Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach Zeitzeugengesprächen
1. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
1. Forschungsfragen (Auswahl)
2. Methode/ Sample
3. Theoretischer Hintergrund: Verschränkung von kognitiven und
emotional-motivationalen Aspekten der historische Sinndeutungen
in Schülernarrativen nach Zeitzeugengesprächen
4. Beispiele
• Untersuchungsgegenstand
• psychische Funktionen von Zeitzeugengesprächen
5. Erste Ergebnisse in 10 Thesen
• „Emotional- Motivational“: Identitäre Auseinanderssetzung mit Geschichte und
psychischen Funktionen von Zeitzeugenbegegnungen
• „Kognitiv:“ Historische Frage-, Orientierungs- und narrative Kompetenzen
Katharina Obens: „Täter, Opfer, Jedermann“, 14. Februar 2013 1
2. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
1) Forschungsfragen
1. In welcher Form werden divergierende hist. Sinndeutungen von
Zeitzeugen und Schüler(innen) („Gegenerinnerungen“) im
Zeitzeugengespräch virulent?
2. Welche emotionalen Spuren finden sich in den historischen Narrationen
von Schüler(innen) nach den Zeitzeugengesprächen?
3. Welche psychischen Funktionen hat die Beschäftigung mit NS-Geschichte
mittels der Zeitzeugenerzählung für die Jugendlichen?
4. Inwieweit korrespondieren emotionale Zugangsweise zum Zeitzeugen und
eigene identitäre Selbstverortung der Zuhörer(innen)?
5. In welcher Form lässt sich ein „Lernfortschritt“ in der Verschränkung
kognitiver und emotional-motivationaler Anteile der historischen
Sinnbildung/ Identitätsentwicklung bei den Schüler(innen) feststellen?
Katharina Obens: „Täter, Opfer, Jedermann“, 14. Februar 2013 2
3. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
2) Methode
• Dokumentarische Methode/ Grounded Theory
• Kreuzdesign
• Zeitzeugennarrationen: Oblique Hermeneutik (Quindeau)/
Erinnerungsmuster (Jureit)
2a) Sample
• 30 teilnehmende Beobachtungen an ZZG mit NS-Opfern
• Gruppendiskussionen mit 235 Teilnehmer(innen)
• 4 Einzelinterviews/ div. Experteninterviews
• 7 Interviews mit Zeitzeugen
• Nachhaltigkeit: Befragung von 616 JMB-Besuchern (/ Online-Befragung
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4. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
3) Theoretischer Hintergrund: Geschichtsdidaktische/
Psychologische Theorien zum Thema
• Narratives Paradigma in der Geschichtsdidaktik
• Transkulturelles Geschichtslernen: Geschichten ausgeübter und erlittener
Gewalt/ Anerkennung von Verletzungen (Straub 2012)
• Psychische Funktionen historischer Narrative: Selbstrechtfertigung, Entlastung
des Gewissens, Selbsterhöhung, Idealisierung, Selbstbezichtigung,
Selbstreflexion, Abfuhr von Aggressionen, Angstverarbeitung, Angstreduktion,
Heilung, Wunscherfüllung oder Kontingenzbearbeitung (Kölbl 2004)
• Interkulturelles Geschichtslernen (Barricelli/ Kölbl)
• (Historische) Empathie (Emme, Abram, Heyl, Kößler)
• „Mikro-Narrative“; „Wer darf wann welche Geschichten erzählen?“ (Lücke 2012)
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5. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
4) Daten Zeitzeugengespräch: Fragen an eine Jüdin, die
in Berlin im Versteck überlebte
1. Kontakt zu nicht-jüdischen Kinder während der Schulzeit?
2. Ausgrenzung durch nicht-jüdische Mitschüler und Lehrer an der öffentlichen Schule?
3. Erleben des alltäglichen Antisemitismus?
4. Nachfragen zu konkreten Details (Sportart, falsche Papiere)
5. Warum nicht in einen öffentlichen, sondern einen jüdischen Sportverein?
6. Kontakt zu Freunden, Freizeitverhalten zu Zeiten der Judenverfolgung
7. „Ich kann´s alles eigentlich nicht vorstellen, aber wie ist das, wenn man schon so jung
aufwächst und immer wieder verfolgt wird. Wenn man danach in 'ner Gesellschaft ist
und dann denkt, die Leute gehören dazu, wie, wie kann man denn nach dem Krieg
danach, noch ne Identität aufbauen, wie fühlt man sich dann?“
8. Was passierte, als ihre Eltern deportiert wurden, waren Sie dann ganz allein?
9. Woher kam die Überzeugung, dass Sie meinten, Sie würden überleben?
10. Wie ging es nach 1945 weiter?
Katharina Obens: „Täter, Opfer, Jedermann“, 14. Februar 2013 5
6. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
4) Daten Gruppendiskussion: Erinnerungen an Geschichts-
Geschichten
w3: Dass alle wieder zusammenkommen! ((euphorisch, glücklich, niedlich, kindlich))
m5: Bei mir ist hängengeblieben, ähm, wie die Geschichte, die er erzählt hat, dass, ähm, der
Freund der Familie gerade entlassen wurde ausm KZ (…) die absolut traurige Augen
hatten, kahl waren, mager, abgemagert, also das ist eigentlich so die extremste
Illustration auch für mich, die sich so in meinem Kopf dann festgefressen hat.
w7: (…) z.B. sein Vater, dass der so das den Russen zugetraut hätte, den Ukrainern und auch
den Anderen, aber (…) den Deutschen, bloß nicht den Deutschen und so, das war so, ich
glaub, so hab ich das glaub ich das erste Mal gehört. Das fand ich so `hmm´.
w4: (…) also ich fand irgendwie einfach auch cool zu sehen, dass einfach auch unter
den Juden, wo so viele denken, dass sie so meistens so orthodox sind oder so, dass es da
auch welche gibt, die halt so'n bisschen locker …
m6: Aber ich fand, eine Sache fand ich, was du eben grad angesprochen hast mit der Karikatur
mit dem Stürmer, wo irgendwer gefragt hatte, ja wie sie damit umgegangen, da meinte er
so `ja der sieht halt aus wie ich´ ((Gruppe lacht)).
m1: @ Guckt euch meine Nase an @ .[GD LEW 636-776]
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7. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
4) Daten Gruppendiskussion: Erinnerungen an Geschichts-
Geschichten
Richard (19 J.): (…) ich glaube in dem Moment war diese Angst
einfach so groß. Das ist das mit dem Ohnmachtsgefühl, was ich
hier vorhin angesprochen hab. Sie steht da als 14-jähriges
Mädchen eigentlich alt genug, um zumindest irgendwas sagen zu
können, aber nicht alt genug, um irgendwas tun zu können. Schon
gar nicht als jüdisches Mädchen. Und sie steht dann da und drei
von ihr geliebte Menschen sind einfach weg und sie weiß nicht was
jetzt passiert. Werden die irgendwohin mitgenommen, werden die
auf der Straße erschossen? (…) Sie weiß nicht, was mit denen
passiert und ob sie sie wiedersieht, und ich glaub in dem Moment
tut das so weh, weil du einfach nicht weißt, was du machen kannst.
Und dadurch, dass sie wiedergekommen sind, ging's wieder.
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8. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
4a) Psychische Funktionen des
Zeitzeugengesprächs: Aggressive
Schamabwehr
Johannes (18 J.): Vielleicht das Schlimmste an
diesem ganzen Nationalsozialismus ist eigentlich das
Klischee, was wir als Deutsche damit aufgebaut
haben. (...) Und das ist ja ein ganz schwieriges
Thema, weil die Leute immer nur mit dieser
Einstellung auf einen zugehen. Und schwer zu
überzeugen, wir tragen es immer mit und tragen
eigentlich so eine Weltschuld auf uns.
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9. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
4) Psychische Funktionen des
Zeitzeugengesprächs: Beispiel „Entlastung
durch Happy End“
w2: Ich fand ihn absolut niedlich. (…) er hatte (…) so ne offene und
eigentlich freundliche Art, obwohl ihm, äh, so was Schlimmes
passiert ist und, ähm, ja, dass er auch so seine Scherzchen so
zwischendurch gemacht hat. Ich fand das absolut, äh, angenehm,
aber trotzdem interessant und trotzdem, ja jetzt nicht, dass ich
jetzt hier groß belustigt war oder so, es hat mich natürlich auch
bewegt (…)
w3: Ich fand schön, dass er das Ende noch nicht verraten hat. (…)
das fand ich schön, ja wie bei so nem Film ((Lachen)) so'n
Happy End, ich mag Filme mit Happy End, ja.
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10. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
4a) Psychische Funktionen des
Zeitzeugengesprächs: Beispiel „Heilung“
Daniel (19 J.): Wir geben mit unserer
Anteilnahme auch wieder so´n, so´n bisschen
wieder die Heimat zurück eigentlich. Wir
zeigen damit auch, dass wir total anders sind.
Dass wir aufarbeiten, dass wir das alles
aufarbeiten und dass wir alles besser machen
wollen, dass er hier wieder zuhause ist. Er hat
ja auch gesagt, dass er gern in Berlin war.
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11. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
Thesen I: Interaktion
1. Historisches Erinnern erfolgt im Zeitzeugengespräch im
Modus des Erzählens - und dennoch bleibt vieles
ungesagt. Fragen, wie „Wer fühlt sich zu welche
Kollektiv zugehörig?“, sind virulenter als in anderen
Formen des Geschichtslernens
2. Die empathische Perspektivübernahme ist von
geschichtlichem Wissen ebenso abhängig wie von der
identitären Selbstverortung der Schüler(innen)
3. Irritation durch die scheinbare Diskrepanz zwischen der
Brutalität der Erzählung und dem äußerlichen
Ruhigbleiben der Zeitzeugen
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12. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
Thesen II: Identität & historische Sinnbildung
1. In den Gruppendiskussionen nach
Zeitzeugenbegegnungen dominiert die
Auseinandersetzung mit den emotionalen und
identitären Aspekten der historischen Sinndeutung
2. Die Erzählungen ins. jüdischer Zeitzeugen wird von den
Schüler(innen) bin unterschiedlichem Maße als
„Gegenerinnerung“, bzw. „Erinnerung von der anderen
Seite“ wahrgenommen
3. Identifizierendes Nach-Erzählen ist vermehrt bei
Jugendlichen beobachtbar, die nicht nur deutsche,
nicht-jüdische Großeltern haben, bzw. die sich in
Gruppenzugehörigkeit mit dem Zeitzeugen empfinden
(jüdische Schüler(innen); „linke Schüler(innen)“;
Zeugen Jehova)
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13. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
Thesen III: Historisches Lernen
1. Das Geschichtsinteresse, die Vorbereitung,
Freiwilligkeit der Teilnahme und Form der Interaktion
haben großen Einfluss auf die empathische
Bezugnahme, die Fragemotivation und die emotionale
Verarbeitung der Gespräche
2. Es kann möglicherweise eine Stärkung der Frage- und
Orientierungskompetenz festgestellt werden (keine Vor-
ab-Untersuchung durchgeführt)
3. Schülernarrationen der „Geschichts-Geschichten“
erfolgen meist im Modus der Nacherzählung
4. Umerzählungen oder rezensierendes Erzählen ist
seltener zu beobachten
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14. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
Nachhaltigkeit
616 Besucher JMB wurden befragt ob sie schon einmal mit einem
Holocaust-Überlebenden gesprochen hätten und um eine Schilderung
ihrer Erinnerungen daran gebeten
Ja= 147 Personen (23,9 %)
Die Auswertung lässt die Vermutung zu, dass in erster Linie die
Emotionalität und Intensität des intergenerationellen Austausches eine
besondere Gedächtniskraft besitzt. Fakten u. Namen wurden
verhältnismäßig selten genannt. Beispiele/Zitate:
# Gefühle der Ohnmacht gegenüber der Ereignisse in NS
# aus Aalen, Imo Moskowicz, einziger Auschwitz Überlebender, sein Buch gelesen, persönliche Erinnerungen
prägnanter
# in Auschwitz- very important for me
# In H-Stadt, in meiner Schule, sehr trauriges Gespräch, hat Familie verloren
# bewegend, war in der Schule, in dem Alter zu viel Emotionalität, habe das nicht verstanden, es war einprägsam
Katharina Obens: „Täter, Opfer, Jedermann“, 14. Februar 2013 14
15. Werkstattbericht: Schülervorstellungen nach
Zeitzeugengesprächen mit NS-Überlebenden
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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