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Tanzen / 2.Sam.6,14-23
Ausgerechnet Du ! Als ich meiner Frau erzählte, ich würde heute über das
Tanzen predigen, hat sie nur gesagt: Ausgerechnet Du !
Ihr Satz mag ein guter Predigtanfang sein, er ist jedoch kein guter, um
mit dem Tanzen anzufangen. Davids Frau Michal lacht David aus, weil
er angefangen hat zu tanzen; meine Frau dagegen ist eher bekümmert
über ihren tanzmuffeligen Mann.
Aber, wenn man schon nicht tanzen kann, so kann man wenigstens
darüber predigen. Man predigt ja nicht nur über das, was man schon
kann, sondern auch über das, was man entbehrt oder eigentlich können
möchte.
Vielleicht wärs schon für unsereins leichter mit dem Tanzen, hätte der
Tanz einen festen Platz im Gottesdienst, so wie es bei den Juden ist... .
Da sitze ich mit meiner Frau in einer Synagoge, in der Synoge der
Universität Jerusalem, und der altehrwürdige Rabbiner geht gemessenen
Schrittes an den Schrank, nimmt die Heilige Schrift heraus und beginnt
mit ihr ein Tänzchen. Einigermaßen verblüffend das, wie der Rabbi die
Thorarolle zärtlich in den Arm nimmt... wie eine Braut, mit ihr zu
tanzen. Und, seine Frau geht durch die Reihen der
Gottesdienstteilnehmer, Rosinenkuchen verteilend, und sie wirft ( wie
im Karneval ) süße Bonbons unter die Leute. Am Ende tanzen alle
munter hinter dem Rabbi und seiner Braut, der Bibel, hinterher in
langen, feierlichen Kreisen; wie eine fröhliche und zugleich heilige
Polonaise.
Noch einen Moment zurück zu uns und zu der vermuteten
Tanzmuffeligkeit der christlichen Männer. Ich nehme jedenfalls an, dass
meine Frau nicht die Einzige ist, die sich beklagt. Was ist unser
Problem? Was steckt hinter unser Tanzmuffeligkeit außer der genannten
Traditionsarmut ? Es ist - meine Behauptung - schlicht Angst. Bis auf
wenige Ausnahmemänner sind wir Männer schlichte und sehr ängstliche
Wesen. Wir wollen unter allen Umständen vermeiden, uns eine Blöße zu
geben.
Wie gänzlich anders geht es da in Jerusalem zu. Erinnern wir uns.
Michal, Davids standesbewußte Frau, kritisiert ihn gerade wegen seines
Tanzes und wegen der Blöße, die er sich damit gibt vor den
Dienstmädchen Jerusalems. Sie wird geradezu sarkastisch: Herrlich ist
heute der König Israels, wie er vor den Mägden seiner Männer sich entblößt, wie sich
die losen Leute und Leichtfüße entblößen ! Sagt sie. Sagt er: Ich will vor dem
Herrn tanzen, der mich erwählt hat. Ich will noch geringer ( noch lächerlicher )
werden als jetzt, und will niedrig sein in meinen Augen. Aber, bei den Mägden, von
denen Du redest, will ich zu Ehren kommen. Nicht nur ein handfester
Ehekrach also, sondern da kracht auch etwas zusammen in dem, wie er
sich sieht und gesehen werden will. Anarchie ! sagt Michal, die
tanzfeindliche Ausnahmefrau. Scheißegal ! sagt der Ausnahmekönig,
während er wild und ziemlich ordinär herumtanzt vor der Bundeslade.
Lieber beliebt bei den gemeinen Leuten, unter den Frauen zumal, als
beim hochnäsigen Hofstaat. Sein ausgelassener, wilder Tanz löst
offensichtlich hergebrachte Ordnung auf und macht egalitär wie alles,
was uns einfach zu Menschen macht: wie Lachen und Weinen, wie
Trauern und Tanzen und alles, was aus uns heraus will in körperlicher
Unmittelbarkeit.
Jedenfalls: dieser Tanz Davids vor der Bundeslade ist keineswegs ein
zahmer, höfischer Gesellschaftstanz oder gar eine lahme Echternacher
Springprozession nach dem Motto: 3 Schritte vor, 2 zurück ! David legt
sein Königsgewand ab und den Priesterschurz an. In jenen alten Zeiten
war ein Kleid nie nur ein Kleid; es war der Wesensausdruck der Person.
Der König vergißt also den König, weis nicht mehr, dass er König ist
und gerät in die Nähe der Dienstmädchen. Er will nicht mehr wissen,
wer er ist, während seine Frau es mit der Angst zu tun bekommt...
zusammen mit dem Hofstaat hat sie Angst vor dieser seiner
Unmittelbarkeit. Diese elende Angst vor dem Gesichtsverlust: Mein
Mann hat Haltung zu bewahren, hat sich immer im Griff zu haben - nie weinen,
nie lachen, nie so tanzen in der Öffentlichkeit ! Wer so tanzt, gerät außer sich.
Ich entblöße mich in meiner Seele, und manchmal auch am Leib; werde
schutzlos und einsichtig.
Wie kannst Du ! sagt Michal, sein Weib. Ist das etwas für einen König ? Ist
das etwas für Männer ?
Ach, Michal, arme Michal ? Von seiner Frau heißt es am Ende der
Erzählung: Michal, Sauls Tochter, hatte kein Kind bis an den Tag ihres Todes.
Die Bibel, liebe Gemeinde, ist manchmal so plump und rachsüchtig
wie die Bildzeitung. Keine Kinder haben hieß ja: keine Ehre, keinen
Schutz und keine Zukunft haben. Wir wollen sehen: vielleicht sagt dieser
Satz über Michal trotz seiner Unmenschlichkeit uns doch noch etwas
über den Sinn des Tanzes. Das Tanzen und der Jubel ist ja auch die
versprochene Bewegung der Zukünftigen. Ich will das nachher noch ein
wenig ausführen... .
Zunächst ein Zwischenruf an die Tanzfreudigen hier: Sehr wichtig ist
diese neue Bewegung der Sakral-Tanzenden, verlangt sie doch mehr als
nur das Wort. Damit haben ja gerade wir, die Protestanten, ein dickes
Problem. Wir reden viel. Wir tanzen das Reich Gottes nicht herbei, wir
reden es herbei. Und, wenn es nach der Menge protestantischer Rede
ginge, müsste es schon dreimal dasein. Aber, die Hoffnung kommt nicht
allein aus dem Wort und dem Argument. Sie braucht zugleich ihren
starken Bruder, unseren Leib. Sie braucht die Füße als Freunde, sie
braucht die Hände, sie braucht Gesten. Nicht nur unser Mund hat die
Gabe zu reden.
Der Heilige Franziskus z.B. hat am Ende seines Lebens sich selber
angeklagt, er habe den eigenen Leib zu wenig geachtet. Lieber Bruder
Esel, so nennt er ihn zärtlich, vergib mir. Auch wir Protestanten hätten
allen Grund unseren Bruder Esel um Vergebung zu bitten. Unser Bruder
könnte uns vieles wieder lehren, was wir selber schon lange vergessen
haben, und unsere katholischen Schwestern und Brüder gerade im
Begriff sind zu vergessen und was es hier in dieser Kirche zu Zeiten des
Franzikus mit großer Wahrscheinlichkeit gab: die Wallfahrt, die
Prozession, und ( nie ganz zu unterdrücken ) den sakralen Tanz.
Er war übrigens bei den ersten Christen noch ganz unumstritten das,
was er in der Bibel war: nämlich, das Gebet des Körpers und der
umfassenste Selbstausdruck in Klage und Freude. Ostertänze waren
üblich; Trauertänze auch, genauso wie Tänze zu den Trauungen es noch
heute sind in der orthodoxen Kirche. Üblich, und zugleich sehr
umstritten und von einem Teil des Klerus heftig bekämpft. Bereits im 4.
Jahrhundert gab es das 1. allgemeinde Tanzverbot in Kleinasien; durch
eine Synode beschlossen. Chrysostomos verstiegt sich sogar zu der
Aussage: Wo der Tanz ist, da ist der Teufel. Und, wer den Roman der Name
der Rose kennt, erinnert sich vielleicht, dass jener Chrysostomos sogar das
Lachen verbieten wollte. Es gab aber auch prominente Gegenrede zu
solcherart Leib-und Lachfeindlichkeit. Ambrosius, der großer Mailänder
Bischof und Kirchenvater verteidigte das Tanzen mit der Bibel in der
Hand; und zwar schönerweise gerade mit Hinweis auf David und seine
Frau. Er sagt: Der Christ soll ein königlicher Tänzer sein; niemand soll ihn
verachten, wie Michal, die Gattin, den tanzenden David verachtet hat. ( E.Hirsch,
Kommt, singt u. tanzt, S.14 ).
Wenn also Michal und Chrysostomos etwas lernen müssen, dann: dass
es ohne Körperlichkeit, ohne Lachen und Tanz keine Spiritualität gibt;
keinen Tanz der Königskinder.
Aber, ich möchte dabei nun auch nicht stehen bleiben. Vielleicht
könnte Michal uns doch noch etwas fragen - sie könnte ihre Tanzkritik
noch einmal etwas anders formulieren. Vielleicht würde sie die heutige
Bewegung der Liturgisch-Tanzenden fragen nach den Zielen ihrer
Bewegung. Ist es nur Selbsterfahrung ? In einem Flyer des Altonaer
Frauenwerkes lese ich über den sakralen Tanz: Er sammelt uns und stärkt
in uns die Lebensfreude. Ist das alles ? Schreibt das ein Mensch, der der
Kraft und der Stimme der biblischen Tradition überdrüssig ist und in
größter Bescheidenheit nichts will als sich selber erfahren, sich selber
fühlen..., der oder die nur selber vorkommen will ? Nach aller
Erfahrung, auch mit mir selber, würde ich sagen: so etwas hätte dann auf
die Dauer die Brisanz und die theologische Relevanz von Kindergeburtstagen.
Nichts ist langweiliger als nur wir selbst. Wir brauchen das fremde Wort
von außen, an dem wir uns auch manchmal reiben.
Zurück zum Tanz und zu seiner möglichen Botschaft.
An diese unsere kleine Episode vom tanzenden David und der
Bundeslade haben sich große, ja messianische Hoffnungen geheftet:
Einmal werdet ihr tanzen und singen ! Beim Propheten Jeremia heißt es:
Es wird die Zeit kommen..., ( da will ich ) sie sammeln von den Enden der Erde,
auch Blinde und Lahme, Schwangere und junge Mütter ... Da sollst Du Dich
wieder schmücken, Pauken schlagen und herausgehen zum Tanz. (Jer. 31.8-13).
Unser gegenwärtiger Tanz ist damit das Vorspiel der Freiheit. Man tut
schon heute als wäre man angekommen im Land der Versprechungen.
Es wird dort kein Tanz zustandekommen, der nicht schon vorher geübt
und vorgetanzt wurde. Man tut schon so als könnte man.
Du alter Leichtfuß, so mag Michal ihrem Mann damals zugeraunt haben.
Egal, sind wir eben Leichtfüße in den Fußtapfen Davids. „Leichtfuß“
nennt man einen Menschen, dessen Füße jetzt schon zucken, als hörte
er die Pauken von morgen. Man hört schon die Musik aus dem anderen
Land.
Der junge Karl Marx spricht einmal - ganz im Kolorit biblischer Bilder -
vom Reich der Freiheit, in dem alle Verhältnisse tanzen lernen... und in dem der
Mensch kein geknechtetes, verächtliches Wesen mehr ist. Aber, kein Land der
Freiheit wird kommen und keine Lebensfülle, die nicht vorgeträumt,
vorweggetanzt und vorgesungen wird.
Vielleicht hat die Kunst, und so auch die Tanzkunst, mit der Religion die
Ungeduld gemein. Beide wissen oder ahnen, dass wir hier noch nicht
endgültig Zuhause sind. Beide vermissen die Lieder der Stummen, das
Augenlicht der Blinden, den aufrechten Gang der Gebeugten und die
ungeborenen Kinder der Michal. Auch das Warten auf den Messias, den
großen Sohn Davids, will gelernt sein.
Indem wir das alles tun: vorsingen, vorträumen, vorbeten und
vortanzen... sind wir beides zugleich. Wir sind Ausschauhaltende...
Ewig-Morgige und zugleich schon Erfüllte. Wir erleben schon heute
Freundschaft und Liebe. Wir sehen die Sonne aufgehen und ihren
Untergang - zum Sterben schön ! Wir danken und wir loben Gott. Wir
teilen das Brot, als wären wir schon Geschwister und trinken den Wein
der Auferstehung. Und manchmal fangen wir dann sogar an zu tanzen.
AMEN
Freiheit wird kommen und keine Lebensfülle, die nicht vorgeträumt,
vorweggetanzt und vorgesungen wird.
Vielleicht hat die Kunst, und so auch die Tanzkunst, mit der Religion die
Ungeduld gemein. Beide wissen oder ahnen, dass wir hier noch nicht
endgültig Zuhause sind. Beide vermissen die Lieder der Stummen, das
Augenlicht der Blinden, den aufrechten Gang der Gebeugten und die
ungeborenen Kinder der Michal. Auch das Warten auf den Messias, den
großen Sohn Davids, will gelernt sein.
Indem wir das alles tun: vorsingen, vorträumen, vorbeten und
vortanzen... sind wir beides zugleich. Wir sind Ausschauhaltende...
Ewig-Morgige und zugleich schon Erfüllte. Wir erleben schon heute
Freundschaft und Liebe. Wir sehen die Sonne aufgehen und ihren
Untergang - zum Sterben schön ! Wir danken und wir loben Gott. Wir
teilen das Brot, als wären wir schon Geschwister und trinken den Wein
der Auferstehung. Und manchmal fangen wir dann sogar an zu tanzen.
AMEN

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Tanzen

  • 1. Tanzen / 2.Sam.6,14-23 Ausgerechnet Du ! Als ich meiner Frau erzählte, ich würde heute über das Tanzen predigen, hat sie nur gesagt: Ausgerechnet Du ! Ihr Satz mag ein guter Predigtanfang sein, er ist jedoch kein guter, um mit dem Tanzen anzufangen. Davids Frau Michal lacht David aus, weil er angefangen hat zu tanzen; meine Frau dagegen ist eher bekümmert über ihren tanzmuffeligen Mann. Aber, wenn man schon nicht tanzen kann, so kann man wenigstens darüber predigen. Man predigt ja nicht nur über das, was man schon kann, sondern auch über das, was man entbehrt oder eigentlich können möchte. Vielleicht wärs schon für unsereins leichter mit dem Tanzen, hätte der Tanz einen festen Platz im Gottesdienst, so wie es bei den Juden ist... . Da sitze ich mit meiner Frau in einer Synagoge, in der Synoge der Universität Jerusalem, und der altehrwürdige Rabbiner geht gemessenen Schrittes an den Schrank, nimmt die Heilige Schrift heraus und beginnt mit ihr ein Tänzchen. Einigermaßen verblüffend das, wie der Rabbi die Thorarolle zärtlich in den Arm nimmt... wie eine Braut, mit ihr zu tanzen. Und, seine Frau geht durch die Reihen der Gottesdienstteilnehmer, Rosinenkuchen verteilend, und sie wirft ( wie im Karneval ) süße Bonbons unter die Leute. Am Ende tanzen alle munter hinter dem Rabbi und seiner Braut, der Bibel, hinterher in langen, feierlichen Kreisen; wie eine fröhliche und zugleich heilige Polonaise. Noch einen Moment zurück zu uns und zu der vermuteten Tanzmuffeligkeit der christlichen Männer. Ich nehme jedenfalls an, dass meine Frau nicht die Einzige ist, die sich beklagt. Was ist unser Problem? Was steckt hinter unser Tanzmuffeligkeit außer der genannten Traditionsarmut ? Es ist - meine Behauptung - schlicht Angst. Bis auf wenige Ausnahmemänner sind wir Männer schlichte und sehr ängstliche Wesen. Wir wollen unter allen Umständen vermeiden, uns eine Blöße zu geben. Wie gänzlich anders geht es da in Jerusalem zu. Erinnern wir uns.
  • 2. Michal, Davids standesbewußte Frau, kritisiert ihn gerade wegen seines Tanzes und wegen der Blöße, die er sich damit gibt vor den Dienstmädchen Jerusalems. Sie wird geradezu sarkastisch: Herrlich ist heute der König Israels, wie er vor den Mägden seiner Männer sich entblößt, wie sich die losen Leute und Leichtfüße entblößen ! Sagt sie. Sagt er: Ich will vor dem Herrn tanzen, der mich erwählt hat. Ich will noch geringer ( noch lächerlicher ) werden als jetzt, und will niedrig sein in meinen Augen. Aber, bei den Mägden, von denen Du redest, will ich zu Ehren kommen. Nicht nur ein handfester Ehekrach also, sondern da kracht auch etwas zusammen in dem, wie er sich sieht und gesehen werden will. Anarchie ! sagt Michal, die tanzfeindliche Ausnahmefrau. Scheißegal ! sagt der Ausnahmekönig, während er wild und ziemlich ordinär herumtanzt vor der Bundeslade. Lieber beliebt bei den gemeinen Leuten, unter den Frauen zumal, als beim hochnäsigen Hofstaat. Sein ausgelassener, wilder Tanz löst offensichtlich hergebrachte Ordnung auf und macht egalitär wie alles, was uns einfach zu Menschen macht: wie Lachen und Weinen, wie Trauern und Tanzen und alles, was aus uns heraus will in körperlicher Unmittelbarkeit. Jedenfalls: dieser Tanz Davids vor der Bundeslade ist keineswegs ein zahmer, höfischer Gesellschaftstanz oder gar eine lahme Echternacher Springprozession nach dem Motto: 3 Schritte vor, 2 zurück ! David legt sein Königsgewand ab und den Priesterschurz an. In jenen alten Zeiten war ein Kleid nie nur ein Kleid; es war der Wesensausdruck der Person. Der König vergißt also den König, weis nicht mehr, dass er König ist und gerät in die Nähe der Dienstmädchen. Er will nicht mehr wissen, wer er ist, während seine Frau es mit der Angst zu tun bekommt... zusammen mit dem Hofstaat hat sie Angst vor dieser seiner Unmittelbarkeit. Diese elende Angst vor dem Gesichtsverlust: Mein Mann hat Haltung zu bewahren, hat sich immer im Griff zu haben - nie weinen, nie lachen, nie so tanzen in der Öffentlichkeit ! Wer so tanzt, gerät außer sich. Ich entblöße mich in meiner Seele, und manchmal auch am Leib; werde schutzlos und einsichtig. Wie kannst Du ! sagt Michal, sein Weib. Ist das etwas für einen König ? Ist das etwas für Männer ? Ach, Michal, arme Michal ? Von seiner Frau heißt es am Ende der Erzählung: Michal, Sauls Tochter, hatte kein Kind bis an den Tag ihres Todes. Die Bibel, liebe Gemeinde, ist manchmal so plump und rachsüchtig wie die Bildzeitung. Keine Kinder haben hieß ja: keine Ehre, keinen Schutz und keine Zukunft haben. Wir wollen sehen: vielleicht sagt dieser
  • 3. Satz über Michal trotz seiner Unmenschlichkeit uns doch noch etwas über den Sinn des Tanzes. Das Tanzen und der Jubel ist ja auch die versprochene Bewegung der Zukünftigen. Ich will das nachher noch ein wenig ausführen... . Zunächst ein Zwischenruf an die Tanzfreudigen hier: Sehr wichtig ist diese neue Bewegung der Sakral-Tanzenden, verlangt sie doch mehr als nur das Wort. Damit haben ja gerade wir, die Protestanten, ein dickes Problem. Wir reden viel. Wir tanzen das Reich Gottes nicht herbei, wir reden es herbei. Und, wenn es nach der Menge protestantischer Rede ginge, müsste es schon dreimal dasein. Aber, die Hoffnung kommt nicht allein aus dem Wort und dem Argument. Sie braucht zugleich ihren starken Bruder, unseren Leib. Sie braucht die Füße als Freunde, sie braucht die Hände, sie braucht Gesten. Nicht nur unser Mund hat die Gabe zu reden. Der Heilige Franziskus z.B. hat am Ende seines Lebens sich selber angeklagt, er habe den eigenen Leib zu wenig geachtet. Lieber Bruder Esel, so nennt er ihn zärtlich, vergib mir. Auch wir Protestanten hätten allen Grund unseren Bruder Esel um Vergebung zu bitten. Unser Bruder könnte uns vieles wieder lehren, was wir selber schon lange vergessen haben, und unsere katholischen Schwestern und Brüder gerade im Begriff sind zu vergessen und was es hier in dieser Kirche zu Zeiten des Franzikus mit großer Wahrscheinlichkeit gab: die Wallfahrt, die Prozession, und ( nie ganz zu unterdrücken ) den sakralen Tanz. Er war übrigens bei den ersten Christen noch ganz unumstritten das, was er in der Bibel war: nämlich, das Gebet des Körpers und der umfassenste Selbstausdruck in Klage und Freude. Ostertänze waren üblich; Trauertänze auch, genauso wie Tänze zu den Trauungen es noch heute sind in der orthodoxen Kirche. Üblich, und zugleich sehr umstritten und von einem Teil des Klerus heftig bekämpft. Bereits im 4. Jahrhundert gab es das 1. allgemeinde Tanzverbot in Kleinasien; durch eine Synode beschlossen. Chrysostomos verstiegt sich sogar zu der Aussage: Wo der Tanz ist, da ist der Teufel. Und, wer den Roman der Name der Rose kennt, erinnert sich vielleicht, dass jener Chrysostomos sogar das Lachen verbieten wollte. Es gab aber auch prominente Gegenrede zu solcherart Leib-und Lachfeindlichkeit. Ambrosius, der großer Mailänder Bischof und Kirchenvater verteidigte das Tanzen mit der Bibel in der Hand; und zwar schönerweise gerade mit Hinweis auf David und seine Frau. Er sagt: Der Christ soll ein königlicher Tänzer sein; niemand soll ihn
  • 4. verachten, wie Michal, die Gattin, den tanzenden David verachtet hat. ( E.Hirsch, Kommt, singt u. tanzt, S.14 ). Wenn also Michal und Chrysostomos etwas lernen müssen, dann: dass es ohne Körperlichkeit, ohne Lachen und Tanz keine Spiritualität gibt; keinen Tanz der Königskinder. Aber, ich möchte dabei nun auch nicht stehen bleiben. Vielleicht könnte Michal uns doch noch etwas fragen - sie könnte ihre Tanzkritik noch einmal etwas anders formulieren. Vielleicht würde sie die heutige Bewegung der Liturgisch-Tanzenden fragen nach den Zielen ihrer Bewegung. Ist es nur Selbsterfahrung ? In einem Flyer des Altonaer Frauenwerkes lese ich über den sakralen Tanz: Er sammelt uns und stärkt in uns die Lebensfreude. Ist das alles ? Schreibt das ein Mensch, der der Kraft und der Stimme der biblischen Tradition überdrüssig ist und in größter Bescheidenheit nichts will als sich selber erfahren, sich selber fühlen..., der oder die nur selber vorkommen will ? Nach aller Erfahrung, auch mit mir selber, würde ich sagen: so etwas hätte dann auf die Dauer die Brisanz und die theologische Relevanz von Kindergeburtstagen. Nichts ist langweiliger als nur wir selbst. Wir brauchen das fremde Wort von außen, an dem wir uns auch manchmal reiben. Zurück zum Tanz und zu seiner möglichen Botschaft. An diese unsere kleine Episode vom tanzenden David und der Bundeslade haben sich große, ja messianische Hoffnungen geheftet: Einmal werdet ihr tanzen und singen ! Beim Propheten Jeremia heißt es: Es wird die Zeit kommen..., ( da will ich ) sie sammeln von den Enden der Erde, auch Blinde und Lahme, Schwangere und junge Mütter ... Da sollst Du Dich wieder schmücken, Pauken schlagen und herausgehen zum Tanz. (Jer. 31.8-13). Unser gegenwärtiger Tanz ist damit das Vorspiel der Freiheit. Man tut schon heute als wäre man angekommen im Land der Versprechungen. Es wird dort kein Tanz zustandekommen, der nicht schon vorher geübt und vorgetanzt wurde. Man tut schon so als könnte man. Du alter Leichtfuß, so mag Michal ihrem Mann damals zugeraunt haben. Egal, sind wir eben Leichtfüße in den Fußtapfen Davids. „Leichtfuß“ nennt man einen Menschen, dessen Füße jetzt schon zucken, als hörte er die Pauken von morgen. Man hört schon die Musik aus dem anderen Land. Der junge Karl Marx spricht einmal - ganz im Kolorit biblischer Bilder - vom Reich der Freiheit, in dem alle Verhältnisse tanzen lernen... und in dem der Mensch kein geknechtetes, verächtliches Wesen mehr ist. Aber, kein Land der
  • 5. Freiheit wird kommen und keine Lebensfülle, die nicht vorgeträumt, vorweggetanzt und vorgesungen wird. Vielleicht hat die Kunst, und so auch die Tanzkunst, mit der Religion die Ungeduld gemein. Beide wissen oder ahnen, dass wir hier noch nicht endgültig Zuhause sind. Beide vermissen die Lieder der Stummen, das Augenlicht der Blinden, den aufrechten Gang der Gebeugten und die ungeborenen Kinder der Michal. Auch das Warten auf den Messias, den großen Sohn Davids, will gelernt sein. Indem wir das alles tun: vorsingen, vorträumen, vorbeten und vortanzen... sind wir beides zugleich. Wir sind Ausschauhaltende... Ewig-Morgige und zugleich schon Erfüllte. Wir erleben schon heute Freundschaft und Liebe. Wir sehen die Sonne aufgehen und ihren Untergang - zum Sterben schön ! Wir danken und wir loben Gott. Wir teilen das Brot, als wären wir schon Geschwister und trinken den Wein der Auferstehung. Und manchmal fangen wir dann sogar an zu tanzen. AMEN
  • 6. Freiheit wird kommen und keine Lebensfülle, die nicht vorgeträumt, vorweggetanzt und vorgesungen wird. Vielleicht hat die Kunst, und so auch die Tanzkunst, mit der Religion die Ungeduld gemein. Beide wissen oder ahnen, dass wir hier noch nicht endgültig Zuhause sind. Beide vermissen die Lieder der Stummen, das Augenlicht der Blinden, den aufrechten Gang der Gebeugten und die ungeborenen Kinder der Michal. Auch das Warten auf den Messias, den großen Sohn Davids, will gelernt sein. Indem wir das alles tun: vorsingen, vorträumen, vorbeten und vortanzen... sind wir beides zugleich. Wir sind Ausschauhaltende... Ewig-Morgige und zugleich schon Erfüllte. Wir erleben schon heute Freundschaft und Liebe. Wir sehen die Sonne aufgehen und ihren Untergang - zum Sterben schön ! Wir danken und wir loben Gott. Wir teilen das Brot, als wären wir schon Geschwister und trinken den Wein der Auferstehung. Und manchmal fangen wir dann sogar an zu tanzen. AMEN