3. 1. Einleitung und Evaluationsziel
Im Rahmen des Wahlfachs “Grundlagen des Terrorismus und Strategien zur Konfliktlö-
sung (Prof. Dr. S. Hartwig)” sollen das Thema “Chemischekampfstoffe seit 1900” in dieser
Hausarbeit erarbeite werden. Ziel dieser Ausarbeitung ist die Betrachtung der Relevanz
von Chemischenkampfstoffen im Kontext terroristischen Handelns. Ausgehend von ei-
ner Kommunikationsfunktion terroristischer Akte1 ist eine Gefährdung der Bevölkerung
durch chemische Kampfstoffe anzunehmen2. Die Kommunikationsfunktion eines terro-
ristischen Anschlages ist vielschichtig und durch die Art der terroristischen Motivation
geprägt. Jedoch ist davon Auszugehen das die Möglichkeit besteht, das Terroristen ih-
re Botschaft mittels Chemischeskampfstoffe übermitteln könnten. Diese Annahme kann
durch den Anschlag der Aun Sekte3 auf die U-Bahn Tokios bekräftigt. Hier wurde durch
eine terroristische Vereinigung ein Anschlag mittels des chemischen Kampfstoffes Sarin
durchgeführt.
Die Betrachtung der Grundlagen aus welchem Grund und in welcher Form terroris-
tische Handlungen mittels chemischer Kampfstoffe durchgeführt werden wird in dieser
Hausarbeit bewusst nicht durchgeführt. Da von der Möglichkeit des Einsatzes von che-
mischen Kampfstoffen ausgegangen werden kann, soll eine Betrachtung der bekannten
Stoffe hinsichtlich ihrer aktuellen Relevanz erfolgen. Die Relevanz wird in dieser Arbeit
durch ihre Einsatzwahrscheinlichkeit ausgedrückt. Um eine Aussage über die Einsatz-
wahrscheinlichkeit treffen zu können sollen zunächst alle historisch seit 1900 bekannten
chemischen Kampfstoffe erfasst werden und Gruppiert werden. Als Hypothese wird an-
genommen, dass sich die verwendeten Stoffe bezüglich ihrer Eigenschaften unterscheiden,
es also zu einer Entwicklung kam.
Um die Gruppe der zu betrachtenden Stoffe einzugrenzen und zu definieren werden
in dieser Arbeit chemische Kampfstoffe über ihren Einsatz als Mittel zur Schädigung
der gegnerischen Partei innerhalb eines militärischen Konfliktes definiert. Es werden also
nur solche Stoffe betrachtet, welche direkt ausgebracht werden. Hierdurch sind solche
Stoffe ausgeschlossen welche durch Zerstörung von Gebäuden, Produktionsanlagen o.ä.
freigesetzt wurden und dann zu einer Schädigung der “gegnerischen Partei” führten.4.
Das Evaluationsziel dieser Arbeit ist die Erarbeitung einer Aussage über die Einsatz-
wahrscheinlichkeit eines bestimmten chemischen Kampfstoffes in einem terroristischen
Konflikt.
1
vgl. Vorlesung Wahlfach: “Grundlagen des Terrorismus und Strategien zur Konfliktlösung (Prof. Dr.
S. Hartwig)”
2
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (2010).
3
Lit, Zeitpunkt
4
vgl. brennende Ölquellen innerhalb des Irakkonfliktes
3
4. 2. Methodik
Um eine Aussage über die Einsatzwahrscheinlichkeit eines bestimmten Stoffes treffen zu
können erfolgt zunächst eine Literaturrecherche der bekannten chemischen Kampfstoffe.
Es folgt eine chronologische Darstellung der Verwendung von chemischen Kampfstof-
fen. Durch diesen Schritt werden die zu betrachtenden Stoffe eingegrenzt.5 Als nächster
Schritt werden Kennwerte entwickelt, welche zu einer Bewertung der Stoffe hinsichtlich
ihrer terroristischen Relevanz. Als Hypothese wird hier angenommen, dass die militä-
risch und terroristische Relevanz eines Kampfstoffe differiert. Diese Annahme erfolgt auf
der Grundlage der unterschiedlichen Zielsetzungen. Militärische Ziele differieren von ter-
roristischen Zielen. Nach Erarbeitung der terroristisch relevanten Kennwerte chemischer
Kampfstoffe erfolgt eine Auflistung der einzelnen Kampfstoffe mit diesen Kennwerten, so-
wie eine anschließende Gruppierung der Stoffe bezüglich der dargestellten Eigenschaften.
Im letzten Schritt soll eine Gewichtung der einzelnen Gruppen bezüglich ihrer Wertigkeit
für einen terroristischen Einsatz erfolgen.
Diese Arbeit gliedert sich in folgende Schritte:
1. Literaturrecherche, um die relevanten Stoffe zu erfassen
2. Entwicklung von Kennwerten, welche terroristisch relevant sind
3. Auflistung und Gruppierung der relevanten Stoffe bezüglich der erarbeiteten Kenn-
werte
4. Gewichtung der Kennwerte und Interpretation der gebildeten Gruppen hinsichtlich
des Evaluationszieles
5
Diskussionswürdig ist ob mit diesem Ansatz alle Stoffe erfasst werden können
4
5. 3. Geschichte der Kampfstoffe
Alexander Hintzen, Thomas Krause
3.1. Verwendung während dem ersten Weltkrieg
Der Einsatz von chemischen Kampfstoffen wurde im 20 Jahrhundert erstmals im größe-
ren Maße im Ersten Weltkrieg von Bedeutung. Das Problem um die Stoffe entsprechend
einzusetzen war damals noch die Beschaffung. Aus diesem Grunde musste man sich da-
mals aus den Stoffen, die in der Industrie Verwendung fanden, beschränken. Gase wie
Arsenwasserstoff, Chlor, Cyanwasserstoff oder Phosgen waren in dieser Zeit für die da-
mals noch „junge chemische Kriegsführung“ von großer Wichtigkeit. So mussten zunächst
schwerwiegende Nachteile in Kauf genommen werden. Zum einen waren sie durch wech-
selnde Windrichtungen unberechenbar (so konnte eine Gaswolke auf die eigene Stellung
zurückgeweht werden), und andererseits verflüchtigte sich das Gas relativ schnell.
Später versuchte man diese Probleme durch die Verwendung von Flüssigkeiten zu lö-
sen. Diese wurden als Aerosole versprüht und somit den Vorteil, dass sie am Boden aber
auch an Personen selbst haftenblieben. Gelangt solch ein Stoff auf die ungeschützte Haut
eines Menschen diffundiert dieser durch sie hindurch in die Blutbahn und wird so schnell
im ganzen Organismus verteilt. Gegen diese Stoffe konnten auch die damaligen Gasmas-
ken keinen ausreichenden Schutz bieten, nur ein Ganzkörperschutzanzug stellte einen
ausreichenden Schutz dar.
Im Laufe des Ersten Weltkriegs wurde jedoch schnell klar, dass sich der Einsatz che-
mischer Kampfstoffe von einer billigen und vergleichsweise „humanen“ Waffe zu einem
Waffensystem entwickelte, dessen zunehmend grausame Wirkungen in keinem Verhältnis
zur Effizienz ihrer Anwendung mehr standen, wie beispielsweise die oben angesprochene
Windproblematik, was den Einsatz häufig unkalkulierbar machte.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs ist eine Aussage des damaligen englischen Kriegsmi-
nisters Winston Churchill der nach einem Giftgaseinsatz gegen die Kurden in Sulaimaniy-
ya im heutigen Irak. Vorbehalte britischer Militärs wies er wie folgt zurück: „Ich verstehe
die Zimperlichkeit bezüglich des Einsatzes von Gas nicht. Ich bin sehr dafür, Giftgas
gegen unzivilisierte Stämme einzusetzen“, ließ er verlauten. Das eingesetzte Gas müsse
ja nicht tödlich sein, sondern nur „große Schmerzen hervorrufen und einen umfassenden
Terror verbreiten“.6
Die Verwendung von chemischen Waffen erregte die ganze Welt. Zwar war schon vor
dem Ersten Weltkrieg deren Einsatz durch die Haager Landkriegsordnung geächtet, deren
Formulierung bot jedoch ausreichend Spielraum zu verschiedenen Auslegungen, so dass
der Einsatz von Giftgas nicht eindeutig verboten war. Angesichts der Gräuel des Ersten
Weltkrieges wurde 1925 im Genfer Protokoll die Anwendung von Giftgasen und bakterio-
logischen Mitteln ausdrücklich verboten. Die USA traten diesem Vertrag allerdings erst
am 10.04.1975 bei.7
6
Gellermann (1986).
7
International Committee of Red Cross.
5
6. 3.2. Verwendung während dem zweiten Weltkrieg
Während des Zweiten Weltkrieges fand dieses Protokoll, chemische und biologische Waf-
fen zur Kriegsführung einzusetzen, nur auf dem europäischen Kriegsschauplatz Beach-
tung. Hier versuchte man sich lediglich durch die Androhungen der Verwendung von
chemischen Waffen gegenseitig einzuschüchtern.8
Die einzige Nation die während des zweiten Weltkrieges chemische Waffen einsetzte,
war das Kaiserreich Japan. Sie setzten sie zusammen mit biologischen Waffen in China
sowohl gegen chinesische Truppen als auch zur gezielten Massentötung von Zivilisten
ein.9
Deutschland hatte Ende der dreißiger Jahre als erste Nation die großtechnische (in-
dustrielle) Produktion von Nervengasen entwickelt, war also als einzige Kriegspartei zur
Herstellung von Nervengasen im Kilogramm- und Tonnenbereich in der Lage. Dieser
Umstand, gekoppelt mit der Verfügbarkeit modernster Trägersysteme wie der V-2 Ra-
kete, hätte die politische Führung in die Lage versetzt, einen strategischen Gaskrieg zu
entfesseln, der unter Umständen von der Tragweite her ähnlich gravierend hätte sein
können wie die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Zu einem Gaskrieg
kam es glücklicherweise nicht, dennoch wurden in Deutschland chemische Kampfstoffe
massenweise in den Gaskammern der deutschen Vernichtungslager eingesetzt. Hier wur-
den viele Opfer des Holocaust mit dem blausäurehaltigen Insektizid Zyklon B und mit
Motorabgasen (Kohlenstoffmonoxid) ermordet.
3.3. Verwendung während des Vietnamkrieges
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden noch chemische Waffen eingesetzt. Während
des Vietnamkrieges setzten Frankreich und die USA zunächst noch auf konventionel-
le Brandbomben wie Napalm gegen die Nordvietnamesen ein. Die Regierung Kennedy
setzte ab 1961 auf den systematischen Einsatz von Chemikalien gegen Nordvietnam (Ope-
ration Ranch Hand). Die hierbei als Entlaubungsmittel eingesetzten Herbizide (vor allem
Agent Orange) waren keine chemischen Waffen im eigentlichen Sinne, sondern sollten dem
Gegner die Deckung durch die Vegetation nehmen sowie seine Ernte vernichten. Jedoch
verursachte Agent Orange durch die Verunreinigung mit 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin,
schwere gesundheitliche Schäden unter der Bevölkerung und Soldaten beider Seiten.10
3.4. Verwendung während des Irak-Konfliktes
Ein paar Jahre später, 1980, setzte die irakische Armee zu Beginn des ersten Golfkriegs
auf Weisung Saddam Husseins chemische Waffen gegen den Iran ein.So warf die irakische
Luftwaffe bereits 1980 speziell dafür entwickelte Kanister mit chemischen Kampfstoffen
über iranischen Stellungen ab. Bekanntheit erlangte der Giftgasangriff auf die Fernver-
kehrsstraße am 9. August 1983 Rawanduz–Piranshahr.11
8
Harris/Paxman (1985).
9
André Kunz (26.08.2002).
10
Harris/Paxman (1985).
11
Fürtig (1992).
6
7. Während des Golfkriegs wurden insgesamt ca. 100.000 iranische Soldaten Opfer von
Gasangriffen, meist durch Senfgas. Da Giftgas während der Kämpfe auch auf Stellungen
und Posten abgeworfen wurde, die sich in oder um Dörfer befanden und deren Einwohner
keine Möglichkeit hatten sich gegen die Gase zu schützen, gab es auch unter der Zivil-
bevölkerung sehr viele Opfer. Außerdem wurden durch den Einsatz verschiedener Gase
Gebiete mit gefährlichen chemischen Schadstoffen kontaminiert.
Der Irak setzte chemische Waffen auch gezielt ein, um Zivilisten zu töten. Tausende
wurden bei Giftgasangriffen auf Dörfer, Städte und Frontkrankenhäuser getötet. Bekann-
testes Beispiel ist der Giftgasangriff auf Halabdscha am 16. März 1988, bei dem etwa
5000 irakische Kurden getötet und 7000 bis 10.000 so schwer verletzt wurden, dass viele
von ihnen später starben. Die irakischen Streitkräfte setzten mehrere verschiedene Gase
gleichzeitig ein. Dazu gehören Nervengase wie Tabun, Sarin und möglicherweise VX aber
auch Senfgas und ein Zyanidkampfstoff.
3.4.1. Terroristische Verwendung durch die Aum-Sekte
Nicht nur im Rahmen von Kriegsführung fanden Chemische Kampfstoffe ihren Einsatz,
sondern auch im Terrorismus. Am 20.03.1995 kam es beim Terror-Anschlag der japani-
schen Aum-Sekte zur Freisetzung des Nervengases Sarin in der U-Bahn von Tokyo. Es
gab 12 Tote und über 5000 Verletzte.12
3.4.2. Verwendung im 20. Jahrhundert
Im Oktober 2002 verwendeten russische Sicherheitskräfte in Moskau vermutlich das Opio-
id Carfentanyl und das Anästhetikum Halothan in Form eines Aerosol-Gas-Gemischs, um
Terroristen kampfunfähig zu machen, die in einem Musical-Theater 800 Geiseln festhiel-
ten. Alle Geiselnehmer und über 129 Geiseln kamen ums Leben. Die meisten aufgrund
des Gases. Viele erlagen im Krankenhaus ihren Vergiftungen, wozu möglicherweise auch
die fehlende Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit den Ärzten beigetragen hat. Der
Einsatz von Carfentanyl wurde offiziell nie bestätigt, möglicherweise im Hinblick auf die
von Russland ratifizierte Chemiewaffenkonvention.13
Während des Irakkrieges setzte eine Terrororganisation chemische Waffen hauptsäch-
lich gegen Zivilisten ein, aber auch gegen US-Soldaten und irakische Soldaten und Polizis-
ten. Bei dem eingesetzten Gas handelte es sich um Chlorgas. Da die Anschläge alle unter
freiem Himmel durchgeführt wurden, war die Zahl der Todesopfer meist gering, die Zahl
der Verletzen betrug jedoch oft mehrere hundert. Zu den am meisten wahrgenommenen
Giftgasanschlägen im Irak zählen der Anschlag auf eine Polizeiwache am 6. April 2007
mit 27 Toten und der Anschlag auf einen Dorfmarkt in Abu Sayda am 15. Mai 2007 mit
45 Toten.14
12
Murakami (2002).
13
Reitschuster/Gudrun/Gottschling (04.11.2002).
14
Multi-National Force - Iraq Combined Press Information Center (2007).
7
8. 3.5. Auflistung der Stoffe
Aus dieser geschichtlichen Betrachtung ergibt sich folgende Tabelle der relevanten che-
mischen Kampfstoffe.15
15
Croddy/Perez-Armandariz/Hart (2001).
8
10. 4. Einteilung der Stoffe in Gruppen
Jens Lange, Christoph Keins
Um eine Beachtung der genannten Kampfstoffe durchführen zu können sollen im folgen-
den terroristisch relevante Kennwerte dargestellt werden. Ausgehend von der Annahme,
das Terroristen mit Anschlägen ein bestimmtes Kommunikationsziel erzielen wollen ist
davon auszugehen das die verwendeten Stoffe diesem Kommunikationsziel entsprechen.
Ein Ziel terroristischen Handelns ist der gezielte Angriff von relevanten Zielen16. Die
Wirkspezifität eines Kampfstoffes kann sich zunächst auf Menschen, Objekte oder die
belebte Natur beziehen.17. Als erster Kennwert wird ”Wirkungsziel” mit dem Möglich-
keiten ”Mensch”, ”Objekt” oder ”belebte Natur” angenommen. Neben dieser Grundsätzli-
chen Überlegung ist die Effizienz bzw. Effektivität des eingesetzten Stoffes zu betrachten.
Als Hypothese wird an dieser Stelle angenommen das bei der Auswahl des verwendeten
Stoffes die Beachtung der Effektivität und Effizienz Berücksichtigung findet. Ein erster
Hinweis für die Gültigkeit dieser Hypothese ist in der benötigten Planung zur Herstellung
und Verwendung von chemischen Kampfstoffen zu sehen. Weitere Kennwerte ergeben sich
also aus der Effektivität und Effizienz von chemischen Kampfstoffen
Unter Effektivität wird das ”Nutz-Kosten-Verhältniss” verstanden. Bei Effizienz han-
delt es sich lediglich um ein ”Output” Betrachtung.18
4.1. Toxikologische Grundlagenbetrachtung
Die Toxikologie ist die wissenschaftliche Fachdisziplin, welche sich mit den gesundheits-
schädlichen Auswirkungen von einzelnen chemischen Substanzen oder Substanzgemi-
schen auf Lebewesen, insbesondere den Menschen beschäftigt.
Begründet wurde die Toxikologie durch die Erkenntnisse von Philippus Aureolus Theo-
phrastus Bombastus von Hohenheim (1493 – 1541), auch Paracelsus genannt, welcher
postulierte, das die Giftigkeit eines Stoffes entscheidend von der aufgenommen Dosis
abhängt.
"Dosis sola facit venenum"(Paracelsus)
Älle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift. Alleine die Dosis macht, dass
ein Ding kein Gift ist"
Diese Aussage begründete die Toxikologie und behält ihre Gültigkeit bis zum heutigen
Tag. Eine Erweiterung dieser Aussage wurde durch Fritz Habers mit der Haberschen
Regel getätigt, welche aussagt, das die toxische Wirkung eines Stoffes durch das Produkt
aus Giftkonzentration und Wirkdauer bestimmt wird.
Befasste sich die Toxikologie in ihren Anfängen zunächst mit der Erkennung und Be-
handlung akuter Vergiftungen, rückten im Verlauf der Zeit mehr und mehr die Prä-
vention und Erforschung von chronisch schädlichen Wirkungen (chronische Toxizität)
16
vgl. Vortrag im Rahmen des Wahlfaches.
17
Weinstein/Alibek (2003).
18
Tricker (2005), S.4 ff..
10
11. in den Brennpunkt ihres Aufgabenspektrums. Zunächst befassten sich Toxikologen mit
der Aufklärung von vorsätzlichen oder versehentlichen Vergiftungen und deren Behand-
lung. Aktuell ist die Erforschung des möglichen Ausmaßes von Vergiftungen und deren
zugrunde liegenden schädlichen Wechselwirkungen zwischen chemischen Stoffen und Or-
ganismus im Vordergrund forschender toxikologischer Bestrebungen. Die Toxikologie geht
davon aus, das es für jeden Stoff einen individuellen Grenzwert gibt, unterhalb dessen
das Risiko einer Vergiftung nicht besteht oder zumindest vernachlässigbar klein ist. Eine
Ausnahme dieser Annahme bildet die Gruppe der krebserzeugenden Stoffe (genotoxische
Kanzerogene).19
Habersche Regel Die Habersche Regel besagt, dass die toxische Wirkung (W) ge-
prägt wird durch das Produkt aus Giftkonzentration (c) und Wirkdauer oder Einwirkzeit
(t).
Es gilt also
W = c × t
weiterhin gilt, dass
c × t = konst.
ist.
Eine willkürliche Wirkung mit der Intensität ”4” entsteht durch ein Gift bei einer Ein-
wirkzeit (t) und Giftkonzentration (c). Die gleiche Wirkung erzielt eine um das vierfach
erhöhte Einwirkzeit (4×t ) bei Viertelung der Giftkonzentration ( 1
4c ). Analoges gilt für
Wirkungen mit der Intensität ”2”, ”8” und ”16”. Für einen Stoff mit einer Schwellenkon-
zentration, hier ”5” (c5) kann unterhalb der Wirkschwelle kein Effekt erzielt werden.
Abbildung 1: Habersche Regel nach Reichl (2009)
Bei giftigen Gasen ist von eine Ausbreitung des Stoffes auszugehen, so das es nicht
zu einer einzigen Dosis Aufnahme, sondern zu einer kontinuierlichen Aufnahme im Sin-
ne der Haberschen Regel kommt. Während dieser Wirkdauer oder Aufnahmedauer ist
davon auszugehen, dass bedingt durch eine Gasausbreitung ebenfalls eine Variation der
Giftkonzentration eintritt. Studien belegen das die Habersche Regel c × t = konst nicht
19
Deutsche Gesellschaft für Toxikologie.
11
12. uneingeschränkte Gültigkeit besitzt und weitere Faktoren wie z. B. die Toxikokinetik und
Toxikodynamik von Bedeutung sind.20
Weiterhin werden die Arten der Toxizität nach akuter und chronischer Toxizität unter-
schieden. Akut toxische Wirkungen treten bald nach Verabreichung auf, zumeist nach der
ersten Exposition. Chronische Toxizität treten in der Regel nach mehrfacher Aufnahme
geringer Konzentration und langer Einwirkzeit auf.21
4.2. Effizienzkennwerte von chemischen Kampfstoffen
Da bei einer Effizienzbetrachtung lediglich das Ergebnis von Relevanz ist beziehen sich
Effizienzkennwerte lediglich auf das erzielte ”Ergebnis”. Als ”Ergebnis” kann bei einer
Auswirkung auf Menschen von der toxikologischen Eigenschaft ausgegangen werden. Also
die mit dem Kampfstoff bei erreichbare Auswirkung bei dem entsprechenden Opfer. Ein
mögliches Ziel terroristischen Handelns ist das Töten von Zielen.
”[...] wohingegen das heutige Phänomen des islamischen Terrorismus mit
massiven Anschlägen auf ”weiche” Ziele mit hoher Opferzahl..."22
Die Letalität eines Stoffes wird durch die lethale Konzentration (LTx) oder lethale
Dosis angegeben (LDx). Weitere Ziele terroristischen Handels können darin bestehen
bestimmte Effekte oder Wirkungen bei einem Opfer hervorzurufen. Diese Wirkungsweisen
finden Berücksichtigung in militärischen Einteilungen, welche sich an den Wirkungen der
einzelnen Stoffe orientieren.
Effizienzkennwerte für chemische Kampfstoffe sind:
• lethale Dosis (LDx)
• lethale Konzentration (LTx)
• Einteilung nach der Farbkreuz-Bezeichnung
• Einteilung nach Wirkungsart des U.S. Militärs
4.2.1. Toxikologische Grenzwerte
Zur toxikologischen Abschätzung akut toxischer Wirkungen bestehen endpunktorientier-
te, toxikologisch belegte Grenzwerte. Diese Grenzwerte werden experimentell evaluiert.
Vorhanden sind Grenzwerte bezüglich letaler Dosen (LDx) und letaler Konzentration bei
Inhalation (LTx). Diese Werte beschreiben den prozentualen Anteil einer Gesamtheit, bei
welchem die entsprechende Wirkung auftritt. So beschreibt die LD50 die Dosis, welche
bei 50% der Population tödlich ist. Die LD100beschreibt die letale Dosis für 100% der
Exponierten. Gleiches gilt für die Werte der LTx Gruppe. Wichtig bei diesen Grenzwer-
ten ist der Hinweis, dass sich diese Werte immer auf eine Testpopulation beziehen, also
20
Mioduszewski (2002).
21
Reichl (2009).
22
Bundesministreium des Innern.
12
13. eine Übertragung auf den Menschen meist nicht unmittelbar möglich ist, da diese Werte
tierexperimentell ermittelt werden.23
4.2.2. Einteilung nach der Farbkreuz-Bezeichnung:
Nach Recherche mit verschiedenen Internetsuchmaschinen und dem Buch "Die chemi-
schen Kampfstoffe - Eigenschaften, Wirkung, Schutzmöglichkeiten und Entgiftung"24
sind wir zu dem Schluss gekommen, dass man chemische Kampfstoffe nach folgenden
Gesichtspunkten einteilen kann:
• Chemische und physikalische Eigenschaften
• physiologische Wirkung
• taktischer Einsatzwert
Für die Übersicht über die einzelnen Stoffgruppen, haben wir uns nach dem Farbkreuz
Schema der Bundeswehr, sowie nach der Einteilung der US amerikanischen Streitkräfte
entschieden. Diese Einteilungen könnten auch für Terroristen interessant sein, da Sie die
Stoffe nach ihrer physiologischen Wirkung, als auch nach Ihrem taktischen Einsatzwert
einteilen.
Die Einteilung nach Farbkreuzen ist die deutsche Einteilung die Wirkungsart in den
Klammern entspricht der amerikanischen Einteilung:
Weißkreuz (Nasen-Rachenreizstoffe) Reizgase die die oberen Atemwege reizen.
Sie sind nicht tödlich und die Wirkung klingt ab wenn die betroffene Person in frische,
unverseuchte Luft kommt. Diese Stoffe werden heute bei zivilen Polizeiaktionen eingesetzt
(Tränengas):
• Bromverbindungen
• Chloracetophenon
• Adamsit
Grünkreuz (Lungenkampfstoffe) Gelangen über die Atemwege in den Körper und
greifen das Gewebe der Lungenbläschen an. Es kommt zu einer vermehrten Flüssigkeits-
abscheidung der betroffenen Zellen (Lungenödem). In kleinen Mengen sind die Stoffe
nicht tödlich, führen aber zu bleibenden Schäden. In ausreichender Menge zugeführt
führen die Stoffe zum Tode durch eine Kombination aus Ersticken und Austrocknung:
• Chlorpikrin (Chlorgas)
• Phosgene
23
Reichl (2009).
24
Franke (1967), S. 61ff..
13
14. • Karbonylchlorid
Blaukreuz (Blutkampfstoffe) Diese Stoffe blockieren den Sauerstofftransport im
Blut. Die Moleküle lagern sich anstatt des Sauerstoffes in das Hämoglobin ein. Damit wird
die Sauerstoffzufuhr und der Kohlendioxidabtransport im Körper blockiert. Es kommt
zu einem physiologischen Ersticken, die innere Atmung bricht zusammen. Die betroffene
Person kann dies selbst durch Frischluftzufuhr nicht verhindern. Eine gleiche Wirkung
kann bei Personen beobachtet werden die bei einem Brand zu viel Kohlenmonoxid ein-
atmen.
• Arsine
• Cynchloride / Cyanide
Gelbkreuz (Hautkampfstoffe) Auch bekannt als "Bläschengas"Die Stoffe verursa-
chen Bläschen, Verbrennungen und tiefe, schwerheilende Verätzungen. Es treten schwers-
te Gewebeschäden auf. Die natürlichen Abwehrfunktionen der Haut werden aufgehoben,
sodass eine Zellheilung nicht oder nur sehr schlecht stattfindet, was zu schwersten Ent-
stellungen führt.
• Senfgas
• Lewisit
Nervengase (Nervenkampfstoffe) Aufnahme kann über die Atemwege und/oder
die Haut erfolgen. Führen in hohen Konzentrationen binnen weniger Minuten zum Tod.
Nervengase blockieren das Enzym Acetylcholinesterase, dadurch verlieren die Nerven-
bahnen die Fähigkeit Informationen von einem Teil des Körpers zum anderen zu senden.
So können komplexe Systemabläufe im Organismus durcheinander gebracht werden, was
zu Atemlähmung, Übelkeit und Erbrechen, Muskelkrämpfen und dem Tod führen kann.
Sonstige "Kampfstoffe" Weiter können noch Stoffe aufgeführt werden die nicht pri-
mär für den Einsatz gegen Menschen entwickelt wurden, aufgrund ihrer hohen Giftigkeit
jedoch zu schweren organischen Schäden führen können. Als bestes Beispiel dient hier
das Entlaubungsmittel Agent Orange, das im Vietnamkrieg von den US-Streitkräften
benutzt wurde, um die dichte Bewaldung zu lichten. Aufgrund des hohen Dioxingehal-
tes vergiftete das Mittel jedoch den Boden, was noch nach Jahrzenten zu schwersten
Erbfolgeschäden an Neugeborenen führt.
4.2.3. Einteilung nach Wirkungsart
Eine weitere Möglichkeit der Einteilung ist die Einteilung nach Wirkungsart, wie sie
von den US-Amerikanischen Streitkräften verwendet wird. Die US-Armee teilt chemische
Kampfstoffe wie folgt ein:25
25
Tuorinsky (2008), Kapitel 4 S. 134.
14
15. 1. Choking Agents (Erstickende Stoffe)
2. Nerve Agents (Nervenkampfstoffe)
3. Blister Agents (Ätzende Stoffe)
4. Incapacitating Agents (Kampfstoffe die den Gegner außer Kraft setzten)
5. Riot Control/Vomiting Compounds (Rachenreizstoffe)
6. Tear Producing Compounds (Tränengas)
4.2.4. Mögliche Gegenmaßnahmen
Ein Hemmnis der Erreichung des gewünschten Effektes sind möglichen Gegenmaßnah-
men. Bei der Überlegung, welche Gegenmaßnahmen in unmittelbarer zeitlicher Nähe
ergriffen werden können soll sich an dieser Stelle am Vorgehen in Deutschland orien-
tiert werden. Es wir ohne dies näher zu untersuchen davon ausgegangen, das es ein
grundsätzliches weltweit gleiches Vorgehen bei der Schandensbekämpfung von chemi-
schen Kampfstoffen gibt. Die Untersuchung erfolgt daraufhin, was erste Maßnahmen der
Gefahrenabwehr sind und wie diese den Kampfstoff inaktivieren oder abschwächen könn-
ten.
In Deutschland ist die Feuerwehr-Dienstvorschrift 500 ”Einheiten im ABC-Einsatz”
(FwDV 500) einschlägig.
Nach der FwDV 500 ist die Dekontamination die einzige Möglichkeit eine Verschlep-
pung des Gefahrenstoffes vom Ort des Geschehens zu anderen, noch nicht betroffenen,
Gebieten zu verhindern. Jedoch kann vor Ort nur eine sogenannte "Grobreinigung"26
durchgeführt werden. Maßnahmen zum genauen Ablauf einer Dekontamination vor Ort
finden sich im Abschnitt "1.5.3.6 Dekontamination"(Seiten 28 ff.).
In der FwDV 500 wird Wasser, als Dekontaminationsmittel der Wahl, nicht explizit
genannt, jedoch lässt sie diese Annahme zu.27
4.3. Effektivitätskennwerte
Die Effektivität wird ausgedrück durch das erzielte Ergebnis. In diesem Abschnitt soll
betrachtet werden welche Faktoren Einfluss auf die Effektivität eines Kampfstoffes haben.
Nach toxikologischen Überlegungen spielt die aufgenommene Dosis einen zentrale Rolle.
Die aufnehmbare Dosis wird bestimmt durch die Menge des Stoffes, welche Transportiert
und freigesetzt und verteilt werden kann.
• Aggregatzustand
• relatives Gewicht des Kampfstoffes zur Umgebung
• Aerosolbildung
26
VfdB.
27
VfdB, S. 31 ff.
15
16. • Transportierbarkeit
• Ausbringungsmöglichkeit
4.3.1. Aggregatzustand
Die wichtigste physikalische Eigenschaft eines chemischen Kampfstoffs ist der Aggre-
gatzustand. Man unterscheidet zwischen fest, flüssig und gasförmig. Der Aggregazustand
bestimmt zu nächst die Art der möglichen Ausbreitungen. Feststoffe müssen mittels einer
Explosion oder kenetischer Energie verteilt werden. Gase breiten sich aus eigenem Antrieb
aus. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden vor allem gasförmige Kampfstoffe
die schwerer als Luft waren eingesetzt. Diese wurden in Windrichtung freigesetzt und
„fielen“ in die gegnerischen Schützengräben.28
4.3.2. Ausbreitung von Gasen
Abhängig von der Ausbringungshöhe erfolgt eine Freisetzung von Kampfstoffen meist in
den unteren Schichten der Atmosphäre. In diesen Schichten sind für eine Verbreitung
folgende physikalische Eigenschaften des Stoffes essenziell: Quellstärke und Strömungs-
vorgänge, hier insbesondere turbulente Diffusionen.29
Die Ausbreitung von Gaswolken in nicht umschlossenen Räumen unterliegt grundsätz-
lich drei zu betrachtenden Verhalten. Diese sind abhängig vom Gewicht des Gases in
Relation zum Gewicht der Umgebungsluft. Die Verhalten können in die Gruppen der
Leichtgase, Neutralgase und Schwergase unterteilt werden. Gase mit dem Verhalten von
Schwergasen haben in Abhängigkeit von jeweiliger Temperatur des Gases und Druckes
der umgebenden Atmosphäre eine Dichte von mehr als 1.3 kg
m3 . Leichtgase haben eine
Dichte von weniger als 1.2 kg
m3 . Neutrale habe dieselbe Dichte wie die umgebenden Atmo-
sphäre. Diese Gruppen zeichnen sich durch unterschiedliches Ausbreitungsverhalten aus,
welche auch bei der Berechnung durch ein Ausbreitungsmodell zu berücksichtigen sind.
Bei einem Stoffaustritt kann je nach Stoffkonfiguration der Stoff allen Ausbreitungsmerk-
malen unterliegen.30 31
Bei Austritten von Gasen, welche in flüssiger Form gelagert sind und gasförmig austre-
ten, kommt es zur Aerosolbildung, also einer Zerstäubung der austretenden Flüssigkeit.
Die Bildung von Aerosolen ist abhängig von Viskosität, Oberflächenspannung, Lage-
rungsbedingungen und der Größe des Öffnungsquerschnittes der Austrittsstelle. Häufig
zu beobachten ist die Aerosolbildung bei Freisetzungen von druckverflüssigten Gasen.
Eine auftretende Aerosolbildung ist für die weitere Ausbreitung des freigesetzten Gases
von fundamentaler Bedeutung, da eine Aerosolbildung mit anschließender Verdampfung
der Aerosoltröpfchen einen maßgeblichen Einfluss auf die Temperatur der Gaswolke hat.
28
Keegan/Nicolai/Nicolai (2001).
29
Pischinger (2000).
30
Rhea Kakko.
31
Ausbreitungsbild
16
17. Einsatz flüchtig: Einsatz sesshaft:
Die Partikelgröße ist sehr klein. Der Stoff
kann sehr schnell verdampfen. Es liegen
etwa 50% als Dampf und 50% als feinstes
Aerosol vor. Der Kampfstoff verflüchtigt
sich sehr schnell wieder.
Es werden größere Tropfen versprüht. Es
sind etwa 20% Dampf und 80% Tropfen
vorhanden. Der Stoff erreicht in größeren
Menden den Boden und kontaminiert das
Gebiet und vorhandene Truppen
Eine Abschätzung der Aerosolbildung ist aufgrund der widersprüchlichen Literaturlage
nur in Form eines groben Richtwertes für den Aerosolanteil möglich.32
4.3.3. Transportierbarkeit
Binär-Kampfstoff Binär-Kampfstoff Zwei oder mehrere weniger giftige Stoffe werden
getrennt zueinander gelagert (verschiedene Kammern in einer Granate), auch ungiftige
Stoffe können beiliegen um evtl. als Katalysator bei der Reaktion zu dienen. Die Stoffe
vermischen sich erst beim Einsatz zu dem gefährlichen Giftstoff (z.B. Sarin oder VX)
”Klassischer”-Kampfstoff Der Stoff ist von alleine hochgiftig und muss nur noch ins
Zielgebiet gebracht werden, wo er sofort seine Wirkung entfaltet (Chlorgas).
4.4. Ausbringungsmöglichkeiten
Eine Grundlegende Theorie der Toxikologie ist Relation zwischen aufgenommener Do-
sis und Wirkung.33 Die maximal Dosis wird begrenzt durch die ausgebrachte Menge an
Kampfstoffen. Aus diesem Grund sind die Ausbringungsmöglichkeiten eines Stoffes als
Kennwert relevant, da sie die mögliche Wirkung beeinflusst. Unter Ausbringung eines
Kampfstoffes wird in dieser Arbeit die Immision eines Stoffes verstanden. Die Immission
ist bestimmt durch den Aggregatzustand des Kampfstoffes. "Die Art der Ausbringung
eines Kampfstoffes oder eine Kampfstoffgemisches (z.B. Sarin/Cylosarin, S-Lost/Lewisit)
richtet sich nach taktischen und meteorologischen Überlegungen. Mögliche Einsatzmittel
sind Handgranaten, Minen, Artilleriegeschosse, Raketen, Bomben, Sprühtanks, ballisti-
sche Flugkörper oder unbemannte Luftfahrzeuge."34
Trotz ähnlichem Verhalten ist ein Aerosol von einem Gas zu unterscheiden. Es handelt
sich hierbei um einen Feststoff oder eine Flüssigkeit, die recht fein in der Luft verteilt
ist. Ein nicht unerheblicher Teil des Aerosols ist in der Gasphase. Man unterscheidet 2
Einsatzarten.
32
Secrétariat d’Etat auprés du Premier ministre chargé de l’Environnement et de la
Préyention des risques technologiques et naturels (1990).
33
Reichl (2009).
34
Lampalzer (2003).
17
18. 4.5. Herstellung chemischer Kampfstoffe / Machbarkeit / Verfügbarkeit
der Grundsubstanzen
„Chemical weapons labs use two methods of production; the development of
new chemical agents through standard production methods and the synthesis
of existing materials. The development of new chemical agent is the more
difficult of the two processes and is nearly impossible except for someone
with a chemistry background and access to some chemistry equipment.”35
Um auf diese Weise „neue“ chemische Kampfstoffe herzustellen benötigt man, ein „Re-
zept“, ein entsprechend ausgestattetes Labor, Zugang zu diverse Ausgangsmaterialien
und entsprechend ausgebildetes „Personal“.
„The following sections provide some information about terrorism agents
that currently exist. Some are unique ideas and thoughts, and some resent
possible scenarios. There exists some thought within the fire service that this
type of information should not be published. All of this information is readily
available in the public domain and in training programs and texts throughout
the United States. Most of the exact recipes and “how-to” instructions for
these and any other devices are easily obtained throughout printed texts and
the Internet.”36
Die Herstellung von chemischen Kampfstoffen ist recht komplex, und nahezu unmöglich
für Personen ohne gute Chemiekentnisse.
„The recipes for chemical weapons are fairly sophisticated and require ac-
cess to many raw materials that are hot listed. “37
“1. The first of the five qualifiers involves the potential terrorist’s education
ability to make a device or agent that, unlike explosives or ricin, is very
difficult to attain. To truly make a biological pathogen agent, in most cases,
one needs an advanced knowledge of biology.”38
Ein wichtiger Faktor zur Herstellung chemischer Kampfstoffe ist die Verfügbarkeit der
Ausgangsmaterialien mit denen man besagte Substanzen herstellt:
“2. The next qualifier is a person’s ability to obtain the raw materials ne-
cessary to make the agents. Many of the materials necessary to make chemical
warfare agents are banned for sale. Others appear on hot lists, which means
they are only sold to legitimate businesses. This would not preclude someone
from buying the raw materials on the black market or stealing them from
legitimate business.”39
35
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
36
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
37
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
38
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
39
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
18
19. Ein nicht unerheblicher Faktor der zur Herstellung chemischer Kampfstoffe beiträgt
ist ein eingerichtetes Labor.
”3. The third qualifier is the ability to manufacture the devices or machi-
nery required to make the agent. (. . . ) There are some agents that could
be produced in a bathtub using backyard chemistry, but these are not the
high-end agents that attract much attention. (. . . )”40
Um „high-end“ Kampfstoffe herzustellen benötigt man dann wiederum mehr Labo-
rausstattung als eine Badewanne. Es ist aber davon auszugehen, dass es (wie bei der
Drogenherstellung) möglich ist ein illegales Labor einzurichten.
„Criminals are using more weapons than just guns today, and the use of
clandestine labs for illicit production is on the rise.”41
“There are several types of clandestine labs that emergency responders are
likely to encounter. The most common is the drug lab, but other possible labs
include explosive labs, chemical labs, and biological weapons labs.”42
“These are the least likely labs to be encountered in emergency response,
but responders must be aware of their existence and some of the unique
features of these types of labs. The two types of terrorist agent or weapons of
mass destruction (WMD), labs are chemical weapons or biological weapons
labs.”43
Desweiteren werden Apparate zum Ausbringen der Stoffe benötigt. Sind diese nicht
„ausgereift“ wird kein maximaler Effekt erzielt.
„4. One qualifier that is often overlooked is the ability to disseminate these
agents. (. . . ) The Aum Shinrikyo cult in Japan is a perfect example, as they
were a group with millions of dollars in assets and full chemical and biological
lab and production facilities. (. . . ) They used sarin nerve agent twice, the first
time in Matsumoto, Japan, in which seven people were killed and 200 injured.
The dissemination method used in Matsumoto attack was much more effective
than the one used in Tokyo subway attack.”44
“The most probable scenario for the development of chemical warfare agent
is the synthesis of a chemical warfare agent is the synthesis of an existing
product. The criminal would take existing materials, which are usually in
diluted form, and synthesize them or reduce them down to a concentrated
product. Luckily most, if not all, of the existing products do not present much
risk to humans, as strictly engineered to harm only insects.”45
40
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
41
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
42
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
43
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
44
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
45
Hawley/Walter (2008), Chapter 7.
19
20. 5. Auflistung der einzelnen Stoffe
Thomas Blome, Marie Goedicke, Sebastian Roden
In diesem Abschnitt sollen die in Kapitel 3 selektierten chemischen Kampfstoffe mit
den eruierten Kennwerten aus Kapitel 4 verknüpft werden. Hierzu wird zunächst eine
Liste aller Kampstoffe mit dem Kennwert „Wirkungsziele“ aufgestellt. Die Wirkungszie-
le beschränken sich auf die Einordnung Mensch und Umwelt. Die daraus resultierende
Einordnung ist der Tabelle 6 zu entnehmen.
Nachdem die Wirkungsziele feststehen, erfolgt die Einordnung der chemischen Kampf-
stoffe in das bereits in Kapitel 4 angesprochene Farbkreuzscheme. Dies ist insoweit von
Bedeutung um eine grobe Einordnung nach Wirkungsort im bzw. am menschlichen Kör-
per festzustellen. Hierbei wird den Farben Weiß, Blau, Grün und Gelb verschiedene
Hauptwirkziele zugeordnet. So steht das Weißkreuz für Augenkampfstoffe, das Blaukreuz
für Nasen- und Rachenkampfstoffe, das Grünkreuz für Lungenkampfstoffe und das Gelb-
kreuz für Hautkampfstoffe. Des Weiteren gibt es noch die Gruppen der Nervenkampf-
stoffe, der Psychokampfstoffe, der Blutkampfstoffe, der Herbizide, der Brandkampfstoffe
und der Nebelkampfstoffe. Für die selektierten chemischen Kampfstoffe ergibt sich die in
Tabelle 3 erstellte Einteilung.
Als nächstes gilt es die Aufnahmewege der chemischen Kampfstoffe in den menschlichen
Körper festzulegen. Dies ist insofern interessant, da es Ansätze für mögliche Schutzmaß-
nahmen liefert. Es gilt folgende Aufnahmewege zu unterscheiden: die dermale Aufnahme
(über die Haut), die inhalative Aufnahme (über die Lunge) und die orale Aufnahme (über
die Schleimhäute). Die Ergebnisse sind der Tabelle 4 zu entnehmen.
Die nächste zu betrachtende Stoffeigenschaft ist die, der letalen Dosis (kurz: LDx) bzw.
nach der letalen Konzentration (kurz: LCx). Diese beiden Kennwerte zeigen die jeweilige
von einem Stoff benötigte Menge an, die auf ein Lebewesen tödlich wirkt. In Tabelle ??
und Tabelle ?? wird jeweils die Kenngröße 50 zitiert. Diese beschreibt die mittlere letale
Dosis bzw. letale Konzentration, also diejenige di sich auf 50% der Population bezieht.
Auf Grund der vorherigen Festlegung der letalen Dosis bzw. Konzentration stellt
sich die Frage, ob es nach einem terroristischen Anschlag mit chemischen Kampfstof-
fen die Möglichkeit einer effizienten Behandlung der betroffenen Opfer mit Antidoten
gibt. Dementsprechend behandelt die Tabelle Antidot diese Fragestellung und gibt zu
den jeweiligen chemischen Kampfstoffen Auskunft.
Anschließend wird eine der wohl von bedeutendsten Fragen behandelt. Es gilt zu klären
inwieweit die Grundsubstanzen verfügbar sind. Hierzu wurde bei verschiedenen Chemie-
großhändlern in deren Onlinekatalog nach den beschriebenen Substanzen gesucht. Die
Ergebnisse sind der Tabelle 8 zu entnehmen.
Nachdem die Verfügbarkeit geklärt ist, stellt sich die Frage der Aggregatzustände der
einzelnen Stoffe. Dies ist besonders für den Transport und die Lagerung bzw. die Vor-
bereitung eines Anschlages von großer Bedeutung. Die Resultate sind der Tabelle 9 zu
entnehmen. Einher mit dieser Fragestellung muss di Transportierbarkeit geklärt werden.
Dazu werden die Stoffe in die zwei Gruppen binär und klassisch eingeteilt. Binär bedeutet
in diesem Zusammenhang, dass der chemische Kampfstoff aus mehreren an sich ungefähr-
lichen chemischen Stoffen gebildet wird, wo hingegen klassisch für einen sofort existenten
20
21. chemischen Kampfstoff steht. Die Ergebnisse sind in der Tabelle 10 zusammengefasst.
Die Zuordnung der jeweiligen Werte erfolgte anhand einschlägiger Literatur.4647
46
Hommel.
47
Römpp/Falbe/Amelingmeier.
21
22. 6. Terroristische Relevanz der Stoffe - Interpretation
Kai Kornetzky, Lukas Weitekamp, Lars Wyvwa
6.1. Zielsetzung terroristischer Verwendung
Was zeichnet den optimalen Kampfstoff für Terroristen aus?
Im militärischen Sprachkontext versteht man unter chemischen Kampfstoffen all die
chemischen Substanzen, die aufgrund ihrer toxischen Wirkung gegen Menschen, Tiere
oder Pflanzen eingesetzt werden können. Dabei ist es unerheblich, ob sie nur vorüberge-
hend, nachhaltig oder sogar direkt tödlich wirken. Erst durch diese Zweckbestimmung
wird eine Substanz zu einem Kampfstoff.48
Für den militärischen Gebrauch werden folgende Anforderungen an einen Kampfstoff
gestellt49:
Abbildung 2: Anforderungen an Kampfstoffe
Diese Definition und die Anforderungen können auch auf den terroristischen Gebrauch
bezogen werden, wobei hier die Auswahl an Kampfstoffen durch verschiedene Faktoren
limitiert wird.
48
Höfer (2002).
49
Franke (1967).
22
23. Zunächst ist die Auswahl des optimalen Kampfstoffes für Terroristen eingeschränkt
durch die Auswahl des Zieles. Da ein Ziel terroristischen Handelns der gezielte Angriff
von relevanten Zielen ist und damit die Kommunikationsfunktion der terroristischen Akte
hervorgerufen werden soll.50
Abhängig von dem Ziel der Terroristen ändern sich auch die Anforderungen an den
Kampfstoff. Soll eine große Menge Personen getötet werden oder soll eine noch medien-
wirksamere Tötung und Verletzung von den Opfern erzielt werden.Somit limitiert sich
die Auswahl der Kampfstoffe durch das Ziel.
Zum einen werden hier die Verfügbarkeit, sei es durch Herstellung oder Diebstahl51
als auch die Transportfähigkeit der Kampfstoffe eine zentrale Rolle spielen. Ein hoch-
wirksamer Kampfstoff, der in seiner Herstellung sehr aufwändig ist ( Kosten – Nutzen
und Aufmerksamkeit durch Sicherheitsbehörden) und zudem noch schwierig zu trans-
portieren ist, scheidet für einen terroristischen Anschlag aus, da diese von dem Über-
raschungsmoment partizipieren. Ein kleines Paket ist unauffälliger zu transportieren als
ein Tanklastwagen. In diesem Punkt unterscheiden sich auch die terroristischen von den
militärischen Anforderungen an einen Kampfstoff.
Ebenso scheiden Kampfstoffe aus welche gut zugänglich aber ineffizient sind, also ein
große Mengen freigesetzt werden müsste, um eine letale Dosis zu erreichen. Auch die
Zielsetzung des terrosristischen Anschlages ist entscheidend für die Auswahl des Kampf-
stoffes. Soll eine möglichst große Anzahl an Personen getötet werden wählt man ein
Giftgas wie z.B Sarin aus mit einer niedrigen LD. Will man hingegen eine ”medienträch-
tige Inszenierung” schaffen, bei der sowohl Menschen getötet als auch verätzten Körper
in den Medien zu sehen sind, so wählt man eher einen Kampfstoff wie Senfgas.
Als Beispiele seien hier das Nervengas Sarin ( U- Bahn Anschlag 1995 Tokio) und
Senfgas ( Verwendung durch irakische Truppen im Golfkrieg) genannt.52
6.2. Gewichtung welche Stoffe/ Stoffgruppen sind wie relevant unter
welchen Voraussetzungen
Nachdem in vorigen Verlauf dieser Arbeit sowohl die einzelnen Stoffe53, als auch die
Stoffgruppen54 näher betrachtet wurden, stellt sich nun die Frage, wann diese Stoffe
oder Stoffgruppen für terroristische Anschläge interessant sind bzw. in Frage kommen
ein terroristisches Ziel zu erreichen.
Hierzu vorab ein Zitat von Bin Laden bezüglich der Attentate vom 11. September 2001:
„[...]wir berechneten im Vorhinein die Zahl der Opfer unter den Feinden,
wie viel nach der Position der Türme getötet werden würden. Wir kalkulier-
ten, dass die Zahl der Stockwerke, die getroffen werden würden drei oder vier
sein würden. Es war eine ganz optimistische Kalkulation. [...] Ich bin davon
50
vgl. Wahlfach : „Grundlagen des Terrorismus und Strategien zur Konfliktlösung (Prof. Dr. Hartwig)“
51
Siehe auch ”Ausblick (Kapitel 6.3 )”
52
vgl. Anhang D
53
vgl. ”Auflistung der einzelnen Stoffe (Kapitel 5)”
54
vgl ”Einteilung der Stoffe in Gruppen (Kapitel 4)”
23
24. ausgegangen, dass das Feuer nach der Explosion des Treibstoffes das Stahl-
gerüst des Gebäudes schmelzen und die Türme an der Einschlagstelle und
oberhalb zum Einsturz bringen würde. Das war alles, was wir erhofft hatten.“
Zwar handelt es sich bei den Anschlägen nicht um chemische Kampfstoffe, dennoch
wird die Denkweise deutlich, die hinter einem terroristischen Anschlag steckt. Dass es um
die gezielte Tötung einer bestimmten Gruppe geht sei unbestritten, dass es aber auch in
den Vorüberlegungen einer solchen Tat um die (relativ genaue) Anzahl der getöteten geht
mag für den ein oder anderen neu sein. In Kapitel ”Toxikologische Grundlagenbetrachtung
(Kapitel 4.1 )”, ist eine Formel genannt, die es mittels einiger weiter Daten emöglicht eine
solche Menge abzuschätzen.
Eine terroristische Überlegung bezieht demnach die Giftkonzentration, die Wirkdauer
und die Einwirkzeit mit ein und führt nach der erwähnten Regel zur toxischen Wirkung.
Bei chemischen Kampfstoffen kann im Gegensatz zu biologischen Kampfstoffen von einer
begrenzten Schädigungsdauer ausgegangen werden, allerdings ermöglicht die in Kapitel
5 erwähnte Stoffaufzählung eine breite Anschlagsmöglichkeit.
Stellt man sich sie Frage nach der Relevanz der einzelnen Stoffe, so muss man diese Fra-
ge immer in Zusammenhang mit der Zahl der Opfer oder der Größe des Areals bringen,
welches dem Terroristischen Anschlag zugrunde liegen soll. Da chemische Kampfstoffe
relativ häufig als Gas oder Flüssigkeit vorliegen ergibt sich eine Fülle von Einsatzmög-
lichkeiten, die in Kap. 4.4 (”Ausbringungsmöglichkeiten”) schon hinreichend erläutert
wurden (Ausbringung als Bombe, Flüssigkeit, Gas, ”saurer Regen”, Aerosol, etc.).
Zur Verdeutlichung sei hier Napalm der ganze Landstriche niederbrennen lies genannt,
oder Chlorgas welches als Bombe einen relativ geringen Wirkungsradius hat.
Abschließend ist zu sagen, dass eine Gewichtung, wann welcher Stoff als terroristischer
Kampfstoff in Frage kommt nicht eindeutig zu klären ist, da zu viele Faktoren die Wahl
eines solchen beeinflussen. Manchmal wird die Wirkung eines vergleichsweise harmlosen
Stoffes unterschätzt und führt zu ungeahnten Auswirkungen 55
6.3. Ausblick
Zugang zu chemischen Kampfstoffen dürfte für Terroristen kein unüberwindbares Pro-
blem darstellen. Chemische Verbindungen wie z.B. Senfgas wurden schon zur Zeit des
Ersten Weltkrieges eingesetzt, chemische Formeln sind allgemein bekannt, die notwendi-
gen Vorprodukte beschaffbar. Die japanische Aum-Sekte hat das Nervengas Sarin bereits
1995 hergestellt und zu terroristischen Anschlägen verwendet.56
Auch ist es denkbar, dass die Terroristen sich über Staaten, die derartige Kampfmittel
besitzen, chemische Kampfstoffe besorgen. Beispielsweise ist der Irak noch immer in der
Lage chemische Kampfmittel herzustellen. Besorgniserregend so auch die Situation in
Russland, hier sollen ca. 40 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe lagern. Anders als in
Amerika sind diese C-Waffen-Lager nicht immer ausreichend gesichert bzw. kann kein
55
vgl. Kapitel 3.3
56
Hielscher (2002).
24
25. Zugang von unautorisierten Personen ausgeschlossen werden.57
Laut der Chemiewaffenkonvention ( CWK oder CWÜ ) hat Russland die Chemiewaf-
fen bis April 2012 vollständig zu vernichten.58 Zehn Jahre nach Unterzeichnung dieser
Konvention sollte dies geschehen sein. Die Russische Föderation befindet sich bereits seit
1993 unter den Mitgliedern des Abkommens.59
Es sprechen aber auch einige Tatsachen gegen die Benutzung von chemischen Kampf-
mitteln durch terroristische Gruppierungen. In der Vergangenheit gab es selten terro-
ristische Anschläge mit chemischen oder gar biologischen Kampfmitteln.60 Warum? Es
könnte der komplizierte Umgang mit den chemischen Kampfstoffen sein, aber auch die
Produktion. Nicht vergessen darf man, dass konventionelle Methoden durch Sprengstoff
ausreichen, um großen Schaden anzurichten, wie z.B zuletzt der Anschlag im November
2010 auf die Sajjidat-al-Nadscha-Kirche in Bagdad.61
Wahrscheinlichkeitsaussagen zu treffen über terroristische Anschläge mit chemischen
Kampfstoffen sind nicht möglich. Kennzeichnend für terroristische Aktivitäten ist die
Unvorhersehbarkeit bzw. der Überraschungsmoment. Der 11. September 2001 und die
Anschläge der japanischen Aum-Sekte haben gezeigt, dass derartige Ereignisse schwer
abzusehen sind. Diese Taten haben nicht nur überrascht, sondern auch die Skrupellosig-
keit terroristischer Gruppierungen nachhaltig unter Beweis gestellt. Die Geschehnisse in
Amerika am 11. September 2001 haben gezeigt, dass auch ohne „Massenvernichtungswaf-
fen“ auf einen Schlag viele Menschen zu töteten sind.
Den Terroristen kam es aber dabei auch auf eine große öffentliche Wirkung an, welche
durch chemische Waffen genauso erzielt werden können. Unwägbarkeiten und Schwierig-
keiten verbunden mit den chemischen Kampfstoffen sind keine Garantie, dass Terroristen
sie nicht künftig anwenden. Dabei kommt ihnen die zunehmende moderne Industriege-
sellschaft entgegen, die durch diese Art von Terroranschlägen in kurzer Zeit nachhaltig
beeinträchtigt werden kann.
Im ersten Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran wurde deutlich, welche Wirkung
und Angst Angriffe mit chemischen Kampfmitteln verursachen. Die iranische Infanterie
war zahlenmäßig überlegen und auf Saddam Husseins Weisung antwortete die irakische
Luftwaffe mit Angriffswellen von chemischen Kampfmitteln wie z.B. Senfgas im Novem-
ber 1983 ,welches 3000 iranische Angreifer tötete oder verwundete.62
Besonders der Besitz und die Anwendung der Nervengase Tubun, Sarin und VX sorgten
für Besorgnis und Angst auf der Gegenseite. Auch die Amerikaner, als Koalitionstruppe,
fürchteten diese Kampfmittel.63
Es ist auch die Eigenschaft und Wirkung der chemischen Mittel, weshalb chemische
Terrorangriffe so gefürchtet sind.
”Wer die unsichtbaren Tröpfchen einatmet oder auf die Haut bekommt, hat
57
Thränert (2000).
58
Auswärtiges Amt (2001).
59
Organisation for the prohibition of chemical Weapons.
60
vgl. http://www.start.umd.edu/gtd/
61
Reuters (01.11.2010).
62
Harris et al. (2002), (S.370 ff).
63
Harris et al. (2002), S.374.
25
26. nicht mehr lange zu leben. Zunächst verengt sich die Regenbogenhaut, bis die
Pupillen nur noch stecknadelkopfgroß sind, Schweiß bricht aus, krampfartig
wird der Mageninhalt erbrochen. Dann entleeren sich Darm und Blase, zu-
ckend verlieren die Opfer das Bewusstsein (. . . ) Nervengase wie Sarin, Tabun
oder VX entfalten ihre tödliche Wirkung innerhalb von 8 bis 21 Minuten. Sie
stören die Übermittlung von Nervenimpulsen im Gehirn und an den Muskeln
durch die Blockierung eines lebenswichtigen Enzyms, die Folge ist eine totale
Verkrampfung der Muskulatur.“64
64
Rainer (1997).
26
27. Anhang
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27
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29
35. Stoffname LD50
Chlorpikrin oral Ratte 250 mg
kg
Perfluorisobutylen oral Ratte: 17 ppm·10 min-1
Senfgas (”LOST”) oral Ratte: 17 mg
kg ,
dermal Ratte/Kaninchen: 40 mg
kg
Tris(2-chlorethyl)amin (Stickstofflost) oral Ratte: 5 mg/kg
perkutan: 60 mg
kg
Lewisite LD50 oral Ratte: 50 mg
kg ;
dermal Ratte / Kanninchen : 4 mg
kg
perkutan : 100.000mg
m3
Arsin 250 ppm über 30 min.
Mescaline Maus p.o. 880mg
kg
Methaqualone Maus i.v. 120mg
kg
Maus oral 400mg
kg
Agent Orange 4-D: (Ratte oral) 375mg
kg
2,4,5-T: Ratte oral: 500 mg
kg
CS 8 mg
kg (Kaninchen)
CN Ratte oral 127mg
kg
Capsaicin 47,2 mg
kg (Maus)
Chloraceton oral Ratte: 100 mg
kg ;
dermal Ratte: 141 mg
kg
Hydrogen Cyanide 1 mg
kg (per os)
Tabelle 5: LD50-Aufstellung
35
36. Stoffname LC50 in ppm
Chlor 20.000; dermal nicht tödlich
Phosgen 3.200; dermal nicht tödlich
Diphosgen 3.200; dermal nicht tödlich
Chlorpikrin 0,0968
Bromaceton 3.000 - 4.000; dermal nicht tödlich
Diphenylchlorarsin (Adamsit) 11.000 - 13.000; dermal nicht tödlich
Perfluorisobutylen 320; dermal nicht tödlich
Senfgas (”LOST”) 1500
Tris(2-chlorethyl)amin (Stickstofflost) 500 - 1500
Lewisite 1.250
Arsin 5.000
CS 10000
Tabelle 6: Wirkungsziel der chemischen Kampfstoffe
36
37. Stoffname Antidot
Chlor Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Phosgen Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Diphosgen Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Chlorpikrin Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Ethyldichlorarsin Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Phosgenoxim Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Bromaceton Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Brommethylethylketon Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Perfluorisobutylen Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Senfgas ("LOST") Natriumthiosulfat
Tris(2-chlorethyl)amin (Stickstofflost) Natriumthiosulfat
Lewisite Dimercaprol
Lysergsäurediethylamid (LSD) Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Phenylarsindichlorid (Clark 1) Dimercaptopropansulfonat
Arsin Dimercaptopropansulfonat
Kohlenmonoxid 100%iger Sauerstoff
Mescaline Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Methaqualone Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Agent Orange Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
CS Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
CN Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Capsaicin Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Bromoacetate Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Chloraceton Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Hydrogen Cyanide 4-Dimethylaminophenol (4-DMAP)
Cyanogen Chloride Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Napalm Kein Spezifisches nur Sympthomatisch
Tabelle 7: Antidote chemischer Kampfstoffe
37
38. Stoffname Verfügbarkeit der Grundsubstanz
Chlor frei verfübar (Schwimmbadtechnik)
Phosgen nein
Bromaceton nicht frei verfügbar
Perfluorisobutylen nein (Verboten durch Chemiewaffenkonvention)
Senfgas ("LOST") nein (Verboten durch Chemiewaffenkonvention)
Lewisite nein (Verboten durch Chemiewaffenkonvention)
Lysergsäurediethylamid (LSD) unterliegt dem BtMG
Kohlenmonoxid frei verfügbar
Mescaline unterliegt dem BtMG
Methaqualone unterliegt dem BtMG
Agent Orange nein
CS zum Teil
CN zum Teil
Capsaicin frei verfügbar
Bromoacetate frei verfügbar
Chloraceton frei verfügbar
Hydrogen Cyanide frei verfügbar
Cyanogen Chloride frei verfügbar
Napalm frei verfügbar
Tabelle 8: Verfügbarkeit der Grundsubstanzen
38
42. Stoffname Dampfdruck
Chlor bei 20◦C: 6,776 bar,
bei 30◦C: 8,8 bar
Phosgen bei 20◦C: 1,586 bar,
bei 30◦C: 2,2 bar
Diphosgen bei 20◦C:13,73 mbar,
bei 30◦C: 24 mbar
Chlorpikrin bei 20◦C: 22,53mbar,
bei 30◦C: 44 mbar
Bromaceton bei 20◦C: 12 mbar,
bei 30◦C: 18 mbar
Senfgas ("LOST") bei 20◦C 0,087 mbar ,
bei (30◦C) 0,2 mbar ,
Tris(2-chlorethyl)amin (Stickstofflost) bei (20◦C): 0,0093 mbar,
bei (30◦C) 0,0223 mbar
Lewisite bei (20◦C): 0,0527 mbar,
bei (30◦C) 1,0 mbar
Phenylarsindichlorid (Clark 1) bei (20◦C): 0,15 mbar,
bei (30◦C) 0,3 mbar
Arsin bei (20◦C): 16,0 bar,
bei (30◦C): 26,0 bar
Bromoacetate bei (20◦C): 12 mbar
Chloraceton bei (20◦C): 16 mbar
Hydrogen Cyanide bei (20◦C): 816 mbar
Cyanogen Chloride bei (20◦C): 1,34 bar
Tabelle 12: Dampfdruck der relevanten Kampstoffe
42