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Rechnen oder Rechnen lassen?
Mathematik(unterricht) als Bürgerrecht und
Bürgerpflicht
Assoz. Prof. Dr. Andreas Vohns
Institut für Didaktik der Mathematik
Tagung „Allgemeine Mathematik“
Schloss Rauischholzhausen, 18.06.2015
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Einführung und Überblick
Überblick
• Teil 1:
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
• Teil 2:
Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer)
• Teil 3:
Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens
– eine Einkreisung
• Fazit:
Didaktische Thesen / Desiderata
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
Grunderfahrungen
Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995)
Der Mathematikunterricht sollte anstreben, die folgenden drei
Grunderfahrungen, die vielfältig miteinander verknüpft sind, zu
ermöglichen:
(1) Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder
angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer
spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen,
(2) mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in
Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als
eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu
begreifen,
(3) in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten, die
über die Mathematik hinausgehen, (heuristische Fähigkeiten) zu
erwerben.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
Grunderfahrungen
Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995)
Der Mathematikunterricht sollte anstreben, die folgenden drei
Grunderfahrungen, die vielfältig miteinander verknüpft sind, zu
ermöglichen:
(1) Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder
angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer
spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen,
(2) mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in
Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als
eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu
begreifen,
(3) in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten, die
über die Mathematik hinausgehen, (heuristische Fähigkeiten) zu
erwerben.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
Modellbildung und Aufklärung (1)
Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995)
In (1) ist die Mathematik als nützliche, brauchbare Disziplin
angesprochen und tatsächlich ist sie in dieser Hinsicht von schier
universeller Reichweite. Dies allein impliziert noch nicht eine
Bedeutung für Allgemeinbildung; [. . . ]
Interessant und wirklich unentbehrlich für Allgemeinbildung sind
Anwendungen der Mathematik erst, wenn in Beispielen aus dem gelebten
Leben erfahren wird, wie mathematische Modellbildung funktioniert
und welche Art von Aufklärung durch sie zustande kommen kann,
und Aufklärung ist Bürgerrecht und Bürgerpflicht.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
Sachrechnen und/als Bürgerliches Rechnen
Bürger und Mathematik (Winter, 1990)
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
Sachrechnen und/als Bürgerliches Rechnen
Bürger und Mathematik (Winter, 1990)
Das Dilemma der Zielprojektion zwischen Anpassung und Aufklärung betrifft
[. . . ] die Frage, ob die Schüler in erster Linie [. . . ] für nützlich erachtete
Dinge der späteren privaten Lebens- und Berufspraxis lernen sollten, um
sich dort möglichst erfolgreich (oder gar clever) behaupten zu können,
oder ob die Schüler mehr (bzw. darüber hinaus) zu Bürgern im Sinne von
mündigen Demokraten herangebildet werden sollen, also Weltkenntnis,
Urteilsfähigkeit, Handlungs- und Verantwortungsbereitschaft in Fragen des
öffentlichen Lebens der Menschen erwerben sollen.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
Kommunikationsfähigkeit mit ExpertInnen (Winter!)
Bürger und Mathematik (Winter, 1990)
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
Kommunikationsfähigkeit mit ExpertInnen (Winter!)
Bürger und Mathematik (Winter, 1990)
Man macht es sich zu „bequem“ (Kant, 1784) „wenn man als Laie die
gutachterlichen Äußerungen der Experten gläubig vernehme, ohne sie
begreifen zu können,[. . . ] wenn man also als Laie brav befolgte, was die
Experten und die mit ihnen evtl. verbundenen Machtgruppen sagen.
Soll [. . . ] der >normale Bürger< trotz aller Hemmnisse ein gewisses Maß an
Einsicht, Urteilsfähigkeit und Handlungsorientierung erlangen, erwächst
daraus das Problem der Aufklärung“.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
Modellbildung und Aufklärung (2)
erfordert
Bürger und Mathematik (Winter, 1990)
(1) „eine entschiedene Umorientierung im Gegenständlichen [. . . ]
nämlich eine Abkehr vom Lösen isolierter und letztlich doch nur
fachsystematisch sinnvoller Übungsaufgaben und eine
Hinwendung zum geistigen Ordnen und Deuten von
Situationskomplexen in ihrer mathematisch-sachkundlichen
Doppelnatur, die prinzipiell für alle Menschen wichtig ist“
(2) „Sapere aude!“ i. S. v. Mut, „mehr Selbststätigkeit anzustreben, mehr
entdeckenlassenden Unterricht zu ermöglichen“
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
„Reine Mathematik“ und Aufklärung
Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995)
Der Mathematikunterricht sollte anstreben, die folgenden drei
Grunderfahrungen, die vielfältig miteinander verknüpft sind, zu
ermöglichen:
(1) Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder angehen
sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer spezifischen Art
wahrzunehmen und zu verstehen,
(2) mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in
Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als
eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu
begreifen,
(3) in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten, die
über die Mathematik hinausgehen, (heuristische Fähigkeiten) zu
erwerben.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
„Reine Mathematik“ und Aufklärung
Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995)
Lernende sollen erfahren, „dass Menschen im Stande sind, Begriffe zu
bilden und daraus ganze Architekturen zu schaffen. Oder anders: Dass
strenge Wissenschaft möglich ist“
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
„Reine Mathematik“ und Aufklärung
Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995)
Lernende sollen erfahren, „dass Menschen im Stande sind, Begriffe zu
bilden und daraus ganze Architekturen zu schaffen. Oder anders: Dass
strenge Wissenschaft möglich ist“
Zur Problematik des Beweisbedürfnisses (Winter, 1983)
Lernende erschaffen „selbst den Gegenstand noch einmal neu“ und können
dessen „Richtigkeit [. . . ] jedermann gegenüber aus der Sache heraus
vertreten“
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
„Reine Mathematik“ und Aufklärung
Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995)
Lernende sollen erfahren, „dass Menschen im Stande sind, Begriffe zu
bilden und daraus ganze Architekturen zu schaffen. Oder anders: Dass
strenge Wissenschaft möglich ist“
Zur Problematik des Beweisbedürfnisses (Winter, 1983)
Lernende erschaffen „selbst den Gegenstand noch einmal neu“ und können
dessen „Richtigkeit [. . . ] jedermann gegenüber aus der Sache heraus
vertreten“
Bürger und Mathematik (Winter, 1990)
Lernende emanzipieren sich gegenüber Mathematik, wo „Reflexion auf das
mathematische Tun selbst ein Bewußtsein von den Voraussetzungen und
Möglichkeiten des Denkens vermitteln, das ja jede Aufklärung voraussetzt“
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter)
Mathematik(unterricht) und Anpassung
Sachrechnen (Keitel, 1979)
Lernende erfahren „von früh an, dass sich mit ihrer [Mathematik] Hilfe alle
Probleme [. . . ] lösen lassen, und zwar eindeutig richtig.
Bei Aufgaben, die man nicht lösen kann, versagt nicht die Mathematik,
sondern der Schüler; eine falsche Lösung bedeutet nur, daß man sich
verrechnet hat.
So entsteht die argumentative Stringenz von Berechnungen gleich welcher
Art, die Überzeugungskraft von Zahlen, gleichviel, wie sie zustandekommen,
die überall dort ihre Wirkung tut, wo jemand, der meist länger Mathematik
gelernt hat, diejenigen, die meist weniger Mathematik lernen konnten, von
der Logik und Notwendigkeit einer Absicht oder Maßnahme überzeugen
will.“
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer)
Ausführen und Delegieren
• Bildungsideal:
reflektiert urteils- und entscheidungsfähige/r Laie/Laiin
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer)
Ausführen und Delegieren
• Bildungsideal:
reflektiert urteils- und entscheidungsfähige/r Laie/Laiin
• Gegenwartsdiagnose:
demokratisch verfasste, arbeitsteilig organisierte
Entscheidungsgesellschaft
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer)
Ausführen und Delegieren
• Bildungsideal:
reflektiert urteils- und entscheidungsfähige/r Laie/Laiin
• Gegenwartsdiagnose:
demokratisch verfasste, arbeitsteilig organisierte
Entscheidungsgesellschaft
• Gesellschaftliche Herausforderung:
Expertinnen-Laien-Kommunikation mit asymmetrischer Verteilung von
Information und Verantwortung
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer)
Ausführen und Delegieren
• Bildungsideal:
reflektiert urteils- und entscheidungsfähige/r Laie/Laiin
• Gegenwartsdiagnose:
demokratisch verfasste, arbeitsteilig organisierte
Entscheidungsgesellschaft
• Gesellschaftliche Herausforderung:
Expertinnen-Laien-Kommunikation mit asymmetrischer Verteilung von
Information und Verantwortung
• Bildungsproblem:
Fächerorientierte Allgemeinbildung (Fischer, 2012)
Was man wissen und tun können muss, also lernen sollte, um gut
delegieren zu können und sich beraten zu lassen
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer)
Kommunikationsfähigkeit mit ExpertInnen (Fischer)
Mathematik
Wozu Modellieren? Position 3: Fischer
9
Was soll man  (im Prozess der Bildung) getan haben?
vs.
Was soll (als Ergebnis des Prozesses) über bleiben?
Expertenausbildung
Grundwissen
Begriffe, Konzepte,
Darstellungen
Expertenausbildung
Operatives
Wissen und Können
Generierung von Wissen,
Problemlösung, Beweise
Reflexion(swiss)en
Bedeutung/Grenzen von
Begriffen/Methoden
Allgemeinbildung
Höhere Allgemeinbildung (Fischer, 2001)
Experten müssen in allen drei Bereichen kompetent sein, für die gebildeten
Laien hingegen sind vor allem der erste und der dritte Bereich, also
Grundwissen und Reflexion, von Relevanz.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung
Angelegenheiten des öffentlichen Lebens
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung
Angelegenheiten des öffentlichen Lebens
Politikbegriffe (von Alemann, 2002)
Politik ist öffentlicher Konflikt von Interessen unter den Bedingungen von
Machtgebrauch und Konsensbedarf.
Politikwissenschaft beschäftigt sich mit der so verstandenen Politik
wissenschaftlich in den Dimensionen der politischen Form (polity), der
politischen Inhalte (policy) und der politischen Prozesse (politics).
3
Systematische Dimensionen des Politikbegriffs
Dimension Erscheinungsform Merkmale Bezeichnung
Form - Verfassung
- Normen
- Institutionen
- Organisation
- Verfahrensregelungen
- Ordnung
polity
Inhalt - Aufgaben und Ziele
- politische Programme
- Problemlösung
- Aufgabenerfüllung
- Wert- und Zielorientierung
- Gestaltung
policy
Prozeß - Interessen
- Konflikte
- Kampf
- Macht
- Konsens
- Durchsetzung
politics
Quelle: Böhret u.a. 1988, S. 7
3. Normative Dimensionen des Politikbegriffs: Die Begriffstrias, die übri-Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung
Mathematik und Politik
Mathematik als Erkenntnis- und Konstruktionsmittel kann strukturierend sein
für
• politische Inhalte (policy): Problembeschreibungen,
Gestaltungsmöglichkeiten, Problemlösungsvorschläge, Wert- und
Zielorientierungen
• politische Formen (polity): Verfahrensregelungen, Normsetzungen,
Institutionen, Organisationen
• politische Prozesse (politics): Konflikte, Interessenslagen,
Durchsetzungsformen, Konsensfindungsstrategien
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung
Mathematik und Politik
Mathematik als Erkenntnis- und Konstruktionsmittel kann strukturierend sein
für
• politische Inhalte (policy): Problembeschreibungen,
Gestaltungsmöglichkeiten, Problemlösungsvorschläge, Wert- und
Zielorientierungen
• politische Formen (polity): Verfahrensregelungen, Normsetzungen,
Institutionen, Organisationen
• politische Prozesse (politics): Konflikte, Interessenslagen,
Durchsetzungsformen, Konsensfindungsstrategien
Aber: Mathematisierung ist Teil des Konflikts von Interessen unter den
Bedingungen von Machtgebrauch und Konsensbedarf (politics), dieser ist
durch „mathematische Disziplinierung“ nicht prinzipiell (auf)lösbar.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung
Drei Gesetze
s = 0 · t −

2
· t2
p = ( − 3) · 2
p =
145
100000
· e + 65, 546
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung
Drei Gesetze
Weg-Zeit-Gesetz
s = 0 · t −

2
· t2
p = ( − 3) · 2
p =
145
100000
· e + 65, 546
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung
Drei Gesetze
Weg-Zeit-Gesetz
s = 0 · t −

2
· t2
Normverbrauchsabgabegesetz
p = ( − 3) · 2
p =
145
100000
· e + 65, 546
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung
Drei Gesetze
Weg-Zeit-Gesetz
s = 0 · t −

2
· t2
Normverbrauchsabgabegesetz
p = ( − 3) · 2
Regionales-Preisniveau-Durchschnittseinkommens-„Gesetz“
p =
145
100000
· e + 65, 546
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Didaktische Thesen / Desiderata
Didaktische Thesen / Desiderata
(1) Jeder Mathematikunterricht, ob er will oder nicht, kann im Sinne
„(staats-)bürgerlicher Erziehung“ wirken, aber Mathematikunterricht
wirkt niemals politisch bildend, wenn er sich dieses Zieles nicht explizit
annimmt.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Didaktische Thesen / Desiderata
Didaktische Thesen / Desiderata
(1) Jeder Mathematikunterricht, ob er will oder nicht, kann im Sinne
„(staats-)bürgerlicher Erziehung“ wirken, aber Mathematikunterricht
wirkt niemals politisch bildend, wenn er sich dieses Zieles nicht explizit
annimmt.
(2) Wo schulmathematische Inhalte in redlicher Weise geeignet erscheinen,
außermathematische Phänomene öffentlichen Interesses zu
durchdenken, ebenso wie dort, wo schulmathematische Inhalte faktisch
mit solchen Phänomenen außerhalb von Schule verbunden sind, hat
Mathematikunterricht materiell aufklärende Aufgaben.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Didaktische Thesen / Desiderata
Didaktische Thesen / Desiderata
(3) Dort, wo Argumentationen auf mathematische Hilfsmittel zurückgreifen,
bei denen eine autonome Rekonstruktion in der Realsituation dem Laien
regelmäßig nicht möglich sein wird, bleibt eigentlich kein Ausweg, als
auf Transfer hinzuarbeiten.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit
Didaktische Thesen / Desiderata
Didaktische Thesen / Desiderata
(3) Dort, wo Argumentationen auf mathematische Hilfsmittel zurückgreifen,
bei denen eine autonome Rekonstruktion in der Realsituation dem Laien
regelmäßig nicht möglich sein wird, bleibt eigentlich kein Ausweg, als
auf Transfer hinzuarbeiten.
(4) Mathematikunterricht, der die sogenannte „Reine“, also
nicht-interpretierte Mathematik marginalisiert, läuft nicht minder
Gefahr, Aufklärung zu verhindern.
Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns

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Rechnen oder Rechnen lassen? Mathematik(unterricht) als Bürgerrecht und Bürgerpflicht

  • 1. Rechnen oder Rechnen lassen? Mathematik(unterricht) als Bürgerrecht und Bürgerpflicht Assoz. Prof. Dr. Andreas Vohns Institut für Didaktik der Mathematik Tagung „Allgemeine Mathematik“ Schloss Rauischholzhausen, 18.06.2015
  • 2. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Einführung und Überblick Überblick • Teil 1: Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) • Teil 2: Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer) • Teil 3: Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung • Fazit: Didaktische Thesen / Desiderata Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 3. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) Grunderfahrungen Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995) Der Mathematikunterricht sollte anstreben, die folgenden drei Grunderfahrungen, die vielfältig miteinander verknüpft sind, zu ermöglichen: (1) Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen, (2) mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu begreifen, (3) in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten, die über die Mathematik hinausgehen, (heuristische Fähigkeiten) zu erwerben. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 4. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) Grunderfahrungen Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995) Der Mathematikunterricht sollte anstreben, die folgenden drei Grunderfahrungen, die vielfältig miteinander verknüpft sind, zu ermöglichen: (1) Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen, (2) mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu begreifen, (3) in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten, die über die Mathematik hinausgehen, (heuristische Fähigkeiten) zu erwerben. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 5. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) Modellbildung und Aufklärung (1) Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995) In (1) ist die Mathematik als nützliche, brauchbare Disziplin angesprochen und tatsächlich ist sie in dieser Hinsicht von schier universeller Reichweite. Dies allein impliziert noch nicht eine Bedeutung für Allgemeinbildung; [. . . ] Interessant und wirklich unentbehrlich für Allgemeinbildung sind Anwendungen der Mathematik erst, wenn in Beispielen aus dem gelebten Leben erfahren wird, wie mathematische Modellbildung funktioniert und welche Art von Aufklärung durch sie zustande kommen kann, und Aufklärung ist Bürgerrecht und Bürgerpflicht. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 6. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) Sachrechnen und/als Bürgerliches Rechnen Bürger und Mathematik (Winter, 1990) Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 7. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) Sachrechnen und/als Bürgerliches Rechnen Bürger und Mathematik (Winter, 1990) Das Dilemma der Zielprojektion zwischen Anpassung und Aufklärung betrifft [. . . ] die Frage, ob die Schüler in erster Linie [. . . ] für nützlich erachtete Dinge der späteren privaten Lebens- und Berufspraxis lernen sollten, um sich dort möglichst erfolgreich (oder gar clever) behaupten zu können, oder ob die Schüler mehr (bzw. darüber hinaus) zu Bürgern im Sinne von mündigen Demokraten herangebildet werden sollen, also Weltkenntnis, Urteilsfähigkeit, Handlungs- und Verantwortungsbereitschaft in Fragen des öffentlichen Lebens der Menschen erwerben sollen. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 8. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) Kommunikationsfähigkeit mit ExpertInnen (Winter!) Bürger und Mathematik (Winter, 1990) Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 9. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) Kommunikationsfähigkeit mit ExpertInnen (Winter!) Bürger und Mathematik (Winter, 1990) Man macht es sich zu „bequem“ (Kant, 1784) „wenn man als Laie die gutachterlichen Äußerungen der Experten gläubig vernehme, ohne sie begreifen zu können,[. . . ] wenn man also als Laie brav befolgte, was die Experten und die mit ihnen evtl. verbundenen Machtgruppen sagen. Soll [. . . ] der >normale Bürger< trotz aller Hemmnisse ein gewisses Maß an Einsicht, Urteilsfähigkeit und Handlungsorientierung erlangen, erwächst daraus das Problem der Aufklärung“. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 10. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) Modellbildung und Aufklärung (2) erfordert Bürger und Mathematik (Winter, 1990) (1) „eine entschiedene Umorientierung im Gegenständlichen [. . . ] nämlich eine Abkehr vom Lösen isolierter und letztlich doch nur fachsystematisch sinnvoller Übungsaufgaben und eine Hinwendung zum geistigen Ordnen und Deuten von Situationskomplexen in ihrer mathematisch-sachkundlichen Doppelnatur, die prinzipiell für alle Menschen wichtig ist“ (2) „Sapere aude!“ i. S. v. Mut, „mehr Selbststätigkeit anzustreben, mehr entdeckenlassenden Unterricht zu ermöglichen“ Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 11. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) „Reine Mathematik“ und Aufklärung Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995) Der Mathematikunterricht sollte anstreben, die folgenden drei Grunderfahrungen, die vielfältig miteinander verknüpft sind, zu ermöglichen: (1) Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen, (2) mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu begreifen, (3) in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten, die über die Mathematik hinausgehen, (heuristische Fähigkeiten) zu erwerben. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 12. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) „Reine Mathematik“ und Aufklärung Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995) Lernende sollen erfahren, „dass Menschen im Stande sind, Begriffe zu bilden und daraus ganze Architekturen zu schaffen. Oder anders: Dass strenge Wissenschaft möglich ist“ Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 13. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) „Reine Mathematik“ und Aufklärung Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995) Lernende sollen erfahren, „dass Menschen im Stande sind, Begriffe zu bilden und daraus ganze Architekturen zu schaffen. Oder anders: Dass strenge Wissenschaft möglich ist“ Zur Problematik des Beweisbedürfnisses (Winter, 1983) Lernende erschaffen „selbst den Gegenstand noch einmal neu“ und können dessen „Richtigkeit [. . . ] jedermann gegenüber aus der Sache heraus vertreten“ Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 14. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) „Reine Mathematik“ und Aufklärung Mathematikunterricht und Allgemeinbildung (Winter, 1995) Lernende sollen erfahren, „dass Menschen im Stande sind, Begriffe zu bilden und daraus ganze Architekturen zu schaffen. Oder anders: Dass strenge Wissenschaft möglich ist“ Zur Problematik des Beweisbedürfnisses (Winter, 1983) Lernende erschaffen „selbst den Gegenstand noch einmal neu“ und können dessen „Richtigkeit [. . . ] jedermann gegenüber aus der Sache heraus vertreten“ Bürger und Mathematik (Winter, 1990) Lernende emanzipieren sich gegenüber Mathematik, wo „Reflexion auf das mathematische Tun selbst ein Bewußtsein von den Voraussetzungen und Möglichkeiten des Denkens vermitteln, das ja jede Aufklärung voraussetzt“ Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 15. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Bürgerliches Rechnen, Aufklärung und Modellbildung (Winter) Mathematik(unterricht) und Anpassung Sachrechnen (Keitel, 1979) Lernende erfahren „von früh an, dass sich mit ihrer [Mathematik] Hilfe alle Probleme [. . . ] lösen lassen, und zwar eindeutig richtig. Bei Aufgaben, die man nicht lösen kann, versagt nicht die Mathematik, sondern der Schüler; eine falsche Lösung bedeutet nur, daß man sich verrechnet hat. So entsteht die argumentative Stringenz von Berechnungen gleich welcher Art, die Überzeugungskraft von Zahlen, gleichviel, wie sie zustandekommen, die überall dort ihre Wirkung tut, wo jemand, der meist länger Mathematik gelernt hat, diejenigen, die meist weniger Mathematik lernen konnten, von der Logik und Notwendigkeit einer Absicht oder Maßnahme überzeugen will.“ Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 16. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer) Ausführen und Delegieren • Bildungsideal: reflektiert urteils- und entscheidungsfähige/r Laie/Laiin Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 17. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer) Ausführen und Delegieren • Bildungsideal: reflektiert urteils- und entscheidungsfähige/r Laie/Laiin • Gegenwartsdiagnose: demokratisch verfasste, arbeitsteilig organisierte Entscheidungsgesellschaft Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 18. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer) Ausführen und Delegieren • Bildungsideal: reflektiert urteils- und entscheidungsfähige/r Laie/Laiin • Gegenwartsdiagnose: demokratisch verfasste, arbeitsteilig organisierte Entscheidungsgesellschaft • Gesellschaftliche Herausforderung: Expertinnen-Laien-Kommunikation mit asymmetrischer Verteilung von Information und Verantwortung Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 19. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer) Ausführen und Delegieren • Bildungsideal: reflektiert urteils- und entscheidungsfähige/r Laie/Laiin • Gegenwartsdiagnose: demokratisch verfasste, arbeitsteilig organisierte Entscheidungsgesellschaft • Gesellschaftliche Herausforderung: Expertinnen-Laien-Kommunikation mit asymmetrischer Verteilung von Information und Verantwortung • Bildungsproblem: Fächerorientierte Allgemeinbildung (Fischer, 2012) Was man wissen und tun können muss, also lernen sollte, um gut delegieren zu können und sich beraten zu lassen Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 20. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Ausführen, Delegieren, Reflektieren und Entscheiden (Fischer) Kommunikationsfähigkeit mit ExpertInnen (Fischer) Mathematik Wozu Modellieren? Position 3: Fischer 9 Was soll man  (im Prozess der Bildung) getan haben? vs. Was soll (als Ergebnis des Prozesses) über bleiben? Expertenausbildung Grundwissen Begriffe, Konzepte, Darstellungen Expertenausbildung Operatives Wissen und Können Generierung von Wissen, Problemlösung, Beweise Reflexion(swiss)en Bedeutung/Grenzen von Begriffen/Methoden Allgemeinbildung Höhere Allgemeinbildung (Fischer, 2001) Experten müssen in allen drei Bereichen kompetent sein, für die gebildeten Laien hingegen sind vor allem der erste und der dritte Bereich, also Grundwissen und Reflexion, von Relevanz. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 21. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung Angelegenheiten des öffentlichen Lebens Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 22. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung Angelegenheiten des öffentlichen Lebens Politikbegriffe (von Alemann, 2002) Politik ist öffentlicher Konflikt von Interessen unter den Bedingungen von Machtgebrauch und Konsensbedarf. Politikwissenschaft beschäftigt sich mit der so verstandenen Politik wissenschaftlich in den Dimensionen der politischen Form (polity), der politischen Inhalte (policy) und der politischen Prozesse (politics). 3 Systematische Dimensionen des Politikbegriffs Dimension Erscheinungsform Merkmale Bezeichnung Form - Verfassung - Normen - Institutionen - Organisation - Verfahrensregelungen - Ordnung polity Inhalt - Aufgaben und Ziele - politische Programme - Problemlösung - Aufgabenerfüllung - Wert- und Zielorientierung - Gestaltung policy Prozeß - Interessen - Konflikte - Kampf - Macht - Konsens - Durchsetzung politics Quelle: Böhret u.a. 1988, S. 7 3. Normative Dimensionen des Politikbegriffs: Die Begriffstrias, die übri-Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 23. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung Mathematik und Politik Mathematik als Erkenntnis- und Konstruktionsmittel kann strukturierend sein für • politische Inhalte (policy): Problembeschreibungen, Gestaltungsmöglichkeiten, Problemlösungsvorschläge, Wert- und Zielorientierungen • politische Formen (polity): Verfahrensregelungen, Normsetzungen, Institutionen, Organisationen • politische Prozesse (politics): Konflikte, Interessenslagen, Durchsetzungsformen, Konsensfindungsstrategien Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 24. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung Mathematik und Politik Mathematik als Erkenntnis- und Konstruktionsmittel kann strukturierend sein für • politische Inhalte (policy): Problembeschreibungen, Gestaltungsmöglichkeiten, Problemlösungsvorschläge, Wert- und Zielorientierungen • politische Formen (polity): Verfahrensregelungen, Normsetzungen, Institutionen, Organisationen • politische Prozesse (politics): Konflikte, Interessenslagen, Durchsetzungsformen, Konsensfindungsstrategien Aber: Mathematisierung ist Teil des Konflikts von Interessen unter den Bedingungen von Machtgebrauch und Konsensbedarf (politics), dieser ist durch „mathematische Disziplinierung“ nicht prinzipiell (auf)lösbar. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 25. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung Drei Gesetze s = 0 · t −  2 · t2 p = ( − 3) · 2 p = 145 100000 · e + 65, 546 Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 26. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung Drei Gesetze Weg-Zeit-Gesetz s = 0 · t −  2 · t2 p = ( − 3) · 2 p = 145 100000 · e + 65, 546 Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 27. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung Drei Gesetze Weg-Zeit-Gesetz s = 0 · t −  2 · t2 Normverbrauchsabgabegesetz p = ( − 3) · 2 p = 145 100000 · e + 65, 546 Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 28. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Mathematik in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens – eine Einkreisung Drei Gesetze Weg-Zeit-Gesetz s = 0 · t −  2 · t2 Normverbrauchsabgabegesetz p = ( − 3) · 2 Regionales-Preisniveau-Durchschnittseinkommens-„Gesetz“ p = 145 100000 · e + 65, 546 Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 29. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Didaktische Thesen / Desiderata Didaktische Thesen / Desiderata (1) Jeder Mathematikunterricht, ob er will oder nicht, kann im Sinne „(staats-)bürgerlicher Erziehung“ wirken, aber Mathematikunterricht wirkt niemals politisch bildend, wenn er sich dieses Zieles nicht explizit annimmt. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 30. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Didaktische Thesen / Desiderata Didaktische Thesen / Desiderata (1) Jeder Mathematikunterricht, ob er will oder nicht, kann im Sinne „(staats-)bürgerlicher Erziehung“ wirken, aber Mathematikunterricht wirkt niemals politisch bildend, wenn er sich dieses Zieles nicht explizit annimmt. (2) Wo schulmathematische Inhalte in redlicher Weise geeignet erscheinen, außermathematische Phänomene öffentlichen Interesses zu durchdenken, ebenso wie dort, wo schulmathematische Inhalte faktisch mit solchen Phänomenen außerhalb von Schule verbunden sind, hat Mathematikunterricht materiell aufklärende Aufgaben. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 31. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Didaktische Thesen / Desiderata Didaktische Thesen / Desiderata (3) Dort, wo Argumentationen auf mathematische Hilfsmittel zurückgreifen, bei denen eine autonome Rekonstruktion in der Realsituation dem Laien regelmäßig nicht möglich sein wird, bleibt eigentlich kein Ausweg, als auf Transfer hinzuarbeiten. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns
  • 32. Einführung Teil I Teil II Teil III Fazit Didaktische Thesen / Desiderata Didaktische Thesen / Desiderata (3) Dort, wo Argumentationen auf mathematische Hilfsmittel zurückgreifen, bei denen eine autonome Rekonstruktion in der Realsituation dem Laien regelmäßig nicht möglich sein wird, bleibt eigentlich kein Ausweg, als auf Transfer hinzuarbeiten. (4) Mathematikunterricht, der die sogenannte „Reine“, also nicht-interpretierte Mathematik marginalisiert, läuft nicht minder Gefahr, Aufklärung zu verhindern. Rechnen oder Rechnen lassen? Andreas Vohns