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2013betterplace lab
ISBN 978-3-00-042251-5
Die Geschichte des Trendreports
geht so: Das kleine betterplace
lab hat fleißig Trends und Cases
gesammelt, um die Menschen zu
inspirieren. „Hui, interessant!“,
frohlocken viele. Das macht das
kleine lab glücklich. Doch weil es
mit dem Trendreport kein Geld
verdient, würde es sich sehr über
eine kleine Spende freuen. Dann
wird der nächste Trendreport
noch schöner und beflügelt von
guten Ideen, verbessern die Men-
schen weiterhin die Welt.
Danke für Deine Spende auf trendreport.betterplace.org 2013Trendreportbetterplacelab
Trendreport
Gute Geschichten machen
neugierigS. 13 →
Gesunde Handys, digitale
Geschichten und Daten für
gute Taten – der betterplace
lab Trendreport 2013
Ein Vorwort von Dr. Joana Breidenbach und Dr. Mark Speich
Vor einem Jahr brachten wir die erste Ausgabe des betterplace
lab Trendreports als Buch heraus–und freuten uns über motivie-
rendes Lob für unsere Arbeit.Wir hörten von NGOs und Stiftun-
gen, die digital-soziale Inspirationen aufgriffen,von Agenturen,
die den Trendreport als Basis ihrer Arbeit für gemeinnützige
Organisationen verwendeten,von Wissenschaftlern und Journalisten, die unsere
Beispiele weiterverbreiteten.
Jetzt freuen wir uns,Euch das Ergebnis eines weiterenJahres weltweiter Recherche
zu präsentieren. Zwölf neue Trends, von Digitalanekdoten über DocHandy bis Big
Data 4 Good, haben wir mit den besten neuen Fallbeispielen (Cases) illustriert, ein
Kondensat der mittlerweile über 460 Cases auf trendreport.betterplace-lab.org.
Der Trendreport 2013 zeigt: Die Digitalisierung im sozialen Sektor schreitet weiter
voran. Vor allem die Entwicklung mobiler Anwendungen wird immer wichtiger.
So konnte betterplace.org dank der Unterstützung durch Vodafone eine Spen-
den-App herausbringen, über die auch Ehrenamt koordiniert werden kann. Und
in Afrika ist die Verbreitung von Handys so flächendeckend, dass der Kontinent
zum zentralen Innovationstreiber weltweit geworden ist – ob über Rinderma-
nagement per SMS (siehe case/iCow) oder Mikroversicherungen auf dem Handy
(siehe case/Changamka).
Der betterplace lab Trendreport bietet vor allem eines: neues Wissen. Dieses
Wissen hilft zivilgesellschaftlichen Organisationen, sich auf die digitale Zukunft
vorzubereiten. Sich den digitalen Gegebenheiten anzupassen. Unterstützer zu
mobilisieren. Das Potential neuer Technologien zu nutzen. Denn Wissen ist auch
Macht, Gutes zu tun.
Wir freuen uns sehr, dass wir dieses Jahr zusätzliche Unterstützer für den Trendre-
port gewinnen konnten.Das Vodafone Institut für Gesellschafft und Kommunikati-
on ist uns mit seiner unverzichtbaren Unterstützung als Hauptförderer treu geblie-
ben.Neu hinzu kommen Förderungen durch die BMW Stiftung Herbert Quandt und
die Bertelsmann Stiftung, die eine Patenschaft für einen Trend übernommen hat.
Wir verstehen den betterplace lab Trendreport als einen digital-sozialen Seismo-
graphen. Nutzt ihn, um euch zu informieren und zu orientieren.Am besten geht
ihr noch einen Schritt weiter, experimentiert mit Ideen und setzt Erfolgsbeispiele
um. Gemeinsam können wir den notwendigen sozialen Wandel noch produktiver
und wirksamer gestalten.
Vorwort
3
Making-of
Transparenz ist ein Megatrend.Das betterplace lab macht mit und
zeigt glasklar (siehe glasklar/Trendreport online),was beim betterplace
lab Trendreport 2013 wie viel gekostet hat.
Konzeption und Layout
ca. 6.600 €
Illustrationen
ca. 300 € pro Stück
Druckkosten
ca. 9.200 €
Gestaltung visueller Index
ca. 600 €
Papier
315g/m2
Korsnäs White
115g/m2
Munken Print white 15
Einwohner der finnischen Gemeinde, nach der das Umschlag-
papier benannt ist
2.233
Distanz von der finnischen Gemeinde, in der unser Illustrator
wohnt, bis zu unserem Büro in Berlin
ca. 1.560 km
Kostenloses Seitenplan-Programm, das wir benutzt haben
flatplanapp.com
Auflage
3.000
Redaktionsschluss
15. Mai 2013
Zahl der Arbeitsstunden für den Trendreport on- und offline
von Dennis, Joana und Kathleen
ca. 2.000
Potenzielle Trendreport-Sponsoren, die wir ohne Erfolg ange-
sprochen haben
4
Euro, die für Produktion und Versand des Trendreports 2012
gespendet wurden:
ca. 1.200 (für diesen Trendreport kann man sich hier bedanken: trendreport.
betterplace.org)
Zahl der Case-Schreiber
6
4
Inhalt
Vorwort ← S. 3
Making-of ← S. 4
Übersicht S. 6 →
Der soziale Sektor S. 9 →
Anleitung S. 11 →
1 Digitalanekdoten S. 13 →
Cases S. 17 →
2 Trade statt Aid S. 21 →
Cases S. 25 →
3 Digitalkampagnen S. 29 →
Cases S. 33 →
4 Direkt-Feedback S. 37 →
Cases S. 41 →
5 Digitalskalieren S. 45 →
Cases S. 49 →
6 Doc Handy S. 53 →
Cases S. 57 →
7 Karma statt Kohle S. 61 →
Cases S. 65 →
8 Offene Innovationen S. 69 →
Cases S. 73 →/Insight S. 76 →
9 Echtzeit S. 81 →
Cases S. 85 →
10 Bildung für alle S. 89 →
Cases S. 93 →
11 Big Data for Good S. 97 →
Cases S. 101 →/Insight S. 104 →
12 Datenspenden S. 109 →
Schlusswort S. 115 →
Impressum S.116 →
Förderer S.117 →
Index S. 118 →
5
Digital-
anekdoten
Gute Geschichten
nehmen neue Wege
über soziale Netzwerke
und transportieren die eigene
Botschaft.
1
Digital-
skalieren
Im Internet finden sich
immer mehr Werkzeuge,
mit denen Organisa-
tionen wachsen und ihren Wir-
kungskreis vergrößern können.
5
Digital-
kampagnen
Über Digitalkampagnen
kann jeder die Massen
für sein Anliegen
mobilisieren.
3
Trade
statt Aid
Milliarden Menschen
haben kaum Geld aber
ein Handy. Sie nutzen
es, um in einem neuen Markt
Jobs zu finden.
2
Doc Handy
Mobile-Health-Inno-
vationen kommen vor
allem aus Afrika lassen
den Westen alt aussehen.
6
Direkt-
Feedback
Digital organisiert,
werden Begünstigte
in Zukunft in Hilfs-
projekten eine aktivere Rolle
übernehmen.
4
6
Echtzeit
Live-Kommunikation:
Wer sich im Internet zu
viel Zeit lässt, provo-
ziert Gähnen statt Begeisterung.
9
Karma
statt Kohle
Immer mehr Organi-
sationen bieten ihre
Mitmach-Möglichkei-
ten auch online an.
7
Big Data
for Good
Wachsende Datenmen-
gen werden NGOs zu
datengetriebenen Er-
kenntnissen und Entscheidungen
verhelfen.
11
Bildung
für alle
Das Internet bricht alte
Strukturen im Bildungs-
sektor auf–online ist das
neue Klassenzimmer.
10
Offene
Innovationen
Ideen-Wettbewerbe:
Weil sich Menschen und
Ideen übers Internet
einfach koordinieren lassen,
nutzen immer mehr Organisati-
onen das Wissen der Crowd.
8
Daten-
spenden
Je stärker sich Daten
als Wirtschaftsgut
etablieren, desto näher
rückt auch eine Datenphilan-
thropie.
12
BildungBildung
7
So funktioniert
der Trendreport
Im Internet sprießen jeden Tag zahlreiche neue digitale Anwen-
dungen und Projekte – wie Setzlinge in einem Gewächshaus. Im
betterplace lab Trendreport sammeln wir diese digitalen Pflänz-
chen–wir nennen sie CASES– und leiten daraus TRENDS ab. Auf
www.trendreport.betterplace-lab.org haben wir bereits über 450 CASES
zusammengetragen:von der App zur besseren Kuhhaltung bis zur Online-Krisen-
karte im Katastrophenfall.
Die gesammelten CASES untersuchen wir nach gemeinsamen Merkmalen und
Eigenschaften und identifizieren so neue digitale TRENDS für den sozialen Sek-
tor. Wenn wir immer mehr CASES finden, bei denen die Begünstigten die Gele-
genheit bekommen, per Handy Feedback zu Hilfsprojekten zu geben und so die
Arbeit der sozialen Organisationen zu verbessern, schließen wir auf den TREND
4/Direkt-Feedback und gucken uns das Phänomen genauer an. Oder wenn sich
zeigt, dass NGOs neue Wege ausprobieren, Geschichten zu erzählen und zu
verbreiten – dann nennen wir den TREND 1/Digitalanekdoten. Hinzu kommen große
TRENDS wie 11/Big Data for Good oder 8/Offene Innovationen, die als Grundlage in viele
weitere TRENDS einfließen. Innerhalb der Trendbeschreibungen versuchen wir,
sowohl die Perspektive der Geldgeber (Stiftungen,Spender etc.) zu berücksich-
tigen als auch jene der ausführenden sozialen Organisationen. Abschließend
fassen wir dann die Chancen und Risiken der jeweiligen TRENDS zusammen.
Weil die TRENDS unterschiedlich weit entwickelt sind,teilen wir sie in drei Wachs-
tumsstadien ein: Am Anfang muss sich noch zeigen, ob junge TRENDS weiter
sprießen, später sind schon erste Triebe zu erkennen und schließlich sind sie fast
schon ein Baum und kaum auszureißen.
Zwölf TRENDS sind hier versammelt, online erweitern wir den Trendreport stetig.
Einige CASES sind so interessant, dass wir ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken.
Wenn die Weltbank beispielsweise von einem reinen Geldinstitut zur Wissensbank
wird und nun auch Informationen zur weltweiten sozial-politischen Entwicklung
veröffentlicht, dann schreiben wir ein sogenanntes INSIGHT und analysieren aus-
führlich, welche TRENDS und Mechanismen dahinterstecken, sprechen mit Ex-
perten und zeigen, was man aus dem Fall lernen kann.
Der Trendreport funktioniert also als Dreiklang aus CASES,TRENDS und INSIGHTS.
PS:Wir kennen uns ja jetzt schon seit dem Trendreport 2012.Deshalb stört es dich
hoffentlich nicht, dass wir dich ab jetzt duzen.
S. 97 →/S. 69 →
S. 37 →
S. 13 →
2. 3.1.
Dieser Trend steht
am Anfang seiner
Entwicklung
S. 104 →
2.
Dieser Trend
wächst heran
3.
Dieser Trend ist
etabliert
1.1.1. 2.2. 3.3.
Anleitung
8
Und so nutzt du die Trends
für deine Arbeit
Viele CASES aus dem Trendreport erscheinen auf den ersten Blick
vielleicht speziell.So mag beispielsweise die Frage aufkommen:
Was kann ich damit anfangen,wenn in Peru medizinische Fern-
diagnose per SMS erfolgt? Oder wenn die Bewohner des Slums
Kibera auf einer Online-Plattform von ihrem Leben berichten?
Die Antwort darauf findet man, indem man die Idee und ihr Potenzial von der
ursprünglichen auf die eigene Situation überträgt. Vielleicht könnte man auch
in Deutschland SMS für Feedback-Zwecke nutzen, für sehr junge Mütter, die
Fragen zum Umgang mit ihrem Kind haben? Oder ein Projekt ins Leben rufen,
das denen online eine Stimme gibt, die sonst nicht gehört werden–zum Beispiel
Obdachlosen.Wenn man die Bedürfnisse und Motivationen hinter einer Idee oder
einem neuen Produkt versteht,werden die Mechanismen deutlich und lassen sich
adaptieren. Deshalb finden sich auch einige Beispiele im Trendreport, die nicht
aus dem klassischen sozialen Sektor stammen (Sproxil) – die aber so gute Ideen
sind, dass sie auch im sozialen Sektor einen Platz finden sollten.
Weil das Internet an sich eine immer zentralere Rolle im Leben der Menschen
spielt, ist es auch wichtig, dessen allgemeine Entwicklungen wie Schnelligkeit
(9/Echtzeit), Transparenz oder Nutzerfreundlichkeit zu berücksichtigen. Auch
Organisationen des sozialen Sektors können diese Strömungen nutzen.
Wenn dich nun ein Beispiel aus dem Trendreport besonders inspiriert oder du eine
Idee hast, mit der du einen Trend konkret anwenden willst–dann probier es aus!
Es lohnt sich, denn Trends können über einzelne Experimente hinaus auch die Vi-
sion deiner Organisation und deiner Arbeit beeinflussen. Lass dich dazu anregen,
neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln oder bei bestehenden Initi-
ativen mitzuwirken. Auf diese Weise können neue Geschäftskonzepte und sek-
torübergreifende Partnerschaften entstehen, die dazu beitragen, die Arbeit im
sozialen Sektor zu verbessern. Hab den Mut, zu experimentieren und Risiken ein-
zugehen–falls du dabei Unterstützung brauchst, zapf all die cleveren Menschen
da draußen für gute Ideen an. Denn auch das ist ein Trend (8/Offene Innovationen).
Dies ist bereits die zweite Ausgabe des betterplace lab Trendreports. Viele
der Trends aus der Ausgabe 2012 sind auch noch heute spannend und werden
im Text erwähnt (siehe Trendreport online). Du findest alle bisherigen Trends auf
www.trendreport.betterplace-lab.org/trends
Anleitung
S. 59 →
S. 81 →
S. 6 →
9
„Die Mehrheit der Deutschen ist noch nicht in der digitalen
Gesellschaft angekommen“, sagte der Internetforscher und
Vizepräsident der Initiative D21, Robert Wieland, im April 2013.
Wir fügen hinzu: „Die Mehrheit der deutschen Organisationen
des sozialen Sektors ist noch nicht in der digitalen Gesellschaft
angekommen.“ Denn wenn wir nach Innovationen suchen, finden wir sie oft
in Afrika, in den USA, in Asien, Südamerika und einigen europäischen Ländern.
Aber kaum in Deutschland. Unser Eindruck: Weltweit ist eine starke Dynamik
zu spüren, überall wird mit neuen Apps,Websites oder digitalen Erzählformaten
experimentiert. Doch nennenswerte Cases aus Deutschland konnten wir für den
Trendreport nur wenige finden.
Wieso zögern deutsche Organisationen, wenn es um neue Internetanwendun-
gen geht? Unsere Studie „NGOs im Netz“ zeigt: Es sind besonders die großen
Organisationen, die Probleme haben, ihre vielen Mitarbeiter für Online-Kommu-
nikation zu begeistern, und die bei Internet-aversen Chefs in der Prioritätenlis-
te nicht vorankommen. Kleinere Organisationen wie etwa Viva von Agua oder
Shelterbox sind hingegen flexibler und experimentierfreudiger (Unsere Studie:
betterplace-lab.org/projekte/digitalisierungsstudie).
Trotzdem: Insgesamt mangelt es dem deutschen sozialen Sektor an digitalen
Innovationen. Beth Kanter,Social-Media-Guru für NGOs in den USA, nennt jene
Organisationen, die noch am Anfang ihrer digitalen Entfaltung stehen, Craw-
ler (Krabbler). Diese Organisationen nutzen soziale Medien noch gar nicht und
haben auch keine Strategie, um ihr Netzwerk auszubauen. Walker sind schon
auf Facebook etc., allerdings ohne Kommunikationsstrategie. Runner und Fly-
er sind entsprechend fortgeschritten und haben verschiedene Online-Kanäle
ganz oder teilweise auch in die Organisationskultur integriert.
Wie viele Organisationen in Deutschland Online-Kanäle wie professionell nut-
zen, ist weitgehend unklar – ein Grund, warum das betterplace lab mit dem
NGO-Meter ein erstes Benchmarking durchführt. Doch die oben erwähnten
wenigen deutschen Cases zeigen, dass es hierzulande nur wenige Runner und
Flyer wie etwa Save the Children gibt.
Ein Grund für die Zurückhaltung mag die „allgemeine Einstellung“, die „Kul-
tur“ in deutschen Organisationen sein. Ein weiterer ist, dass es hier keine pro-
gressive Förderlandschaft wie etwa in den USA gibt. Die Omidyar Foundation,
die Hewlett Foundation, die Knight oder die Case Foundation sind nur wenige
Beispiele für Förderer, die sich der digital-sozialen Entwicklung verschrieben
haben. Ausnahmen in Deutschland sollen nicht ungenannt bleiben: Vodafone
unterstützt das Zeitspenden- und Mobile-Projekt von betterplace.org und Te-
léfónica fördert mit Think Big über digitale Wege das Engagement von Jugend-
lichen. Als wir aber beispielsweise SMS-Feedback pilotieren wollten, sagte uns
eine Stiftung, dass das noch zu weit vorne sei.
Wie und warum das better-
place lab den sozialen Sektor
in Deutschland verändern
möchte
Der soziale Sektor
10
Wir haben zwar kein Geld, mit dem wir Organisationen der Zivilgesellschaft bei
digital-sozialen Projekten unterstützen können. Aber wir haben Wissen aggre-
giert, das als Inspiration dienen soll. Dass als Motivation dienen soll, mit Inno-
vationen zu experimentieren. Sicher, wer experimentiert, kann scheitern. Doch
hier denken wir ähnlich wie die Case Foundation (USA) mit ihrer Be-Fearless-
Kampagne: Take risks, be bold, fail forward.
Denn nur wer sich traut, Neues auszuprobieren, kann lernen. Der Trendreport
soll in dieser Hinsicht Mut machen. Die Trends und über 450 Cases (trendre-
port.betterplace-lab.org) verschaffen Orientierung und einen ersten Über-
blick der Möglichkeiten. Sie zeigen, was andere schon ausprobiert haben und
was dabei herausgekommen ist.
Der soziale Sektor in Deutschland–NGOs, CSR-Abteilungen,Stiftungen bzw. zi-
vilgesellschaftliche Organisationen (ZGOs), wie wir es zusammenfassen–möge
sich diese Beispiele anschauen und wenn möglich adaptieren. Wir möchten die
ZGOs mit dem Wissen des Trendreports ermutigen, ihre Zurückhaltung bezüg-
lich der digitalen Möglichkeiten abzulegen. Im besten Falle lernen die ZGOs da-
bei transparent und öffentlich und somit von- und miteinander.
Wir sind optimistisch. Denn im Vergleich zum letzten Jahr steigen die Anfragen
nach Workshops und Studien zu Social Media und Internetnutzung für den gu-
ten Zweck. Selbst aus Ministerien und großen Institutionen der Entwicklungs-
zusammenarbeit wird das entsprechende Wissen nachgefragt.
Mit dem betterplace lab Trendreport 2013 veröffentlichen wir unser aktuelles
Wissen, auf dass mehr und mehr ZGOs nicht nur in der digitalen Gesellschaft
ankommen, sondern sie auch aktiv mitgestalten. Viel Spaß beim Experimentie-
ren, Lernen und besserwerden.
Der soziale Sektor
Digitalanekdoten
Ob als NGO, Stiftung, CSR-Abteilung oder Ministerium: Jeder möchte mit seiner
Botschaft möglichst viele Menschen erreichen. Weil das nicht einfach ist, gibt es
viele Kommunikations- und PR-Agenturen. Doch auch als kleine Organisation
kann man seine Geschichte verbreiten. Digitale Werkzeuge machen es einfacher,
seinen eigenen kleinen Film halbwegs professionell zu produzieren, und soziale
Netzwerke sind ein kostenloser Kanal der Verbreitung. Wie Geschichten rezipiert
und verbreitet werden, hat sich durch die Digitalisierung verändert – man spricht
von Digital Storytelling. Während früher nur wenige Produzenten die Mittel hat-
ten, um Bücher, Fotos oder Filme zu produzieren und zu verbreiten, kann dies
heute jeder Smartphonebesitzer, der Internetzugang hat.
Im Trend Digitalanekdoten trifft moderne
Technologie auf ein uraltes Phänomen. Seit
es Sprache gibt, erzählen Menschen sich
Geschichten. Diese Geschichten verbreiten
sich über das Internet und multimediale
Formate heute auf neuen Wegen. Geschich-
ten sind wichtig, denn über Geschichten
geben Menschen den Dingen einen Sinn. Und
weil diese Dinge immer komplexer werden
und wir über das Internet mit immer mehr
Informationen konfrontiert werden, müssen
Geschichten diese abstrakten Zusammen-
hänge auf den konkreten Boden der Tatsa-
chen zurückholen. Daten und Informationen
kann man, wenn man sich bemüht, verstehen.
Geschichten aber gehen tiefer.
Digitalanekdoten → Trend
1
13
Allerdings entspricht der geringe Aufwand meist auch der kurzen Aufmerksamkeits-
spanne im Internet. Wenn der Inhalt nicht gerade außergewöhnlich ist (etwa Handy-
Videos von Unruhen in Ägypten, Syrien oder Iran), erreicht man mit hochwertigeren
Produktionen auch mehr Menschen über einen längeren Zeitraum. So erzählt die
erfolgreiche Wasserinitiative charity: water (siehe Yellow Thunder) ihre Geschichten
nicht nur inhaltlich und dramaturgisch auf hohem Niveau, sondern investiert auch
viel Geld in Kameratechnik und -experten. Damit auch finanziell schwache Grass-
root-Organisationen mit professionellen Fotos beeindrucken können, bringen Platt-
formen wie PhotoPhilanthropy sozial engagierte Fotografen und NGOs zusammen.
Menschen verstehen Menschen, nicht Organisationen
och im Internet muss man sich nicht auf den einen großen Film
oder die eine Kampagne beschränken. Wichtig ist auch, Ge-
schichten des Alltags kontinuierlich zu erzählen. Der Trend heißt
Digitalanekdoten, weil gerade diese neue Art der täglichen Kom-
munikation über Facebook, Twitter und andere Netzwerke in
Form von Geschichtenschnipseln abläuft. Ein Tweet ist maximal 140 Zeichen
lang und auch bei Facebook muss die Botschaft pointiert rüberkommen, wenn
sie sich in der Flut der Meldungen behaupten soll.
Diese Anekdoten haben oft Kaffeeklatschcharakter: Sie sind gerade erst pas-
siert, umgangssprachlich formuliert und unterhaltsam. Menschen verstehen Men-
schen, und Organisationen bekommen ein Gesicht und werden greifbar, wenn sie
die Anekdote des Wasserrohrbruchs oder des verrückten Kaffeevollautomaten
erzählen, der immer erst nach einem Schlag auf die Seite funktioniert. Durch
solche leicht verdaulichen Geschichten werden die ernsthaften, anstrengenden
Botschaften aufgelockert.
Der Unterschied zwischen abstrakter Organisation und interessantem Mensch
wird an diesem Beispiel deutlich: Die Biographie Mountains beyond Mountains
über Paul Farmer, Gründer der NGO Partners in Health, verkaufte sich milli-
onenfach, und Umfragen zeigen, dass jeder Zweite, der für Partners in Health
spendet, von dem Buch inspiriert wurde. Farmers eigenes Buch über seine Arbeit
in der Organisation hat dagegen nur ein paar Tausend Leser gefunden.
Die eigentliche Kunst des Geschichtenerzählens:
Unwichtiges aussortieren.
ie Kunst ist also, Geschichten so zu erzählen, dass sie für die
Zielgruppe oder darüber hinaus einen Mehrwert haben, sodass
die Menschen die Geschichten weitererzählen. Durch das Wei-
tererzählen gewinnen die Geschichten dann an Authentizität und
Glaubwürdigkeit. Denn nicht die NGO, die im eigenen Interesse
kommuniziert, sondern quasi neutrale Menschen empfehlen und teilen mit uns
Inhalte. Oft sogar Menschen, die wir kennen und denen wir vertrauen.
Wer das Handwerk des Geschichtenerzählens beachtet, kann sich in den neu-
en Formaten ausprobieren. Über Anwendungen wie Storify lassen sich Tweets,
YouTube-Videos und andere Streams auch leicht zu einer stringenten Gesamt-
geschichte vereinen. Videos eignen sich grundsätzlich gut, um komplexe Zusam-
menhänge verständlich zu machen, und bei YouTube lassen sich auch verlinkte
Anmerkungen einbauen. Aber gerade Animationen sind auch mit finanziellem
und zeitlichem Aufwand verbunden. Der Film über betterplace.org wurde ehren-
amtlich animiert, würde aber normalerweise rund 15.000 € kosten.
Fotos sind nach wie vor wichtig für das visuelle Wesen Mensch, und sie können dank
S. 87 →
D
D
Digitalanekdoten → Trend
1
14
Smartphones von überall authentisch Geschichten mit Live-dabei-Gefühl erzählen.
Wenn beispielsweiseeine NGOeine Schuleeinweiht, sollte sie ihren Spendern so zeit-
nah wie möglich per Video und Fotosdiese Geschichteerzählen. Bei Live-Eindrücken
geht es dann auch weniger um die technische Perfektion der Aufnahmen. Der Boom
der digitalen Formate bedeutet aber nicht, dass Druckerzeugnisse aussterben. Das
haptische Erlebnis eines hochwertigen Heftes wirkt meist sogar langfristiger und
verbindlicher. Allerdings sind gedruckte Geschichten meist auch teurer.
Egal ob digital oder analog: Wichtig ist, dass die Rezipienten Möglichkeiten ha-
ben, sich mit der Geschichte zu identifizieren. Setzt sich eine NGO beispielswei-
se für blinde Mütter in Indien ein, so besteht zunächst das Problem, dass die
meisten potenziellen Unterstützer keinen Zugang zu dem Thema haben, weil sie
selbst keine blinde Mutter sind. Es muss also Relevanz und Verständnis geschaf-
fen werden. Das funktioniert am besten, indem das Problem auf Einzelschicksale
heruntergebrochen und anschaulich gemacht wird. Anekdoten über Alltagssitua-
tionen einer blinden Mutter schaffen Nähe und sind verständlicher als abstrakte
systemische Gesamtzusammenhänge des Phänomens „Blinde Mütter in Indien“.
Diese Reduktion von Komplexität ist wichtig, damit Menschen ein Problem als
lösbar betrachten und entsprechend handeln, weil sie Teil der Lösung sein wollen.
Mit leichter Kost locken, um an schwere Themen heranzuführen
omplexitätsreduktion ist also einerseits wichtig, um gehört zu
werden. Andererseits ist sie auch immer eine Gratwanderung:
Was kann ich weglassen, ohne dass der Kern der Geschichte ver-
zerrt wird? Die Kony2012-Kampagne ist ein Paradebeispiel für
Komplexitätsreduktion. Doch für die Gleichung „Uganda minus
Kony gleich alles wird gut“ hat die NGO Invisible Children viel Kritik einstecken
müssen. Sie hat aber auch so viele Menschen wie nie zuvor mit einem Thema in
Kontakt gebracht, das speziell und schwer zugänglich ist.
Doch Organisationen können ihre Geschichten nicht nur professionell erzählen
und verbreiten. Sie können auch Geschichten von ihren Unterstützern und Unter-
stützten sammeln. Besonders die Anekdoten der Hilfsempfänger bergen ein großes
Lernpozential. Über Expertendialoge und Feedback-Formulare können diese Men-
schen kaum erreicht werden. Wenn man sie aber einfach ihre Geschichte erzählen
lässt, bekommen die Organisationen wertvolle und tiefer gehende Erkenntnisse. So
hat Global Giving 36.000 Geschichten von Begünstigten gesammelt, aufbereitet
und ausgewertet. (Mehr zu diesem „Story-Hearing“ im Trend Direkt-Feedback.)
Mit Geschichten lassen sich aber nicht nur Unterstützer, sondern auch Unterstütz-
te erreichen. In Kenia klärt das Projekt I-Call die Bevölkerung mit SMS-Seifenopern
zu Themen wie Gesundheitsvorsorge oder Umweltschutz auf. In Geschichten
verpackt kommt das Wissen nicht von oben herab, sondern wird unterhaltsam
zugänglich und von den Menschen auch gewollt.
Chancen
Glaubwürdigkeit und Öffentlichkeit.
etc.), aus denen Organisationen lernen können (Welche Geschi-
chten funktionieren besonders gut?).
kostenlos.
S. 19 →
K
Digitalanekdoten → Trend
1
15
Risiken
Filmen und Fotografieren erfordern entsprechende Grund-
kenntnisse und redaktionellen Aufwand.
Geschichten finden. Sonst droht ein Übermaß an Oberfläch-
lichkeit.
-
bar. Zwar lassen sich Klicks und Kommentare zählen – das
daraus resultierende Engagement aber nur indirekt.
Fazit
Stiftungen, CSR-Abteilungen und NGOs nutzen das Potenzial
ihrer Geschichten bislang kaum. Chris Hughes, Facebook-Mit-
gründer und Mastermind des Obama-Online-Wahlkampfes, gab
als maßgeblichen Grund des Scheiterns der von ihm gegründeten
Plattform Jumo an, dass die NGOs nicht die Art von Geschichten
erzählen könnten, die Unterstützer begeistern und binden. Doch
besonders soziale Organisationen müssten so viel zu erzählen
haben von ihrer Arbeit mit Menschen – emotionale, packende
und dringende Geschichten. Doch das Handwerk will gelernt
sein. Für die meisten NGOs würde es sich aber durchaus lohnen,
in Digital Storytelling zu investieren: Junge Menschen haben ei-
nen guten Zugang zu den Tools, andere können Grundlagen in
Schreibworkshops vermitteln (wie in diesem How-To-Digitalan-
ekdoten des betterplace lab). charity: water macht es vor, und
immer mehr NGOs erzählen online – nicht nur Erfolgsgeschichten
(siehe Produktiv scheitern/Trendreport online). Denn über kontinuierliche
Digitalanekdoten bleibt eine NGO im Bewusstsein ihres Unter-
stützerkreises, zeigt, dass sie auch nur aus Menschen besteht,
und schafft so Nähe und Glaubwürdigkeit.
Digitalanekdoten → Trend
1
16
Das Storytelling-Projekt von Ärzte ohne Grenzen
ist eine virtuelle Reise durch sieben reale Slums.
Die medizinische Nothilfe-Organisation betreibt
dort Gesundheitsprojekte und will mit dem Mul-
timedia-Projekt das Leben in den Slums greifbar machen. Zum
ersten Mal in der Geschichte lebt mehr als die Hälfte der Welt-
bevölkerung in Städten. Die schnelle und dauerhafte Urbani-
sierung führt dazu, dass bestehende Slums anschwellen und in
vielen Städten neue Siedlungen aus Wellblechhütten und Plas-
tikverschlägen entstehen. Die Lebensbedingungen sind oft sehr
schlecht. Es gibt kein sauberes Trinkwasser, kaum Toiletten
oder Zugang zu medizinischer Hilfe. Als Besucher der Website
Urban Survivors kann man durch Filme, Soundschnipsel, Sta-
tistiken, Interviews und Fotostrecken eine virtuelle „Reise“ in
die Slums unternehmen. Über die vielen verschiedenen Kanäle
werden interessante Geschichten über die Bewohner erzählt
und so alltägliche Probleme aufgezeigt. Auf diese Weise lernen
die Nutzer das Leben eines großen Teils der Bevölkerung auf
der ganzen Welt kennen, zum Beispiel in Guatemala, Honduras
oder Südafrika. Das ist von Profis gemachtes Digital Storytel-
ling auf hohem Niveau.
Urban Survivors
www.urbansurvivors.org
Digitalanekdoten → Cases
1
17
Die Welthungerhilfe macht Landraub zu einem
Spiel und zeigt mit einer guten Portion Humor,
wie ernst das Thema ist. Bei „das kostet die Welt“
schlüpft der Spieler in die Rolle eines Investors
und möchte möglichst viele Länder in seinen Online-Waren-
korb legen. Als raffgieriger Spekulant muss der Spieler dabei
darauf achten, dass die geraubten Länder ertragreiches Acker-
land, gute Wasserversorgung und möglichst hohe Korruption
aufweisen. Landraub im Kongo lohnt sich beispielsweise rich-
tig – dafür gibt es über 2.000 Punkte. Sobald der Warenkorb
gefüllt ist, wird der Punktestand angezeigt und der Spieler
wird je nach Erfolg als Kleinkrimineller oder Global player in
ein Ranking aufgenommen.
Gleichzeitig bekommt der Nutzer bei der Auswertung seiner
Land-Grabbing-Erfolge Informationen über die Folgen von
Landraub: Angefangen beim sinkenden Grundwasserspiegel
durch zu hohen Wasserverbrauch bis hin zur Misere der Klein-
bauern, die von ihrem Land vertrieben werden. Um dem Spieler
nach seinem Raubzug die Möglichkeit zu bieten, selbst etwas zu
verändern, wird ihm ein zu seinem Punkteergebnis proportio-
naler Betrag angeboten, den er an die Welthungerhilfe spenden
kann. Je erfolgreicher der Raubzug, desto höher die Spende!
Das kostet die Welt
www.das-kostet-die-welt.de
Digitalanekdoten → Cases
1
18
In Kenia sammelt das Projekt I-Call lehrreiche
Erfolgsgeschichten aus den Bereichen Umwelt
und Gesundheit. Dabei wird auf die Basisfunkti-
on eines jeden Handys zurückgegriffen – den Spra-
chanruf. Über ein Mailboxsystem entstehen so kleine Seifen-
opern, die unter einer kostenlosen Telefonnummer angehört
werden können. Per Tastendruck kann der Zuhörer interaktiv
dem Verlauf der Story folgen, beispielsweise der Geschichte
von Purity, die durch Recycling ihren Lebensunterhalt sichern
kann. Am Ende der Story steht also ein Happy End mit Vorbild-
charakter, das andere zu ähnlichen Ideen inspirieren soll. Da
fast 30 Millionen Menschen in Kenia ein Handy besitzen, kön-
nen per Sprachanruf viele Menschen erreicht werden. 2012 hat
das Projekt I-Call den deutschen eLearning Award gewonnen.
I-Call
www.common-sense.at/en/mobile-awareness-raising
Digitalanekdoten → Cases
1
19
Die Base-of-Pyramid (BoP) nimmt ihr Schicksal zunehmend selbst in die Hand:
Gemeint sind jene zwei bis vier Milliarden Menschen, die weniger als zwei US-
Dollar am Tag zur Verfügung haben und bislang in unternehmerischen Wert-
schöpfungsketten vernachlässigt wurden. Diese Menschen zählen auch zu den
Hilfsempfängern der NGOs bzw. des sozialen Sektors und der Entwicklungszu-
sammenarbeit. Doch entstehen immer mehr neue Geschäftsmodelle, die es sich
zunutze machen, dass diese Zielgruppe zwar eine geringe individuelle Kaufkraft
hat, aber aggregiert einen Massenmarkt darstellt, für den es sich lohnt, Produk-
te und Dienstleistungen zu entwerfen. Viele BoP-Konzepte richten sich an arme
Menschen als Kunden, z.B. indem man ihnen kleine Packungen Haarshampoo
oder Waschpulver verkauft oder ihnen einen Mikrokredit gibt, mit dem sie eine
Bewässerungsmaschine kaufen können.
Digitale Technologien bergen ein großes
wirtschaftliches Potential für arme Bevölke-
rungsgruppen. Dank Internet und Mobil-
funk können viele derer, die wir bislang die
Begünstigten nennen, ihre Interessen selbst
in die Hand nehmen und sich von Hilfs-
strukturen und NGOs emanzipieren. Men-
schen, die bislang aus Wirtschaftskreis-
läufen ausgeschlossen waren, bekommen nun
durch digitale Technologien Zugang und
können ihre Lebensverhältnisse eigenver-
antwortlich verbessern.
Trade statt Aid
Trade statt Aid → Trend
2
21
Schon Jack Welch, ehemaliger Chef von General Electric, sagte: „Control your
own destiny. Or someone else will.“ Ebendiese Selbstbestimmung ermöglichen
BoP-Ideen, die arme Bevölkerungsgruppen integrieren, so dass sie ausreichend
Einkommen erwirtschaften können. Beispielsweise bietet das Sozialunternehmen
Solar Sisters Afrikanerinnen ein Solar Start Kit, welches sie nach einer Schulung
und mit Marketing-Unterstützung in ihren Netzwerken an Nachbarn, Familie und
Freunde vertreiben. Modell: Tupperparty für Solarenergie.
AnsätzewiediesewerdenauchvonEntwicklungsökonomenunterstützt,dennJobssind
ein besseres Instrument zur Armutsbekämpfung als Hilfeleistungen. Bezahlte Arbeit
führt zu einer Reihe positiver Folgen: Sie macht Menschen unabhängig, gibt ihnen
Würde, spornt an, eigene Fähigkeiten weiterzuentwickeln, und stärkt die Kaufkraft
im Land. Untersuchungen bestätigen, dass Arbeit der wichtigste Hebel ist, um Fami-
lien aus der Armut zu holen (s. Buch Poor Economics). Auch die etablierte EZ sucht
immer mehr nach marktwirtschaftlichen Ansätzen, um Armut zu beseitigen. So star-
teten Devex und USAIDdie Online-Community Devex Impact, aufder sich über 4.000
Entwicklungsexperten und Unternehmer austauschen und Kooperationen initiieren.
Online Zugang zu Mikrokrediten und Vorfinanzierung
nternetplattformen wie Kiva, MyC4 oder Zafén vermitteln Mik-
rokredite an Kleinunternehmer, die damit wichtige Investitionen
tätigen können. Von dem Billiardtisch für eine Kneipe in Baku, der
den Umsatz steigern soll, bis zur Nähmaschine für eine Township-
Bewohnerin im südlichen Afrika unterstützen mittlerweile schon
Millionen von sozialen Investoren über solche Online-Plattformen Menschen dabei,
ein eigenes Geschäft aufzubauen. Auch Crowdfunding- und Spendenplattformen
wie Kickstarter, Indiegogo oder betterplace.org werden von Kleinunternehmern
genutzt, um Startkapital zu sammeln oder Produkte vorfinanzieren zu lassen.
Besonders Handys haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, Menschen aus
der Armut zu holen. Mehrere Studien zeigen, dass mit der Zahl der genutzten Mo-
biltelefone in einem Land auch dessen Bruttoinlandsprodukt wächst (das Tempo
ist besonders in Entwicklungsländern hoch). Viele Entwicklungsexperten sehen in
Mobiltelefonen das wohl wichtigste Entwicklungswerkzeug. Allein in Afrika haben
bereits 80 Prozent der Menschen ein Handy, Prognosen gehen davon aus, dass es
2017 über eine Milliarde Handynutzer auf dem Kontinent geben wird. Und Herstel-
ler wie Huawei entwickeln günstige Smartphones für diesen Markt: Es wird davon
ausgegangen, dass diese Modelle 2016 einen Anteil von 43 Prozent weltweit haben.
Mobilfunk revolutioniert unternehmerisches Handeln
m Zuge des Trends Trade statt Aid werden Mobiltelefone fürs
Banking, die Vergabe von Krediten, den Abschluss einer Versi-
cherung oder die Verbreitung von aktuellen Marktinformationen
genutzt. Das Vorzeigeland für mobiles Banking ist Kenia mit dem
SMS-Bezahl-Service M-Pesa. Mittlerweile können mehr als 15
Millionen Kenianer über ihr mobiles M-Pesa-Konto Geld transferieren. So haben
Menschen, die bislang als „unbanked“ galten, da herkömmliche Banken zu hohe
Die Zeit der passiven Hilfeempfänger
ist vorbei
I
I
Trade statt Aid → Trend
2
22
Gebühren und Sicherheiten für die Eröffnung eines Kontos verlangen, erstmals
Zugang zum Finanzsystem. Auch in Asien gibt es immer mehr Mobile-Banking-
Angebote, etwa die Dutch Bangla Bank in Bangladesch. Weil dort mehr als die
Hälfte der Menschen ein Handy hat, wuchs die Zahl der Kontoinhaber unter den
Einkommensschwachen von 13 auf 33 Prozent. Auch Versicherungsleistungen
stehen dank digitaler Technologien armen Zielgruppen vermehrt zur Verfügung.
So können kenianische Kleinbauern bei Kilimo-Salama eine kostengünstige Versi-
cherung gegen Ernteausfall abschließen.
Kühe per SMS managen
nformationstransfer per App oder SMS wird immer populärer. So
bietet die App iCow, entwickelt von einem ostafrikanischen Bau-
ern, Zuchtinformationen für Kühe. Der Nutzer registriert seinen
Viehbestand bei iCow und erhält SMS, die ihn an Impftermine und
Melkzeiten erinnern sowie wertvolle Information zu Futter und
Zucht beinhalten. iCow wurde als Alternative zu Hilfsleistungen, die die Bauern
sonsterhalten hätten, mit Unterstützungeinerenglischen Stiftungentwickelt. Dessen
Geschäftsführer schreibt: „Farmers have been empowered to improve their own lives
through accessing critical agricultural information as opposed to depending on aid“.
Immer mehr digitale Dienste bieten Informationen für Bauern und Händler an.
Reuters Market Light versorgt Millionen indische Bauern für 90 Cent im Monat
mit Informationen zu Wetter und aktuellen Marktpreisen sowie mit Saat- und
Ernteanleitungen. Ein indischer Bauer, der auf Mittelsmänner angewiesen ist, die
seine Ware zum nächstgelegenen Markt bringen, kennt so den Durchschnittspreis
für das Kilo Getreide, das er gerade geerntet hat, und kann vom Zwischenhänd-
ler nicht mehr so leicht übers Ohr gehauen werden.
Das Internet als Jobhighway
ber Samasource können Menschen weltweit und unabhängig
direkt von ihrem Wohnort digital für Firmen arbeiten. Auf der
Plattform veröffentlichen IT-Unternehmen wie eBay oder Lin-
kedIn Mikrojobs, etwa das Taggen von Bildern, die u. a. von
Bewohnern des größten Flüchtlingslagers Dadaab in Nordke-
nia erledigt werden. Auch in Industriestaaten gibt es mittlerweile Plattformen
für Mikro-Jobs. Auf Taskrabbit werden in den USA meist lokal ausgerichtete
Alltagsjobs – vom Einkaufen über den Zusammenbau eines Ikearegals bis zum
Gassigehen mit dem Hund – ausgeschrieben und gegen geringe Bezahlung von
Interessierten erledigt.
Chancen
Digitale Medien, mit deren Hilfe Jobs und Infrastrukturen für
Handel geschaffen werden, sind für Geldgeber und NGOs be-
sonders förderungswürdig.
Eine technologische Infrastruktur für Trade statt Aid gibt es in
den meisten Ländern schon, sei es über weitverbreitete Mobil-
telefone oder kommunale Internet-Kioske.
Die Kosten für digitale Medien sinken, die Kommunikations-
infrastruktur wird weiter ausgebaut.
In vielen Fällen bieten sich Kooperationen mit Akteuren aus
der Telekommunikationsindustrie an, die die erforderlichen
Budgets bereitstellen können und mittelfristig selbst von den
S. 25 →
S. 26 →I
U
Trade statt Aid → Trend
2
23
geknüpften Netzwerken und dem Imagegewinn profitieren.
Geldgeber aus dem sozialen Sektor und der EZ können die An-
schubfinanzierung für Trade-statt-Aid-Projekte bereitstellen.
Oft werden die spannendsten Trade-statt-Aid-Projekte in Ent-
wicklungsländern selbst entwickelt. Technologieexperten und
Unternehmer vor Ort wissen am besten, welche digitale Infra-
struktur benötigt wird. Über direkte Feedbackschlaufen zwi-
schen Tech-Unternehmern und Nutzern können die Angebote
passgenau weiterentwickelt werden.
Risiken
Nicht jeder Mensch ist ein Unternehmer und bereit, Risiken
einzugehen und flexibel seine Dienstleistungen an die Nachfra-
ge anzupassen.
Die gemischte Bilanz der Mikrokredite zeigt, dass Trade statt
Aid kein Allheilmittel ist. Studien haben gezeigt, dass viele Mi-
krokredite nicht in den Unternehmensaufbau, sondern in das
Stopfen von Löchern (Medizin in ärztlichen Notfällen, Schul-
geld etc.) fließt.
Umeineneffizienten und gerechten Handel zuermöglichen, muss
das Welthandelssystem umgebaut, d.h. protektionistische Maß-
nahmen vor allem der USA und Europa abgebaut werden. Dies
ist in Industriestaaten ein solch massives Politikum, dass ein
schneller Umbau unrealistisch erscheint.
Fazit
Der soziale Sektor tut viel Gutes. Besonders nach Katastrophen
sind NGOs und Nothilfe unverzichtbar. Doch bei der Bekämp-
fung „allgemeiner Armut“ führen Spenden und Sachgeschenke
auch zu Abhängigkeitsverhältnissen. Genau das Gegenteil, näm-
lich Selbstständigkeit, kann erreicht werden, wenn Menschen
Möglichkeiten bekommen, ihr eigenes Geld zu verdienen. Es gibt
zwar nicht zwei Milliarden offene Stellen, die die Ärmsten nur
per SMS annehmen müssen. Aber über Mobilfunk und Internet
entstehen Infrastrukturen, die so günstig nutzbar sind, dass sie
auch im Mikrobereich und bei kleinen Beträgen den Austausch
von Angebot und Nachfrage ermöglichen. So kann an der Base
of the Pyramid ein gewisser Wohlstand entstehen. Diese selbst
erarbeitete Lebensverbesserung wirkt auch psychologisch besser
(Stolz) als „Almosen“. Besonders der weitverbreitete und auch in
armen Ländern viel genutzte Mobilfunk treibt den Trend Trade
statt Aid weiter voran. Noch wird viel experimentiert, aber mehr
und mehr Dienste überleben, da sie wirtschaftliche Probleme der
„kleinen Leute“ lösen und sich dann groß verbreiten.
Trade statt Aid → Trend
2
24
Bei Kilimo Salama („sichere Ernte“) können Kleinbau-
ern ihr Saatgut gegen Dürre oder Überschwemmung
unkompliziert versichern. Bereits zusammen mitdem
Saatgut können die Versicherungen für zusätzliche
fünf Prozentdes Kaufpreiseserworben werden. Das heißt,die Bau-
ern müssen nicht erst mit Versicherungsvertretern verhandeln.
Ist die Versicherung in Kraft und der Bauer als Kunde regist-
riert, beobachten solarbetriebene Wetterstationen die Klimaver-
hältnisse in seiner Anbauregion. Wenn es dann zu wenig oder
zu viel Regen gibt, erhält der Bauer über M-Pesa automatisch
eine Zahlung, die ihn für die Kosten seines Saatguts entschädigt.
Kilimo Salama nutzt also gleich eine Reihe von Innovationen
und spart am Administrationsaufwand; Kontrollbesuche, Scha-
denserhebungen und langwierige Abrechnungen entfallen. So
wird die Versicherung auch für Kleinbauern, die gerade mal ein
paar Felder bewirtschaften, erschwinglich: 2012 waren in Kenia
und Ruanda bereits 73.000 Bauern versichert.
Außerdem setztdas Projekt auf Nachhaltigkeit: Die Informationen
der Wetterstationen werden ausgewertet, um Erkenntnisse zu regi-
onalen Wettertrends zu sammeln. Mit diesen Informationen, die
per SMS verbreitet werden, können sichdie Bauern besser aufdie
Klimaentwicklungeinstellen und ihre Ernteentsprechend planen.
Kilimo Salama
kilimosalama.wordpress.com
Trade statt Aid → Cases
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25
Die App gibt Bauern in Kenia per SMS Tipps zur
Kuhhaltung. Nachdem jede Kuh einzeln registriert
wurde, bekommendie Bauern SMSoder Voicemail-
Nachrichten, die sie etwa daran erinnern, wann sie
ihre Kühe melken oder impfen sollten. Auch bietet iCow Infor-
mationen über regionale Tierpfleger, künstliche Befruchtung,
oder allgemeine Hilfe zur Vieh-Fütterung und besseren Milch-
produktion – ein einfacher Weg zu mehr Nahrung in ländlichen
Gebieten. Die App ist so gestrickt, dass die Nutzer dafür kein
Smartphone brauchen und auch nicht lesen können müssen.
Sowohl die Dateneingabe als auch die Auswertung funktionie-
ren auch per Sprachnachricht.
Von der kenianischen Bäuerin Su Kahumbu initiiert und von
der britischen Stiftung Indigo Trust unterstützt, soll iCow den
Bauern zu mehr Selbstständigkeit verhelfen. Nur neun Wochen
nach dem Start von iCow nutzten schon über 100 Bauern die
App, 2010 gewann sie den Wettbewerb Apps4Africa.
iCow
www.icow.co.ke
Trade statt Aid → Cases
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26
Cellbazaar ist ein virtueller Marktplatz in Bang-
ladesch. Per Handy wird dort alles Erdenkliche
verkauf und gekauft – von Haustieren oder Reis-
saat über Computerteile bis hin zu Autos. Es gibt
auf dem digitalen Basar aber auch diverse Dienstleistungen,
zum Beispiel Sprachunterricht und Job-Angebote. Der Service
ist kostenlos und funktioniert ähnlich wie eBay-Kleinanzeigen,
nur über SMS. Sowohl Ankauf als auch Verkauf werden über
einen SMS-Fragenkatalog abgewickelt, der die Details des Pro-
dukts bestimmt. Für Käufer und Verkäufer ist von Vorteil, dass
mit Cellbazaar über die normalen Nachbarschaftskreise hinaus
gehandelt werden kann, auch ohne Internetzugang oder teu-
re Zeitungsanzeigen. So werden die Preise über Angebot und
Nachfrage geregelt – unabhängig vom Standort der Ware. Die
meisten Cellbazaar-Angebote sind aus Bangladeschs Haupt-
stadt Dhaka, aber das Netzwerk erstreckt sich auch über andere
Städte des Landes.
Der Anbieter von Cellbazaar, Grameenphone, ist Marktführer
in Bangladesch und erreicht deshalb große Teile der Bevöl-
kerung. Die Umsetzung in Ländern, wo es viele verschiedene
Telekommunikationsanbieter gibt, wäre vielleicht schwieriger.
Cellbazaar
www.cellbazaar.com
Trade statt Aid → Cases
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Digital-
kampagnen
Noch nie war es so einfach und günstig, viele Menschen zu mobilisieren und mit
ihnen im Dialog zu bleiben. Fast drei Viertel der Deutschen (54 Millionen) nutzen
das Internet, 43 Prozent von ihnen sind in privaten sozialen Netzwerken wie Fa-
cebook und Twitter unterwegs (ARD/ZDF-Onlinestudie 2012). Über diese Kanäle
lassen sich Petitionen leicht zeichnen und weiterverbreiten – niemand muss mehr
mit dem Zettel in der Fußgängerzone stehen und Unterschriften sammeln. Digital-
kampagnen passen besser zur heutigen Art der Kommunikation. Während profes-
sionelle Kampagnen bisher vor allem aus großen Organisationen kamen, wachsen
die Angebote, mit denen auch kleine NGOs E-Petitionen oder komplette Kampa-
gnen-Webseiten gestalten können: bewegung.taz.de, Change.org, Avaaz.org, SignOn
oder frei zugängliche Kampagnensoftware wie Krautbuster brechen das Monopol der
Themensetzung auf. Jedes noch so spezielle Anliegen kann Gehör finden.
Online-Botschaften verbreiten sich schnell,
günstig und mit etwas Glück sogar viral.
Deshalb setzen immer mehr Organisationen
auf digitale Kampagnen. Sie nutzen nicht
nur zentralisierte Datenbanken, sondern
können auch direkter mit ihren Unterstützern
kommunizieren. Der Prozess der Meinungs-
bildung wird dadurch demokratischer, denn
die Zielgruppen gestalten die Kampagnen mit.
S. 34 →
S. 35 →
Digital-Digital-
kampagnenkampagnen
Noch nie war es so einfach und günstig, viele Menschen zu mobilisieren und mitNoch nie war es so einfach und günstig, viele Menschen zu mobilisieren und mit
ihnen im Dialog zu bleiben. Fast drei Viertel der Deutschen (54 Millionen) nutzenihnen im Dialog zu bleiben. Fast drei Viertel der Deutschen (54 Millionen) nutzen
das Internet, 43 Prozent von ihnen sind in privaten sozialen Netzwerken wie Fa-das Internet, 43 Prozent von ihnen sind in privaten sozialen Netzwerken wie Fa-
cebook und Twitter unterwegs (ARD/ZDF-Onlinestudie 2012). Über diese Kanälecebook und Twitter unterwegs (ARD/ZDF-Onlinestudie 2012). Über diese Kanäle
lassen sich Petitionen leicht zeichnen und weiterverbreiten – niemand muss mehrlassen sich Petitionen leicht zeichnen und weiterverbreiten – niemand muss mehr
mit dem Zettel in der Fußgängerzone stehen und Unterschriften sammeln. Digital-mit dem Zettel in der Fußgängerzone stehen und Unterschriften sammeln. Digital-
kampagnen passen besser zur heutigen Art der Kommunikation. Während profes-kampagnen passen besser zur heutigen Art der Kommunikation. Während profes-
sionelle Kampagnen bisher vor allem aus großen Organisationen kamen, wachsensionelle Kampagnen bisher vor allem aus großen Organisationen kamen, wachsen
die Angebote, mit denen auch kleine NGOs E-Petitionen oder komplette Kampa-die Angebote, mit denen auch kleine NGOs E-Petitionen oder komplette Kampa-
gnen-Webseiten gestalten können: bewegung.taz.de,gnen-Webseiten gestalten können: bewegung.taz.de,
oder frei zugängliche Kampagnensoftware wieoder frei zugängliche Kampagnensoftware wie
Themensetzung auf. Jedes noch so spezielle Anliegen kann Gehör finden.Themensetzung auf. Jedes noch so spezielle Anliegen kann Gehör finden.
Digitalkampagnen → Trend
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Per Digitalkampagne das Internationale Olympische Komitee
bezwungen
uf der großen Petitionsplattform Change.org (siehe case/Change.org)
hat zum Beispiel der sudanesische Marathonläufer Guor Marial
eine Petition gestartet, da er vom Internationalen Olympischen
Komitee vom Marathon der Spiele 2012 ausgeschlossen werden
sollte – Sudan war nicht als offizielles Land anerkannt. 3.390
Unterschriften später wurde Marial zugelassen. Shanene Thorpe, eine allein-
erziehende Mutter, die die journalistischen Methoden der BBC als beleidigend
empfand, konnte erreichen, dass der britische Fernsehkanal sich offiziell entschul-
digte. Und die rechtliche Verurteilung des Mörders von Trayvon Martin, einem
19-jährigen Afroamerikaner, wurde von den Gerichten in Florida erst angegangen,
nachdem über zwei Millionen Unterstützer eine Petition unterschrieben hatten.
Bei professionellem E-Campaigning geht jedoch es um mehr als Petitionen und
soziale Medien. Für die Video-Kampagne Kony2012 sammelte Invisible Children
jahrelang Kontakte, bevor die Organisation das Video veröffentlichte: Mit einer
Datenbank von über 200.000 Unterstützern war das anfängliche Multiplikations-
und Verbreitungspotenzial sehr hoch. Dieses Verbreitungsprinzip ist bewährt.
Eine Woche bevor der Protest gegen die Internet-Regulationsgesetze SOPA in den
USA startete, bereiteten SalsaLabs eine Datenbank mit über 400.000 Kontakten
vor, die auf ihre Region zugeschnittene Mails bekamen, in denen aufgefordert
wurde, den eigenen Senator anzuschreiben. Der Rücklauf war so stark, dass bis zu
60.000 neue Kontakte täglich einflossen und insgesamt 1,7 Millionen E-Mails an
die regional zuständigen Senatoren gesendet wurden. Doch massenweise E-Mails
an Politiker zu schicken ist nicht immer sinnvoll. Campact, Deutschlands größte
Online-Petitions-Plattform, hat beispielsweise festgestellt, dass Massen-Mails an
Politiker auf Bundesebene oft eher negativ wirken. Landes- und Regionalpoli-
tiker hingegen sind bemüht, auf die Forderungen ihrer Gemeinde einzugehen.
Mit dem Bildschirm auf dem LKW Nestlé in Frankfurt die Mei-
nung twittern
bwohl online vieles effizienter geht, bleibt es eine Herausforde-
rung, auf Online-Wellen zu reiten. Denn hier wird in beide Rich-
tungen kommuniziert, und es muss Aufwand in Kauf genommen
werden, um den Dialog mit den Unterstützern zu managen. Das
kann vor allem in kleinen Organisationen phasenweise zu Über-
stunden führen. Doch die Vorteile überwiegen meist: Potenzielle Unterstützer
fühlen sich gehört bzw. wertgeschätzt, und treue Unterstützer bleiben aus den
gleichen Gründen verbunden.
Daeinfache Klicks nicht besonders verbindlich sind, sollten Digitalkampagnen auch
immer in ein Offline-Engagement münden bzw. eine Offline-Komponente haben, da
auch gerade Fotos von Ereignissen aus der „echten“ Welt besser für die Pressebe-
richterstattung taugen. So hat Greenpeace beispielsweise 2010, nachdem Néstle nicht
auf Waldrodungskritik reagiert hatte (das blutige Kit-Kat-Video), vor der Néstle-
Zentrale in Frankfurt eine Live-Twitterwall auf einem LKW installiert. Verbraucher
konnten so über eigene Twitter-Meldungen ihre Botschaft direkt an die Konzern-
zentrale senden. Zwei Monate später übernahm der Konzern Mitverantwortung für
die Waldrodung.
S. 34 →
← S. 17
A
O
Digitalkampagnen → Trend
3
30
Während NGOs verhandelten, sammelte Avaaz 1 Million US-
Dollar Spenden für Burma
iedrigschwelliges Online-Engagement wurde lange Zeit etwas ab-
schätzigalsKlicktivismusoderSlacktivismusbezeichnet.EineAktion
oder Kampagne anzuklickenoder weiterzuleiten sei kein wirkliches
Engagement, heißt es immer wieder auf Fachkonferenzen. Ricken
Patel vonder großen Petitionsplattform Avaaz (20 Millionen Mitglie-
der in 194 Ländern) findetdie Ideeeines Klicktivismus unsinnig. Gandhi praktizierte
auch keinen Walkivismus, nur weiler Märsche als politisches Mobilisierungswerkzeug
einsetzte. Die Erfahrungen bei Avaaz würden zeigen, dass Online-Aktivismus wie ein
Katalysator wirke,derdazu führt,dass Menschen spenden, aufdie Straße gehenoder
sich in einer lokalen Initiative engagieren. So sammelten Avaaz-Mitglieder, nachdem
2008 große Teile Burmas voneinem Zyklon verwüstet worden waren, innerhalbeiner
Woche eine Million US-Dollar, die sie direkt an burmesische Mönche weitergaben.
Diese Agilität der neuen, digitalen Organisationen ist ein wesentliches Unterschei-
dungsmerkmal zu älteren, relativ trägen Organisationen wie Amnesty International.
Weitere Unterschiede zwischen Neu und Alt sind, dass die Online-Organisationen:
Mitgliedschaft nicht mehr über zahlende Anhänger, sondern
über Empfänger ihrer E-Mails definieren und so wesentlich hö-
here Mitgliederzahlen erreichen.
kleinere Teams haben, die sie bei Bedarf aufstocken. So arbeiten
nur 20–25 Mitarbeiter fest für MoveOn, für besondere Kampa-
gnen werden weitere Kurzzeit-Mitarbeiter aktiviert.
niedrige Fixkosten haben. MoveOn beispielsweise praktiziert
eine radikale Dezentralisierung: Es gibt kein zentrales Büro,
und jeder Mitarbeiter arbeitet von zu Hause oder von einem
Café aus. Mitarbeiter kommunizieren miteinander via Google-
Chat, E-Mail und Handy.
eine ausgeprägte Test-Kultur haben. Alternative Test-E-Mails
werden zuerst an eine kleine Untergruppe versandt. Die Vari-
anten mit guten Öffnungs- und Click-Through-Rates gelangen
dann an alle Mitglieder.
Wird klicken langweilig? Aktionen auf der Straße dürfen nicht
vernachlässigt werden
inerseits ist klar, dass jeder Klick auf eine Petition und jede Wei-
terleitung einer Webseite oder eines Blogeintrages die Reichwei-
te einer Kampagne vergrößert. Andererseits gibt es den Wunsch
nach Entschleunigung. Es sei zwar gut und notwendig, dass es
verschiedene Mitmachangebote gebe, aber „immer mehr Men-
schen suchen nach Angeboten, die nicht auf ‚schnell mal mitmachen‘ abzielen,
sondern auf intensivere Kontakte setzen“, so Matthias Fellner von der Kampag-
nenberatung Firmamente. „Die Leute wollen sich wirklich als Teil von etwas füh-
len und nicht nur als Ressource genutzt werden.“
Chris Rose, Autor des Standartwerks „How to Win Campaigns“, schrieb uns, es sei
aucheine Frageder Aufmerksamkeitsspanne. Die Anzahl an Beteiligungsmöglichkei-
ten im Internet bleibe begrenzt, das sei ein Nullsummenspiel. „In den 80- und 90er-
Jahren merkten Campaigner, dass intensive Berichterstattung in konventionellen
Medien nur begrenzt wirkt. Ganz ähnlich werden nun nach anfänglicher Begeiste-
rung für das Internet direkte Aktionen in der physischen Welt immer mehr gefragt.“
S. 44 →
N
E
Digitalkampagnen → Trend
3
31
Chancen
Mit Kampagnensoftware können auch kleine NGOs schon bei
kleinen Kampagnen viele neue Kontakte gewinnen.
Durch Kontaktdatenbanken kann gezielt mobilisiert werden, um
gesellschaftliche Veränderung schnell, massenhaft, aber ziel-
gruppengerecht zu befördern.
Es gibt immer mehr Angebote, mit denen man auch mit wenig
Know-how eine eigene Petition oder gar komplette Kampagnen-
website aufbauen kann.
Unterstützer, die wenig Zeit für gesellschaftliches Engagement
haben, können sich an niedrigschwelligen Aktionen beteiligen.
Viele der Kampagnenanwendungen sind kostenlos und mitei-
nander kompatibel.
Risiken
Die kontinuierliche Arbeit mit neuen Medien und der regel-
mäßige Dialog mit Unterstützern können personal- und damit
kostenintensiv werden.
Man sollte sich fragen, welche der neuen technologischen Werk-
zeuge man wirklich braucht und welche eher Spielereien sind.
Online-Werkzeuge für die Massen garantieren noch nicht, dass
auchdie schwer vermittelbaren Themen ankommen. Wenn sicheine
Online-Diskussion verselbstständigt, kannder Diskurs an Kraft ge-
winnen, aber von den Zielen der eigenen Organisation abweichen.
Die Macht technologischer Mittel wie Online-Petitionen hängt
davon ab, ob es gesellschaftliche Systeme gibt, durch die Ver-
änderung möglich ist.
Fazit
Das Internet kann zur breiten Mobilisierung genutzt werden.
Die Herausforderung für Stiftungen, NGOs, CSR-Abteilungen
oder Privatpersonen liegt darin, zentrale Kontaktdatenbanken
effektiv zu nutzen und dabei eine tiefere persönliche Bindung
mit den Unterstützern herzustellen. In Zukunft werden einzel-
ne große Organisationen weiter massenhaft mobilisieren, viele
kleine Organisationen werden parallel aber auch tiefer gehendes
Engagement ermöglichen. Dabei gilt es, verschiedene Mitmach-
Möglichkeiten anzubieten und die Balance zwischen Professio-
nalisierung und Mobilisierung „von unten“ zu finden. Wird aus
Kampagnen eine soziale Bewegung, verliert die Ursprungs-Or-
ganisation darüber die Kontrolle und kann den direkten Erfolg
nicht mehr messen, hat aber die Leidenschaft für breite gesell-
schaftliche Veränderung geweckt.
Digitalkampagnen → Trend
3
32
Zu Beginn der How-big-is-yours-Kampagne, die
in der Türkei lief, veröffentlichte Greenpeace ein
Video, in dem sich ein Promi-Paar im Bett darü-
ber unterhielt, „wie groß denn deiner“ sei. Erst am
Ende des Films wurde klar, dass es dabei um einen Fisch ging.
Das war so witzig, dass sich das Video viral verbreitete. Weite-
re Kampagnenelemente waren Gratis-Lineale zum Testen der
Fischgrößen in Restaurants und auf Märkten. Es gab auch ein
Smartphone-Spiel mit dem Titel „Make my Fish“, das einen Fisch
so lange wachsen ließ, bis er die fanggerechte Größe erreicht
hatte. Außerdem wurde während der Kampagne die Handy-App
Foursquare eingesetzt. Die Aktivisten checkten mit Foursquare
in über 1.000 Fischrestaurants ein. Die so versendeten Meldun-
gen legten eine virtuelle Spur zur Kampagne. Aber auch eher
klassische Kanäle spielten eine Rolle: Mit einem Klick konnten
die Aktivisten ein vorgefertigtes Fax an das zuständige Minis-
terium senden. Bis zu 13.000 Faxe kamen so zusammen. Insge-
samt erreichte die Kampagne etwa 720.000 Menschen.
How big is yours
www.kacsantim.org
Digitalkampagnen → Cases
3
33
Auf Change.org suchen Internetnutzer aus aller
Welt Unterstützung für ihre Anliegen. Zum Bei-
spiel die Mutter aus Berlin-Prenzlauer Berg, die
sich für eine Familienkasse ohne Zigaretten und
Gummibärchen im Supermarkt einsetzt. Mit Erfolg: Die Kai-
sers-Filialen in Berlin setzen die Idee um. Auch Anliegen mit
internationaler Reichweite werden auf Change.org als Peti-
tionen verbreitet: Durch eine Initiative der Journalistin Hani
Yousuf wurde die Aktivistin Malala Yousafzai, die in Pakistan
von den Taliban schwer verletzt wurde, für den Friedensnobel-
preis nominiert. Diese Geschichten zeigen: Während früher nur
wenige Menschen die Ressourcen hatten, große Kampagnen zu
starten, ist Change.org heute eine Möglichkeit, kostenfrei und
schnell Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Petitionsplattform
hat weltweit mittlerweile 25 Millionen Nutzer (rund 500.000
in Deutschland). Jede Woche werden in Deutschland rund 65
Petitionen gestartet. Weltweit werden auf Change.org 15.000
Petitionen pro Monat gestartet, von denen im Schnitt 9,6 pro
Tag als „erfolgreich“ gemeldet werden – das entspricht einer
Quote von knapp zwei Prozent.
Change.org
www.change.org
Digitalkampagnen → Cases
3
34
Krautbuster ist eine Software aus der Kampagnen-
schmiede Campact. Die Open-Source-Software
wird stetig weiterentwickelt und auf die Bedürf-
nisse von NGOs zugeschnitten. Mit Krautbuster
kann man Webseiten gestalten, Unterstützerprofile anlegen,
Newsletter versenden und einen strategischen Userflow ein-
richten. Mit einem guten Userflow oder einer Userjourney holt
man die Internetnutzer in ihrem Klickverhalten so ab, dass sie
möglichst viele Informationen bekommen: Klickt der Nutzer
auf ein fünfminütiges Info-Video, wird ihm im Anschluss eine
Petition gezeigt, die zu weiteren Informationstexten führt. Wei-
tere Funktionen sind eine besonders hohe Datensicherheit für
Aktivisten, ausgiebige Analysen der Wirksamkeit und die Ein-
bindung verschiedener externer Anwendungen. Krautbuster
bedient drei Anwendungsfälle: Es kann sowohl in Websyste-
me wie Drupal und Typo3 eingebunden oder als Hauptsystem
genutzt werden. Krautbuster ist seit August 2012 bei Campact
im Betrieb. Im Januar 2013 ist die Pilotphase zum Softwaretest
durch andere NGOs gestartet.
Krautbuster
www.krautbuster.org
Digitalkampagnen → Cases
3
35
Direkt-
Feedback
Die 30 sozialen Organisationen waren sich schon 2010 in New York beim Work-
shop Markets for Giving einig: Um soziale Arbeit zu verbessern, müssen vor al-
lem die Begünstigten stärker eingebunden werden. Oder wie es der Mitarbeiter
einer großen englischen NGO formulierte: „Wir brauchen in Hilfsprojekten nicht
mehr Geld, sondern besseres Feedback.“
Während Wirtschaftsunternehmen durch einen Blick auf die Verkaufszahlen oder
anhand von Beschwerden schnell erfahren, ob ihr Produkt oder ihre Dienstleis-
tung beim Kunden gut ankommt, ist die Feedbackschleife in der Hilfsindustrie
unterbrochen. Bill Gates hat diesen Unterschied im Jahresrundbrief der Gates
Foundation 2009 so beschrieben: „Man hat keine Kunden, die einen fertigma-
chen, oder Konkurrenten, die einem die Kunden wegschnappen, wenn Dinge
falsch laufen. Es gibt keine natürliche Feedbackschleife.“ In den seltensten Fällen
Handys machen stark. Besonders in Entwi-
cklungsländern verhelfen sie den Menschen
zu einem unabhängigen, selbständigen
Leben. Menschen mit Handys sind erreich-
bar und können direkter ihre Meinung
äußern. Diese kostengünstigen Kommunika-
tionsmittel geben auch den Begünstigten
sozialer Dienstleistungen und Hilfspro-
gramme eine Stimme und rücken sie ins
Zentrum des philanthropischen Systems.
So werden Begünstigte zukünftig im
gesamten Projektzyklus eine aktivere Rolle
spielen; sie werden ihre Bedürfnisse besser
artikulieren und priorisieren, laufende
Projekte selbst managen und Ergebnisse mit
evaluieren.
Direkt-Feedback → Trend
4
37
haben Begünstigte die Wahl zwischen verschiedenen Anbietern von Moskitonet-
zen oder Brunnenbauern. Ebenso haben Geldgeber (Spender etc.), die ja Käufer
einer Leistung sind, welche die Hilfsorganisationen erbringen sollen, kaum direk-
ten Kontakt zu Begünstigten und wissen nicht, ob das „Produkt“ zufriedenstel-
lend ist. Aus einer Reihe von Erhebungen geht hervor, dass viele Hilfsangebote
nicht angenommen werden und NGOs oft erschreckend schlecht über die Bedürf-
nisse ihrer „Kunden“ informiert sind (siehe Case/Flow). Dann liegen Moskitonetze
unbenutzt in der Ecke, und Brunnen rotten vor sich hin. Um soziale Missstände
beseitigen und Hilfsprogramme effektiv durchzuführen zu können, ist es jedoch
unerlässlich, dass Begünstigte – seien es die Bewohner eines indischen Dorfes, in
dem eine neue Gesundheitsstation aufgebaut wird oder Teilnehmer eines Anti-
Rassismus-programms an einer Brandenburger Schule – mit ihren Interessen und
Bedürfnissen mehr Gehör finden.
Begünstigte müssen gehört werden – sonst mangelt es an Seife
ntwicklungspolitische Institutionen fordern schon seit den 90er-
Jahren routinemäßig, die Meinungen der Hilfsempfänger stärker
zu berücksichtigen. Doch bislang scheiterte eine großflächige
Umsetzung in der Praxis. Eine desillusionierende Fallstudie do-
kumentiert das Buch „Weit hergeholte Fakten“ von Richard Rot-
tenburg. Und die Agentur Humanitarian Accountability Partnership (HAP), die
humanitäre NGOs beim Qualitätsmanagement berät und zertifiziert, kommt zu
dem Schluss, dass nur wenige Begünstigte in der Praxis die Möglichkeit haben,
sich über die Arbeit einer Organisation zu beschwere und die Partizipations-
möglichkeiten stark eingeschränkt sind. So erhielten Frauen nach dem Zyklon
Sidr in Bangladesch von der zuständigen Organisation zwei Monate lang keine
Damenbinden und Seife, weil niemand sie nach ihren Bedürfnissen gefragt hatte.
Auch das Weltbank-Projekt Voices of the Poor, eine Initiative, die in 60 Ländern mit
60.000 Menschen Gespräche geführt hat, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis:
Die meisten Empfänger sagen, dass sie den Hilfsorganisationen machtlos aus-
geliefert sind und diese nicht dazu bringen können, ihnen gegenüber Rechen-
schaft zu leisten.
Digitale Medien als Turbo für Direkt-Feedback
och die Situation ändert sich mit der wachsenden Verbreitung
digitaler Medien. In der Wirtschaftswelt sehen wir, wie Internet-
Feedbacksysteme aus dem Boden schießen: Auf Qype bewerte
ich das Restaurant, auf eBay den Lieferanten, bei Amazon die
Buchautorin, auf Holidaycheck das Hotel, auf Patient Opini-
on den behandelnden Arzt, und auf How is my Feedback kann ich Ratingsites
Feedback geben. Im Gegensatz zu herkömmlichen Evaluationsmechanismen wie
Meinungsumfragen oder Fokusgruppen erreichen technologiegestützte Feedback-
Kanäle potenziell viel mehr Menschen und sind kostengünstiger und schneller.
So ist zu beobachten, wie im sozialen Sektor neue, bislang nicht öffentlich wirk-
same Stimmen Gehör finden. Noch vor wenigen Jahren hätte eine kontraproduk-
tive Hilfsaktion wie One Million Shirts unwidersprochen ihren Lauf genommen.
Ein gut meinender, aber uninformierter Amerikaner sammelte 1 Million T-Shirts
für Bedürftige in Afrika. Übers Internet erfuhr ein ugandischer Blogger davon:
Im Laufe des Dialogs konnte der Amerikaner öffentlich davon überzeugt werden,
dass Afrikaner keine alten T-Shirts brauchen. One Million Shirts wurde einge-
stellt. Ein weiteres Beispiel: Während des Medienhypes um Kony2012 waren in
S. 104 →
S. 43 →
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Direkt-Feedback → Trend
4
38
den ersten Tagen nur westliche Aktivisten zu vernehmen. Doch die Artikel von
ugandischen Bloggern auf Global Voices und eine von Al-jazeera aufgesetzte Seite
gaben den ugandischen Bürgern eine Plattform, von der aus sie sich kritisch zu
der Kony-Kampagne der NGO Invisible Children äußern konnten. Die Al-Jazeera-
Plattform wiederum bediente sich der Ushahidi-Software, die entstanden war,
um die Stimme von Bürgern während des Gewaltausbruchs nach den Wahlen in
Kenia 2007/2008 zu verstärken (siehe Ushahidi/Trendreport online).
Begünstigte erzählen in 60.000 Geschichten von ihren
Bedürfnissen
in großflächiger Versuch, die Meinungen von Begünstigten für
NGOs zu nutzen, ist das Storytelling Project (siehe Digitalanekdoten)
von Global Giving. In Kenia haben Freiwillige mittlerweile fast
60.000 Geschichten gesammelt, in denen Bürger die Frage be-
antworten: „Tell us about a time when a person or an organi-
sation tried to change something in your community.“ Mit dieser offenen Frage
versucht Global Giving herauszufinden, welche Bedürfnisse in den Gemeinden
von wem (Kirche, Nachbarn, Politiker, NGOs etc.) auf welche Art und Weise
befriedigt werden und welche Hilfsaktivitäten bei der Bevölkerung gut ankom-
men. Die Geschichten werden mithilfe der Komplexitätsmanagement-Software
Sensemaker analysiert, um Muster und quantifizierbare Ergebnisse zu erhalten.
In Zukunft sollen Projektmacher, die über Global Giving Gelder einsammeln, die
Ergebnisse ihrer Community präsentiert bekommen und so ein besseres Gespür
für deren Belange entwickeln.
Direkt-Feedback als weiteres Evaluationswerkzeug
igitale Technologien sind wichtig für die Entwicklung und Ver-
breitung von Direkt-Feedback. Noch wichtiger sind die Haltun-
gen und Verhaltensweisen jener Institutionen, die das Feedback
empfangenen. Diese müssen sich aktiv um die Meinungen ihrer
Begünstigten bemühen und auf die geäußerten Bedürfnisse und
Kritiken eingehen. Da die bestehenden Machtunterschiede zwischen Geldgebern
und NGOs auf der einen Seite und Begünstigten auf der anderen oft sehr groß
sind, kann es eine längere Zeit des Vertrauensaufbaus brauchen, um ehrliche Mei-
nungen zu erhalten. Dann kann niedrigschwelliges und schnelles Direkt-Feedback
als zusätzliches Werkzeug eingesetzt werden, um soziale Arbeit zu evaluieren.
Chancen
Die größere Meinungsvielfalt ermöglicht es, besser Probleme
zu erkennen und Bedarfe zu analysieren.
Betroffene können an Problemlösungen mitwirken.
Ressourcen können gezielter verteilt werden.
Echtzeitkommunikation ermöglicht es, Missmanagement und
Betrug schneller aufzudecken.
Geldgeber bekommen authentische Zusatzinformationen zu
den Projekten, für die sie gespendet haben.
Die Frage nach der Wirksamkeit von sozialen Projekten kann
besser und konkreter beantwortet werden.
← S. 13
E
D
Direkt-Feedback → Trend
4
39
Risiken
Es ist schwierig, ehrliches Feedback von Begünstigten zu be-
kommen, da der Machtunterschied zwischen NGOs und Emp-
fängern groß ist. Die Empfänger wollen den Ast, auf dem sie
sitzen, nicht absägen.
Organisationen müssen die richtigen Anreizsysteme schaffen,
um Feedback zu erhalten.
Von den vielen Pilotprojekten hat bislang noch keines skaliert.
Direkt-Feedback darf nicht nur als Technologie verstanden
werden, sondern muss integraler Bestandteil der Organisati-
onskultur werden.
Direkt-Feedback kann für Organisationen eine böse Überra-
schung bedeuten: Sie müssen lernen, für Kritik zugänglich zu
sein und konstruktiv darauf zu reagieren. Andernfalls droht
die Vertrauenskluft zwischen Begünstigten und Organisatio-
nen zu wachsen.
Fazit
Direkt-Feedback mittels Internet oder Mobiltelefonie hat großes
Potenzial, die Projektqualität und das Vertrauen zwischen den
Stakeholdern (Geldgeber, Mittler/NGOs und Begünstigte) zu
verbessern. So können die Begünstigten entwicklungspolitischer
Arbeit selbst Auskunft über positive und negative Wirkungen der
jeweiligen Programme geben. Momentan werden weltweit viele
Pilotprojekte aufgesetzt, doch noch keines ist massentauglich.
Das wird sich ändern: Immer mehr Menschen sind es mittlerweile
gewohnt, online über alle möglichen Produkte, Dienstleistungen
und Institutionen ihre Meinung abzugeben. Diese Erwartungs-
haltung wird auch den sozialen Sektor zunehmend prägen und
institutionelles Verhalten weltweit verändern. So hat auch die
große NGO Plan International nun einen Community-Feedback-
Spezialisten eingestellt. Institutionen wie Stiftungen, NGOs oder
Unternehmen, aber auch Politiker sollten sich überlegen, wie sie
das Feedback ihrer „Kunden“ einbeziehen können.
Direkt-Feedback → Trend
4
40
FrontlineSMS hilft dabei, Kommunikation und
Hilfsleistunegn zu organisieren. Die Open-Sour-
ce-Software wurde 2005 von der NGO kiwanja
entwickelt, die durch bessere Informations- und
Kommunikationstechnologie die Arbeit von sozialen Organi-
sationen weltweit erleichtern möchte. FrontlineSMS kann die
Handynachrichten mehrerer Sender und Empfänger bündeln
und koordinieren. Laptop und Mobiltelefon werden durch die
Software unkompliziert zur Sende- und Empfangsstation umge-
wandelt, um damit SMS massenweise zu empfangen oder zu
verschicken. Das ist besonders praktisch für die Erhebung von
Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Umfragen zur Situati-
on vor Ort, beispielsweise zu Lebensmittelpreisen oder zur
Trinkwasserversorgung, können einfach per SMS an Tausen-
de Menschen verschickt werden. Dank der Menge der SMS
können Aussagen auch zuverlässig überprüft, bestätigt und
verbreitet werden. So hilft die Software in Zimbabwe bei der
Aids-Aufklärung und in Nigeria ist sie ein Tool zur Wahlbeob-
achtung. Da es in vielen Ländern nur eingeschränkten Zugang
zum Internet gibt, aber auch dort fast jeder ein Handy besitzt,
hat FrontlineSMS großes Potenzial.
FrontlineSMS
www.frontlinesms.com
Direkt-Feedback → Cases
4
41
Direkt-Feedback mit Mobiltelefonen wird in der
Demokratischen Republik Kongo genutzt, um
Zivilgesellschaft und Staat zu vernetzen. Das von
der Weltbank initiierte Projekt in der Provinz South
Kivu informiert Bürger mit regional gestreuten SMS und holt
sich so Feedback über die Bedürfnisse der Menschen in einem
bestimmten Gebiet. So funktioniert’s: Ausgewählte Textnach-
richten mit Informationen oder Umfragen werden an alle Handys,
die sich in einer Region befinden, versendet, sodass beispiels-
weise lokale Versammlungen angekündigt werden können. Per
SMS-Umfrage können die Bürger auch über politische Themen
in der Regionen abstimmen – die Ergebnisse über die Abstim-
mungen werden ohne Umwege an die Zuständigen weiterge-
leitet. Außerdem werden ausgewählte Projekte, beispielsweise
die Ausstattung des neuen Gesundheitszentrums, durch regel-
mäßiges Feedback evaluiert. Das ICT4Gov-Programm scheint
gut anzukommen: Mehr als 250.000 SMS wurden bereits im
Rahmen dieses Projektes versendet.
Cell Phones for
Citizen Engagement
wbi.worldbank.org/wbi/stories/cell-phones-citizen-engagement-drc
S. 104 →
Direkt-Feedback → Cases
4
42
Wo kommt Wasser in welcher Qualität aus der
Erde? Die offene Plattform flow kartiert Brunnen
und informiert so über deren Zustand. Zahlreiche
Wasserprojekte leiden unter mangelnder Effizienz
und Nachhaltigkeit: Zum Teil funktionieren die Anlagen nicht
richtig, werden schlecht gewartet oder fallen aus. Flow will
dieser Entwicklung mit besserem Monitoring entgegenwirken.
Das Projekt der NGO Water for People setzt dabei vor allem
auf Kartismus (siehe Kartismus/Trendreport online) und Direkt-Feedback:
Wasserquellen und Brunnen werden auf einer Karte verortet,
der jeweilige Zustand ist durch Symbole kategorisiert. Ein Klick
drauf zeigt ein Foto und weitere Informationen wie die Zahl
der Haushalte, die damit versorgt werden, oder das Baujahr.
Mit Mobiltelefonen, die auf Android-Software laufen und mit
GPS sowie Google Earth ausgestattet sind, können die Men-
schen vor Ort den Zustand von Wasseranlagen überwachen
und via Internet kommunizieren. Die Website vermittelt einen
detaillierten Einblick über Wasserquellen in momentan elf Län-
dern, vor allem in Südamerika und Afrika. Wachstum ist der
Website nur zu wünschen, denn die weltweite Kartierung und
Beschreibung von Wasserquellen ist wertvoll für die Planung
von Entwicklungsprojekten.
flow
www.watermapmonitordev.appspot.com
Direkt-Feedback → Cases
4
43
Digitalskalieren
Deshalb fällt in den letzten Jahren in NGO- und Sozialunternehmerkreisen das
Wort „Skalierung“ immer häufiger. Unter Skalierung verstehen wir aber nicht
nur Wachstum und die Verbreitung von Dienstleistungen und Produkten, um
möglichst viele Menschen zu erreichen. Im Idealfall kommt es zu einem grundle-
genden Systemwandel. Indem neue Ideen und Wirkungsmechanismen verbreitet
werden, entsteht in der Gesellschaft eine neue progressive Norm.
Zur Verbreitung sozialer Innovationen durch digitale Medien gibt es vier ver-
schiedene Strategien.
Eine der wichtigsten Fragen, die sich
Organisationen des sozialen Sektors stellen
müssen: Wie kann ich mich und meine
Innovationen, Ideen und Konzepte so ver-
breiten, dass sie möglichst vielen Menschen
zugutekommen, sich also mein Wirkungs-
kreis vergrößert? Denn die meisten Probleme
wie Bildungsmangel, fehlende Sanitäran-
lagen oder unzureichende Gesundheitsver-
sorgung sind global. Doch aus Mangel
an Skalierungserfahrungen verbreiten sich
lokal entwickelte soziale Innovationen nicht.
Stattdessen werden oft bereits bestehende
Lösungen neu erfunden. Der Markt frag-
mentiert, und viele Probleme bleiben unge-
löst. Außerdem werden ohnehin schon sch-
male Ressourcen mehrfach beansprucht.
Digitalskalieren → Trend
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45
1. Finanzierung
Immer mehr NGOs und Sozialunternehmen nutzen Crowdsourcing- und Spenden-
plattformen wie Kickstarter, Indiegogo, betterplace.orgoder startnext, um nicht nur
Prototypen, sondern auch ihr Wachstum zu finanzieren. Diesen Aspekt behandelt
der Trend „Online Fundraising“ tiefer gehend (siehe OnlineFundraising/Trendreportonline).
2. Petitionen
Über Petitionsplattformen wie MoveOn, Avaaz, Change oder Campact mobilisie-
ren NGOs Interessengemeinschaften für neue Politiken, Gesetze und Standards.
Mom’s Rising setzt sich beispielsweise für Mütter ein. Dazu nutzt die NGO aus
den USA nicht nur Petitionen, sondern macht die entsprechenden Werkzeuge
auch öffentlich nutzbar, damit jeder selbst eine Petition starten kann. So füh-
ren Petitionen zu einem Wachstum der Unterstützerzahl und bei erfolgreichen
Petitionen auch zur Verbreitung neuer Normen und Verhaltensweisen.
3. Ehrenamtliche Mitarbeiter
Es gibt zahlreiche Plattformen für die Zusammenführung (Matching) von so-
zialen Organisationen und Freiwilligen, wie beispielsweise Volunteer Match
oder Sparked in den USA oder Gute Tat in Deutschland (siehe 7/Karma statt Kohle).
Organisationen, die maßgeblich von freiwilligen Mitarbeitern unterstützt wer-
den, verwenden digitale Medien auch, um ihr Netzwerk zu managen. Viva con
Agua, eine Organisation mit einem kleinen Mitarbeiterteam in Hamburg, orga-
nisiert über 2.000 ehrenamtliche Mitmacher über seine Organisationsplattform
Pool. Das Leitungsteam schätzt, dass der Kommunikationsaufwand so um 40%
reduziert werden konnte. In den USA ist die Surfrider Foundation ein gutes Bei-
spiel dafür, wie Kampagnen-Tools und interaktive, für Einträge offene Karten
dabei helfen, 50.000 Mitglieder zu koordinieren.
4. Projektdesign
Besonders interessant sind digitale Medien für soziale Organisationen, die ihr
Organisationsmodell und ihre Wirkungsmechanismen verbreiten möchten und
ihr Projektdesign danach ausrichten. Die verschiedenen Modelle sind:
4a. Strategische Online-Kooperationen mit reichweitestarken Partnern
Einige kleine NGOs oder Sozialunternehmen kooperieren mit
Partnern, die online eine große Zielgruppe erreichen. So ar-
beitet betterplace.org mit Payback, Deutschlands größtem Bo-
nuspunkteprogramm, in der Payback-Spendenwelt zusammen.
Weil Payback-Kunden ihre Bonuspunkte auf betterplace.org
spenden, skalierte betterplace.org seine soziale Innovation –
die Möglichkeit, transparent auch kleine und mittelgroße Hilfs-
organisationen online zu unterstützen – auf über 3 Millionen
Payback-Karteninhaber. Refugees United ist ein weiteres Bei-
spiel für eine junge, innovative Organisation, die durch die Part-
nerschaft mit großen und etablierten Organisationen (Rotes
Kreuz und UNHCR) die Reichweite für ihre Online-Dienstleis-
tungen steigert.
4b. Digitale Medien als Organisationsrückgrat für Netzwerk-Orgas
Die deutsche Mentorenorganisation Rock Your Life! (RYL!) nutzt ei-
ne softwarebasierte Infrastruktur, um ihre 25 Vereine mit 600
S. 65 →
S. 51 →
← S. 34
Digitalskalieren → Trend
5
46
Mitgliedern zu koordinieren. Die lokalen Vereine setzen für ihre
eigene Arbeit weitere Tools wie dropbox, google.docs oder die
Software Salesforce ein. Über die neue Plattform JUNity können
nun auch die Prozesse der Gesamtorganisation abgebildet und
organisiert werden.
4c. Kein Leben ohne Plattform
Einige Organisationen nutzen ausschließlich digitale Werkzeuge,
um ihr Modell zu verbreiten. Beispiel Awesome Stiftung: Jeder,
der eine Awesome Zelle in seiner Stadt organisieren will, kann
sich online anmelden und seine Mitglieder organisieren (siehe
Case/Awesome Foundation). Ein weiteres Beispiel für ein sehr offenes
und auf Verbreitung angelegtes Projektdesign ist Carrotmob.
Das Netzwerk stellt Anleitungen online zur Verfügung, und je-
der kann seine Ideen für einen eigenen Flashmob einreichen.
4d. Digitale Medien als Organisationsrückgrat für Netzwerk-Orgas
Interessant sind digitale Werkzeuge auch für Organisationen,
die ihre Idee als eigenständiges Produkt anbieten. Ein gutes
Beispiel ist das Encore Fellowship Network (EFN): Manager er-
halten ein Stipendium für eine sinnstiftende zweite Karriere im
sozialen Sektor. NGOs bekommen diese sonst kaum bezahlbaren
kompetenten Personen zur Seite gestellt. Innerhalb von nur 18
Monaten ist EFN von einem Piloten mit zehn Fellows und neun
NGOs zu einem Netzwerk aus 120 NGOs in zwölf amerikani-
schen Städten angewachsen. Während EFN seine Projektpartner
engmaschig kontrolliert und verpflichtet, die Marke „Encore“
zu pflegen, stellen andere Organisationen ihr Wissen und ihre
Software interessierten Partnern ohne ihre Marke zur Verfügung.
iMentor interactive hat beispielsweise auf der Basis der eigenen
Arbeit mit Mentoren und Schülern in New York eine Software
entwickelt, mit deren Hilfe Schulen und soziale Organisationen
eigene Mentorenprogramme aufsetzen können. Die Software ist
als Blanko-Lösung (White Label) in das bestehende Angebot für
Lizenznehmer integriert.
Was kostet digitale Skalierung?
elbst wenn ein Machbarkeitsbeweis („Proof of Concept“) vorliegt,
sträuben sich die meisten Geldgeber im sozialen Sektor, relevante
Summen in IT-Infrastruktur zu investieren. Das gilt besonders für
Deutschland. So stammt die erste maßgebliche Finanzierung für
Rock Your Life (RYL!) von einer britischen Unternehmensstiftung.
Weitere soziale IT-Förderer sind Social Venture Fonds (z.B. der Acumen Fund),
die Bertelsmann Stiftung und Sozialunternehmernetzwerke (Ashoka, Schwab).
Die Kosten für Digitalskalierung variieren enorm. Die Tools des Encore Fellow-
ship Network sind sehr günstig. Zwei Vollzeitmitarbeiter betreiben das ganze
Netzwerk und nutzen vor allem kostenlose Standardprogramme. Auch Viva con
Aguas Plattform Pool ist günstig. Im Vergleich dazu sind die geplanten Kosten
bei RYL! wesentlich höher. Doch RYL! hofft auf Erlöse durch die Lizenzierung
der Plattform für andere Organisationen – wie auch iMentor interactive, deren
IT-Plattform um die 1,5 Millionen US-Dollar gekostet hat.
S. 50 →
S. 51 →
S
Digitalskalieren → Trend
5
47
Chancen
Schnelles Wachstum auch geografisch weit entfernter „Satel-
liten“ möglich.
Qualitätskontrolle über einheitliche Evaluationstools und Me-
triken.
schnelle, punktgenaue Verbesserung durch Feedbackloops
kann kostengünstig sein, eventuell können Kosten über Lizenz-
gebühren wieder reingeholt werden.
Risiken
Digital benachteiligte Gruppen sind schwer zu erreichen.
Besonders in Deutschland ist es schwer, digitale Skalierungs-
infrastruktur finanziert zu bekommen, da Förderinstitutionen
in diesem Bereich noch keine Kompetenz haben.
Eine strenge Markenpolitik und Kontrolle des Programms kön-
nen die Verbreitung verlangsamen.
Viele Organisationen stehen Tools aus Datenschutzgründen
kritisch gegenüber.
Fazit
Für das Wachstum von Organisationen und die Verbreitung von
Ideen lassen sich über das Internet geografische Distanzen ein-
fach überwinden. Potenzielle Unterstützer können über soziale
und andere Netzwerke eingebunden und globale Netzwerke koor-
diniert werden. Eine Organisation wächst aufdiese Art meist umso
schneller, je weniger siedieeinzelnen Zellen kontrollieren will. Eine
gewisse Gesamtkoordination ist jedoch immer notwendig. Hierzu
taugen entweder die zahlreich verfügbaren kostenlosen Werkzeu-
ge oder es müssen individuelle Lösungen programmiert werden.
Dies kann zu entsprechenden Kosten führen. Für das Wachstum
und die Verbreitung einer sozialen Innovation, die dem Wohl der
Gesellschaft dient, sind diese Kosten oft jedoch lohnenswert.
Doch besonders in Deutschland sträuben sich Geldgeber im so-
zialen Sektor noch, in „IT for Good“ zu investieren, auch weil
die Entwicklung dieses Bereiches noch am Anfang steht und Un-
wissenheit zu Unsicherheit führt. Das Potenzial digitaler Werk-
zeuge für die Skalierung von Konzepten, die dem Allgemeinwohl
dienen, ist jedoch enorm und sollte dringend erforscht und ge-
nutzt werden.
Trendpate und Sponsor dieses Trends ist die Bertelsmann Stif-
tung mit ihrem Projekt „Effekt hoch n – Wachstum und Wirkung in
der Zivilgesellschaft“.
Digitalskalieren → Trend
5
48
Mit Kawumm baut diese Nachbarschaftsinitiati-
ve in den USA Tausende Spielplätze – und zwar
hauptsächlich mit freiwilligen Helfern. Der Mas-
terplan von KaBOOM! ist, dass irgendwann jedes
Kind einen Spielplatz in der Nachbarschaft hat, wo es zu Fuß
hingehen kann und auf dem es gerne spielt. Damit diese Idee
Wirklichkeit wird, sind vor allem freiwillige Helfer und gutes
Fundraising gefragt. Dabei lässt KaBOOM! die Interessierten
nicht allein, sondern bietet Schritt-für-Schritt-Anleitungen,
Video-Tutorials und Checklisten auf seiner Website an. Zum
Beispiel Online-Trainings zu Themen wie: „Wie man Schulen
motiviert“ oder „Was ist gute Pressearbeit?“ und „Wie werde ich
der beste Fundraiser?“. Wer einen Spielplatz verschönern will,
der findet auch einfache Bauanleitungen, etwa für ein Sonnen-
dach. Diese „take it and run“-Strategie skaliert: Insgesamt wur-
den seit 2009 über 15.000 Spielplätze errichtet oder verbessert.
Auf jeden von KaBOOM! initiierten Spielplatz kommen mittler-
weile zehn, die selbstständig nach Online-Anleitung entstehen.
KaBOOM!
www.kaboom.org
Digitalskalieren → Trend
5
49
„Awesomeness im Universum zu verbreiten“ ist
die Mission der Awesome Foundation. Um die-
ses Ziel zu erreichen, schließen sich jeweils zehn
Menschen in einer Stadt zusammen und zahlen
monatlich 100 US-Dollar in einen Fördertopf. Anschließend
werden Menschen mit wilden Ideen dazu aufgerufen, sich um
das Geld zu bewerben. Das Projekt, welches die meisten Mit-
glieder „awesome“ finden, bekommt die 1.000 US-Dollar über-
reicht – und zwar sehr unfeierlich in einer braunen Papiertüte.
Diese unkomplizierte Förderung istdas Markenzeichender Awe-
some Foundation. Über die Verwendung ihres Preisgeldes müs-
sen die Gewinner keine Rechenschaft ablegen. Jenseits bürokra-
tischer Strukturen werden auf diese Weise kreative, sinnvolle
oder spektakuläre Projekte unterstützt. So konnten beispielswei-
se Zahnhygiene-Programme in Ulan-Bator oder ein Umwelt-Pro-
jekt,das Drachen mit Luftsensoren ausstattete, gefördert werden.
Die Awesome Foundation ist auch bei ihrer Verbreitung ein
Musterbeispiel für Niedrigschwelligkeit: Prinzipiell kann jeder
ein eigenes Chapter gründen, also die Awesome Foundation
vervielfältigen. Dank einer zentralen digitalen Infrastruktur
kann die Awesome Foundation beliebig skalieren. Mittlerweile
gibt es Chapter in rund 70 Städten weltweit.
Awesome Foundation
www.awesomefoundation.org
Digitalskalieren → Cases
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50
ROCK YOUR LIFE (RYL!) ist ein Coaching-Pro-
gramm für sozial benachteiligte Schüler. Die Teil-
nehmer werden während ihrer letzten zwei Schul-
jahre von einem dafür ausgebildeten Studierenden
begleitet. Dabei geht es vor allem darum, den Schülern bei der
Suche nach einem Ausbildungsplatz oder beim Einstieg in eine
weiterführende Schule zu helfen. Dieses Konzept ist so gut,
dass RYL! 2009 Sieger des Wettbewerbs startsocial wurde.
Damit der Start ins Berufsleben für die Schüler auch wirklich
klappt, sind gute Kontakte zu Unternehmen wichtig. Das wird
meist von jedem Coach in Eigenregie gemacht. Der Nachteil
dabei: Die Zentrale in Friedrichshafen weiß oft nicht, welche
Unternehmen schon angesprochen wurden. Auch fehlte bislang
eine Dokumentation der Mentorenpaare: Welches Paar funk-
tioniert gut? Welches braucht zusätzliche Unterstützung? Um
den Wissenstransfer innerhalb der Organisation zu stärken,
hat RYL! nun eine Online-Plattform, JUNity, eingeführt, über
die alle Anfragen, Evaluierungen und Event-Planungen lau-
fen sollen. So kann die Organisation die Arbeit der über 600
dezentral verteilten Coaches koordinieren und erkennen, was
gut funktioniert und was nicht.
ROCK YOUR LIFE!
www.rockyourlife.de
Digitalskalieren → Cases
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Doc Handy
2005 empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren Mitgliedsstaaten,
Information Communication Technology (ICT) in der Gesundheitsversorgung
einzusetzen, um die Reichweite und Qualität der Patientenversorgung zu ver-
bessern. Unter den Stichworten mHealth und eHealth (mobile bzw. elektronische
Gesundheit) werden seitdem Gesundheitsleistungen zusammengefasst, die vor
allem über Handys und Apps funktionieren. Neben Regierungen haben auch
NGOs und Unternehmen das Potenzial von ICT in verschiedenen Bereichen der
Gesundheitsversorgung erkannt: in Administration und Management, (Weiter-)
Bildung, Diagnose und Prävention und natürlich in der Behandlung. In der Welt-
bankstudie IC4D wird das mHealth-Potenzial beziffert: Die Kosten des Daten-
sammelns reduzierten sich um fast ein Viertel, ebenso die für die Altenpflege. Die
Muttersterblichkeit sinke um 30 Prozent und die Behandlung von Tuberkulose
verbessere sich deutlich.
Nächstes Jahr wird es so viele Mobiltelefone
wie Menschen geben. Die Marktabdeckung
wird dann in Entwicklungsländern bei 89
Prozent liegen. Es gibt immer mehr Mobil-
funkanbieter, die Netze werden ausgebaut,
Kosten für Telefonate und Datentransfers
sinken und immer mehr Apps für immer
mehr Smartphones kommen auf den Markt.
Das führt vor allem in Entwicklungsländern,
zu vielen Innovationen, die den Westen alt
aussehen lassen. Nicht nur im Agrar-, Finanz-
oder Regierungssektor, sondern gerade im
Gesundheitsbereich profitieren viele zuvor
ausgeschlossene Menschen vom Mobilfunk.
Doc HandyDoc Handy
2005 empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren Mitgliedsstaaten,2005 empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren Mitgliedsstaaten,
Information Communication Technology (ICT) in der GesundheitsversorgungInformation Communication Technology (ICT) in der Gesundheitsversorgung
einzusetzen, um die Reichweite und Qualität der Patientenversorgung zu ver-einzusetzen, um die Reichweite und Qualität der Patientenversorgung zu ver-
bessern. Unter den Stichworten mHealth und eHealth (mobile bzw. elektronischebessern. Unter den Stichworten mHealth und eHealth (mobile bzw. elektronische
Gesundheit) werden seitdem Gesundheitsleistungen zusammengefasst, die vorGesundheit) werden seitdem Gesundheitsleistungen zusammengefasst, die vor
allem über Handys und Apps funktionieren. Neben Regierungen haben auchallem über Handys und Apps funktionieren. Neben Regierungen haben auch
NGOs und Unternehmen das Potenzial von ICT in verschiedenen Bereichen derNGOs und Unternehmen das Potenzial von ICT in verschiedenen Bereichen der
Gesundheitsversorgung erkannt: in Administration und Management, (Weiter-)Gesundheitsversorgung erkannt: in Administration und Management, (Weiter-)
Bildung, Diagnose und Prävention und natürlich in der Behandlung. In der Welt-Bildung, Diagnose und Prävention und natürlich in der Behandlung. In der Welt-
bankstudie IC4D wird das mHealth-Potenzial beziffert: Die Kosten des Daten-bankstudie IC4D wird das mHealth-Potenzial beziffert: Die Kosten des Daten-
sammelns reduzierten sich um fast ein Viertel, ebenso die für die Altenpflege. Diesammelns reduzierten sich um fast ein Viertel, ebenso die für die Altenpflege. Die
Muttersterblichkeit sinke um 30 Prozent und die Behandlung von TuberkuloseMuttersterblichkeit sinke um 30 Prozent und die Behandlung von Tuberkulose
verbessere sich deutlich.verbessere sich deutlich.
Doc Handy → Trend
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Es gibt weltweit mittlerweile circa 4 Milliarden Menschen, die ohne Zugang zu
einem Gesundheitssystem leben. Um diesen Missstand zu beheben, bedarf es einer
bezahlbaren und zugänglichen Gesundheitsversorgung, die lokale Gegebenhei-
ten berücksichtigt. Hier zeigt ICT und vor allem der Einsatz von Mobiltelefonen
neue, effiziente Wege auf, um den bislang Unterversorgten Zugang zu Gesund-
heitsdiensten zu ermöglichen und ländliches Gesundheitspersonal in seiner Ar-
beit zu unterstützen. Viele der mHealth-Innovationen entstanden in Afrika und
Südasien, weil dort die großen Lücken im Gesundheitssystem mit dem enormen
Wachstum des Mobilfunkmarktes zusammentrafen (90 Prozent der Menschheit
haben mittlerweile Handyempfang, 75 Prozent haben Zugang zu einem Handy,
63 Prozent zu funktionierenden Sanitäranlagen).
Die meisten Innovationen entstehen direkt in den Entwick-
lungsländern
m Bereich Informations- und Wissensmanagement etablierte die
African Medical and Research Foundation in Kenia eine Virtual
Nursing School, um 20.000 Krankenpfleger auszubilden und das
Gesundheitspersonal im Land zu verdoppeln. DieeHealth-Initiative
der ägyptischen Regierung zielt neben der Aus- und Weiterbildung
darauf ab, bessere Diagnosedienstleistungen in ländlichen Gegenden anbieten und
eine Datenbank für medizinische Patientenakten aufbauen zu können. Hierbei helfen
das Open Medical Record System oder EpiSurveyor, die das klassische Klemmbrett
für Datensammlungen ersetzen. Sie ermöglichen Gesundheitskräften, Daten über
Patientinnen oder Krankheiten und deren Behandlungsoptionen zu speichern oder
abzurufen. In Nicaragua wurde mittels ICT das nationale Impfprogramm verein-
heitlicht und die pränatale Versorgung sowie die Versorgung chronisch Kranker
ausgeweitet und überprüfbar gemacht. Und Gesundheitspersonal in Peru kann web-
basiert auf Tuberkulose-Laborergebnisse ihrer Patienten sowie Informationen zur
Behandlung zugreifen und erhält automatisch Informationen zu Risikopatienten.
In Uganda hat die erste Telemedizinklinik eröffnet
ach einem ähnlichen Prinzip funktioniert die Telemedizin und
Ferndiagnose. Auch hier können Handys die Gesundheitsversor-
gung verbessern und Kosten sparen. Statteines teuren Ultraschall-
Magnetresonanz-oder Röntgengeräts, gibtes mittlerweile tragbare
und viel billigere Geräte, die an Handy oder Laptop angeschlossen
werden können. Community Health Worker leiten die Daten zur Auswertung an
zentrale Stellen weiter, sodass umgehend eine Diagnose erfolgen kann. Ein Beispiel
hierfür bietet die Firma Mobisante, die tragbare medizinische Bildgebungsmaschi-
nen entwickelt und deren Ziel es ist, bald pro Scan nicht mehr als 1 US-Dollar in
Rechnung stellen zu müssen. In Indien können durch das Aravind Eye Care System
via Kameras und Datenübertragung circa 27 Millionen Menschen pro Jahr augen-
ärztlich behandelt werden. Lokales Personal kann Sehtests durchführen und kranke
Augen behandeln, ohne dass eine Spezialistin vor Ort sein muss. Und in Uganda
öffnet die indische Krankenhausgruppe Apollo Hospitals die erste Telemedizinkli-
nik, die ein Informationszentrum und telemedizinisches Netzwerk anbietet.
Der Einsatz von ICT hilft durch eine verbesserte Informationskette auch beim
Kampf gegen Korruption. Weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO)
zehn Prozent der Arzneimittel gefälscht, in einigen Regionen in Entwicklungs-
ländern bis zu 30 Prozent. Mithilfe von Sproxil können Handybenutzerinnen in
Nigeria nun feststellen, ob ein Medikament original ist.
S. 59 →
I
N
Doc Handy → Trend
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54
Deutschland nur auf einem mittleren Platz beim mHealth-Ranking
ine WHO-Studie zeigte 2011, dass Gesundheits-Callcenter, kosten-
lose Notfall-Handydienste, mobile Telemedizindienste und mobi-
le Katastrophendienste zu den am häufigsten genutzten eHealth-
Angeboten zählen. Laut der Studie ist Großbritannien führend
in der Nutzung von eHealth und verwaltet medizinische Infor-
mationen und Daten seit über 10 Jahren zentral elektronisch. Aus Großbritannien
stammen auch sehr erfolgreiche Patientenplattformen wie Health Unlocked, die
Patienten und Angehörige unterstützt und ein Forum für Ratschläge und Erfah-
rungsberichte sowie die Verbindung zu Ärzten bietet. Deutschland belegt in der
Liste der untersuchten Länder nur einen Mittelplatz, da vor allem Diskussionen
zu Datenschutz und Sicherheitsfragen zentralisierter Datensicherungssysteme die
Entwicklung verlangsamen.
Dynamik von mHealth: Angegeben ist die Zahl der Länder, in denen mindestens
ein mHealth-Programm umgesetzt wird. Aus der Weltbankstudie IC4D (2012).
Sprachnachrichten funktionieren besser als SMS
eben Regierungen wollen nun auch NGOs und Unternehmen
die Wirkung von ICT nachweisen. So führten WellDoc in den
USA, Weltel in Kenia oder Project Mwana (UNICEF) in Sambia
als eine der ersten Studien durch und wiesen Verbesserungen
bei der Einnahme von Medikamenten durch SMS-Erinnerungen
nach. Gerade bei der HIV/AIDS-Aufklärung und -Behandlung sind Mobiltelefone
sehr wirksam. Hier bietet ein Handy oder das Internet die Möglichkeit für einen
anonymen und manchmal auch spielerischen Erstkontakt zu aufklärenden Or-
ganisationen. Vergleiche zwischen Text- und Sprachnachrichten haben gezeigt,
dass Nutzerinnen Sprachnachrichten bevorzugen, da viele ihre Mobiletelefone
mit Familie oder Freunden teilen oder einige nicht lesen und schreiben können.
Lange Zeit war die Entwicklung von eHealth technologiegetrieben. In einer ersten
Phase exportierte der Westen Technologien in entwickelnde Länder. In einer zwei-
ten Phase entstanden Innovationen durch externe Spezialistinnen. Die Entwicklun-
gen aus jener Zeit sind sogenannte „disease-centered Stand alone“-Geräte, die die
Komplexität des realen Lebens vor Ort nicht berücksichtigten. Mittlerweile sind
partizipative und „people-centered“ Entwicklungen in den Vordergrund gerückt.
E
LÄNDER
Europa & Zentralafrika
Südafrika
Ostasien und Pazifik
Mittlerer Osten & Nordafrika
Lateinamerika & Karibik
Subsahara-Afrika
Entwickelte Länder
Quelle: Adapted from GSMA
mHeath Tracker 2012
10
2003
0
20
30
40
50
60
70
80
90
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
N
Doc Handy → Trend
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Chancen
ICT bietet großes Potential, dem Mangel an Gesundheitsper-
sonal entgegenzuwirken und bislang Unerreichte und Unter-
versorgte in die Gesundheitsversorgung einzubinden.
Durch mHealth kann man Kosten für die Diagnose und Behand-
lung reduzieren und so mehr Patientinnen behandeln.
Patienten werden durch Zugang zu Informationen und Mög-
lichkeiten des Austauschs gestärkt.
Risiken
Das Wissen über die zahlreichen eHealth-Innovationen wird
noch zu wenig geteilt (Best Practice) und die Produkte zu wenig
evaluiert, sodass Qualität und Nachhaltigkeit oft nicht nach-
gewiesen werden können.
Der persönliche Kontakt, der vor allem bei chronisch Kranken
sowie Älteren wichtig ist, geht zum Teil verloren.
Die Fernbeobachtung und Telemedizin fordern von Ärzten neue
Kompetenzen und setzen fähige Patienten voraus, was nicht bei
jedem Krankheitsbild oder Bildungsstand gegeben ist.
Fazit
ICT ist in der weltweiten Gesundheitsversorgung mittlerweile zu
einem Standardinstrument geworden. Skalierungsmöglichkeiten
sollten aber bei der Entwicklung und Pilotierung von eHealth-
Innovationen mitgedacht werden. Um die Trendwende hin zur
gemeinde- bzw. hausbasierten Gesundheitsversorgung besser ge-
stalten zu können, ist eine Zusammenarbeit von öffentlicher und
privater Hand in Forschung und Umsetzung wichtig. Das heißt
partizipative und „people-centered“ Lösungen zu verbreiten, tra-
ditionelle und lokale Versorgungsmöglichkeiten zu integrieren
und sich besser zu vernetzen. So können auch einheitliche Stan-
dards für Evaluationen geschaffen werden.
Doc Handy → Trend
6
56
Das Projekt in Peru unterstützt schwangere Frau-
en per SMS. Per Textnachrichten werden sie über
die verschiedenen Phasen ihrer Schwangerschaft
informiert. Die Experten-Tipps helfen bei der rich-
tigen Ernährung und erklären, was gerade gut oder schlecht
für das Baby ist. Bei akuten Problemen oder Fragen können die
Frauen über eine automatisierte Hotline oder per SMS einen
Symptom-Check machen und mit Ärzten verbunden werden.
2010 wurde das System in einer kleinen Gemeinschaft von ca.
5.000 Menschen in der Nähe von Lima getestet, mittlerweile
nutzen 13 Gesundheitszentren das System und es soll national
ausgeweitet werden. Als Public Private Partnership wird Wawa-
Red von der lokalen Regierung, Telefónica Mobil in Peru und
UNICEF unterstützt.
WawaRed
www.wawared.org
Doc Handy → Cases
6
57
Die Mikroversicherung ist auf Gesundheitsdienst-
leistungen ausgerichtet und arbeitet mit dem
mobilen Geldtransfersystem M-Pesa. Changamka
(Swahili für „werde aktiv“) ermöglicht Millionen
von Kenianerinnen, die bisher vom medizinischen Versiche-
rungssystem ausgeschlossen waren, einen Zugang zu grundle-
gender Gesundheitsversorgung. Das System basiert auf einer
Smartcard, die rund 4,50 Euro kostet. Ein Startguthaben von
vier Euro ist bereits aufgeladen und gleichzeitig das Minimum,
mit dem man grundlegende Gesundheitsversorgung für die
ganze Familie in kooperierenden Krankenhäusern und Kliniken
in Anspruch nehmen kann. Im Gegensatz zu Versicherungen,
die regelmäßige Einzahlungen erfordern, bietet Changamka
einen Sparplan, der die Gesundheitsversorgung an die Höhe
des Ersparten koppelt. Abgedeckt sind Kosten für ärztliche
Beratung und Behandlung, Labortests und Medikamenten-
Rezepte. Um die Einzahlung in das Versicherungssystem zu
erleichtern, ist Changamka mit M-Pesa, einem weitverbreiteten
mobilen Geldtransferdienst in Kenia, verbunden.
Changamka
www.changamka.co.ke
Doc Handy → Cases
6
58
Die WHO schätzt, dass rund 30 Prozent der vertrie-
benen Medikamente Fälschungen sind. Vor allem
im Bereich der Malariabehandlung und der Medi-
kamente für Kinder sind viele Präparate unter-
wegs, die keine Wirkstoffe, sondern Salz, Kalk oder getrocknete
Farbe enthalten. Sproxil hilft, die Fälschungen zu erkennen: Auf
dem Medikament ist ein Code, den man frei rubbelt, via SMS
an eine länderspezifische Nummer schickt und sofort die Ant-
wort bekommt, ob das Medikament echt ist oder nicht.
Sproxil wurde 2010 in Ghana und Nigeria und 2011 in Kenia und
Indien eingeführt und arbeitet mit internationalen Pharmaun-
ternehmen wie Johnson & Johnson, Glaxo Smith Kline und Merck
zusammen. 2012 nutzten nach Angaben der Firma mehr als eine
Million Menschen den Service.
Sproxil
www.sproxil.com
Doc Handy → Cases
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betterplace lab trendreport 2013

  • 1. 2013betterplace lab ISBN 978-3-00-042251-5 Die Geschichte des Trendreports geht so: Das kleine betterplace lab hat fleißig Trends und Cases gesammelt, um die Menschen zu inspirieren. „Hui, interessant!“, frohlocken viele. Das macht das kleine lab glücklich. Doch weil es mit dem Trendreport kein Geld verdient, würde es sich sehr über eine kleine Spende freuen. Dann wird der nächste Trendreport noch schöner und beflügelt von guten Ideen, verbessern die Men- schen weiterhin die Welt. Danke für Deine Spende auf trendreport.betterplace.org 2013Trendreportbetterplacelab Trendreport
  • 3. Gesunde Handys, digitale Geschichten und Daten für gute Taten – der betterplace lab Trendreport 2013 Ein Vorwort von Dr. Joana Breidenbach und Dr. Mark Speich Vor einem Jahr brachten wir die erste Ausgabe des betterplace lab Trendreports als Buch heraus–und freuten uns über motivie- rendes Lob für unsere Arbeit.Wir hörten von NGOs und Stiftun- gen, die digital-soziale Inspirationen aufgriffen,von Agenturen, die den Trendreport als Basis ihrer Arbeit für gemeinnützige Organisationen verwendeten,von Wissenschaftlern und Journalisten, die unsere Beispiele weiterverbreiteten. Jetzt freuen wir uns,Euch das Ergebnis eines weiterenJahres weltweiter Recherche zu präsentieren. Zwölf neue Trends, von Digitalanekdoten über DocHandy bis Big Data 4 Good, haben wir mit den besten neuen Fallbeispielen (Cases) illustriert, ein Kondensat der mittlerweile über 460 Cases auf trendreport.betterplace-lab.org. Der Trendreport 2013 zeigt: Die Digitalisierung im sozialen Sektor schreitet weiter voran. Vor allem die Entwicklung mobiler Anwendungen wird immer wichtiger. So konnte betterplace.org dank der Unterstützung durch Vodafone eine Spen- den-App herausbringen, über die auch Ehrenamt koordiniert werden kann. Und in Afrika ist die Verbreitung von Handys so flächendeckend, dass der Kontinent zum zentralen Innovationstreiber weltweit geworden ist – ob über Rinderma- nagement per SMS (siehe case/iCow) oder Mikroversicherungen auf dem Handy (siehe case/Changamka). Der betterplace lab Trendreport bietet vor allem eines: neues Wissen. Dieses Wissen hilft zivilgesellschaftlichen Organisationen, sich auf die digitale Zukunft vorzubereiten. Sich den digitalen Gegebenheiten anzupassen. Unterstützer zu mobilisieren. Das Potential neuer Technologien zu nutzen. Denn Wissen ist auch Macht, Gutes zu tun. Wir freuen uns sehr, dass wir dieses Jahr zusätzliche Unterstützer für den Trendre- port gewinnen konnten.Das Vodafone Institut für Gesellschafft und Kommunikati- on ist uns mit seiner unverzichtbaren Unterstützung als Hauptförderer treu geblie- ben.Neu hinzu kommen Förderungen durch die BMW Stiftung Herbert Quandt und die Bertelsmann Stiftung, die eine Patenschaft für einen Trend übernommen hat. Wir verstehen den betterplace lab Trendreport als einen digital-sozialen Seismo- graphen. Nutzt ihn, um euch zu informieren und zu orientieren.Am besten geht ihr noch einen Schritt weiter, experimentiert mit Ideen und setzt Erfolgsbeispiele um. Gemeinsam können wir den notwendigen sozialen Wandel noch produktiver und wirksamer gestalten. Vorwort 3
  • 4. Making-of Transparenz ist ein Megatrend.Das betterplace lab macht mit und zeigt glasklar (siehe glasklar/Trendreport online),was beim betterplace lab Trendreport 2013 wie viel gekostet hat. Konzeption und Layout ca. 6.600 € Illustrationen ca. 300 € pro Stück Druckkosten ca. 9.200 € Gestaltung visueller Index ca. 600 € Papier 315g/m2 Korsnäs White 115g/m2 Munken Print white 15 Einwohner der finnischen Gemeinde, nach der das Umschlag- papier benannt ist 2.233 Distanz von der finnischen Gemeinde, in der unser Illustrator wohnt, bis zu unserem Büro in Berlin ca. 1.560 km Kostenloses Seitenplan-Programm, das wir benutzt haben flatplanapp.com Auflage 3.000 Redaktionsschluss 15. Mai 2013 Zahl der Arbeitsstunden für den Trendreport on- und offline von Dennis, Joana und Kathleen ca. 2.000 Potenzielle Trendreport-Sponsoren, die wir ohne Erfolg ange- sprochen haben 4 Euro, die für Produktion und Versand des Trendreports 2012 gespendet wurden: ca. 1.200 (für diesen Trendreport kann man sich hier bedanken: trendreport. betterplace.org) Zahl der Case-Schreiber 6 4
  • 5. Inhalt Vorwort ← S. 3 Making-of ← S. 4 Übersicht S. 6 → Der soziale Sektor S. 9 → Anleitung S. 11 → 1 Digitalanekdoten S. 13 → Cases S. 17 → 2 Trade statt Aid S. 21 → Cases S. 25 → 3 Digitalkampagnen S. 29 → Cases S. 33 → 4 Direkt-Feedback S. 37 → Cases S. 41 → 5 Digitalskalieren S. 45 → Cases S. 49 → 6 Doc Handy S. 53 → Cases S. 57 → 7 Karma statt Kohle S. 61 → Cases S. 65 → 8 Offene Innovationen S. 69 → Cases S. 73 →/Insight S. 76 → 9 Echtzeit S. 81 → Cases S. 85 → 10 Bildung für alle S. 89 → Cases S. 93 → 11 Big Data for Good S. 97 → Cases S. 101 →/Insight S. 104 → 12 Datenspenden S. 109 → Schlusswort S. 115 → Impressum S.116 → Förderer S.117 → Index S. 118 → 5
  • 6. Digital- anekdoten Gute Geschichten nehmen neue Wege über soziale Netzwerke und transportieren die eigene Botschaft. 1 Digital- skalieren Im Internet finden sich immer mehr Werkzeuge, mit denen Organisa- tionen wachsen und ihren Wir- kungskreis vergrößern können. 5 Digital- kampagnen Über Digitalkampagnen kann jeder die Massen für sein Anliegen mobilisieren. 3 Trade statt Aid Milliarden Menschen haben kaum Geld aber ein Handy. Sie nutzen es, um in einem neuen Markt Jobs zu finden. 2 Doc Handy Mobile-Health-Inno- vationen kommen vor allem aus Afrika lassen den Westen alt aussehen. 6 Direkt- Feedback Digital organisiert, werden Begünstigte in Zukunft in Hilfs- projekten eine aktivere Rolle übernehmen. 4 6
  • 7. Echtzeit Live-Kommunikation: Wer sich im Internet zu viel Zeit lässt, provo- ziert Gähnen statt Begeisterung. 9 Karma statt Kohle Immer mehr Organi- sationen bieten ihre Mitmach-Möglichkei- ten auch online an. 7 Big Data for Good Wachsende Datenmen- gen werden NGOs zu datengetriebenen Er- kenntnissen und Entscheidungen verhelfen. 11 Bildung für alle Das Internet bricht alte Strukturen im Bildungs- sektor auf–online ist das neue Klassenzimmer. 10 Offene Innovationen Ideen-Wettbewerbe: Weil sich Menschen und Ideen übers Internet einfach koordinieren lassen, nutzen immer mehr Organisati- onen das Wissen der Crowd. 8 Daten- spenden Je stärker sich Daten als Wirtschaftsgut etablieren, desto näher rückt auch eine Datenphilan- thropie. 12 BildungBildung 7
  • 8. So funktioniert der Trendreport Im Internet sprießen jeden Tag zahlreiche neue digitale Anwen- dungen und Projekte – wie Setzlinge in einem Gewächshaus. Im betterplace lab Trendreport sammeln wir diese digitalen Pflänz- chen–wir nennen sie CASES– und leiten daraus TRENDS ab. Auf www.trendreport.betterplace-lab.org haben wir bereits über 450 CASES zusammengetragen:von der App zur besseren Kuhhaltung bis zur Online-Krisen- karte im Katastrophenfall. Die gesammelten CASES untersuchen wir nach gemeinsamen Merkmalen und Eigenschaften und identifizieren so neue digitale TRENDS für den sozialen Sek- tor. Wenn wir immer mehr CASES finden, bei denen die Begünstigten die Gele- genheit bekommen, per Handy Feedback zu Hilfsprojekten zu geben und so die Arbeit der sozialen Organisationen zu verbessern, schließen wir auf den TREND 4/Direkt-Feedback und gucken uns das Phänomen genauer an. Oder wenn sich zeigt, dass NGOs neue Wege ausprobieren, Geschichten zu erzählen und zu verbreiten – dann nennen wir den TREND 1/Digitalanekdoten. Hinzu kommen große TRENDS wie 11/Big Data for Good oder 8/Offene Innovationen, die als Grundlage in viele weitere TRENDS einfließen. Innerhalb der Trendbeschreibungen versuchen wir, sowohl die Perspektive der Geldgeber (Stiftungen,Spender etc.) zu berücksich- tigen als auch jene der ausführenden sozialen Organisationen. Abschließend fassen wir dann die Chancen und Risiken der jeweiligen TRENDS zusammen. Weil die TRENDS unterschiedlich weit entwickelt sind,teilen wir sie in drei Wachs- tumsstadien ein: Am Anfang muss sich noch zeigen, ob junge TRENDS weiter sprießen, später sind schon erste Triebe zu erkennen und schließlich sind sie fast schon ein Baum und kaum auszureißen. Zwölf TRENDS sind hier versammelt, online erweitern wir den Trendreport stetig. Einige CASES sind so interessant, dass wir ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken. Wenn die Weltbank beispielsweise von einem reinen Geldinstitut zur Wissensbank wird und nun auch Informationen zur weltweiten sozial-politischen Entwicklung veröffentlicht, dann schreiben wir ein sogenanntes INSIGHT und analysieren aus- führlich, welche TRENDS und Mechanismen dahinterstecken, sprechen mit Ex- perten und zeigen, was man aus dem Fall lernen kann. Der Trendreport funktioniert also als Dreiklang aus CASES,TRENDS und INSIGHTS. PS:Wir kennen uns ja jetzt schon seit dem Trendreport 2012.Deshalb stört es dich hoffentlich nicht, dass wir dich ab jetzt duzen. S. 97 →/S. 69 → S. 37 → S. 13 → 2. 3.1. Dieser Trend steht am Anfang seiner Entwicklung S. 104 → 2. Dieser Trend wächst heran 3. Dieser Trend ist etabliert 1.1.1. 2.2. 3.3. Anleitung 8
  • 9. Und so nutzt du die Trends für deine Arbeit Viele CASES aus dem Trendreport erscheinen auf den ersten Blick vielleicht speziell.So mag beispielsweise die Frage aufkommen: Was kann ich damit anfangen,wenn in Peru medizinische Fern- diagnose per SMS erfolgt? Oder wenn die Bewohner des Slums Kibera auf einer Online-Plattform von ihrem Leben berichten? Die Antwort darauf findet man, indem man die Idee und ihr Potenzial von der ursprünglichen auf die eigene Situation überträgt. Vielleicht könnte man auch in Deutschland SMS für Feedback-Zwecke nutzen, für sehr junge Mütter, die Fragen zum Umgang mit ihrem Kind haben? Oder ein Projekt ins Leben rufen, das denen online eine Stimme gibt, die sonst nicht gehört werden–zum Beispiel Obdachlosen.Wenn man die Bedürfnisse und Motivationen hinter einer Idee oder einem neuen Produkt versteht,werden die Mechanismen deutlich und lassen sich adaptieren. Deshalb finden sich auch einige Beispiele im Trendreport, die nicht aus dem klassischen sozialen Sektor stammen (Sproxil) – die aber so gute Ideen sind, dass sie auch im sozialen Sektor einen Platz finden sollten. Weil das Internet an sich eine immer zentralere Rolle im Leben der Menschen spielt, ist es auch wichtig, dessen allgemeine Entwicklungen wie Schnelligkeit (9/Echtzeit), Transparenz oder Nutzerfreundlichkeit zu berücksichtigen. Auch Organisationen des sozialen Sektors können diese Strömungen nutzen. Wenn dich nun ein Beispiel aus dem Trendreport besonders inspiriert oder du eine Idee hast, mit der du einen Trend konkret anwenden willst–dann probier es aus! Es lohnt sich, denn Trends können über einzelne Experimente hinaus auch die Vi- sion deiner Organisation und deiner Arbeit beeinflussen. Lass dich dazu anregen, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln oder bei bestehenden Initi- ativen mitzuwirken. Auf diese Weise können neue Geschäftskonzepte und sek- torübergreifende Partnerschaften entstehen, die dazu beitragen, die Arbeit im sozialen Sektor zu verbessern. Hab den Mut, zu experimentieren und Risiken ein- zugehen–falls du dabei Unterstützung brauchst, zapf all die cleveren Menschen da draußen für gute Ideen an. Denn auch das ist ein Trend (8/Offene Innovationen). Dies ist bereits die zweite Ausgabe des betterplace lab Trendreports. Viele der Trends aus der Ausgabe 2012 sind auch noch heute spannend und werden im Text erwähnt (siehe Trendreport online). Du findest alle bisherigen Trends auf www.trendreport.betterplace-lab.org/trends Anleitung S. 59 → S. 81 → S. 6 → 9
  • 10. „Die Mehrheit der Deutschen ist noch nicht in der digitalen Gesellschaft angekommen“, sagte der Internetforscher und Vizepräsident der Initiative D21, Robert Wieland, im April 2013. Wir fügen hinzu: „Die Mehrheit der deutschen Organisationen des sozialen Sektors ist noch nicht in der digitalen Gesellschaft angekommen.“ Denn wenn wir nach Innovationen suchen, finden wir sie oft in Afrika, in den USA, in Asien, Südamerika und einigen europäischen Ländern. Aber kaum in Deutschland. Unser Eindruck: Weltweit ist eine starke Dynamik zu spüren, überall wird mit neuen Apps,Websites oder digitalen Erzählformaten experimentiert. Doch nennenswerte Cases aus Deutschland konnten wir für den Trendreport nur wenige finden. Wieso zögern deutsche Organisationen, wenn es um neue Internetanwendun- gen geht? Unsere Studie „NGOs im Netz“ zeigt: Es sind besonders die großen Organisationen, die Probleme haben, ihre vielen Mitarbeiter für Online-Kommu- nikation zu begeistern, und die bei Internet-aversen Chefs in der Prioritätenlis- te nicht vorankommen. Kleinere Organisationen wie etwa Viva von Agua oder Shelterbox sind hingegen flexibler und experimentierfreudiger (Unsere Studie: betterplace-lab.org/projekte/digitalisierungsstudie). Trotzdem: Insgesamt mangelt es dem deutschen sozialen Sektor an digitalen Innovationen. Beth Kanter,Social-Media-Guru für NGOs in den USA, nennt jene Organisationen, die noch am Anfang ihrer digitalen Entfaltung stehen, Craw- ler (Krabbler). Diese Organisationen nutzen soziale Medien noch gar nicht und haben auch keine Strategie, um ihr Netzwerk auszubauen. Walker sind schon auf Facebook etc., allerdings ohne Kommunikationsstrategie. Runner und Fly- er sind entsprechend fortgeschritten und haben verschiedene Online-Kanäle ganz oder teilweise auch in die Organisationskultur integriert. Wie viele Organisationen in Deutschland Online-Kanäle wie professionell nut- zen, ist weitgehend unklar – ein Grund, warum das betterplace lab mit dem NGO-Meter ein erstes Benchmarking durchführt. Doch die oben erwähnten wenigen deutschen Cases zeigen, dass es hierzulande nur wenige Runner und Flyer wie etwa Save the Children gibt. Ein Grund für die Zurückhaltung mag die „allgemeine Einstellung“, die „Kul- tur“ in deutschen Organisationen sein. Ein weiterer ist, dass es hier keine pro- gressive Förderlandschaft wie etwa in den USA gibt. Die Omidyar Foundation, die Hewlett Foundation, die Knight oder die Case Foundation sind nur wenige Beispiele für Förderer, die sich der digital-sozialen Entwicklung verschrieben haben. Ausnahmen in Deutschland sollen nicht ungenannt bleiben: Vodafone unterstützt das Zeitspenden- und Mobile-Projekt von betterplace.org und Te- léfónica fördert mit Think Big über digitale Wege das Engagement von Jugend- lichen. Als wir aber beispielsweise SMS-Feedback pilotieren wollten, sagte uns eine Stiftung, dass das noch zu weit vorne sei. Wie und warum das better- place lab den sozialen Sektor in Deutschland verändern möchte Der soziale Sektor 10
  • 11. Wir haben zwar kein Geld, mit dem wir Organisationen der Zivilgesellschaft bei digital-sozialen Projekten unterstützen können. Aber wir haben Wissen aggre- giert, das als Inspiration dienen soll. Dass als Motivation dienen soll, mit Inno- vationen zu experimentieren. Sicher, wer experimentiert, kann scheitern. Doch hier denken wir ähnlich wie die Case Foundation (USA) mit ihrer Be-Fearless- Kampagne: Take risks, be bold, fail forward. Denn nur wer sich traut, Neues auszuprobieren, kann lernen. Der Trendreport soll in dieser Hinsicht Mut machen. Die Trends und über 450 Cases (trendre- port.betterplace-lab.org) verschaffen Orientierung und einen ersten Über- blick der Möglichkeiten. Sie zeigen, was andere schon ausprobiert haben und was dabei herausgekommen ist. Der soziale Sektor in Deutschland–NGOs, CSR-Abteilungen,Stiftungen bzw. zi- vilgesellschaftliche Organisationen (ZGOs), wie wir es zusammenfassen–möge sich diese Beispiele anschauen und wenn möglich adaptieren. Wir möchten die ZGOs mit dem Wissen des Trendreports ermutigen, ihre Zurückhaltung bezüg- lich der digitalen Möglichkeiten abzulegen. Im besten Falle lernen die ZGOs da- bei transparent und öffentlich und somit von- und miteinander. Wir sind optimistisch. Denn im Vergleich zum letzten Jahr steigen die Anfragen nach Workshops und Studien zu Social Media und Internetnutzung für den gu- ten Zweck. Selbst aus Ministerien und großen Institutionen der Entwicklungs- zusammenarbeit wird das entsprechende Wissen nachgefragt. Mit dem betterplace lab Trendreport 2013 veröffentlichen wir unser aktuelles Wissen, auf dass mehr und mehr ZGOs nicht nur in der digitalen Gesellschaft ankommen, sondern sie auch aktiv mitgestalten. Viel Spaß beim Experimentie- ren, Lernen und besserwerden. Der soziale Sektor
  • 12.
  • 13. Digitalanekdoten Ob als NGO, Stiftung, CSR-Abteilung oder Ministerium: Jeder möchte mit seiner Botschaft möglichst viele Menschen erreichen. Weil das nicht einfach ist, gibt es viele Kommunikations- und PR-Agenturen. Doch auch als kleine Organisation kann man seine Geschichte verbreiten. Digitale Werkzeuge machen es einfacher, seinen eigenen kleinen Film halbwegs professionell zu produzieren, und soziale Netzwerke sind ein kostenloser Kanal der Verbreitung. Wie Geschichten rezipiert und verbreitet werden, hat sich durch die Digitalisierung verändert – man spricht von Digital Storytelling. Während früher nur wenige Produzenten die Mittel hat- ten, um Bücher, Fotos oder Filme zu produzieren und zu verbreiten, kann dies heute jeder Smartphonebesitzer, der Internetzugang hat. Im Trend Digitalanekdoten trifft moderne Technologie auf ein uraltes Phänomen. Seit es Sprache gibt, erzählen Menschen sich Geschichten. Diese Geschichten verbreiten sich über das Internet und multimediale Formate heute auf neuen Wegen. Geschich- ten sind wichtig, denn über Geschichten geben Menschen den Dingen einen Sinn. Und weil diese Dinge immer komplexer werden und wir über das Internet mit immer mehr Informationen konfrontiert werden, müssen Geschichten diese abstrakten Zusammen- hänge auf den konkreten Boden der Tatsa- chen zurückholen. Daten und Informationen kann man, wenn man sich bemüht, verstehen. Geschichten aber gehen tiefer. Digitalanekdoten → Trend 1 13
  • 14. Allerdings entspricht der geringe Aufwand meist auch der kurzen Aufmerksamkeits- spanne im Internet. Wenn der Inhalt nicht gerade außergewöhnlich ist (etwa Handy- Videos von Unruhen in Ägypten, Syrien oder Iran), erreicht man mit hochwertigeren Produktionen auch mehr Menschen über einen längeren Zeitraum. So erzählt die erfolgreiche Wasserinitiative charity: water (siehe Yellow Thunder) ihre Geschichten nicht nur inhaltlich und dramaturgisch auf hohem Niveau, sondern investiert auch viel Geld in Kameratechnik und -experten. Damit auch finanziell schwache Grass- root-Organisationen mit professionellen Fotos beeindrucken können, bringen Platt- formen wie PhotoPhilanthropy sozial engagierte Fotografen und NGOs zusammen. Menschen verstehen Menschen, nicht Organisationen och im Internet muss man sich nicht auf den einen großen Film oder die eine Kampagne beschränken. Wichtig ist auch, Ge- schichten des Alltags kontinuierlich zu erzählen. Der Trend heißt Digitalanekdoten, weil gerade diese neue Art der täglichen Kom- munikation über Facebook, Twitter und andere Netzwerke in Form von Geschichtenschnipseln abläuft. Ein Tweet ist maximal 140 Zeichen lang und auch bei Facebook muss die Botschaft pointiert rüberkommen, wenn sie sich in der Flut der Meldungen behaupten soll. Diese Anekdoten haben oft Kaffeeklatschcharakter: Sie sind gerade erst pas- siert, umgangssprachlich formuliert und unterhaltsam. Menschen verstehen Men- schen, und Organisationen bekommen ein Gesicht und werden greifbar, wenn sie die Anekdote des Wasserrohrbruchs oder des verrückten Kaffeevollautomaten erzählen, der immer erst nach einem Schlag auf die Seite funktioniert. Durch solche leicht verdaulichen Geschichten werden die ernsthaften, anstrengenden Botschaften aufgelockert. Der Unterschied zwischen abstrakter Organisation und interessantem Mensch wird an diesem Beispiel deutlich: Die Biographie Mountains beyond Mountains über Paul Farmer, Gründer der NGO Partners in Health, verkaufte sich milli- onenfach, und Umfragen zeigen, dass jeder Zweite, der für Partners in Health spendet, von dem Buch inspiriert wurde. Farmers eigenes Buch über seine Arbeit in der Organisation hat dagegen nur ein paar Tausend Leser gefunden. Die eigentliche Kunst des Geschichtenerzählens: Unwichtiges aussortieren. ie Kunst ist also, Geschichten so zu erzählen, dass sie für die Zielgruppe oder darüber hinaus einen Mehrwert haben, sodass die Menschen die Geschichten weitererzählen. Durch das Wei- tererzählen gewinnen die Geschichten dann an Authentizität und Glaubwürdigkeit. Denn nicht die NGO, die im eigenen Interesse kommuniziert, sondern quasi neutrale Menschen empfehlen und teilen mit uns Inhalte. Oft sogar Menschen, die wir kennen und denen wir vertrauen. Wer das Handwerk des Geschichtenerzählens beachtet, kann sich in den neu- en Formaten ausprobieren. Über Anwendungen wie Storify lassen sich Tweets, YouTube-Videos und andere Streams auch leicht zu einer stringenten Gesamt- geschichte vereinen. Videos eignen sich grundsätzlich gut, um komplexe Zusam- menhänge verständlich zu machen, und bei YouTube lassen sich auch verlinkte Anmerkungen einbauen. Aber gerade Animationen sind auch mit finanziellem und zeitlichem Aufwand verbunden. Der Film über betterplace.org wurde ehren- amtlich animiert, würde aber normalerweise rund 15.000 € kosten. Fotos sind nach wie vor wichtig für das visuelle Wesen Mensch, und sie können dank S. 87 → D D Digitalanekdoten → Trend 1 14
  • 15. Smartphones von überall authentisch Geschichten mit Live-dabei-Gefühl erzählen. Wenn beispielsweiseeine NGOeine Schuleeinweiht, sollte sie ihren Spendern so zeit- nah wie möglich per Video und Fotosdiese Geschichteerzählen. Bei Live-Eindrücken geht es dann auch weniger um die technische Perfektion der Aufnahmen. Der Boom der digitalen Formate bedeutet aber nicht, dass Druckerzeugnisse aussterben. Das haptische Erlebnis eines hochwertigen Heftes wirkt meist sogar langfristiger und verbindlicher. Allerdings sind gedruckte Geschichten meist auch teurer. Egal ob digital oder analog: Wichtig ist, dass die Rezipienten Möglichkeiten ha- ben, sich mit der Geschichte zu identifizieren. Setzt sich eine NGO beispielswei- se für blinde Mütter in Indien ein, so besteht zunächst das Problem, dass die meisten potenziellen Unterstützer keinen Zugang zu dem Thema haben, weil sie selbst keine blinde Mutter sind. Es muss also Relevanz und Verständnis geschaf- fen werden. Das funktioniert am besten, indem das Problem auf Einzelschicksale heruntergebrochen und anschaulich gemacht wird. Anekdoten über Alltagssitua- tionen einer blinden Mutter schaffen Nähe und sind verständlicher als abstrakte systemische Gesamtzusammenhänge des Phänomens „Blinde Mütter in Indien“. Diese Reduktion von Komplexität ist wichtig, damit Menschen ein Problem als lösbar betrachten und entsprechend handeln, weil sie Teil der Lösung sein wollen. Mit leichter Kost locken, um an schwere Themen heranzuführen omplexitätsreduktion ist also einerseits wichtig, um gehört zu werden. Andererseits ist sie auch immer eine Gratwanderung: Was kann ich weglassen, ohne dass der Kern der Geschichte ver- zerrt wird? Die Kony2012-Kampagne ist ein Paradebeispiel für Komplexitätsreduktion. Doch für die Gleichung „Uganda minus Kony gleich alles wird gut“ hat die NGO Invisible Children viel Kritik einstecken müssen. Sie hat aber auch so viele Menschen wie nie zuvor mit einem Thema in Kontakt gebracht, das speziell und schwer zugänglich ist. Doch Organisationen können ihre Geschichten nicht nur professionell erzählen und verbreiten. Sie können auch Geschichten von ihren Unterstützern und Unter- stützten sammeln. Besonders die Anekdoten der Hilfsempfänger bergen ein großes Lernpozential. Über Expertendialoge und Feedback-Formulare können diese Men- schen kaum erreicht werden. Wenn man sie aber einfach ihre Geschichte erzählen lässt, bekommen die Organisationen wertvolle und tiefer gehende Erkenntnisse. So hat Global Giving 36.000 Geschichten von Begünstigten gesammelt, aufbereitet und ausgewertet. (Mehr zu diesem „Story-Hearing“ im Trend Direkt-Feedback.) Mit Geschichten lassen sich aber nicht nur Unterstützer, sondern auch Unterstütz- te erreichen. In Kenia klärt das Projekt I-Call die Bevölkerung mit SMS-Seifenopern zu Themen wie Gesundheitsvorsorge oder Umweltschutz auf. In Geschichten verpackt kommt das Wissen nicht von oben herab, sondern wird unterhaltsam zugänglich und von den Menschen auch gewollt. Chancen Glaubwürdigkeit und Öffentlichkeit. etc.), aus denen Organisationen lernen können (Welche Geschi- chten funktionieren besonders gut?). kostenlos. S. 19 → K Digitalanekdoten → Trend 1 15
  • 16. Risiken Filmen und Fotografieren erfordern entsprechende Grund- kenntnisse und redaktionellen Aufwand. Geschichten finden. Sonst droht ein Übermaß an Oberfläch- lichkeit. - bar. Zwar lassen sich Klicks und Kommentare zählen – das daraus resultierende Engagement aber nur indirekt. Fazit Stiftungen, CSR-Abteilungen und NGOs nutzen das Potenzial ihrer Geschichten bislang kaum. Chris Hughes, Facebook-Mit- gründer und Mastermind des Obama-Online-Wahlkampfes, gab als maßgeblichen Grund des Scheiterns der von ihm gegründeten Plattform Jumo an, dass die NGOs nicht die Art von Geschichten erzählen könnten, die Unterstützer begeistern und binden. Doch besonders soziale Organisationen müssten so viel zu erzählen haben von ihrer Arbeit mit Menschen – emotionale, packende und dringende Geschichten. Doch das Handwerk will gelernt sein. Für die meisten NGOs würde es sich aber durchaus lohnen, in Digital Storytelling zu investieren: Junge Menschen haben ei- nen guten Zugang zu den Tools, andere können Grundlagen in Schreibworkshops vermitteln (wie in diesem How-To-Digitalan- ekdoten des betterplace lab). charity: water macht es vor, und immer mehr NGOs erzählen online – nicht nur Erfolgsgeschichten (siehe Produktiv scheitern/Trendreport online). Denn über kontinuierliche Digitalanekdoten bleibt eine NGO im Bewusstsein ihres Unter- stützerkreises, zeigt, dass sie auch nur aus Menschen besteht, und schafft so Nähe und Glaubwürdigkeit. Digitalanekdoten → Trend 1 16
  • 17. Das Storytelling-Projekt von Ärzte ohne Grenzen ist eine virtuelle Reise durch sieben reale Slums. Die medizinische Nothilfe-Organisation betreibt dort Gesundheitsprojekte und will mit dem Mul- timedia-Projekt das Leben in den Slums greifbar machen. Zum ersten Mal in der Geschichte lebt mehr als die Hälfte der Welt- bevölkerung in Städten. Die schnelle und dauerhafte Urbani- sierung führt dazu, dass bestehende Slums anschwellen und in vielen Städten neue Siedlungen aus Wellblechhütten und Plas- tikverschlägen entstehen. Die Lebensbedingungen sind oft sehr schlecht. Es gibt kein sauberes Trinkwasser, kaum Toiletten oder Zugang zu medizinischer Hilfe. Als Besucher der Website Urban Survivors kann man durch Filme, Soundschnipsel, Sta- tistiken, Interviews und Fotostrecken eine virtuelle „Reise“ in die Slums unternehmen. Über die vielen verschiedenen Kanäle werden interessante Geschichten über die Bewohner erzählt und so alltägliche Probleme aufgezeigt. Auf diese Weise lernen die Nutzer das Leben eines großen Teils der Bevölkerung auf der ganzen Welt kennen, zum Beispiel in Guatemala, Honduras oder Südafrika. Das ist von Profis gemachtes Digital Storytel- ling auf hohem Niveau. Urban Survivors www.urbansurvivors.org Digitalanekdoten → Cases 1 17
  • 18. Die Welthungerhilfe macht Landraub zu einem Spiel und zeigt mit einer guten Portion Humor, wie ernst das Thema ist. Bei „das kostet die Welt“ schlüpft der Spieler in die Rolle eines Investors und möchte möglichst viele Länder in seinen Online-Waren- korb legen. Als raffgieriger Spekulant muss der Spieler dabei darauf achten, dass die geraubten Länder ertragreiches Acker- land, gute Wasserversorgung und möglichst hohe Korruption aufweisen. Landraub im Kongo lohnt sich beispielsweise rich- tig – dafür gibt es über 2.000 Punkte. Sobald der Warenkorb gefüllt ist, wird der Punktestand angezeigt und der Spieler wird je nach Erfolg als Kleinkrimineller oder Global player in ein Ranking aufgenommen. Gleichzeitig bekommt der Nutzer bei der Auswertung seiner Land-Grabbing-Erfolge Informationen über die Folgen von Landraub: Angefangen beim sinkenden Grundwasserspiegel durch zu hohen Wasserverbrauch bis hin zur Misere der Klein- bauern, die von ihrem Land vertrieben werden. Um dem Spieler nach seinem Raubzug die Möglichkeit zu bieten, selbst etwas zu verändern, wird ihm ein zu seinem Punkteergebnis proportio- naler Betrag angeboten, den er an die Welthungerhilfe spenden kann. Je erfolgreicher der Raubzug, desto höher die Spende! Das kostet die Welt www.das-kostet-die-welt.de Digitalanekdoten → Cases 1 18
  • 19. In Kenia sammelt das Projekt I-Call lehrreiche Erfolgsgeschichten aus den Bereichen Umwelt und Gesundheit. Dabei wird auf die Basisfunkti- on eines jeden Handys zurückgegriffen – den Spra- chanruf. Über ein Mailboxsystem entstehen so kleine Seifen- opern, die unter einer kostenlosen Telefonnummer angehört werden können. Per Tastendruck kann der Zuhörer interaktiv dem Verlauf der Story folgen, beispielsweise der Geschichte von Purity, die durch Recycling ihren Lebensunterhalt sichern kann. Am Ende der Story steht also ein Happy End mit Vorbild- charakter, das andere zu ähnlichen Ideen inspirieren soll. Da fast 30 Millionen Menschen in Kenia ein Handy besitzen, kön- nen per Sprachanruf viele Menschen erreicht werden. 2012 hat das Projekt I-Call den deutschen eLearning Award gewonnen. I-Call www.common-sense.at/en/mobile-awareness-raising Digitalanekdoten → Cases 1 19
  • 20.
  • 21. Die Base-of-Pyramid (BoP) nimmt ihr Schicksal zunehmend selbst in die Hand: Gemeint sind jene zwei bis vier Milliarden Menschen, die weniger als zwei US- Dollar am Tag zur Verfügung haben und bislang in unternehmerischen Wert- schöpfungsketten vernachlässigt wurden. Diese Menschen zählen auch zu den Hilfsempfängern der NGOs bzw. des sozialen Sektors und der Entwicklungszu- sammenarbeit. Doch entstehen immer mehr neue Geschäftsmodelle, die es sich zunutze machen, dass diese Zielgruppe zwar eine geringe individuelle Kaufkraft hat, aber aggregiert einen Massenmarkt darstellt, für den es sich lohnt, Produk- te und Dienstleistungen zu entwerfen. Viele BoP-Konzepte richten sich an arme Menschen als Kunden, z.B. indem man ihnen kleine Packungen Haarshampoo oder Waschpulver verkauft oder ihnen einen Mikrokredit gibt, mit dem sie eine Bewässerungsmaschine kaufen können. Digitale Technologien bergen ein großes wirtschaftliches Potential für arme Bevölke- rungsgruppen. Dank Internet und Mobil- funk können viele derer, die wir bislang die Begünstigten nennen, ihre Interessen selbst in die Hand nehmen und sich von Hilfs- strukturen und NGOs emanzipieren. Men- schen, die bislang aus Wirtschaftskreis- läufen ausgeschlossen waren, bekommen nun durch digitale Technologien Zugang und können ihre Lebensverhältnisse eigenver- antwortlich verbessern. Trade statt Aid Trade statt Aid → Trend 2 21
  • 22. Schon Jack Welch, ehemaliger Chef von General Electric, sagte: „Control your own destiny. Or someone else will.“ Ebendiese Selbstbestimmung ermöglichen BoP-Ideen, die arme Bevölkerungsgruppen integrieren, so dass sie ausreichend Einkommen erwirtschaften können. Beispielsweise bietet das Sozialunternehmen Solar Sisters Afrikanerinnen ein Solar Start Kit, welches sie nach einer Schulung und mit Marketing-Unterstützung in ihren Netzwerken an Nachbarn, Familie und Freunde vertreiben. Modell: Tupperparty für Solarenergie. AnsätzewiediesewerdenauchvonEntwicklungsökonomenunterstützt,dennJobssind ein besseres Instrument zur Armutsbekämpfung als Hilfeleistungen. Bezahlte Arbeit führt zu einer Reihe positiver Folgen: Sie macht Menschen unabhängig, gibt ihnen Würde, spornt an, eigene Fähigkeiten weiterzuentwickeln, und stärkt die Kaufkraft im Land. Untersuchungen bestätigen, dass Arbeit der wichtigste Hebel ist, um Fami- lien aus der Armut zu holen (s. Buch Poor Economics). Auch die etablierte EZ sucht immer mehr nach marktwirtschaftlichen Ansätzen, um Armut zu beseitigen. So star- teten Devex und USAIDdie Online-Community Devex Impact, aufder sich über 4.000 Entwicklungsexperten und Unternehmer austauschen und Kooperationen initiieren. Online Zugang zu Mikrokrediten und Vorfinanzierung nternetplattformen wie Kiva, MyC4 oder Zafén vermitteln Mik- rokredite an Kleinunternehmer, die damit wichtige Investitionen tätigen können. Von dem Billiardtisch für eine Kneipe in Baku, der den Umsatz steigern soll, bis zur Nähmaschine für eine Township- Bewohnerin im südlichen Afrika unterstützen mittlerweile schon Millionen von sozialen Investoren über solche Online-Plattformen Menschen dabei, ein eigenes Geschäft aufzubauen. Auch Crowdfunding- und Spendenplattformen wie Kickstarter, Indiegogo oder betterplace.org werden von Kleinunternehmern genutzt, um Startkapital zu sammeln oder Produkte vorfinanzieren zu lassen. Besonders Handys haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, Menschen aus der Armut zu holen. Mehrere Studien zeigen, dass mit der Zahl der genutzten Mo- biltelefone in einem Land auch dessen Bruttoinlandsprodukt wächst (das Tempo ist besonders in Entwicklungsländern hoch). Viele Entwicklungsexperten sehen in Mobiltelefonen das wohl wichtigste Entwicklungswerkzeug. Allein in Afrika haben bereits 80 Prozent der Menschen ein Handy, Prognosen gehen davon aus, dass es 2017 über eine Milliarde Handynutzer auf dem Kontinent geben wird. Und Herstel- ler wie Huawei entwickeln günstige Smartphones für diesen Markt: Es wird davon ausgegangen, dass diese Modelle 2016 einen Anteil von 43 Prozent weltweit haben. Mobilfunk revolutioniert unternehmerisches Handeln m Zuge des Trends Trade statt Aid werden Mobiltelefone fürs Banking, die Vergabe von Krediten, den Abschluss einer Versi- cherung oder die Verbreitung von aktuellen Marktinformationen genutzt. Das Vorzeigeland für mobiles Banking ist Kenia mit dem SMS-Bezahl-Service M-Pesa. Mittlerweile können mehr als 15 Millionen Kenianer über ihr mobiles M-Pesa-Konto Geld transferieren. So haben Menschen, die bislang als „unbanked“ galten, da herkömmliche Banken zu hohe Die Zeit der passiven Hilfeempfänger ist vorbei I I Trade statt Aid → Trend 2 22
  • 23. Gebühren und Sicherheiten für die Eröffnung eines Kontos verlangen, erstmals Zugang zum Finanzsystem. Auch in Asien gibt es immer mehr Mobile-Banking- Angebote, etwa die Dutch Bangla Bank in Bangladesch. Weil dort mehr als die Hälfte der Menschen ein Handy hat, wuchs die Zahl der Kontoinhaber unter den Einkommensschwachen von 13 auf 33 Prozent. Auch Versicherungsleistungen stehen dank digitaler Technologien armen Zielgruppen vermehrt zur Verfügung. So können kenianische Kleinbauern bei Kilimo-Salama eine kostengünstige Versi- cherung gegen Ernteausfall abschließen. Kühe per SMS managen nformationstransfer per App oder SMS wird immer populärer. So bietet die App iCow, entwickelt von einem ostafrikanischen Bau- ern, Zuchtinformationen für Kühe. Der Nutzer registriert seinen Viehbestand bei iCow und erhält SMS, die ihn an Impftermine und Melkzeiten erinnern sowie wertvolle Information zu Futter und Zucht beinhalten. iCow wurde als Alternative zu Hilfsleistungen, die die Bauern sonsterhalten hätten, mit Unterstützungeinerenglischen Stiftungentwickelt. Dessen Geschäftsführer schreibt: „Farmers have been empowered to improve their own lives through accessing critical agricultural information as opposed to depending on aid“. Immer mehr digitale Dienste bieten Informationen für Bauern und Händler an. Reuters Market Light versorgt Millionen indische Bauern für 90 Cent im Monat mit Informationen zu Wetter und aktuellen Marktpreisen sowie mit Saat- und Ernteanleitungen. Ein indischer Bauer, der auf Mittelsmänner angewiesen ist, die seine Ware zum nächstgelegenen Markt bringen, kennt so den Durchschnittspreis für das Kilo Getreide, das er gerade geerntet hat, und kann vom Zwischenhänd- ler nicht mehr so leicht übers Ohr gehauen werden. Das Internet als Jobhighway ber Samasource können Menschen weltweit und unabhängig direkt von ihrem Wohnort digital für Firmen arbeiten. Auf der Plattform veröffentlichen IT-Unternehmen wie eBay oder Lin- kedIn Mikrojobs, etwa das Taggen von Bildern, die u. a. von Bewohnern des größten Flüchtlingslagers Dadaab in Nordke- nia erledigt werden. Auch in Industriestaaten gibt es mittlerweile Plattformen für Mikro-Jobs. Auf Taskrabbit werden in den USA meist lokal ausgerichtete Alltagsjobs – vom Einkaufen über den Zusammenbau eines Ikearegals bis zum Gassigehen mit dem Hund – ausgeschrieben und gegen geringe Bezahlung von Interessierten erledigt. Chancen Digitale Medien, mit deren Hilfe Jobs und Infrastrukturen für Handel geschaffen werden, sind für Geldgeber und NGOs be- sonders förderungswürdig. Eine technologische Infrastruktur für Trade statt Aid gibt es in den meisten Ländern schon, sei es über weitverbreitete Mobil- telefone oder kommunale Internet-Kioske. Die Kosten für digitale Medien sinken, die Kommunikations- infrastruktur wird weiter ausgebaut. In vielen Fällen bieten sich Kooperationen mit Akteuren aus der Telekommunikationsindustrie an, die die erforderlichen Budgets bereitstellen können und mittelfristig selbst von den S. 25 → S. 26 →I U Trade statt Aid → Trend 2 23
  • 24. geknüpften Netzwerken und dem Imagegewinn profitieren. Geldgeber aus dem sozialen Sektor und der EZ können die An- schubfinanzierung für Trade-statt-Aid-Projekte bereitstellen. Oft werden die spannendsten Trade-statt-Aid-Projekte in Ent- wicklungsländern selbst entwickelt. Technologieexperten und Unternehmer vor Ort wissen am besten, welche digitale Infra- struktur benötigt wird. Über direkte Feedbackschlaufen zwi- schen Tech-Unternehmern und Nutzern können die Angebote passgenau weiterentwickelt werden. Risiken Nicht jeder Mensch ist ein Unternehmer und bereit, Risiken einzugehen und flexibel seine Dienstleistungen an die Nachfra- ge anzupassen. Die gemischte Bilanz der Mikrokredite zeigt, dass Trade statt Aid kein Allheilmittel ist. Studien haben gezeigt, dass viele Mi- krokredite nicht in den Unternehmensaufbau, sondern in das Stopfen von Löchern (Medizin in ärztlichen Notfällen, Schul- geld etc.) fließt. Umeineneffizienten und gerechten Handel zuermöglichen, muss das Welthandelssystem umgebaut, d.h. protektionistische Maß- nahmen vor allem der USA und Europa abgebaut werden. Dies ist in Industriestaaten ein solch massives Politikum, dass ein schneller Umbau unrealistisch erscheint. Fazit Der soziale Sektor tut viel Gutes. Besonders nach Katastrophen sind NGOs und Nothilfe unverzichtbar. Doch bei der Bekämp- fung „allgemeiner Armut“ führen Spenden und Sachgeschenke auch zu Abhängigkeitsverhältnissen. Genau das Gegenteil, näm- lich Selbstständigkeit, kann erreicht werden, wenn Menschen Möglichkeiten bekommen, ihr eigenes Geld zu verdienen. Es gibt zwar nicht zwei Milliarden offene Stellen, die die Ärmsten nur per SMS annehmen müssen. Aber über Mobilfunk und Internet entstehen Infrastrukturen, die so günstig nutzbar sind, dass sie auch im Mikrobereich und bei kleinen Beträgen den Austausch von Angebot und Nachfrage ermöglichen. So kann an der Base of the Pyramid ein gewisser Wohlstand entstehen. Diese selbst erarbeitete Lebensverbesserung wirkt auch psychologisch besser (Stolz) als „Almosen“. Besonders der weitverbreitete und auch in armen Ländern viel genutzte Mobilfunk treibt den Trend Trade statt Aid weiter voran. Noch wird viel experimentiert, aber mehr und mehr Dienste überleben, da sie wirtschaftliche Probleme der „kleinen Leute“ lösen und sich dann groß verbreiten. Trade statt Aid → Trend 2 24
  • 25. Bei Kilimo Salama („sichere Ernte“) können Kleinbau- ern ihr Saatgut gegen Dürre oder Überschwemmung unkompliziert versichern. Bereits zusammen mitdem Saatgut können die Versicherungen für zusätzliche fünf Prozentdes Kaufpreiseserworben werden. Das heißt,die Bau- ern müssen nicht erst mit Versicherungsvertretern verhandeln. Ist die Versicherung in Kraft und der Bauer als Kunde regist- riert, beobachten solarbetriebene Wetterstationen die Klimaver- hältnisse in seiner Anbauregion. Wenn es dann zu wenig oder zu viel Regen gibt, erhält der Bauer über M-Pesa automatisch eine Zahlung, die ihn für die Kosten seines Saatguts entschädigt. Kilimo Salama nutzt also gleich eine Reihe von Innovationen und spart am Administrationsaufwand; Kontrollbesuche, Scha- denserhebungen und langwierige Abrechnungen entfallen. So wird die Versicherung auch für Kleinbauern, die gerade mal ein paar Felder bewirtschaften, erschwinglich: 2012 waren in Kenia und Ruanda bereits 73.000 Bauern versichert. Außerdem setztdas Projekt auf Nachhaltigkeit: Die Informationen der Wetterstationen werden ausgewertet, um Erkenntnisse zu regi- onalen Wettertrends zu sammeln. Mit diesen Informationen, die per SMS verbreitet werden, können sichdie Bauern besser aufdie Klimaentwicklungeinstellen und ihre Ernteentsprechend planen. Kilimo Salama kilimosalama.wordpress.com Trade statt Aid → Cases 2 25
  • 26. Die App gibt Bauern in Kenia per SMS Tipps zur Kuhhaltung. Nachdem jede Kuh einzeln registriert wurde, bekommendie Bauern SMSoder Voicemail- Nachrichten, die sie etwa daran erinnern, wann sie ihre Kühe melken oder impfen sollten. Auch bietet iCow Infor- mationen über regionale Tierpfleger, künstliche Befruchtung, oder allgemeine Hilfe zur Vieh-Fütterung und besseren Milch- produktion – ein einfacher Weg zu mehr Nahrung in ländlichen Gebieten. Die App ist so gestrickt, dass die Nutzer dafür kein Smartphone brauchen und auch nicht lesen können müssen. Sowohl die Dateneingabe als auch die Auswertung funktionie- ren auch per Sprachnachricht. Von der kenianischen Bäuerin Su Kahumbu initiiert und von der britischen Stiftung Indigo Trust unterstützt, soll iCow den Bauern zu mehr Selbstständigkeit verhelfen. Nur neun Wochen nach dem Start von iCow nutzten schon über 100 Bauern die App, 2010 gewann sie den Wettbewerb Apps4Africa. iCow www.icow.co.ke Trade statt Aid → Cases 2 26
  • 27. Cellbazaar ist ein virtueller Marktplatz in Bang- ladesch. Per Handy wird dort alles Erdenkliche verkauf und gekauft – von Haustieren oder Reis- saat über Computerteile bis hin zu Autos. Es gibt auf dem digitalen Basar aber auch diverse Dienstleistungen, zum Beispiel Sprachunterricht und Job-Angebote. Der Service ist kostenlos und funktioniert ähnlich wie eBay-Kleinanzeigen, nur über SMS. Sowohl Ankauf als auch Verkauf werden über einen SMS-Fragenkatalog abgewickelt, der die Details des Pro- dukts bestimmt. Für Käufer und Verkäufer ist von Vorteil, dass mit Cellbazaar über die normalen Nachbarschaftskreise hinaus gehandelt werden kann, auch ohne Internetzugang oder teu- re Zeitungsanzeigen. So werden die Preise über Angebot und Nachfrage geregelt – unabhängig vom Standort der Ware. Die meisten Cellbazaar-Angebote sind aus Bangladeschs Haupt- stadt Dhaka, aber das Netzwerk erstreckt sich auch über andere Städte des Landes. Der Anbieter von Cellbazaar, Grameenphone, ist Marktführer in Bangladesch und erreicht deshalb große Teile der Bevöl- kerung. Die Umsetzung in Ländern, wo es viele verschiedene Telekommunikationsanbieter gibt, wäre vielleicht schwieriger. Cellbazaar www.cellbazaar.com Trade statt Aid → Cases 2 27
  • 28.
  • 29. Digital- kampagnen Noch nie war es so einfach und günstig, viele Menschen zu mobilisieren und mit ihnen im Dialog zu bleiben. Fast drei Viertel der Deutschen (54 Millionen) nutzen das Internet, 43 Prozent von ihnen sind in privaten sozialen Netzwerken wie Fa- cebook und Twitter unterwegs (ARD/ZDF-Onlinestudie 2012). Über diese Kanäle lassen sich Petitionen leicht zeichnen und weiterverbreiten – niemand muss mehr mit dem Zettel in der Fußgängerzone stehen und Unterschriften sammeln. Digital- kampagnen passen besser zur heutigen Art der Kommunikation. Während profes- sionelle Kampagnen bisher vor allem aus großen Organisationen kamen, wachsen die Angebote, mit denen auch kleine NGOs E-Petitionen oder komplette Kampa- gnen-Webseiten gestalten können: bewegung.taz.de, Change.org, Avaaz.org, SignOn oder frei zugängliche Kampagnensoftware wie Krautbuster brechen das Monopol der Themensetzung auf. Jedes noch so spezielle Anliegen kann Gehör finden. Online-Botschaften verbreiten sich schnell, günstig und mit etwas Glück sogar viral. Deshalb setzen immer mehr Organisationen auf digitale Kampagnen. Sie nutzen nicht nur zentralisierte Datenbanken, sondern können auch direkter mit ihren Unterstützern kommunizieren. Der Prozess der Meinungs- bildung wird dadurch demokratischer, denn die Zielgruppen gestalten die Kampagnen mit. S. 34 → S. 35 → Digital-Digital- kampagnenkampagnen Noch nie war es so einfach und günstig, viele Menschen zu mobilisieren und mitNoch nie war es so einfach und günstig, viele Menschen zu mobilisieren und mit ihnen im Dialog zu bleiben. Fast drei Viertel der Deutschen (54 Millionen) nutzenihnen im Dialog zu bleiben. Fast drei Viertel der Deutschen (54 Millionen) nutzen das Internet, 43 Prozent von ihnen sind in privaten sozialen Netzwerken wie Fa-das Internet, 43 Prozent von ihnen sind in privaten sozialen Netzwerken wie Fa- cebook und Twitter unterwegs (ARD/ZDF-Onlinestudie 2012). Über diese Kanälecebook und Twitter unterwegs (ARD/ZDF-Onlinestudie 2012). Über diese Kanäle lassen sich Petitionen leicht zeichnen und weiterverbreiten – niemand muss mehrlassen sich Petitionen leicht zeichnen und weiterverbreiten – niemand muss mehr mit dem Zettel in der Fußgängerzone stehen und Unterschriften sammeln. Digital-mit dem Zettel in der Fußgängerzone stehen und Unterschriften sammeln. Digital- kampagnen passen besser zur heutigen Art der Kommunikation. Während profes-kampagnen passen besser zur heutigen Art der Kommunikation. Während profes- sionelle Kampagnen bisher vor allem aus großen Organisationen kamen, wachsensionelle Kampagnen bisher vor allem aus großen Organisationen kamen, wachsen die Angebote, mit denen auch kleine NGOs E-Petitionen oder komplette Kampa-die Angebote, mit denen auch kleine NGOs E-Petitionen oder komplette Kampa- gnen-Webseiten gestalten können: bewegung.taz.de,gnen-Webseiten gestalten können: bewegung.taz.de, oder frei zugängliche Kampagnensoftware wieoder frei zugängliche Kampagnensoftware wie Themensetzung auf. Jedes noch so spezielle Anliegen kann Gehör finden.Themensetzung auf. Jedes noch so spezielle Anliegen kann Gehör finden. Digitalkampagnen → Trend 3 29
  • 30. Per Digitalkampagne das Internationale Olympische Komitee bezwungen uf der großen Petitionsplattform Change.org (siehe case/Change.org) hat zum Beispiel der sudanesische Marathonläufer Guor Marial eine Petition gestartet, da er vom Internationalen Olympischen Komitee vom Marathon der Spiele 2012 ausgeschlossen werden sollte – Sudan war nicht als offizielles Land anerkannt. 3.390 Unterschriften später wurde Marial zugelassen. Shanene Thorpe, eine allein- erziehende Mutter, die die journalistischen Methoden der BBC als beleidigend empfand, konnte erreichen, dass der britische Fernsehkanal sich offiziell entschul- digte. Und die rechtliche Verurteilung des Mörders von Trayvon Martin, einem 19-jährigen Afroamerikaner, wurde von den Gerichten in Florida erst angegangen, nachdem über zwei Millionen Unterstützer eine Petition unterschrieben hatten. Bei professionellem E-Campaigning geht jedoch es um mehr als Petitionen und soziale Medien. Für die Video-Kampagne Kony2012 sammelte Invisible Children jahrelang Kontakte, bevor die Organisation das Video veröffentlichte: Mit einer Datenbank von über 200.000 Unterstützern war das anfängliche Multiplikations- und Verbreitungspotenzial sehr hoch. Dieses Verbreitungsprinzip ist bewährt. Eine Woche bevor der Protest gegen die Internet-Regulationsgesetze SOPA in den USA startete, bereiteten SalsaLabs eine Datenbank mit über 400.000 Kontakten vor, die auf ihre Region zugeschnittene Mails bekamen, in denen aufgefordert wurde, den eigenen Senator anzuschreiben. Der Rücklauf war so stark, dass bis zu 60.000 neue Kontakte täglich einflossen und insgesamt 1,7 Millionen E-Mails an die regional zuständigen Senatoren gesendet wurden. Doch massenweise E-Mails an Politiker zu schicken ist nicht immer sinnvoll. Campact, Deutschlands größte Online-Petitions-Plattform, hat beispielsweise festgestellt, dass Massen-Mails an Politiker auf Bundesebene oft eher negativ wirken. Landes- und Regionalpoli- tiker hingegen sind bemüht, auf die Forderungen ihrer Gemeinde einzugehen. Mit dem Bildschirm auf dem LKW Nestlé in Frankfurt die Mei- nung twittern bwohl online vieles effizienter geht, bleibt es eine Herausforde- rung, auf Online-Wellen zu reiten. Denn hier wird in beide Rich- tungen kommuniziert, und es muss Aufwand in Kauf genommen werden, um den Dialog mit den Unterstützern zu managen. Das kann vor allem in kleinen Organisationen phasenweise zu Über- stunden führen. Doch die Vorteile überwiegen meist: Potenzielle Unterstützer fühlen sich gehört bzw. wertgeschätzt, und treue Unterstützer bleiben aus den gleichen Gründen verbunden. Daeinfache Klicks nicht besonders verbindlich sind, sollten Digitalkampagnen auch immer in ein Offline-Engagement münden bzw. eine Offline-Komponente haben, da auch gerade Fotos von Ereignissen aus der „echten“ Welt besser für die Pressebe- richterstattung taugen. So hat Greenpeace beispielsweise 2010, nachdem Néstle nicht auf Waldrodungskritik reagiert hatte (das blutige Kit-Kat-Video), vor der Néstle- Zentrale in Frankfurt eine Live-Twitterwall auf einem LKW installiert. Verbraucher konnten so über eigene Twitter-Meldungen ihre Botschaft direkt an die Konzern- zentrale senden. Zwei Monate später übernahm der Konzern Mitverantwortung für die Waldrodung. S. 34 → ← S. 17 A O Digitalkampagnen → Trend 3 30
  • 31. Während NGOs verhandelten, sammelte Avaaz 1 Million US- Dollar Spenden für Burma iedrigschwelliges Online-Engagement wurde lange Zeit etwas ab- schätzigalsKlicktivismusoderSlacktivismusbezeichnet.EineAktion oder Kampagne anzuklickenoder weiterzuleiten sei kein wirkliches Engagement, heißt es immer wieder auf Fachkonferenzen. Ricken Patel vonder großen Petitionsplattform Avaaz (20 Millionen Mitglie- der in 194 Ländern) findetdie Ideeeines Klicktivismus unsinnig. Gandhi praktizierte auch keinen Walkivismus, nur weiler Märsche als politisches Mobilisierungswerkzeug einsetzte. Die Erfahrungen bei Avaaz würden zeigen, dass Online-Aktivismus wie ein Katalysator wirke,derdazu führt,dass Menschen spenden, aufdie Straße gehenoder sich in einer lokalen Initiative engagieren. So sammelten Avaaz-Mitglieder, nachdem 2008 große Teile Burmas voneinem Zyklon verwüstet worden waren, innerhalbeiner Woche eine Million US-Dollar, die sie direkt an burmesische Mönche weitergaben. Diese Agilität der neuen, digitalen Organisationen ist ein wesentliches Unterschei- dungsmerkmal zu älteren, relativ trägen Organisationen wie Amnesty International. Weitere Unterschiede zwischen Neu und Alt sind, dass die Online-Organisationen: Mitgliedschaft nicht mehr über zahlende Anhänger, sondern über Empfänger ihrer E-Mails definieren und so wesentlich hö- here Mitgliederzahlen erreichen. kleinere Teams haben, die sie bei Bedarf aufstocken. So arbeiten nur 20–25 Mitarbeiter fest für MoveOn, für besondere Kampa- gnen werden weitere Kurzzeit-Mitarbeiter aktiviert. niedrige Fixkosten haben. MoveOn beispielsweise praktiziert eine radikale Dezentralisierung: Es gibt kein zentrales Büro, und jeder Mitarbeiter arbeitet von zu Hause oder von einem Café aus. Mitarbeiter kommunizieren miteinander via Google- Chat, E-Mail und Handy. eine ausgeprägte Test-Kultur haben. Alternative Test-E-Mails werden zuerst an eine kleine Untergruppe versandt. Die Vari- anten mit guten Öffnungs- und Click-Through-Rates gelangen dann an alle Mitglieder. Wird klicken langweilig? Aktionen auf der Straße dürfen nicht vernachlässigt werden inerseits ist klar, dass jeder Klick auf eine Petition und jede Wei- terleitung einer Webseite oder eines Blogeintrages die Reichwei- te einer Kampagne vergrößert. Andererseits gibt es den Wunsch nach Entschleunigung. Es sei zwar gut und notwendig, dass es verschiedene Mitmachangebote gebe, aber „immer mehr Men- schen suchen nach Angeboten, die nicht auf ‚schnell mal mitmachen‘ abzielen, sondern auf intensivere Kontakte setzen“, so Matthias Fellner von der Kampag- nenberatung Firmamente. „Die Leute wollen sich wirklich als Teil von etwas füh- len und nicht nur als Ressource genutzt werden.“ Chris Rose, Autor des Standartwerks „How to Win Campaigns“, schrieb uns, es sei aucheine Frageder Aufmerksamkeitsspanne. Die Anzahl an Beteiligungsmöglichkei- ten im Internet bleibe begrenzt, das sei ein Nullsummenspiel. „In den 80- und 90er- Jahren merkten Campaigner, dass intensive Berichterstattung in konventionellen Medien nur begrenzt wirkt. Ganz ähnlich werden nun nach anfänglicher Begeiste- rung für das Internet direkte Aktionen in der physischen Welt immer mehr gefragt.“ S. 44 → N E Digitalkampagnen → Trend 3 31
  • 32. Chancen Mit Kampagnensoftware können auch kleine NGOs schon bei kleinen Kampagnen viele neue Kontakte gewinnen. Durch Kontaktdatenbanken kann gezielt mobilisiert werden, um gesellschaftliche Veränderung schnell, massenhaft, aber ziel- gruppengerecht zu befördern. Es gibt immer mehr Angebote, mit denen man auch mit wenig Know-how eine eigene Petition oder gar komplette Kampagnen- website aufbauen kann. Unterstützer, die wenig Zeit für gesellschaftliches Engagement haben, können sich an niedrigschwelligen Aktionen beteiligen. Viele der Kampagnenanwendungen sind kostenlos und mitei- nander kompatibel. Risiken Die kontinuierliche Arbeit mit neuen Medien und der regel- mäßige Dialog mit Unterstützern können personal- und damit kostenintensiv werden. Man sollte sich fragen, welche der neuen technologischen Werk- zeuge man wirklich braucht und welche eher Spielereien sind. Online-Werkzeuge für die Massen garantieren noch nicht, dass auchdie schwer vermittelbaren Themen ankommen. Wenn sicheine Online-Diskussion verselbstständigt, kannder Diskurs an Kraft ge- winnen, aber von den Zielen der eigenen Organisation abweichen. Die Macht technologischer Mittel wie Online-Petitionen hängt davon ab, ob es gesellschaftliche Systeme gibt, durch die Ver- änderung möglich ist. Fazit Das Internet kann zur breiten Mobilisierung genutzt werden. Die Herausforderung für Stiftungen, NGOs, CSR-Abteilungen oder Privatpersonen liegt darin, zentrale Kontaktdatenbanken effektiv zu nutzen und dabei eine tiefere persönliche Bindung mit den Unterstützern herzustellen. In Zukunft werden einzel- ne große Organisationen weiter massenhaft mobilisieren, viele kleine Organisationen werden parallel aber auch tiefer gehendes Engagement ermöglichen. Dabei gilt es, verschiedene Mitmach- Möglichkeiten anzubieten und die Balance zwischen Professio- nalisierung und Mobilisierung „von unten“ zu finden. Wird aus Kampagnen eine soziale Bewegung, verliert die Ursprungs-Or- ganisation darüber die Kontrolle und kann den direkten Erfolg nicht mehr messen, hat aber die Leidenschaft für breite gesell- schaftliche Veränderung geweckt. Digitalkampagnen → Trend 3 32
  • 33. Zu Beginn der How-big-is-yours-Kampagne, die in der Türkei lief, veröffentlichte Greenpeace ein Video, in dem sich ein Promi-Paar im Bett darü- ber unterhielt, „wie groß denn deiner“ sei. Erst am Ende des Films wurde klar, dass es dabei um einen Fisch ging. Das war so witzig, dass sich das Video viral verbreitete. Weite- re Kampagnenelemente waren Gratis-Lineale zum Testen der Fischgrößen in Restaurants und auf Märkten. Es gab auch ein Smartphone-Spiel mit dem Titel „Make my Fish“, das einen Fisch so lange wachsen ließ, bis er die fanggerechte Größe erreicht hatte. Außerdem wurde während der Kampagne die Handy-App Foursquare eingesetzt. Die Aktivisten checkten mit Foursquare in über 1.000 Fischrestaurants ein. Die so versendeten Meldun- gen legten eine virtuelle Spur zur Kampagne. Aber auch eher klassische Kanäle spielten eine Rolle: Mit einem Klick konnten die Aktivisten ein vorgefertigtes Fax an das zuständige Minis- terium senden. Bis zu 13.000 Faxe kamen so zusammen. Insge- samt erreichte die Kampagne etwa 720.000 Menschen. How big is yours www.kacsantim.org Digitalkampagnen → Cases 3 33
  • 34. Auf Change.org suchen Internetnutzer aus aller Welt Unterstützung für ihre Anliegen. Zum Bei- spiel die Mutter aus Berlin-Prenzlauer Berg, die sich für eine Familienkasse ohne Zigaretten und Gummibärchen im Supermarkt einsetzt. Mit Erfolg: Die Kai- sers-Filialen in Berlin setzen die Idee um. Auch Anliegen mit internationaler Reichweite werden auf Change.org als Peti- tionen verbreitet: Durch eine Initiative der Journalistin Hani Yousuf wurde die Aktivistin Malala Yousafzai, die in Pakistan von den Taliban schwer verletzt wurde, für den Friedensnobel- preis nominiert. Diese Geschichten zeigen: Während früher nur wenige Menschen die Ressourcen hatten, große Kampagnen zu starten, ist Change.org heute eine Möglichkeit, kostenfrei und schnell Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Petitionsplattform hat weltweit mittlerweile 25 Millionen Nutzer (rund 500.000 in Deutschland). Jede Woche werden in Deutschland rund 65 Petitionen gestartet. Weltweit werden auf Change.org 15.000 Petitionen pro Monat gestartet, von denen im Schnitt 9,6 pro Tag als „erfolgreich“ gemeldet werden – das entspricht einer Quote von knapp zwei Prozent. Change.org www.change.org Digitalkampagnen → Cases 3 34
  • 35. Krautbuster ist eine Software aus der Kampagnen- schmiede Campact. Die Open-Source-Software wird stetig weiterentwickelt und auf die Bedürf- nisse von NGOs zugeschnitten. Mit Krautbuster kann man Webseiten gestalten, Unterstützerprofile anlegen, Newsletter versenden und einen strategischen Userflow ein- richten. Mit einem guten Userflow oder einer Userjourney holt man die Internetnutzer in ihrem Klickverhalten so ab, dass sie möglichst viele Informationen bekommen: Klickt der Nutzer auf ein fünfminütiges Info-Video, wird ihm im Anschluss eine Petition gezeigt, die zu weiteren Informationstexten führt. Wei- tere Funktionen sind eine besonders hohe Datensicherheit für Aktivisten, ausgiebige Analysen der Wirksamkeit und die Ein- bindung verschiedener externer Anwendungen. Krautbuster bedient drei Anwendungsfälle: Es kann sowohl in Websyste- me wie Drupal und Typo3 eingebunden oder als Hauptsystem genutzt werden. Krautbuster ist seit August 2012 bei Campact im Betrieb. Im Januar 2013 ist die Pilotphase zum Softwaretest durch andere NGOs gestartet. Krautbuster www.krautbuster.org Digitalkampagnen → Cases 3 35
  • 36.
  • 37. Direkt- Feedback Die 30 sozialen Organisationen waren sich schon 2010 in New York beim Work- shop Markets for Giving einig: Um soziale Arbeit zu verbessern, müssen vor al- lem die Begünstigten stärker eingebunden werden. Oder wie es der Mitarbeiter einer großen englischen NGO formulierte: „Wir brauchen in Hilfsprojekten nicht mehr Geld, sondern besseres Feedback.“ Während Wirtschaftsunternehmen durch einen Blick auf die Verkaufszahlen oder anhand von Beschwerden schnell erfahren, ob ihr Produkt oder ihre Dienstleis- tung beim Kunden gut ankommt, ist die Feedbackschleife in der Hilfsindustrie unterbrochen. Bill Gates hat diesen Unterschied im Jahresrundbrief der Gates Foundation 2009 so beschrieben: „Man hat keine Kunden, die einen fertigma- chen, oder Konkurrenten, die einem die Kunden wegschnappen, wenn Dinge falsch laufen. Es gibt keine natürliche Feedbackschleife.“ In den seltensten Fällen Handys machen stark. Besonders in Entwi- cklungsländern verhelfen sie den Menschen zu einem unabhängigen, selbständigen Leben. Menschen mit Handys sind erreich- bar und können direkter ihre Meinung äußern. Diese kostengünstigen Kommunika- tionsmittel geben auch den Begünstigten sozialer Dienstleistungen und Hilfspro- gramme eine Stimme und rücken sie ins Zentrum des philanthropischen Systems. So werden Begünstigte zukünftig im gesamten Projektzyklus eine aktivere Rolle spielen; sie werden ihre Bedürfnisse besser artikulieren und priorisieren, laufende Projekte selbst managen und Ergebnisse mit evaluieren. Direkt-Feedback → Trend 4 37
  • 38. haben Begünstigte die Wahl zwischen verschiedenen Anbietern von Moskitonet- zen oder Brunnenbauern. Ebenso haben Geldgeber (Spender etc.), die ja Käufer einer Leistung sind, welche die Hilfsorganisationen erbringen sollen, kaum direk- ten Kontakt zu Begünstigten und wissen nicht, ob das „Produkt“ zufriedenstel- lend ist. Aus einer Reihe von Erhebungen geht hervor, dass viele Hilfsangebote nicht angenommen werden und NGOs oft erschreckend schlecht über die Bedürf- nisse ihrer „Kunden“ informiert sind (siehe Case/Flow). Dann liegen Moskitonetze unbenutzt in der Ecke, und Brunnen rotten vor sich hin. Um soziale Missstände beseitigen und Hilfsprogramme effektiv durchzuführen zu können, ist es jedoch unerlässlich, dass Begünstigte – seien es die Bewohner eines indischen Dorfes, in dem eine neue Gesundheitsstation aufgebaut wird oder Teilnehmer eines Anti- Rassismus-programms an einer Brandenburger Schule – mit ihren Interessen und Bedürfnissen mehr Gehör finden. Begünstigte müssen gehört werden – sonst mangelt es an Seife ntwicklungspolitische Institutionen fordern schon seit den 90er- Jahren routinemäßig, die Meinungen der Hilfsempfänger stärker zu berücksichtigen. Doch bislang scheiterte eine großflächige Umsetzung in der Praxis. Eine desillusionierende Fallstudie do- kumentiert das Buch „Weit hergeholte Fakten“ von Richard Rot- tenburg. Und die Agentur Humanitarian Accountability Partnership (HAP), die humanitäre NGOs beim Qualitätsmanagement berät und zertifiziert, kommt zu dem Schluss, dass nur wenige Begünstigte in der Praxis die Möglichkeit haben, sich über die Arbeit einer Organisation zu beschwere und die Partizipations- möglichkeiten stark eingeschränkt sind. So erhielten Frauen nach dem Zyklon Sidr in Bangladesch von der zuständigen Organisation zwei Monate lang keine Damenbinden und Seife, weil niemand sie nach ihren Bedürfnissen gefragt hatte. Auch das Weltbank-Projekt Voices of the Poor, eine Initiative, die in 60 Ländern mit 60.000 Menschen Gespräche geführt hat, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Die meisten Empfänger sagen, dass sie den Hilfsorganisationen machtlos aus- geliefert sind und diese nicht dazu bringen können, ihnen gegenüber Rechen- schaft zu leisten. Digitale Medien als Turbo für Direkt-Feedback och die Situation ändert sich mit der wachsenden Verbreitung digitaler Medien. In der Wirtschaftswelt sehen wir, wie Internet- Feedbacksysteme aus dem Boden schießen: Auf Qype bewerte ich das Restaurant, auf eBay den Lieferanten, bei Amazon die Buchautorin, auf Holidaycheck das Hotel, auf Patient Opini- on den behandelnden Arzt, und auf How is my Feedback kann ich Ratingsites Feedback geben. Im Gegensatz zu herkömmlichen Evaluationsmechanismen wie Meinungsumfragen oder Fokusgruppen erreichen technologiegestützte Feedback- Kanäle potenziell viel mehr Menschen und sind kostengünstiger und schneller. So ist zu beobachten, wie im sozialen Sektor neue, bislang nicht öffentlich wirk- same Stimmen Gehör finden. Noch vor wenigen Jahren hätte eine kontraproduk- tive Hilfsaktion wie One Million Shirts unwidersprochen ihren Lauf genommen. Ein gut meinender, aber uninformierter Amerikaner sammelte 1 Million T-Shirts für Bedürftige in Afrika. Übers Internet erfuhr ein ugandischer Blogger davon: Im Laufe des Dialogs konnte der Amerikaner öffentlich davon überzeugt werden, dass Afrikaner keine alten T-Shirts brauchen. One Million Shirts wurde einge- stellt. Ein weiteres Beispiel: Während des Medienhypes um Kony2012 waren in S. 104 → S. 43 → E D Direkt-Feedback → Trend 4 38
  • 39. den ersten Tagen nur westliche Aktivisten zu vernehmen. Doch die Artikel von ugandischen Bloggern auf Global Voices und eine von Al-jazeera aufgesetzte Seite gaben den ugandischen Bürgern eine Plattform, von der aus sie sich kritisch zu der Kony-Kampagne der NGO Invisible Children äußern konnten. Die Al-Jazeera- Plattform wiederum bediente sich der Ushahidi-Software, die entstanden war, um die Stimme von Bürgern während des Gewaltausbruchs nach den Wahlen in Kenia 2007/2008 zu verstärken (siehe Ushahidi/Trendreport online). Begünstigte erzählen in 60.000 Geschichten von ihren Bedürfnissen in großflächiger Versuch, die Meinungen von Begünstigten für NGOs zu nutzen, ist das Storytelling Project (siehe Digitalanekdoten) von Global Giving. In Kenia haben Freiwillige mittlerweile fast 60.000 Geschichten gesammelt, in denen Bürger die Frage be- antworten: „Tell us about a time when a person or an organi- sation tried to change something in your community.“ Mit dieser offenen Frage versucht Global Giving herauszufinden, welche Bedürfnisse in den Gemeinden von wem (Kirche, Nachbarn, Politiker, NGOs etc.) auf welche Art und Weise befriedigt werden und welche Hilfsaktivitäten bei der Bevölkerung gut ankom- men. Die Geschichten werden mithilfe der Komplexitätsmanagement-Software Sensemaker analysiert, um Muster und quantifizierbare Ergebnisse zu erhalten. In Zukunft sollen Projektmacher, die über Global Giving Gelder einsammeln, die Ergebnisse ihrer Community präsentiert bekommen und so ein besseres Gespür für deren Belange entwickeln. Direkt-Feedback als weiteres Evaluationswerkzeug igitale Technologien sind wichtig für die Entwicklung und Ver- breitung von Direkt-Feedback. Noch wichtiger sind die Haltun- gen und Verhaltensweisen jener Institutionen, die das Feedback empfangenen. Diese müssen sich aktiv um die Meinungen ihrer Begünstigten bemühen und auf die geäußerten Bedürfnisse und Kritiken eingehen. Da die bestehenden Machtunterschiede zwischen Geldgebern und NGOs auf der einen Seite und Begünstigten auf der anderen oft sehr groß sind, kann es eine längere Zeit des Vertrauensaufbaus brauchen, um ehrliche Mei- nungen zu erhalten. Dann kann niedrigschwelliges und schnelles Direkt-Feedback als zusätzliches Werkzeug eingesetzt werden, um soziale Arbeit zu evaluieren. Chancen Die größere Meinungsvielfalt ermöglicht es, besser Probleme zu erkennen und Bedarfe zu analysieren. Betroffene können an Problemlösungen mitwirken. Ressourcen können gezielter verteilt werden. Echtzeitkommunikation ermöglicht es, Missmanagement und Betrug schneller aufzudecken. Geldgeber bekommen authentische Zusatzinformationen zu den Projekten, für die sie gespendet haben. Die Frage nach der Wirksamkeit von sozialen Projekten kann besser und konkreter beantwortet werden. ← S. 13 E D Direkt-Feedback → Trend 4 39
  • 40. Risiken Es ist schwierig, ehrliches Feedback von Begünstigten zu be- kommen, da der Machtunterschied zwischen NGOs und Emp- fängern groß ist. Die Empfänger wollen den Ast, auf dem sie sitzen, nicht absägen. Organisationen müssen die richtigen Anreizsysteme schaffen, um Feedback zu erhalten. Von den vielen Pilotprojekten hat bislang noch keines skaliert. Direkt-Feedback darf nicht nur als Technologie verstanden werden, sondern muss integraler Bestandteil der Organisati- onskultur werden. Direkt-Feedback kann für Organisationen eine böse Überra- schung bedeuten: Sie müssen lernen, für Kritik zugänglich zu sein und konstruktiv darauf zu reagieren. Andernfalls droht die Vertrauenskluft zwischen Begünstigten und Organisatio- nen zu wachsen. Fazit Direkt-Feedback mittels Internet oder Mobiltelefonie hat großes Potenzial, die Projektqualität und das Vertrauen zwischen den Stakeholdern (Geldgeber, Mittler/NGOs und Begünstigte) zu verbessern. So können die Begünstigten entwicklungspolitischer Arbeit selbst Auskunft über positive und negative Wirkungen der jeweiligen Programme geben. Momentan werden weltweit viele Pilotprojekte aufgesetzt, doch noch keines ist massentauglich. Das wird sich ändern: Immer mehr Menschen sind es mittlerweile gewohnt, online über alle möglichen Produkte, Dienstleistungen und Institutionen ihre Meinung abzugeben. Diese Erwartungs- haltung wird auch den sozialen Sektor zunehmend prägen und institutionelles Verhalten weltweit verändern. So hat auch die große NGO Plan International nun einen Community-Feedback- Spezialisten eingestellt. Institutionen wie Stiftungen, NGOs oder Unternehmen, aber auch Politiker sollten sich überlegen, wie sie das Feedback ihrer „Kunden“ einbeziehen können. Direkt-Feedback → Trend 4 40
  • 41. FrontlineSMS hilft dabei, Kommunikation und Hilfsleistunegn zu organisieren. Die Open-Sour- ce-Software wurde 2005 von der NGO kiwanja entwickelt, die durch bessere Informations- und Kommunikationstechnologie die Arbeit von sozialen Organi- sationen weltweit erleichtern möchte. FrontlineSMS kann die Handynachrichten mehrerer Sender und Empfänger bündeln und koordinieren. Laptop und Mobiltelefon werden durch die Software unkompliziert zur Sende- und Empfangsstation umge- wandelt, um damit SMS massenweise zu empfangen oder zu verschicken. Das ist besonders praktisch für die Erhebung von Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Umfragen zur Situati- on vor Ort, beispielsweise zu Lebensmittelpreisen oder zur Trinkwasserversorgung, können einfach per SMS an Tausen- de Menschen verschickt werden. Dank der Menge der SMS können Aussagen auch zuverlässig überprüft, bestätigt und verbreitet werden. So hilft die Software in Zimbabwe bei der Aids-Aufklärung und in Nigeria ist sie ein Tool zur Wahlbeob- achtung. Da es in vielen Ländern nur eingeschränkten Zugang zum Internet gibt, aber auch dort fast jeder ein Handy besitzt, hat FrontlineSMS großes Potenzial. FrontlineSMS www.frontlinesms.com Direkt-Feedback → Cases 4 41
  • 42. Direkt-Feedback mit Mobiltelefonen wird in der Demokratischen Republik Kongo genutzt, um Zivilgesellschaft und Staat zu vernetzen. Das von der Weltbank initiierte Projekt in der Provinz South Kivu informiert Bürger mit regional gestreuten SMS und holt sich so Feedback über die Bedürfnisse der Menschen in einem bestimmten Gebiet. So funktioniert’s: Ausgewählte Textnach- richten mit Informationen oder Umfragen werden an alle Handys, die sich in einer Region befinden, versendet, sodass beispiels- weise lokale Versammlungen angekündigt werden können. Per SMS-Umfrage können die Bürger auch über politische Themen in der Regionen abstimmen – die Ergebnisse über die Abstim- mungen werden ohne Umwege an die Zuständigen weiterge- leitet. Außerdem werden ausgewählte Projekte, beispielsweise die Ausstattung des neuen Gesundheitszentrums, durch regel- mäßiges Feedback evaluiert. Das ICT4Gov-Programm scheint gut anzukommen: Mehr als 250.000 SMS wurden bereits im Rahmen dieses Projektes versendet. Cell Phones for Citizen Engagement wbi.worldbank.org/wbi/stories/cell-phones-citizen-engagement-drc S. 104 → Direkt-Feedback → Cases 4 42
  • 43. Wo kommt Wasser in welcher Qualität aus der Erde? Die offene Plattform flow kartiert Brunnen und informiert so über deren Zustand. Zahlreiche Wasserprojekte leiden unter mangelnder Effizienz und Nachhaltigkeit: Zum Teil funktionieren die Anlagen nicht richtig, werden schlecht gewartet oder fallen aus. Flow will dieser Entwicklung mit besserem Monitoring entgegenwirken. Das Projekt der NGO Water for People setzt dabei vor allem auf Kartismus (siehe Kartismus/Trendreport online) und Direkt-Feedback: Wasserquellen und Brunnen werden auf einer Karte verortet, der jeweilige Zustand ist durch Symbole kategorisiert. Ein Klick drauf zeigt ein Foto und weitere Informationen wie die Zahl der Haushalte, die damit versorgt werden, oder das Baujahr. Mit Mobiltelefonen, die auf Android-Software laufen und mit GPS sowie Google Earth ausgestattet sind, können die Men- schen vor Ort den Zustand von Wasseranlagen überwachen und via Internet kommunizieren. Die Website vermittelt einen detaillierten Einblick über Wasserquellen in momentan elf Län- dern, vor allem in Südamerika und Afrika. Wachstum ist der Website nur zu wünschen, denn die weltweite Kartierung und Beschreibung von Wasserquellen ist wertvoll für die Planung von Entwicklungsprojekten. flow www.watermapmonitordev.appspot.com Direkt-Feedback → Cases 4 43
  • 44.
  • 45. Digitalskalieren Deshalb fällt in den letzten Jahren in NGO- und Sozialunternehmerkreisen das Wort „Skalierung“ immer häufiger. Unter Skalierung verstehen wir aber nicht nur Wachstum und die Verbreitung von Dienstleistungen und Produkten, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Im Idealfall kommt es zu einem grundle- genden Systemwandel. Indem neue Ideen und Wirkungsmechanismen verbreitet werden, entsteht in der Gesellschaft eine neue progressive Norm. Zur Verbreitung sozialer Innovationen durch digitale Medien gibt es vier ver- schiedene Strategien. Eine der wichtigsten Fragen, die sich Organisationen des sozialen Sektors stellen müssen: Wie kann ich mich und meine Innovationen, Ideen und Konzepte so ver- breiten, dass sie möglichst vielen Menschen zugutekommen, sich also mein Wirkungs- kreis vergrößert? Denn die meisten Probleme wie Bildungsmangel, fehlende Sanitäran- lagen oder unzureichende Gesundheitsver- sorgung sind global. Doch aus Mangel an Skalierungserfahrungen verbreiten sich lokal entwickelte soziale Innovationen nicht. Stattdessen werden oft bereits bestehende Lösungen neu erfunden. Der Markt frag- mentiert, und viele Probleme bleiben unge- löst. Außerdem werden ohnehin schon sch- male Ressourcen mehrfach beansprucht. Digitalskalieren → Trend 5 45
  • 46. 1. Finanzierung Immer mehr NGOs und Sozialunternehmen nutzen Crowdsourcing- und Spenden- plattformen wie Kickstarter, Indiegogo, betterplace.orgoder startnext, um nicht nur Prototypen, sondern auch ihr Wachstum zu finanzieren. Diesen Aspekt behandelt der Trend „Online Fundraising“ tiefer gehend (siehe OnlineFundraising/Trendreportonline). 2. Petitionen Über Petitionsplattformen wie MoveOn, Avaaz, Change oder Campact mobilisie- ren NGOs Interessengemeinschaften für neue Politiken, Gesetze und Standards. Mom’s Rising setzt sich beispielsweise für Mütter ein. Dazu nutzt die NGO aus den USA nicht nur Petitionen, sondern macht die entsprechenden Werkzeuge auch öffentlich nutzbar, damit jeder selbst eine Petition starten kann. So füh- ren Petitionen zu einem Wachstum der Unterstützerzahl und bei erfolgreichen Petitionen auch zur Verbreitung neuer Normen und Verhaltensweisen. 3. Ehrenamtliche Mitarbeiter Es gibt zahlreiche Plattformen für die Zusammenführung (Matching) von so- zialen Organisationen und Freiwilligen, wie beispielsweise Volunteer Match oder Sparked in den USA oder Gute Tat in Deutschland (siehe 7/Karma statt Kohle). Organisationen, die maßgeblich von freiwilligen Mitarbeitern unterstützt wer- den, verwenden digitale Medien auch, um ihr Netzwerk zu managen. Viva con Agua, eine Organisation mit einem kleinen Mitarbeiterteam in Hamburg, orga- nisiert über 2.000 ehrenamtliche Mitmacher über seine Organisationsplattform Pool. Das Leitungsteam schätzt, dass der Kommunikationsaufwand so um 40% reduziert werden konnte. In den USA ist die Surfrider Foundation ein gutes Bei- spiel dafür, wie Kampagnen-Tools und interaktive, für Einträge offene Karten dabei helfen, 50.000 Mitglieder zu koordinieren. 4. Projektdesign Besonders interessant sind digitale Medien für soziale Organisationen, die ihr Organisationsmodell und ihre Wirkungsmechanismen verbreiten möchten und ihr Projektdesign danach ausrichten. Die verschiedenen Modelle sind: 4a. Strategische Online-Kooperationen mit reichweitestarken Partnern Einige kleine NGOs oder Sozialunternehmen kooperieren mit Partnern, die online eine große Zielgruppe erreichen. So ar- beitet betterplace.org mit Payback, Deutschlands größtem Bo- nuspunkteprogramm, in der Payback-Spendenwelt zusammen. Weil Payback-Kunden ihre Bonuspunkte auf betterplace.org spenden, skalierte betterplace.org seine soziale Innovation – die Möglichkeit, transparent auch kleine und mittelgroße Hilfs- organisationen online zu unterstützen – auf über 3 Millionen Payback-Karteninhaber. Refugees United ist ein weiteres Bei- spiel für eine junge, innovative Organisation, die durch die Part- nerschaft mit großen und etablierten Organisationen (Rotes Kreuz und UNHCR) die Reichweite für ihre Online-Dienstleis- tungen steigert. 4b. Digitale Medien als Organisationsrückgrat für Netzwerk-Orgas Die deutsche Mentorenorganisation Rock Your Life! (RYL!) nutzt ei- ne softwarebasierte Infrastruktur, um ihre 25 Vereine mit 600 S. 65 → S. 51 → ← S. 34 Digitalskalieren → Trend 5 46
  • 47. Mitgliedern zu koordinieren. Die lokalen Vereine setzen für ihre eigene Arbeit weitere Tools wie dropbox, google.docs oder die Software Salesforce ein. Über die neue Plattform JUNity können nun auch die Prozesse der Gesamtorganisation abgebildet und organisiert werden. 4c. Kein Leben ohne Plattform Einige Organisationen nutzen ausschließlich digitale Werkzeuge, um ihr Modell zu verbreiten. Beispiel Awesome Stiftung: Jeder, der eine Awesome Zelle in seiner Stadt organisieren will, kann sich online anmelden und seine Mitglieder organisieren (siehe Case/Awesome Foundation). Ein weiteres Beispiel für ein sehr offenes und auf Verbreitung angelegtes Projektdesign ist Carrotmob. Das Netzwerk stellt Anleitungen online zur Verfügung, und je- der kann seine Ideen für einen eigenen Flashmob einreichen. 4d. Digitale Medien als Organisationsrückgrat für Netzwerk-Orgas Interessant sind digitale Werkzeuge auch für Organisationen, die ihre Idee als eigenständiges Produkt anbieten. Ein gutes Beispiel ist das Encore Fellowship Network (EFN): Manager er- halten ein Stipendium für eine sinnstiftende zweite Karriere im sozialen Sektor. NGOs bekommen diese sonst kaum bezahlbaren kompetenten Personen zur Seite gestellt. Innerhalb von nur 18 Monaten ist EFN von einem Piloten mit zehn Fellows und neun NGOs zu einem Netzwerk aus 120 NGOs in zwölf amerikani- schen Städten angewachsen. Während EFN seine Projektpartner engmaschig kontrolliert und verpflichtet, die Marke „Encore“ zu pflegen, stellen andere Organisationen ihr Wissen und ihre Software interessierten Partnern ohne ihre Marke zur Verfügung. iMentor interactive hat beispielsweise auf der Basis der eigenen Arbeit mit Mentoren und Schülern in New York eine Software entwickelt, mit deren Hilfe Schulen und soziale Organisationen eigene Mentorenprogramme aufsetzen können. Die Software ist als Blanko-Lösung (White Label) in das bestehende Angebot für Lizenznehmer integriert. Was kostet digitale Skalierung? elbst wenn ein Machbarkeitsbeweis („Proof of Concept“) vorliegt, sträuben sich die meisten Geldgeber im sozialen Sektor, relevante Summen in IT-Infrastruktur zu investieren. Das gilt besonders für Deutschland. So stammt die erste maßgebliche Finanzierung für Rock Your Life (RYL!) von einer britischen Unternehmensstiftung. Weitere soziale IT-Förderer sind Social Venture Fonds (z.B. der Acumen Fund), die Bertelsmann Stiftung und Sozialunternehmernetzwerke (Ashoka, Schwab). Die Kosten für Digitalskalierung variieren enorm. Die Tools des Encore Fellow- ship Network sind sehr günstig. Zwei Vollzeitmitarbeiter betreiben das ganze Netzwerk und nutzen vor allem kostenlose Standardprogramme. Auch Viva con Aguas Plattform Pool ist günstig. Im Vergleich dazu sind die geplanten Kosten bei RYL! wesentlich höher. Doch RYL! hofft auf Erlöse durch die Lizenzierung der Plattform für andere Organisationen – wie auch iMentor interactive, deren IT-Plattform um die 1,5 Millionen US-Dollar gekostet hat. S. 50 → S. 51 → S Digitalskalieren → Trend 5 47
  • 48. Chancen Schnelles Wachstum auch geografisch weit entfernter „Satel- liten“ möglich. Qualitätskontrolle über einheitliche Evaluationstools und Me- triken. schnelle, punktgenaue Verbesserung durch Feedbackloops kann kostengünstig sein, eventuell können Kosten über Lizenz- gebühren wieder reingeholt werden. Risiken Digital benachteiligte Gruppen sind schwer zu erreichen. Besonders in Deutschland ist es schwer, digitale Skalierungs- infrastruktur finanziert zu bekommen, da Förderinstitutionen in diesem Bereich noch keine Kompetenz haben. Eine strenge Markenpolitik und Kontrolle des Programms kön- nen die Verbreitung verlangsamen. Viele Organisationen stehen Tools aus Datenschutzgründen kritisch gegenüber. Fazit Für das Wachstum von Organisationen und die Verbreitung von Ideen lassen sich über das Internet geografische Distanzen ein- fach überwinden. Potenzielle Unterstützer können über soziale und andere Netzwerke eingebunden und globale Netzwerke koor- diniert werden. Eine Organisation wächst aufdiese Art meist umso schneller, je weniger siedieeinzelnen Zellen kontrollieren will. Eine gewisse Gesamtkoordination ist jedoch immer notwendig. Hierzu taugen entweder die zahlreich verfügbaren kostenlosen Werkzeu- ge oder es müssen individuelle Lösungen programmiert werden. Dies kann zu entsprechenden Kosten führen. Für das Wachstum und die Verbreitung einer sozialen Innovation, die dem Wohl der Gesellschaft dient, sind diese Kosten oft jedoch lohnenswert. Doch besonders in Deutschland sträuben sich Geldgeber im so- zialen Sektor noch, in „IT for Good“ zu investieren, auch weil die Entwicklung dieses Bereiches noch am Anfang steht und Un- wissenheit zu Unsicherheit führt. Das Potenzial digitaler Werk- zeuge für die Skalierung von Konzepten, die dem Allgemeinwohl dienen, ist jedoch enorm und sollte dringend erforscht und ge- nutzt werden. Trendpate und Sponsor dieses Trends ist die Bertelsmann Stif- tung mit ihrem Projekt „Effekt hoch n – Wachstum und Wirkung in der Zivilgesellschaft“. Digitalskalieren → Trend 5 48
  • 49. Mit Kawumm baut diese Nachbarschaftsinitiati- ve in den USA Tausende Spielplätze – und zwar hauptsächlich mit freiwilligen Helfern. Der Mas- terplan von KaBOOM! ist, dass irgendwann jedes Kind einen Spielplatz in der Nachbarschaft hat, wo es zu Fuß hingehen kann und auf dem es gerne spielt. Damit diese Idee Wirklichkeit wird, sind vor allem freiwillige Helfer und gutes Fundraising gefragt. Dabei lässt KaBOOM! die Interessierten nicht allein, sondern bietet Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Video-Tutorials und Checklisten auf seiner Website an. Zum Beispiel Online-Trainings zu Themen wie: „Wie man Schulen motiviert“ oder „Was ist gute Pressearbeit?“ und „Wie werde ich der beste Fundraiser?“. Wer einen Spielplatz verschönern will, der findet auch einfache Bauanleitungen, etwa für ein Sonnen- dach. Diese „take it and run“-Strategie skaliert: Insgesamt wur- den seit 2009 über 15.000 Spielplätze errichtet oder verbessert. Auf jeden von KaBOOM! initiierten Spielplatz kommen mittler- weile zehn, die selbstständig nach Online-Anleitung entstehen. KaBOOM! www.kaboom.org Digitalskalieren → Trend 5 49
  • 50. „Awesomeness im Universum zu verbreiten“ ist die Mission der Awesome Foundation. Um die- ses Ziel zu erreichen, schließen sich jeweils zehn Menschen in einer Stadt zusammen und zahlen monatlich 100 US-Dollar in einen Fördertopf. Anschließend werden Menschen mit wilden Ideen dazu aufgerufen, sich um das Geld zu bewerben. Das Projekt, welches die meisten Mit- glieder „awesome“ finden, bekommt die 1.000 US-Dollar über- reicht – und zwar sehr unfeierlich in einer braunen Papiertüte. Diese unkomplizierte Förderung istdas Markenzeichender Awe- some Foundation. Über die Verwendung ihres Preisgeldes müs- sen die Gewinner keine Rechenschaft ablegen. Jenseits bürokra- tischer Strukturen werden auf diese Weise kreative, sinnvolle oder spektakuläre Projekte unterstützt. So konnten beispielswei- se Zahnhygiene-Programme in Ulan-Bator oder ein Umwelt-Pro- jekt,das Drachen mit Luftsensoren ausstattete, gefördert werden. Die Awesome Foundation ist auch bei ihrer Verbreitung ein Musterbeispiel für Niedrigschwelligkeit: Prinzipiell kann jeder ein eigenes Chapter gründen, also die Awesome Foundation vervielfältigen. Dank einer zentralen digitalen Infrastruktur kann die Awesome Foundation beliebig skalieren. Mittlerweile gibt es Chapter in rund 70 Städten weltweit. Awesome Foundation www.awesomefoundation.org Digitalskalieren → Cases 5 50
  • 51. ROCK YOUR LIFE (RYL!) ist ein Coaching-Pro- gramm für sozial benachteiligte Schüler. Die Teil- nehmer werden während ihrer letzten zwei Schul- jahre von einem dafür ausgebildeten Studierenden begleitet. Dabei geht es vor allem darum, den Schülern bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder beim Einstieg in eine weiterführende Schule zu helfen. Dieses Konzept ist so gut, dass RYL! 2009 Sieger des Wettbewerbs startsocial wurde. Damit der Start ins Berufsleben für die Schüler auch wirklich klappt, sind gute Kontakte zu Unternehmen wichtig. Das wird meist von jedem Coach in Eigenregie gemacht. Der Nachteil dabei: Die Zentrale in Friedrichshafen weiß oft nicht, welche Unternehmen schon angesprochen wurden. Auch fehlte bislang eine Dokumentation der Mentorenpaare: Welches Paar funk- tioniert gut? Welches braucht zusätzliche Unterstützung? Um den Wissenstransfer innerhalb der Organisation zu stärken, hat RYL! nun eine Online-Plattform, JUNity, eingeführt, über die alle Anfragen, Evaluierungen und Event-Planungen lau- fen sollen. So kann die Organisation die Arbeit der über 600 dezentral verteilten Coaches koordinieren und erkennen, was gut funktioniert und was nicht. ROCK YOUR LIFE! www.rockyourlife.de Digitalskalieren → Cases 5 51
  • 52.
  • 53. Doc Handy 2005 empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren Mitgliedsstaaten, Information Communication Technology (ICT) in der Gesundheitsversorgung einzusetzen, um die Reichweite und Qualität der Patientenversorgung zu ver- bessern. Unter den Stichworten mHealth und eHealth (mobile bzw. elektronische Gesundheit) werden seitdem Gesundheitsleistungen zusammengefasst, die vor allem über Handys und Apps funktionieren. Neben Regierungen haben auch NGOs und Unternehmen das Potenzial von ICT in verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversorgung erkannt: in Administration und Management, (Weiter-) Bildung, Diagnose und Prävention und natürlich in der Behandlung. In der Welt- bankstudie IC4D wird das mHealth-Potenzial beziffert: Die Kosten des Daten- sammelns reduzierten sich um fast ein Viertel, ebenso die für die Altenpflege. Die Muttersterblichkeit sinke um 30 Prozent und die Behandlung von Tuberkulose verbessere sich deutlich. Nächstes Jahr wird es so viele Mobiltelefone wie Menschen geben. Die Marktabdeckung wird dann in Entwicklungsländern bei 89 Prozent liegen. Es gibt immer mehr Mobil- funkanbieter, die Netze werden ausgebaut, Kosten für Telefonate und Datentransfers sinken und immer mehr Apps für immer mehr Smartphones kommen auf den Markt. Das führt vor allem in Entwicklungsländern, zu vielen Innovationen, die den Westen alt aussehen lassen. Nicht nur im Agrar-, Finanz- oder Regierungssektor, sondern gerade im Gesundheitsbereich profitieren viele zuvor ausgeschlossene Menschen vom Mobilfunk. Doc HandyDoc Handy 2005 empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren Mitgliedsstaaten,2005 empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren Mitgliedsstaaten, Information Communication Technology (ICT) in der GesundheitsversorgungInformation Communication Technology (ICT) in der Gesundheitsversorgung einzusetzen, um die Reichweite und Qualität der Patientenversorgung zu ver-einzusetzen, um die Reichweite und Qualität der Patientenversorgung zu ver- bessern. Unter den Stichworten mHealth und eHealth (mobile bzw. elektronischebessern. Unter den Stichworten mHealth und eHealth (mobile bzw. elektronische Gesundheit) werden seitdem Gesundheitsleistungen zusammengefasst, die vorGesundheit) werden seitdem Gesundheitsleistungen zusammengefasst, die vor allem über Handys und Apps funktionieren. Neben Regierungen haben auchallem über Handys und Apps funktionieren. Neben Regierungen haben auch NGOs und Unternehmen das Potenzial von ICT in verschiedenen Bereichen derNGOs und Unternehmen das Potenzial von ICT in verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversorgung erkannt: in Administration und Management, (Weiter-)Gesundheitsversorgung erkannt: in Administration und Management, (Weiter-) Bildung, Diagnose und Prävention und natürlich in der Behandlung. In der Welt-Bildung, Diagnose und Prävention und natürlich in der Behandlung. In der Welt- bankstudie IC4D wird das mHealth-Potenzial beziffert: Die Kosten des Daten-bankstudie IC4D wird das mHealth-Potenzial beziffert: Die Kosten des Daten- sammelns reduzierten sich um fast ein Viertel, ebenso die für die Altenpflege. Diesammelns reduzierten sich um fast ein Viertel, ebenso die für die Altenpflege. Die Muttersterblichkeit sinke um 30 Prozent und die Behandlung von TuberkuloseMuttersterblichkeit sinke um 30 Prozent und die Behandlung von Tuberkulose verbessere sich deutlich.verbessere sich deutlich. Doc Handy → Trend 6 53
  • 54. Es gibt weltweit mittlerweile circa 4 Milliarden Menschen, die ohne Zugang zu einem Gesundheitssystem leben. Um diesen Missstand zu beheben, bedarf es einer bezahlbaren und zugänglichen Gesundheitsversorgung, die lokale Gegebenhei- ten berücksichtigt. Hier zeigt ICT und vor allem der Einsatz von Mobiltelefonen neue, effiziente Wege auf, um den bislang Unterversorgten Zugang zu Gesund- heitsdiensten zu ermöglichen und ländliches Gesundheitspersonal in seiner Ar- beit zu unterstützen. Viele der mHealth-Innovationen entstanden in Afrika und Südasien, weil dort die großen Lücken im Gesundheitssystem mit dem enormen Wachstum des Mobilfunkmarktes zusammentrafen (90 Prozent der Menschheit haben mittlerweile Handyempfang, 75 Prozent haben Zugang zu einem Handy, 63 Prozent zu funktionierenden Sanitäranlagen). Die meisten Innovationen entstehen direkt in den Entwick- lungsländern m Bereich Informations- und Wissensmanagement etablierte die African Medical and Research Foundation in Kenia eine Virtual Nursing School, um 20.000 Krankenpfleger auszubilden und das Gesundheitspersonal im Land zu verdoppeln. DieeHealth-Initiative der ägyptischen Regierung zielt neben der Aus- und Weiterbildung darauf ab, bessere Diagnosedienstleistungen in ländlichen Gegenden anbieten und eine Datenbank für medizinische Patientenakten aufbauen zu können. Hierbei helfen das Open Medical Record System oder EpiSurveyor, die das klassische Klemmbrett für Datensammlungen ersetzen. Sie ermöglichen Gesundheitskräften, Daten über Patientinnen oder Krankheiten und deren Behandlungsoptionen zu speichern oder abzurufen. In Nicaragua wurde mittels ICT das nationale Impfprogramm verein- heitlicht und die pränatale Versorgung sowie die Versorgung chronisch Kranker ausgeweitet und überprüfbar gemacht. Und Gesundheitspersonal in Peru kann web- basiert auf Tuberkulose-Laborergebnisse ihrer Patienten sowie Informationen zur Behandlung zugreifen und erhält automatisch Informationen zu Risikopatienten. In Uganda hat die erste Telemedizinklinik eröffnet ach einem ähnlichen Prinzip funktioniert die Telemedizin und Ferndiagnose. Auch hier können Handys die Gesundheitsversor- gung verbessern und Kosten sparen. Statteines teuren Ultraschall- Magnetresonanz-oder Röntgengeräts, gibtes mittlerweile tragbare und viel billigere Geräte, die an Handy oder Laptop angeschlossen werden können. Community Health Worker leiten die Daten zur Auswertung an zentrale Stellen weiter, sodass umgehend eine Diagnose erfolgen kann. Ein Beispiel hierfür bietet die Firma Mobisante, die tragbare medizinische Bildgebungsmaschi- nen entwickelt und deren Ziel es ist, bald pro Scan nicht mehr als 1 US-Dollar in Rechnung stellen zu müssen. In Indien können durch das Aravind Eye Care System via Kameras und Datenübertragung circa 27 Millionen Menschen pro Jahr augen- ärztlich behandelt werden. Lokales Personal kann Sehtests durchführen und kranke Augen behandeln, ohne dass eine Spezialistin vor Ort sein muss. Und in Uganda öffnet die indische Krankenhausgruppe Apollo Hospitals die erste Telemedizinkli- nik, die ein Informationszentrum und telemedizinisches Netzwerk anbietet. Der Einsatz von ICT hilft durch eine verbesserte Informationskette auch beim Kampf gegen Korruption. Weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) zehn Prozent der Arzneimittel gefälscht, in einigen Regionen in Entwicklungs- ländern bis zu 30 Prozent. Mithilfe von Sproxil können Handybenutzerinnen in Nigeria nun feststellen, ob ein Medikament original ist. S. 59 → I N Doc Handy → Trend 6 54
  • 55. Deutschland nur auf einem mittleren Platz beim mHealth-Ranking ine WHO-Studie zeigte 2011, dass Gesundheits-Callcenter, kosten- lose Notfall-Handydienste, mobile Telemedizindienste und mobi- le Katastrophendienste zu den am häufigsten genutzten eHealth- Angeboten zählen. Laut der Studie ist Großbritannien führend in der Nutzung von eHealth und verwaltet medizinische Infor- mationen und Daten seit über 10 Jahren zentral elektronisch. Aus Großbritannien stammen auch sehr erfolgreiche Patientenplattformen wie Health Unlocked, die Patienten und Angehörige unterstützt und ein Forum für Ratschläge und Erfah- rungsberichte sowie die Verbindung zu Ärzten bietet. Deutschland belegt in der Liste der untersuchten Länder nur einen Mittelplatz, da vor allem Diskussionen zu Datenschutz und Sicherheitsfragen zentralisierter Datensicherungssysteme die Entwicklung verlangsamen. Dynamik von mHealth: Angegeben ist die Zahl der Länder, in denen mindestens ein mHealth-Programm umgesetzt wird. Aus der Weltbankstudie IC4D (2012). Sprachnachrichten funktionieren besser als SMS eben Regierungen wollen nun auch NGOs und Unternehmen die Wirkung von ICT nachweisen. So führten WellDoc in den USA, Weltel in Kenia oder Project Mwana (UNICEF) in Sambia als eine der ersten Studien durch und wiesen Verbesserungen bei der Einnahme von Medikamenten durch SMS-Erinnerungen nach. Gerade bei der HIV/AIDS-Aufklärung und -Behandlung sind Mobiltelefone sehr wirksam. Hier bietet ein Handy oder das Internet die Möglichkeit für einen anonymen und manchmal auch spielerischen Erstkontakt zu aufklärenden Or- ganisationen. Vergleiche zwischen Text- und Sprachnachrichten haben gezeigt, dass Nutzerinnen Sprachnachrichten bevorzugen, da viele ihre Mobiletelefone mit Familie oder Freunden teilen oder einige nicht lesen und schreiben können. Lange Zeit war die Entwicklung von eHealth technologiegetrieben. In einer ersten Phase exportierte der Westen Technologien in entwickelnde Länder. In einer zwei- ten Phase entstanden Innovationen durch externe Spezialistinnen. Die Entwicklun- gen aus jener Zeit sind sogenannte „disease-centered Stand alone“-Geräte, die die Komplexität des realen Lebens vor Ort nicht berücksichtigten. Mittlerweile sind partizipative und „people-centered“ Entwicklungen in den Vordergrund gerückt. E LÄNDER Europa & Zentralafrika Südafrika Ostasien und Pazifik Mittlerer Osten & Nordafrika Lateinamerika & Karibik Subsahara-Afrika Entwickelte Länder Quelle: Adapted from GSMA mHeath Tracker 2012 10 2003 0 20 30 40 50 60 70 80 90 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 N Doc Handy → Trend 6 55
  • 56. Chancen ICT bietet großes Potential, dem Mangel an Gesundheitsper- sonal entgegenzuwirken und bislang Unerreichte und Unter- versorgte in die Gesundheitsversorgung einzubinden. Durch mHealth kann man Kosten für die Diagnose und Behand- lung reduzieren und so mehr Patientinnen behandeln. Patienten werden durch Zugang zu Informationen und Mög- lichkeiten des Austauschs gestärkt. Risiken Das Wissen über die zahlreichen eHealth-Innovationen wird noch zu wenig geteilt (Best Practice) und die Produkte zu wenig evaluiert, sodass Qualität und Nachhaltigkeit oft nicht nach- gewiesen werden können. Der persönliche Kontakt, der vor allem bei chronisch Kranken sowie Älteren wichtig ist, geht zum Teil verloren. Die Fernbeobachtung und Telemedizin fordern von Ärzten neue Kompetenzen und setzen fähige Patienten voraus, was nicht bei jedem Krankheitsbild oder Bildungsstand gegeben ist. Fazit ICT ist in der weltweiten Gesundheitsversorgung mittlerweile zu einem Standardinstrument geworden. Skalierungsmöglichkeiten sollten aber bei der Entwicklung und Pilotierung von eHealth- Innovationen mitgedacht werden. Um die Trendwende hin zur gemeinde- bzw. hausbasierten Gesundheitsversorgung besser ge- stalten zu können, ist eine Zusammenarbeit von öffentlicher und privater Hand in Forschung und Umsetzung wichtig. Das heißt partizipative und „people-centered“ Lösungen zu verbreiten, tra- ditionelle und lokale Versorgungsmöglichkeiten zu integrieren und sich besser zu vernetzen. So können auch einheitliche Stan- dards für Evaluationen geschaffen werden. Doc Handy → Trend 6 56
  • 57. Das Projekt in Peru unterstützt schwangere Frau- en per SMS. Per Textnachrichten werden sie über die verschiedenen Phasen ihrer Schwangerschaft informiert. Die Experten-Tipps helfen bei der rich- tigen Ernährung und erklären, was gerade gut oder schlecht für das Baby ist. Bei akuten Problemen oder Fragen können die Frauen über eine automatisierte Hotline oder per SMS einen Symptom-Check machen und mit Ärzten verbunden werden. 2010 wurde das System in einer kleinen Gemeinschaft von ca. 5.000 Menschen in der Nähe von Lima getestet, mittlerweile nutzen 13 Gesundheitszentren das System und es soll national ausgeweitet werden. Als Public Private Partnership wird Wawa- Red von der lokalen Regierung, Telefónica Mobil in Peru und UNICEF unterstützt. WawaRed www.wawared.org Doc Handy → Cases 6 57
  • 58. Die Mikroversicherung ist auf Gesundheitsdienst- leistungen ausgerichtet und arbeitet mit dem mobilen Geldtransfersystem M-Pesa. Changamka (Swahili für „werde aktiv“) ermöglicht Millionen von Kenianerinnen, die bisher vom medizinischen Versiche- rungssystem ausgeschlossen waren, einen Zugang zu grundle- gender Gesundheitsversorgung. Das System basiert auf einer Smartcard, die rund 4,50 Euro kostet. Ein Startguthaben von vier Euro ist bereits aufgeladen und gleichzeitig das Minimum, mit dem man grundlegende Gesundheitsversorgung für die ganze Familie in kooperierenden Krankenhäusern und Kliniken in Anspruch nehmen kann. Im Gegensatz zu Versicherungen, die regelmäßige Einzahlungen erfordern, bietet Changamka einen Sparplan, der die Gesundheitsversorgung an die Höhe des Ersparten koppelt. Abgedeckt sind Kosten für ärztliche Beratung und Behandlung, Labortests und Medikamenten- Rezepte. Um die Einzahlung in das Versicherungssystem zu erleichtern, ist Changamka mit M-Pesa, einem weitverbreiteten mobilen Geldtransferdienst in Kenia, verbunden. Changamka www.changamka.co.ke Doc Handy → Cases 6 58
  • 59. Die WHO schätzt, dass rund 30 Prozent der vertrie- benen Medikamente Fälschungen sind. Vor allem im Bereich der Malariabehandlung und der Medi- kamente für Kinder sind viele Präparate unter- wegs, die keine Wirkstoffe, sondern Salz, Kalk oder getrocknete Farbe enthalten. Sproxil hilft, die Fälschungen zu erkennen: Auf dem Medikament ist ein Code, den man frei rubbelt, via SMS an eine länderspezifische Nummer schickt und sofort die Ant- wort bekommt, ob das Medikament echt ist oder nicht. Sproxil wurde 2010 in Ghana und Nigeria und 2011 in Kenia und Indien eingeführt und arbeitet mit internationalen Pharmaun- ternehmen wie Johnson & Johnson, Glaxo Smith Kline und Merck zusammen. 2012 nutzten nach Angaben der Firma mehr als eine Million Menschen den Service. Sproxil www.sproxil.com Doc Handy → Cases 6 59