten, weil es ums Ganze 
geht und alle Menschen sich potenziell 
beteiligen können: Welches Europa wol-len 
wir? Wie wollen wir darin leben? Zu-gleich 
unterbricht er die katastrophale 
Kürzungsmaschine, klagt Zeit ein und 
nimmt sie sich – für eine wirkliche Neu-gründung 
Europas. 
Zuvor braucht es jedoch auch auf eu-ropäischer 
Ebene einen effektiven Bruch. 
Dieser ist unmittelbar auf transnationa-ler 
Ebene nicht zu erwarten. Ohne den 
Sturz der neoliberalen Regierungen droht 
das Potenzial eines verfassungsgebenden 
Prozesses zu verpuffen. Bruch und Neu-gründung 
sind keine Gegensätze, sie ver-weisen 
aufeinander. 
Neugründung Europas? 
Strategische Orientierungen 
Von Mario Candeias, 
Lukas Oberndorfer, Anne Steckner
6 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg 
Ein geschichtlicher Moment. 
Die Linke und Europa 
Von Pierre Laurent 
Wir erleben in Europa einen historischen 
Moment. Die EU befindet sich in einer 
existenziellen Krise, alle Grundlagen der 
europäischen Integration, alle EU-Ver-träge 
sind in Frage gestellt. Ich werde die 
schreckliche Krise, die unser Kontinent 
durchlebt nicht erneut beschreiben. Wir 
alle kennen ihre Auswirkungen. Statt-dessen 
will ich mich darauf konzentrie-ren, 
Europa eine andere Zukunft vorzu-schlagen. 
Die europäischen Regierungen, Skla-ven 
ihren Dogmen, haben keine Vision für 
Europa. Sie sind dabei, die Idee eines Eu-ropas 
der Kooperation und der Solidarität 
zu beerdigen. Der Autoritarismus raubt 
den Menschen und Parlamenten immer 
mehr Einfluss. In den Ländern, die dem 
Diktat der Troika unterworfen sind, haben 
drakonische Maßnahmen, die der Bevöl-kerung 
wie Strafen aufgezwungenen wer-den, 
das europäische Modell und seine Re-präsentanten 
in Misskredit gebracht. In 
trüben Wassern fischend versucht die ext-reme 
Rechte diese Skepsis für sich zu nut-zen. 
Die Gefahren sind ernst: Es geht um 
die Durchsetzung einer immer autoritärer 
werdenden Europäischen Union, um die 
Rückkehr eines »Einzelkämpfertums« im 
Dschungel der Globalisierung, ja sogar um 
die Rückkehr von Kriegen, von National-chauvinismen 
und Rassismus. 
In dieser Situation werden Stimmen 
lauter, die für den Rückzug des einen oder 
anderen Landes aus der Euro-Zone plä-dieren, 
was früher oder später zu deren 
Auflösung führen würde. Die Debatte 
durchzieht auch die Linke. Es ist ver-ständlich, 
dass einige solche Schritte in 
Betracht ziehen – aus Verzweiflung und 
weil das Kürzungsdiktat die einzige Pers-pektive 
zu sein scheint. Dennoch handelt 
es sich aus unserer Sicht um einen fal-schen, 
sogar gefährlichen Weg. In der er-barmungslosen 
Welt, in der wir leben, 
würden die Subalternen in verschärfte 
Konkurrenz zueinander gesetzt, müssten 
einen gnadenlosen Wirtschaftskrieg aus-tragen. 
Die großen Unternehmensgrup-pen 
und die hegemonialen Staaten wä-ren 
die einzigen Gewinner eines solchen 
»Einzelkämpfertums«. Um Solidarität und 
Kooperation zu fördern, die uns so dra-matisch 
fehlt, wäre eine radikal andere 
Europäische Union nötig: ein auf völlig 
anderen Grundlagen neu gegründetes 
Europa. 
Die Situation in Osteuropa ist beson-ders 
besorgniserregend. Die Einwohner- 
Innen dieser Länder laufen Gefahr, zu 
Geiseln der Konfrontation zwischen den 
Mächten – EU gegen Russland – zu wer-den; 
zu Geiseln der Konfrontation natio-naler 
Oligarchien um die Kontrolle über 
Ressourcen und Märkte. 
Die Eckpunkte der Neugründung sind 
folgende: 
– ein Ende der Austeritätspolitik und ei-ne 
Umkehr zu sozialer, ökologischer 
und solidarischer Entwicklung, zu öf-fentlichen 
Dienstleistungen. 
– die Übermacht der Finanzmärkte muss 
zerschlagen werden, indem Schulden 
neuverhandelt und ihr illegitimer Teil 
erlassen wird, und indem die Rolle der 
EZB so neu bestimmt wird, dass sie da-zu 
beiträgt eine soziale Entwicklung zu 
finanzieren. 
– wir müssen die Durchsetzung von so-zialen 
Rechten und Menschenrechten 
in ganz Europa voran bringen – sie 
müssen nach und nach an den jeweils 
höchsten Stand angeglichen werden. 
– wir müssen gerechte Handelsbezie-hungen 
unter den europäischen Staa-ten 
und mit dem Rest der Welt auf-bauen 
- zunächst gilt es das Projekt ei-nes 
Transatlantischen Freihan-delsabkommens 
zu stop-pen. 
– ein friedliches Europa 
muss die NATO ver-lassen, 
Abrüstung 
betreiben und an 
politischen, nicht-militärischen 
Lö-sungen 
von Kon-flikten 
arbeiten. 
– Zu guter Letzt geht 
es darum, die Demo-kratie 
befindet sich in 
einer existenziellen 
Krise, alle Grundlagen 
der Integration sind 
(wieder)herzu-stellen: 
die Bevölkerung 
Die EU 
infrage gestellt. 
muss das letzte Wort über 
strukturelle Entscheidungen in der EU 
haben, ihre Souveränität und die heu-te 
lächerlich gemachten Parlamente 
müssen wieder respektiert werden. 
Wir alle sind dieses Europa, das mit allen 
Mitteln nach menschlicher Emanzipation 
sucht. 
Wie können wir auf diesem Weg voran 
kommen? 
Die Europäische Linke hat sich an vielen 
Bündnissen beteiligt, die für eine – wie 
wir es nennen – »soziale und politische 
Front in Europa« zentral sind. Sie hat ih-re 
Zusammenarbeit mit sozialen und ge-werkschaftlichen 
Bewegungen intensi-viert 
und eine Politik verfolgt, die darauf 
zielt, neue gesellschaftliche Kräfte und 
politische Akteure zu gewinnen. 
Wir wollen unsere Beziehungen mit ei-ner 
ganzen Reihe von linken Kräften in 
Europa intensivieren. Ich denke an den 
Balkan, die nordischen Ländern, Groß-britannien, 
die Länder im Osten. Wir 
schlagen vor, unsere Statuten so zu än-dern, 
dass andere Parteien »Partner«-Or-ganisationen 
der Europäischen Linken 
werden können. Auf diese Weise wollen 
wir die Zusammenarbeit verbessern und 
unsere Strahlkraft vergrößern. 
Wir haben an einer Annäherung mit 
dem Sao Paulo-Forum, den Organisatio-nen 
der lateinamerikanischen Linken und 
der mediterranen Linken gearbeitet. All 
das ist von großer Bedeutung. Wir wol-len, 
dass dieser Austausch in praktisches 
Handeln mündet, für eine konkrete 
Transformation Europas, der Welt und 
des Lebens der Menschen. 
Ein Symbol der Hoffnung 
Die Europäische Linke ist nicht mehr nur 
ein Ort des politischen Austauschs. Sie ist 
eine Partei der konkreten Zusammenar-beit, 
der Aktion – eine Partei der Verän-derung. 
Wir schlagen vor, dass die Europäi-sche 
Linke Kampagnen durchführt, die es 
ermöglichen, kämpferisch und bürger-schaftlich 
neue gemeinsame Ziele zu ver-folgen. 
Darum ging es bei der Europäi-schen 
Bürgerinitiative, die wir ins Leben 
gerufen haben, um eine öffentliche eu-ropäische 
Bank oder einen Fonds für so-ziale 
und ökologische Entwicklung zu 
gründen. 
In diesem Sinne wollen wir im Jahr 
2014 eine große Kampagne gegen 
das Transatlantische Freihan-delsabkommen 
starten, zu-sammen 
mit Bewegun-gen 
und NGOs. Das 
Freihandelsabkommen 
ist für die Europäe-rInnen 
ebenso ge-fährlich 
wie für die 
Menschen im Rest der 
Welt. Seine Inhalte 
müssen offengelegt 
werden. Wir können die 
Unterzeichnung des Ab-kommens 
verhindern – un-sere 
lateinamerikanischen 
Freunde haben es uns mit dem ALCA-Ab-kommen 
vorgemacht. Nichts ist ent-schieden. 
Außerdem wollen wir im März einen 
Schuldengipfel in Brüssel organisieren. 
Diese Positionen müssen wir auch in den 
Europa-Wahlkampf tragen. Schulden sind 
zu einer ideologischen Waffe geworden, 
um eine Politik sozialer Ungleichheit und 
das Kürzungsdiktat zu legitimieren. Wir 
wollen die Austerität stoppen, eine Bele-bung 
der Wirtschaft anders finanzieren 
und den Reichtum wieder gerechter ver-teilen. 
Schließlich möchte ich betonen, dass 
wir 2014 – dem hundertsten Jahrestag des 
Ersten Weltkriegs – Friedensinitiativen 
starten. Ich denke besonders an Veran-staltungen, 
die Anfang des Jahres in Ver-dun 
und später in Sarajewo stattfinden 
werden. 
Wir setzten uns für ein stärkeres poli-tisches 
Zusammenwachsen ein. Die EL 
schlägt vor, jedes Jahr ein »Europäisches 
Forum der Alternativen« zu veranstalten 
– als neuen, offenen Raum für alle Orga-nisationen 
und gesellschaftlichen Kräfte, 
die an einer Zusammenarbeit mit uns in-teressiert 
sind. Das erste Forum könnte 
im Herbst 2014 stattfinden, in einer neu-en, 
aus den Wahlen hervorgegangenen 
politischen Landschaft. 
Selbstverständlich sind alle unsere po-litischen 
Anstrengungen bis Mai 2014 auf 
die Vorbereitung der europäischen Wah-len 
gerichtet. Wir sehen auch die Gefahr 
der radikalen Rechten. Die Vorsitzende 
der Front National, Marine Le Pen, ist ge-rade 
durch die europäischen Hauptstäd-te 
gereist, um die Gründung einer rechts-extremen 
Fraktion im Parlament vorzu-bereiten. 
Sie werden versuchen, auf der 
Welle einer Europa-Ablehnung zu reiten. 
Pierre Laurent ist Vorsitzender 
der Europäischen Linken. 
Dies ist die gekürzte Fassung seiner 
Eröffnungsrede zum Kongress 
der Europäischen Linken, Madrid, 
15. Dezember 2013 
Foto: dpa/Maxppp/Hugues Leglise Bataille 
Übersetzung: Raul Zelik
europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 7 
Die Sozialdemokraten werden sich be-mühen, 
als Bollwerk gegen diese Gefahr 
zu erscheinen. In einer gemeinsamen, am 
23. Oktober in Berlin veröffentlichten Er-klärung 
verkünden die deutsche Sozial-demokratie 
und die französischen Sozia-listen 
von François Hollande: »Wir wollen 
neues Vertrauen in Europa schaffen, in-dem 
wir für den Wandel in Europa, für 
ein demokratischeres, sozialeres und 
nachhaltigeres Europa werben. Das ist es, 
was wir den Menschen als Vorschlag für 
die Europawahlen 2014 unterbreiten 
möchten.« In dieser Erklärung bekundet 
die französische Sozialistische Partei au-ßerdem 
ihre Unterstützung für Martin 
Schulz als Vorsitzenden der Europäischen 
Kommission. Aber welche Glaubwürdig-keit 
haben sie noch, wo doch die SPD jetzt 
Stakeholder einer Großen Koalition unter 
der Führung von Angela Merkel ist? Sie 
halten die Menschen zum Narren. 
Dazu bieten wir eine linke Alternative 
– ›wir‹ das sind all jene, die wie wir eine 
Stärkung der GUE-NGL, der Vereinten 
Europäischen Linken/Nordischen Grü-nen 
Linken anstreben. Die Europäische 
Linke hat sich entschlossen, für diese Auf-gabe 
einen Kandidaten für den Vorsitz der 
Europäischen Kommission zu nominie-ren: 
Alexis Tsipras. Diese Entscheidung 
gründet auf dem Wunsch, Europa zu ei-nigen 
und es auf einer demokratischen 
und fortschrittlichen Grundlage neu zu 
begründen. 
Für die Europäische Linkspartei ist die-se 
Kandidatur ein starkes Symbol der 
Hoffnung für Europa. Griechenland hat 
der Austeritätspolitik als Versuchskanin-chen 
gedient. Aber Griechenland hat Wi-derstand 
geleistet und leistet ihn immer 
noch. Syriza hat es verstanden, unter-schiedliche 
gesellschaftliche Kräfte gegen 
die barbarischen Memoranden, gegen den 
Autoritarismus und für eine Wiederbele-bung 
Griechenlands innerhalb eines so-lidarischen 
Europas zu vereinen. Die 
Stimme von Alexis Tsipras ist die Stimme 
der Hoffnung und des Widerstands ge-gen 
eine ultraliberale Politik und gegen 
die Drohung der radikalen Rechten. Die-se 
Kandidatur könnte zahlreiche Bürger 
und politische Organisationen zusam-menbringen.
8 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg 
Move Forward. 
Die Veränderung hat begonnen 
Von Alexis Tsipras 
Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. 
Europa ist an einem kritischen Scheide-weg 
angelangt, und es gibt zwei Rich-tungen, 
die es einschlagen kann: Entwe-der 
entscheiden wir uns für Stillstand 
oder wir bewegen uns vorwärts. Entwe-der 
wir finden uns mit dem neoliberalen 
Status quo ab und tun so, als könne die 
Krise mit derselben Politik gelöst wer-den, 
die sie hervorgerufen hat, oder wir 
machen uns mit der europäischen Linken 
daran, die Zukunft in unsere Hand zu 
nehmen. Denn der Neoliberalismus be-droht 
die Existenz der Menschen überall 
in Europa und damit ist auch die Demo-kratie 
in Gefahr, insbesondere durch das 
Erstarken der extremen Rechten. 
Diejenigen, die behaupten, dass die 
verabreichte »Medizin« zum Kurieren der 
Krise geführt hat, sind Heuchler. Denn der 
europäische Traum hat sich für Millionen 
von Menschen in einen Albtraum ver-wandelt. 
Umfrageergebnisse des Euro-barometers 
zeigen, dass wir es mit einer 
erheblichen Vertrauenskrise in der EU zu 
tun haben und dass die Popularität der 
ultrarechten Parteien wächst. 
Wir waren es, die europäische Linke, 
die noch vor der Etablierung der Euro-zone 
zu Recht vor den Schwächen, Män-geln 
und destabilisierenden Ungleichge-wichten 
dieses Projektes gewarnt haben. 
Aber die Eurozone existiert nun einmal. 
Wir haben eine Wirtschaftsunion und ei-ne 
gemeinsame Währung, und die un-mittelbaren 
Alternativen sind kei-nen 
Deut besser. Ein Aus-scheiden 
aus der Eurozone 
würde keinem Krisen-staat 
etwas nutzen. Im 
Gegenteil. Damit wür-den 
nur neue Proble-me 
entstehen wie ei-ne 
instabile Wäh-rung, 
ein möglicher 
Sturm auf die Banken, 
Inflation, Kapitalflucht 
und massenhafte Ab-wanderung. 
Schon des-halb 
sollte etwa Griechen-land 
nicht freiwillig die Euro-zone 
verlassen. Das Ausscheiden Grie-chenlands 
oder eines der anderen Kri-senländer 
wäre eine Katastrophe für ganz 
Europa. Denn sobald ein Land aus der 
Währungsunion austritt, werden die 
Märkte und die Spekulanten sofort da-rauf 
reagieren und fragen, wer der Nächs-te 
ist. Dies ist ein Prozess, der – einmal be-gonnen 
– nicht mehr zu stoppen ist. 
Unser Interesse als EuropäerInnen ist 
ein anderes: Wir wollen die Eurozone 
verändern. Und hier stellen sich drei Auf-gaben: 
Erstens müssen wir in Bezug auf 
Europa neue Ideen entwickeln, zweitens 
müssen wir dementsprechend eine ver-änderte 
Krisenpolitik betreiben und drit-tens 
müssen wir zwangsläufig die Insti-tutionen, 
ja die ganze Grundlage der EU 
verändern. Diesen politischen Kampf 
müssen wir an zwei Fronten führen: zum 
einen zu Hause, zum anderen in Brüssel, 
Frankfurt und Berlin. 
Denn das europäische Establishment 
hat die Schuldenkrise zum willkomme-nen 
Anlass genommen, die wirtschaftli-che 
und politische Nachkriegsordnung 
Europas in seinem Sinne umzugestalten. 
Aus diesem Grund lehnen sie auch unse-ren 
Vorschlag ab, eine europäische Schul-denkonferenz 
einzuberufen, die sich an 
der Londoner Konferenz zur Regelung der 
Auslandsschulden von 1953 orientieren 
soll und auf der eine endgültige und trag-fähige 
kollektive Lösung für das Problem 
erarbeitet werden könnte. 
In Europa kämpfen... 
Denken wir uns für einen Moment zu-rück 
in die Vergangenheit: Es ist der 27. 
Februar 1953. Die Bundesrepublik 
Deutschland ächzt unter ihrer Schulden-last 
und droht die übrigen europäischen 
Länder in einen Krisenstrudel mit hi-neinzuziehen. 
Die Gläubigerstaaten, da-runter 
Griechenland, machen sich ernst-hafte 
Sorgen um ihre eigene Zukunft. Erst 
in dieser Situation begreifen sie, was ab-gesehen 
von den Neoliberalen längst al-len 
klar war: Die Politik der »internen Ab-wertung 
« – gemeint ist eine Senkung der 
Lohnkosten – sorgt nicht dafür, dass die 
Schulden abbezahlt werden können. 
Ganz im Gegenteil. 
Auf einem Sondergipfel in London be-schließen 
21 Staaten, ihre Forderungen 
an die tatsächliche wirtschaftliche Leis-tungsfähigkeit 
der Schuldnerländer an-zupassen. 
Sie streichen 60 Prozent 
der deutschen Schulden, ge-währen 
dem Land ein fünf-jähriges 
Zahlungsmora-torium 
(von 1953 bis 
1958) und verlängern 
die Rückzahlungsfrist 
um 30 Jahre. Über-dies 
führen sie eine 
Art Nachhaltigkeits-klausel 
ein: Demnach 
muss Deutschland 
nicht mehr als ein 
Zwanzigstel seiner Ex-porteinnahmen 
für den 
Schuldendienst aufwenden. 
Diese Beschlüsse waren also das ge-naue 
Gegenteil des Versailler Vertrags 
von 1919 und bildeten die Grundlage für 
die erfolgreiche wirtschaftliche Ent-wicklung 
der Bundesrepublik nach dem 
Zweiten Weltkrieg. 
Nichts anderes fordert heute die »Ko-alition 
der Radikalen Linken« (SYRIZA). 
Wir sollten uns also daran machen, all die 
vielen Mini-Versailler-Verträge, die Bun-deskanzlerin 
Merkel und ihr Finanzmi-nister 
Schäuble den europäischen 
Schuldnerstaaten aufgeherrscht haben, 
wieder rückgängig zu machen. Lassen wir 
uns also von jenem großen Tag in der jün-geren 
Geschichte Europas inspirieren, an 
dem seine Führung so viel außerge-wöhnliche 
Weitsicht unter Beweis ge-stellt 
hat. Die verschiedenen Rettungs-programme 
für die südeuropäischen Län-der 
sind gescheitert. Sie haben ein Fass 
ohne Boden hinterlassen – die Zeche da-für 
müssen, wie meistens, die einfachen 
SteuerzahlerInnen zahlen. 
Nun bestehen die politischen Eliten in 
Europa – die sich freiwillig in die Geisel-haft 
von Frau Merkel begeben haben – 
aber darauf, diese Maßnahmen, die die 
Probleme in den südlichen Ländern nur 
verschlimmert haben, auf den gesamten 
Euroraum auszudehnen. Wir dagegen 
meinen, dass Europa einen »New Deal« 
benötigt, um das Problem der Arbeitslo-sigkeit 
in den Griff zu bekommen und um 
ausreichend Mittel für die Finanzierung 
der Zukunft unserer Länder zu generie-ren. 
Europa benötigt mehr Umverteilung 
und Solidarität, wenn es überleben will. 
Dies sind die Grundpfeiler des neuen 
Europas, für das wir uns engagieren und 
kämpfen. Es soll an die Stelle des heuti-gen 
Europas treten, das unter den Armen 
nur Angst und Schrecken verbreitet, wäh-rend 
es das Vermögen der Reichen an-wachsen 
lässt. In Griechenland hat das 
Memorandum eine für die Nachkriegs-zeit 
beispiellose humanitäre Krise nach 
sich gezogen. Sie stellt eine Schande für 
die europäische Zivilisation dar. Zwei 
Millionen GriechenInnen sind nicht mehr 
in der Lage, Grundbedürfnisse zu befrie-digen, 
es fehlt an Geld für ordentliche 
Mahlzeiten und zum Heizen. Vor kurzem 
ist in Thessaloniki ein Mädchen an einer 
Rauchvergiftung gestorben, weil ihre Fa-milie 
die Stromrechnung nicht bezahlen 
konnte und versucht hatte, die Wohnung 
mit Hilfe eines selbst installierten Holz-ofens 
zu beheizen. In Athen und anderen 
größeren Städten gehört es inzwischen 
zum Alltag, dass gut gekleidete Frauen 
und Männern in Mülltonnen nach Essen 
wühlen. Eine Währungsunion, die zu ei-ner 
Spaltung ihrer Mitgliedsstaaten und 
deren Gesellschaften führt, die für wach-sende 
Arbeitslosigkeit verantwortlich ist 
und für ein Mehr an Armut und sozialer 
Polarisierung steht, muss entweder um-gestaltet 
werden oder wird zusammen-brechen. 
Eine Umgestaltung bedeutet ei-nen 
grundsätzlichen Wandel. 
...und zu Hause 
Vergessen wir jedoch nicht die anderen 
Ursachen der griechischen Finanzkrise. 
So hat sich in Griechenland nach wie vor 
nichts an der Verschwendung öffentli-cher 
Gelder geändert. Nirgends in Euro-pa 
kommt etwa der Bau eines Kilometers 
Straße teurer wie hier. Ein weiteres Bei-spiel: 
Die Privatisierung der Autobahnen 
dient angeblich der »Vorfinanzierung« 
neuer Strecken – deren Bau ist aber auf 
Eis gelegt, gefüllt werden die Taschen der 
»Investoren«. 
Die wachsende Ungleichheit kann da-her 
nicht einfach als Nebeneffekt der Kri-se 
abgetan werden. Das griechische Steu-ersystem 
ist ein Ausdruck von Klientelis-mus, 
der die Eliten des Landes zusam-menschweißt. 
Dank zahlloser Ausnah-meklauseln 
ist das System löchrig wie ein 
Sieb, wobei die zahlreichen Ausnahme-regelungen 
und Vergünstigungen spezi-ell 
auf die Oligarchen zugeschnitten sind. 
Diejenigen, 
die behaupten, 
dass die verabreichte 
»Medizin« zum 
Kurieren der Krise 
geführt hat, sind 
Heuchler. 
Alexis Tsipras ist Spitzenkandidat 
der Europäischen Linken für die 
Wahlen zum Europäischen Parla-ment 
und damit zugleich für das 
Amt des Präsidenten der Europäi-schen 
Kommission. 
Foto: dpa/Manuel De Almeida 
Übersetzung: Britta Grell
europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 9 
Dieses Arrangement beruht seit dem 
Ende der Diktatur auf einem informellen 
Pakt zwischen Unternehmern und der 
doppelköpfigen Hydra des Zweipartei-ensystem, 
bestehend aus Nea Dimokratia 
und Pasok. Das ist einer der Gründe, wa-rum 
der griechische Staat bis heute nicht 
die so dringend benötigten Steuern von 
den Wohlhabenden eintreibt, sondern 
vorzugsweise die Löhne und Renten 
kürzt. 
Aber das politische Establishment – das 
übrigens die letzten Wahlen nur überlebt 
hat, weil es erfolgreich die Angst der 
Menschen vor einem Ausscheiden aus der 
Eurozone schüren konnte – verfügt noch 
über ein zweites Lebenselixier: die Kor-ruption. 
Die geheimen Absprachen zwi-schen 
den politischen und wirtschaftli-chen 
Eliten aufzubrechen, gehörte daher 
zu den Prioritäten einer von SYRIZA an-geführten 
popularen Regierung. Wir for-dern 
ein Schuldenmoratorium also auch, 
um in Griechenland einen grundlegen-den 
Wandel herbeizuführen. 
Der Wandel Europas ist übrigens weit 
mehr als eine längst fällige Forderung, es 
handelt sich vielmehr um eine existenzi-elle 
Frage. In Griechenland hat der Pro-zess 
des Wandels bereits begonnen. SY-RIZA 
ist nur noch einen Schritt von der 
Machtübernahme entfernt. Die gegen-wärtige 
griechische Regierung versucht 
der EU dadurch zu imponieren, dass sie 
die Rolle des »Musterzöglings« spielt. 
Aber auch das hat ihr nichts gebracht. 
Nehmen wir als Beispiel die Zusage, die 
griechische Schuldenlast zu mindern. Die 
Debatte darum wurde ein ganzes Jahr 
lang ausgesetzt, weil man die Bundes-tagswahlen 
in Deutschland abwarten 
wollte. Jetzt erklärt man uns, wir müss-ten 
uns noch bis zu den Europawahlen 
im Mai 2014 gedulden. Die Herrschen-den 
in Europa werden uns aber erst dann 
Gehör schenken, wenn wir einen politi-schen 
Wandel in Griechenland herbeige-führt 
haben und sich die Unzufriedenheit 
mit der Austeritätspolitik in den bevor-stehenden 
europäischen Wahlen in ent-sprechenden 
Stimmenzuwächsen für lin-ke 
Parteien niederschlägt. 
Hin zu einem anderen Europa 
Die anstehende Europawahl bietet eine 
Gelegenheit, einen wirklichen Dialog mit 
den Menschen in Europa zu beginnen – 
vor allem mit denjenigen, die den Ein-druck 
haben, dass sich niemand für ihr 
Schicksal interessiert. Wir zählen dabei 
auf jede Einzelne und jeden Einzelnen 
von euch. Wir setzen auf die Solidarität, 
um bei den ersten entscheidenden 
Schritten unserer Regierung nicht allein 
dazustehen. Denn unter einer von SY-RIZA 
geführten Regierung wird es in 
Griechenland eine Abkehr von all den 
Kürzungspolitiken geben. Wir werden 
einen tragfähigen Plan zur Förderung der 
griechischen Wirtschaft vorlegen, aber – 
was noch von größerer Bedeutung ist – 
einen realistischen Plan für einen Um-bau 
hin zu einem anderen Europa. Was 
wir in Europa brauchen, ist eine mög-lichst 
breite Front gegen den vorherr-schenden 
Kurs, eine Solidaritätsbewe-gung 
für die Rechte der Lohnabhängi-gen 
sowohl im Norden als auch im Sü-den. 
Was wir brauchen, wenn die euro-päische 
Linke an Stärke gewinnen und 
einen maßgeblichen Unterschied ma-chen 
will im Alltag der einfachen Leute, 
sind möglichst umfassende soziale und 
politische Bündnisse. Die Europawahl im 
kommenden Mai bietet eine historische 
Chance, die Voraussetzungen für diesen 
Wandel mit zu schaffen. Wenn versucht 
wird, das Rad der Geschichte zurückzu-drehen, 
ist es an der Linken, Europa in ei-ne 
bessere Zukunft zu führen.
10 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg 
Schulden und Euro: 
Was tun? 
Ein Manifest von Daniel Albarracín, Nacho Álvarez, Bibiana Medialdea, Francisco Louçã, 
Mariana Mortagua, Michel Husson, Stavros Tombazos, Giorgos Galanis, Özlem Onaran 
Ein falsches Dilemma 
Diese Krise hat gezeigt, dass dieses neo-liberale 
Projekt in Europa nicht tragfähig 
ist. Progressive Alternativen zu dieser Kri-se 
erfordern eine Neugründung Europas: 
Kooperation ist notwendig sowohl auf 
europäischer als auch auf internationaler 
Ebene, für die Restrukturierung der In-dustrie, 
für ökologische Nachhaltigkeit 
und für die Schaffung von zusätzlichen 
Arbeitsplätzen. 
Da aber eine globale Neugründung an-gesichts 
des derzeitigen Kräfteverhält-nisses 
utopisch erscheint, stellt sich der 
Ausstieg aus den Euro für einige Länder 
als eine unmittelbare Lösung dar. Das Di-lemma 
scheint also klar: riskanter Aus-stieg 
aus der Euro-Zone oder hypotheti-sche 
europäische Harmonisierung, die 
aus den sozialen Kämpfen hervorgehen 
soll. 
Wir denken, dass diese Gegenüber-stellung 
falsch ist; es ist im Gegensatz da-zu 
wichtig, an einer gangbaren Strategie 
für die unmittelbare Konfrontation zu ar-beiten. 
Jeder soziale Wandel beinhaltet 
eine Infragestellung der vorherrschenden 
gesellschaftlichen Interessen, deren Pri-vilegien 
und deren Macht. Diese Kon-frontation 
spielt sich hauptsächlich auf 
nationaler Ebene ab. Der Widerstand der 
herrschenden Klasse und ihr Potential an 
Vergeltungsmaßnahmen reichen jedoch 
über den nationalen Rahmen hinaus. Die 
Strategie des Ausstiegs aus dem Euro be-inhaltet 
nicht ausreichend die Notwen-digkeit 
einer europäischen Alternative. 
Deswegen muss eine Strategie aufgestellt 
werden, welche mit dem »Euroliberalis-mus 
« bricht und Mittel für eine andere 
Politik frei setzt. Es geht in hier nicht um 
das Programm, sondern um die Mittel der 
Umsetzung. 
Sich von dem Griff der Finanzmärkte 
befreien 
Kurzfristig müsste eine der ersten Maß-nahmen 
einer linken Regierung sein, ei-nen 
Weg zu finden, mit dem das Haus-haltsdefizit 
unabhängig von den Finanz-märkten 
finanziert wird. Das erlauben die 
europäischen Regeln nicht, und es wäre 
der erste Bruch, der durchzuführen wä-re. 
Es gibt ein großes Spektrum an mög-lichen 
Maßnahmen, die nicht neu sind 
und die früher in unterschiedlichen eu-ropäischen 
Ländern durchgeführt wur-den: 
eine Zwangsanleihe bei den reichs-ten 
Haushalten; das Verbot, Kredite bei 
Devisenausländern aufzunehmen; eine 
Verpflichtung von Banken, eine be-stimmte 
Quote an Staatsanleihen aufzu-nehmen; 
eine Steuer auf internationale 
Dividendentransfers sowie auf Kapital-transfer 
usw.; und selbstverständlich ei-ne 
radikale Steuerreform. 
Der einfachste Weg wäre, dass die na-tionale 
Zentralbank den öffentlichen 
Haushalt finanziert, wie es in den USA, 
in Großbritannien, Japan usw. gemacht 
wird. Es wäre möglich, eine besondere 
Bank ins Leben zu rufen, welche sich ge-genüber 
der Zentralbank refinanzieren 
darf, welche aber als Hauptfunktion den 
Kauf öffentlicher Anleihen hätte (etwas, 
was die EZB bereits gemacht hat). 
Natürlich ist das nicht wirklich eine 
technische Frage. Es wäre ein politischer 
Bruch mit den bisher geltenden Regeln in 
Europa. Ohne einen solchen Bruch wäre 
jegliche Politik, die nicht »die Finanz-märkte 
beruhigen« würde, sofort blo-ckiert 
durch einen Anstieg der Kosten für 
die Finanzierung der öffentlichen Schul-den. 
Dieses erste Paket von Sofortmaß-nahmen 
würde jedoch nicht die bereits 
angehäuften Last von Schulden und der 
Zinsen auf diese Schulden reduzieren. Die 
Alternative sieht folgendermaßen aus: 
entweder weiter andauernde Austerität 
oder ein sofortiges Moratorium auf die öf-fentlichen 
Schulden. 
Nach einen solchen Moratorium sollte 
ein öffentliches Audit organisiert wer-den, 
um die illegitimen Schulden he-rauszufinden 
– was vor allem vier Berei-che 
betreffen würde: 
– die »Steuergeschenke« zugunsten der 
reichsten Haushalte, der großen Fir-men 
und der »Rentiers«; 
– die »illegalen« Steuerprivilegien: Steu-erflucht, 
Steueroptimierung, Steuer-oasen 
und Amnestien für Steuer-flüchtlinge; 
– die Bankenrettungsaktionen seit Aus-bruch 
der Krise; 
– die Schulden, die per Schneeballeffekt 
aus den Schulden selbst entstanden 
sind durch die Differenz zwischen der 
Höhe der Zinsen und der Wachstums-raten 
des BIP, weil letztere infolge der 
neoliberalen Kürzungspolitik und der 
Arbeitslosigkeit stark in Mitleiden-schaft 
gezogen wurden. 
Auf ein solches Audit muss ein Austausch 
der Schuldtitel folgen mit dem Ergebnis, 
dass ein Großteil der Schulden annulliert 
wird. Das wäre der zweite Bruch. 
Die öffentlichen Schulden sind aber 
auch eng verwoben mit der Bilanz der pri-vaten 
Banken. Darum sind die soge-nannten 
Rettungsaktionen für die Staa-ten 
in der Regel Bankenrettungsaktio-nen. 
Also ist ein dritter Bruch mit der neo-liberalen 
Ordnung erforderlich: interna-tionale 
Kapitalverkehrskontrolle, Kont-rolle 
über das Kreditwesen und Soziali-sierung 
der Banken. Das ist der einzige 
vernünftige Weg, um das Geflecht der 
Schulden zu entwirren. Immerhin war das 
die Option, die in Schweden in den 1990- 
er Jahren gewählt wurde (auch wenn die 
Banken später wieder privatisiert wur-den). 
– Das sind die Mittel für eine echte 
soziale Transformation. Aber wie kom-men 
wir dahin? 
Eine linke Regierung ist notwendig 
Diese drei bedeutenden und notwendi-gen 
Brüche, um erfolgreich Widerstand 
gegen eine finanzpolitische Erpressung zu 
leisten, können nur von einer linken Re-gierung 
zu einem guten Ende gebracht 
werden. Obwohl die sozialen und politi-schen 
Bedingungen für eine abgestimmte 
Strategie des Kampfes für eine solche Re-gierung 
von Land zu Land sehr unter-schiedlich 
sind, richtete sich im Sommer 
2012 in ganz Europa alles Augenmerk auf 
die Aussichten von Syriza (dem Bündnis 
der Radikalen Linken), die Wahlen zu ge-winnen 
und damit das Rückgrat für eine 
solche Regierung in Griechenland zu bil-den. 
Seit dieser Zeit führt Syriza eine Kam-pagne 
mit den grundlegenden Themen, 
die wir in diesem Manifest entwickeln: 
Eine Regierung der linken Kräfte ist ein 
Bündnis für die Aufkündigung der Me-moranda 
der Troika und die Umstruku-rierung 
der Schulden, so dass Löhne, 
Renten, Öffentliche Gesundheitsversor-gung, 
Bildung und Sozialversicherung 
geschützt werden könnten. 
Für eine Strategie des unilateralen 
Bruchs und Ausbau 
Die fortschrittlichen Lösungen stehen im 
Gegensatz zu dem neoliberalen Projekt 
verallgemeinerten Wettbewerbs. Sie sind 
von Grund auf kooperativ angelegt und 
funktionieren umso besser, auf je mehr 
Länder sie ausgedehnt werden. Wenn 
beispielsweise alle europäischen Länder 
die Arbeitszeit reduzieren und eine ein-heitliche 
Kapitalertragssteuer erheben 
würden, könnte eine solche Koordinie-rung 
den Gegenschlag vermeiden, den 
genau diese Politik erleiden würde, wenn 
sie in einem einzigen Land umgesetzt 
würde. 
Um diesen kooperativen Weg einzu-schlagen, 
muss eine Regierung der lin-ken 
Kräfte eine unilaterale Strategie ver-folgen: 
– Die »geeigneten Maßnahmen« werden 
unilateral getroffen, wie beispielswei-se 
die Ablehnung der Austeritätspoli-tik 
oder die Besteuerung von Finanz-transaktionen. 
– Sie müssten einhergehen mit Schutz-maßnahmen 
wie beispielsweise die 
Kontrolle der Kapitalmärkte. 
– Die Durchführung einer Politik, die auf 
nationaler Ebene nicht im Einklang mit 
den europäischen Bestimmungen 
steht, stellt ein politisches Risiko dar, 
das zu beachten ist. 
Die Antwort dazu besteht in einer Logik 
der Erweiterung, damit solche Maßnah-men 
wie beispielsweise fiskalpolitische 
Impulse oder die Finanztransaktions-steuer 
von anderen Mitgliedstaaten an-genommen 
werden. 
Die politische Konfrontation mit der EU 
und den herrschenden Klassen anderer 
Staaten, insbesondere der deutschen Re-gierung, 
kann jedoch nicht vermieden wer-den, 
und die Drohung eines Verlassens des 
Euroraums darf nicht a priori von mögli-chen 
Optionen ausgeschlossen werden. 
Das Manifest entstand auf Initiati-ve 
von Michel Husson, Ökonom am 
Institut de recherches économiques 
et sociales (IRES) in Paris und Mit-glied 
des Wissenschaftlichen Bei-rats 
von Attac. Die weiteren Auto-ren: 
Daniel Albarracín, Nacho 
Álvarez, Bibiana Medialdea (Spa-nien), 
Francisco Louçã, Mariana 
Mortagua (Portugal), Stavros 
Tombazos (Zypern) Giorgos Gala-nis, 
Özlem Onaran (Großbritanni-en). 
Die AutorInnen sind als linke 
WissenschaftlerInnen aktiv in un-terschiedlichen 
europäischen Be-wegungen 
und Parteien der Lin-ken. 
Eine Langfassung des Mani-fests 
gibt es unter: 
http://gesd.free.fr/euromani.htm
europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 11 
Dieses strategische Schema erkennt 
an, dass die Neugründung Europas nicht 
eine Vorbedingung für die Umsetzung ei-ner 
alternativen Politik sein darf. Die 
möglichen Vergeltungsmaßnahmen ge-gen 
eine linke Regierung müssen von Ge-genmaßnahmen 
neutralisiert werden, 
die in der Tat einen Rückgriff auf pro-tektionistische 
Systeme implizieren. 
Doch diese Orientierung ist nicht im üb-lichen 
Sinne des Wortes protektionis-tisch, 
denn sie schützt einen sozialen 
Transformationsprozess, den die Bevöl-kerung 
mit trägt, und nicht die Interes-sen 
des nationalen Kapitals, das sich im 
Wettbewerb mit anderen Kapitalinte-ressen 
befindet. 
Es handelt sich also um einen »Erwei-terungsprotektionismus 
«, der obsolet 
wird, sobald die sozialen Maßnahmen für 
Arbeitsplätze und gegen die Austeritäts-politik 
sich quer durch Europa durchge-setzt 
haben. 
Der Bruch mit den Bestimmungen der 
Europäischen Union ist keine Prinzipi-enfrage, 
sondern stützt sich auf der Le-gitimität 
von gerechten und effizienten 
Maßnahmen, die den Interessen der 
Mehrheit entsprechen und ebenso den 
Nachbarländern vorgeschlagen werden. 
Diese strategische Orientierung kann 
durch die soziale Mobilisierung in den 
anderen Ländern verstärkt werden und 
sich schließlich auf ein Kräfteverhältnis 
stützen, das in der Lage ist, die Institu-tionen 
der EU in Frage zu stellen. Die 
jüngste Erfahrung mit den neoliberalen 
Rettungsschirmen der EZB und der Eu-ropäischen 
Kommission zeigt, dass es ab-solut 
möglich ist, eine Reihe von Be-stimmungen 
der EU-Verträge zu umge-hen, 
und dass die europäischen Behör-den 
nicht gezögert haben, dies auf Ge-deih 
und Verderb zu tun. Daher fordern 
wir das Recht auf Maßnahmen, die in die 
richtige Richtung gehen, inklusive der 
Einrichtung einer Kapitalverkehrskont-rolle 
und jeglichen Systems, das geeig-net 
ist, um Löhne und Renten zu si-chern. 
In diesem Rahmen wäre das Ver-lassen 
des Euroraums eine Drohung oder 
ein allerletzter Ausweg. 
Diese Strategie stützt sich auf die Le-gitimität 
der fortschrittlichen Lösungen, 
die aus ihrem Klassencharakter er-wächst. 
Es handelt sich hier also um ei-ne 
auf Kooperation bauende Strategie 
des Bruchs mit dem aktuellen Rahmen 
der EU, dies im Namen eines anderen 
Entwicklungsmodells, das auf einer 
neuen Architektur für Europa beruht: ein 
erweiterter europäischer Haushalt auf 
der Grundlage einer gemeinsamen Ka-pitalsteuer, 
der Harmonisierungsfonds 
und sozial und ökologisch sinnvolle In-vestitionen 
finanziert. Eine an den In-teressen 
der Bevölkerungsmehrheiten 
orientierte Strategie einer linken Re-gierung 
muss für diesen demokrati-schen 
Kampf alles tun, was erforderlich 
ist.
12 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg 
Ein mediterraner Block? 
Südeuropa sucht einen Ausweg 
Von Armando Fernández Steinko 
Spanien gehört neben Portugal, Grie-chenland, 
Italien und Irland zu den von 
der Finanzkrise am stärksten betroffenen 
Ländern, den sogenannten PIIGS. Ihre 
politischen, wirtschaftlichen und Sozial-systeme 
sind einem Strukturwandel un-terworfen, 
dessen Ergebnis noch nicht 
absehbar ist. Während Irland als Son-derfall 
gelten kann, besitzen die anderen 
vier Länder viele Gemeinsamkeiten und 
haben ähnliche historische Entwicklun-gen 
durchlaufen. Nichtsdestotrotz gelten 
für Italien einige Besonderheiten: Das 
Land verfügt als Gründungsmitglied der 
Europäischen Gemeinschaft (EG) über ei-ne 
größere Verhandlungsmacht als die 
anderen südeuropäischen Staaten. Seine 
wirtschaftliche, politische und institutio-nelle 
Modernisierung fand über drei 
Jahrzehnte innerhalb eines regulierten 
Kapitalismus statt und war über zwei Ge-nerationen 
in politische und Sozialpakte 
eingebettet. Dieser Sozialpakt beinhalte-te 
ein System politischer Freiheiten und 
individueller Rechte, ein (minimales) 
Gleichgewicht der Interessen von Kapital 
und Arbeit und die Umleitung von einem 
Teil der Produktivitätszuwächse in die 
Ausdehnung des Binnenmarktes und die 
Erhöhung des Konsumniveaus der Be-völkerung. 
Der Pakt beruhte des 
Weiteren auf einer Anglei-chung 
der Lebensbedin-gungen 
innerhalb Itali-ens 
durch öffentliche 
Infrastrukturinvestiti-onen 
(steuerfinan-zierte 
Verkehrswege, 
Gesundheits- und Bil-dungseinrichtungen 
usw.) sowie auf der 
Schaffung von Indust-rien 
und Dienstleistungs-sektoren, 
die in der Lage 
waren, die durch die schritt-weise 
und regulierte Auflösung der 
traditionellen Sektoren freigesetzten Ar-beitskräfte 
zu absorbieren. Von dieser Po-litik 
hat v.a. die Landbevölkerung profi-tiert, 
die im Rahmen der europäischen 
Agrarpolitik in den Genuss dauerhafter 
Ressourcentransfers kam, was eine »An-passung 
des Lebensniveaus« ermöglichte 
(vgl. Art. 39.1.b des Vertrags von Rom). 
Die schrittweise Öffnung gegenüber den 
Weltmärkten ermöglichte das Entstehen 
eines dynamischen und innovativen Ex-portsektors, 
der sich dank der chronisch 
unterbewerteten Lira und einer auch von 
anderen Gründungsmitgliedern der Ge-meinschaft 
(wie Frankreich und Deutsch-land) 
verfolgten Handelspolitik in den 
Jahrzehnten des ›regulierten Kapitalis-mus‹ 
weiter entfalten konnte. Diese Ex-portkapazität 
sorgte dafür, dass die Zah-lungsbilanz 
Italiens über viele Jahrzehn-te 
und selbst nach der Krise 2008 ausge-glichen 
blieb. Und das obwohl die öf-fentlichen 
Schulden in Italien heute bei 
160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes 
liegen. 
Die kapitalistische Modernisierung in 
Portugal, Griechenland und Spanien (von 
nun an PGS) nahm andere Bahnen. Die 
drei Länder durchliefen einen Prozess des 
nachholenden Fordismus und kamen 
nicht in den Genuss jener Pakte, die den 
Kapitalismus nach 1945 einhegten. Als sie 
der EG beitraten (Griechenland 1981, 
Portugal und Spanien 1986), verloren 
diese Pakte selbst in den Gründungs-staaten 
an Bedeutung, und mit den Ver-trägen 
von Maastricht beschleunigte sich 
die Kehrtwende auf dem ganzen Konti-nent. 
Der verspätete Zugang zu einem 
eingehegten Kapitalismus, d.h. zu einem 
Zeitpunkt, als die Regulation in der ge-samten 
westlichen Welt aufgekündigt 
wurde, trieb die für den EG-Beitritt zu 
zahlenden gesellschaftlichen und öko-nomischen 
Kosten in die Höhe. 
In Richtung eines mediterranen 
Blocks? 
Wegen dieser historischen Entwicklung 
befinden sich die PGS in der aktuellen po-litischen 
und wirtschaftlichen Konjunk-tur 
in einer ähnlichen Situation. Der Ver-fall 
ihrer Sozialsysteme könnte im Prin-zip 
dazu führen, dass sich neue, der Aus-teritätspolitik 
entgegen gesetzte Mehr-heiten 
bilden. Es ist allerdings ausge-sprochen 
unwahrscheinlich, dass sich 
die drei Länder dieser Politik 
einzeln mit Erfolg wider-setzen 
können. Daraus 
leitet sich die Notwen-digkeit 
ab, einen ge-meinsamen 
Block zu 
bilden. Dieser Block 
könnte das notwen-dige 
politische und 
wirtschaftliche Ge-wicht 
erlangen, um ei-ne 
Abkehr von der Aus-teritätspolitik 
zu erzwin-gen, 
die Zahlung der Schul-den 
an das Wirtschaftswachs-tum 
zu koppeln und öffentliche In-vestitionsprogramme 
zur Schaffung von 
Beschäftigung im Rahmen einer sozialen 
und ökologischen Konversion in Gang zu 
setzen. Für den Fall, dass es nicht zu ei-nem 
Abkommen mit den großen Export-nationen 
kommt und die Austeritätspo-litik 
weiter fortgesetzt wird, hätte nur ein 
Block der Staaten im Süden eine realis-tische 
Aussicht, außerhalb der heutigen 
EU zu bestehen. Genauer gesagt: ein eu-ropäisch- 
mediterraner Block. 
1 Er würde seine Mitgliedsländer auf-grund 
des Volumens seiner Auslands-schulden 
in eine viel bessere Ver-handlungsposition 
bringen. Die Dro-hung 
eines Zahlungsstopps könnte das 
europäische und globale Finanzsystem 
an den Rand des Abgrunds bringen. 
Dieses Szenario würde hohe Kosten für 
die PGS implizieren, wäre jedoch für 
die Gläubiger der zentralen Staaten 
noch gefährlicher, weshalb diese ein 
derartiges Risiko vermutlich vermei-den 
würden. 
2 Die vereinten PGS hätten mehr Kraft, 
eine internationale Gläubigerkonfe-renz 
zu erzwingen, wie es sie 1953 in 
London gab. Damals wurden in einem 
multilateralen Abkommen die Zah-lungen 
der von Deutschland seit dem 
Ersten Weltkrieg gegenüber den USA, 
Großbritannien und Frankreich ange-häuften 
Auslandsschulden an das 
Wirtschaftswachstum und die Ent-wicklung 
der Produktivkräfte in der 
Bundesrepublik gekoppelt. Dieses Zu-geständnis 
war keinem plötzlichen 
Ausbruch von Menschlichkeit bei den 
Westmächten geschuldet, sondern 
hatte damit zu tun, dass West- 
Deutschland nach 1945 aufgrund der 
neuen Militärstrategie gegenüber dem 
sozialistischen Lager eine zentrale Be-deutung 
erlangt hatte. Das deutsche 
Argument lautete, dass es seinen mi-litärischen 
Verpflichtungen ohne eine 
Neuverhandlung der Schulden nicht 
würde nachkommen können und dass 
eine wirtschaftlich schwache, am Bo-den 
liegende Bundesrepublik das 
Image des Kapitalismus zum Schaden 
des gesamten westlichen Lagers in 
Mitleidenschaft ziehen könnte. Das 
deutsche »Wirtschaftswunder« wäre 
ohne diese Konferenz unmöglich ge-wesen, 
bei der die BRD Auslands-schulden 
in Höhe von etwa 14,6 Mil-liarden 
Mark erlassen bekam. Die PGS 
werden heute einzeln niemals die nö-tige 
Kraft entfalten, um wie die Bun-desrepublik 
Deutschland nach dem 
Krieg eine derartige Konferenz durch-zusetzen. 
Da sie jedoch für das atlan-tische 
Bündnis zentrale geostrategi-sche 
Positionen innehaben, könnte ihr 
Zusammenschluss eine ähnliche Wir-kung 
besitzen wie die Existenz der so-zialistischen 
Staaten in den 1950er 
Jahren. 
3 Deutschland, die neue europäische 
Hegemonialmacht, ist dazu ver-dammt, 
sein Währungssystem weiter-hin 
an die schwächsten Ökonomien des 
Südens zu binden, um den Euro zu-gunsten 
der eigenen Exporte abzu-werten, 
die Rückzahlung der Kredite 
zu garantieren und eine aufgrund des 
Ansteckungseffekts drohende Implo-sion 
der Euro-Zone zu verhindern: 
Deutschland benötigt die PGS. Wenn 
diese sich zusammenschlössen und ei-ne 
gemeinsame Strategie entwickel-ten, 
könnten sie mit der Schaffung ei-ner 
eigenen Währung drohen: dem Eu-rosur. 
Dieser Schritt hätte positive und 
negative Auswirkungen, die gründlich 
einzuschätzen wären. Auf jeden Fall 
wären nachteilige Effekte im Block 
leichter zu bewältigen als getrennt. Ein 
solcher Bruch würde in jedem Fall da-zu 
führen, dass die heute von Deutsch-land 
verfolgte Exportstrategie wegen 
der schnellen Aufwertung eines hypo-thetischen 
Euronorte an ihr Ende kä-me. 
Dies würde in Deutschland den ge-sellschaftlichen 
Konsens, wie er von 
Teilen der Gewerkschaftsbewegung, 
der Sozialdemokratie und den Grünen 
mitgetragen wird, zum Zerbrechen 
bringen. Es ist wahrscheinlich, dass die 
In Portugal, 
Spanien und 
Griechenland könnten 
sich neue Mehrheiten 
gegen die 
Austeritätspolitik 
bilden. 
Armando Fernández Steinko lehrt 
– von links und kritisch – Soziolo-gie 
an der Universidad Complu-tense 
in Madrid, Spanien. Er ar-beitet 
in der Fundación de Investi-gaciones 
Marxistas mit, der Part-nerorganisation 
von Transform! 
und der RLS, und ist Mitglied der 
Izquierda Unida. Sein Blog heißt 
Piensa y Actúa. 
Foto: privat 
Übersetzung: Raul Zelik
europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 13 
deutschen Eliten zur Vermeidung ei-nes 
solchen Szenarios die nötigen Res-sourcen, 
wenn auch keinen Euro mehr, 
zur Verfügung stellen würden. 
4 Nichtsdestotrotz wäre es ein Irrtum zu 
glauben, dass diese Situation – so sehr 
der Norden den Süden auch benötigt – 
den Süden ökonomisch besser stellen 
würde. Tatsächlich droht der Süden in 
eine sozial unerträgliche Lage abzu-rutschen. 
In der aktuellen Lage ist es 
zumindest ausgesprochen unwahr-scheinlich, 
dass Deutschland oder an-dere 
Exportnationen Ressourcen zur 
Verfügung stellen würden, damit die 
PGS eine eigenständige produktive Ba-sis 
entwickeln könnten, um den politi-schen 
und sozialen Konsens ihrer jun-gen 
Demokratien nachhaltig zu finan-zieren. 
Die einzige Hoffnung bestünde 
darin, die Kräfteverhältnisse in Europa 
zu verschieben. Für eine solidarische 
Politik müssten dann eine neue euro-päische 
Arbeitsteilung definiert, geld-politische 
Mittel für eine schrittweise 
Annäherung der Produktivität festge-legt 
und die heute die Wirtschaftsbe-ziehungen 
zwischen den europäischen 
Staaten regulierenden Grundregeln ei-ner 
Prüfung unterzogen werden. Es ist 
jedoch unwahrscheinlich, dass es dazu 
kommt, ohne dass die wichtigsten 
Nutznießer eines solchen Politikwech-sels 
– die PGS – die dafür notwendige 
Verhandlungsmacht erlangen. 
5 Nur wenn einige Grundpfeiler dessen, 
was wir als »atlantisches Projekt« (sie-he 
unten) bezeichnen, in Frage ge-stellt 
werden, besteht die Möglichkeit 
eines alternativen Produktionsmo-dells. 
In den PGS, nicht aber im Rest 
der EU-Staaten, verlieren die Parteien 
des atlantischen Konsenses zurzeit 
massiv an Unterstützung. Diese Pa-rallelität 
der Entwicklung im Süden er-möglicht 
ein gemeinsames politisches 
Handeln. Die nach den Wahlen im 
Februar 2013 in Italien geschaffene Si-tuation 
deutet ebenfalls in diese Rich-tung. 
6 Abgesehen von der strategischen Be-deutung 
des Mittelmeerraums können 
die PGS ihre privilegierten Beziehun-gen 
nach Lateinamerika (Portugal und 
Spanien) und zur arabischen Welt und 
Russland (Griechenland) als Faust-pfand 
einsetzen. Auch dies kann aber 
nur in Absprache untereinander ge-lingen. 
Das Problem der Asymmetrie 
Die Eliten Portugals, Spaniens und Grie-chenlands 
waren in den vergangenen 30 
Jahren dem atlantischen Projekt ver-pflichtet. 
Seit dem Ausbruch der Krise 
2008 – und schon zuvor – haben sie im-mer 
wieder den Beweis erbracht, dass sie 
den Interessen einer Minderheit Vorrang 
einräumen, und damit den Konsens der 
demokratischen Transition faktisch auf-gekündigt. 
Ihre Politik zielt nicht darauf, 
die Gesellschaften gegenüber den gro-ßen 
europäischen Exporteuren und den 
Vermögensbourgeoisien des Planeten zu 
schützen, sondern die Interessen des Ka-pitals 
noch rücksichtsloser als bisher 
durchzusetzen – und zwar sowohl nach 
innen (Umwidmung öffentlicher Mittel 
zur Sanierung von Banken ohne politi-sche 
Gegenleistung, deflationäre Politik 
bei Preisen und Löhnen, »interne Ab-wertung 
« usw.) als auch nach außen (Er-höhung 
der Handelsaggressivität, Be-günstigung 
multinationaler Unterneh-men, 
latente Währungskriege usw.). Ihr 
erklärtes Ziel ist es, diese Politik anderen 
Staaten, die dadurch noch verwundbarer 
sind als man selbst, aufzuzwingen. Die 
deutsche Politik der vergangenen 15 Jah-re 
wird reproduziert: auf Kosten des 
Nachbarn Arbeitsplätze schaffen und die 
politische Legitimität der eigenen Regie-rung 
stärken. Diese Dynamik bringt die 
beiden angreifbarsten Ökonomien des 
Südens (Portugal und Griechenland mit 
ihren 22 Millionen Einwohnern) in eine 
besonders komplizierte Lage und er-schwert 
die Aussicht, dass das größere 
Spanien (mit seinen 47 Millionen Ein-wohnern) 
Teil eines Solidarblocks im Sü-den 
werden könnte. Spanien ist in vielen 
Bereichen ein direkter Konkurrent beider 
Länder und verfügt über ein größeres 
wirtschaftliches Potenzial als diese, was 
die Hoffnung weckt, das deutsche Mo-dell 
auf Kosten kleinerer und schwäche-rer 
Länder wie Portugal und Griechen-land 
umsetzen zu können (der Fall Itali-en 
ist dem Spaniens in dieser Hinsicht 
ähnlich). Aber Spanien fehlen einige Vo-raussetzungen, 
um den deutschen Weg 
kopieren zu können: 
1 Es verfügt über wenig Zeit. Die Ar-beitslosigkeit 
könnte in wenigen Mo-naten 
über 27 Prozent steigen, und es 
wird, nicht zuletzt wegen der Korrup-tionsskandale 
der konservativen Re-gierungspartei, 
über den Ausbruch un-kontrollierbarer 
sozialer Unruhen spe-kuliert. 
2 Mehrere lateinamerikanische Regie-rungen 
verteidigen heute die Interes-sen 
ihrer Bevölkerungen und haben 
den aggressiven Strategien spanischer 
Multis in Lateinamerika deshalb Gren-zen 
gesetzt. Dies führt zu einer Ver-ringerung 
der Gewinntransfers durch 
die auf dem Kontinent tätigen spani-schen 
Multis an ihre Firmenzentralen 
sowie zu einem Verfall ihrer Börsen-notierungen. 
3 Die Erschließung alternativer Märkte 
in Indien, China oder den Golfstaaten 
hat zu einer Erholung der spanischen 
Leistungsbilanz geführt. Diese Erho-lung 
ist jedoch weniger einer gestie-genen 
Wettbewerbsfähigkeit als dem 
Zusammenbruch der Binnennachfrage 
AKTUELLE PUBLIKATIONEN 
LUXEMBURG 3/4 2013 
Gesellschaftsanalyse 
und linke Praxis 
Die Kampfzone ausweiten 
Mit Beiträgen von Rodrigo Nunes | 
Corinna Trogisch | Lena Ziyal | Assef 
Bayat | Sarah Bormann | Andrew 
Herod | Göran Therborn | Nicole 
Mayer-Ahuja | Michael Vester u. a. 
www.zeitschrift-luxemburg.de 
WELT 
LINKE STRATEGIEN 
IN DER EUROKRISE 
Eine Übersicht einschließlich 
einer kommentierten Synopse 
der europapolitischen Positio-nen 
der Partei DIE LINKE 
Analyse von Mario Candeias, 
ISSN 2194-2951 
Download unter: 
www.rosalux.de/publication/39479 
LINKE PARTEIEN 
IN EUROPA 
Ein Vergleich der europa-politischen 
Positionen vor 
den Europawahlen 2014 
Studie von Thilo Janssen, 
ISSN 2194-2242 
Download unter: 
www.rosalux.de/publication/39751 
BESTELLUNG 
VON ANALYSEN 
UND STUDIEN 
TEL. 030 44310-123, 
BESTELLUNG@ 
ROSALUX.DE 
DIE EUROPAPOLITIK DES 
DEUTSCHEN MACHTBLOCKS 
UND IHRE WIDERSPRÜCHE 
Eine Untersuchung der Positionen 
deutscher Wirtschaftsverbände 
zur Eurokrise 
Studie von Frederic Heine, 
Thomas Sablowski, ISSN 2194-2242 
Download unter: 
www.rosalux.de/publication/39834 
ANZEIGE
14 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg 
geschuldet. So hat die Steigerung der 
Exporte keine neue Beschäftigung ge-schaffen, 
und es ist unwahrscheinlich, 
dass den spanischen Unternehmen dies 
in der Zukunft auf ähnliche Weise ge-lingen 
könnte wie den deutschen Fir-men: 
Das aggressiv exportorientierte 
Modell hat seine Grenzen. 
4 Die Sozial-, Umwelt- und stadtplane-rischen 
Standards sind in Spanien be-reits 
sehr niedrig, so dass deren Ab-senkung 
– wie sie von der PP-Regie-rung 
vorgeschlagen wird – kaum zu ei-nem 
neuen, vom Immobiliensektor ge-tragenen 
Wachstumszyklus führen 
kann. Beschäftigungseffekte, wie sie 
sich ab 1997 ergaben, sind daher eben-falls 
unwahrscheinlich. 
5 Die Krise verschärft auch das Problem 
der innerstaatlichen Verfasstheit Spa-niens. 
In mehreren reichen Regionen 
wie Katalonien wächst die Unterstüt-zung 
verarmter Mittelschichten für das 
Selbstbestimmungsrecht. Dass die Re-gierungen 
in Anbetracht einer derar-tigen 
Situation die soziale Lage zur 
Durchsetzung eines deutschen Mo-dells 
weiter verschärfen können, ist 
eher unwahrscheinlich. Der politische 
Handlungsspielraum für unpopuläre 
Maßnahmen ist begrenzt. 
Vor diesem Hintergrund gibt es Argu-mente 
dafür, dass Spanien als bevölke-rungs- 
und ressourcenreichstes der drei 
Länder ebenfalls ein strategisches Inte-resse 
an einem mediterranen Block ha-ben 
könnte, um einen Politikwechsel in 
Brüssel bzw. Berlin zu erzwingen. Wenn 
dieser Block zustande käme, könnte auch 
die öffentliche Meinung in Italien zu-gunsten 
eines Eurosur kippen (Italien ist 
eine Exportnation, deren Konkurrenzfä-higkeit 
durch eine Abwertung der Wäh-rung 
unmittelbar steigen würde). Die vor 
allem von Frankreich wahrgenommene 
Gefahr, dass diese Situation zu einem Al-leingang 
Deutschlands in Europa führen 
würde, ist hingegen kalkulierbar. Ein 
deutscher Alleingang, der zu einer Auf-kündigung 
der europäischen Charta und 
zu einer ausschließlichen Orientierung 
an den Märkten der Schwellenländer 
führen würde, ist im Land selbst kaum 
konsensfähig: Die deutsche Vergangen-heit 
wiegt zu schwer und die Ungewiss-heiten 
eines solchen Abenteuers sind zu 
groß. 
Damit dieser Vorschlag nicht bloßer 
Voluntarismus bleibt, müsste man zei-gen, 
dass die drei Länder im Süden ähn-liche 
Entwicklungen hinter sich haben 
und mit gemeinsamen Problemen kon-frontiert 
sind, die sich im Block besser 
oder realistischer bewältigen ließen. Die 
zentrale Frage lautet in diesem Sinne 
nicht, ob man aus dem Euro austreten soll 
oder was mit den Schulden geschieht. Die 
Angelegenheit ist grundlegender – was 
den Währungs- und Finanzproblemen al-lerdings 
nichts von ihrer Dramatik nimmt. 
Es wird darum gehen, wie, mit was und 
mit wem eine Beschäftigungs- und Wirt-schaftsstruktur 
geschaffen werden kann, 
die eine gerechte, demokratische und 
nachhaltige soziale und politische Ord-nung 
dauerhaft finanzieren könnte. Da-für 
gilt es gemeinsame Praxen zu entwi-ckeln. 
Ein mediterraner Block? 
Südeuropa sucht einen Ausweg 
Von Armando Fernández Steinko
europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 15 
Liste Tsipras. 
Um die Zersplitterung zu überwinden 
Von Fabio Amato 
Die italienische Linke ist scheinbar hoff-nungslos 
zersplittert und als parlamen-tarische 
Linke seit dem letzten Jahren 
praktisch verschwunden – mit Ausnahme 
der Sinistra ecologia e libertà (SEL, die 
Linke für Ökologie und Freiheit), die als 
Koalitionspartner der Mitte-Links-Regie-rung 
für die neoliberalen Kürzungspoli-tiken 
im Zuge der Krise mitverantwort-lich 
gemacht wird. Hoffnung macht nun 
der Versuch, die nationalen Probleme ei-ner 
Fragmentierung der Linken mit einer 
ausdrücklich europäischen Perspektive zu 
überwinden: der Aufstellung einer »Liste 
Tsipras« gegen die Austritt bei den an-stehenden 
Wahlen zum Europäischen 
Parlament. 
Krise und Antipolitik 
Was ist der Hintergrund? Sieben Jahre 
wirtschaftlicher Rezession, eine Ver-dopplung 
der Arbeitslosigkeit auf jetzt of-fiziell 
13 Prozent (aber in Wirklichkeit viel 
höher), die Jugendarbeitslosigkeit über 40 
Prozent, das Prekariat immer prekärer, die 
Reichen immer reicher und eine soziale 
Ungleichheit wie nur in wenigen anderen 
Teilen Europas – dies ist das Ergebnis der 
Umsetzung eines Programms von sozia-len 
Anti-Reformen in Italien, die den oh-nehin 
schon fragilen Sozialstaat zusätz-lich 
geschwächt haben, mit Kürzungen im 
Rentensystem, im Gesundheitswesen, im 
Bildungswesen und in den Kommunen. 
Maßnahmen, die parteiübergreifend vom 
sozialdemokratischen Partito Democrati-co 
(PD) und Berlusconis Mitte-Rechts- 
Bündnis verabschiedet wurden. 
Vorhersehbar war: diese Anti-Refor-men 
haben die hohe Staatsverschuldung 
des Landes nicht gesenkt, sondern im Ge-genteil 
auf einen Wert von 132 Prozent 
des BIP angewachsen lassen. Seit Jahren 
macht die Bedienung der Zinsen den 
größten Posten des Staatshaushalts aus. 
Sein Anwachsen ist die Konsequenz der 
Zinsentwicklung, der Schrumpfung des 
BIP und des ausbleibenden Wachstums. 
Und doch gibt es in der öffentlichen De-batte 
kaum Auseinandersetzung darüber, 
wie einer Alternative zu den Kürzungs-politiken 
und zum neoliberalen Modell 
aussehen könnte, welche Positionen zur 
Funktion und Rolle der EU, zur Einheits-währung 
oder zur Verschuldung sinnvoll 
wären. Die Diskussion dreht sich nach wie 
vor um die Person Berlusconi, der inzwi-schen 
in letzter Instanz verurteil wurde, 
und um die Reform des Wahlgesetzes. Die 
dominierenden Kräfte, die sich in den 
Talkshows beschimpfen, segnen im poli-tischen 
Alltag gemeinsam die Umsetzung 
der Vorgaben der EZB und die Durchset-zung 
der Kürzungspolitik ab. Gemeinsam 
stimmten sie für die Aufnahme der Schul-denbremse 
in die Verfassung und für den 
berüchtigten Fiskalpakt, der Italien und 
die anderen Länder Südeuropas zu im-mer 
neuen Einschnitten verurteilt, deren 
einziger Effekt es ist, die Krisenlasten auf 
den Sozialsektor abzuwälzen, die Ar-beitslosigkeit 
anschwellen, die schwache 
Binnennachfrage weiter schrumpfen zu 
lassen und weitere Jahre wirtschaftlichen 
Abschwungs zu begünstigen. Gerade in 
diesen Tagen beschließt die Regierung 
weitere Privatisierungen, wie die der Post. 
Vor diesem Hintergrund ist es kein Zu-fall, 
dass Pepe Grillos Populismus seinen 
Masseneinfluss behauptet. Seine Reden 
gegen die politische Kaste fallen ange-sichts 
ihres politischen Spektakels auf 
fruchtbaren Boden. Eine Mehrheit der 
ItalienerInnen glaubt, dass man durch die 
Reduzierung der Politikergehälter und 
der öffentlichen Parteienfinanzierung 
(vor wenigen Monaten als Ergebnis einer 
Initiative Grillos abgesenkt), sei das 
Hauptübel der Krise. Die sich verbrei-tende 
Antipolitik von Berlusconi bis Gril-lo 
zerstört die demokratische Kultur. Die 
Entwicklung geht in Richtung fragwür-diger 
Mehrheitswahlgesetze, zu Parteien, 
die immer mehr ihren Charakter als po-litische 
Organisationen verlieren und von 
charismatischen Führungspersönlichkei-ten 
abhängig werden, dem Auf und Ab 
der öffentlichen Meinung und deren Aus-wirkungen 
auf die Umfragewerte hinter-her 
heischend. Italien hat sich am stärks-ten 
der US-amerikanischen Mediende-mokratie 
angenähert. In dieses Bild muss 
auch der Bedeutungsverlust anderer ge-sellschaftlicher 
Organisationen einge-ordnet 
werden, des kritischen Journalis-mus 
wie der Gewerkschaften. Anders als 
in Griechenland, Spanien oder Portugal 
vermochten es die Gewerkschaften Itali-ens 
nicht auf die Krise mit einer starken 
Reaktion zu antworten. Es bleibt bei spo-radischen 
Wutausbrüchen der Bevölke-rung, 
denen aber eine organisatorische 
und politische Perspektive fehlt. Ursäch-lich 
ist auch das Ausscheiden der linken 
Alternative aus dem Parlament, der ein-zigen 
Kraft, die versuchte die soziale Fra-ge 
in den Mittelpunkt ihrer politischen 
Agenda zu stellen. Dieser kurze Über-blick 
über die politische Situation soll 
verständlich machen, vor welchem Hin-tergrund 
die inner-linken Debatten im 
Vorfeld der Europawahlen geführt wer-den. 
Eine Debatte, die mit der Nominie-rung 
von Alexis Tsipras zum Spitzen-kandidat 
der Europäischen Linken (für 
das Amt des Präsidenten der Europäi-schen 
Kommission) neu belebt wird. 
Gegen die Zersplitterung 
Eine Reihe von Intellektuellen verschie-dener 
Schattierungen, der marxistischen 
wie der liberalen Linken, haben einen Auf-ruf 
zur Bildung eines Wahlbündnisses zur 
Unterstützung dieser Kandidatur verfasst. 
Im Namen einer Verteidigung der euro-päischen 
Idee, einer Kritik an den neoli-beralen 
Kürzungspolitiken und dem Fi-nanzpakt. 
Unter ihnen finden sich be-rühmte 
Intellektuelle und Künstler wie 
Barbara Spinelli und Andrea Camilleri. Ein 
positives Zeichen, auch wenn der Aufruf 
selbst die vorherrschende antipolitischen 
Kultur zu bedienen droht, indem er nur 
Wissenschaftler, Philosophen, Künstler 
und allgemein an die Zivilgesellschaft an-ruft, 
sich von den Parteien – auch der Eu-ropäischen 
Linkspartei EL – abgrenzt und 
jeden Bezug auf die sozialen Opfer der Kri-se 
vermissen lässt. Dennoch öffnet das 
Signal der Nominierung von Tsipras durch 
die EL Möglichkeiten für eine Überwin-dung 
der Spaltungen innerhalb der par-teiförmigen 
Linken wie zwischen Intel-lektuellen, 
Zivilgesellschaft und Links-parteien. 
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Fabio Armato ist Mitglied des 
Nationalen Sekretariats 
der Rifondazione Comunista. 
Foto: privat 
Übersetzung: Bodo Acker
16 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg 
Die Rifondazione Comunista hat sich 
sofort zur Bildung eines breitmöglichsten 
Wahlbündnisses und einer Sammlungs-bewegung 
bereit erklärt, auf der Basis des 
Programms der EL und der Unterstützung 
der Kandidatur von Alexis Tsipras. Es 
kommt jetzt darauf an, alle Hindernisse 
und Fallstricke aus den Weg zu räumen 
und in einem demokratischen Prozess, 
ausgehend von der Basis und der Veran-kerung 
in der Bevölkerung, alle jene Kräf-te 
einzubeziehen, die die politischen Ziele 
einer Linken Liste gegen die Austerität 
mitzutragen bereit sind, seien es nun or-ganisierte 
Kräfte oder Einzelpersonen, Be-wegungen 
oder Initiativen – im gegen-seitigen 
Respekt. Der Name Tsipras sym-bolisiert 
bereits eine Haltung. Nun geht es 
darum, der Liste eine klare und bestimm-te 
Ausrichtung und Inhalte zu verleihen: 
Antineoliberal, im Kampf gegen die neo-liberalen 
Kürzungspolitiken, in der Kritik 
an den undemokratischen und autoritär-technokratischen 
Machtmechanismen in 
der EU, an ihren neoliberalen Funda-menten, 
kapitalismuskritische. 
Sinistra ecologia e 
libertà, wichtiger po-tenzieller 
Partner eines 
solchen Wahlbündnis-ses, 
ist dabei in einer 
Im »Geist 
der Abspaltung« 
(Antonio Gramsci) 
für ein anderes, 
sozial-ökologisches 
schwierigen Situation. Die 
Partei hatte sich vor einiger Zeit 
für eine strategische Allianz mit der 
sozialdemokratischen Partito Democra-tico 
und der Einbeziehung in deren Mit-te- 
Links-Bündnis entschieden. Sie hat of-fiziell 
das Aufnahmeverfahren eingelei-tet, 
um Mitglied der Sozialdemokrati-schen 
Partei Europas (SPE) zu werden. 
Sie muss sich nun aber ihrer Basis stel-len, 
die den Schritt, Martin Schultz als 
Spitzenkandidat zu unterstützen, nicht 
gut heißt. Und dies vor dem Hintergrund 
schmerzhaft sinkender Umfragewerte. 
Die SEL betreibt das Spiel der Ambiva-lenz 
und möchte den Raum zwischen 
Schultz und Tsipras besetzen. Konkret 
heißt das: im EU-Parlament stimmen sie 
für Tsipras, treten aber in die europäi-sche 
Sozialdemokratie ein und behalten 
ihre Beziehungen zum Partito Democra-tico 
in Italien bei. Es 
existiert jedoch kein 
Raum zwischen Tsi-pras 
und Schultz: ent-weder 
entscheidet man 
sich für den Kampf gegen die 
Austerität und die sie ausfüh-renden 
Großen Koalitionen, in Itali-en 
wie in Deutschland und Europa, oder 
eben nicht. Die dramatische Situation der 
Krise erlaubt keine taktischen Manöver. 
Die Wähler haben wenig Verständnis für 
Politikerspielchen und nehmen diese als 
unlautere List wahr. Es bleibt unklar, ob 
ein breites Bündnis unter Beteiligung der 
SEL zustande kommen wird. 
Eine linke Anti-Austerity-Liste könnte 
jedoch, wenn sie glaubhaft ist, eine eige-ne 
Ausstrahlungskraft entwickeln und 
Stimmen der Nichtwähler, von Grillo und 
enttäuschten PD-Wählern zurückgewin-nen. 
Aber dafür muss sie eine klare Al-ternative 
vertreten, im »Geist der Ab-spaltung 
«, wie Antonio Gramsci dies einst 
nannte, für ein anderes, sozial-ökologi-sches 
Europa. 
Europa. 
Liste Tsipras. 
Um die Zersplitterung zu 
überwinden 
Von Fabio Amato
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Europalinks ND beilage-2014

  • 1. europalınks Beilage der Tageszeitung neues deutschland in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift LuXemburg Februar 2014 Europa hat eine andere Zukunft Was ist uns Europa? Vor den Wah-len zum Europäischen Parlament im Mai und eine der schwersten Kri-sen vor Augen suchen die Linken auf dem Kontinent nach Antworten. Europa ist mehr als die EU, mehr als ihre von neoliberalen Paradig-men getränkten Institutionen, mehr als der Euro, sagen die einen – und verweisen auf die großen Ideale der Integration, auf die Chancen linker Veränderung. Europa ist das, was uns in Ge-stalt undemokratisch-autoritärer Apparate, als Motor der Militari-sierung und Verwertungslogik, was uns als deutsches Machtprojekt ge-genübertritt, sagen die anderen – und betonen die Dauerhaftigkeit der ökonomischen und politischen Ver-hältnisse, die dem zugrunde liegen. Was ist uns Europa? So wichtig ein – mit Gramsci gesprochen – mitreißender Optimismus des Wil-lens europäischer linker Politik und Praxis ist, so notwendig ist ange-sichts der Krise Europas ein Pessi-mismus des Verstandes. Das Un-behagen gegenüber Brüssel, Stras-bourg, gegenüber einer von der deutschen Regierung orchestrier-ten Krisenpolitik; die Wut ob der sozialen und politischen Folgen, die Hoffnungslosigkeit, die angesichts der schieren Unbeweglichkeit eu-ropäischer Verhältnisse und der momentanen Schwäche der euro-päischen Linken aufkommen kann – all das beruht auf der realen Er-fahrung von Millionen. Und es lässt sich nicht allein mit wohlfeilen Ap-pellen an eine bessere europäische Idee überwinden. Was ist unser Europa?, ist die Frage der Stunde für eine euro-päische Linke, die sich ihrer Schwierigkeiten und Fehler be-wusst ist, die nach neuen Wegen und besseren Antworten sucht – und dabei nicht vergisst, dass es am Ende die Menschen selbst sein wer-den, die über ihre Geschicke ent-scheiden wollen. Ein anderes Europa ist möglich. Und es ist nötig. Die seit 2008 gras-sierende Krise macht den Charak-ter der gegenwärtig herrschenden politischen, ökonomischen und konstitutionellen Grundlagen der EU für alle sichtbar. Die Linken sind aufgerufen, Europa eine andere Zukunft vorzuschlagen. Die hier vorliegende Sammlung, die Beiträge aus Griechenland, Spanien, Frankreich, Kroatien, Ös-terreich, Italien, Deutschland und anderen Ländern zusammen-bringt, soll dazu einen Beitrag leis-ten. Tom Strohschneider Daniel Albarracín Nacho Álvarez Fabio Amato Walter Baier Mario Candeias Stipe Ćurković Giorgos Galanis Thomas Händel Michel Husson Pierre Laurent Francisco Louçã Bibiana Medialdea Sandro Mezzadra Mariana Mortagua Toni Negri Lukas Oberndorfer Özlem Onaran Bernd Riexinger Anne Steckner Armando F. Steinko Alexis Tsipras Stavros Tombazos
  • 2. 2 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Inhalt Mario Candeias, Lukas Oberndorfer, Anne Steckner Neugründung Europas? Strategische Orientierungen 3 Pierre Laurent Ein geschichtlicher Moment. Die Linke und Europa 6 Alexis Tsipras Move Forward. Die Veränderung hat begonnen 8 Daniel Albarracín, Nacho Álvarez, Bibiana Medialdea, Francisco Louçã, Mariana Mortagua, Michel Husson, Stavros Tombazos, Giorgos Galanis, Özlem Onaran Schulden und Euro: Was tun? Ein Manifest 10 Armando Fernández Steinko Ein mediterraner Block? Südeuropa sucht einen Ausweg 12 Fabio Amato Liste Tsipras. Um die Zersplitterung zu überwinden 15 Stipe Ćurković Ein lebendiges Netzwerk: Europa und die Neue Linke in Kroatien 17 Walter Baier Drei Aufgaben. Zeit der Monster und der Mutigen 18 Thomas Händel Soziales Europa? Zukunft in die eigenen Hände nehmen 19 Sandro Mezzadra, Toni Negri Kampffeld Europa: Den neoliberalen Zauber brechen 21 Bernd Riexinger Eine Vision: Einstieg in ein anderes Europa 23 Eine andere EU? Mit links? Diese in Kooperation von »neues deutschland« und »LuXemburg«, der Zeitschrift der Rosa-Luxem-burg- Stiftung entstandene Beilage kann nur einen Ausschnitt aus der Debatte über die Krise Europas und Alternativen dokumen-tieren. »nd« und »LuXemburg« setzen die Diskussion im Internet un-ter anderem mit Beiträgen von Sahra Wagenknecht, Joachim Bi-schoff und Heinz Bierbaum fort. Eine Sammlung an Texten zur lin-ken Europadebatte und zum Wahlprogramm der Linkspartei, un-ter anderem vom Schriftsteller Raul Zelik, findet sich unter dasND.de/europalinks. Weitere Texte gibt es unter www.zeitschrift-luxemburg. de. Die Zeitschrift »LuXemburg« gibt es übrigens ab Heft 1/2014 kostenfrei. Herausgeber Verlag Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin www.neues-deutschland.de, (030) 2978-1111 Redaktion Mario Candeias, Barbara Fried, Rainer Rilling Gestaltung Michael Pickardt Illustrationen Raúl Soria Anzeigen Friedrun Hardt V.i.S.d.P. Tom Strohschneider Druck Druckhaus Schöneweide GmbH, Ballinstr. 15, Berlin GESELLSCHAFTSANALYSE UND LINKE PRAXIS
  • 3. europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 3 Neugründung Europas? Strategische Orientierungen Von Mario Candeias, Lukas Oberndorfer, Anne Steckner Europa ist mehr als die Europäische Uni-on und die EU mehr als ihre neoliberale und zunehmend undemokratisch-autori-täre Gestalt. Doch ist letztere die gegen-wärtig existierende. Simple Bekenntnisse zu Europa oder gar »mehr Europa« ver-fehlen den zu Recht skeptischen Alltags-verstand. Immer wieder wurde die euro-päische Ebene als Hebel genutzt, um So-zial- und Arbeitsrechte auszuhöhlen so-wie Kapital- und Marktlogik zu stärken – und zwar nicht erst seit der Krise 2008, sondern spätestens mit dem Mitte der 1980er Jahre einsetzenden Projekt des europäischen Binnenmarktes. Hieraus die Rückbesinnung auf die Verteidigung nationaler Errun-genschaften abzuleiten ist ebenso kurzschlüssig. Zentrale Richtungsent-scheidungen fallen nach wie vor im eu-ropäischen Rat, also durch nationale Re-gierungen, aber jen-seits nationaler Par-lamente. Die Prekari-sierung der Arbeit ist durch europäische Ent-scheidungen erleichtert worden. Angetrieben wurde sie über nationale Parlamente: die Workfare-Programme in Großbritannien ebenso wie die Agenda 2010 in Deutsch-land. Die Privatisierung kommunaler Stadtwerke ist von der EU gewünscht, be-trieben wurde sie schon zuvor durch klamme Kommunen, die sich dadurch schnelle Einnahmen und Effizienzge-winne versprachen. Dienstleistungen müssen laut EU-Recht europaweit aus-geschrieben werden, doch niemand hatte die Kommunen gezwungen darauf zu verzichten, diese Dienste selbst anzubie-ten. Gerade die Bundesregierung nützt das europäische Krisenmanagement, um die Interessen der deutschen und trans-nationalen Export- und Finanzindustrie durchzusetzen: Neoliberale Politik wird in der ganzen EU verallgemeinert und durch Recht auf Dauer gestellt. Von rechts bedient die AfD im Chor mit anderen rechtspopulistischen Parteien in der EU den Traum von der Rückkehr zur nationalen Währung. Indem sie zur Kri-senbewältigung »imaginäre Gemein-schaften « (Benedict Anderson) be-schwört – ›wir Deutschen‹ ohne Klassen oder andere gesellschaftliche Gegensätze – bedient sie die Sehnsucht nach einem überschaubaren und beeinflussbaren Währungs- und Wirtschaftsraum. Sie malt das Bild einer »imaginären Ökonomie« von Volkswirtschaften, die es längst nicht mehr gibt. Transnationalisierte Produk-tionsnetze und liberalisierte globale Fi-nanzmärkte bestimmen das Bild. Im Ensemble von Institutionen und Abkommen der EU sind lokale, regiona-le, nationale, supranationale und inter-nationale Ebenen zu einem komplexen Geflecht verwoben. Zwar hat dieser Um-stand keineswegs zur Überwindung der Nationalstaaten geführt. Vielmehr spie-len nationale Wettbewerbsstaaten eine entscheidende Rolle im Prozess der Transnationalisierung. Doch übersieht bspw. die Forderung nach einem gere-gelten Euro-Austritt eben diese transna-tionale Qualität: Wie soll auf nationaler Ebene die Reregulierung internationaler Finanzmärkte erfolgen? Wie soll das Aus-spielen von Standorten in transnationa-len Produktionsnetzen verhindert wer-den? Wie soll angesichts globaler Märkte eine national ausgerichtete keynesiani-sche Strategie greifen? Sie würde in kür-zester Zeit mit der Transnationalisierung von Kapitalströmen und Machtstruk-turen kollidieren. National-staatlich beschränkte Politik wird nicht einmal zur Ver-teidigung sozialer Er-rungenschaften aus-reichen. Und auch für Griechenland unter einer möglichen Linksregierung gilt: Sozialismus in einem Land war schon in we-niger transnationali-sierten Zeiten ein gera-dezu unmögliches Unter-fangen. Es gibt keine Möglich-keit des Exodus. Dabei ist nicht jeder Euroskeptiker gleich Nationalist. Es gibt ein wachsen-des Unbehagen gegenüber der EU, auch innerhalb linker Parteien, das nicht dumpf nationalistisch, sondern erfahrungsge-sättigt ist. Dem kann mit der Predigt ei-nes hilflosen Internationalismus nicht be-gegnet werden. Schließlich war in den letzten Jahrzehnten fast jeder Schritt zur europäischen Integration ein Mittel zur Durchsetzung neoliberaler Politiken. Die EU gleicht immer mehr einem wirt-schaftsnahen Lobbyverein, der ange-sichts eines schwachen Europäischen Parlaments kaum der politischen Kont-rolle oder der Beeinflussung durch zivil-gesellschaftliche Auseinandersetzungen unterliegt. Die parteiförmige Linke be-wegt sich also in einem strategischen Di-lemma, welches im Europa-Wahlpro-gramm der LINKEN auf den Punkt ge-bracht wird: »Für DIE LINKE stellt sich keine Entscheidung für oder gegen das ei-ne oder andere – wir führen die Kämpfe dort, wo sie stattfinden, in der EU, in Deutschland, weltweit. Nicht, indem wir uns zurückziehen auf den Nationalstaat, in der Hoffnung, dass sich Löhne und So-zialstandards leichter verteidigen lassen. Nicht, indem wir uns Illusionen machen über die neoliberale Europäische Union.« Autoritärer Konstitutionalismus Neben den Troika-Auflagen für »Hilfs-kredite «, die auch gegen Grund- und Menschenrechte (z.B. das Recht auf Ta-rifautonomie) verstoßen, steht eine New Economic Governance mit diversen Aus-teritäts- und Wettbewerbspeitschen im Zentrum des europäischen Krisenma-nagements. Hierbei werden demokrati-sche Prinzipien und geltendes Rechts, wenn nötig, umgangen oder gebrochen. Das geschieht über den Umweg zwi-schenstaatlicher Abkommen (wie z.B. im Fall des Fiskalpaktes) oder über die eu-roparechtswidrige Einpressung von Se-kundärecht in die geltenden Verträge (wie im Fall der New Economic Gover-nance). Hierbei werden die Exekutivap-parate mit umfassenden Beschluss- und Sanktionskompetenzen ausgestattet, während die parlamentarischen Arenen geschwächt werden – sowohl auf natio-naler wie auf europäischer Ebene. Dieser autoritäre Konstitutionalismus zählt we-der auf Recht noch auf Zustimmung. Sein Zwangscharakter tritt nicht nur in Süd-europa offen zutage. Das heißt: Selbst die im europäischen Recht verdichteten Handlungsräume werden nun zu eng für die Radikalisie-rung des neoliberalen Projekts. Nachdem die Regeln für eine strikte Austeritätspo-litik europaweit auf Dauer gestellt und damit einer demokratischen Infragestel-lung entzogen wurden, geht es nun um eine Europäisierung der im südeuropäi-schen Laboratorium erprobten Struktur-reformen. In den »Verträgen für Wettbe-werbsfähigkeit « sollen sich die Mitglied-staaten gegenüber der Europäischen Kommission zur Deregulierung ihrer Ar-beitsmärkte, zur Reform ihrer Pensions-systeme und zur Senkung ihrer Löhne verpflichten (vgl. Thomas Händel, Seite 19). Die geplanten wie die beschlossenen Instrumente der Krisenpolitik gehen noch wesentlich weiter als das mögliche Frei-handelsabkommen mit den USA. Die Kommission erklärt ganz offen, dass die angedachten Verträge auf die Überwin-dung politischer Widerstände zielen. Die zentrale Konfliktachse im autoritären Konstitutionalismus lautet daher nicht Europa vs. Nationalstaat, sondern euro-päisches Staatsapparate-Ensemble vs. (repräsentative) Demokratie. Strukturelle Selektivität der EU Jeder Versuch einer linken Reform muss sich außerdem mit der strukturellen Se-lektivität der EU-Institutionen auseinan-dersetzen. DIE LINKE etwa fordert daher zu Recht einen »Neustart mit einer Revi-sion jener primärrechtlichen Grundele-mente der EU, die militaristisch, unde-mokratisch und neoliberal sind«, wie es noch im Entwurf des Leitantrages hieß. Entsprechende Vertragsänderungen sind aber schwierig. Das in Artikel 48 des Ver-trages über die Europäische Union fest-geschriebene Prozedere sieht die Zu-stimmung jedes Nationalstaates vor. Durch diese zentrale Rolle im Vertrags-änderungsverfahren können sich Inte-ressen im Wesentlichen nur als nationale Interessen und nur durch ihre Exekuti-ven hindurch artikulieren. Französische ArbeiterInnen sitzen so im selben Boot mit französischen Großbauern und Konzer-nen anstatt nach gemeinsamen Interes-sen mit deutschen oder österreichischen Lohnabhängigen zu suchen. Dieser nati- Es gibt ein Unbehagen gegenüber der EU, das nicht dumpf nationalistisch, sondern erfahrungs-gesättigt ist. Anne Steckner, Sozialwissen-schaftlerin und in der politischen Bildung tätig. Foto: Mauricio Bustamante Lukas Oberndorfer, Wissenschaft-ler in Wien und aktiv im Arbeits-kreis kritische Europaforschung der AkG. Foto: Harri Mannsberger Mario Candeias ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsforschung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Foto: privat
  • 4. 4 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Neugründung Europas? Strategische Orientierungen Von Mario Candeias, Lukas Oberndorfer, Anne Steckner onalstaatliche Flaschenhals führt zu ei-ner Horizontalisierung der Konfliktach-sen: ›Die Deutschen/Österreicher/Belgi-er‹ müssen vermeintlich für ›die Grie-chen/ Portugiesen/Irländer‹ die Zeche zahlen. Klassenwidersprüche, Ge-schlechterhierarchien und andere Macht-verhältnisse werden unsichtbar, die Ver-ursacher der Krise bleiben ungenannt. Zudem ist die komplexe Rechtslage ein Feld für ausgewiesene ExpertInnen mit Spezialkenntnissen: Nur wer sich im ju-ristischen Dschungel der EU zu bewegen weiß, kann Vorschläge einbringen, die ins bisherige Vertragsgefüge passen. Das führt nicht nur zu einer Verrechtlichung und Bürokratisierung der Debatte. Es stärkt auch die Exekutiven und schließt die Bevölkerungen von realer Beteili-gung aus. Darüber hinaus kann das Veto jedes Mitgliedslandes (bzw. seines Staats-und Regierungschefs) dafür sorgen, dass auch nur die kleinste Infragestellung der autoritär-neoliberalen Integration zu-nichte gemacht wird. Ohne den Konsens aller Mitgliedsstaaten keine wesentliche Vertragsänderung. Auf diese Weise kann sich die Vetomacht einer einzigen Regie-rung gegen die große Mehrheit der Be-völkerung in Europa wenden. Auf dieser Grundlage lässt sich eine Neugründung Europas von unten nicht einmal in An-sätzen erringen. Was bedeutet das für strategische Orientierungen der Linken? Kritik des autoritären Krisenmanage-ments und Solidarität Die klare Ablehnung des Krisenmanage-ments war medial durchaus erfolgreich und wurde an der Wählerbasis von Par-teien links der Sozialdemokratie durch-aus positiv aufgenommen. Es gelang, die Ursachen der Krise mit einer Perspektive der Solidarität mit den Krisenopfern zu verbinden, statt sich durch nationalisti-sche Deutungen spalten zu lassen. Sinnvoll bleibt auch, auf nationalem Terrain Möglichkeiten gegen neoliberale und autoritäre Maßnahmen auf europäi-scher Ebene zu nutzen, etwa mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Auch vor europäischen Gerichten, insbeson-dere dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, lassen sich innerhalb des bestehenden Rechts soziale und de-mokratische Rechte verteidigen, z.B. mit Klagen gegen die Economic Governance, den Fiskalpakt, das grund- und kompe-tenzrechtlich nicht gedeckte Vorgehen der EU-Organe im Rahmen der Troika oder gegen das Agieren von Frontex. All diese möglichen Schritte sind wichtiger Teil einer linken Gegenstrategie und er-reichen ein beachtliches Medienecho. Verknüpfung von Krise, Alltag und Kommune Trotz kleiner (kommunikativer) Erfolge zeigt sich, dass das Thema Eurokrise oft schwer vermittelbar ist. Linke Strategien sollten weniger von der großen Krise als vom Lebensalltag der Menschen ausge-hend entwickelt werden: Wie hängen Kri-se und Alltag miteinander zusammen? Was haben meine Probleme mit den For-derungen vieler Menschen in den Kri-senländern zu tun? Wie lässt sich daraus eine gemeinsame, solidarische Perspek-tive entwickeln? Für die am stärksten von der Krise betroffen Länder in Europa ist ein Schuldenaudit eine unverzichtbare Forderung, um sich von der erdrücken-den Schuldenlast zu befreien. Solch ein Audit zielt darauf ab, die Unrechtmäßig-keit der Schulden herauszustellen, in-dem gefragt wird: Muss der Schulden-dienst an jene, eben noch vom Staat ge-retteten Finanzinstitutionen überhaupt geleistet werden? Sind diese Schulden nicht zu großen Teilen illegitim, also un-rechtmäßig? Welche Schulden soll-ten zurückgezahlt werden – und vor allem: welche nicht? Darüber wäre in demo-kratischen Konsultati-ons- und Entschei-dungsprozessen zu beraten. In Deutschland lie-ße sich die Schulden-problematik mit For-derungen verknüpfen, die der Situation hier-zulande Ebene so einzusetzen, dass europäische Ver-hältnisse entsprechen. Ein Es geht darum, Möglich-keiten auf nationaler wichtiges Thema wäre die Schuldenbremse. Sie bedroht die ohnehin schon recht prekäre Fi-nanzlage in Bewe-gung geraten. der Kommunen ganz unmittel-bar. Die Einschränkung von öffentlichen Leistungen bekommt die Bevölkerung di-rekt zu spüren. Zahlreiche Auseinander-setzungen um die soziale Infrastruktur, von der Ausstattung der Schulen über ausreichende Kindergartenplätze, öf-fentlichen Nahverkehr, die Rekommu-nalisierung von Wasserwerken und Ener-gieversorgern bis hin zu Kämpfen um be-zahlbaren Wohnraum, spielen sich auf kommunaler Ebene ab. Hier ist die Krise am deutlichsten zu spüren. Und es ste-hen zahlreiche Kommunalwahlen an. Ein Beispiel für eine europaweit ver-bindende Perspektive unterschiedlicher Kämpfe um soziale Grundbedürfnisse wäre die Arbeit an einer Forderung für ei-ne entgeltfreie soziale Infrastruktur für alle, eine bedingungslose sozial-ökologi-sche Grundversorgung in den Bereichen Energie, Wasser, Mobilität, Internet etc., sowie kostenlose Gesundheit und Bil-dung. Europäische Bewegungen und trans-nationale Widerstände Die Eröffnung des neuen EZB-Hochhau-ses im Jahr 2014 und die Neuauflage der Blockypy-Proteste in Frankfurt können als Verdichtungspunkt transnationaler Or-ganisierung eine wichtige symbolische Bedeutung entfalten. Wichtiger noch als das Ereignis selbst dient die Mobilisie-rung dem europaweiten Austausch über gemeinsame Strategien und Aktionen. Dabei konnte die Orientierung auf na-tionale und europäische Schuldenaudits von unten bislang nicht die gewünschte Dynamik entfalten. So wichtig dies ist, so sehr drehen sich die Leidenschaften der Vielen auch bei den Bewegungen eher um alltagsnahe Kämpfe im prekä-ren Leben: Gesundheit, Ausbildung, Er-nährung und Wohnen – ob in Istanbul oder Berlin, Detroit oder Madrid. In Spa-nien sind die darin involvierten Organi-sationen ein institutionell-strategisches Rückgrat der gesamten Mobilisierung und können sogar erste substanzielle Er-folge vorweisen. Auch bei uns gehören Mobilisierungen gegen Zwangsräumun-gen oder Initiativen wie Kotti&Co und für ein Recht auf Stadt zu den Hoffnungs-zeichen einer ansonsten wenig bewegli-chen bundesdeutschen Protestgesell-schaft. Doch wie können die lokalen Kämpfe transnational ver-knüpft werden? Mit ge-meinsamen Aktionstagen ist ein Anfang gemacht. Blockupy kann dafür genutzt werden, lo-kale und transnatio-nale Perspektiven zusammenzubringen. Eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen Zwangsräumung und Vertreibung und für bezahlbares Wohnen wäre möglicherweise eine unterstüt-zende Initiative, die den Alltags-kämpfen einen europäischen Resonanz-raum geben könnte. Der Forderung nach Kommunalisierung von leerstehenden Wohnungen und nach demokratisch ver-waltetem, sozial-ökologischem Wohn-raum müssten klare Finanzierungsquel-len, wie die Trockenlegung von Steuer-oasen und eine europaweite Harmoni-sierung der Unternehmenssteuern, ge-genübergestellt werden. Auch wenn die Kommission sich vor-erst für unzuständig erklären könnte, wä-re darüber die Asymmetrie zwischen wirtschaftlicher und sozialer Integration thematisierbar. Die erste EBI gegen die Privatisierung der Wasserversorgung war erfolgreich und erzwang, dass sich die Kommission mit den Forderungen zu-mindest auseinandersetzen musste: Sie klammerte daraufhin Wasser und sani-täre Grundversorgung von der geplanten europäischen Konzessionsrichtline aus. Der EBI voraus gingen z.B. das Volksbe-gehren gegen die Privatisierung kom-munaler Dienstleistungen in Italien (2007) und der Volksentscheid zur Re-kommunalisierung der Wasserbetriebe in Berlin (2011). So könnte auch eine EBI gegen Zwangsräumungen und Vertrei-bung mit anderen Initiativen auf kom-munaler und nationaler Ebene verknüpft werden. Sofern eine solche Initiative nicht mit der Bewegung an sich verwechselt wird, sondern diese begleitet und mit ihr ver-bunden ist, kann sie ein mobilisierendes Moment sein. Zurzeit planen die Ge-werkschaften des DGB mit europäischen Schwesterorganisationen eine EBI zur
  • 5. europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 5 Realisierung eines »Marschall-Plans für Europa«. Wäre dieser Prozess begleitet von einer Debatte innerhalb des EGB, mit den jeweiligen Gewerkschaften bis hin zu den betreffenden Regionen in den Kri-senländern, die den Plan mit konkreten Ideen für seine Umsetzung vor Ort er-gänzen, könnte dies eine sinnvolle Kam-pagne werden. Andernfalls bliebe es ein isolierter Versuch, Einzelforderungen durchzusetzen. Im Unterschied dazu betreiben die Be-wegungen gegen Zwangsräumung in Spanien – wie die Plattform der von den Hypotheken Betroffenen (PAH) – ihre Organisierung als Arbeit an der breiten Neuformierung der Linken für eine wei-tergehende gesamtgesellschaftliche Ver-änderung. Jeder konkrete Einzelerfolg ist zwar individuell bedeutsam, verpufft je-doch, wenn er nicht zugleich die Hand-lungsfähigkeit der Vielen und die Orga-nisationsmacht der Bewegung stärkt. Vorschläge für eine programmatische Reform der EU Die vielen nach vorne gerichteten Vor-schläge linker Parteien zur Bearbeitung der Eurokrise und zur sozialen Gestal-tung Europas könnten noch deutlicher als Elemente eines solidarischen Prozesses der Neukonstitution Europas vertreten werden: erstens durch kurzfristige Kri-senintervention soziale und finanzielle Not von den Menschen abwenden – zu-lasten derjenigen, die die Krise verur-sacht und mit ihr noch Profite gemacht haben; zweitens einen alternativen wirt-schaftlichen Entwicklungspfad in Europa möglich machen, der soziale und ökolo-gische Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt; und drittens eine langfristige Visi-on für die Zukunft der europäischen Ei-nigung zur Diskussion stellen. Zugleich deuten sich in der gegen-wärtigen EU-Politik Veränderungen herrschender Politik an, die gewisse De-battenräume öffnen. Diese Verschie-bungen können genutzt werden, um lin-ken Vorschlägen mehr Gehör zu ver-schaffen: Wie könnte eine kooperative europäische Wirtschaftskoordination aussehen, was wären Elemente einer so-zial- ökologischen Industriepolitik in Eu-ropa, wie wären solidarische Perspekti-ven europäischer Arbeitsteilung zu ent-wickeln? Vor falschen Hoffnungen sollte man je-doch auf der Hut sein: Linke Reformen in-nerhalb des autoritären Konstitutionalis-mus der EU sind aufgrund der genannten Selektivitäten kaum durchsetzbar. Viel-mehr droht mit sinnvoll erscheinenden Reformen die Vertiefung neoliberaler Po-litik: So wird Industriepolitik im Sinne der Kommission auf verbesserte Wettbe-werbsbedingungen und Zugang zu Märk-ten reduziert. Ansätze einer europäi-schen Arbeitslosenversicherung zur kon-junkturellen Abfederung von Krisen soll in einzelnen Mitgliedsstaaten an eine weitere Flexibilisierung von Arbeits-märkten gekoppelt werden. Strategien eines demokratisierenden Bruchs Es ist fraglich, wie lange die gegenwär-tige Regierung in Griechenland noch hält. Für die Herrschenden in Europa ist dies ein Fanal, sie fürchten den Präze-denzfall: Gelänge es dem Bündnis der ra-dikalen Linken, Syriza, dem drakoni-schen Kürzungs- und Wettbewerbsdiktat wirksamen Widerstand entgegenzuset-zen, droht ein politischer Dominoeffekt. In Griechenland haben sich breite Be-wegungen organisiert, wodurch die Lin-ke bei den Wahlen reüssiert. Die For-mulierung eines klaren Antagonismus führte das Bündnis nicht in die Isolation. Vielmehr scheint es zu gelingen, die in den Bewegungen und größeren Teilen der Bevölkerung geäußerten Leiden-schaften und Forderungen aufzuneh-men und zu verdichten: Gegen die au-toritär- neoliberale EU und die Macht des Finanzkapitals, aber für Europa. Auf in-telligente Weise umgeht Syriza die Di-lemmata, in denen sich die Linke in Eu-ropa sonst häufig verfängt. Es geht also darum, Möglichkeiten auf nationaler Ebene so einzusetzen, dass europäische Verhältnisse in Bewegung geraten. Die demokratische Neugrün-dung Europas wäre das Ziel. Möglicher-weise wird diese Perspektive aber erst durch ein Ereignis geöffnet, gar hervor-gebracht, das in nur einem Land einen ef-fektiven Bruch erzeugt: etwa durch eine griechische Linksregierung, die die Kür-zungspolitiken der Troika zurückweist, Neuverhandlungen und einen Schul-denschnitt erzwingt, Kapitalverkehrs-kontrollen einführt, Steuerreformen umsetzt und mit einem sozial-ökologi-schen Umbau des Wirtschaftens beginnt. Das politische Risiko, gegen Europa-recht zu verstoßen, ist einzugehen. An-dere werden folgen. So könnten die in ei-nem oder mehreren Ländern begonne-nen Reformschritte innerhalb Europas ausgedehnt werden. Doch stellt sich die-se Perspektive bislang realistisch nur in Griechenland. Und die Herrschenden tun alles, um eine solche Position zu isolie-ren. Und doch ist die Unzufriedenheit mit der Politik und den Institutionen der EU so groß, dass Brüche mit den geltenden Regeln, quasi ein staatlicher ziviler Un-gehorsam aus Notwehr, durchaus auf Zustimmung treffen könnte. Verfassungsgebende Prozesse und Neugründung Europas Das Grundsatzprogramm der LINKEN formuliert einen anspruchsvollen Aus-gangspunkt: »Wir setzen uns […] weiter für eine Verfassung ein, die von den Bür-gerinnen und Bürgern mitgestaltet wird und über die sie zeitgleich in allem EU-Mitgliedsstaaten in einem Referendum abstimmen können. Wir wollen nicht we-niger als einen grundlegenden Politik-wechsel. « Angesichts der hochgradig vermacht-eten EU-Institutionen müssen linke Par-teien in Europa scheitern, wenn sie nicht darauf hinarbeiten, die Anordnung der Strukturen selbst zu verändern und das Terrain des Kampfes zu verschieben: Oh-ne grundlegende Infragestellung und Schaffung neuer Institutionen bliebe auch eine linke Regierung in Spanien oder Griechenland chancenlos. Die Asymmet-rien der Macht in Europa sind ungeheu-er. So wäre die alleinige Konzentration aufs Parlament innerhalb des europäi-schen Ensembles von Staatsapparaten ei-ne Selbstbeschränkung auf ein nahezu hoffnungslos vermachtetes Terrain. Es gälte daher, einen Terrainwechsel zu vollziehen und demokratische Gegen-institutionen aufzubauen. Ein partizipa-tiver, lokal und überregional verknüpfter verfassungsgebender Prozess der Bera-tung und Organisierung in Räte-Struk-turen – von den Vierteln bis zur europäi-schen Ebene – hätte die enorme Aufgabe zu bewältigen, vielfältige Positionen der gesellschaftlichen Linken zu einer ge-meinsamen Alternative zu verdichten. Zahlreiche gesellschaftliche Kräfte in Südeuropa und darüber hinaus diskutie-ren in diese Richtung. Am Ende stünde ei-ne verfassungsgebende Versammlung für Europa, die zumindest durch allgemeine und gleiche Wahlen zusammengesetzt sein müsste – eine Strategie, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Ein-dringen der Massen in die Politik er-möglicht hat. Ein solcher Prozess wäre ein wichti-ger Verdichtungspunkt einer bereits be-gonnenen Dynamik für ein anderes Eu-ropa. Er kann begonnen werden ohne ein Mandat der gegebenen Institutionen. So ließe sich die Mobilisierung gegen die Hauptquartiere der Macht und gegen das europäische Ensemble von Staatsappa-raten mit ihrer notwendigen Umgestal-tung verbinden: nicht weiter mit diesem Herrschaftsprojekt EU! Es gälte, die durch die EU-Institutionen erzwungene horizontale Konfliktachse zwischen na-tionalen Interessen in eine vertikale Ach-se zwischen den subalternen Gruppen und Klassen in der EU einerseits und den herrschenden Machtgruppen und domi-nanten Kapitalfraktionen andererseits zu drehen. Ein solcher Prozess könnte – an-ders als richtige, aber nicht durchsetz-bare Einzelforderungen – eine größere Wirkung entfalten, weil es ums Ganze geht und alle Menschen sich potenziell beteiligen können: Welches Europa wol-len wir? Wie wollen wir darin leben? Zu-gleich unterbricht er die katastrophale Kürzungsmaschine, klagt Zeit ein und nimmt sie sich – für eine wirkliche Neu-gründung Europas. Zuvor braucht es jedoch auch auf eu-ropäischer Ebene einen effektiven Bruch. Dieser ist unmittelbar auf transnationa-ler Ebene nicht zu erwarten. Ohne den Sturz der neoliberalen Regierungen droht das Potenzial eines verfassungsgebenden Prozesses zu verpuffen. Bruch und Neu-gründung sind keine Gegensätze, sie ver-weisen aufeinander. Neugründung Europas? Strategische Orientierungen Von Mario Candeias, Lukas Oberndorfer, Anne Steckner
  • 6. 6 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Ein geschichtlicher Moment. Die Linke und Europa Von Pierre Laurent Wir erleben in Europa einen historischen Moment. Die EU befindet sich in einer existenziellen Krise, alle Grundlagen der europäischen Integration, alle EU-Ver-träge sind in Frage gestellt. Ich werde die schreckliche Krise, die unser Kontinent durchlebt nicht erneut beschreiben. Wir alle kennen ihre Auswirkungen. Statt-dessen will ich mich darauf konzentrie-ren, Europa eine andere Zukunft vorzu-schlagen. Die europäischen Regierungen, Skla-ven ihren Dogmen, haben keine Vision für Europa. Sie sind dabei, die Idee eines Eu-ropas der Kooperation und der Solidarität zu beerdigen. Der Autoritarismus raubt den Menschen und Parlamenten immer mehr Einfluss. In den Ländern, die dem Diktat der Troika unterworfen sind, haben drakonische Maßnahmen, die der Bevöl-kerung wie Strafen aufgezwungenen wer-den, das europäische Modell und seine Re-präsentanten in Misskredit gebracht. In trüben Wassern fischend versucht die ext-reme Rechte diese Skepsis für sich zu nut-zen. Die Gefahren sind ernst: Es geht um die Durchsetzung einer immer autoritärer werdenden Europäischen Union, um die Rückkehr eines »Einzelkämpfertums« im Dschungel der Globalisierung, ja sogar um die Rückkehr von Kriegen, von National-chauvinismen und Rassismus. In dieser Situation werden Stimmen lauter, die für den Rückzug des einen oder anderen Landes aus der Euro-Zone plä-dieren, was früher oder später zu deren Auflösung führen würde. Die Debatte durchzieht auch die Linke. Es ist ver-ständlich, dass einige solche Schritte in Betracht ziehen – aus Verzweiflung und weil das Kürzungsdiktat die einzige Pers-pektive zu sein scheint. Dennoch handelt es sich aus unserer Sicht um einen fal-schen, sogar gefährlichen Weg. In der er-barmungslosen Welt, in der wir leben, würden die Subalternen in verschärfte Konkurrenz zueinander gesetzt, müssten einen gnadenlosen Wirtschaftskrieg aus-tragen. Die großen Unternehmensgrup-pen und die hegemonialen Staaten wä-ren die einzigen Gewinner eines solchen »Einzelkämpfertums«. Um Solidarität und Kooperation zu fördern, die uns so dra-matisch fehlt, wäre eine radikal andere Europäische Union nötig: ein auf völlig anderen Grundlagen neu gegründetes Europa. Die Situation in Osteuropa ist beson-ders besorgniserregend. Die Einwohner- Innen dieser Länder laufen Gefahr, zu Geiseln der Konfrontation zwischen den Mächten – EU gegen Russland – zu wer-den; zu Geiseln der Konfrontation natio-naler Oligarchien um die Kontrolle über Ressourcen und Märkte. Die Eckpunkte der Neugründung sind folgende: – ein Ende der Austeritätspolitik und ei-ne Umkehr zu sozialer, ökologischer und solidarischer Entwicklung, zu öf-fentlichen Dienstleistungen. – die Übermacht der Finanzmärkte muss zerschlagen werden, indem Schulden neuverhandelt und ihr illegitimer Teil erlassen wird, und indem die Rolle der EZB so neu bestimmt wird, dass sie da-zu beiträgt eine soziale Entwicklung zu finanzieren. – wir müssen die Durchsetzung von so-zialen Rechten und Menschenrechten in ganz Europa voran bringen – sie müssen nach und nach an den jeweils höchsten Stand angeglichen werden. – wir müssen gerechte Handelsbezie-hungen unter den europäischen Staa-ten und mit dem Rest der Welt auf-bauen - zunächst gilt es das Projekt ei-nes Transatlantischen Freihan-delsabkommens zu stop-pen. – ein friedliches Europa muss die NATO ver-lassen, Abrüstung betreiben und an politischen, nicht-militärischen Lö-sungen von Kon-flikten arbeiten. – Zu guter Letzt geht es darum, die Demo-kratie befindet sich in einer existenziellen Krise, alle Grundlagen der Integration sind (wieder)herzu-stellen: die Bevölkerung Die EU infrage gestellt. muss das letzte Wort über strukturelle Entscheidungen in der EU haben, ihre Souveränität und die heu-te lächerlich gemachten Parlamente müssen wieder respektiert werden. Wir alle sind dieses Europa, das mit allen Mitteln nach menschlicher Emanzipation sucht. Wie können wir auf diesem Weg voran kommen? Die Europäische Linke hat sich an vielen Bündnissen beteiligt, die für eine – wie wir es nennen – »soziale und politische Front in Europa« zentral sind. Sie hat ih-re Zusammenarbeit mit sozialen und ge-werkschaftlichen Bewegungen intensi-viert und eine Politik verfolgt, die darauf zielt, neue gesellschaftliche Kräfte und politische Akteure zu gewinnen. Wir wollen unsere Beziehungen mit ei-ner ganzen Reihe von linken Kräften in Europa intensivieren. Ich denke an den Balkan, die nordischen Ländern, Groß-britannien, die Länder im Osten. Wir schlagen vor, unsere Statuten so zu än-dern, dass andere Parteien »Partner«-Or-ganisationen der Europäischen Linken werden können. Auf diese Weise wollen wir die Zusammenarbeit verbessern und unsere Strahlkraft vergrößern. Wir haben an einer Annäherung mit dem Sao Paulo-Forum, den Organisatio-nen der lateinamerikanischen Linken und der mediterranen Linken gearbeitet. All das ist von großer Bedeutung. Wir wol-len, dass dieser Austausch in praktisches Handeln mündet, für eine konkrete Transformation Europas, der Welt und des Lebens der Menschen. Ein Symbol der Hoffnung Die Europäische Linke ist nicht mehr nur ein Ort des politischen Austauschs. Sie ist eine Partei der konkreten Zusammenar-beit, der Aktion – eine Partei der Verän-derung. Wir schlagen vor, dass die Europäi-sche Linke Kampagnen durchführt, die es ermöglichen, kämpferisch und bürger-schaftlich neue gemeinsame Ziele zu ver-folgen. Darum ging es bei der Europäi-schen Bürgerinitiative, die wir ins Leben gerufen haben, um eine öffentliche eu-ropäische Bank oder einen Fonds für so-ziale und ökologische Entwicklung zu gründen. In diesem Sinne wollen wir im Jahr 2014 eine große Kampagne gegen das Transatlantische Freihan-delsabkommen starten, zu-sammen mit Bewegun-gen und NGOs. Das Freihandelsabkommen ist für die Europäe-rInnen ebenso ge-fährlich wie für die Menschen im Rest der Welt. Seine Inhalte müssen offengelegt werden. Wir können die Unterzeichnung des Ab-kommens verhindern – un-sere lateinamerikanischen Freunde haben es uns mit dem ALCA-Ab-kommen vorgemacht. Nichts ist ent-schieden. Außerdem wollen wir im März einen Schuldengipfel in Brüssel organisieren. Diese Positionen müssen wir auch in den Europa-Wahlkampf tragen. Schulden sind zu einer ideologischen Waffe geworden, um eine Politik sozialer Ungleichheit und das Kürzungsdiktat zu legitimieren. Wir wollen die Austerität stoppen, eine Bele-bung der Wirtschaft anders finanzieren und den Reichtum wieder gerechter ver-teilen. Schließlich möchte ich betonen, dass wir 2014 – dem hundertsten Jahrestag des Ersten Weltkriegs – Friedensinitiativen starten. Ich denke besonders an Veran-staltungen, die Anfang des Jahres in Ver-dun und später in Sarajewo stattfinden werden. Wir setzten uns für ein stärkeres poli-tisches Zusammenwachsen ein. Die EL schlägt vor, jedes Jahr ein »Europäisches Forum der Alternativen« zu veranstalten – als neuen, offenen Raum für alle Orga-nisationen und gesellschaftlichen Kräfte, die an einer Zusammenarbeit mit uns in-teressiert sind. Das erste Forum könnte im Herbst 2014 stattfinden, in einer neu-en, aus den Wahlen hervorgegangenen politischen Landschaft. Selbstverständlich sind alle unsere po-litischen Anstrengungen bis Mai 2014 auf die Vorbereitung der europäischen Wah-len gerichtet. Wir sehen auch die Gefahr der radikalen Rechten. Die Vorsitzende der Front National, Marine Le Pen, ist ge-rade durch die europäischen Hauptstäd-te gereist, um die Gründung einer rechts-extremen Fraktion im Parlament vorzu-bereiten. Sie werden versuchen, auf der Welle einer Europa-Ablehnung zu reiten. Pierre Laurent ist Vorsitzender der Europäischen Linken. Dies ist die gekürzte Fassung seiner Eröffnungsrede zum Kongress der Europäischen Linken, Madrid, 15. Dezember 2013 Foto: dpa/Maxppp/Hugues Leglise Bataille Übersetzung: Raul Zelik
  • 7. europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 7 Die Sozialdemokraten werden sich be-mühen, als Bollwerk gegen diese Gefahr zu erscheinen. In einer gemeinsamen, am 23. Oktober in Berlin veröffentlichten Er-klärung verkünden die deutsche Sozial-demokratie und die französischen Sozia-listen von François Hollande: »Wir wollen neues Vertrauen in Europa schaffen, in-dem wir für den Wandel in Europa, für ein demokratischeres, sozialeres und nachhaltigeres Europa werben. Das ist es, was wir den Menschen als Vorschlag für die Europawahlen 2014 unterbreiten möchten.« In dieser Erklärung bekundet die französische Sozialistische Partei au-ßerdem ihre Unterstützung für Martin Schulz als Vorsitzenden der Europäischen Kommission. Aber welche Glaubwürdig-keit haben sie noch, wo doch die SPD jetzt Stakeholder einer Großen Koalition unter der Führung von Angela Merkel ist? Sie halten die Menschen zum Narren. Dazu bieten wir eine linke Alternative – ›wir‹ das sind all jene, die wie wir eine Stärkung der GUE-NGL, der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grü-nen Linken anstreben. Die Europäische Linke hat sich entschlossen, für diese Auf-gabe einen Kandidaten für den Vorsitz der Europäischen Kommission zu nominie-ren: Alexis Tsipras. Diese Entscheidung gründet auf dem Wunsch, Europa zu ei-nigen und es auf einer demokratischen und fortschrittlichen Grundlage neu zu begründen. Für die Europäische Linkspartei ist die-se Kandidatur ein starkes Symbol der Hoffnung für Europa. Griechenland hat der Austeritätspolitik als Versuchskanin-chen gedient. Aber Griechenland hat Wi-derstand geleistet und leistet ihn immer noch. Syriza hat es verstanden, unter-schiedliche gesellschaftliche Kräfte gegen die barbarischen Memoranden, gegen den Autoritarismus und für eine Wiederbele-bung Griechenlands innerhalb eines so-lidarischen Europas zu vereinen. Die Stimme von Alexis Tsipras ist die Stimme der Hoffnung und des Widerstands ge-gen eine ultraliberale Politik und gegen die Drohung der radikalen Rechten. Die-se Kandidatur könnte zahlreiche Bürger und politische Organisationen zusam-menbringen.
  • 8. 8 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Move Forward. Die Veränderung hat begonnen Von Alexis Tsipras Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Europa ist an einem kritischen Scheide-weg angelangt, und es gibt zwei Rich-tungen, die es einschlagen kann: Entwe-der entscheiden wir uns für Stillstand oder wir bewegen uns vorwärts. Entwe-der wir finden uns mit dem neoliberalen Status quo ab und tun so, als könne die Krise mit derselben Politik gelöst wer-den, die sie hervorgerufen hat, oder wir machen uns mit der europäischen Linken daran, die Zukunft in unsere Hand zu nehmen. Denn der Neoliberalismus be-droht die Existenz der Menschen überall in Europa und damit ist auch die Demo-kratie in Gefahr, insbesondere durch das Erstarken der extremen Rechten. Diejenigen, die behaupten, dass die verabreichte »Medizin« zum Kurieren der Krise geführt hat, sind Heuchler. Denn der europäische Traum hat sich für Millionen von Menschen in einen Albtraum ver-wandelt. Umfrageergebnisse des Euro-barometers zeigen, dass wir es mit einer erheblichen Vertrauenskrise in der EU zu tun haben und dass die Popularität der ultrarechten Parteien wächst. Wir waren es, die europäische Linke, die noch vor der Etablierung der Euro-zone zu Recht vor den Schwächen, Män-geln und destabilisierenden Ungleichge-wichten dieses Projektes gewarnt haben. Aber die Eurozone existiert nun einmal. Wir haben eine Wirtschaftsunion und ei-ne gemeinsame Währung, und die un-mittelbaren Alternativen sind kei-nen Deut besser. Ein Aus-scheiden aus der Eurozone würde keinem Krisen-staat etwas nutzen. Im Gegenteil. Damit wür-den nur neue Proble-me entstehen wie ei-ne instabile Wäh-rung, ein möglicher Sturm auf die Banken, Inflation, Kapitalflucht und massenhafte Ab-wanderung. Schon des-halb sollte etwa Griechen-land nicht freiwillig die Euro-zone verlassen. Das Ausscheiden Grie-chenlands oder eines der anderen Kri-senländer wäre eine Katastrophe für ganz Europa. Denn sobald ein Land aus der Währungsunion austritt, werden die Märkte und die Spekulanten sofort da-rauf reagieren und fragen, wer der Nächs-te ist. Dies ist ein Prozess, der – einmal be-gonnen – nicht mehr zu stoppen ist. Unser Interesse als EuropäerInnen ist ein anderes: Wir wollen die Eurozone verändern. Und hier stellen sich drei Auf-gaben: Erstens müssen wir in Bezug auf Europa neue Ideen entwickeln, zweitens müssen wir dementsprechend eine ver-änderte Krisenpolitik betreiben und drit-tens müssen wir zwangsläufig die Insti-tutionen, ja die ganze Grundlage der EU verändern. Diesen politischen Kampf müssen wir an zwei Fronten führen: zum einen zu Hause, zum anderen in Brüssel, Frankfurt und Berlin. Denn das europäische Establishment hat die Schuldenkrise zum willkomme-nen Anlass genommen, die wirtschaftli-che und politische Nachkriegsordnung Europas in seinem Sinne umzugestalten. Aus diesem Grund lehnen sie auch unse-ren Vorschlag ab, eine europäische Schul-denkonferenz einzuberufen, die sich an der Londoner Konferenz zur Regelung der Auslandsschulden von 1953 orientieren soll und auf der eine endgültige und trag-fähige kollektive Lösung für das Problem erarbeitet werden könnte. In Europa kämpfen... Denken wir uns für einen Moment zu-rück in die Vergangenheit: Es ist der 27. Februar 1953. Die Bundesrepublik Deutschland ächzt unter ihrer Schulden-last und droht die übrigen europäischen Länder in einen Krisenstrudel mit hi-neinzuziehen. Die Gläubigerstaaten, da-runter Griechenland, machen sich ernst-hafte Sorgen um ihre eigene Zukunft. Erst in dieser Situation begreifen sie, was ab-gesehen von den Neoliberalen längst al-len klar war: Die Politik der »internen Ab-wertung « – gemeint ist eine Senkung der Lohnkosten – sorgt nicht dafür, dass die Schulden abbezahlt werden können. Ganz im Gegenteil. Auf einem Sondergipfel in London be-schließen 21 Staaten, ihre Forderungen an die tatsächliche wirtschaftliche Leis-tungsfähigkeit der Schuldnerländer an-zupassen. Sie streichen 60 Prozent der deutschen Schulden, ge-währen dem Land ein fünf-jähriges Zahlungsmora-torium (von 1953 bis 1958) und verlängern die Rückzahlungsfrist um 30 Jahre. Über-dies führen sie eine Art Nachhaltigkeits-klausel ein: Demnach muss Deutschland nicht mehr als ein Zwanzigstel seiner Ex-porteinnahmen für den Schuldendienst aufwenden. Diese Beschlüsse waren also das ge-naue Gegenteil des Versailler Vertrags von 1919 und bildeten die Grundlage für die erfolgreiche wirtschaftliche Ent-wicklung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Nichts anderes fordert heute die »Ko-alition der Radikalen Linken« (SYRIZA). Wir sollten uns also daran machen, all die vielen Mini-Versailler-Verträge, die Bun-deskanzlerin Merkel und ihr Finanzmi-nister Schäuble den europäischen Schuldnerstaaten aufgeherrscht haben, wieder rückgängig zu machen. Lassen wir uns also von jenem großen Tag in der jün-geren Geschichte Europas inspirieren, an dem seine Führung so viel außerge-wöhnliche Weitsicht unter Beweis ge-stellt hat. Die verschiedenen Rettungs-programme für die südeuropäischen Län-der sind gescheitert. Sie haben ein Fass ohne Boden hinterlassen – die Zeche da-für müssen, wie meistens, die einfachen SteuerzahlerInnen zahlen. Nun bestehen die politischen Eliten in Europa – die sich freiwillig in die Geisel-haft von Frau Merkel begeben haben – aber darauf, diese Maßnahmen, die die Probleme in den südlichen Ländern nur verschlimmert haben, auf den gesamten Euroraum auszudehnen. Wir dagegen meinen, dass Europa einen »New Deal« benötigt, um das Problem der Arbeitslo-sigkeit in den Griff zu bekommen und um ausreichend Mittel für die Finanzierung der Zukunft unserer Länder zu generie-ren. Europa benötigt mehr Umverteilung und Solidarität, wenn es überleben will. Dies sind die Grundpfeiler des neuen Europas, für das wir uns engagieren und kämpfen. Es soll an die Stelle des heuti-gen Europas treten, das unter den Armen nur Angst und Schrecken verbreitet, wäh-rend es das Vermögen der Reichen an-wachsen lässt. In Griechenland hat das Memorandum eine für die Nachkriegs-zeit beispiellose humanitäre Krise nach sich gezogen. Sie stellt eine Schande für die europäische Zivilisation dar. Zwei Millionen GriechenInnen sind nicht mehr in der Lage, Grundbedürfnisse zu befrie-digen, es fehlt an Geld für ordentliche Mahlzeiten und zum Heizen. Vor kurzem ist in Thessaloniki ein Mädchen an einer Rauchvergiftung gestorben, weil ihre Fa-milie die Stromrechnung nicht bezahlen konnte und versucht hatte, die Wohnung mit Hilfe eines selbst installierten Holz-ofens zu beheizen. In Athen und anderen größeren Städten gehört es inzwischen zum Alltag, dass gut gekleidete Frauen und Männern in Mülltonnen nach Essen wühlen. Eine Währungsunion, die zu ei-ner Spaltung ihrer Mitgliedsstaaten und deren Gesellschaften führt, die für wach-sende Arbeitslosigkeit verantwortlich ist und für ein Mehr an Armut und sozialer Polarisierung steht, muss entweder um-gestaltet werden oder wird zusammen-brechen. Eine Umgestaltung bedeutet ei-nen grundsätzlichen Wandel. ...und zu Hause Vergessen wir jedoch nicht die anderen Ursachen der griechischen Finanzkrise. So hat sich in Griechenland nach wie vor nichts an der Verschwendung öffentli-cher Gelder geändert. Nirgends in Euro-pa kommt etwa der Bau eines Kilometers Straße teurer wie hier. Ein weiteres Bei-spiel: Die Privatisierung der Autobahnen dient angeblich der »Vorfinanzierung« neuer Strecken – deren Bau ist aber auf Eis gelegt, gefüllt werden die Taschen der »Investoren«. Die wachsende Ungleichheit kann da-her nicht einfach als Nebeneffekt der Kri-se abgetan werden. Das griechische Steu-ersystem ist ein Ausdruck von Klientelis-mus, der die Eliten des Landes zusam-menschweißt. Dank zahlloser Ausnah-meklauseln ist das System löchrig wie ein Sieb, wobei die zahlreichen Ausnahme-regelungen und Vergünstigungen spezi-ell auf die Oligarchen zugeschnitten sind. Diejenigen, die behaupten, dass die verabreichte »Medizin« zum Kurieren der Krise geführt hat, sind Heuchler. Alexis Tsipras ist Spitzenkandidat der Europäischen Linken für die Wahlen zum Europäischen Parla-ment und damit zugleich für das Amt des Präsidenten der Europäi-schen Kommission. Foto: dpa/Manuel De Almeida Übersetzung: Britta Grell
  • 9. europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 9 Dieses Arrangement beruht seit dem Ende der Diktatur auf einem informellen Pakt zwischen Unternehmern und der doppelköpfigen Hydra des Zweipartei-ensystem, bestehend aus Nea Dimokratia und Pasok. Das ist einer der Gründe, wa-rum der griechische Staat bis heute nicht die so dringend benötigten Steuern von den Wohlhabenden eintreibt, sondern vorzugsweise die Löhne und Renten kürzt. Aber das politische Establishment – das übrigens die letzten Wahlen nur überlebt hat, weil es erfolgreich die Angst der Menschen vor einem Ausscheiden aus der Eurozone schüren konnte – verfügt noch über ein zweites Lebenselixier: die Kor-ruption. Die geheimen Absprachen zwi-schen den politischen und wirtschaftli-chen Eliten aufzubrechen, gehörte daher zu den Prioritäten einer von SYRIZA an-geführten popularen Regierung. Wir for-dern ein Schuldenmoratorium also auch, um in Griechenland einen grundlegen-den Wandel herbeizuführen. Der Wandel Europas ist übrigens weit mehr als eine längst fällige Forderung, es handelt sich vielmehr um eine existenzi-elle Frage. In Griechenland hat der Pro-zess des Wandels bereits begonnen. SY-RIZA ist nur noch einen Schritt von der Machtübernahme entfernt. Die gegen-wärtige griechische Regierung versucht der EU dadurch zu imponieren, dass sie die Rolle des »Musterzöglings« spielt. Aber auch das hat ihr nichts gebracht. Nehmen wir als Beispiel die Zusage, die griechische Schuldenlast zu mindern. Die Debatte darum wurde ein ganzes Jahr lang ausgesetzt, weil man die Bundes-tagswahlen in Deutschland abwarten wollte. Jetzt erklärt man uns, wir müss-ten uns noch bis zu den Europawahlen im Mai 2014 gedulden. Die Herrschen-den in Europa werden uns aber erst dann Gehör schenken, wenn wir einen politi-schen Wandel in Griechenland herbeige-führt haben und sich die Unzufriedenheit mit der Austeritätspolitik in den bevor-stehenden europäischen Wahlen in ent-sprechenden Stimmenzuwächsen für lin-ke Parteien niederschlägt. Hin zu einem anderen Europa Die anstehende Europawahl bietet eine Gelegenheit, einen wirklichen Dialog mit den Menschen in Europa zu beginnen – vor allem mit denjenigen, die den Ein-druck haben, dass sich niemand für ihr Schicksal interessiert. Wir zählen dabei auf jede Einzelne und jeden Einzelnen von euch. Wir setzen auf die Solidarität, um bei den ersten entscheidenden Schritten unserer Regierung nicht allein dazustehen. Denn unter einer von SY-RIZA geführten Regierung wird es in Griechenland eine Abkehr von all den Kürzungspolitiken geben. Wir werden einen tragfähigen Plan zur Förderung der griechischen Wirtschaft vorlegen, aber – was noch von größerer Bedeutung ist – einen realistischen Plan für einen Um-bau hin zu einem anderen Europa. Was wir in Europa brauchen, ist eine mög-lichst breite Front gegen den vorherr-schenden Kurs, eine Solidaritätsbewe-gung für die Rechte der Lohnabhängi-gen sowohl im Norden als auch im Sü-den. Was wir brauchen, wenn die euro-päische Linke an Stärke gewinnen und einen maßgeblichen Unterschied ma-chen will im Alltag der einfachen Leute, sind möglichst umfassende soziale und politische Bündnisse. Die Europawahl im kommenden Mai bietet eine historische Chance, die Voraussetzungen für diesen Wandel mit zu schaffen. Wenn versucht wird, das Rad der Geschichte zurückzu-drehen, ist es an der Linken, Europa in ei-ne bessere Zukunft zu führen.
  • 10. 10 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Schulden und Euro: Was tun? Ein Manifest von Daniel Albarracín, Nacho Álvarez, Bibiana Medialdea, Francisco Louçã, Mariana Mortagua, Michel Husson, Stavros Tombazos, Giorgos Galanis, Özlem Onaran Ein falsches Dilemma Diese Krise hat gezeigt, dass dieses neo-liberale Projekt in Europa nicht tragfähig ist. Progressive Alternativen zu dieser Kri-se erfordern eine Neugründung Europas: Kooperation ist notwendig sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene, für die Restrukturierung der In-dustrie, für ökologische Nachhaltigkeit und für die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen. Da aber eine globale Neugründung an-gesichts des derzeitigen Kräfteverhält-nisses utopisch erscheint, stellt sich der Ausstieg aus den Euro für einige Länder als eine unmittelbare Lösung dar. Das Di-lemma scheint also klar: riskanter Aus-stieg aus der Euro-Zone oder hypotheti-sche europäische Harmonisierung, die aus den sozialen Kämpfen hervorgehen soll. Wir denken, dass diese Gegenüber-stellung falsch ist; es ist im Gegensatz da-zu wichtig, an einer gangbaren Strategie für die unmittelbare Konfrontation zu ar-beiten. Jeder soziale Wandel beinhaltet eine Infragestellung der vorherrschenden gesellschaftlichen Interessen, deren Pri-vilegien und deren Macht. Diese Kon-frontation spielt sich hauptsächlich auf nationaler Ebene ab. Der Widerstand der herrschenden Klasse und ihr Potential an Vergeltungsmaßnahmen reichen jedoch über den nationalen Rahmen hinaus. Die Strategie des Ausstiegs aus dem Euro be-inhaltet nicht ausreichend die Notwen-digkeit einer europäischen Alternative. Deswegen muss eine Strategie aufgestellt werden, welche mit dem »Euroliberalis-mus « bricht und Mittel für eine andere Politik frei setzt. Es geht in hier nicht um das Programm, sondern um die Mittel der Umsetzung. Sich von dem Griff der Finanzmärkte befreien Kurzfristig müsste eine der ersten Maß-nahmen einer linken Regierung sein, ei-nen Weg zu finden, mit dem das Haus-haltsdefizit unabhängig von den Finanz-märkten finanziert wird. Das erlauben die europäischen Regeln nicht, und es wäre der erste Bruch, der durchzuführen wä-re. Es gibt ein großes Spektrum an mög-lichen Maßnahmen, die nicht neu sind und die früher in unterschiedlichen eu-ropäischen Ländern durchgeführt wur-den: eine Zwangsanleihe bei den reichs-ten Haushalten; das Verbot, Kredite bei Devisenausländern aufzunehmen; eine Verpflichtung von Banken, eine be-stimmte Quote an Staatsanleihen aufzu-nehmen; eine Steuer auf internationale Dividendentransfers sowie auf Kapital-transfer usw.; und selbstverständlich ei-ne radikale Steuerreform. Der einfachste Weg wäre, dass die na-tionale Zentralbank den öffentlichen Haushalt finanziert, wie es in den USA, in Großbritannien, Japan usw. gemacht wird. Es wäre möglich, eine besondere Bank ins Leben zu rufen, welche sich ge-genüber der Zentralbank refinanzieren darf, welche aber als Hauptfunktion den Kauf öffentlicher Anleihen hätte (etwas, was die EZB bereits gemacht hat). Natürlich ist das nicht wirklich eine technische Frage. Es wäre ein politischer Bruch mit den bisher geltenden Regeln in Europa. Ohne einen solchen Bruch wäre jegliche Politik, die nicht »die Finanz-märkte beruhigen« würde, sofort blo-ckiert durch einen Anstieg der Kosten für die Finanzierung der öffentlichen Schul-den. Dieses erste Paket von Sofortmaß-nahmen würde jedoch nicht die bereits angehäuften Last von Schulden und der Zinsen auf diese Schulden reduzieren. Die Alternative sieht folgendermaßen aus: entweder weiter andauernde Austerität oder ein sofortiges Moratorium auf die öf-fentlichen Schulden. Nach einen solchen Moratorium sollte ein öffentliches Audit organisiert wer-den, um die illegitimen Schulden he-rauszufinden – was vor allem vier Berei-che betreffen würde: – die »Steuergeschenke« zugunsten der reichsten Haushalte, der großen Fir-men und der »Rentiers«; – die »illegalen« Steuerprivilegien: Steu-erflucht, Steueroptimierung, Steuer-oasen und Amnestien für Steuer-flüchtlinge; – die Bankenrettungsaktionen seit Aus-bruch der Krise; – die Schulden, die per Schneeballeffekt aus den Schulden selbst entstanden sind durch die Differenz zwischen der Höhe der Zinsen und der Wachstums-raten des BIP, weil letztere infolge der neoliberalen Kürzungspolitik und der Arbeitslosigkeit stark in Mitleiden-schaft gezogen wurden. Auf ein solches Audit muss ein Austausch der Schuldtitel folgen mit dem Ergebnis, dass ein Großteil der Schulden annulliert wird. Das wäre der zweite Bruch. Die öffentlichen Schulden sind aber auch eng verwoben mit der Bilanz der pri-vaten Banken. Darum sind die soge-nannten Rettungsaktionen für die Staa-ten in der Regel Bankenrettungsaktio-nen. Also ist ein dritter Bruch mit der neo-liberalen Ordnung erforderlich: interna-tionale Kapitalverkehrskontrolle, Kont-rolle über das Kreditwesen und Soziali-sierung der Banken. Das ist der einzige vernünftige Weg, um das Geflecht der Schulden zu entwirren. Immerhin war das die Option, die in Schweden in den 1990- er Jahren gewählt wurde (auch wenn die Banken später wieder privatisiert wur-den). – Das sind die Mittel für eine echte soziale Transformation. Aber wie kom-men wir dahin? Eine linke Regierung ist notwendig Diese drei bedeutenden und notwendi-gen Brüche, um erfolgreich Widerstand gegen eine finanzpolitische Erpressung zu leisten, können nur von einer linken Re-gierung zu einem guten Ende gebracht werden. Obwohl die sozialen und politi-schen Bedingungen für eine abgestimmte Strategie des Kampfes für eine solche Re-gierung von Land zu Land sehr unter-schiedlich sind, richtete sich im Sommer 2012 in ganz Europa alles Augenmerk auf die Aussichten von Syriza (dem Bündnis der Radikalen Linken), die Wahlen zu ge-winnen und damit das Rückgrat für eine solche Regierung in Griechenland zu bil-den. Seit dieser Zeit führt Syriza eine Kam-pagne mit den grundlegenden Themen, die wir in diesem Manifest entwickeln: Eine Regierung der linken Kräfte ist ein Bündnis für die Aufkündigung der Me-moranda der Troika und die Umstruku-rierung der Schulden, so dass Löhne, Renten, Öffentliche Gesundheitsversor-gung, Bildung und Sozialversicherung geschützt werden könnten. Für eine Strategie des unilateralen Bruchs und Ausbau Die fortschrittlichen Lösungen stehen im Gegensatz zu dem neoliberalen Projekt verallgemeinerten Wettbewerbs. Sie sind von Grund auf kooperativ angelegt und funktionieren umso besser, auf je mehr Länder sie ausgedehnt werden. Wenn beispielsweise alle europäischen Länder die Arbeitszeit reduzieren und eine ein-heitliche Kapitalertragssteuer erheben würden, könnte eine solche Koordinie-rung den Gegenschlag vermeiden, den genau diese Politik erleiden würde, wenn sie in einem einzigen Land umgesetzt würde. Um diesen kooperativen Weg einzu-schlagen, muss eine Regierung der lin-ken Kräfte eine unilaterale Strategie ver-folgen: – Die »geeigneten Maßnahmen« werden unilateral getroffen, wie beispielswei-se die Ablehnung der Austeritätspoli-tik oder die Besteuerung von Finanz-transaktionen. – Sie müssten einhergehen mit Schutz-maßnahmen wie beispielsweise die Kontrolle der Kapitalmärkte. – Die Durchführung einer Politik, die auf nationaler Ebene nicht im Einklang mit den europäischen Bestimmungen steht, stellt ein politisches Risiko dar, das zu beachten ist. Die Antwort dazu besteht in einer Logik der Erweiterung, damit solche Maßnah-men wie beispielsweise fiskalpolitische Impulse oder die Finanztransaktions-steuer von anderen Mitgliedstaaten an-genommen werden. Die politische Konfrontation mit der EU und den herrschenden Klassen anderer Staaten, insbesondere der deutschen Re-gierung, kann jedoch nicht vermieden wer-den, und die Drohung eines Verlassens des Euroraums darf nicht a priori von mögli-chen Optionen ausgeschlossen werden. Das Manifest entstand auf Initiati-ve von Michel Husson, Ökonom am Institut de recherches économiques et sociales (IRES) in Paris und Mit-glied des Wissenschaftlichen Bei-rats von Attac. Die weiteren Auto-ren: Daniel Albarracín, Nacho Álvarez, Bibiana Medialdea (Spa-nien), Francisco Louçã, Mariana Mortagua (Portugal), Stavros Tombazos (Zypern) Giorgos Gala-nis, Özlem Onaran (Großbritanni-en). Die AutorInnen sind als linke WissenschaftlerInnen aktiv in un-terschiedlichen europäischen Be-wegungen und Parteien der Lin-ken. Eine Langfassung des Mani-fests gibt es unter: http://gesd.free.fr/euromani.htm
  • 11. europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 11 Dieses strategische Schema erkennt an, dass die Neugründung Europas nicht eine Vorbedingung für die Umsetzung ei-ner alternativen Politik sein darf. Die möglichen Vergeltungsmaßnahmen ge-gen eine linke Regierung müssen von Ge-genmaßnahmen neutralisiert werden, die in der Tat einen Rückgriff auf pro-tektionistische Systeme implizieren. Doch diese Orientierung ist nicht im üb-lichen Sinne des Wortes protektionis-tisch, denn sie schützt einen sozialen Transformationsprozess, den die Bevöl-kerung mit trägt, und nicht die Interes-sen des nationalen Kapitals, das sich im Wettbewerb mit anderen Kapitalinte-ressen befindet. Es handelt sich also um einen »Erwei-terungsprotektionismus «, der obsolet wird, sobald die sozialen Maßnahmen für Arbeitsplätze und gegen die Austeritäts-politik sich quer durch Europa durchge-setzt haben. Der Bruch mit den Bestimmungen der Europäischen Union ist keine Prinzipi-enfrage, sondern stützt sich auf der Le-gitimität von gerechten und effizienten Maßnahmen, die den Interessen der Mehrheit entsprechen und ebenso den Nachbarländern vorgeschlagen werden. Diese strategische Orientierung kann durch die soziale Mobilisierung in den anderen Ländern verstärkt werden und sich schließlich auf ein Kräfteverhältnis stützen, das in der Lage ist, die Institu-tionen der EU in Frage zu stellen. Die jüngste Erfahrung mit den neoliberalen Rettungsschirmen der EZB und der Eu-ropäischen Kommission zeigt, dass es ab-solut möglich ist, eine Reihe von Be-stimmungen der EU-Verträge zu umge-hen, und dass die europäischen Behör-den nicht gezögert haben, dies auf Ge-deih und Verderb zu tun. Daher fordern wir das Recht auf Maßnahmen, die in die richtige Richtung gehen, inklusive der Einrichtung einer Kapitalverkehrskont-rolle und jeglichen Systems, das geeig-net ist, um Löhne und Renten zu si-chern. In diesem Rahmen wäre das Ver-lassen des Euroraums eine Drohung oder ein allerletzter Ausweg. Diese Strategie stützt sich auf die Le-gitimität der fortschrittlichen Lösungen, die aus ihrem Klassencharakter er-wächst. Es handelt sich hier also um ei-ne auf Kooperation bauende Strategie des Bruchs mit dem aktuellen Rahmen der EU, dies im Namen eines anderen Entwicklungsmodells, das auf einer neuen Architektur für Europa beruht: ein erweiterter europäischer Haushalt auf der Grundlage einer gemeinsamen Ka-pitalsteuer, der Harmonisierungsfonds und sozial und ökologisch sinnvolle In-vestitionen finanziert. Eine an den In-teressen der Bevölkerungsmehrheiten orientierte Strategie einer linken Re-gierung muss für diesen demokrati-schen Kampf alles tun, was erforderlich ist.
  • 12. 12 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Ein mediterraner Block? Südeuropa sucht einen Ausweg Von Armando Fernández Steinko Spanien gehört neben Portugal, Grie-chenland, Italien und Irland zu den von der Finanzkrise am stärksten betroffenen Ländern, den sogenannten PIIGS. Ihre politischen, wirtschaftlichen und Sozial-systeme sind einem Strukturwandel un-terworfen, dessen Ergebnis noch nicht absehbar ist. Während Irland als Son-derfall gelten kann, besitzen die anderen vier Länder viele Gemeinsamkeiten und haben ähnliche historische Entwicklun-gen durchlaufen. Nichtsdestotrotz gelten für Italien einige Besonderheiten: Das Land verfügt als Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft (EG) über ei-ne größere Verhandlungsmacht als die anderen südeuropäischen Staaten. Seine wirtschaftliche, politische und institutio-nelle Modernisierung fand über drei Jahrzehnte innerhalb eines regulierten Kapitalismus statt und war über zwei Ge-nerationen in politische und Sozialpakte eingebettet. Dieser Sozialpakt beinhalte-te ein System politischer Freiheiten und individueller Rechte, ein (minimales) Gleichgewicht der Interessen von Kapital und Arbeit und die Umleitung von einem Teil der Produktivitätszuwächse in die Ausdehnung des Binnenmarktes und die Erhöhung des Konsumniveaus der Be-völkerung. Der Pakt beruhte des Weiteren auf einer Anglei-chung der Lebensbedin-gungen innerhalb Itali-ens durch öffentliche Infrastrukturinvestiti-onen (steuerfinan-zierte Verkehrswege, Gesundheits- und Bil-dungseinrichtungen usw.) sowie auf der Schaffung von Indust-rien und Dienstleistungs-sektoren, die in der Lage waren, die durch die schritt-weise und regulierte Auflösung der traditionellen Sektoren freigesetzten Ar-beitskräfte zu absorbieren. Von dieser Po-litik hat v.a. die Landbevölkerung profi-tiert, die im Rahmen der europäischen Agrarpolitik in den Genuss dauerhafter Ressourcentransfers kam, was eine »An-passung des Lebensniveaus« ermöglichte (vgl. Art. 39.1.b des Vertrags von Rom). Die schrittweise Öffnung gegenüber den Weltmärkten ermöglichte das Entstehen eines dynamischen und innovativen Ex-portsektors, der sich dank der chronisch unterbewerteten Lira und einer auch von anderen Gründungsmitgliedern der Ge-meinschaft (wie Frankreich und Deutsch-land) verfolgten Handelspolitik in den Jahrzehnten des ›regulierten Kapitalis-mus‹ weiter entfalten konnte. Diese Ex-portkapazität sorgte dafür, dass die Zah-lungsbilanz Italiens über viele Jahrzehn-te und selbst nach der Krise 2008 ausge-glichen blieb. Und das obwohl die öf-fentlichen Schulden in Italien heute bei 160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Die kapitalistische Modernisierung in Portugal, Griechenland und Spanien (von nun an PGS) nahm andere Bahnen. Die drei Länder durchliefen einen Prozess des nachholenden Fordismus und kamen nicht in den Genuss jener Pakte, die den Kapitalismus nach 1945 einhegten. Als sie der EG beitraten (Griechenland 1981, Portugal und Spanien 1986), verloren diese Pakte selbst in den Gründungs-staaten an Bedeutung, und mit den Ver-trägen von Maastricht beschleunigte sich die Kehrtwende auf dem ganzen Konti-nent. Der verspätete Zugang zu einem eingehegten Kapitalismus, d.h. zu einem Zeitpunkt, als die Regulation in der ge-samten westlichen Welt aufgekündigt wurde, trieb die für den EG-Beitritt zu zahlenden gesellschaftlichen und öko-nomischen Kosten in die Höhe. In Richtung eines mediterranen Blocks? Wegen dieser historischen Entwicklung befinden sich die PGS in der aktuellen po-litischen und wirtschaftlichen Konjunk-tur in einer ähnlichen Situation. Der Ver-fall ihrer Sozialsysteme könnte im Prin-zip dazu führen, dass sich neue, der Aus-teritätspolitik entgegen gesetzte Mehr-heiten bilden. Es ist allerdings ausge-sprochen unwahrscheinlich, dass sich die drei Länder dieser Politik einzeln mit Erfolg wider-setzen können. Daraus leitet sich die Notwen-digkeit ab, einen ge-meinsamen Block zu bilden. Dieser Block könnte das notwen-dige politische und wirtschaftliche Ge-wicht erlangen, um ei-ne Abkehr von der Aus-teritätspolitik zu erzwin-gen, die Zahlung der Schul-den an das Wirtschaftswachs-tum zu koppeln und öffentliche In-vestitionsprogramme zur Schaffung von Beschäftigung im Rahmen einer sozialen und ökologischen Konversion in Gang zu setzen. Für den Fall, dass es nicht zu ei-nem Abkommen mit den großen Export-nationen kommt und die Austeritätspo-litik weiter fortgesetzt wird, hätte nur ein Block der Staaten im Süden eine realis-tische Aussicht, außerhalb der heutigen EU zu bestehen. Genauer gesagt: ein eu-ropäisch- mediterraner Block. 1 Er würde seine Mitgliedsländer auf-grund des Volumens seiner Auslands-schulden in eine viel bessere Ver-handlungsposition bringen. Die Dro-hung eines Zahlungsstopps könnte das europäische und globale Finanzsystem an den Rand des Abgrunds bringen. Dieses Szenario würde hohe Kosten für die PGS implizieren, wäre jedoch für die Gläubiger der zentralen Staaten noch gefährlicher, weshalb diese ein derartiges Risiko vermutlich vermei-den würden. 2 Die vereinten PGS hätten mehr Kraft, eine internationale Gläubigerkonfe-renz zu erzwingen, wie es sie 1953 in London gab. Damals wurden in einem multilateralen Abkommen die Zah-lungen der von Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg gegenüber den USA, Großbritannien und Frankreich ange-häuften Auslandsschulden an das Wirtschaftswachstum und die Ent-wicklung der Produktivkräfte in der Bundesrepublik gekoppelt. Dieses Zu-geständnis war keinem plötzlichen Ausbruch von Menschlichkeit bei den Westmächten geschuldet, sondern hatte damit zu tun, dass West- Deutschland nach 1945 aufgrund der neuen Militärstrategie gegenüber dem sozialistischen Lager eine zentrale Be-deutung erlangt hatte. Das deutsche Argument lautete, dass es seinen mi-litärischen Verpflichtungen ohne eine Neuverhandlung der Schulden nicht würde nachkommen können und dass eine wirtschaftlich schwache, am Bo-den liegende Bundesrepublik das Image des Kapitalismus zum Schaden des gesamten westlichen Lagers in Mitleidenschaft ziehen könnte. Das deutsche »Wirtschaftswunder« wäre ohne diese Konferenz unmöglich ge-wesen, bei der die BRD Auslands-schulden in Höhe von etwa 14,6 Mil-liarden Mark erlassen bekam. Die PGS werden heute einzeln niemals die nö-tige Kraft entfalten, um wie die Bun-desrepublik Deutschland nach dem Krieg eine derartige Konferenz durch-zusetzen. Da sie jedoch für das atlan-tische Bündnis zentrale geostrategi-sche Positionen innehaben, könnte ihr Zusammenschluss eine ähnliche Wir-kung besitzen wie die Existenz der so-zialistischen Staaten in den 1950er Jahren. 3 Deutschland, die neue europäische Hegemonialmacht, ist dazu ver-dammt, sein Währungssystem weiter-hin an die schwächsten Ökonomien des Südens zu binden, um den Euro zu-gunsten der eigenen Exporte abzu-werten, die Rückzahlung der Kredite zu garantieren und eine aufgrund des Ansteckungseffekts drohende Implo-sion der Euro-Zone zu verhindern: Deutschland benötigt die PGS. Wenn diese sich zusammenschlössen und ei-ne gemeinsame Strategie entwickel-ten, könnten sie mit der Schaffung ei-ner eigenen Währung drohen: dem Eu-rosur. Dieser Schritt hätte positive und negative Auswirkungen, die gründlich einzuschätzen wären. Auf jeden Fall wären nachteilige Effekte im Block leichter zu bewältigen als getrennt. Ein solcher Bruch würde in jedem Fall da-zu führen, dass die heute von Deutsch-land verfolgte Exportstrategie wegen der schnellen Aufwertung eines hypo-thetischen Euronorte an ihr Ende kä-me. Dies würde in Deutschland den ge-sellschaftlichen Konsens, wie er von Teilen der Gewerkschaftsbewegung, der Sozialdemokratie und den Grünen mitgetragen wird, zum Zerbrechen bringen. Es ist wahrscheinlich, dass die In Portugal, Spanien und Griechenland könnten sich neue Mehrheiten gegen die Austeritätspolitik bilden. Armando Fernández Steinko lehrt – von links und kritisch – Soziolo-gie an der Universidad Complu-tense in Madrid, Spanien. Er ar-beitet in der Fundación de Investi-gaciones Marxistas mit, der Part-nerorganisation von Transform! und der RLS, und ist Mitglied der Izquierda Unida. Sein Blog heißt Piensa y Actúa. Foto: privat Übersetzung: Raul Zelik
  • 13. europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 13 deutschen Eliten zur Vermeidung ei-nes solchen Szenarios die nötigen Res-sourcen, wenn auch keinen Euro mehr, zur Verfügung stellen würden. 4 Nichtsdestotrotz wäre es ein Irrtum zu glauben, dass diese Situation – so sehr der Norden den Süden auch benötigt – den Süden ökonomisch besser stellen würde. Tatsächlich droht der Süden in eine sozial unerträgliche Lage abzu-rutschen. In der aktuellen Lage ist es zumindest ausgesprochen unwahr-scheinlich, dass Deutschland oder an-dere Exportnationen Ressourcen zur Verfügung stellen würden, damit die PGS eine eigenständige produktive Ba-sis entwickeln könnten, um den politi-schen und sozialen Konsens ihrer jun-gen Demokratien nachhaltig zu finan-zieren. Die einzige Hoffnung bestünde darin, die Kräfteverhältnisse in Europa zu verschieben. Für eine solidarische Politik müssten dann eine neue euro-päische Arbeitsteilung definiert, geld-politische Mittel für eine schrittweise Annäherung der Produktivität festge-legt und die heute die Wirtschaftsbe-ziehungen zwischen den europäischen Staaten regulierenden Grundregeln ei-ner Prüfung unterzogen werden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass es dazu kommt, ohne dass die wichtigsten Nutznießer eines solchen Politikwech-sels – die PGS – die dafür notwendige Verhandlungsmacht erlangen. 5 Nur wenn einige Grundpfeiler dessen, was wir als »atlantisches Projekt« (sie-he unten) bezeichnen, in Frage ge-stellt werden, besteht die Möglichkeit eines alternativen Produktionsmo-dells. In den PGS, nicht aber im Rest der EU-Staaten, verlieren die Parteien des atlantischen Konsenses zurzeit massiv an Unterstützung. Diese Pa-rallelität der Entwicklung im Süden er-möglicht ein gemeinsames politisches Handeln. Die nach den Wahlen im Februar 2013 in Italien geschaffene Si-tuation deutet ebenfalls in diese Rich-tung. 6 Abgesehen von der strategischen Be-deutung des Mittelmeerraums können die PGS ihre privilegierten Beziehun-gen nach Lateinamerika (Portugal und Spanien) und zur arabischen Welt und Russland (Griechenland) als Faust-pfand einsetzen. Auch dies kann aber nur in Absprache untereinander ge-lingen. Das Problem der Asymmetrie Die Eliten Portugals, Spaniens und Grie-chenlands waren in den vergangenen 30 Jahren dem atlantischen Projekt ver-pflichtet. Seit dem Ausbruch der Krise 2008 – und schon zuvor – haben sie im-mer wieder den Beweis erbracht, dass sie den Interessen einer Minderheit Vorrang einräumen, und damit den Konsens der demokratischen Transition faktisch auf-gekündigt. Ihre Politik zielt nicht darauf, die Gesellschaften gegenüber den gro-ßen europäischen Exporteuren und den Vermögensbourgeoisien des Planeten zu schützen, sondern die Interessen des Ka-pitals noch rücksichtsloser als bisher durchzusetzen – und zwar sowohl nach innen (Umwidmung öffentlicher Mittel zur Sanierung von Banken ohne politi-sche Gegenleistung, deflationäre Politik bei Preisen und Löhnen, »interne Ab-wertung « usw.) als auch nach außen (Er-höhung der Handelsaggressivität, Be-günstigung multinationaler Unterneh-men, latente Währungskriege usw.). Ihr erklärtes Ziel ist es, diese Politik anderen Staaten, die dadurch noch verwundbarer sind als man selbst, aufzuzwingen. Die deutsche Politik der vergangenen 15 Jah-re wird reproduziert: auf Kosten des Nachbarn Arbeitsplätze schaffen und die politische Legitimität der eigenen Regie-rung stärken. Diese Dynamik bringt die beiden angreifbarsten Ökonomien des Südens (Portugal und Griechenland mit ihren 22 Millionen Einwohnern) in eine besonders komplizierte Lage und er-schwert die Aussicht, dass das größere Spanien (mit seinen 47 Millionen Ein-wohnern) Teil eines Solidarblocks im Sü-den werden könnte. Spanien ist in vielen Bereichen ein direkter Konkurrent beider Länder und verfügt über ein größeres wirtschaftliches Potenzial als diese, was die Hoffnung weckt, das deutsche Mo-dell auf Kosten kleinerer und schwäche-rer Länder wie Portugal und Griechen-land umsetzen zu können (der Fall Itali-en ist dem Spaniens in dieser Hinsicht ähnlich). Aber Spanien fehlen einige Vo-raussetzungen, um den deutschen Weg kopieren zu können: 1 Es verfügt über wenig Zeit. Die Ar-beitslosigkeit könnte in wenigen Mo-naten über 27 Prozent steigen, und es wird, nicht zuletzt wegen der Korrup-tionsskandale der konservativen Re-gierungspartei, über den Ausbruch un-kontrollierbarer sozialer Unruhen spe-kuliert. 2 Mehrere lateinamerikanische Regie-rungen verteidigen heute die Interes-sen ihrer Bevölkerungen und haben den aggressiven Strategien spanischer Multis in Lateinamerika deshalb Gren-zen gesetzt. Dies führt zu einer Ver-ringerung der Gewinntransfers durch die auf dem Kontinent tätigen spani-schen Multis an ihre Firmenzentralen sowie zu einem Verfall ihrer Börsen-notierungen. 3 Die Erschließung alternativer Märkte in Indien, China oder den Golfstaaten hat zu einer Erholung der spanischen Leistungsbilanz geführt. Diese Erho-lung ist jedoch weniger einer gestie-genen Wettbewerbsfähigkeit als dem Zusammenbruch der Binnennachfrage AKTUELLE PUBLIKATIONEN LUXEMBURG 3/4 2013 Gesellschaftsanalyse und linke Praxis Die Kampfzone ausweiten Mit Beiträgen von Rodrigo Nunes | Corinna Trogisch | Lena Ziyal | Assef Bayat | Sarah Bormann | Andrew Herod | Göran Therborn | Nicole Mayer-Ahuja | Michael Vester u. a. www.zeitschrift-luxemburg.de WELT LINKE STRATEGIEN IN DER EUROKRISE Eine Übersicht einschließlich einer kommentierten Synopse der europapolitischen Positio-nen der Partei DIE LINKE Analyse von Mario Candeias, ISSN 2194-2951 Download unter: www.rosalux.de/publication/39479 LINKE PARTEIEN IN EUROPA Ein Vergleich der europa-politischen Positionen vor den Europawahlen 2014 Studie von Thilo Janssen, ISSN 2194-2242 Download unter: www.rosalux.de/publication/39751 BESTELLUNG VON ANALYSEN UND STUDIEN TEL. 030 44310-123, BESTELLUNG@ ROSALUX.DE DIE EUROPAPOLITIK DES DEUTSCHEN MACHTBLOCKS UND IHRE WIDERSPRÜCHE Eine Untersuchung der Positionen deutscher Wirtschaftsverbände zur Eurokrise Studie von Frederic Heine, Thomas Sablowski, ISSN 2194-2242 Download unter: www.rosalux.de/publication/39834 ANZEIGE
  • 14. 14 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg geschuldet. So hat die Steigerung der Exporte keine neue Beschäftigung ge-schaffen, und es ist unwahrscheinlich, dass den spanischen Unternehmen dies in der Zukunft auf ähnliche Weise ge-lingen könnte wie den deutschen Fir-men: Das aggressiv exportorientierte Modell hat seine Grenzen. 4 Die Sozial-, Umwelt- und stadtplane-rischen Standards sind in Spanien be-reits sehr niedrig, so dass deren Ab-senkung – wie sie von der PP-Regie-rung vorgeschlagen wird – kaum zu ei-nem neuen, vom Immobiliensektor ge-tragenen Wachstumszyklus führen kann. Beschäftigungseffekte, wie sie sich ab 1997 ergaben, sind daher eben-falls unwahrscheinlich. 5 Die Krise verschärft auch das Problem der innerstaatlichen Verfasstheit Spa-niens. In mehreren reichen Regionen wie Katalonien wächst die Unterstüt-zung verarmter Mittelschichten für das Selbstbestimmungsrecht. Dass die Re-gierungen in Anbetracht einer derar-tigen Situation die soziale Lage zur Durchsetzung eines deutschen Mo-dells weiter verschärfen können, ist eher unwahrscheinlich. Der politische Handlungsspielraum für unpopuläre Maßnahmen ist begrenzt. Vor diesem Hintergrund gibt es Argu-mente dafür, dass Spanien als bevölke-rungs- und ressourcenreichstes der drei Länder ebenfalls ein strategisches Inte-resse an einem mediterranen Block ha-ben könnte, um einen Politikwechsel in Brüssel bzw. Berlin zu erzwingen. Wenn dieser Block zustande käme, könnte auch die öffentliche Meinung in Italien zu-gunsten eines Eurosur kippen (Italien ist eine Exportnation, deren Konkurrenzfä-higkeit durch eine Abwertung der Wäh-rung unmittelbar steigen würde). Die vor allem von Frankreich wahrgenommene Gefahr, dass diese Situation zu einem Al-leingang Deutschlands in Europa führen würde, ist hingegen kalkulierbar. Ein deutscher Alleingang, der zu einer Auf-kündigung der europäischen Charta und zu einer ausschließlichen Orientierung an den Märkten der Schwellenländer führen würde, ist im Land selbst kaum konsensfähig: Die deutsche Vergangen-heit wiegt zu schwer und die Ungewiss-heiten eines solchen Abenteuers sind zu groß. Damit dieser Vorschlag nicht bloßer Voluntarismus bleibt, müsste man zei-gen, dass die drei Länder im Süden ähn-liche Entwicklungen hinter sich haben und mit gemeinsamen Problemen kon-frontiert sind, die sich im Block besser oder realistischer bewältigen ließen. Die zentrale Frage lautet in diesem Sinne nicht, ob man aus dem Euro austreten soll oder was mit den Schulden geschieht. Die Angelegenheit ist grundlegender – was den Währungs- und Finanzproblemen al-lerdings nichts von ihrer Dramatik nimmt. Es wird darum gehen, wie, mit was und mit wem eine Beschäftigungs- und Wirt-schaftsstruktur geschaffen werden kann, die eine gerechte, demokratische und nachhaltige soziale und politische Ord-nung dauerhaft finanzieren könnte. Da-für gilt es gemeinsame Praxen zu entwi-ckeln. Ein mediterraner Block? Südeuropa sucht einen Ausweg Von Armando Fernández Steinko
  • 15. europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Februar 2014 15 Liste Tsipras. Um die Zersplitterung zu überwinden Von Fabio Amato Die italienische Linke ist scheinbar hoff-nungslos zersplittert und als parlamen-tarische Linke seit dem letzten Jahren praktisch verschwunden – mit Ausnahme der Sinistra ecologia e libertà (SEL, die Linke für Ökologie und Freiheit), die als Koalitionspartner der Mitte-Links-Regie-rung für die neoliberalen Kürzungspoli-tiken im Zuge der Krise mitverantwort-lich gemacht wird. Hoffnung macht nun der Versuch, die nationalen Probleme ei-ner Fragmentierung der Linken mit einer ausdrücklich europäischen Perspektive zu überwinden: der Aufstellung einer »Liste Tsipras« gegen die Austritt bei den an-stehenden Wahlen zum Europäischen Parlament. Krise und Antipolitik Was ist der Hintergrund? Sieben Jahre wirtschaftlicher Rezession, eine Ver-dopplung der Arbeitslosigkeit auf jetzt of-fiziell 13 Prozent (aber in Wirklichkeit viel höher), die Jugendarbeitslosigkeit über 40 Prozent, das Prekariat immer prekärer, die Reichen immer reicher und eine soziale Ungleichheit wie nur in wenigen anderen Teilen Europas – dies ist das Ergebnis der Umsetzung eines Programms von sozia-len Anti-Reformen in Italien, die den oh-nehin schon fragilen Sozialstaat zusätz-lich geschwächt haben, mit Kürzungen im Rentensystem, im Gesundheitswesen, im Bildungswesen und in den Kommunen. Maßnahmen, die parteiübergreifend vom sozialdemokratischen Partito Democrati-co (PD) und Berlusconis Mitte-Rechts- Bündnis verabschiedet wurden. Vorhersehbar war: diese Anti-Refor-men haben die hohe Staatsverschuldung des Landes nicht gesenkt, sondern im Ge-genteil auf einen Wert von 132 Prozent des BIP angewachsen lassen. Seit Jahren macht die Bedienung der Zinsen den größten Posten des Staatshaushalts aus. Sein Anwachsen ist die Konsequenz der Zinsentwicklung, der Schrumpfung des BIP und des ausbleibenden Wachstums. Und doch gibt es in der öffentlichen De-batte kaum Auseinandersetzung darüber, wie einer Alternative zu den Kürzungs-politiken und zum neoliberalen Modell aussehen könnte, welche Positionen zur Funktion und Rolle der EU, zur Einheits-währung oder zur Verschuldung sinnvoll wären. Die Diskussion dreht sich nach wie vor um die Person Berlusconi, der inzwi-schen in letzter Instanz verurteil wurde, und um die Reform des Wahlgesetzes. Die dominierenden Kräfte, die sich in den Talkshows beschimpfen, segnen im poli-tischen Alltag gemeinsam die Umsetzung der Vorgaben der EZB und die Durchset-zung der Kürzungspolitik ab. Gemeinsam stimmten sie für die Aufnahme der Schul-denbremse in die Verfassung und für den berüchtigten Fiskalpakt, der Italien und die anderen Länder Südeuropas zu im-mer neuen Einschnitten verurteilt, deren einziger Effekt es ist, die Krisenlasten auf den Sozialsektor abzuwälzen, die Ar-beitslosigkeit anschwellen, die schwache Binnennachfrage weiter schrumpfen zu lassen und weitere Jahre wirtschaftlichen Abschwungs zu begünstigen. Gerade in diesen Tagen beschließt die Regierung weitere Privatisierungen, wie die der Post. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zu-fall, dass Pepe Grillos Populismus seinen Masseneinfluss behauptet. Seine Reden gegen die politische Kaste fallen ange-sichts ihres politischen Spektakels auf fruchtbaren Boden. Eine Mehrheit der ItalienerInnen glaubt, dass man durch die Reduzierung der Politikergehälter und der öffentlichen Parteienfinanzierung (vor wenigen Monaten als Ergebnis einer Initiative Grillos abgesenkt), sei das Hauptübel der Krise. Die sich verbrei-tende Antipolitik von Berlusconi bis Gril-lo zerstört die demokratische Kultur. Die Entwicklung geht in Richtung fragwür-diger Mehrheitswahlgesetze, zu Parteien, die immer mehr ihren Charakter als po-litische Organisationen verlieren und von charismatischen Führungspersönlichkei-ten abhängig werden, dem Auf und Ab der öffentlichen Meinung und deren Aus-wirkungen auf die Umfragewerte hinter-her heischend. Italien hat sich am stärks-ten der US-amerikanischen Mediende-mokratie angenähert. In dieses Bild muss auch der Bedeutungsverlust anderer ge-sellschaftlicher Organisationen einge-ordnet werden, des kritischen Journalis-mus wie der Gewerkschaften. Anders als in Griechenland, Spanien oder Portugal vermochten es die Gewerkschaften Itali-ens nicht auf die Krise mit einer starken Reaktion zu antworten. Es bleibt bei spo-radischen Wutausbrüchen der Bevölke-rung, denen aber eine organisatorische und politische Perspektive fehlt. Ursäch-lich ist auch das Ausscheiden der linken Alternative aus dem Parlament, der ein-zigen Kraft, die versuchte die soziale Fra-ge in den Mittelpunkt ihrer politischen Agenda zu stellen. Dieser kurze Über-blick über die politische Situation soll verständlich machen, vor welchem Hin-tergrund die inner-linken Debatten im Vorfeld der Europawahlen geführt wer-den. Eine Debatte, die mit der Nominie-rung von Alexis Tsipras zum Spitzen-kandidat der Europäischen Linken (für das Amt des Präsidenten der Europäi-schen Kommission) neu belebt wird. Gegen die Zersplitterung Eine Reihe von Intellektuellen verschie-dener Schattierungen, der marxistischen wie der liberalen Linken, haben einen Auf-ruf zur Bildung eines Wahlbündnisses zur Unterstützung dieser Kandidatur verfasst. Im Namen einer Verteidigung der euro-päischen Idee, einer Kritik an den neoli-beralen Kürzungspolitiken und dem Fi-nanzpakt. Unter ihnen finden sich be-rühmte Intellektuelle und Künstler wie Barbara Spinelli und Andrea Camilleri. Ein positives Zeichen, auch wenn der Aufruf selbst die vorherrschende antipolitischen Kultur zu bedienen droht, indem er nur Wissenschaftler, Philosophen, Künstler und allgemein an die Zivilgesellschaft an-ruft, sich von den Parteien – auch der Eu-ropäischen Linkspartei EL – abgrenzt und jeden Bezug auf die sozialen Opfer der Kri-se vermissen lässt. Dennoch öffnet das Signal der Nominierung von Tsipras durch die EL Möglichkeiten für eine Überwin-dung der Spaltungen innerhalb der par-teiförmigen Linken wie zwischen Intel-lektuellen, Zivilgesellschaft und Links-parteien. ANZEIGE P a p y R o s s a V e r l a g | Luxemburger Str. 202 | 50937 Köln Soeben erschienen Zu den ganz unterschiedlichen Gründen für die verstärkte Migration aus Süd- und Osteuropa und über die inakzeptablen Arbeits- und Lebensbedingungen der MigrantInnen, die Funktion von Migration für den EU-Binnenmarkt und ihre Auswirkungen. 229 Seiten | € 14,90 Hartmut Tölle / Patrick Schreiner (Hg.) Migration und Arbeit in Europa Andreas Wehr Der europäische Traum und die Wirklichkeit Über Habermas, Rifkin, Cohn-Bendit, Beck und die anderen »Europa« als machtpolitische Antwort auf den als bedrohlich empfun-denen Aufstieg der Schwellenländer – dies ist die Botschaft namhafter Intellektueller. Dabei werden über die Aushöhlung nationalstaatlicher Souveränität soziale und demokratische Rechte leichtfertig zur Dis-position 155 Seiten | € 12,90 gestellt. Tel.: (02 21) 44 85 45 | www.papyrossa.de | mail@papyrossa.de Fabio Armato ist Mitglied des Nationalen Sekretariats der Rifondazione Comunista. Foto: privat Übersetzung: Bodo Acker
  • 16. 16 Februar 2014 europalinks Beilage von neues deutschland und LuXemburg Die Rifondazione Comunista hat sich sofort zur Bildung eines breitmöglichsten Wahlbündnisses und einer Sammlungs-bewegung bereit erklärt, auf der Basis des Programms der EL und der Unterstützung der Kandidatur von Alexis Tsipras. Es kommt jetzt darauf an, alle Hindernisse und Fallstricke aus den Weg zu räumen und in einem demokratischen Prozess, ausgehend von der Basis und der Veran-kerung in der Bevölkerung, alle jene Kräf-te einzubeziehen, die die politischen Ziele einer Linken Liste gegen die Austerität mitzutragen bereit sind, seien es nun or-ganisierte Kräfte oder Einzelpersonen, Be-wegungen oder Initiativen – im gegen-seitigen Respekt. Der Name Tsipras sym-bolisiert bereits eine Haltung. Nun geht es darum, der Liste eine klare und bestimm-te Ausrichtung und Inhalte zu verleihen: Antineoliberal, im Kampf gegen die neo-liberalen Kürzungspolitiken, in der Kritik an den undemokratischen und autoritär-technokratischen Machtmechanismen in der EU, an ihren neoliberalen Funda-menten, kapitalismuskritische. Sinistra ecologia e libertà, wichtiger po-tenzieller Partner eines solchen Wahlbündnis-ses, ist dabei in einer Im »Geist der Abspaltung« (Antonio Gramsci) für ein anderes, sozial-ökologisches schwierigen Situation. Die Partei hatte sich vor einiger Zeit für eine strategische Allianz mit der sozialdemokratischen Partito Democra-tico und der Einbeziehung in deren Mit-te- Links-Bündnis entschieden. Sie hat of-fiziell das Aufnahmeverfahren eingelei-tet, um Mitglied der Sozialdemokrati-schen Partei Europas (SPE) zu werden. Sie muss sich nun aber ihrer Basis stel-len, die den Schritt, Martin Schultz als Spitzenkandidat zu unterstützen, nicht gut heißt. Und dies vor dem Hintergrund schmerzhaft sinkender Umfragewerte. Die SEL betreibt das Spiel der Ambiva-lenz und möchte den Raum zwischen Schultz und Tsipras besetzen. Konkret heißt das: im EU-Parlament stimmen sie für Tsipras, treten aber in die europäi-sche Sozialdemokratie ein und behalten ihre Beziehungen zum Partito Democra-tico in Italien bei. Es existiert jedoch kein Raum zwischen Tsi-pras und Schultz: ent-weder entscheidet man sich für den Kampf gegen die Austerität und die sie ausfüh-renden Großen Koalitionen, in Itali-en wie in Deutschland und Europa, oder eben nicht. Die dramatische Situation der Krise erlaubt keine taktischen Manöver. Die Wähler haben wenig Verständnis für Politikerspielchen und nehmen diese als unlautere List wahr. Es bleibt unklar, ob ein breites Bündnis unter Beteiligung der SEL zustande kommen wird. Eine linke Anti-Austerity-Liste könnte jedoch, wenn sie glaubhaft ist, eine eige-ne Ausstrahlungskraft entwickeln und Stimmen der Nichtwähler, von Grillo und enttäuschten PD-Wählern zurückgewin-nen. Aber dafür muss sie eine klare Al-ternative vertreten, im »Geist der Ab-spaltung «, wie Antonio Gramsci dies einst nannte, für ein anderes, sozial-ökologi-sches Europa. Europa. Liste Tsipras. Um die Zersplitterung zu überwinden Von Fabio Amato