Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Duisburg-Essen
NPK2012 - Prof. Ulrich Sprick: „net-step“ - Psychotherapie online
1. „net-step“ Psychotherapie online
Ein neues Verfahren zur Ergänzung der
Palette psychotherapeutischer Interventionen
4. Niederrheinischer
Pflegekongress, 13.09.2012
Prof. Dr. Dr. Ulrich Sprick
St. Augustinus Fachkliniken
St. Alexius / St. Josef Krankenhaus
Neuss
2. Internet-psychotherapy –
the challenge of the 21. century
The challenge of psychotherapy in the
beginning 21. century is no longer a
competition of different psychotherapeutic
school systems but it is the success of
„unpersonal“ internet psychotherapy.
Peter Fonagy, 2003
3. Bedeutung des Internets für das
alltägliche Leben
Die Bedeutung des Internets basiert nicht nur auf
seinen extrem vielfältigen Informations- und
Unterhaltungsmöglichkeiten sondern auch auf dem
Potential des Internets interaktiver Kommunikation
und sozialer Kontakte.
Soziale Plattformen wie „Facebook“ bieten vielfältige
Optionen für soziale Kontakte mit unterschiedlichen
Intensitäten.
4. Internet-Nutzung in Deutschland
Haushalte mit mindestens Nutzung des Internets
einem Computer : (2009):
2003 2009 Bis zu 1 x pro Woche:
61% 78% 14%
Mehrfach pro Woche:
Zugang zum Internet: 29%
2003 2009 Tägliche Nutzung:
42% 73% 23%
Nutzung mehrfach täglich:
34%
Statistisches Bundesamt, 2009
5. Suchanfragen im Internet
aus dem Bereich Gesundheit
(Stretcher et al. 2007)
Spezifische 65 %
Erkrankung
Ernährung / Diät 51 %
Medikamente 40 %
Sexuelle Probleme 12 %
Psychologische/ 23 %
psychiatrische
Fragestellungen
6. Treffer für psychologische Beratungs- und
Behandlungsangebote im Internet
Treffer für „psychologische online-Beratung“
(21.11.2011) :
Google 888.000
Yahoo 381.000
Fireball 378.000
7. Einfluss des Internets
auf die Psychotherapie
Information, Kommunikation und
zwischenmenschliche Kontakte haben durch die
Eigenschaften des Internets, wie den relativ leichten
Zugang, die zumindest teilweise vorhandene
Anonymisierung, die niedrigen Kosten und die
weltweite Vernetzung ganz neue Möglichkeiten aber
auch Risiken erhalten.
Für viele Psychotherapeuten, die Beziehung und
Bindung als zentrale Elemente psychotherapeutischer
Interventionen ansehen, ist die Perspektive einer
Internetpsychotherapie eher mit unliebsamen
Assoziationen verknüpft.
8. Historie internet-basierter Angebote
„Ask Uncle Ezra“
Erste Anfänge professioneller online-Interventionen finden
sich in den USA. Als erster psychologischer Hilfsdienst
ging „Ask Uncle Ezra“ im Jahr 1986 online. Dieser Dienst
bot psychologische Hilfen für Studenten der Cornell
Universität in Ithaca, New York, an. Das Angebot besteht
bis heute.
Telefonseelsorge
In Deutschland bietet die Telefonseelsorge ihre Dienste seit
1995 auch im Internet an.
11. Psychotherapie und Beratung
vielfältige Angebote
Beratungsangebote
Einzel- und Gruppenchats
Spezielle Angebote (z.B. Online-Traumatherapie
im Irak – Behandlungszentrum Berlin/Kirkuk)
Internetbrücken zur poststationären
Nachversorgung
Selbsthilfeprogramme
Internet-basierte Psychotherapie
12. Wirksamkeit der
Internetpsychotherapie
In einer großen Metaanlyse (eingeschlossen wurden 92
Studien) konnten Barak und Mitarbeiter (2008)
zeigen, dass der mittlere Behandlungseffekt gemittelt
über alle Störungsbilder und Interventionsformen bei
0.53 lag.
Dieses Maß ist vergleichbar mit dem Behandlungseffekt
herkömmlicher ambulanter Psychotherapien.
13. Wirkfaktoren der
Internetpsychotherapie
Verglichen mit Psychoedukation und reiner
Verhaltenstherapie wurden bei IPT höhere
Behandlungseffekte mit Modulen kognitiver
Verhaltenstherapie erzielt.
Hinsichtlich behandelbarer Erkrankungen zeigten
sich in randomisierten Studien besonders günstige
Effekte bei Angststörungen (soziale
Phobie, Panikstörung, posttraumatische
Belastungsstörung). (CUIJPERS et al., 2009)
14. Internetpsychotherapie –
geeignet für alle Störungsbilder ?
In verschiedenen Studien wurden bei Patienten
mit Essstörungen nur geringe therapeutische
Effekte gefunden.
Auch Patienten mit somatoformen
Störungsbildern konnten nur in relativ geringem
Umfang von einer internetgestützen
Psychotherapie profitieren
(CUIJPERS, van STRATEN und ANDERSSON, 2008)
15. Internetpsychotherapie
der Depression
In verschiedenen Studien fanden sich bei der
Behandlung der Depression gemischte Resultate
Es wurde eine mittlere Effektstärke von d=0.40
gemessen. .
(Wagner und Märker, 2011)
Interventionen mit einem direkten
therapeutischen Kontakt profitieren sehr viel
stärker ( d=1.0) als Patienten ohne einen solchen
Kontakt (d=0.27).
(SPEK et al., 2008)
17. Was weiss man über die Nutzer
von Internetpsychotherapie ?
Daten von Interapie-Nutzern im deutschsprachigen
Raum
sehr hoher Anteil an weiblichen Nutzern
(90 – 92 % )
Durchschnittsalter bei 40 Jahren
entgegen ursprünglichen Erwartungen keine
jüngeren gebildeten Männer
( Knaevelsrud und Maerker 2007, Wagner und Maerker 2009)
19. Wie nachhaltig ist
Internetpsychotherapie ?
Verbesserungen mit Internetpsychotherapien waren noch
Monate nach der post-Messung nachweisbar.
(Metaanalyse von Barak 2009)
In Follow-up Untersuchungen 1,5 Jahre nach
Behandlungsende der IPT konnten Knaevelsrud und
Maerker (2010) bei Patienten mit posttraumatischen
Belastungsstörungen zeigen, dass die therapieinduzierten
Verbesserungen anhielten.
Ähnliche Ergebnisse fanden auch Wagner und Maerker
(2007) bei IPT von komplizierten Trauerreaktionen. In den
genannten Studien basierte die IPT jeweils auf KVT-
Modulen.
21. Interapie
(LANGE, SCHOUTROP, SCHRIEKEN u. VAN DE VEN, 2002)
Beim „Amsterdam Writing Project“ wurde der Einfluss
strukturierter Schreibaufgaben auf die Verarbeitung
traumatischer Ereignisse untersucht.
Die schriftlich wiederholt geäußerten schmerzhaften
Gefühle stellten eine wirksame Komponente der
Behandlung dar.
3-phasiges Therapiemanual: Konfrontation mit dem
traumatischen Ereignis, kognitive Umstrukturierung
und Social Sharing.
22. Interapie (Bestandteile d. Therapie)
Psychoedukation:
Erklärung aus welchem Grund bestimmte Aufgabe
gestellt werden, Bedeutung bestimmter Symptome.
Behandlungsmanual:
Schreibanleitungen, Verhaltensübungen, Hausaufgaben
über eine Webseite. Patientenkontakte ca. 2x pro
Woche.
Motivation:
Motivationserhöhung durch Komplimente oder andere
positive Verstärker
23. Kontraindikationen bei „Interapie“
Psychotisches Erleben (gemessen mit dem Dutch
Screening Device for Psychotic Disorders SDPD)
Dissoziation (Somatoform Dissoziation
Questionaire, SDQ-5)
Schwere Depression oder Suizidalität (SV in den
vergangenen 3 Jahren oder ernsthafte Erwägung eines SV)
Alkohol- oder Drogenmißbrauch (Biographical
Information Questionaire)
Alter unter 18 Jahren
Laufende psychotherapeutische Behandlung
24. Beispiele für Internet-basierte
Psychotherapie in Deutschland
Theratalk
Online Therapie basierend auf einem Konzept zur
Beratung bei Eheproblemen / Paartherapie Einführung
bereits im Jahr 1996 am Institut für
Psychologie, Universität Göttingen
Interapy
Deutsche Version des in den Niederlanden erfolgreich
eingesetzten Programs „Interapy“ in Berlin und in der
Schweiz
25. aktuelles Internet-basiertes
Selbsthilfeprogramm in Deutschland
Deprexis (Therapeutical Web-systems, Hamburg)
12 Module basierend auf kognitiv behavioraler VT zur
Behandlung von Depressionen
80 % der Studienteilnehmer, die das Programm bis zum
Ende nutzten, zeigten eine Verbesserung der Symptomatik
Aber: hohe Drop out Rate
Die diagnostische Klassifizierung beruht auf
Selbsteinschätzung (teils auch hausärztlichen
Diagnosen) kein professionelles Fremdrating
26. Therapeutische Beziehung via
Internet (KNAEVELSRUD u. MAERKER, 2006)
Evaluation der TB in Therapiestudien traumatischer
Belastungsstörungen mit Hilfe des Working Alliance
Inventory (Horvath u. Greenberg, 1989).
Erfasst wurde die TB nach der vierten und der letzten
Schreibsitzung (Skala 1 – 7 )
Nach der 4. Sitzung Durchschnittsscore von 5,8.
Weitere Verbesserung bis zum Abschluss der
Behandlung
27. Therapeutische Beziehung via
Internet
Von Patienten als „gut“ bezeichnete
therapeutische Beziehung nach der 4. Sitzung
(Internet M : 6.3 vs Face-to-Face M : 5,5)
beurteilt von Patienten
allerdings:
Relativ hohe drop out Rate (17 %) in der Internet-
Gruppe
Knaevelsrud und Maerker, 2007
29. Pro Internet - Psychotherapie
Flexibilität hinsichtlich Therapiezeitraum
Flexibilität hinsichtlich Ort
Erreichbarkeit von Subgruppen
weniger Stigma
geringere (??) Therapiekosten
frühe Intervention und geringe Wartezeit
30. Contra Internet-Psychotherapie
Limitierte Einsetzbarkeit bei
Kriseninterventionen
Keine zusätzlichen (non)verbalen Signale
während der Sitzungen
Reduzierter Ausdruck von Emotionalität
Notwendigkeit eines sicheren Datentransfers
beim Internet-Gebrauch
31. Contra Internet-Psychotherapie
Wegen spezifischer Manuale individualisiertes
Vorgehen nur sehr eingeschränkt möglich
Virence/NL : Kombination mehrer Module je
nach Schweregrad der Erkrankung
Schweden: erste Versuche des Einsatzes von
Modulen IPT zur Therapie von Patienten mit
komorbiden Störungsbildern
(Andersson, Callbring, Berger, Almlov und Cuijpers, 2009)
33. net-step Eckpunkte
Net step, eine Kombination von erfolgreicher Internet-
Psychotherapie mit vorteilhaften Gegebenheiten
konventioneller „Face to Face-Therapie
Internet–Psychotherapie mit einer zusätzlichen geringen
Anzahl an „Face to Face“ Kontakten
Diagnostische Phase „Face to Face“ mit Experten
(Psychologischer Psychotherapeut + Psychiater)
Module kognitiver Verhaltenstherapie
Projekt in Kooperation mit der AOK, dem Institut für
Klinische Psychologie der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf und Virence/NL.
34. net-step Eckpunkte
Net step beruht auf Modulen kognitiver
Verhaltenstherapie.
Die Behandlung findet auf einer geschützten, stark
strukturierten Webseite statt.
Die Webseite beinhaltet einen Patientenbereich (dieser
ist Passwort-geschützt nur vom Patienten abrufbar) und
einen Therapeutenbereich.
Der Patientenbereich enthält Informationen,
Anweisungen, Übungen, Hausaufgaben und einen
Abschnitt für individuelle Rückmeldungen durch den
Therapeuten.
Net step ist keine E-Mail Therapie.
35. net-step Eckpunkte
Erkrankungen : soziale
Phobie, Panikstörung, Depression
Studiendauer: 18 Monate
Patienten: 25 (Pilotphase) + 200 (Studie)
Vergleich (vorher – nachher) und
Vergleiche von Internet-basierter Therapie
mit TAU (ambulante kognitive Einzel-VT
(Face-to- Face) sowie mit einer Wartegruppe
36. net-step Datensicherheit
Bei Net – step erfolgt die Kommunikation über das Internet in
einer Sicherheitsstufe, die etwa dem online-banking entspricht.
Die Kommunikation erfolgt ausschließlich über Server der
Augustinus-Kliniken.
Patientendaten werden dabei nie „am Stück“ auf einem Server
gespeichert, sondern immer nur in Fraktalen auf verschiedenen
Servern, die jeweils gesondert gesichert sind. Damit ist
gewährleistet, dass ein Zugriff auf einen der Server nie zu einem
Zugang zu vollständigen Patientendaten führen kann.
Datenleitungen über das Internet zum Server werden zwar
Passwort-geschützt, unterliegen allerdings einem gewissen
Sicherheitsrisiko.
37. net-step –
therapeutische Besonderheiten
Schriftliche Kommunikation benötigt längere
Einarbeitungszeit der Therapeuten im Vergleich zu
konventioneller „Face-to-Face“-Therapie
Spezifische Supervision durch Psychotherapeuten, die
selbst Erfahrung mit Internet-Psychotherapie
haben, erforderlich.
Relativ hoher Aufwand während der diagnostischen Phase
durch Erstsicht eines psychologischen
Psychotherapeuten, Durchführung der Testpsychologie
und Zweitsicht durch einen Psychiater und
Psychotherapeuten
40. Flussdiagramm Therapieablauf net-step
Tel. Terminvereinbarung
im
Ambulanten Zentrum
www.net-step.de Erstgespräch
Ambulantes Zentrum
Face to Face Kontakt
Screening
Arzt/ Patient
(Untersuchung, Tests)
Therapeut/ Patient
Evaluation Fragebögen
Teilnahme net-step
Ja Nein
Zusagemail und
Zugangscode
Absageschreiben
Datenbank
Online- Therapie
Alternative Hilfestellen
Modulbearbeitung PIA, HH Uni DUS
Ambulantes Zentrum, SAJK
Notfallambulanz, SAJK
Therapieabschluss
Post-Test-Fragebogen
Face to Face Kontakt
Therapeut/ Patient
Re-Test
1 Jahr später
41. Frauenberatungsstelle Caritas RK
weitere Neuss e.V. Neuss e.V.
Kooperationspartner
Ev. Diakonie
Neuss
Gesundheitsamt
Neuss St. Alexius-/ AKN-
St. Josef KH Ambulanter Pflegedienst
Neuss Neuss
Heinrich-Heine-
AOK
Universität Virenze GmbH
Rheinland/Hamburg
Düsseldorf Niederlande
Neuss
kooperierende Projekt-
Partner partner
Netzwerk von „Net step“-Partnern
42. Resüme
• Während in einigen europäischen Ländern IPT bereits
als von Krankenkassen finanzierter regulärer PT
genutzt wird, ist IPT in Deutschland gegenwärtig noch
kein anerkanntes reguläres Therapieverfahren.
• Internet Psychotherapie ist als ERGÄNZUNG
psychotherapeutischer Settings und NICHT als deren
ERSATZ gedacht.
• „Net step“ ist ein Ansatz, Vorteile von IPT mit
konventioneller face to face Therapie zu kombinieren.