5. • Wenn ACTA in Deutschland ratifiziert wird, dann passiert umgehend das
Folgende:
Strafbarkeit von Urheberrechtsverletzungen,
Einschränkungen der Informations- und Meinungsfreiheit (durch
Netzsperren und Zensur),
Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit (bspw. in Form von Verfahren ohne
Anhörung der Parteien)
• Jedenfalls ermöglicht ACTA all dies durch unbestimmte Rechtsbegriffe und
auslegungsfähige Bandwurmsätze!
• Der „Geist von ACTA“ spricht für die Verwerterindustrie und überhaupt der ist
ja gar nicht wegzudiskutieren!
• Das zeigen auch schon die geheimen Verhandlungen zu ACTA!
Rechtsanwältin Nina Diercks, M.Litt. 5
6. Was ist eigentlich dieses ACTA?!
(Anti-Counterfeiting Trade Agreement)
Rechtsanwältin Nina Diercks, M.Litt. 6
7. Was ist ACTA?
ACTA ist….
…ein multilaterales Handelsabkommen in Form eines völkerrechtlichen Vertrags.
Zustandekommen
Völkerrechtliche Verträge werden von „Unterhändlern“ (Diplomaten u.a.) der
beteiligten Staatsregierungen ausgehandelt und bei Einigkeit von den
„Unterhändlern“ mit entsprechender Bevollmächtigung der Regierungen
unterzeichnet.(-> Hier war der „Unterhändler“ die EU für ihre Mitgliedstaaten…)
Ratifikation/Inkrafttreten
Bevor ein völkerrechtlicher Vertrag jedoch in einem Staat in Kraft treten kann, muss
er in der Regel zunächst ratifiziert werden. Eine Ratifikation ist die völkerrechtlich
verbindliche Erklärung des Abschlusses des völkerrechtlichen Vertrages zwischen
den Parteien, welche durch ein Organ der Vertragspartei (hier: Bundespräsident)
erfolgt. [Hier noch über die Bande EU gespielt].
Rechtsanwältin Nina Diercks, M.Litt. 7
8. Welche Auswirkungen hätte ACTA?
Ratifikation in Deutschland
Nach Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz = grundsätzlichen Gesetzgebungsverfahren des
Bundes erforderlicher.
Die Ratifikation geschieht nach Zustandekommen des Zustimmungsgesetzes durch
den Bundespräsidenten.
Nach der Ratifikation wird das Vertragsgesetz im Bundesgesetzblatt verkündet.
Umsetzung/Wirkung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Ratifikation in
Deutschland
Die Umsetzung eines geschlossenen Vertrages ist von der Ratifikation unabhängig.
Im Falle einer Umsetzung handelt es sich um ein sog. Transformationsgesetz.
Ein völkerrechtlicher Vertrag kann jedoch auch ohne eine zusätzliche Umsetzung
bereits erfüllt sein.
Huch?!?
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9. Warum bedarf es im Zweifel keiner Umsetzung?
Ziel eines völkerrechtlichen Vertrages:
Implementierung von einheitlichen Mindeststandards in allen Vertragsländern.
Wenn Mindeststandards schon in Land erreicht:
Kein Bedarf an weiterer Umsetzung.
Auch aus diesem Grund ist die Unterscheidung zwischen Mythen und Fakten
für eine konstruktive Diskussion so wesentlich!
Aaaaber der Geist von Acta! Das Einfallstor für das Ende des Internets!
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10. Grundsätzliche Grenzen der Umsetzung
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
ACTA selbst:
Artikel 2:
„Jede Vertragspartei wendet dieses Übereinkommen an. (…)Es steht jeder
Vertragspartei frei, die für die Umsetzung dieses Übereinkommens in ihrem eigenen
Rechtssystem und in ihrer Rechtspraxis geeignete Methode festzulegen“
Artikel 27 IV:
„Diese Verfahren sind so anzuwenden, dass rechtmäßige Tätigkeiten, (…) in
Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragspartei beachtet
werden.“
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11. ACTA ist.
ACTA ist also…
… ein völkerrechtlicher Vertrag, der internationale Mindeststandards
festlegen soll.
….ein völkerrechtlicher Vertrag, der - auch im Falle der Ratifizierung -
keine unmittelbare Wirkung in Deutschland entfalten kann.
… ein völkerrechtlicher Vertrag, dessen gegebenenfalls erforderliche
Umsetzungen sich stets an den garantierten und unantastbaren
Grundrechten messen lassen müssen.
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12. ACTA beinhaltet….
Mythen ./. Fakten – ein paar Beispiele
Auszug aus der Präambel:
IN DEM WUNSCH, das Problem der Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, einschließlich im digitalen
Umfeld erfolgender Rechtsverletzungen, insbesondere im Hinblick auf das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte
so zu lösen, dass die Rechte und Interessen der jeweiligen Rechteinhaber, Dienstleister und Nutzer miteinander ins
Gleichgewicht gebracht werden müssen.
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13. Mythen ./. Fakten – ein paar Beispiele
Kapitel II
Rechtsrahmen für die Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums
Abschnitt 1: Allgemeine Pflichten
Abschnitt 2: Zivilrechtsweg
Abschnitt 3: Zollmaßnahmen
Abschnitt 4: Strafrechtliche Verfolgung
Abschnitt 5: Rechtsdurchsetzung im digitalen Umfeld
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14. Kap. II, Abschnitt 1 – Allgemeine Pflichten
Oder: „Der Geist von ACTA“
„Die zur Durchführung der Bestimmungen dieses Kapitels eingeführten, aufrecht erhaltenen
oder angewandten Verfahren müssen fair und gerecht sein und gewährleisten, dass die
Rechte aller solchen Verfahren unterliegenden Teilnehmer angemessen geschützt werden.
Diese Verfahren dürfen nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und dürfen
keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen”
Das sind ja alles unbestimmte und auslegbare Begriffe! – Daran erkennt man den bösen
Geist von ACTA, schließlich bieten diese Begriffe den von der Verwerter-Lobby
getriebenen Staaten die Möglichkeit, ganz schlimme Maßnahmen zu ergreifen
(Netzsperren, Zensur und so).
Unbestimmte Rechtsbegriffe sind ganz normal! Sie dienen notwendiger Weise der
Erfassung vielschichtiger möglicher Sachverhalte und sind verfassungsrechtlich dem
Grunde nach nicht zu beanstanden. Bei Streit über den konkreten Inhalt eines solchen
Begriffs entscheiden die Gerichte .
Präambeln, Gesetzesbegründungen, Literatur und Rechtsprechung füllen einen
unbestimmten Rechtsbegriff also irgendwann vollständig aus. Deswegen: Kontexte
wahrnehmen und (mit-)lesen!
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15. Kap. II, Abschnitt 2 – Zivilrechtsweg
Art. 8 und 9, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche
Jetzt soll es ein System vermuteter Schadenssummen und im Urheberrecht zusätzliche
Schadensersatzleistungen geben. Wie ein Katalog! Skandal!
In Deutschland existiert schon lange die Schadensberechnung im Rahmen der sog.
Lizenzanalogie nach richterlicher Schätzung iSv. § 287 ZPO.
Ferner existiert im Urheberrecht schon lange der sog. „Verletzerzuschlag“.
Art. 12, Einstweilige Maßnahmen
Nach Abs. 2 soll es einstweilige Maßnahmen ohne Anhörung einer Partei geben! Skandal! Nur
auf Verdacht hin, kann irgendwas passieren!
Das Rechtsstaatsprinzip wird mit ACTA komplett untergraben!
Einstweilige Rechtsschutzverfahren sind in §§ 916 ff. ZPO geregelt.
Hier gibt es aufgrund der Eilbedürftigkeit keine Beweispflicht und in der Regel keine Anhörung
der gegnerischen Partei. Der Sachverhalt ist nur glaubhaft zu machen.
Selbstverständlich kann alles umfänglich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens überprüft
werden.
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16. Kap. II, Abschnitt IV – Strafverfolgung
Art. 23, Strafbare Handlungen
Mit ACTA werden nun Urheberrechtsverstöße strafbar! Und sogar die reine Beihilfe!
Skandal! Kriminalisierung von Kreativen! Unterdrückung jeglicher Innovation!
Nach dem Urheberrechtsgesetz bestehen schon lange verschiedenen Straftatbestände (§§ 106 ff
UrhG), es handelt sich um sog. relative Antragsdelikte, Beihilfe ist grundsätzlich nach § 27 StGB
strafbar.
Und während ACTA eine strafbare Handlung nur bei einem wenigstens mittelbaren
kommerziellen Vorteil (gewerbliches Handeln) vorsieht, ist in Deutschland grundsätzlich jede
vorsätzlich begangene Urheberrechtsverletzung eine Straftat!
(Und trotzdem sind die Gefängnisse nicht voll von Filesharern und Raubkopierern…! Es handelt
sich schließlich um Antragsdelikte.)
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17. Kap. II, Abschnitt 5 – Durchsetzung im digitalen
Umfeld
Art. 27 Abs. 3, Durchsetzung im digitalen Umfeld
„Jede Vertragspartei ist bestrebt, Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben zu fördern, die darauf
gerichtet sind, Verstöße gegen Marken, Urheberrechte oder verwandte Schutzrechte wirksam zu
bekämpfen und gleichzeitig den rechtmäßigen Wettbewerb und – in Übereinstimmung mit den
Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragspartei – Grundsätze wie freie Meinungsäußerung, faire
Gerichtsverfahren und Schutz der Privatsphäre zu beachten.“
HA! Da kommt der Geist von ACTA deutlich hervor. Die Verwerterindustrien sollen eindeutig
gestärkt werden! Und die Nutzer noch mehr abgezockt werden. Das zeigt ja schon der
Rückbezug auf die freie Meinungsäußerung und so!
Insbesondere diese Regelung ist vor dem Gesamthintergrund des internationalen Abkommens
zu lesen: Viele Staaten haben überhaupt keine wirksamen Methoden zur Rechtsdurchsetzung.
Und keine Verbände. Gleich auf welcher „Seite“ sie stehen. Also, ob es sich um
Verbraucherschutzverbände oder den Zusammenschluss von Verwertern handelt. Beide sollen
dabei unterstützt werden.
Der Rückbezug auf die Grundrechte dient der Klarstellung. Eine übliche Maßnahme in
Gesetzestexten.
Davon abgesehen, wäre auch eine Förderung eines Verbandes denkbar, der bspw. die Labelung
urheberrechtlichen Werke mit CC-Lizenzen zum Ziel hat.
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18. Kap. II, Abschnitt 5 – Durchsetzung im digitalen
Umfeld
Art. 27 Abs. 4, Durchsetzung im digitalen Umfeld
„ Eine Vertragspartei kann in Übereinstimmung mit ihren Rechts- und Verwaltungsvorschriften
ihre zuständigen Behörden dazu ermächtigen, einem Online-Diensteanbieter gegenüber anzuordnen,
einem Rechteinhaber unverzüglich die nötigen Informationen zur Identifizierung eines Abonnenten
offenzulegen, dessen Konto zur mutmaßlichen Rechtsverletzung genutzt wurde, falls dieser
Rechteinhaber die Verletzung eines Marken-, Urheber- oder verwandten Schutzrechts
rechtsgenügend geltend gemacht hat und die Informationen zu dem Zweck eingeholt werden, diese
Rechte zu schützen oder durchzusetzen.
So! Nun aber! Da sieht man es ja: Vollkommene Untergrabung jeglicher Rechtsstaatlichkeit,
Kriminalisierung aller! Provider und andere werden zu Hilfsheriffs der Medienindustrie! (vgl. TAZ,
online, 05.03.2010 „Provider als Hilfssheriffs“)
Es gilt wieder, den Absatz dringlichst im Gesamtkontext und vor dem Hintergrund des
Rechtsstaats zu lesen:
Eine Behörde kann in Deutschland einem Online-Anbieter gegenüber eine derartige Anordnung
grundsätzlich nicht erteilen!
Hierzu bedarf es grundsätzlich einer richterlichen Anordnung!
Eine solche richterliche Anordnung kann auch nur ein aktivlegitimierter Verletzter erwirken (vgl.
bspw. § 101 Abs. 9 UrhG)!
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19. Kap. II, Abschnitt 5 – Durchsetzung im digitalen
Umfeld
Art. 28 Abs. 2, Fachkompetenz im Bereich der Information
„Jede Vertragspartei fördert die Erhebung und Auswertung statistischer Daten und sonstiger
sachdienlicher Informationen über Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums, ebenso die
Zusammenstellung von Informationen über Verfahren, die sich bei der Vorbeugung oder
Bekämpfung von Rechtsverletzungen bewährt haben.“
Hier ist es! Das endgültige Einfallstor für die Verwerterindustrie! Der Staat muss die Erhebung
und Auswertung von Daten fördern!
Auch hier gilt, den Absatz im Gesamtkontext und vor dem Hintergrund des Rechtsstaats zu lesen:
Artikel 2 (Art und Umfang der Pflichten) und Art. 4 (Privatsphäre und Offenlegung von
Informationen) von ACTA.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Die jüngsten Entscheidungen des BVerfG zum Thema Vorratsdatenspeicherung, TKG et al.
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20. Was noch?
Beschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit durch ACTA mittels Netzsperren und
Zensur (vgl. z.B. Zeit Online, ACTA-Abkommen soll etwas transparenter werden, v. 26.03.2010):
404
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Sorry.
Die „Geheimverhandlung“:
Es ist vollkommen normal, dass derartige komplexe Verhandlungen zunächst nicht öffentlich sind.
Es handelt sich bei der EU jedoch um eine demokratische Institution. Stand der (Gesetzes-)Verfahren
ist jeweils unter http://register.consilium.europa.eu abzufragen.
Abkommen in jetziger Form seit dem 23.08.2011 abrufbar.
-> Ob aus politisch/kommunikativer Sicht nicht mehr Transparenz bei diesem Thema sinnvoll ist eine
berechtigte, aber zweite Frage.
Rechtsanwältin Nina Diercks, M.Litt. 20
21. Ergebnis
Mit ACTA würde sich überhaupt nichts in Deutschland
ändern.
Leider würde sich auch die Lage vieler Unternehmen (Siemens, Bosch, Hettich, all die deutsche
Ingenieurslandschaft), die hinsichtlich der Einführung von Mindeststandards und
Durchsetzungsmöglichkeiten z.B. von Marken- und Patentrechten Hoffnung in das Abkommen gesetzt
haben, nicht verbessert werden. Denn:
a. Werden viele Staaten wie China und Taiwan das Abkommen ohnehin nicht unterzeichnen.
b. Fehlt es gerade an grenzüberschreitenden Durchsetzungsmaßnahmen.
Rechtsanwältin Nina Diercks, M.Litt. 21
22. Zum Schluss ein paar Schlagworte:
Der politisch-kommunikative Super-GAU?!
Schwarmintelligenz?!
„Mit der neuen Machtposition, die dieser "netzpolitischen Avantgarde" zukommt, korrespondiert allerdings auch eine
neue und gesteigerte Verantwortung für einen geordneten öffentlichen Diskurs. […] Neben dem Staat sind auch sie
ein ganz wesentlicher Faktor dafür, ob und inwieweit der Dialog miteinander oder gegeneinander verläuft.“
Prof. Dr. Heckmann, IT-Rechtsprofessor, Passau
Ob und wie die Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums iBa auf
die digitale Umwelt verändert werden müssten und/oder könnten,
ist vollkommen losgelöst von ACTA (u. a.) sachlich und konstruktiv zu
diskutieren.
Rechtsanwältin Nina Diercks, M.Litt. 22
23. FYI:
„ACTA – ohne Auswirkungen auf das deutsche und europäische Recht“
Kommunikation & Recht, Prof. Dr. Joachim Schrey und Dr. Thomas W. Haug, LLM, 2011, 171,
http://www.kommunikationundrecht.de/detail/-/specific/ACTA-Anti-Counterfeiting-Trade-Agreement-
ohne-Auswirkungen-2053239133
„ACTA und das deutsche Recht“
Blog von Jens Ferner, 01.02.2012,
http://www.ferner-alsdorf.de/2012/02/das-anti-counterfeiting-trade-agreement-acta-und-das-deutsche-
recht/wettbewerbsrecht/strafrecht/rechtsanwalt/verkehrsrecht/
- jedenfalls wertneutral bis Art. 27.
„Ist die ACTA-Hysterie berechtigt?“
RA Stadler, 02.02.2012,
http://www.internet-law.de/2012/02/ist-die-acta-hysterie-berechtigt.html
„Die ACTA-Angst und das Internet“
Referendarin Janina Ruland, Lampmann, Haberkamm, Rosenbaum Anwälte, 21.02.2012
http://www.lhr-law.de/lbr-blog/die-acta-angst-und-das-internet
„Aufstand der Unverstandenen“
Prof. Dr. Dirk Heckmann, Legal Tribune Online, 10.02.2012,
http://www.lto.de/de/html/nachrichten/5547/stopp-acta-aktionstag-aufstand-der-
unverstandenen/
Rechtsanwältin Nina Diercks, M.Litt. 23