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Förderung der
Selbstlernkompetenz
von Werkrealschülern
Fernuniversität Hagen
Institut für Bildungswissenschaften und Medienforschung
Lehrgebiet Mediendidaktik
2. April 2014
Peter Wicke,
peter.r.wicke@gmail.com
1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Haupt- und Werkrealschule
2.1 Entwicklung der Hauptschule
2.2 Die aktuelle Situation in Baden-Württemberg
2.3 Haupt- und Werkrealschüler im Bildungssystem
2.3.1 Strukturelle Veränderungen
2.3.2 Die subjektive Perspektive
2.4 Übergänge in die berufliche Ausbildung
2.5 Die Zukunft der Haupt-/Werkrealschule
3 Die Selbstregulation des Lernens
3.1 Definitionen
3.2 Theoretischer Hintergrund der Selbstregulation
3.2.1 Zeitlich-zyklische Modelle
Das Rubikon-Modell
Das Prozessmodell der Selbstregulation
An integrative Phase Model of Self-
Regulated Learning
3.2.2 Einige psychologische Aspekte der
Selbstregulation
Motivation
Volition
Emotion
Lage- und Handlungsorientierung
Selbstwirksamkeitserwartung – Perceived
Self-efficacy
4 Die Förderung der Selbstlernkompetenz
4.1 Lernstrategien
4.1.1 Allgemeine Systematik
4.1.2 Handlungskontrollstrategien
4.1.3 Volitionale Aspekte der Selbststeuerung
4.1.4 Motivationale Aspekte der Selbststeuerung
4.1.5 Emotionale Aspekte der Selbststeuerung
4.2 Das Lerntagebuch (LTB)
4.2.1 Allgemeine Gesichtspunkte
4.2.2 Entwurf des LTB
4.2.3 Einsatz des LTB
5 Zum Abschluss
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
S. 2
S. 4
S. 4
S. 4
S. 6
S. 6
S. 8
S. 11
S. 12
S. 13
S. 14
S. 14
S. 15
S. 15
S. 17
S. 18
S. 20
S. 20
S. 22
S. 24
S. 26
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S. 27
S. 28
S. 28
S. 29
S. 29
S. 30
S. 30
S. 30
S. 30
S. 33
S. 39
S. 53
S. 54
S. 60
S. 60
2
Wenn ich nur darf, wenn ich soll,
aber nie kann, wenn ich will,
dann mag ich auch nicht, wenn ich muss.
Wenn ich aber darf, wenn ich will,
dann mag ich auch, wenn ich soll,
und dann kann ich auch, wenn ich muss.
Denn schließlich:
Die können sollen,
müssen auch wollen dürfen!
(Autor unbekannt, zit. nach Schett, 2008, S. 93)
1 Einleitung
Hauptschülerinnen und Hauptschüler haben es heute nicht leicht, und das
gleich in mehreren Bereichen. Zum einen hat „ihre“ Schule einen schlechten
Ruf – „Restschule“ oder „Problemschule“ sind gängige mediale Schlagwor-
te. Zum anderen sinken die Schülerzahlen rapide. In Baden-Württemberg
werden wahrscheinlich mehr als ein Drittel der Hauptschulen nicht überle-
ben. Die eigentliche „Hauptschule“ ist heute eher das Gymnasium.
Oft haben Hauptschüler mit einem schwierigen Start zu kämpfen. Becker
(2008) vergleicht die Situation der Hauptschüler wie folgt: Als würden sie
beim Hundertmeterlauf „mit zu groß geratenen Schuhen ohne Schnürsenkel
an der Startlinie stehen, während die Kinder aus höheren Sozialschichten
mit bester Ausstattung einen nicht einholbaren Vorsprung über 50 Meter
haben, bevor überhaupt der Startschuss gefallen ist“ (Becker, 2008, S. 184f).
Wie später erläutert wird, werden im deutschen Schulsystem schwächere
Schüler 'nach unten' weitergereicht, bis sie in der 'Endstation Hauptschule'
landen. Fend (2004) spricht gar von einer „Entsorgungsmentalität“ (s.u.) des
Schulsystems. Vom „Fahrstuhleffekt“ (Beck) sind sie nicht mitgenommen
worden. Nur ein Viertel von ihnen wird direkt nach der Schule einen Ausbil-
dungsplatz finden. Über zehn Prozent der Jugendlichen wird auch nach zwei
Jahren noch immer keine berufliche Perspektive haben.
Wie kann Lernen unter diesen Bedingungen gelingen? Wie geht es einem
Schüler unter diesen Umständen im Schulalltag? Mit wie viel Motivation,
3
Lernbegeisterung, Wille, Vertrauen oder zielgerichtetem Handeln kann ein
Jugendlicher unter diesen Voraussetzungen seine Schulzeit produktiv ge-
stalten? Oder wird sie nur ertragen und ausgehalten? Gerade für Hauptschü-
lerinnen und Hauptschüler wäre es hilfreich, verstärkt Wege und Strategien
zur Verfügung zu haben, mit deren Hilfe sie ihre Situation selbst verbessern
könnten. Vor diesem Hintergrund soll mit einer Schulklasse ein Training
zum selbstregulierten Lernen durchgeführt und dabei erprobt werden, ob die
Anwendung eines Lerntagebuchs dazu beitragen kann, dass die Schüler ihre
Lernkompetenzen selbständig weiter entwickeln.
Hauptschule kann gelingen. Die Hauptschule, die in Baden-Württemberg
in eine 'Werkrealschule' umgewandelt wird, ist unbestreitbar auf dem Weg.
Es werden neue Bildungspläne und Kooperationen entwickelt und an den
meisten Schulen wird Lernen neu definiert. Es werden neue didaktische Me-
thoden und fördernde Maßnahmen umgesetzt. Mehr und mehr wird die
Selbständigkeit der Schülerinnen und Schüler gefördert. Hier kann das
Lerntagebuch mit seinen unterschiedlichen Strategien ein hilfreiches Hand-
werkszeug sein. Die Jugendlichen bekommen Mittel an die Hand, mit deren
Hilfe sie das eigene Lernen selbständig gestalten können. Sich auf diese
Weise Selbstlernkompetenzen anzueignen und zu verinnerlichen, ist die bes-
te Voraussetzung dafür, die eigene (Weiter-) Bildung und das eigene Leben
in die Hand zu nehmen und aktiv zu gestalten.
In den folgenden Kapiteln soll dieser Weg nachgezeichnet werden. Nach ei-
ner Darstellung der aktuellen Situation in der Haupt- oder Werkrealschule in
Baden-Württemberg in Kapitel zwei, soll im darauf folgenden Kapitel die
Selbstregulation des Lernens theoretisch erläutert werden. Das selbständige
Lernen ist schon mehrere Jahrzehnte im Fokus der wissenschaftlichen For-
schung angekommen. Die Zugänge und Modelle sind vielfältig. Hier sollen
einige relevante Modelle und verschiedene psychologische Aspekte der
Selbstregulation erläutert werden. Im Mittelpunkt des darauf folgenden vier-
ten Kapitels steht dann die Förderung der Selbstlernkompetenz mittels ge-
eigneter Lernstrategien im Mittelpunkt. Nach einer allgemeinen Betrachtung
von Lernstrategien, wird die praktische Umsetzung mittels eines Lerntage-
buchs in einer Werkrealschule theoretisch und praktisch dokumentiert. Mit
4
Hilfe eines Instruktionsdesign-Modells wird die Entwicklung und
Durchführung des Trainings der Jugendlichen strukturiert. Den Abschluss
bilden eine kurze Zusammenfassung und einige Überlegungen zur
Perspektive.
2 Die Haupt- und Werkrealschule
2.1 Entwicklung der Hauptschule
Die Hauptschule ist eine verhältnismäßig 'junge' Schulart; sie ging erst 1964
aus der 'Volksschule' hervor. Sie wurde in einer Übereinkunft der Bundes-
länder als dritte, allgemeinbildende und weiterführende Schulart konzipiert.
Gleichzeitig wurde sie zur Pflichtschule für alle die Schülerinnen und Schü-
ler erklärt, die keine andere weiterführende Schule besuchen. Der Unterricht
sollte stark praxisbezogen sein und mit der Berufsschulreife abschließen.
2.2 Die aktuelle Situation in Baden-Württemberg
Seit dem Schuljahr 2010/2011 können sich Hauptschulen zu Werkrealschul-
en weiterentwickeln. An diesen Werkrealschulen sind dann verschiedene
Schulabschlüsse möglich: die Hauptschulprüfung nach Klasse 9 oder 10 und
der 'Werkrealschulabschluss', der dem Abschluss an einer Realschule gleich-
gestellt ist. Hiermit soll auch die Durchlässigkeit zwischen den Schularten
erhöht werden. Viele Hauptschulen bewerben sich für diese Aufwertung, um
wieder attraktiver zu werden und durch höhere Schülerzahlen einer mögli-
chen Schließung vorzubeugen. Obwohl sich die Hauptschule in den ver-
schiedenen Bundesländern unterschiedlich entwickelt hat, lassen sich einige
Gesichtspunkte verallgemeinernd darstellen.
Die Hauptschule gerät seit Jahrzehnten zunehmend unter Druck. In Fol-
ge der allgemeinen Bildungsentwicklung, der demographischen Veränderun-
gen in der Bevölkerung oder auch durch wirtschaftliche Prozesse in Hand-
werk und Industrie verliert die Hauptschule mehr und mehr an Bedeutung.
Seit 2004 sind die Schülerzahlen um 20 Prozent zurück gegangen; je nach
Bundesland oder Region fällt diese Veränderung unterschiedlich aus.
Medienberichte über Gewalt an Hauptschulen und das schlechte Ab-
schneiden in internationalen Vergleichsstudien wie PISA, IGLU oder
TIMMS haben zu diesem Rückgang beigetragen. Zusätzlich verstärkt wurde
dieser Trend in den letzten Jahren durch einen gravierenden öffentlichen
5
Ansehensverlust der Hauptschule, der sich in Bezeichnungen wie „Rest-
schule“, „Problemschule“, „Brennpunktschule“ oder ähnlichem nieder-
schlägt. Einige ostdeutsche Bundesländer haben die Hauptschule gar nicht
erst eingeführt, andere haben sie längst wieder abgeschafft. Andere Bundes-
länder wiederum, wie beispielsweise Baden-Württemberg und Bayern hal-
ten weiterhin an der Hauptschule fest. Erst unter der neuen Landesregierung
seit 2011 ist verstärkt Bewegung in die Schulentwicklung gekommen.
So wurden im Bildungsplan der Werkrealschule für das Jahr 2012/2013
die Fächer „Berufsorientierte Bildung“ und „Kompetenztraining“ neu aufge-
nommen, um die Schülerinnen und Schüler intensiver auf eine zukünftige
Berufsausbildung vorzubereiten. Die Landesregierung betont, sie biete den
Schülern „ein Konzept, mit dem sie ihre individuellen Fähigkeiten durch ein
auf sie abgestimmtes Lernkonzept optimal nutzen können und so ihren
persönlichen Schulerfolg verbessern werden“ (Ministerium für Kultus,
Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2012, S. 7). Dieses Kompetenztrai-
ning, das u.a. auch Durchhaltevermögen, Selbständigkeit, Konzentrations-
fähigkeit, Lern- und Arbeitsmanagement beinhalten soll (vgl. ebenda,
S.152ff), wird unverständlicherweise in der 10. Klasse angeboten, so dass
die Schüler in der schulischen Entwicklung davon nicht profitieren. Die
Bedeutung des selbstregulierten Lernens für die Schule scheint im Kultus-
ministerium Baden-Württembergs noch nicht angekommen zu sein. Und
dies trotz der Befunde der PISA-Studien, die immer wieder auf einen nied-
rigen Leistungsstand insbesondere der Hauptschüler hinweisen, nach denen
z.B. „Kontroll- und Elaborationsstrategien (…) am seltensten von Haupt-
schülern verwendet“ werden (vgl. Artelt, Demmrich & Baumert, 2001, S.
297). In diesem Bereich des Kompetenztrainings besteht dringender Hand-
lungsbedarf, der später im Lerntagebuch mittels kognitiver und metakogni-
tiver Strategien gedeckt wird.
Zur gleichen Zeit ist in Baden-Württemberg die (bisher verbindliche)
'Grundschulempfehlung' für den weiteren Schulbesuch nach der Grund-
schule entfallen. Es war keine Überraschung, dass zum Schuljahr 2013 /
2014 nur noch 12% der Kinder in Werkreal- u. Hauptschulen angemeldet
wurden. Im Vergleich zum Vorjahr war dies ein Rückgang um fast 72%. Es
ist deutlich, dass die meisten Eltern für ihre Kinder einen mittleren oder
6
höheren Bildungsabschluss zur Verbesserung ihrer Berufsaussichten
anstreben. Für ein Drittel der Haupt- und Werkrealschulen stellt sich die
Frage, ob sie überleben werden (siehe: Böhme, 2013, o.S.). Die
Entwicklung ist von vielen Faktoren abhängig, ein Ergebnis ist noch nicht
absehbar. Eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Werkrealschulen ist
aufgrund des Datenmaterials zur Zeit noch nicht möglich.
2.3 Haupt- und Werkrealschüler im Bildungssystem
2.3.1 Strukturelle Veränderungen
Die Gliederung des deutschen Bildungssystems wird schon seit Jahrzehnten
kontrovers diskutiert. „Zum einen findet sich die Position, dass eine Gliede-
rung nach Schulformen mit unterschiedlich hohen Anforderungsniveaus
(Hauptschule, Realschule, Gymnasium) unverzichtbar ist und schon zu ei-
nem frühen Zeitpunkt erfolgen sollte, damit dem unterschiedlichen Leis-
tungspotential der Schüler bestmöglich entsprochen werden kann. Die Ge-
genposition stellt gerade das in Frage und sieht ein integriertes System (Ge-
samtschule, Gemeinschaftsschule) als die überlegene und den Ansprüchen
einer modernen Demokratie weit angemessenere Organisationsform an“
(Ditton & Reinders, 2011, S. 145). In den einzelnen Bundesländern wird die
Differenzierung heute unterschiedlich gehandhabt. Vergleiche zeigen, „dass
mit unterschiedlichen Differenzierungsformen erfolgreich gearbeitet werden
kann“ (Trautwein, U., Baumert, J. & Maaz, K., 2007, S. 3). Oft führt die
Differenzierung zu Lerngruppen, die nach ihrer Leistungsfähigkeit homoge-
nisiert werden. Schwächere Schüler werden dabei 'nach unten' weiterge-
reicht, um so „die anspruchsvollen Bildungsgänge von weniger geeigneten
Schülerinnen und Schülern zu 'reinigen'. Es entsteht damit eine gewisse
Entsorgungsmentalität (kursiv i.O., PW), die zu einem Abschieben in ande-
re Schulformen und zu einem gehäuften Sitzenbleiben führt“ (Fend, 2004,
S.23). Offiziell soll die Homogenisierung mit einer Durchlässigkeit des Bil-
dungssystems kompensiert werden, die es Schülern ermöglicht, innerhalb
der Bildungskarriere die Schulart wechseln zu können. Wiederholt wurde
gezeigt, dass eben jene Durchlässigkeit fast ausschließlich in eine Richtung
funktioniert – und zwar von oben nach unten. Bohl (2003) berichtet: „Je
nach Studie und Bundesland beträgt das Verhältnis zwischen 1:18 und 1:11;
d.h. ein Jugendlicher steigt auf, 18 bzw. 11 Jugendliche steigen hingegen
7
ab“ (S. 37).
Die quantitative Reduzierung der Schülerzahlen der Haupt-/Werkreal-
schulen könnte als eine Verbesserung der Chancengleichheit und als Erfolg
der Bildungspolitik angesehen werden. Für die Hauptschulen weisen
Lauterbach und Becker (2008) jedoch nach, „dass durch den Rückgang der
Zahl von Schülern in Hauptschulen ein eigentümlicher
Selektionsmechanismus entsteht, der dazu führt, dass mittlerweile nur
bestimmte Gruppen von Schülern vornehmlich auf der Hauptschule zu
finden sind“ (Lauterbach & Becker, 2008, S. 423). Der 'Fahrstuhleffekt' (U.
Beck) hat nicht alle mitgenommen, „denn die Hauptschülerinnen und
Hauptschüler sind in 'ihrer Etage geblieben' bzw. zurückgelassen worden.
Die Bildungsverteilung ist damit im Verlauf der Bildungsexpansion nicht
gleicher, sondern ungleicher geworden“ (Solga & Wagner, 2008, S. 195).
Solga und Wagner sprechen in diesem Zusammenhang von einem
„Creaming-out“-Prozess (ebenda), für den die Haupt-/Werkrealschulen und
die Schülerinnen und Schüler einen hohen Preis bezahlen. Hier treffen heute
all die zusammen, die in den Lernmöglichkeiten und ihrem Lernverhalten
geschwächt sind. Hier häufen sich die Faktoren, die die
Leistungsentwicklung des Einzelnen und ganzer Schulklassen
beeinträchtigen können. Als „kollektive Belastungsfaktoren“ gelten
insbesondere: „der Anteil von Wiederholern, ein niedriges Leistungs- und
Fähigkeitsniveau, Konzentration von Schülern aus extrem bildungsfernen
Familien und ein steigender Anteil von Jugendlichen, aus Elternhäusern mit
besonderen sozialen und privaten Belastungen“ (Trautwein et al., 2007, S.
4f). Dass es unter ungünstigen Lernbedingungen außerordentlich schwierig
sein kann, einen guten Schulabschluss zu erreichen, braucht kaum weiterer
Erläuterung. Hier sei an Beckers Vergleich mit einem Hundertmeterlauf
(s.o.) erinnert. Umso dringender ist es geboten, gerade Werkrealschülern zu-
sätzliche Unterstützung anzubieten. Ein Hilfsmittel hierfür kann die Verbes-
serung der Selbstlernfähigkeit sein.
Viele Studien haben immer wieder den engen Zusammenhang zwischen
der sozialen Herkunft und den Bildungsmöglichkeiten in Deutschland her-
vorgehoben. In keinem OECD-Land ist dieser Zusammenhang so eng wie in
Deutschland. Zum Beispiel werden Kinder aus Arbeiterfamilien häufig zu-
8
nächst aufgrund von Entwicklungsdefiziten zurückgestellt; sie sind in Son-
derschulen für Lernbehinderte überrepräsentiert und müssen Klassen häufi-
ger wiederholen. In der Hauptschule gehören fast 64 % der Schüler zu den
wenig erfolgreichen (Schümer, 2004, S. 73f). Diese Effekte sind bei Jungen
stärker ausgeprägt als bei Mädchen. Nach der jüngsten Pisa-Erhebung 2013
hat sich „die ausgeprägte Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer
Herkunft (…) leicht abgeschwächt“ (N.N., 2013, Manager-Magazin, o.S.).
Der Leistungszuwachs „basiert (…) vorwiegend auf besseren Leistungen
der sozial schwächeren Jugendlichen“ (Prenzel, 2013, o.S.). Hier zeigt es
sich, dass gerade in den Haupt-/Werkrealschulen in den letzten Jahren sehr
viel getan wurde. Allerdings sind die Abstände der schwächeren Schüler zu
den sozial besser gestellten immer noch sehr groß (ebenda).
Die Ursachen für die dauerhafte Bildungsungleichheit sind sehr vielfältig
und können hier nur angerissen werden. Als Versuch einer Strukturierung
dieser „komplexen Gemengelage“ beziehen sich Lauterbach und Becker
(2008) auf verschiedene Ebenen von Ursachenfaktoren:
• Auf der Mikroebene des Individuums werden die „Sozialisationsbe-
dingungen des Elternhauses sowie elterliche Bildungsentschei-
dungen (…) hervorgehoben.
• Auf der Mesoebene des Bildungssystems (i.O.) werden Strukturen
und institutionelle Regelungen (…) sowie Selektions- und Sortie
rungsprozesse seitens der Bildungseinrichtungen genannt.
• Schließlich sind auf der Makroebene der Gesellschaft (i.O.) die
Bildungsungleichheit verstärkende oder abschwächende Entwick-
lungen von Bedeutung wie etwa die Nachfrage nach Qualifikationen
auf dem Arbeitsmarkt, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung oder
Bildungsreformen oder unerwartete Folgen von Eigendynamiken der
Bildungsexpansion“ (Lauterbach & Becker, 2008, S. 431).
2.3.2 Die subjektive Perspektive
Wiederholt bestätigen große Studien wie PISA, UNICEF-Studie oder die
Studie der Jugendstiftung Baden-Württemberg, dass ein Großteil der Schü-
lerinnen und Schüler an seiner Schule zufrieden ist. Prenzel (2013) kom-
mentiert die Pisa-Studie von 2013 mit den Worten: „Aus der Sicht der Schü-
ler (…) macht ihnen die Schule nicht mehr Angst als früher. Im Gegenteil,
9
sie fühlen sich sogar stärker mit ihrer Schule verbunden (...)“ (Prenzel,
2013, o.S.). Das ist sehr erfreulich.
Im Lebensabschnitt 'Jugend' gilt es, viele Entwicklungsaufgaben gleich-
zeitig zu bewältigen; von der körperlichen Entwicklung, über die Ablösung
von den Eltern bis zur Entwicklung von Freundes- und Liebesbeziehungen
und immer wieder neuen Herausforderungen in der Schule oder der Ausbil-
dung. Dies ist per se keine leichte Aufgabe. Erheblich beeinträchtigt werden
kann eine konstruktive Bewältigung, wenn Jugendliche zusätzlich mit
erschwerten Lebenslagen konfrontiert sind.
Zu Beginn ist der wichtigste Lernort für Kinder in der Regel die Familie;
dort erlernen sie viele der Kompetenzen, die sie zur Alltagsbewältigung
brauchen. „Bildungsprozesse in der Familie werden (…) vor allem über die
Qualitäten familialer Beziehungsformen wie z.B. Reziprozitätserfahrung,
Art der Kommunikationsformen, soziale Anerkennung bzw. Unterstützung
beeinflusst“ (Grundmann, Bittlingmayer, Dravenau & Groh-Samberg, 2008,
S. 50). In der Grundschule (oder auch schon im Kindergarten) können ins-
besondere Kinder aus bildungsfernen Familien eine große Diskrepanz zu
den dort angemessenen Handlungsformen und Bildungsprozessen erfahren.
Ihre lebensweltliche Erfahrung außerhalb der Schule stellt sich dann als
Hindernis heraus. „Die Handlungsbefähigungen, die in der einen Welt zäh-
len, sind in der anderen nichts wert“ (Grundmann et al., S. 53). So erfahren
sie schon beim Eintritt in die Grundschule eine Benachteiligung aufgrund
ihrer Herkunft und starke Irritationen des eigenen Selbst. Für sie „stellt sich
(…) die mehr oder weniger ausgeprägte Alternative, sich entweder auf den
Versuch des Bildungsaufstieges einzulassen und dabei das eigene Selbst
schutzlos den schulischen Zuschreibungen von Erfolg und Versagen preis-
zugeben, oder sich den schulischen Anforderungen zu verweigern und ihnen
den in den Peergruppen und im eigenen Herkunftsmilieu ausgebildeten Bil-
dungsstrategien und Anerkennungsmodi entgegenzuhalten, die das eigene
Selbst zu stützen und anzuerkennen vermögen“ (Grundmann et al., S. 59).
Diese Kinder werden sich in und auch außerhalb der Schule oft in einem
„Modus der Anspannung und der Ungewissheit, wenn nicht gar im Modus
der Angst oder der Gewissheit des Scheiterns“ (ebenda) befinden. Emotio-
nale Belastungen dieser Art stellen für eine positive Persönlichkeitsentwick-
10
lung und für konstruktive Lernprozesse große Hindernisse dar. „Als Folge
verlieren diese Schülerinnen und Schüler schon auf den niedrigen Klassen-
stufen den Anschluss. Schulischer Misserfolg durchzieht unter Umständen
ihre gesamte Schullaufbahn“ (Wetzstein & Erbeldinger, 2007, S.128). Hier
kann man erahnen, von welch großer Bedeutung emotionale Prozesse für
die Entwicklung der Jugendlichen sind, ein Thema, das in späteren Kapiteln
wieder aufgenommen wird.
Unter den geschilderten Umständen wird es für Kinder und Jugendliche
schwer, die Sicherheit zu entwickeln, „dass sie in typischen Leistungssitua-
tionen - bei Einsatz angemessener Anstrengung - über die notwendigen Mit-
tel verfügen, ihre Ziele zu erreichen“ (Trautwein et al., 2007, S. 6). Aber ge-
nau diese Sicherheit, die sogenannte 'Selbstwirksamkeitsüberzeugung' geht
sowohl „mit anspruchsvolleren Zielsetzungen, höherer Anstrengungsbereit-
schaft und Ausdauer sowie einer günstigen Verarbeitung von Misserfolg
(einher)“ (ebenda). Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, Jugendliche in ih-
rer Selbstlernkompetenz zu stärken, ihnen Erfolgserlebnisse zu ermöglichen,
wie es auch im Lerntagebuch beabsichtigt ist (s.u.).
In der Haupt-/Werkrealschule treffen viele Jugendliche mit ähnlichen
Biographien aufeinander. „Ihre Elternschaft stammt homogen aus den unte-
ren Schichten, während die kulturelle, familiäre und sprachliche Vielfalt die
größte ist“ (Bohl, 2003, S. 58). Zum einen bedeutet diese Homogenität eine
Entlastung, da andere Mitschüler ähnliche Biographien und Probleme haben
(vgl. Trautwein et al., 2007, S. 7), andererseits konzentrieren sich in den ein-
zelnen Schulen oder Klassen oft Jugendliche mit schlechten Schulleistung-
en, Misserfolgskarrieren, Problemen in der Familie und sozial auffälligem
Verhalten. Selbstwert, Selbstvertrauen und auch Selbstwirksamkeit sind
wichtige Schulthemen, die für die meisten Lehrer der Hauptschule auch
selbstverständlich sind.
Darüber hinaus finden in der Regel auch in der Peer-group Homogenisie-
rungsprozesse in „relativ abgeschlossenen Subkulturen“ (Solga & Wagner,
2000, S. 5) und Netzwerken statt, „infolge einer weitgehenden Beschrän-
kung der sozialen Kontakthäufigkeit auf Angehörige der jeweils eigenen
Schulform“ (ebenda). Ein schlechtes Schul- oder Klassenklima, Schulver-
drossenheit, Unterrichtsstörungen, Aggression und Gewalt oder auch Angst
11
und Depression können die Folgen sein. Dieses Verhalten betrifft Jungen
häufiger als Mädchen. Verschiedene Untersuchungen haben diese Alltags-
und Schulbedingungen als leistungshemmend für den Kompetenzerwerb in
der Schule herausgearbeitet (so beispielsweise Meier 2004, Bohl 2003,
Schümer 2004).
2.4 Übergänge in die berufliche Ausbildung
Wie bereits erwähnt, sollte die Haupt-/Werkrealschule auf das Arbeitsleben
vorbereiten. Hier wird kurz beschrieben, wie sie diesen Auftrag in der
Vergangenheit erfüllt hat.
Neben großen Veränderungen auf dem Markt für Ausbildungsstellen un-
terliegen die Werkrealschülerinnen und -schüler heute in vielen Berufen ei-
ner starken Verdrängung durch Real- und Gymnasialschüler. Die beruflichen
Perspektiven der Jugendlichen sind sehr begrenzt. Die Frage, wie es nach
der Schule weitergehen soll, wird für die Jugendlichen im Laufe der Schul-
zeit zu einer zunehmenden Belastung (vgl. Gaupp, N., Lex, T., Reißig, B. &
Braun, F., 2008). In einem mehrjährigen Panel hat das Deutsche Jugendin-
stitut die Ausbildungswege von Jugendlichen untersucht. Nur 25 % der Ju-
gendlichen konnten direkt nach dem Schulabschluss einen Ausbildungsplatz
vorweisen. Hier war die Chance für Jungen ohne Migrationshintergrund am
höchsten. Jugendliche mit Migrationshintergrund hatten erheblich größere
Schwierigkeiten; insbesondere türkische Jungen fanden nur zu 7 % einen
Ausbildungsplatz. 33 % der Schülerinnen und Schüler gingen auf eine wei-
terführende Schule; dies war verstärkt bei Mädchen und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund zu beobachten. 26 % befanden sich in einer berufs-
vorbereitenden Maßnahme. Erst im dritten Übergangsjahr befanden sich
mehr als die Hälfte der Jugendlichen in einer Berufsausbildung (vgl. Reißig,
2007). Mit teilweise mehrjährigen Zwischenschritten gelang es den meisten
Jugendlichen, eine Ausbildung zu absolvieren. Allerdings befanden sich im
dritten Übergangsjahr 16 % „weder in der Schule noch in Berufsvorberei-
tung, Ausbildung oder Arbeit, hatten also nach der Berufsvorbereitung kei-
nen Anschluss gefunden“ (Reißig, 2007, S. 16). Ihre Chancen auf dauerhafte
Beschäftigung und gesellschaftliche Teilhabe sind sehr gering.
Wenn der Untersuchung zu Folge lediglich 25 % der Schülerinnen und
Schüler nach dem Schulabschluss direkt in eine Ausbildung wechseln
12
konnten, scheint es fraglich, ob die Haupt-/Werkrealschule dem postulierten
Auftrag, auf das Berufsleben vorzubereiten, gerecht wird. Mit den neu ge-
schaffenen Ausbildungsfächern 'Berufsorientierte Bildung' und
'Kompetenztraining' sind Grundsteine gelegt worden, die die Lage der Ju-
gendlichen verbessern könnten.
2.5 Die Zukunft der Haupt-/ Werkrealschule
Aus der beschriebenen Situation der Haupt-/ Werkrealschule lassen sich
einige Schlussfolgerungen und Ideen für eine Weiterentwicklung der Haupt-
/ Werkrealschule ableiten.
Auf schulischer Ebene müsste sich die Schule intensiv um eine Steige-
rung ihrer Attraktivität bemühen, um neben der Realschule und dem
Gymnasium einen festen Platz zu finden. Im Landesbildungsplan ist ein
„Bildungsverständnis, das Bildung, Erziehung und Betreuung als Einheit
begreift“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg,
2012, S.7) festgeschrieben. Es bietet den Schulen den Rahmen, sich ver-
stärkt auf die sozialen und individuellen Lebenslagen der Schüler einzustel-
len und sie bei deren Bewältigung zu unterstützen. Hier ist in den letzten
Jahren schon viel geschehen. Vermutlich gibt es keine Schulart, die in den
letzten Jahren so viele pädagogische und didaktische Veränderungen vorge-
nommen hat, „um die aus den unterschiedlichen Voraussetzungen erwach-
senden Probleme ihrer Schülerschaft aufzufangen. Zu den wichtigsten dieser
Konzepte zählen: Klassenlehrerprinzip, Teamteaching, Jahrgangsübergrei-
fender Unterricht, Ausbau projektorientierter Unterrichtsmodule, Deutsch-
kurse für ausländische Schüler, berufsqualifizierende Sonder bzw. Jahres-
praktika, Schulsozialarbeit, (...), Soziales Lernen, Trainingsraum (...), Ge-
waltprävention, Streitschlichtung (...), Suchtberatung“ (N.N., 2014,
Hauptschule).
In Freiburg wurde z.B. das Modell einer „Bildungsregion“ entwickelt, in
der Stadtverwaltung, Arbeitsagentur, Schulleiter, Lehrkräfte, Unternehmen,
Verbände und andere Bildungsträger im Projekt „Erfolgreich in Ausbildung“
zusammenarbeiten, um möglichst vielen Schülerinnen und Schülern passen-
de Bildungslaufbahnen zu vermitteln (vgl. Ridderbusch, 2009, S. 28) und
sie zu unterstützen, die Verwertbarkeit ihres Schulabschlusses zu verbes-
sern. Dieses Modell soll auf ganz Baden-Württemberg ausgeweitet werden.
13
Diese Aspekte bieten vielfältige Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der
Selbstlernkompetenz der Jugendlichen; so könnte das Thema 'Selbstregu-
liertes Lernen mittels Lerntagebuch' z.B. zu einem viel früheren Zeitpunkt,
den fachlichen Unterricht begleitend, in das Curriculum eingebaut werden.
Zu möglichen Verbesserungen im Bereich Lehren und Lernen hat auch
die 2008 erschienene Meta-Studie 'Visible Learning' von John Hattie wichti-
ge Anstöße gegeben. Nach seiner Untersuchung haben insbesondere aktives
Lehrerhandeln, anspruchsvoller und herausfordernder Unterricht, klare
Lernziele und Strategien, diese zu erreichen, vertrauensvolle Kommunika-
tion, gegenseitiges Feedback zwischen Schülern und Lehrern sowie u.a.
auch regelmäßige Selbsteinschätzungen des Schülers eine hohe Wirksamkeit
zur Verbesserung des Lernens bewiesen (vgl. z.B. Höfer & Steffens, 2013;
Spiewak, 2013; N.N., 2013: Hattie im Detail). Mit dem kontinuierlichen
Einsatz eines Lerntagebuchs und der direkten Betreuung und Förderung der
einzelnen Schülerinnen und Schüler könnten viele der obigen Verbesserun-
gen wirksam weiterentwickelt werden.
3 Die Selbstregulation des Lernens
Der fortlaufende Wandel in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft, die
Anforderungen der Wissensgesellschaft, die Unbeständigkeit des Arbeits-
marktes und oft auch der eigenen sozialen Lage zwingen Jugendliche und
Erwachsene, sich beständig weiter zu bilden. Vor diesem Hintergrund gilt
heute eine kontinuierliche und zielgerichtete Weiterbildung als Schlüssel für
eine zufriedenstellende Lebens- und Arbeitsqualität.
Das Wissen und Können aber, das sich Schülerinnen und Schüler heute
in der Schule aneignen, wird in wenigen Jahren, wenn sie eine Stelle auf
dem Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt suchen, teilweise schon wieder veraltet
sein. Um so wichtiger ist es, ihnen rechtzeitig Kompetenzen für ein eigen-
ständiges, selbstreguliertes (Weiter-) Lernen zu vermitteln. Gerade für Ju-
gendliche, die außerhalb der Schule kaum Lernunterstützung erfahren, be-
steht ein hoher Bedarf an dieser Selbstlernkompetenz.
Seit mehr als dreißig Jahre wird intensiv zu unterschiedlichen Aspekten
des selbstregulierten Lernens geforscht. An dieser Stelle sollen einige rele-
vante Forschungsergebnisse und Modelle vorgestellt werden, die für die Un-
14
terstützung in der Schule relevant sind. Zuvor bedarf es jedoch einer Klä-
rung, was in dieser Arbeit mit 'selbstreguliertem Lernen' gemeint ist.
3.1 Definitionen
Während Weinert (1982, S. 102, zit. in Schmitz & Wiese, 1999, S. 157) eine
sehr kurze und eingängige Definition verwendet, in der er selbstgesteuertes
Lernen als eine Lernform definiert, „bei der der Handelnde deutlichen Ein-
fluss darauf hat, ob, was, wann, wie und worauf hin er lernt'“ (Schmitz &
Wiese 1999, S. 157), geben Nückles et al. (2010) eine differenzierte Erklär-
ung:
Als selbstreguliert wird (...) ein Lernen verstanden, bei dem die Ler-
nenden eigenständig planen, welche Ziele sie erreichen möchten, ge-
eignete Lernstrategien wählen, um die Lernhandlung durchzuführen,
ihren Lernprozess fortwährend überwachen, und nach Abschluss der
Lernhandlung bewerten, inwiefern sie die gesteckten Ziele erreicht
haben (…). Der Begriff der Regulation, d.h. der Kontrolle und
Steuerung beim selbstregulierten Lernen bezieht sich nicht nur auf
kognitive Prozesse wie etwa die Auswahl geeigneter Lernstrategien
und deren Anpassung an inhaltliche Erfordernisse. Vielmehr wird da-
von ausgegangen, dass für ein erfolgreiches Lernen die Regulation
motivationaler und emotionaler Prozesse, etwa die Fähigkeit, Aufga-
ben zu erledigen anstatt aufzuschieben (…) oder die Aufrechterhal-
tung der Lernfreude (…) ebenso von Bedeutung sind (Nückles et al.,
2010, S. 36).
In diesem Sinne soll der Begriff des selbstregulierten Lernens auch in dieser
Arbeit angewandt werden. Auf eine Unterscheidung zwischen 'selbstorga-
nisiertem', 'selbstgesteuerten', 'selbstregulierten' (usw.) Lernen wird hier ver-
zichtet (vgl. Schett, 2008, S. 16ff). In den folgenden Modellen werden die
oben verwendeten Begriffe weiter vertieft.
3.2 Theoretischer Hintergrund der Selbstregulation
In diesem Kapitel sollen einige theoretische Konzepte zum selbstregulierten
Lernen unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Zum
einen werden Modelle unter einer zeitlich-zyklischen Perspektive
dargestellt; zum anderen möchte ich einige psychologische Gesichtspunkte
hervorheben, die – aus meiner Sicht – für das Verständnis des
15
selbstregulierten Lernen von großer Bedeutung sind.
Zeitlich-zyklische Modelle
Heckhausen &
Heckhausen
(1990, 2010) u.a.
Rubikonmodell
Prädesiziona
le Phase
→
Präaktionale
Phase
→
Aktionale
Phase
→
Postaktio-
nale Phase
→
Schmitz (2001) Prozessmodell der Selbstregulation
Präaktionale
Phase
→
Aktionale
Phase
→
Postaktio-
nale Phase
→
Zimmerman
(2006) u.a.
An Integrative Phase Model of Self-
Regulated Learning
Forethought
Phase
→
Performance
Phase
→
Self-
Reflection
Phase
→
Tab. 1: Zeitlich-zyklische Modelle
Psychologische Aspekte der Selbstregulation
Motivation u.a. Ryan & Deci (2000),
Keller (2008)
Volition Sokolowski (1999)
Deimann (2006) u.a.
Emotion Sokolowski (1993)
Pekrun & Schiefele (1996) u.a.
Lage- und Handlungsorientierung Kuhl (1987)
Perceived Self-efficacy
(Selbstwirksamkeitserwartung)
Bandura (1977, 1993)
Zimmerman (2000a)
Tab. 2: Psychologische Aspekte der Selbstregulation
3.2.1 Zeitlich-zyklische Modelle
Das Rubikonmodell
Das Rubikonmodell „versucht das Entstehen, Heranreifen und Vergehen von
16
Motivation zu beschreiben. Hierbei unterteilt es den Handlungsverlauf in
vier natürliche, chronologisch aufeinander folgende und durch diskrete
Übergänge voneinander abgesetzte Phasen. Diese unterscheiden sich hin-
sichtlich der Aufgaben, die sich einem Handelnden jeweils dann stellen,
wenn er eine bestimmte Phase erfolgreich abschließen will “ (Achtziger &
Gollwitzer, 2010, S. 310). Im Unterschied zu den folgenden Modellen be-
ziehen Heckhausen und Heckhausen ausdrücklich eine Phase des Wün-
schens, Abwägens und Wählens (Prädesizionale Phase) in ihre Überlegun-
gen mit ein.
Abb. 1: Das Rubikonmodell (aus: Schumacher, 2001, S. 5)
So lassen sich das Finden von Handlungszielen und ihre anschließende Rea-
lisierung in einem einzigen Modell integrieren und bleiben doch deutlich
von einander unterschieden. Gleichzeitig werden die Verbindungen und
Übergänge zwischen motivationalen und volitionalen Prozessen transparent.
Die Einbeziehung der prädesizionalen Phase für die Gestaltung einer
Lernumgebung an Schulen ist wichtig, da unklar ist, ob die Schülerinnen
und Schüler überhaupt mehr über das 'Lernen lernen' erfahren wollen. Erst
wenn diese Klärung beendet ist, sie den 'Rubikon überschreiten' und eine
entschlossene Entscheidung für das Lernen treffen, wird eine konkrete Un-
terstützung zur Zielfindung, zu zielgerichtetem Handeln, zur Willensstär-
kung usw. sinnvoll. In den weiteren Phasen des Modells (s. Abb. 1) müssen
aufeinander folgende Aufgaben bewältigt werden, bis die Handlung mit ei-
17
ner Auswertung zum Abschluss gebracht werden kann. Hierbei wechseln
sich nach Heckhausen und Heckhausen „motivationale und volitionale
Handlungsregulationen (...) zu verschiedenen Handlungsphasen im Hand-
lungszyklus ab und stellen jeweils auf ihre Weise eine der jeweiligen Funk-
tion der Handlungsphase angepasste Informationsverarbeitung sicher“
(Heckhausen & Heckhausen, 2010, S. 8). In allen einzelnen Schritten kön-
nen unterschiedliche Strategien zur Unterstützung der Lernenden eingesetzt
werden (s.u.). Kritische Anmerkungen zum Rubikon-Modell folgen in ei-
nem späteren Abschnitt.
Das Prozessmodell der Selbstregulation
In den Selbstregulationsmodellen von Bandura, Zimmerman und hier auch
von Schmitz wird der zyklische Charakter der Selbstregulation hervorge-
hoben; so z.B. bei Zimmerman: „Self-regulation refers to the self-generated
thoughts, feelings, and actions that are planned and cyclically adapted to
personal goals“ (Zimmerman, 2000b, p.16). Die Ergebnisse der postaktiona-
len Phase des ersten Zyklus bilden die Grundlage für die Planung der nächs-
ten präaktionalen Phase, weil „jeweils die Erfahrungen mit bestimmten Auf-
gaben die Erfahrungen in der nächsten Bearbeitungssequenz beeinflussen“
(Schmitz 2001, o.S., Abschnitt 2.2), was in der folgenden Abbildung leider
nicht deutlich sichtbar wird. Zur Erläuterung des Modells werden die einzel-
nen Phasen kurz dargestellt.
In der präaktionalen Phase bekommt ein Lernender (in seiner aktuellen
Situation und Verfassung) eine Aufgabe, die er erledigen soll. Darauf rea-
giert er mit einem Gemisch aus Emotionen und Gedanken. In mehr oder we-
niger kurzer Zeit kommt er zu einer Entscheidung, wie er sich weiter verhal-
ten will. Er wird sich ein Ziel setzen und planen, wie er dieses Ziel erreichen
kann. Was hier zum besseren Verständnis in einzelne Aspekte aufgeteilt
wurde, ist in der Realität ein Gemenge von Impulsen. Im Vergleich zum Ru-
bikonmodell fällt auf, dass bei Schmitz die volitionale Anstrengung in dieser
Phase keine Erwähnung findet.
In der aktionalen Phase wird die Aufgabe bearbeitet und beendet. Mit
dem Einsatz qualitativer Lernstrategien auf verschiedenen Ebenen (s.u.)
wird die Ausarbeitung unterstützt. Bei sinkender Motivation sind
vorübergehend volitionale Strategien gefragt, welche die zielgerichtete
18
Ausführung schützen. Diesem Schutz dient auch eine kontinuierliche
Selbstbeobachtung (Self-Monitoring) während der Arbeitsphase (s.u.).
Obwohl es im Modell keine Erwähnung findet, spielen Emotionen
selbstverständlich auch in dieser Phase eine wichtige Rolle.
Abb. 2: Prozessmodell der Selbstregulation nach Schmitz (aus: Gürtler u.a.,
2002, S. 224)
In der postaktionalen Phase, nach Abschluss der Arbeit, werden die Lern-
resultate und die eingesetzten Lernstrategien überprüft – auch hier spielen
Emotionen eine große Rolle – und Konsequenzen für folgende Lernprozesse
gezogen. Eventuell müssen als Folge der Überprüfung die Ziele des nächs-
ten Zyklus und/oder die Lernstrategien modifiziert werden.
An Integrative Phase Model of Self-Regulated Learning
Zimmerman hat sein Modell mehrfach überarbeitet. Hier wird eine Version
aus dem Jahre 2003 erläutert. Anders als Heckhausen oder Schmitz, hebt
Zimmerman in seinem Modell die motivationalen Aspekte im Selbstregula-
tionsprozess deutlich hervor.
In der Phase der Vorausschau steht die Selbstmotivation im Mittelpunkt.
Der Glaube an die Selbstwirksamkeit und die Erwartungen bezüglich des
19
Ergebnisses des eigenen Lernprozesses sind für eine erfolgreiche Ausfüh-
rung der eigenen Ziele von großer Bedeutung. Sie werden – bei Bedarf –
durch volitionale Strategien der Anreiz-Steigerung (incentive escalation)
(vgl. Zimmerman, 2006, S. 44) unterstützt.
In der Durchführungsphase liegt der Schwerpunkt auf der Selbstkontrolle
und der Selbstbeobachtung, ohne die die Ausführung kaum gelingen kann.
Abb. 3: Phases and subprocesses of self-regulation (nach: Zimmerman &
Campillo, 2003, p. 239)
Und schließlich stehen in der Selbstreflexionsphase die Selbstbewertung
und die Selbstreaktion im Mittelpunkt. Für die Gestaltung einer (Selbst-)
Lernumgebung kommt – wie schon erwähnt – der Selbsteinschätzung eine
hohe Bedeutung zu. Schätze ich mich als fähig und engagiert, als 'self-regu-
lated learner' (Zimmerman) ein, werde ich beim Lernen auch aktiv Lösungs-
strategien suchen. Im Gegensatz dazu werden 'poorly regulated students' oft
defensive Schlussfolgerungen ziehen, „such as helplessness, procrastination,
task avoidance, cognitive disengagement, and apathy“ (ebenda, S. 45). Aus
20
diesem Grund muss die Selbsteinschätzung des Lernenden bei der Gestal-
tung einer Lernumgebung unbedingt berücksichtigt werden.
Zusammenfassend wird nach Zimmerman deutlich, „that positive self-
satisfaction reactions of self-regulated students strengthen their self-efficacy
beliefs about further efforts to learn“ (ebenda, S. 45). So werden die
Zufriedenheit, die Selbstverantwortlichkeit und die Selbstregulierung für
das weitere Lernen gefördert.
Generell lässt sich der Ablauf des selbstregulierten Lernens theoretisch in
diesen drei beziehungsweise vier Phasen darstellen. Für die Praxis ist es
aber sinnvoll, auch mit „Phasensprüngen und Überlappungen von Hand-
lungsphasen“ (Kehr, 2004, S. 9) zu rechnen.
3.2.2 Einige Psychologische Aspekte der Selbstregulation
Die meisten Modelle sind bestrebt, unterschiedliche psychologische Aspekte
zu integrieren; mal steht die Motivation im Vordergrund, mal die Volition,
mal andere Aspekte. Da es kein Modell gibt, das alle Aspekte gleich gut in-
tegrieren kann, sollen einige psychologische Komponenten, die im Umgang
mit Jugendlichen von großem Wert sind, hier einzeln in den Mittelpunkt ge-
stellt werden.
Motivation
Es gibt vermutlich keine Veröffentlichung zum Thema Lernen oder selbstre-
guliertes Lernen, die sich nicht auch mit dem Thema 'Motivation' beschäf-
tigt. 'Motivation' ist im Bereich Lernen eine zentrale Kategorie, denn Lernen
funktioniert insbesondere dann, wenn der Lernende auch motiviert ist, es zu
tun. Im wissenschaftlichen Bereich gilt Motivation „als Gedankenkonstruk-
tion (…) mit der Zielgerichtetheit, Intensität und Ausdauer von Verhalten er-
klärbar werden sollen“ (Rheinberg & Krug, 2005, S. 23). Nach Brandstätter,
Achtziger und Gollwitzer (2011) werden „all jene Bedingungen und Pro-
zesse, die in den verschiedensten Lebensbereichen (...) die Zielgerichtetheit
und Ausdauer menschlichen Handelns erklären können, (…) der Motivation
zugerechnet“ (Brandstätter, Achtziger & Gollwitzer, 2011, S. 173). Motiva-
tion ist aber kein dauerhafter Zustand; sie ist oft mit Anstrengung verbunden
und muss immer wieder neu aktiviert oder verstärkt werden. Eine wesentli-
che Unterscheidung ist die zwischen intrinsischer und extrinsischer Motiva-
tion.
21
Intrinsisch Motivierte erledigen eine Aufgabe, weil sie selbst dazu moti-
viert sind, weil sie an der Sache oder der Durchführung interessiert sind.
Nach Ryan und Deci (2000) bezeichnet die intrinsische Motivation die
„natural inclination toward assimilation, mastery, spontaneous interest, and
exploration that is so essential to cognitive and social development and that
represents a principal source of enjoyment and vitality throughout life“
(Ryan & Deci, 2000, S. 70). Intrinsisch motivierte Menschen „have more
interest, excitement, and confidence, which in turn is manifest both as
enhanced performance, persistence, and creativity (…) and as heightened
vitality (…), self-esteem (…), and general well-being (...)“ (ebenda, S. 69).
Für intrinsisch Motivierte ist es nicht schwierig, eine Aufgabe auszuführen.
Extrinsisch motivierte Menschen hingegen führen eine Aufgabe aus, weil
sie sich davon Belohnung oder soziale Anerkennung versprechen. Ryan und
Deci haben ein Kontinuum der Motivation entwickelt, das von der Amotiva-
tion bis zur intrinsischen Motivation reicht. Sie beschreiben vier Typen der
extrinsischen Motivation, die sich auf einer Skala von der Fügsamkeit
(compliance) bis zur inneren Übereinstimmung (congruence) in Richtung
der intrinsischen Motivation unterscheiden (vgl. Ryan & Deci, 2000, S.
72f). Bei der Betrachtung der Situation verschiedener Schüler kann diese
Unterscheidung hilfreich sein.
Lehrende können die intrinsische Motivation fördern, indem sie den so-
zialen Kontext des Lernens verbessern: „Contexts supportive of autonomy,
competence, and relatedness were found to foster greater internalization and
integration than contexts that thwart satisfaction of these needs“ (ebenda, S.
76). Felten und Stern (2012) bestätigen dies aus ihrer Forschungsarbeit:
„Wenn Lehrende bei der Gestaltung der Lernumgebung die drei genannten
Faktoren Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Einbindung berück-
sichtigen, lassen sich die Lernenden auch bei gering ausgeprägtem Interesse
mit größter Wahrscheinlichkeit auf den Stoff ein, und bei machen entsteht
sogar Interesse und intrinsische Motivation“ (Felten & Stern, 2012, S. 18).
Bei der Gestaltung des Lerntagebuchs sollen auch diese Faktoren berück-
sichtigt werden.
Zur Verbindung von theoretischen Erkenntnissen und der praktischen
Umsetzung in Lehr- und Lernprozessen hat Keller ab den 1980er-Jahren das
22
Modell des 'Motivational Design' entwickelt. Das 'Motivational Design' ge-
hört zur Forschungsrichtung des Instruktionsdesigns. Instruktionsdesign
plant, entwickelt und evaluiert systematisch Lernumgebungen und
Lernmaterialien zur wissenschaftlich fundierten Durchführung von Lehr-
Lern-Prozessen. Nach Keller bietet Motivational Design „a bridge between
the study of motivation and the practice of enhancing or modifying people's
motivation“ (Keller, 2010, p. 2). In seiner Arbeit hat Keller – anders als
Felten und Stern – vier zentrale motivationale Bedingungen herausgestellt,
die er im ARCS-Modell zusammengefasst hat. Es dient dazu, „to quickly
gain an overview of the major dimensions of human motivation, especially
in the context of learning motivation, and how to create strategies to
stimulate and sustain motivation in each of the four areas“ (Keller, 2010, p.
44). ARCS steht dabei für die vier Komponenten, (1) 'attention', (2)
'relevance', (3) 'confidence' und (4) 'satisfaction', die mittels geeigneter
Strategien gefördert werden müssen.
(1) Attention: „Motivation to learn is promoted when a learner's cu-
riosity is aroused due to a perceived gap in current knowledge“
(Keller 2008, S. 176).
(2) Relevance: „Motivation to learn is promoted when the knowl-
edge to be learned is perceived to be meaningfully related to a
learner's goals“ (ebenda, S. 177).
(3) Confidence: „Motivation to learn is promoted when learners be-
lieve they can succeed in mastering the learning task“ (ebenda).
(4) Satisfaction: „Motivation to learn is promoted when learners an-
ticipate and experience satisfying outcomes to a learning task“
(ebenda).
In neuerer Zeit hat Keller sein Modell um eine fünfte Kategorie erweitert,
die Volition ('ARCS-V'):
(5) „Motivation to learn is promoted and maintained when learners
employ volitional (self-regulatory) strategies to protect their inten-
tions“ (ebenda, S. 178).
Im Entwurf des Lerntagebuchs werden diese Faktoren wieder eine Rolle
23
spielen.
Volition
Außer als Komponente des ARCS-V-Modells war von 'Volition' auch zuvor
schon die Rede; sei es im Rubikon-Modell, sei es als stützende Aktivität im
Modell von Schmitz oder auch als Anreiz-Steigerung bei Zimmerman. Die
Volition ist mit der Motivation eng verbunden, hat aber auch einen hohen,
unabhängigen Stellenwert in der Selbstregulation, wie Corno und Randi
verdeutlichen: „Whereas motivation denotes a process of goal setting lead-
ing to commitment, volition denotes a process of implementation leading to
goal accomplishment. (…) The key processes that define volition are the
management, protection, and maintenance of attention, motivation, and
emotion in tasks” (Corno & Randi, 2009, n.p.).
Im Rubikonmodell bezieht sich die Volition auf Prozesse, die mit der
konkreten Realisierung von Zielen (präaktionale und aktionale Phase) zu tun
haben. Sokolowski (1999) bezweifelt diese sequentielle Abfolge von moti-
vationalen und volitionalen Phasen und tritt für ein Modell motivationaler
und volitionaler Handlungssteuerung ein, in dem die volitionale Steuerung
immer dann aktiviert wird, wenn Widerstände auftreten (und eben nicht nur
in bestimmten Phasen). Nach Sokolowski unterscheidet sich die volitionale
Steuerungsphase von der motivationalen auch dadurch, dass sie der bewuss-
ten Aktivierung bedarf, dass in ihr störende Emotionen und Gedanken kon-
trolliert werden müssen, was auch mit Anstrengung verbunden ist und, dass
in dieser Phase die Zeit langsamer vergeht (vgl. Sokolowski, 1999, S. 35ff.,
Deimann, 2006, S. 101ff), was vermutlich viele Schüler bestätigen können,
die ungern an den Hausaufgaben sitzen. Nach Kehrs Kritik (2004) treten
„sowohl motivationale als auch volitionale Phänomene regelmäßig (kursiv
i.O. PW) in sämtlichen Handlungsphasen [auf]“ (ebenda, S.10). Dabei ist
volitionale Steuerung immer dann erforderlich, „wenn die getroffene Hand-
lungsabsicht trotz fehlender (i.O.) motivationaler Unterstützung (…) oder
gegen (i.O.) die gerade angeregten Motivationslagen durchgesetzt werden
soll (...)“ (ebenda, S. 13). Die Volition sorgt dann für einen reibungslosen
Handlungsablauf – auch in Konfliktsituationen zwischen verschiedenen ak-
tuellen Interessen oder Handlungsimpulsen. Unter Bezugnahme auf Corno
24
und Sokolowski erläutert Deimann, wann die Volition u.a. in der Schule von
Bedeutung ist: „z.B. dann, wenn
• der Lerner eine Aufgabe erledigen muss und dabei keine Entschei-
dungsspielräume für alternative Handlungen hat und somit subjekti-
ve Ziele mit der Intention, die Aufgabe zu erledigen, konkurrieren
können. Dies betrifft insbesondere schulische Lernprozesse, bei de-
nen Lernziele oftmals von Lehrern bzw. dem Lehrplan vorgegeben
werden (...).
• ein gewisses Ausmaß an Störreizen in der Lernumgebung (z.B.
Klassenzimmer) vorherrscht und die Lerner von ihren Aufgaben ab-
gelenkt werden können.
• Aufgaben repetitiv sind und dabei die Vorstellung einer langweilen
und enervierenden Ausführung die Performanz beeinträchtigen kann
(...). Auch Lernprojekte, die länger dauern als ursprünglich ange-
nommen, bergen die Gefahr von Ablenkungen.“ (Deimann 2006, S.
84).
Ein Modell, das der Volition eine zentrale Position in der Gestaltung von
Lernumgebungen gibt, ist das instruktionale volitionale Designmodell
(VDM) von Deimann (2006). Aus der Verbindung verschiedener motivatio-
naler und volitionaler Theorieansätze entwickelt Deimann einen Strategie-
pool mit dem Schwerpunkt 'Volition'. Dieser Strategiepool „umfasst Strate-
gien, die auf [die, PW] Förderung der zentralen volitionalen Kompetenzbe-
reiche Emotion, Motivation und Kognition ausgerichtet sind“ (Deimann,
Weber & Bastiaens, 2008, S. 21). Zu bedenken ist aber auch, dass volitiona-
le Handlungssteuerung zeitlich befristet ist, da sie anstrengend ist und mit
einem hohen Ressourcenverbrauch einhergeht (vgl. Deimann & Weber,
2009, S. 14). In der Praxis kommen – je nach aktuellem Bedarf – sowohl
volitionale als auch motivationale Steuerungsmaßnahmen zum Einsatz.
Emotion
Obwohl Emotionen generell „von grundlegender Bedeutung für das psychi-
sche Geschehen sind“ (Grawe, 2000, S. 285), werden sie in der
Motivationspsychologie kaum thematisiert. „Affektive
Regulationsmechanismen sind Teil unseres ererbten artspezifischen
Gedächtnisses. Sie gehören zur Hardware des Gehirns (...)“ (ebenda, S.
25
285). Sie sind allgegenwärtig. Trotzdem werden sie wenig erörtert und sind
nur in Ansätzen erforscht. So kommt zum Beispiel ein neueres 550-seitiges
Lehrbuch zum Thema 'Motivation und Handeln' ohne einen eigenständigen
Abschnitt zum Thema 'Emotion' aus (vgl. Heckhausen & Heckhausen,
2010).
Pekrun und Schiefele definieren 'Emotion' sehr knapp als „subjektives
Erleben“ (Pekrun & Schiefele, 1996, S. 155). Mit 'subjektivem Erleben' rea-
gieren wir auf „wichtige Ereignisse und Lebenslagen“ (ebenda, S. 163), was
für Jugendliche selbstverständlich die Themen Schule, Lernen, Hausaufga-
ben oder Noten umfasst. Emotionen haben großen Einfluss: „Beginnend bei
der Ausrichtung der Aufmerksamkeit, wirken sie auf die unwillkürlich ins
Bewusstsein 'schießenden' Kognitionsinhalte und reichen schließlich bis zur
Verhaltensenergetisierung“ (Sokolowski, 1993, S. V). Pekrun und Schiefele
schlagen als eine grundlegende Klassifikation vor, Emotionen in positiv und
negativ erlebte zu unterscheiden (vgl. Pekrun & Schiefele, 1996, S. 164f).
Diese einfache Unterscheidung werde ich später im Lerntagebuch – insbe-
sondere in den Gesprächen mit den Jugendlichen – übernehmen. Aus den im
vorigen Abschnitt erwähnten Arbeiten von Corno und Sokolowski wird
deutlich, dass bei der Regulation von Emotionen auch die Volition eine be-
deutende Rolle spielt. „So wie angeregte Emotionen als die Voraussetzung
für motivationales Handeln angesehen werden können, kann die Emotions-
kontrolle als eine Voraussetzung volitionalen Handelns angenommen wer-
den“ (Sokolowski, 1993, S. 182). Emotion, Motivation und Volition sind
eng mit einander verflochten. Umso sinnvoller ist es, sie auch immer wieder
als eigenständige Faktoren zu betonen. Leider kann das Thema hier nicht
weiter vertieft werden.
Offensichtlich ist, dass insbesondere Jugendliche der Haupt- und Werkre-
alschule aufgrund ihrer sozialen (Familie, Schule, Peers) und individuellen
Situation emotional belastet sein können (s. Kap. 2.3.2). Für erfolgreiches
Lernen sind gerade sie auf Strategien zur emotionalen Selbstregulation an-
gewiesen. Nach einer Untersuchung von Gläser-Zikuda stehen „Lernstrate-
gien (…) in einem statistisch signifikanten Zusammenhang mit den Emoti-
onsvariablen Interesse, Wohlbefinden und Schulzufriedenheit“ (Gläser-
Zikuda, 2008, S. 76). Aber laut Pekrun „fehlt [es PW] an empirischem
26
Wissen, und erst recht fehlt es an Kenntnissen, wie denn Emotionen von
Schülern und Studenten gefördert werden könnten“ (Pekrun, 1998, S. 231)
und ergänzt später: „Zur Förderung von Lern- und Leistungsemotionen bei
Schülern, also zur Optimierung von positiven Emotionen und Prävention
von negativen Emotionen, ist kaum etwas bekannt“ (ebenda, S. 244). Im
Training mit dem Lerntagebuch muss immer wieder auch die emotionale
Verfassung der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden.
Generell bedeutsam ist es auch, in welcher inneren Ausrichtung sich ein
Lernender befindet. Ob Lernen wirksam sein kann, hängt unter anderem
auch von der Orientierung des Lernenden ab. Kuhl hat hierfür die Unter-
scheidung zwischen der Lage- und der Handlungsorientierung vorgenom-
men.
Lage- und Handlungsorientierung
Im Zustand einer 'Lageorientierung' ist nach Kuhl die Handlungsbereitschaft
gehemmt. Die Lageorientierung definiert er als einen Zustand, „in dem die
Aufmerksamkeit auf eine vergangene Lage (z.B. einen Misserfolg) oder auf
einen zukünftigen Zustand gerichtet ist, ohne dass irgendwelche Handlungs-
pläne aktiviert sind, die eine Änderung (…) herbeiführen können“ (Kuhl,
1987, S. 106). Dem gegenüber stehen Aktivitäten, „die die Verhaltensaus-
führung sichern. Sie sorgen dafür, dass das Verhalten trotz Widerständen,
Unterbrechungen, Fehlschlägen aber auch konkurrierenden Verlockungen
bis zur Zielerreichung auf Kurs bleibt“ (Rheinberg, 2006, S. 182). Personen
mit dieser Ausrichtung nennt Kuhl 'handlungsorientiert'. Bei der Suche nach
angemessenen Strategien für die Schülerinnen und Schüler ist die innere
Ausrichtung von großer Bedeutung.
Einen weiteren wichtigen Aspekt für erfolgreiches Lernen hat Bandura
mit dem Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung erörtert. Auch die
Selbstwirksamkeit hat eine starke emotionale Komponente.
Selbstwirksamkeitserwartung – Perceived Self-efficacy
Schon seit den 1970er Jahren forscht A. Bandura zum Thema 'Perceived
self-efficacy' und betont, wie wichtig die Selbsteinschätzung für die Durch-
führung von Aufgaben ist. In einer Zusammenfassung mehrerer Untersu-
chungen schreibt er:
People with high [perceived personal, P.W.] efficacy approach diffi-
27
cult tasks as challenges to be mastered rather than as threats to be
avoided. (…) They set themselves challenging goals and maintain
strong commitment to them. (…) They heighten and sustain their ef-
forts in the face of failure. They attribute failure to insufficient effort
or deficient knowledge and skills that are acquirable (Bandura, 1993, S.
144).
Im Zentrum seines Konzepts steht die persönliche Überzeugung, eine kon-
krete Situation angemessen einschätzen und aus eigener Kraft bewältigen zu
können. Aussagekräftig können die eigenen Einschätzungen aber nur dann
sein, „wenn sie im Zusammenhang mit genau formulierten Zielen oder Her-
ausforderungen gesehen werden“ (Fuchs, 2005, S. 22). Nach Bandura gibt
es vier Quellen der Selbstwirksamkeitserwartung:
• Eigene Erfolgserlebnisse (performance accomplishments) stärken
den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Sie sind „the most influen-
tial source of efficacy belief because they are predicated on the out-
comes of personal experiences“ (Zimmerman, 2000a, S. 88).
• Stellvertretende Erfahrungen (vicarious experience) stehen an zwei-
ter Stelle. Sie beruhen auf dem Vergleich mit einer als ähnlich wahr-
genommenen Person.
• Verbale Ermutigungen (verbal persuasion) haben einen schwächeren
Einfluss, „because outcomes are described, not directly witnessed,
and thus depend on the credibility of the persuader“ (ebenda).
• Physiologische Reaktion (physiological reactions), wie Stress,
Schweißausbrüche, Übelkeit werden oft als Indikatoren für eine
(negative) Selbstbewertung herangezogen.
In vielen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass die Selbstwirksamkeit ein
verlässlicher Prädiktor für die Motivation und das Lernen an sich ist (vgl.
Zimmerman, 2000a, Bandura, 1993). Somit erklärt es sich von selbst, dass
zur Förderung selbstregulierten Lernens die Selbstwirksamkeitserwartung
der Jugendlichen eine wichtige Rolle spielt.
4 Die Förderung der Selbstlernkompetenz
Wie dargestellt, kann der schulische Bildungsweg gerade von Jugendlichen
28
an Haupt- oder Werkrealschulen durch eine hohe Selbstlernkompetenz ge-
fördert werden. Den eigenen Lernprozess aktiv selbständig organisieren zu
können, könnte auf der individuellen Ebene – zumindest ansatzweise – zur
Kompensation der sozialen Benachteiligung beitragen. Leider ist für die
Schullernzeit im Bildungsplan hierfür keine Zeit vorgesehen. So soll – wie
erwähnt – begleitend zu dieser Arbeit an einer Werkrealschule ein
mehrwöchiges Modellprojekt durchgeführt werden, das die Förderung der
Selbstlernkompetenz anstrebt. Zu einem späteren Zeitpunkt könnte das
Modell auch Lehrerinnen und Lehrern als Multiplikatoren vorgestellt
werden.
Um die Selbstlernkompetenz zu verbessern, werden in der Literatur viel-
fältige Strategien angeboten. Hier kann nur eine kleine Auswahl zur Anwen-
dung kommen.
4.1 Lernstrategien
4.1.1 Allgemeine Systematik
Unter einer Strategie wird hier „eine prinzipiell bewusstseinsfähige, häufig
aber automatisierte Handlungsabfolge [verstanden, PW], die unter bestimm-
ten situativen Bedingungen aus dem Repertoire abgerufen und situationsad-
äquat eingesetzt wird“ (Artelt, Demmrich & Baumert, 2001, S. 272). Die
Systematik der Lernstrategien ist bei vielen Autoren unterschiedlich. Ein all-
gemein gültiges System gibt es nicht. Schiefele und Pekrun trennen die
Steuerungsmaßnahmen des Lernenden in kognitive, metakognitive, volitio-
nale und verhaltensmäßige (vgl. Schiefele & Pekrun, 1996, S. 258); Nückles
et al. (2010) unterscheiden kognitive, metakognitive und emotionale Prozes-
se (s. Kap. 3.1). Schett wiederum unterscheidet kognitive, metakognitive
und volitionale Aspekte (Schett, 2008, S. 26). In dieser Arbeit sollen Lern-
strategien wie bei Schmitz (2001) und anderen Autoren unterschieden wer-
den in
• kognitive Strategien der Informationsaufnahme, -verarbeitung und
-speicherung
• metakognitive Strategien des Planens, Überwachens, Auswertens
und Regulierens von Lernschritten und
• ressourcenbezogene Strategien – „die wiederum in interne (An-
strengung, Aufmerksamkeit, Zeitmanagement) und externe (Lern-
29
umgebung, Lernen mit Studienkollegen, Umgang mit Literatur)
Strategien untergliedert werden können“ (Schmitz, 2001, S. 182).
Zusätzlich sollen – wie oben begründet – explizit auch volitionale, emotio-
nale und motivationale Aspekte berücksichtigt werden. Die von Kuhl 1987
vorgelegten Handlungskontrollstrategien werden den metakognitiven und
ressourcenbezogenen Strategien zugerechnet. Hier sollen sie etwas
detaillierter erläutert werden.
4.1.2 Handlungskontrollstrategien
Im Alltag sind wir die meiste Zeit „von einer Vielzahl von Wünschen, Nei-
gungen und Handlungsimpulsen belagert“ (Kuhl, 1987, S. 104). Ohne eine
stabilisierende Instanz, eben die willentliche „Handlungskontrolle“ (ebenda)
wären wir den ständig konkurrierenden Handlungsimpulsen, einem ununter-
brochenen „Verhaltensflimmern“ (ebenda) ausgeliefert, das uns handlungs-
unfähig machen würde. Auf die Frage, wie diese Handlungskontrolle ver-
mittelt wird, hat Kuhl sechs Strategien unterschieden:
• Aufmerksamkeitskontrolle (bewusstes oder automatisiertes Ausblen-
den von Ablenkungen)
• Motivationskontrolle (gezielte Steigerung der eigenen Motivation)
• Emotionskontrolle (Gefühle so beeinflussen, dass sie dem aktuellen
Vorhaben dienen und es nicht behindern)
• Bewältigung von Misserfolgen (Umgang mit Misserfolgen, Attribu-
tierungen und eventuell Ziele korrigieren)
• Umweltkontrolle (Veränderungen der Umgebung, so dass zielgerich-
tete Aktivität möglich ist)
• Sparsamkeit der Informationsverarbeitung (Vermeiden von langem
Abwägen) (vgl. Kuhl, 1987, S. 108).
Der Einsatz von Handlungskontrollstrategien wird in der aktionalen Phase
des Trainingskurses wichtig und sie sollen im Lerntagebuch auch angewandt
werden.
Volitionale, motivationale und auch emotionale Strategien können als
'Querschnitt-Kategorien' der obigen Systematik betrachtet werden. Hier sol-
len sie einzeln in den Fokus genommen werden.
4.1.3 Volitionale Aspekte der Selbststeuerung
30
In Folge der Forschung von Lyn Corno werden der Volition wie einem
'Steuermann' (Deimann, 2009) metakognitive, metamotivationale und me-
taemotionale Kontrollstrategien zugeordnet (vgl. Lyn & Randi, 2009; Dei-
mann & Weber 2009; Schett, 2008). Nach Schett sollen sie „die Konzentra-
tion regeln und den Lernfortgang unterstützen – auch bei hemmenden Um-
feldbedingungen oder hinderlichen persönlichen Faktoren im schulischen
Lernprozess“ (Schett, 2008, S. 46). Wie erwähnt, hat Deimann ein volitiona-
les Designmodell entwickelt, das sich dieser Aufgabe annimmt (vgl. Dei-
mann, 2006).
4.1.4 Motivationale Aspekte der Selbststeuerung
Zur Strukturierung unter motivationalen Gesichtspunkten eignet sich u.a.
das ARCS-V-Modell von Keller (2010). Wie schon in Kapitel 3.2.3 erläu-
tert, müssen nach Keller fünf Bedingungen für eine erfolgversprechende
Lernmotivation erfüllt sein: die Aufmerksamkeit des Schülers für das The-
ma, die Relevanz des zu lernenden Stoffes, das Vertrauen in die eigene
Lernkompetenz, die Befriedigung über das eigene Lernergebnis und die vo-
litionalen Strategien, die eingesetzt werden, wenn die Motivation absinkt.
4.1.5 Emotionale Aspekte der Selbststeuerung
Emotionen wirken sich für Jugendliche im gesamten sozialen Umfeld aus,
in Schule und Elternhaus, mit Freunden und Klassenkameraden – alle Berei-
che sind miteinander verwoben. Die Hoffnung auf gute Noten, die Enttäu-
schung über schlechte Ergebnisse, die Angst vor der nächsten Arbeit, die Er-
fahrung von Langeweile, der Neid, der Ärger zu Hause, der Stress mit den
Freunden, die Lernfreude, der Stolz: Jugendliche brauchen hohe
Kompetenzen um die eigene Persönlichkeit zu stabilisieren und ihre Emo-
tionen zu regulieren. Sie sollen, wie bereits erwähnt, ihre „Gefühle so be-
einflussen, dass sie dem aktuellen Vorhaben dienen und es nicht behindern“
(Kuhl, 1987, S. 108). Nach Pekrun nehmen die Emotionen insbesondere
„Einfluss auf die Wahl und Realisierung von kognitiven und metakognitiven
Lernstrategien“ (Pekrun, 1998, S. 231) und nach Gläser-Zikuda ist beson-
ders „der Zusammenhang von „Lernstrategien und Interesse hervorzuheben“
(Gläser-Zikuda, 2008, S 76). Hier sei auch auf den engen Bezug zwischen
Emotionen und den fünf Faktoren des ARCS-V-Modells hingewiesen (s.
Kap. 3.2.3). So weit es nötig und möglich sein wird, sollen alle oben erläu-
31
terten Aspekte im Lerntagebuch einen Niederschlag finden.
4.2 Das Lerntagebuch (LTB)
4.2.1 Allgemeine Gesichtspunkte
Im LTB dokumentieren Lernende regelmäßig und parallel zum Unterricht
den eigenen Lernprozess und die von ihnen eingesetzten Lernstrategien; sie
verschriftlichen den eigenen Denk- und Entwicklungsprozess. Durch die re-
gelmäßige Beschäftigung mit dem Lernstoff und dem eigenen Lernverhalten
entstehen Bewusstheit und Wissen über individuell 'maßgeschneiderte'
Lernstrategien. Kognitive, metakognitive und ressourcenbezogene Strategi-
en (s. Kap. 4.1) können mittels geeigneter Interventionen des Lernbegleiters
angeregt und gefördert werden. So können Jugendlichen ihre Selbstlern-
kompetenzen weiter entwickeln.
Die Darstellung des LTB folgt dem Prozessmodell der Selbstregulation
(s. Kap. 3.2.1). In Tabelle 3 sind die verschiedenen Phasen, Strategien und
psychologischen Aspekte des LTBs in einer Übersicht zusammengestellt.
Phasen des
selbstregulierten
Lernens
Stichworte Strategien
Psychologische
Aspekte
Prädesizionale
Phase
Wünschen
Abwägen
Wählen
metakognitiv
ressourcen-
bezogen
Motivation
Volition
Emotion
Präaktionale
Phase
Bedarf ermitteln,
Ziele setzen
aktuelle Verfassung
Aufgabe verstehen
Commitment
Handlungsplanung
Vorbereitung
Ergebnis-Erwartungen
Selbstmotivation
metakognitiv
ressourcen-
bezogen
Motivation
Volition
Emotion
Aktionale
Phase
Handlungsbeginn
zielgerichtetes Handeln
Lernstrategien
Zeiteinteilung
Self-Monitoring
Steuern
Leistung
Selbstkontrolle
Überwachen
Prompts,
Ermutigung
kognitiv
metakognitiv
ressourcenbezo
gen
Motivation
Volition
Emotion
32
Lernumgebung
Postaktionale
Phase
(Selbst-) Reflexion
Auswertung
Zielrealisierung
(Selbst-) Bewertung
Vergleich
Strategiemodifikation
Zielmodifikation
metakognitiv
ressourcenbezo
gen
Motivation
Volition
Emotion
Tab. 3: Stichworte zum LTB
Zwar kann „das alleinige Ausfüllen (…) eines [Lern-, PW] Tagebuches be-
reits zu Veränderungen des Verhaltens führen“ (Schmidt & Schmitz, 2010,
S. 84), aber zur Steigerung des Erfolgs sollten einige Bedingungen beachtet
werden. Felten und Stern betonen wiederholt, dass eine Methode noch kei-
nen Lernfortschritt bringt. Methoden und Werkzeuge, wie auch das LTB,
müssen ihrer Ansicht nach immer an konkreten Lernzielen und Lerninhalten
ausgerichtet sein. Sie betonen, dass „Kenntnisse, Fertigkeiten und Strategien
(…) in bestimmten Kontexten und abgestimmt auf die spezifischen Anfor-
derungen erworben [werden, PW)“ (Felten & Stern, 2012, S. 46). Laut einer
Studie von Hübner, Nückles und Renkl muss das Schreiben von LTBs ange-
leitet und strukturiert angeboten werden, „damit das lernförderliche Potenzi-
al (…) zum Tragen kommen kann“ (Hübner, Nückles & Renkl, 2007, S.
127). Ohne Anleitung führen LTBs zu suboptimalen Ergebnissen. Weiterhin
belegen die Autoren auch die Bedeutung von Prompts für die Verbesserung
des Lernens. Prompts sind „Aufforderungen und Leitfragen, die Lernende
zu produktiven Lernaktivitäten anregen sollen, zu denen sie prinzipiell fähig
sind, die sie jedoch von sich aus nicht oder nur in unzureichendem Maße
zeigen“ (ebenda, S. 128). Wichtig ist es auch, dass Sprache und Inhalte des
LTB den kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmer angemessen sind. Außer-
dem bedarf der Einsatz des LTB auch einer gründlichen Einführung und ei-
ner längeren Zeit zum Einüben. Insbesondere am Anfang ist eine direkte Be-
treuung im Unterricht oder auch im Trainingskurs unerlässlich. Die Lernen-
den „müssen hineinwachsen können, indem ihnen mehr und mehr Verant-
wortung über ihre Lernfortschritte übertragen wird. Am besten scheinen da-
für Konzepte des 'Scaffolding' (…) geeignet, wo die Anleitung mehr und
mehr zugunsten von Coaching zurückgenommen wird“ (Schett, 2008, S.
31). Zu beachten ist auch, dass die Anwendung eines LTB nicht ein 'All-
33
heilmittel' sein kann. Löb, Perels und Schmitz belegen, „dass die Schüler
sehr individuumsspezifisch auf ein solchen Tagebuch reagieren werden. So
wird es Schüler geben, die auf das kontinuierliche Ausfüllen des
Lerntagebuches mit positiven Entwicklungen auf Dimensionen des
außerschulischen, selbstregulierten Lernens reagieren, während bei anderen
Schülern negative Reaktionen auf das gleiche Tagebuch erwartet werden
können“ (Löb, Perels & Schmitz, 2004, S. 23). Auch darauf ist in der
Anwendung des LTB zu achten.
4.2.2 Entwurf des LTB
Die Strategien, die den Schülern innerhalb des Lerntagebuchs vermittelt
werden sollen, müssen zuvor systematisch entwickelt werden; sie sollen
sich an den aktuellen Bedürfnissen jeden Schülers orientieren und auf klare
Ziele ausgerichtet sein. Vorläufige Lernziele werden in Zusammenarbeit mit
der Klassenlehrerin erstellt. Des weiteren müssen die Strategien von mittle-
rem Schwierigkeitsgrad sein, um die Jugendlichen angemessen zu fordern
und zu fördern. Weder dürfen die Übungen zu schwer und komplex, noch zu
einfach und beliebig sein. Im Einzelnen lässt sich der angemessene Schwie-
rigkeitsgrad nur in der praktischen Umsetzung und (formativen) Evaluation
des LTBs bestimmen. Den jeweiligen Lern-Umständen entsprechend sollen
kognitive, metakognitive oder ressourcenbezogene Strategien zur Verfügung
gestellt werden. Darüber hinaus sollen sowohl motivationale, volitionale als
auch emotionale Aspekte der Handlungssteuerung berücksichtigt werden.
Die verschiedenen Aspekte sind in der obigen Übersicht (Tab. 3) zusam-
mengestellt.
Die Entwicklung des LTB folgt grundsätzlich einem Basismodell des
Instruktionsdesigns, in dem alle diese Aspekte berücksichtigt werden kön-
nen, dem ADDIE-Modell. Es besteht aus den fünf Grundkomponenten Ana-
lyse (A), Design (D), Development (D), Implementation (I) und Evaluation
(E) und hat sich als ein fundiertes und wirkungsvolles Planungswerkzeug
der didaktischen Entwicklungsarbeit erwiesen. Zwischen den einzelnen Pha-
sen bestehen Rückkopplungsmöglichkeiten, so dass man sich im Entwick-
lungsprozess des LTB je nach aktuellem Trainingsbedarf von einer Phase
zur anderen bewegen kann, wie in Abbildung 4 ersichtlich.
Im Laufe der Jahre hat das ADDIE-Modell viele Abwandlungen und
34
Weiterentwicklungen erfahren. Somit können hier bei Bedarf Elemente aus
verschiedenen Erweiterungen, wie Kellers motivationalem Design-Modell
(s. z.B. Keller, 2010) oder Deimanns volitionalem Design-Modell (s.
Deimann, 2006) entnommen werden. Zunächst soll das ADDIE-Modell hier
in der prädesizionalen Phase angewandt werden. Wie erwähnt, muss in
dieser Phase zunächst geklärt werden, wer von den Jugendlichen an dem
Training teilnehmen will.
Abb. 4: Das ADDIE-Modell (aus: Deimann, 2006, S. 18)
Prädesizionale Phase
In der prädesizionalen Phase gilt als Ziel, „dass ein Handelnder sich zu-
nächst darüber klar werden muss, welche seiner Wünsche und Anliegen er
überhaupt in die Tat umsetzen möchte“ (Achtziger & Gollwitzer, 2010, S.
310). Diese Phase endet, mit der „Umwandlung des Wunsches in ein kon-
kretes Ziel“ (ebenda, S. 311), dem 'Überschreiten des Rubikon'. Diese Phase
muss in einer Einführungsveranstaltung sorgfältig vorbereitet werden, da zu
vermuten ist, dass viele Schülerinnen und Schüler unsicher sind, ob sie die
Anstrengung und den Aufwand des LTBs überhaupt auf sich nehmen wollen
(s. Kap. 3.2.1). Deshalb sind hier die einzelnen Schritte und Maßnahmen
ausführlicher dokumentiert. Die Stichworte wurden insbesondere unter Be-
zugnahme auf Kellers motivationales Design (2010, S. 197ff) zusammenge-
stellt.
Einführungsveranstaltung
Design der prädesizionalen Phase (Wünschen, Abwägen, Wählen)
35
ADDIE
Analyse
(Stichworte)
Ziel des gesamten Trainings, möglicher Gewinn für die Schüler,
Bezug zum Unterricht, Einstellung der Schüler zur Schule, Einstel-
lung zu den Peers, Erwartungen der Schüler an das Training,
ARCS-Dimensionen der Schüler im Unterricht, Material-Analyse,
Formulierung von Lernzielen u.a., Motivation, Volition und emotio-
nale Verfassung der Schüler, Lage- und Handlungsorientierung
Maßnahmen 1. Befragung der Lehrerin zu den obigen Themen
2. Zusammenstellung der Ergebnisse der Befragung
3. Formulierung von Zielen
Design (Stich-
worte)
Mögliche Strategien, Impulse und Übungen sammeln (Anfang,
Mitte, Ende) unter ARCS-Gesichtspunkten, Auswahl von Strategi-
en, Verbesserungsmöglichkeiten, motivationale, volitionale und
emotionale Aspekte, metakognitive und ressourcenbezogene
Aspekte, Expertise des Trainers
Maßnahmen 1. Brainstorming: Strategien in der Literatur und im Internet sam-
meln
2. Unter Berücksichtigung der obigen Stichworte und der Ergebnis-
se der Analyse geeignete Strategien und Übungen auswählen.
Development
(Stichworte)
Ziele (SMART) formulieren, Verfeinerung der Auswahl, Reihenfol-
ge von Strategien, Erstellung von Ablaufplänen, Zeitplan, Materia-
lien erstellen
Maßnahmen Ablaufplan für die Einführungsveranstaltung erstellen
Implementation
(Stichworte)
Einführungsveranstaltung durchführen und auf aktuelle Notwendig-
keiten mit Programmänderungen reagieren
Maßnahmen 1. Fragen zu: Ausbildungs- und Berufszielen, „Lernen lernen“, Be-
deutung von Lernerfolgen und Misserfolgen, Selbstverantwort-
lichkeit, Förderung durch Lehrkräfte, Lernhindernisse, Lernstrate-
gien der Teilnehmer (TN), Zufriedenheit, Erfolgszuversicht, Self-
efficacy, Selbstvertrauen, Volition und Motivation, Gefühle und
Lernen
2. Erläuterung des LTB (Ablauf, Dauer, Technik u.a.)
3. Entscheidung der Teilnehmer nach 48 Stunden Bedenkzeit
Evaluation
(Stichworte)
Anzahl der TN am LTB, Zufriedenheit, Erfolgszuversicht, Motiva-
tion der TN, Verbesserungsvorschläge
Maßnahmen 1. Fragebogen
2. Gesprächsrunde
3. Zielrealisierung
4. Ziel- und Strategiemodifikation
Tab. 4: Design der prädesizionalen Phase
An diesem Beispiel ist deutlich zu erkennen, wie bedeutsam die ARCS-
36
Komponenten für den gesamten Design-Prozess und die Durchführung sind.
Sie „decken den gesamten Lehr-/Lernprozess ab. Zu Beginn ist die
Aufmerksamkeit der Lerner zu gewinnen und aufrechtzuerhalten. Daran an-
schließend soll die Bedeutsamkeit des zu lernenden Lehrstoffes vermittelt
werden. Damit sich der Lerner auch ausdauernd mit einem Thema beschäf-
tigt, soll Erfolgszuversicht ermöglicht werden. Abschließend ist Zufrieden-
heit mit dem Erreichten herzustellen“ (Deimann, 2006. S. 56) und bei Be-
darf muss der Wille des Einzelnen angeregt werden. Nachdem sich die Ju-
gendlichen entschieden haben, ob sie an der Trainingsmaßnahme teilnehmen
wollen, kann mit der konkreten Ausarbeitung des LTB begonnen werden.
Bei Anwendung des ADDIE-Modell ist ein mehrfacher Blickwinkel zu be-
rücksichtigen. Zum einen wird das Modell für den gesamten Lernprozess al-
ler Teilnehmer über alle Module hinweg eingesetzt; zum anderen wird das
Modell aber auch auf jedes einzelne Modul angewandt. Die Evaluation am
Ende jedes einzelnen Moduls liefert wiederum den Ausgangspunkt für das
nächste Modul. Zusätzlich soll – idealerweise - ab dem zweiten Modul jeder
Jugendliche individuell mit den für ihn geeigneten Lernstrategien versorgt
werden.
LTB – Training
A D D I E
Modul 1 Modul 2 Modul 3 Modul 4 Modul 5 …..
Alle TN
ADDIE →
TN 1
A D D I E
ADDIE → ADDIE → ADDIE → ADDIE → …..
TN 2
A D D I E
ADDIE → ADDIE → ADDIE → ADDIE → …..
TN 3
A D D I E
ADDIE → ADDIE → ADDIE → ADDIE → …..
.....
Tab. 5: Anwendung des ADDIE-Modells
Präaktionale Phase
In dieser Phase „soll die Realisierung verbindlich gewordener Ziele mithilfe
37
zielfördernder Handlungen vorangetrieben werden“ (Achtziger & Gollwit-
zer, 2010, S. 312). Diese Phase umfasst die Komponenten 'Analyse', 'De-
sign' und 'Development' des ADDIE-Modells. Bei der Entwicklung des LTB
kann auf die Stichworte und die Untersuchung in der prädesizionalen Phase
(siehe Tab. 4) zurückgegriffen werden. Viele Ergebnisse können von dort
übernommen werden. Betont werden soll die präzise Zielformulierung, denn
die Ziele „haben die Funktion von Standards, wobei konkrete, spezifische,
zeitnahe, anspruchsvolle Ziele, für die ein hohes Commitment vorliegt, be-
sonders geeignet sind, hohe Leistungen zu erreichen“ (Schmitz, 2001, S.
182). Diese Faktoren sollen in der Anwendung des LTB mögliches berück-
sichtigt werden.
Im Bereich der 'Analyse' werden die Maßnahmen aus der Einführungs-
veranstaltung durchgeführt; zusätzlich müssen Informationen zu den Unter-
richtsinhalten und -methoden erhoben werden, damit die Module des LTB
sich an diese anschließen (vgl. Felten und Stern, 2010). Des Weiteren muss
ein Zeitplan für das gesamte LTB erstellt werden.
Zur Komponente 'Design' werden Übungen, Fragebögen und Reflexio-
nen für den praktischen Einsatz im LTB gesammelt und in einem Strategie-
pool mit den folgenden Stichworten markiert:
• kognitiv, metakognitiv, Ressourcen,
• Motivation, Volition, Emotion,
• ARCS (Attention, Relevance, Confidence, Satisfaction),
• Autonomie, Kompetenzerleben, Soziale Einbindung (Deci und
Ryan),
• Anfang, Mitte, Ende.
Die möglichen Strategien werden in der Vorbereitung mit den Unterrichts-
zielen und -plänen der Lehrerin abgeglichen und ihr Einsatz dem Ablauf des
Unterrichts angepasst. Je nach Bedarf stehen sie zum Ausdruck oder zum
Versand und zur Anwendung bereit. Diese Sammlung kann zu einem späte-
ren Zeitpunkt interessierten Lehrkräften weitergegeben werden.
Im Bereich 'Development' wird das erste grundlegende Modul (für alle
Teilnehmer) vollständig durchgeplant. Es wird ein Ablaufplan unter Bezug-
nahme auf den aktuellen Unterricht und die Ergebnisse aus der 'Analyse' –
38
einschließlich Zeitplan und Materialliste – erstellt. Die folgenden Module
können im Detail erst nach der Evaluation des ersten Moduls fertiggestellt
werden. Die vorbereitende Arbeit ist abgeschlossen und kann in der nächs-
ten Phase umgesetzt werden.
Aktionale Phase
Nach der Vorbereitung kann das erste Modul des Lerntagebuches implemen-
tiert werden. In dieser Phase versucht der Lernende seine Ziele auch tatsäch-
lich umzusetzen. „Dies wird am besten durch ein beharrliches Verfolgen der
Zielrealisierung ermöglicht, was eine Anstrengungssteigerung angesichts
von Schwierigkeiten impliziert, sowie die konsequente Wiederaufnahme un-
terbrochener Zielhandlungen erfordert“ (Achtziger & Gollwitzer, 2010, S.
312). In dieser Phase gewinnen „verstärkt volitionale Komponenten (…)
und ressourcenorientierte Lernstrategien an Bedeutung“ (Schmitz, 2001, S.
182). Die Lernenden müssen sich selbst und ihren Lernprozess kontinuier-
lich überwachen (Self-Monitoring, s. Kap. 3.2.1). Hier sei zusätzlich auf die
Handlungskontrollstrategien von Kehr (s. Kap. 4.1.2) verwiesen, die in die-
ser Situation zum Einsatz kommen können. In dieser Phase sollen die TN
durch Prompts zum Beispiel zur Motivationsförderung per SMS oder
WhatsApp-Nachricht unterstützt werden. Der Einsatz von Facebook ist hier
keine Option, da Facebook in der Altersgruppe der Jugendlichen stark an
Bedeutung verloren hat.
Postaktionale Phase
In der Evaluationsphase werden die 'Implementation' (ADDIE) reflektiert
und Konsequenzen für die folgenden Module des Trainings gezogen. Gene-
rell findet die Evaluation, wie auch aus Tabelle fünf ersichtlich, formativ
statt. Die (Zwischen-) Ergebnisse jedes Evaluationsschrittes ermöglichen es,
den weiteren Kursverlauf präzise den Bedürfnissen der Schülerinnen und
Schüler anzupassen. Eine Reihe von Stichworten zur Evaluation findet sich
schon im Kapitel 4.2.1. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die ausgearbeite-
ten Ziele erreicht worden sind und ob sie abgeändert werden müssen. Wich-
tig ist auch, ob die vermittelten Strategien im Schulalltag anwendbar waren
und welche Strategien für die nächsten Lernmodule passen. Darüber hinaus
gilt der Blick auch der Effizienz der Instruktion, dem Unterrichtsstil und den
eingesetzten Materialien (vgl. Keller 2006, S. 132f). Eine summative
39
Evaluation findet zum Ende des Trainingskurses statt.
In Anlehnung an diese Struktur werden den Teilnehmern Fragebögen
ausgegeben, kurze Gruppengespräche geführt oder auch nur ein kurzes
'Stimmungsbild' erhoben; ergänzend wird die Lehrerin ihre Einschätzung
mitteilen.
Ausdrücklich sei hier auf die hohe Bedeutung der emotionalen Zufrie-
denheit der Jugendlichen für den weiteren Lernprozess hingewiesen. Gerade
in der Evaluation tritt die Bedeutung der emotionalen Selbstregulation am
deutlichsten hervor. Durch die Bewertung und Wertschätzung des individu-
ell Erreichten kann die erfahrene Selbstwirksamkeit (Bandura) ein wesentli-
cher Baustein für die weitere Lernmotivation (ARCS-Modell) sein, die
Handlungsorientierung (Kuhl) verstärken, die intrinsische Motivation för-
dern (Ryan & Deci) oder auch den Umgang mit zukünftigen Misserfolgen
verbessern (Kuhl).
4.2.3 Einsatz des Lerntagebuchs
Vorbereitung
In den ersten Wochen des Jahres 2014 wurde das Lerntagebuch in einer
siebten Klasse der Werkrealschule in einem sogenannten „Brennpunktge-
biet“ Stuttgarts eingesetzt. In der Klasse sind 18 Schülerinnen und Schüler,
deren Familien aus acht unterschiedlichen Ländern kommen; die Verteilung
zwischen Mädchen und Jungen ist ausgeglichen. Die Lehrerin war an der
Anwendung des Lerntagebuchs sehr interessiert. Sie steht mit den Jugendli-
chen in intensivem Kontakt und unterstützt sie mit großer Empathie. Ich
konnte die Jugendlichen schon mehrfach im Rahmen einer Konfliktmediati-
on begleiten. In der Klasse gibt es verschiedene Gruppierungen, die teilwei-
se ausgeprägte Konflikte miteinander austragen; drei Jugendliche haben
wiederholt große Schwierigkeiten, sich an verbindliche Schulregeln zu
halten. Das Leistungsniveau ist unterschiedlich. Nach Auskunft der Lehrerin
kommen fast 90 % der Jugendlichen regelmäßig in die Schule; etwa die
Hälfte der Klasse erledigt nahezu immer die Hausaufgaben und lernt auf
Klassenarbeiten; 70 bis 80 % beteiligen sich aktiv am Unterricht; 3 – 4
Schüler sind meist passiv. Generell ist die Atmosphäre in der Klasse trotz
alledem offen und meist freundlich. Folgende (langfristige) Ziele wurden
vorläufig mit der Lehrerin vereinbart: Strategien zu selbstständigem
40
Arbeiten im Allgemeinen; Strategien zur Steigerung der Leistung im
Einzelnen, Strategien für eine regelmäßigere Bearbeitung von
Hausaufgaben, Strategien für mehr Selbstvertrauen und für eine höhere
Fehlerfreundlichkeit (bei sich selbst und bei anderen). Unterziel des
Trainingskurses sollte es sein, die Schüler und Schülerinnen mit ersten
grundlegenden Lernstrategien vertraut zu machen und eine praktische
Umsetzung anzuleiten. Die Einführungsveranstaltung wurde (mittels
ADDIE-Modell, s.o.) vorbereitet und der Termin von der Lehrerin
angekündigt. Für die insgesamt neun Module standen pro Woche jeweils ca.
45 Minuten zur Verfügung. Im Folgenden sollen die einzelnen Module grob
skizziert werden. Insgesamt wurden in allen Modulen Notizen angefertigt,
die später eine Grundlage für die summative Evaluation am Ende des
Kurses darstellten.
Einführungsveranstaltung
An diesem ersten Tag wurde das Lerntagebuch vorgestellt. Im Mittelpunkt
standen der mögliche 'Gewinn' für die Schülerinnen und Schüler und der
Aufwand, den die Schüler mit der Bearbeitung des LTB hätten. Wichtig war
ihnen auch, was ich „davon hätte“ (O-Ton, Teilnehmer). Fragen meinerseits
nach Lernplanung und Lernstrategien begegneten die meisten Schülerinnen
und Schüler mit Unverständnis. In einem Fragebogen wurden zudem Mei-
nungen nach der Zufriedenheit der Klasse, dem Kontakt zur Lehrerin,
Schulmotivation, Aufmerksamkeit im Unterricht, Hausaufgabenverhalten
und der eigenen Lernleistung anonym abgefragt. In einem Schlusswort wur-
de die Möglichkeit hervorgehoben, die eigene Leistung mit Hilfe des LTB
deutlich verbessern zu können. Für die Entscheidung über eine Teilnahme
sollten sich die Jugendlichen zwei Tage Zeit lassen. Die Option, die Teilnah-
me jederzeit beenden zu können, wurde ihnen offen gelassen. Für eventuell
nicht teilnehmende Jugendliche wurde Unterricht in einer Parallelklasse an-
geboten.
Nachbereitung der Einführungsveranstaltung
Generell bestätigte sich im Fragebogen die Einschätzung der Lehrerin. Fast
alle Jugendlichen waren mit der aktuellen Situation in der Klasse mehr oder
weniger zufrieden, Schulmotivation und Wille differierten jedoch stark, die
Aufmerksamkeit und die eigene Lernleistung beurteilten sie tendenziell eher
41
schlechter als die Lehrerin. Am dritten Tag bekam ich von der Lehrerin die
Nachricht, dass alle Schülerinnen und Schüler am Programm teilnehmen
wollten; drei TN eher zurückhaltend und nur probehalber, was von der Leh-
rerin selbstverständlich akzeptiert wurde.
Vorbereitung für Modul 1
Um die die oben angeführten Ziele zu erreichen, war es notwendig, zuerst
den Bedarf der Schülerinnen und Schüler an Selbstlernstrategien herauszu-
finden (Fragebogen) und einen Wochenplan mit den individuell möglichen
Lernzeiten zu erstellen. Hierfür wurde ein Formular entworfen.
1. Modul
Zunächst erstellten die Schülerinnen und Schüler einen individuellen Lern-
zeitenplan. Die Entwürfe wurden gemeinsam besprochen; manche TN hat-
ten sich nur sehr wenig Zeit für das Lernen reserviert. Manche änderten ih-
ren Plan, andere behielten ihn bei. Im Anschluss füllten sie einen einfach
formulierten Fragebogen zu kognitiven, metakognitiven und ressourcenbe-
zogenen Strategien aus, um individuelle Defizite und Hindernisse auszuma-
chen.
Als Aufgabe für die kommende Woche sollten sie täglich das eigene
Lernverhalten dokumentieren („Was fiel mir leicht?, Was war positiv?, Was
war schwierig?, Was war negativ?“) und auf dem Wochenplan die individu-
ellen Lernzeiten eintragen. Die TN erhielten als LTB einen Ordner für die
einzelnen Arbeitsblätter. Abschließend wurden die Handynummern für indi-
viduelle Nachfragen ihrerseits und Prompts, Erinnerungen oder Ermutigun-
gen meinerseits ausgetauscht.
Zu einer kurzen Auswertung wurde ein aktuelles Zufriedenheit per Hand-
zeichen erhoben. Die Stimmung wurde mehrheitlich als „ok“ bis „gut“ ein-
geordnet.
Erinnerung
Die Lehrerin bekam zur Wochenmitte eine Erinnerungsmail mit der Bitte,
die Jugendlichen an die Aufgaben zu erinnern. Das hat sie auch getan.
Nach- und Vorbereitung
Anhand meiner persönlichen Kursnotizen und Fragebögen der Schülerinnen
und Schüler wurde in einem neuen ADDIE-Zyklus das zweite Modul vorbe-
reitet. Der zentrale Punkt für 'Design' und 'Development' war, dass die Ju-
42
gendlichen kaum über explizite Lernstrategien verfügen. Das Hauptziel für
das folgende Modul sollte daher die Anwendung einiger ressourcenbezoge-
ner Strategien sein. Die Lehrerin erklärte sich bereit, in Zukunft verstärkt
kognitive Lernstrategien (Wiederholen, Elaborieren, Transformieren) im
Unterricht einzubauen, so dass dieser Lernbereich aus den kommenden Trai-
ningseinheiten ausgeklammert werden konnte.
2. Modul
Alle TN waren anwesend und hatten die LTBs dabei. Etwa drei Viertel der
Schülerinnen und Schüler hatten die Wochenpläne ausgefüllt, zwei Schüler
teilweise, zwei überhaupt nicht. Die emotionale und motivationale Verfas-
sung der meisten TN war gut (Ausnahme: Müdigkeit, Schulunlust). Alle
überprüften die Lernzeiten in ihren Wochenplänen; manche änderten sie und
trugen sich mehr oder weniger Lernzeit ein. Überprüft wurde, ob diejenigen
TN, die die Pläne nicht bearbeitet hatten, mit Hindernissen zu kämpfen hat-
ten (Zeitmanagement, Ablenkung, Lustlosigkeit) und ob sie weiter teilneh-
men wollten (Stärkung von Motivation und Volition). Auf Grund der Frage-
bögen zu den bereits vorhandenen Lernstrategien wurden Strategien zum
externen Ressourcenmanagement (Lernort, Arbeitsplatz einrichten, Zeitplan
einhalten, Pausen machen) besprochen. Die TN trugen sich ausgewählte
Ressourcenstrategien in die LTBs ein. Sie bekamen die Fragebögen aus dem
ersten Modul zurück und hefteten sie in die LTBs. Ziel für die kommende
Woche war, weiterhin die Lernzeiten einzuhalten und die angewandten Res-
sourcenstrategien täglich im LTB zu dokumentieren. Eine Differenzierung
und Anpassung unterschiedlicher Lernstrategien für einzelne Teilnehmer –
wie vorgesehen – war bisher nicht erforderlich.
Zur Auswertung schrieben die TN zwei Sätze zu den Themen: „Wie war
es heute für mich?“ und „Was erwarte ich von den zukünftigen Kursen?“.
Impuls
Zur Wochenmitte bekamen die TN eine allgemeine WhatsApp-Nachricht
zur Verstärkung und Ermutigung geschickt (Wertschätzung, Selbstwirk-
samkeit).
Nach- und Vorbereitung
Aus den Fragebögen ergab sich, dass viele TN die Stunde interessant fan-
den. Manche hatten keine Erwartungen, andere erwarteten bessere Noten
43
und besseres Lernen.
Ich erlebte die Schülerinnen und Schüler bisher als stark handlungsorien-
tiert (Kuhl). Strategien für eher lageorientierte Jugendliche waren bisher
nicht nötig. Für das dritte Modul wurde eine Wiederholung und Verstärkung
des bisher Geübten geplant, um die Jugendlichen kognitiv nicht zu überfor-
dern und ihnen Zeit zu geben, die neuen Lernstrategien zu vertiefen. Als
weitere Aufgabe wurde das Thema 'Selbstwirksamkeit' vorbereitet.
3. Modul
Zwei Teilnehmerinnen waren krank. Ihnen sollten die Inhalte von einer an-
deren Schülerin mitgeteilt werden. Der Impuls (WhatsApp) wurde überwie-
gend positiv beurteilt. Alle Schüler hatten die Wochenpläne bearbeitet. Die
Lernzeiten schienen stabil zu sein; sie blieben unverändert. Ausführlich
wurden die Erfahrungen mit dem Ressourcenmanagement jedes einzelnen
Teilnehmers besprochen und zukünftige Strategien ausgewählt.
Da in zehn Tagen eine Deutscharbeit anstand, was sie gerade erst erfah-
ren hatten, ergab sich plötzlich ein neues Thema, das sofort bearbeitet wer-
den musste. Alle Teilnehmer reservierten sich in den Wochenplänen nach
Selbsteinschätzung täglich oder in größeren Abständen Lernzeit für die
Klassenarbeit (Motivation). Sie baten mich, wieder eine WhatsApp zu schi-
cken. Zur Steigerung von Konzentration und Motivation – gerade auch vor
der Klassenarbeit – bekamen sie ein Übungsblatt aus dem Strategiepool für
das LTB (s. Brohm, 2012, S. 77), das gemeinsam durchgesprochen und ein-
zeln ausgefüllt wurde. Themen des Übungsblattes waren: Lernziel bestim-
men, Wichtigkeit des Lernziels einschätzen, Engagement für das Lernziel
beurteilen, Umgang mit Ablenkungen planen, volitionale Strategien bestim-
men. Zur Vorbereitung des Themas 'Selbstwirksamkeit' im nächsten Modul
wurde den Schülerinnen und Schülern ein Fragebogen ausgehändigt, den sie
anschließend ausgefüllt zurückgaben (s. Fuchs, 2005, S. 79). In ihm wurde
anonym nach dem Umgang mit unerwarteten Situationen, Schwierigkeiten,
Problemen und Widerständen gefragt.
Zur Auswertung wurde die Frage gestellt, „Was nimmst du heute mit?“
(Relevanz des Gelernten). Die Antworten entsprachen dem Gelernten: Sich
besser konzentrieren können, „wie man mehr lernen kann“, „wie man sich
die Zeit gut einteilen kann“. Die vorgesehene Zeit wurde weit überschritten.
44
Für die Trainingstage hatte die Lehrerin einen flexiblen Stundenplan vorbe-
reitet.
Impuls
Zur Willensstärkung erhielten die TN per WhatsApp unterschiedliche moti-
vierende Sätze zugesandt, wie z.B.: „Wenn ich etwas erreichen will, dann
schaffe ich es auch! Oder?“.
Nach- und Vorbereitung
In einer kurzen gemeinsamen Reflexion mit der Lehrerin konnten wir über-
einstimmend feststellen, dass die Jugendlichen stark motiviert waren, das
Lernverhalten zu verbessern. Die Stimmung in der Klasse war, trotz der
Anstrengung, meist fröhlich und etwas euphorisch. Die kommende Klassen-
arbeit würde ein Prüfstein sein, ob ihnen das Training „etwas bringt“ (O-
Ton, TN) oder nicht.
Aus den Ergebnissen des Fragebogens zur Selbstwirksamkeit wurde er-
sichtlich, dass etwa die Hälfte der Jugendlichen „oft“ bis „fast immer“ von
der eigenen Kompetenz überzeugt sind, schwierige Situationen meistern zu
können. Etwa ein Viertel hingegen glaubt „fast nie“ an seine Selbstwirksam-
keit. Für die Zukunft war es deshalb dringend geboten, diesen Jugendlichen
beim Lernen Erfolgserlebnisse zu vermitteln und sie weiter zu ermutigen
(vgl. Kap. 2.3.2 und 3.2.2). Demzufolge wurde die Stärkung der Selbstwirk-
samkeit im nächsten Modul tatsächlich zu einem vorrangigen Thema.
4. Modul
Alle TN waren da; die im dritten Modul fehlenden TN waren auf dem
neuesten Stand. Zum Ressourcenmanagement hatten einige wenige Jugend-
liche Fragen, die von den Mitschülern gut beantwortet werden konnten
(Lernerfolg). Die meisten von ihnen hatten sich im Wochenplan zusätzliche
Zeit zum Lernen auf die Klassenarbeit eingerichtet und diese auch eingehal-
ten.
Zur Selbstwertschätzung dokumentierten die Jugendlichen zuerst alle
Fortschritte, die sie in den letzten Wochen gemacht hatten. Auf eine Nach-
frage der Jugendlichen, ob sie die Arbeitsblätter anmalen dürften, legten wir
eine kreative Pause ein. Anschließend drückten sie sich gegenseitig Aner-
kennung für ihre Leistungen aus (Einfluss der Peers); danach lobte auch die
Lehrerin. Die TN mit ungünstiger Selbstwertschätzung wurden nicht beson-
45
ders hervorgehoben, um ihr Verhalten nicht zu verstärken. Zum Abschluss
dieses Moduls schrieben sich alle Teilnehmer fünf 'Stark-mach-Sätze' in das
LTB. („Was mir beim Lernen Power gibt!“) Auch diese Seite wollten einige
zuhause kreativ gestalten.
Im Vorfeld der anstehenden Klassenarbeit wurde das Thema 'Internes
Ressourcenmanagement' bearbeitet. Im Mittelpunkt standen Umgang mit
Angst, Unruhe, Stress und Anspannung. Im Gespräch erläuterten alle TN die
Ressourcen, die sie selbst einsetzen. So konnten sie sich aus dem entstehen-
den 'Ressourcen-Pool' taugliche Strategien für die nächsten Tage aussuchen
und notieren. Zum Abschluss wurde ein Merkblatt zu den Themen 'sich
ausruhen', 'sich entspannen', 'sich beruhigen' besprochen.
Eine explizite Evaluation fand nicht statt; die TN zeigten sich sehr enga-
giert und hochmotiviert. Die Zeit wurde überschritten.
Impuls
Am Tag der Klassenarbeit erhielten sie eine WhatsApp mit einem 'Daumen-
drück'-Foto.
Nach- und Vorbereitung
Nach meiner Erwartung müsste das Hauptaugenmerk der Jugendlichen im
nächsten Modul auf den Ergebnissen der Klassenarbeit und dem individuel-
len Lerneinsatz liegen. Zusätzlich schien der Umgang mit Spannungs- und
Angstgefühlen (Emotionskontrolle) vor und während der Klassenarbeit ein
wichtiges Thema zu sein. Vermutlich würde auch bei der einen oder beim
anderen die Bewältigung von Misserfolg von Bedeutung sein. Dazu wurde
(vorsorglich) ein Arbeitsblatt entworfen. Als weiteres Thema war die selb-
ständige Planung längerfristiger Ziele vorgesehen. Für die Evaluation wurde
ein anonymer Fragebogen vorbereitet, in dem sie ankreuzen und beschrei-
ben konnten, was ihnen im Training noch fehle und was zu viel sei.
5. Modul
Für den Großteil der Klasse war die Arbeit gut verlaufen; sie hatten die glei-
che oder eine bessere Note als in der vorhergegangenen Arbeit. Die Moti-
vation, das Training fortzuführen, war hoch. Sie hatten sich 'selbstwirksam'
erfahren und selbstverantwortliche Lernkompetenz erlebt (vgl. Felten &
Stern). Sie baten die Lehrerin, auch weiterhin „mit den neuen Sachen“ (ko-
gnitive Strategien) weiter zu machen. Drei Schüler hatten schlechte Noten
46
bekommen. Ihre Motivation, weiter zu machen war sehr gering. Zum
Umgang mit der Enttäuschen wurden zuerst alle Schüler im Gesprächskreis
befragt, wie sie mit Misserfolgen umgehen (Wirkung der Peergruppe). Im
Anschluss bekamen sie ein Merkblatt mit zwei Abschnitten: Zum einen
sollten sie versuchen, die Akzeptanz der aktuellen Situation gegenüber zu
formulieren, was kognitiv sehr anspruchsvoll war. Hierbei durften sie sich –
bei Bedarf – auch gegenseitig unterstützen (Peergruppe); zum anderen
sollten sie gemeinsam Handlungspläne entwickeln, wie sie den Misserfolg
in Zukunft vermeiden oder verringern könnten (nach einer Idee von
Deimann, 2006, S. 155). Alle drei Schüler wurden ermutigt, neu zu prüfen,
ob sie sich im Training weiterhin beteiligen möchten
(Selbstverantwortlichkeit). Für sie wurde kein gesondertes Curriculum
entwickelt, da ihnen ansonsten wieder die neuen Lerninhalte der anderen
TN gefehlt hätten.
In einer Zwischenreflexion wurde der Zusammenhang zwischen eigener
Anstrengung und Erfolg hervorgehoben ('Confidence' und 'Satisfaction' im
ARCS-Modell) und so auch die Volition und die intrinsische Motivation ge-
stärkt. Die Lehrerin lobte explizit den Einsatz von Lernstrategien.
Zum Umgang mit sich wiederholenden Misserfolgserlebnissen fand im
Anschluss an das Modul ein Gespräch mit der Lehrerin statt. Dabei erhielt
sie Informationen und Literaturhinweise zu den Aspekten 'erlernte Hilflo-
sigkeit', 'Attribuierung', 'Lageorientierung' und 'Reattributtionstraining' (s.
Kap. 3.2.1). Zusätzlich wurden die Faktoren 'Autonomie', 'Kompetenzerle-
ben' und 'soziale Einbindung' betont, die u.a. auch von Felten und Stern her-
vorgehoben werden (s. Kap. 3.2.2). Leider war im Training kein Raum
mehr, das Thema mit allen TN zu vertiefen. Hier zeigte sich auch, dass die
geplante individuelle Betreuung nicht wie vorgesehen durchgeführt werden
konnte.
Um das langfristige Zeitmanagement für die nächsten Monate zu be-
sprechen, blieb keine Zeit; es wurde auf das nächste Modul verschoben.
Der Fragebogen „Was fehlt noch für die nächsten Male?“ wurde ausge-
teilt, von den TN ausgefüllt und wieder eingesammelt.
Impuls
Als Impuls wurde den TN eine WhatsApp-Nachricht mit vielen Emoticons
47
und einem Dank für die gute Mitarbeit geschickt.
Nach- und Vorbereitung
Auf dem Fragebogen „Was fehlt?“ wurden mehrfach Lernstrategien erwähnt
und es tauchte immer wieder die Frage auf, wie es nach dem Training wei-
terginge. Deshalb wurden in Zusammenarbeit mit der Klassenlehrerin meta-
kognitive Lernstrategien vorbereitet. Die Lehrerin wählte verschiedene
Lerntexte aus, an Hand derer metakognitive Lernstrategien geübt werden
konnten. Diese folgten den oben beschriebenen Phasenmodellen. Stichworte
waren: Überblick verschaffen, Ziele festlegen, Vorgehen planen, nur Rele-
vantes bearbeiten, Verständnis überprüfen, Vorgehen kontrollieren, Endkon-
trolle durchführen. Zu allen Schritten wurden einfache Leitfragen formu-
liert. In der Evaluation sollte das einfache Verständnis dieser Lernstrategien
überprüft werden. Dazu wurde ein Quiz vorbereitet.
6. Modul
Eine der drei wenig motivierten Teilnehmerinnen war da, was hervorgeho-
ben wurde. Den beiden fehlenden TN wurde – über die Lehrerin – freige-
stellt, jederzeit wieder ins Training einzusteigen. Bezugnehmend auf den
'Was-fehlt'-Fragebogen wurde die Übung zu den metakognitiven Selbstlern-
strategien vorgestellt und wie oben beschrieben durchgeführt. Es wurde
schnell klar, dass an diesem Punkt noch häufiges Üben und viel Betreuung
im zukünftigen Unterricht wichtig waren; die Lehrerin machte sich hierzu
eine Notiz, um auch die Kolleginnen, die die Nebenfächer unterrichten, ein-
zubeziehen. Die TN waren in allen 'ARCS'-Dimensionen motiviert. Die TN
waren sehr interessiert und engagiert; für dieses Modul müsste in Zukunft
mehr Zeit eingeplant werden.
Zum Abschluss wurde ein Mannschaftswettbewerb durchgeführt, bei dem
sie zu den Satzanfängen „vor dem Lernen“, während des Lernens“ und „am
Ende des Lernens“ die Strategien in der richtigen Reihenfolge zusammen-
stellen mussten. Die Siegergruppe bekam ein dickes Lob.
Impuls
Gegen Gewöhnungseffekte wurde diese Woche kein Impuls versandt. Es ka-
men auch keine Anfragen der Teilnehmer.
Nach- und Vorbereitung
Nachdem die Jugendlichen sich mit den Lernstrategien etwas vertraut ge-
Hauptschule - Lerntagebuch - Lernstrategien
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Hauptschule - Lerntagebuch - Lernstrategien

  • 1. Förderung der Selbstlernkompetenz von Werkrealschülern Fernuniversität Hagen Institut für Bildungswissenschaften und Medienforschung Lehrgebiet Mediendidaktik 2. April 2014 Peter Wicke, peter.r.wicke@gmail.com
  • 2. 1 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 2 Die Haupt- und Werkrealschule 2.1 Entwicklung der Hauptschule 2.2 Die aktuelle Situation in Baden-Württemberg 2.3 Haupt- und Werkrealschüler im Bildungssystem 2.3.1 Strukturelle Veränderungen 2.3.2 Die subjektive Perspektive 2.4 Übergänge in die berufliche Ausbildung 2.5 Die Zukunft der Haupt-/Werkrealschule 3 Die Selbstregulation des Lernens 3.1 Definitionen 3.2 Theoretischer Hintergrund der Selbstregulation 3.2.1 Zeitlich-zyklische Modelle Das Rubikon-Modell Das Prozessmodell der Selbstregulation An integrative Phase Model of Self- Regulated Learning 3.2.2 Einige psychologische Aspekte der Selbstregulation Motivation Volition Emotion Lage- und Handlungsorientierung Selbstwirksamkeitserwartung – Perceived Self-efficacy 4 Die Förderung der Selbstlernkompetenz 4.1 Lernstrategien 4.1.1 Allgemeine Systematik 4.1.2 Handlungskontrollstrategien 4.1.3 Volitionale Aspekte der Selbststeuerung 4.1.4 Motivationale Aspekte der Selbststeuerung 4.1.5 Emotionale Aspekte der Selbststeuerung 4.2 Das Lerntagebuch (LTB) 4.2.1 Allgemeine Gesichtspunkte 4.2.2 Entwurf des LTB 4.2.3 Einsatz des LTB 5 Zum Abschluss Literaturverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis S. 2 S. 4 S. 4 S. 4 S. 6 S. 6 S. 8 S. 11 S. 12 S. 13 S. 14 S. 14 S. 15 S. 15 S. 17 S. 18 S. 20 S. 20 S. 22 S. 24 S. 26 S. 26 S. 27 S. 28 S. 28 S. 29 S. 29 S. 30 S. 30 S. 30 S. 30 S. 33 S. 39 S. 53 S. 54 S. 60 S. 60
  • 3. 2 Wenn ich nur darf, wenn ich soll, aber nie kann, wenn ich will, dann mag ich auch nicht, wenn ich muss. Wenn ich aber darf, wenn ich will, dann mag ich auch, wenn ich soll, und dann kann ich auch, wenn ich muss. Denn schließlich: Die können sollen, müssen auch wollen dürfen! (Autor unbekannt, zit. nach Schett, 2008, S. 93) 1 Einleitung Hauptschülerinnen und Hauptschüler haben es heute nicht leicht, und das gleich in mehreren Bereichen. Zum einen hat „ihre“ Schule einen schlechten Ruf – „Restschule“ oder „Problemschule“ sind gängige mediale Schlagwor- te. Zum anderen sinken die Schülerzahlen rapide. In Baden-Württemberg werden wahrscheinlich mehr als ein Drittel der Hauptschulen nicht überle- ben. Die eigentliche „Hauptschule“ ist heute eher das Gymnasium. Oft haben Hauptschüler mit einem schwierigen Start zu kämpfen. Becker (2008) vergleicht die Situation der Hauptschüler wie folgt: Als würden sie beim Hundertmeterlauf „mit zu groß geratenen Schuhen ohne Schnürsenkel an der Startlinie stehen, während die Kinder aus höheren Sozialschichten mit bester Ausstattung einen nicht einholbaren Vorsprung über 50 Meter haben, bevor überhaupt der Startschuss gefallen ist“ (Becker, 2008, S. 184f). Wie später erläutert wird, werden im deutschen Schulsystem schwächere Schüler 'nach unten' weitergereicht, bis sie in der 'Endstation Hauptschule' landen. Fend (2004) spricht gar von einer „Entsorgungsmentalität“ (s.u.) des Schulsystems. Vom „Fahrstuhleffekt“ (Beck) sind sie nicht mitgenommen worden. Nur ein Viertel von ihnen wird direkt nach der Schule einen Ausbil- dungsplatz finden. Über zehn Prozent der Jugendlichen wird auch nach zwei Jahren noch immer keine berufliche Perspektive haben. Wie kann Lernen unter diesen Bedingungen gelingen? Wie geht es einem Schüler unter diesen Umständen im Schulalltag? Mit wie viel Motivation,
  • 4. 3 Lernbegeisterung, Wille, Vertrauen oder zielgerichtetem Handeln kann ein Jugendlicher unter diesen Voraussetzungen seine Schulzeit produktiv ge- stalten? Oder wird sie nur ertragen und ausgehalten? Gerade für Hauptschü- lerinnen und Hauptschüler wäre es hilfreich, verstärkt Wege und Strategien zur Verfügung zu haben, mit deren Hilfe sie ihre Situation selbst verbessern könnten. Vor diesem Hintergrund soll mit einer Schulklasse ein Training zum selbstregulierten Lernen durchgeführt und dabei erprobt werden, ob die Anwendung eines Lerntagebuchs dazu beitragen kann, dass die Schüler ihre Lernkompetenzen selbständig weiter entwickeln. Hauptschule kann gelingen. Die Hauptschule, die in Baden-Württemberg in eine 'Werkrealschule' umgewandelt wird, ist unbestreitbar auf dem Weg. Es werden neue Bildungspläne und Kooperationen entwickelt und an den meisten Schulen wird Lernen neu definiert. Es werden neue didaktische Me- thoden und fördernde Maßnahmen umgesetzt. Mehr und mehr wird die Selbständigkeit der Schülerinnen und Schüler gefördert. Hier kann das Lerntagebuch mit seinen unterschiedlichen Strategien ein hilfreiches Hand- werkszeug sein. Die Jugendlichen bekommen Mittel an die Hand, mit deren Hilfe sie das eigene Lernen selbständig gestalten können. Sich auf diese Weise Selbstlernkompetenzen anzueignen und zu verinnerlichen, ist die bes- te Voraussetzung dafür, die eigene (Weiter-) Bildung und das eigene Leben in die Hand zu nehmen und aktiv zu gestalten. In den folgenden Kapiteln soll dieser Weg nachgezeichnet werden. Nach ei- ner Darstellung der aktuellen Situation in der Haupt- oder Werkrealschule in Baden-Württemberg in Kapitel zwei, soll im darauf folgenden Kapitel die Selbstregulation des Lernens theoretisch erläutert werden. Das selbständige Lernen ist schon mehrere Jahrzehnte im Fokus der wissenschaftlichen For- schung angekommen. Die Zugänge und Modelle sind vielfältig. Hier sollen einige relevante Modelle und verschiedene psychologische Aspekte der Selbstregulation erläutert werden. Im Mittelpunkt des darauf folgenden vier- ten Kapitels steht dann die Förderung der Selbstlernkompetenz mittels ge- eigneter Lernstrategien im Mittelpunkt. Nach einer allgemeinen Betrachtung von Lernstrategien, wird die praktische Umsetzung mittels eines Lerntage- buchs in einer Werkrealschule theoretisch und praktisch dokumentiert. Mit
  • 5. 4 Hilfe eines Instruktionsdesign-Modells wird die Entwicklung und Durchführung des Trainings der Jugendlichen strukturiert. Den Abschluss bilden eine kurze Zusammenfassung und einige Überlegungen zur Perspektive. 2 Die Haupt- und Werkrealschule 2.1 Entwicklung der Hauptschule Die Hauptschule ist eine verhältnismäßig 'junge' Schulart; sie ging erst 1964 aus der 'Volksschule' hervor. Sie wurde in einer Übereinkunft der Bundes- länder als dritte, allgemeinbildende und weiterführende Schulart konzipiert. Gleichzeitig wurde sie zur Pflichtschule für alle die Schülerinnen und Schü- ler erklärt, die keine andere weiterführende Schule besuchen. Der Unterricht sollte stark praxisbezogen sein und mit der Berufsschulreife abschließen. 2.2 Die aktuelle Situation in Baden-Württemberg Seit dem Schuljahr 2010/2011 können sich Hauptschulen zu Werkrealschul- en weiterentwickeln. An diesen Werkrealschulen sind dann verschiedene Schulabschlüsse möglich: die Hauptschulprüfung nach Klasse 9 oder 10 und der 'Werkrealschulabschluss', der dem Abschluss an einer Realschule gleich- gestellt ist. Hiermit soll auch die Durchlässigkeit zwischen den Schularten erhöht werden. Viele Hauptschulen bewerben sich für diese Aufwertung, um wieder attraktiver zu werden und durch höhere Schülerzahlen einer mögli- chen Schließung vorzubeugen. Obwohl sich die Hauptschule in den ver- schiedenen Bundesländern unterschiedlich entwickelt hat, lassen sich einige Gesichtspunkte verallgemeinernd darstellen. Die Hauptschule gerät seit Jahrzehnten zunehmend unter Druck. In Fol- ge der allgemeinen Bildungsentwicklung, der demographischen Veränderun- gen in der Bevölkerung oder auch durch wirtschaftliche Prozesse in Hand- werk und Industrie verliert die Hauptschule mehr und mehr an Bedeutung. Seit 2004 sind die Schülerzahlen um 20 Prozent zurück gegangen; je nach Bundesland oder Region fällt diese Veränderung unterschiedlich aus. Medienberichte über Gewalt an Hauptschulen und das schlechte Ab- schneiden in internationalen Vergleichsstudien wie PISA, IGLU oder TIMMS haben zu diesem Rückgang beigetragen. Zusätzlich verstärkt wurde dieser Trend in den letzten Jahren durch einen gravierenden öffentlichen
  • 6. 5 Ansehensverlust der Hauptschule, der sich in Bezeichnungen wie „Rest- schule“, „Problemschule“, „Brennpunktschule“ oder ähnlichem nieder- schlägt. Einige ostdeutsche Bundesländer haben die Hauptschule gar nicht erst eingeführt, andere haben sie längst wieder abgeschafft. Andere Bundes- länder wiederum, wie beispielsweise Baden-Württemberg und Bayern hal- ten weiterhin an der Hauptschule fest. Erst unter der neuen Landesregierung seit 2011 ist verstärkt Bewegung in die Schulentwicklung gekommen. So wurden im Bildungsplan der Werkrealschule für das Jahr 2012/2013 die Fächer „Berufsorientierte Bildung“ und „Kompetenztraining“ neu aufge- nommen, um die Schülerinnen und Schüler intensiver auf eine zukünftige Berufsausbildung vorzubereiten. Die Landesregierung betont, sie biete den Schülern „ein Konzept, mit dem sie ihre individuellen Fähigkeiten durch ein auf sie abgestimmtes Lernkonzept optimal nutzen können und so ihren persönlichen Schulerfolg verbessern werden“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2012, S. 7). Dieses Kompetenztrai- ning, das u.a. auch Durchhaltevermögen, Selbständigkeit, Konzentrations- fähigkeit, Lern- und Arbeitsmanagement beinhalten soll (vgl. ebenda, S.152ff), wird unverständlicherweise in der 10. Klasse angeboten, so dass die Schüler in der schulischen Entwicklung davon nicht profitieren. Die Bedeutung des selbstregulierten Lernens für die Schule scheint im Kultus- ministerium Baden-Württembergs noch nicht angekommen zu sein. Und dies trotz der Befunde der PISA-Studien, die immer wieder auf einen nied- rigen Leistungsstand insbesondere der Hauptschüler hinweisen, nach denen z.B. „Kontroll- und Elaborationsstrategien (…) am seltensten von Haupt- schülern verwendet“ werden (vgl. Artelt, Demmrich & Baumert, 2001, S. 297). In diesem Bereich des Kompetenztrainings besteht dringender Hand- lungsbedarf, der später im Lerntagebuch mittels kognitiver und metakogni- tiver Strategien gedeckt wird. Zur gleichen Zeit ist in Baden-Württemberg die (bisher verbindliche) 'Grundschulempfehlung' für den weiteren Schulbesuch nach der Grund- schule entfallen. Es war keine Überraschung, dass zum Schuljahr 2013 / 2014 nur noch 12% der Kinder in Werkreal- u. Hauptschulen angemeldet wurden. Im Vergleich zum Vorjahr war dies ein Rückgang um fast 72%. Es ist deutlich, dass die meisten Eltern für ihre Kinder einen mittleren oder
  • 7. 6 höheren Bildungsabschluss zur Verbesserung ihrer Berufsaussichten anstreben. Für ein Drittel der Haupt- und Werkrealschulen stellt sich die Frage, ob sie überleben werden (siehe: Böhme, 2013, o.S.). Die Entwicklung ist von vielen Faktoren abhängig, ein Ergebnis ist noch nicht absehbar. Eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Werkrealschulen ist aufgrund des Datenmaterials zur Zeit noch nicht möglich. 2.3 Haupt- und Werkrealschüler im Bildungssystem 2.3.1 Strukturelle Veränderungen Die Gliederung des deutschen Bildungssystems wird schon seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. „Zum einen findet sich die Position, dass eine Gliede- rung nach Schulformen mit unterschiedlich hohen Anforderungsniveaus (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) unverzichtbar ist und schon zu ei- nem frühen Zeitpunkt erfolgen sollte, damit dem unterschiedlichen Leis- tungspotential der Schüler bestmöglich entsprochen werden kann. Die Ge- genposition stellt gerade das in Frage und sieht ein integriertes System (Ge- samtschule, Gemeinschaftsschule) als die überlegene und den Ansprüchen einer modernen Demokratie weit angemessenere Organisationsform an“ (Ditton & Reinders, 2011, S. 145). In den einzelnen Bundesländern wird die Differenzierung heute unterschiedlich gehandhabt. Vergleiche zeigen, „dass mit unterschiedlichen Differenzierungsformen erfolgreich gearbeitet werden kann“ (Trautwein, U., Baumert, J. & Maaz, K., 2007, S. 3). Oft führt die Differenzierung zu Lerngruppen, die nach ihrer Leistungsfähigkeit homoge- nisiert werden. Schwächere Schüler werden dabei 'nach unten' weiterge- reicht, um so „die anspruchsvollen Bildungsgänge von weniger geeigneten Schülerinnen und Schülern zu 'reinigen'. Es entsteht damit eine gewisse Entsorgungsmentalität (kursiv i.O., PW), die zu einem Abschieben in ande- re Schulformen und zu einem gehäuften Sitzenbleiben führt“ (Fend, 2004, S.23). Offiziell soll die Homogenisierung mit einer Durchlässigkeit des Bil- dungssystems kompensiert werden, die es Schülern ermöglicht, innerhalb der Bildungskarriere die Schulart wechseln zu können. Wiederholt wurde gezeigt, dass eben jene Durchlässigkeit fast ausschließlich in eine Richtung funktioniert – und zwar von oben nach unten. Bohl (2003) berichtet: „Je nach Studie und Bundesland beträgt das Verhältnis zwischen 1:18 und 1:11; d.h. ein Jugendlicher steigt auf, 18 bzw. 11 Jugendliche steigen hingegen
  • 8. 7 ab“ (S. 37). Die quantitative Reduzierung der Schülerzahlen der Haupt-/Werkreal- schulen könnte als eine Verbesserung der Chancengleichheit und als Erfolg der Bildungspolitik angesehen werden. Für die Hauptschulen weisen Lauterbach und Becker (2008) jedoch nach, „dass durch den Rückgang der Zahl von Schülern in Hauptschulen ein eigentümlicher Selektionsmechanismus entsteht, der dazu führt, dass mittlerweile nur bestimmte Gruppen von Schülern vornehmlich auf der Hauptschule zu finden sind“ (Lauterbach & Becker, 2008, S. 423). Der 'Fahrstuhleffekt' (U. Beck) hat nicht alle mitgenommen, „denn die Hauptschülerinnen und Hauptschüler sind in 'ihrer Etage geblieben' bzw. zurückgelassen worden. Die Bildungsverteilung ist damit im Verlauf der Bildungsexpansion nicht gleicher, sondern ungleicher geworden“ (Solga & Wagner, 2008, S. 195). Solga und Wagner sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Creaming-out“-Prozess (ebenda), für den die Haupt-/Werkrealschulen und die Schülerinnen und Schüler einen hohen Preis bezahlen. Hier treffen heute all die zusammen, die in den Lernmöglichkeiten und ihrem Lernverhalten geschwächt sind. Hier häufen sich die Faktoren, die die Leistungsentwicklung des Einzelnen und ganzer Schulklassen beeinträchtigen können. Als „kollektive Belastungsfaktoren“ gelten insbesondere: „der Anteil von Wiederholern, ein niedriges Leistungs- und Fähigkeitsniveau, Konzentration von Schülern aus extrem bildungsfernen Familien und ein steigender Anteil von Jugendlichen, aus Elternhäusern mit besonderen sozialen und privaten Belastungen“ (Trautwein et al., 2007, S. 4f). Dass es unter ungünstigen Lernbedingungen außerordentlich schwierig sein kann, einen guten Schulabschluss zu erreichen, braucht kaum weiterer Erläuterung. Hier sei an Beckers Vergleich mit einem Hundertmeterlauf (s.o.) erinnert. Umso dringender ist es geboten, gerade Werkrealschülern zu- sätzliche Unterstützung anzubieten. Ein Hilfsmittel hierfür kann die Verbes- serung der Selbstlernfähigkeit sein. Viele Studien haben immer wieder den engen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und den Bildungsmöglichkeiten in Deutschland her- vorgehoben. In keinem OECD-Land ist dieser Zusammenhang so eng wie in Deutschland. Zum Beispiel werden Kinder aus Arbeiterfamilien häufig zu-
  • 9. 8 nächst aufgrund von Entwicklungsdefiziten zurückgestellt; sie sind in Son- derschulen für Lernbehinderte überrepräsentiert und müssen Klassen häufi- ger wiederholen. In der Hauptschule gehören fast 64 % der Schüler zu den wenig erfolgreichen (Schümer, 2004, S. 73f). Diese Effekte sind bei Jungen stärker ausgeprägt als bei Mädchen. Nach der jüngsten Pisa-Erhebung 2013 hat sich „die ausgeprägte Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft (…) leicht abgeschwächt“ (N.N., 2013, Manager-Magazin, o.S.). Der Leistungszuwachs „basiert (…) vorwiegend auf besseren Leistungen der sozial schwächeren Jugendlichen“ (Prenzel, 2013, o.S.). Hier zeigt es sich, dass gerade in den Haupt-/Werkrealschulen in den letzten Jahren sehr viel getan wurde. Allerdings sind die Abstände der schwächeren Schüler zu den sozial besser gestellten immer noch sehr groß (ebenda). Die Ursachen für die dauerhafte Bildungsungleichheit sind sehr vielfältig und können hier nur angerissen werden. Als Versuch einer Strukturierung dieser „komplexen Gemengelage“ beziehen sich Lauterbach und Becker (2008) auf verschiedene Ebenen von Ursachenfaktoren: • Auf der Mikroebene des Individuums werden die „Sozialisationsbe- dingungen des Elternhauses sowie elterliche Bildungsentschei- dungen (…) hervorgehoben. • Auf der Mesoebene des Bildungssystems (i.O.) werden Strukturen und institutionelle Regelungen (…) sowie Selektions- und Sortie rungsprozesse seitens der Bildungseinrichtungen genannt. • Schließlich sind auf der Makroebene der Gesellschaft (i.O.) die Bildungsungleichheit verstärkende oder abschwächende Entwick- lungen von Bedeutung wie etwa die Nachfrage nach Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung oder Bildungsreformen oder unerwartete Folgen von Eigendynamiken der Bildungsexpansion“ (Lauterbach & Becker, 2008, S. 431). 2.3.2 Die subjektive Perspektive Wiederholt bestätigen große Studien wie PISA, UNICEF-Studie oder die Studie der Jugendstiftung Baden-Württemberg, dass ein Großteil der Schü- lerinnen und Schüler an seiner Schule zufrieden ist. Prenzel (2013) kom- mentiert die Pisa-Studie von 2013 mit den Worten: „Aus der Sicht der Schü- ler (…) macht ihnen die Schule nicht mehr Angst als früher. Im Gegenteil,
  • 10. 9 sie fühlen sich sogar stärker mit ihrer Schule verbunden (...)“ (Prenzel, 2013, o.S.). Das ist sehr erfreulich. Im Lebensabschnitt 'Jugend' gilt es, viele Entwicklungsaufgaben gleich- zeitig zu bewältigen; von der körperlichen Entwicklung, über die Ablösung von den Eltern bis zur Entwicklung von Freundes- und Liebesbeziehungen und immer wieder neuen Herausforderungen in der Schule oder der Ausbil- dung. Dies ist per se keine leichte Aufgabe. Erheblich beeinträchtigt werden kann eine konstruktive Bewältigung, wenn Jugendliche zusätzlich mit erschwerten Lebenslagen konfrontiert sind. Zu Beginn ist der wichtigste Lernort für Kinder in der Regel die Familie; dort erlernen sie viele der Kompetenzen, die sie zur Alltagsbewältigung brauchen. „Bildungsprozesse in der Familie werden (…) vor allem über die Qualitäten familialer Beziehungsformen wie z.B. Reziprozitätserfahrung, Art der Kommunikationsformen, soziale Anerkennung bzw. Unterstützung beeinflusst“ (Grundmann, Bittlingmayer, Dravenau & Groh-Samberg, 2008, S. 50). In der Grundschule (oder auch schon im Kindergarten) können ins- besondere Kinder aus bildungsfernen Familien eine große Diskrepanz zu den dort angemessenen Handlungsformen und Bildungsprozessen erfahren. Ihre lebensweltliche Erfahrung außerhalb der Schule stellt sich dann als Hindernis heraus. „Die Handlungsbefähigungen, die in der einen Welt zäh- len, sind in der anderen nichts wert“ (Grundmann et al., S. 53). So erfahren sie schon beim Eintritt in die Grundschule eine Benachteiligung aufgrund ihrer Herkunft und starke Irritationen des eigenen Selbst. Für sie „stellt sich (…) die mehr oder weniger ausgeprägte Alternative, sich entweder auf den Versuch des Bildungsaufstieges einzulassen und dabei das eigene Selbst schutzlos den schulischen Zuschreibungen von Erfolg und Versagen preis- zugeben, oder sich den schulischen Anforderungen zu verweigern und ihnen den in den Peergruppen und im eigenen Herkunftsmilieu ausgebildeten Bil- dungsstrategien und Anerkennungsmodi entgegenzuhalten, die das eigene Selbst zu stützen und anzuerkennen vermögen“ (Grundmann et al., S. 59). Diese Kinder werden sich in und auch außerhalb der Schule oft in einem „Modus der Anspannung und der Ungewissheit, wenn nicht gar im Modus der Angst oder der Gewissheit des Scheiterns“ (ebenda) befinden. Emotio- nale Belastungen dieser Art stellen für eine positive Persönlichkeitsentwick-
  • 11. 10 lung und für konstruktive Lernprozesse große Hindernisse dar. „Als Folge verlieren diese Schülerinnen und Schüler schon auf den niedrigen Klassen- stufen den Anschluss. Schulischer Misserfolg durchzieht unter Umständen ihre gesamte Schullaufbahn“ (Wetzstein & Erbeldinger, 2007, S.128). Hier kann man erahnen, von welch großer Bedeutung emotionale Prozesse für die Entwicklung der Jugendlichen sind, ein Thema, das in späteren Kapiteln wieder aufgenommen wird. Unter den geschilderten Umständen wird es für Kinder und Jugendliche schwer, die Sicherheit zu entwickeln, „dass sie in typischen Leistungssitua- tionen - bei Einsatz angemessener Anstrengung - über die notwendigen Mit- tel verfügen, ihre Ziele zu erreichen“ (Trautwein et al., 2007, S. 6). Aber ge- nau diese Sicherheit, die sogenannte 'Selbstwirksamkeitsüberzeugung' geht sowohl „mit anspruchsvolleren Zielsetzungen, höherer Anstrengungsbereit- schaft und Ausdauer sowie einer günstigen Verarbeitung von Misserfolg (einher)“ (ebenda). Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, Jugendliche in ih- rer Selbstlernkompetenz zu stärken, ihnen Erfolgserlebnisse zu ermöglichen, wie es auch im Lerntagebuch beabsichtigt ist (s.u.). In der Haupt-/Werkrealschule treffen viele Jugendliche mit ähnlichen Biographien aufeinander. „Ihre Elternschaft stammt homogen aus den unte- ren Schichten, während die kulturelle, familiäre und sprachliche Vielfalt die größte ist“ (Bohl, 2003, S. 58). Zum einen bedeutet diese Homogenität eine Entlastung, da andere Mitschüler ähnliche Biographien und Probleme haben (vgl. Trautwein et al., 2007, S. 7), andererseits konzentrieren sich in den ein- zelnen Schulen oder Klassen oft Jugendliche mit schlechten Schulleistung- en, Misserfolgskarrieren, Problemen in der Familie und sozial auffälligem Verhalten. Selbstwert, Selbstvertrauen und auch Selbstwirksamkeit sind wichtige Schulthemen, die für die meisten Lehrer der Hauptschule auch selbstverständlich sind. Darüber hinaus finden in der Regel auch in der Peer-group Homogenisie- rungsprozesse in „relativ abgeschlossenen Subkulturen“ (Solga & Wagner, 2000, S. 5) und Netzwerken statt, „infolge einer weitgehenden Beschrän- kung der sozialen Kontakthäufigkeit auf Angehörige der jeweils eigenen Schulform“ (ebenda). Ein schlechtes Schul- oder Klassenklima, Schulver- drossenheit, Unterrichtsstörungen, Aggression und Gewalt oder auch Angst
  • 12. 11 und Depression können die Folgen sein. Dieses Verhalten betrifft Jungen häufiger als Mädchen. Verschiedene Untersuchungen haben diese Alltags- und Schulbedingungen als leistungshemmend für den Kompetenzerwerb in der Schule herausgearbeitet (so beispielsweise Meier 2004, Bohl 2003, Schümer 2004). 2.4 Übergänge in die berufliche Ausbildung Wie bereits erwähnt, sollte die Haupt-/Werkrealschule auf das Arbeitsleben vorbereiten. Hier wird kurz beschrieben, wie sie diesen Auftrag in der Vergangenheit erfüllt hat. Neben großen Veränderungen auf dem Markt für Ausbildungsstellen un- terliegen die Werkrealschülerinnen und -schüler heute in vielen Berufen ei- ner starken Verdrängung durch Real- und Gymnasialschüler. Die beruflichen Perspektiven der Jugendlichen sind sehr begrenzt. Die Frage, wie es nach der Schule weitergehen soll, wird für die Jugendlichen im Laufe der Schul- zeit zu einer zunehmenden Belastung (vgl. Gaupp, N., Lex, T., Reißig, B. & Braun, F., 2008). In einem mehrjährigen Panel hat das Deutsche Jugendin- stitut die Ausbildungswege von Jugendlichen untersucht. Nur 25 % der Ju- gendlichen konnten direkt nach dem Schulabschluss einen Ausbildungsplatz vorweisen. Hier war die Chance für Jungen ohne Migrationshintergrund am höchsten. Jugendliche mit Migrationshintergrund hatten erheblich größere Schwierigkeiten; insbesondere türkische Jungen fanden nur zu 7 % einen Ausbildungsplatz. 33 % der Schülerinnen und Schüler gingen auf eine wei- terführende Schule; dies war verstärkt bei Mädchen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu beobachten. 26 % befanden sich in einer berufs- vorbereitenden Maßnahme. Erst im dritten Übergangsjahr befanden sich mehr als die Hälfte der Jugendlichen in einer Berufsausbildung (vgl. Reißig, 2007). Mit teilweise mehrjährigen Zwischenschritten gelang es den meisten Jugendlichen, eine Ausbildung zu absolvieren. Allerdings befanden sich im dritten Übergangsjahr 16 % „weder in der Schule noch in Berufsvorberei- tung, Ausbildung oder Arbeit, hatten also nach der Berufsvorbereitung kei- nen Anschluss gefunden“ (Reißig, 2007, S. 16). Ihre Chancen auf dauerhafte Beschäftigung und gesellschaftliche Teilhabe sind sehr gering. Wenn der Untersuchung zu Folge lediglich 25 % der Schülerinnen und Schüler nach dem Schulabschluss direkt in eine Ausbildung wechseln
  • 13. 12 konnten, scheint es fraglich, ob die Haupt-/Werkrealschule dem postulierten Auftrag, auf das Berufsleben vorzubereiten, gerecht wird. Mit den neu ge- schaffenen Ausbildungsfächern 'Berufsorientierte Bildung' und 'Kompetenztraining' sind Grundsteine gelegt worden, die die Lage der Ju- gendlichen verbessern könnten. 2.5 Die Zukunft der Haupt-/ Werkrealschule Aus der beschriebenen Situation der Haupt-/ Werkrealschule lassen sich einige Schlussfolgerungen und Ideen für eine Weiterentwicklung der Haupt- / Werkrealschule ableiten. Auf schulischer Ebene müsste sich die Schule intensiv um eine Steige- rung ihrer Attraktivität bemühen, um neben der Realschule und dem Gymnasium einen festen Platz zu finden. Im Landesbildungsplan ist ein „Bildungsverständnis, das Bildung, Erziehung und Betreuung als Einheit begreift“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2012, S.7) festgeschrieben. Es bietet den Schulen den Rahmen, sich ver- stärkt auf die sozialen und individuellen Lebenslagen der Schüler einzustel- len und sie bei deren Bewältigung zu unterstützen. Hier ist in den letzten Jahren schon viel geschehen. Vermutlich gibt es keine Schulart, die in den letzten Jahren so viele pädagogische und didaktische Veränderungen vorge- nommen hat, „um die aus den unterschiedlichen Voraussetzungen erwach- senden Probleme ihrer Schülerschaft aufzufangen. Zu den wichtigsten dieser Konzepte zählen: Klassenlehrerprinzip, Teamteaching, Jahrgangsübergrei- fender Unterricht, Ausbau projektorientierter Unterrichtsmodule, Deutsch- kurse für ausländische Schüler, berufsqualifizierende Sonder bzw. Jahres- praktika, Schulsozialarbeit, (...), Soziales Lernen, Trainingsraum (...), Ge- waltprävention, Streitschlichtung (...), Suchtberatung“ (N.N., 2014, Hauptschule). In Freiburg wurde z.B. das Modell einer „Bildungsregion“ entwickelt, in der Stadtverwaltung, Arbeitsagentur, Schulleiter, Lehrkräfte, Unternehmen, Verbände und andere Bildungsträger im Projekt „Erfolgreich in Ausbildung“ zusammenarbeiten, um möglichst vielen Schülerinnen und Schülern passen- de Bildungslaufbahnen zu vermitteln (vgl. Ridderbusch, 2009, S. 28) und sie zu unterstützen, die Verwertbarkeit ihres Schulabschlusses zu verbes- sern. Dieses Modell soll auf ganz Baden-Württemberg ausgeweitet werden.
  • 14. 13 Diese Aspekte bieten vielfältige Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der Selbstlernkompetenz der Jugendlichen; so könnte das Thema 'Selbstregu- liertes Lernen mittels Lerntagebuch' z.B. zu einem viel früheren Zeitpunkt, den fachlichen Unterricht begleitend, in das Curriculum eingebaut werden. Zu möglichen Verbesserungen im Bereich Lehren und Lernen hat auch die 2008 erschienene Meta-Studie 'Visible Learning' von John Hattie wichti- ge Anstöße gegeben. Nach seiner Untersuchung haben insbesondere aktives Lehrerhandeln, anspruchsvoller und herausfordernder Unterricht, klare Lernziele und Strategien, diese zu erreichen, vertrauensvolle Kommunika- tion, gegenseitiges Feedback zwischen Schülern und Lehrern sowie u.a. auch regelmäßige Selbsteinschätzungen des Schülers eine hohe Wirksamkeit zur Verbesserung des Lernens bewiesen (vgl. z.B. Höfer & Steffens, 2013; Spiewak, 2013; N.N., 2013: Hattie im Detail). Mit dem kontinuierlichen Einsatz eines Lerntagebuchs und der direkten Betreuung und Förderung der einzelnen Schülerinnen und Schüler könnten viele der obigen Verbesserun- gen wirksam weiterentwickelt werden. 3 Die Selbstregulation des Lernens Der fortlaufende Wandel in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft, die Anforderungen der Wissensgesellschaft, die Unbeständigkeit des Arbeits- marktes und oft auch der eigenen sozialen Lage zwingen Jugendliche und Erwachsene, sich beständig weiter zu bilden. Vor diesem Hintergrund gilt heute eine kontinuierliche und zielgerichtete Weiterbildung als Schlüssel für eine zufriedenstellende Lebens- und Arbeitsqualität. Das Wissen und Können aber, das sich Schülerinnen und Schüler heute in der Schule aneignen, wird in wenigen Jahren, wenn sie eine Stelle auf dem Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt suchen, teilweise schon wieder veraltet sein. Um so wichtiger ist es, ihnen rechtzeitig Kompetenzen für ein eigen- ständiges, selbstreguliertes (Weiter-) Lernen zu vermitteln. Gerade für Ju- gendliche, die außerhalb der Schule kaum Lernunterstützung erfahren, be- steht ein hoher Bedarf an dieser Selbstlernkompetenz. Seit mehr als dreißig Jahre wird intensiv zu unterschiedlichen Aspekten des selbstregulierten Lernens geforscht. An dieser Stelle sollen einige rele- vante Forschungsergebnisse und Modelle vorgestellt werden, die für die Un-
  • 15. 14 terstützung in der Schule relevant sind. Zuvor bedarf es jedoch einer Klä- rung, was in dieser Arbeit mit 'selbstreguliertem Lernen' gemeint ist. 3.1 Definitionen Während Weinert (1982, S. 102, zit. in Schmitz & Wiese, 1999, S. 157) eine sehr kurze und eingängige Definition verwendet, in der er selbstgesteuertes Lernen als eine Lernform definiert, „bei der der Handelnde deutlichen Ein- fluss darauf hat, ob, was, wann, wie und worauf hin er lernt'“ (Schmitz & Wiese 1999, S. 157), geben Nückles et al. (2010) eine differenzierte Erklär- ung: Als selbstreguliert wird (...) ein Lernen verstanden, bei dem die Ler- nenden eigenständig planen, welche Ziele sie erreichen möchten, ge- eignete Lernstrategien wählen, um die Lernhandlung durchzuführen, ihren Lernprozess fortwährend überwachen, und nach Abschluss der Lernhandlung bewerten, inwiefern sie die gesteckten Ziele erreicht haben (…). Der Begriff der Regulation, d.h. der Kontrolle und Steuerung beim selbstregulierten Lernen bezieht sich nicht nur auf kognitive Prozesse wie etwa die Auswahl geeigneter Lernstrategien und deren Anpassung an inhaltliche Erfordernisse. Vielmehr wird da- von ausgegangen, dass für ein erfolgreiches Lernen die Regulation motivationaler und emotionaler Prozesse, etwa die Fähigkeit, Aufga- ben zu erledigen anstatt aufzuschieben (…) oder die Aufrechterhal- tung der Lernfreude (…) ebenso von Bedeutung sind (Nückles et al., 2010, S. 36). In diesem Sinne soll der Begriff des selbstregulierten Lernens auch in dieser Arbeit angewandt werden. Auf eine Unterscheidung zwischen 'selbstorga- nisiertem', 'selbstgesteuerten', 'selbstregulierten' (usw.) Lernen wird hier ver- zichtet (vgl. Schett, 2008, S. 16ff). In den folgenden Modellen werden die oben verwendeten Begriffe weiter vertieft. 3.2 Theoretischer Hintergrund der Selbstregulation In diesem Kapitel sollen einige theoretische Konzepte zum selbstregulierten Lernen unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Zum einen werden Modelle unter einer zeitlich-zyklischen Perspektive dargestellt; zum anderen möchte ich einige psychologische Gesichtspunkte hervorheben, die – aus meiner Sicht – für das Verständnis des
  • 16. 15 selbstregulierten Lernen von großer Bedeutung sind. Zeitlich-zyklische Modelle Heckhausen & Heckhausen (1990, 2010) u.a. Rubikonmodell Prädesiziona le Phase → Präaktionale Phase → Aktionale Phase → Postaktio- nale Phase → Schmitz (2001) Prozessmodell der Selbstregulation Präaktionale Phase → Aktionale Phase → Postaktio- nale Phase → Zimmerman (2006) u.a. An Integrative Phase Model of Self- Regulated Learning Forethought Phase → Performance Phase → Self- Reflection Phase → Tab. 1: Zeitlich-zyklische Modelle Psychologische Aspekte der Selbstregulation Motivation u.a. Ryan & Deci (2000), Keller (2008) Volition Sokolowski (1999) Deimann (2006) u.a. Emotion Sokolowski (1993) Pekrun & Schiefele (1996) u.a. Lage- und Handlungsorientierung Kuhl (1987) Perceived Self-efficacy (Selbstwirksamkeitserwartung) Bandura (1977, 1993) Zimmerman (2000a) Tab. 2: Psychologische Aspekte der Selbstregulation 3.2.1 Zeitlich-zyklische Modelle Das Rubikonmodell Das Rubikonmodell „versucht das Entstehen, Heranreifen und Vergehen von
  • 17. 16 Motivation zu beschreiben. Hierbei unterteilt es den Handlungsverlauf in vier natürliche, chronologisch aufeinander folgende und durch diskrete Übergänge voneinander abgesetzte Phasen. Diese unterscheiden sich hin- sichtlich der Aufgaben, die sich einem Handelnden jeweils dann stellen, wenn er eine bestimmte Phase erfolgreich abschließen will “ (Achtziger & Gollwitzer, 2010, S. 310). Im Unterschied zu den folgenden Modellen be- ziehen Heckhausen und Heckhausen ausdrücklich eine Phase des Wün- schens, Abwägens und Wählens (Prädesizionale Phase) in ihre Überlegun- gen mit ein. Abb. 1: Das Rubikonmodell (aus: Schumacher, 2001, S. 5) So lassen sich das Finden von Handlungszielen und ihre anschließende Rea- lisierung in einem einzigen Modell integrieren und bleiben doch deutlich von einander unterschieden. Gleichzeitig werden die Verbindungen und Übergänge zwischen motivationalen und volitionalen Prozessen transparent. Die Einbeziehung der prädesizionalen Phase für die Gestaltung einer Lernumgebung an Schulen ist wichtig, da unklar ist, ob die Schülerinnen und Schüler überhaupt mehr über das 'Lernen lernen' erfahren wollen. Erst wenn diese Klärung beendet ist, sie den 'Rubikon überschreiten' und eine entschlossene Entscheidung für das Lernen treffen, wird eine konkrete Un- terstützung zur Zielfindung, zu zielgerichtetem Handeln, zur Willensstär- kung usw. sinnvoll. In den weiteren Phasen des Modells (s. Abb. 1) müssen aufeinander folgende Aufgaben bewältigt werden, bis die Handlung mit ei-
  • 18. 17 ner Auswertung zum Abschluss gebracht werden kann. Hierbei wechseln sich nach Heckhausen und Heckhausen „motivationale und volitionale Handlungsregulationen (...) zu verschiedenen Handlungsphasen im Hand- lungszyklus ab und stellen jeweils auf ihre Weise eine der jeweiligen Funk- tion der Handlungsphase angepasste Informationsverarbeitung sicher“ (Heckhausen & Heckhausen, 2010, S. 8). In allen einzelnen Schritten kön- nen unterschiedliche Strategien zur Unterstützung der Lernenden eingesetzt werden (s.u.). Kritische Anmerkungen zum Rubikon-Modell folgen in ei- nem späteren Abschnitt. Das Prozessmodell der Selbstregulation In den Selbstregulationsmodellen von Bandura, Zimmerman und hier auch von Schmitz wird der zyklische Charakter der Selbstregulation hervorge- hoben; so z.B. bei Zimmerman: „Self-regulation refers to the self-generated thoughts, feelings, and actions that are planned and cyclically adapted to personal goals“ (Zimmerman, 2000b, p.16). Die Ergebnisse der postaktiona- len Phase des ersten Zyklus bilden die Grundlage für die Planung der nächs- ten präaktionalen Phase, weil „jeweils die Erfahrungen mit bestimmten Auf- gaben die Erfahrungen in der nächsten Bearbeitungssequenz beeinflussen“ (Schmitz 2001, o.S., Abschnitt 2.2), was in der folgenden Abbildung leider nicht deutlich sichtbar wird. Zur Erläuterung des Modells werden die einzel- nen Phasen kurz dargestellt. In der präaktionalen Phase bekommt ein Lernender (in seiner aktuellen Situation und Verfassung) eine Aufgabe, die er erledigen soll. Darauf rea- giert er mit einem Gemisch aus Emotionen und Gedanken. In mehr oder we- niger kurzer Zeit kommt er zu einer Entscheidung, wie er sich weiter verhal- ten will. Er wird sich ein Ziel setzen und planen, wie er dieses Ziel erreichen kann. Was hier zum besseren Verständnis in einzelne Aspekte aufgeteilt wurde, ist in der Realität ein Gemenge von Impulsen. Im Vergleich zum Ru- bikonmodell fällt auf, dass bei Schmitz die volitionale Anstrengung in dieser Phase keine Erwähnung findet. In der aktionalen Phase wird die Aufgabe bearbeitet und beendet. Mit dem Einsatz qualitativer Lernstrategien auf verschiedenen Ebenen (s.u.) wird die Ausarbeitung unterstützt. Bei sinkender Motivation sind vorübergehend volitionale Strategien gefragt, welche die zielgerichtete
  • 19. 18 Ausführung schützen. Diesem Schutz dient auch eine kontinuierliche Selbstbeobachtung (Self-Monitoring) während der Arbeitsphase (s.u.). Obwohl es im Modell keine Erwähnung findet, spielen Emotionen selbstverständlich auch in dieser Phase eine wichtige Rolle. Abb. 2: Prozessmodell der Selbstregulation nach Schmitz (aus: Gürtler u.a., 2002, S. 224) In der postaktionalen Phase, nach Abschluss der Arbeit, werden die Lern- resultate und die eingesetzten Lernstrategien überprüft – auch hier spielen Emotionen eine große Rolle – und Konsequenzen für folgende Lernprozesse gezogen. Eventuell müssen als Folge der Überprüfung die Ziele des nächs- ten Zyklus und/oder die Lernstrategien modifiziert werden. An Integrative Phase Model of Self-Regulated Learning Zimmerman hat sein Modell mehrfach überarbeitet. Hier wird eine Version aus dem Jahre 2003 erläutert. Anders als Heckhausen oder Schmitz, hebt Zimmerman in seinem Modell die motivationalen Aspekte im Selbstregula- tionsprozess deutlich hervor. In der Phase der Vorausschau steht die Selbstmotivation im Mittelpunkt. Der Glaube an die Selbstwirksamkeit und die Erwartungen bezüglich des
  • 20. 19 Ergebnisses des eigenen Lernprozesses sind für eine erfolgreiche Ausfüh- rung der eigenen Ziele von großer Bedeutung. Sie werden – bei Bedarf – durch volitionale Strategien der Anreiz-Steigerung (incentive escalation) (vgl. Zimmerman, 2006, S. 44) unterstützt. In der Durchführungsphase liegt der Schwerpunkt auf der Selbstkontrolle und der Selbstbeobachtung, ohne die die Ausführung kaum gelingen kann. Abb. 3: Phases and subprocesses of self-regulation (nach: Zimmerman & Campillo, 2003, p. 239) Und schließlich stehen in der Selbstreflexionsphase die Selbstbewertung und die Selbstreaktion im Mittelpunkt. Für die Gestaltung einer (Selbst-) Lernumgebung kommt – wie schon erwähnt – der Selbsteinschätzung eine hohe Bedeutung zu. Schätze ich mich als fähig und engagiert, als 'self-regu- lated learner' (Zimmerman) ein, werde ich beim Lernen auch aktiv Lösungs- strategien suchen. Im Gegensatz dazu werden 'poorly regulated students' oft defensive Schlussfolgerungen ziehen, „such as helplessness, procrastination, task avoidance, cognitive disengagement, and apathy“ (ebenda, S. 45). Aus
  • 21. 20 diesem Grund muss die Selbsteinschätzung des Lernenden bei der Gestal- tung einer Lernumgebung unbedingt berücksichtigt werden. Zusammenfassend wird nach Zimmerman deutlich, „that positive self- satisfaction reactions of self-regulated students strengthen their self-efficacy beliefs about further efforts to learn“ (ebenda, S. 45). So werden die Zufriedenheit, die Selbstverantwortlichkeit und die Selbstregulierung für das weitere Lernen gefördert. Generell lässt sich der Ablauf des selbstregulierten Lernens theoretisch in diesen drei beziehungsweise vier Phasen darstellen. Für die Praxis ist es aber sinnvoll, auch mit „Phasensprüngen und Überlappungen von Hand- lungsphasen“ (Kehr, 2004, S. 9) zu rechnen. 3.2.2 Einige Psychologische Aspekte der Selbstregulation Die meisten Modelle sind bestrebt, unterschiedliche psychologische Aspekte zu integrieren; mal steht die Motivation im Vordergrund, mal die Volition, mal andere Aspekte. Da es kein Modell gibt, das alle Aspekte gleich gut in- tegrieren kann, sollen einige psychologische Komponenten, die im Umgang mit Jugendlichen von großem Wert sind, hier einzeln in den Mittelpunkt ge- stellt werden. Motivation Es gibt vermutlich keine Veröffentlichung zum Thema Lernen oder selbstre- guliertes Lernen, die sich nicht auch mit dem Thema 'Motivation' beschäf- tigt. 'Motivation' ist im Bereich Lernen eine zentrale Kategorie, denn Lernen funktioniert insbesondere dann, wenn der Lernende auch motiviert ist, es zu tun. Im wissenschaftlichen Bereich gilt Motivation „als Gedankenkonstruk- tion (…) mit der Zielgerichtetheit, Intensität und Ausdauer von Verhalten er- klärbar werden sollen“ (Rheinberg & Krug, 2005, S. 23). Nach Brandstätter, Achtziger und Gollwitzer (2011) werden „all jene Bedingungen und Pro- zesse, die in den verschiedensten Lebensbereichen (...) die Zielgerichtetheit und Ausdauer menschlichen Handelns erklären können, (…) der Motivation zugerechnet“ (Brandstätter, Achtziger & Gollwitzer, 2011, S. 173). Motiva- tion ist aber kein dauerhafter Zustand; sie ist oft mit Anstrengung verbunden und muss immer wieder neu aktiviert oder verstärkt werden. Eine wesentli- che Unterscheidung ist die zwischen intrinsischer und extrinsischer Motiva- tion.
  • 22. 21 Intrinsisch Motivierte erledigen eine Aufgabe, weil sie selbst dazu moti- viert sind, weil sie an der Sache oder der Durchführung interessiert sind. Nach Ryan und Deci (2000) bezeichnet die intrinsische Motivation die „natural inclination toward assimilation, mastery, spontaneous interest, and exploration that is so essential to cognitive and social development and that represents a principal source of enjoyment and vitality throughout life“ (Ryan & Deci, 2000, S. 70). Intrinsisch motivierte Menschen „have more interest, excitement, and confidence, which in turn is manifest both as enhanced performance, persistence, and creativity (…) and as heightened vitality (…), self-esteem (…), and general well-being (...)“ (ebenda, S. 69). Für intrinsisch Motivierte ist es nicht schwierig, eine Aufgabe auszuführen. Extrinsisch motivierte Menschen hingegen führen eine Aufgabe aus, weil sie sich davon Belohnung oder soziale Anerkennung versprechen. Ryan und Deci haben ein Kontinuum der Motivation entwickelt, das von der Amotiva- tion bis zur intrinsischen Motivation reicht. Sie beschreiben vier Typen der extrinsischen Motivation, die sich auf einer Skala von der Fügsamkeit (compliance) bis zur inneren Übereinstimmung (congruence) in Richtung der intrinsischen Motivation unterscheiden (vgl. Ryan & Deci, 2000, S. 72f). Bei der Betrachtung der Situation verschiedener Schüler kann diese Unterscheidung hilfreich sein. Lehrende können die intrinsische Motivation fördern, indem sie den so- zialen Kontext des Lernens verbessern: „Contexts supportive of autonomy, competence, and relatedness were found to foster greater internalization and integration than contexts that thwart satisfaction of these needs“ (ebenda, S. 76). Felten und Stern (2012) bestätigen dies aus ihrer Forschungsarbeit: „Wenn Lehrende bei der Gestaltung der Lernumgebung die drei genannten Faktoren Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Einbindung berück- sichtigen, lassen sich die Lernenden auch bei gering ausgeprägtem Interesse mit größter Wahrscheinlichkeit auf den Stoff ein, und bei machen entsteht sogar Interesse und intrinsische Motivation“ (Felten & Stern, 2012, S. 18). Bei der Gestaltung des Lerntagebuchs sollen auch diese Faktoren berück- sichtigt werden. Zur Verbindung von theoretischen Erkenntnissen und der praktischen Umsetzung in Lehr- und Lernprozessen hat Keller ab den 1980er-Jahren das
  • 23. 22 Modell des 'Motivational Design' entwickelt. Das 'Motivational Design' ge- hört zur Forschungsrichtung des Instruktionsdesigns. Instruktionsdesign plant, entwickelt und evaluiert systematisch Lernumgebungen und Lernmaterialien zur wissenschaftlich fundierten Durchführung von Lehr- Lern-Prozessen. Nach Keller bietet Motivational Design „a bridge between the study of motivation and the practice of enhancing or modifying people's motivation“ (Keller, 2010, p. 2). In seiner Arbeit hat Keller – anders als Felten und Stern – vier zentrale motivationale Bedingungen herausgestellt, die er im ARCS-Modell zusammengefasst hat. Es dient dazu, „to quickly gain an overview of the major dimensions of human motivation, especially in the context of learning motivation, and how to create strategies to stimulate and sustain motivation in each of the four areas“ (Keller, 2010, p. 44). ARCS steht dabei für die vier Komponenten, (1) 'attention', (2) 'relevance', (3) 'confidence' und (4) 'satisfaction', die mittels geeigneter Strategien gefördert werden müssen. (1) Attention: „Motivation to learn is promoted when a learner's cu- riosity is aroused due to a perceived gap in current knowledge“ (Keller 2008, S. 176). (2) Relevance: „Motivation to learn is promoted when the knowl- edge to be learned is perceived to be meaningfully related to a learner's goals“ (ebenda, S. 177). (3) Confidence: „Motivation to learn is promoted when learners be- lieve they can succeed in mastering the learning task“ (ebenda). (4) Satisfaction: „Motivation to learn is promoted when learners an- ticipate and experience satisfying outcomes to a learning task“ (ebenda). In neuerer Zeit hat Keller sein Modell um eine fünfte Kategorie erweitert, die Volition ('ARCS-V'): (5) „Motivation to learn is promoted and maintained when learners employ volitional (self-regulatory) strategies to protect their inten- tions“ (ebenda, S. 178). Im Entwurf des Lerntagebuchs werden diese Faktoren wieder eine Rolle
  • 24. 23 spielen. Volition Außer als Komponente des ARCS-V-Modells war von 'Volition' auch zuvor schon die Rede; sei es im Rubikon-Modell, sei es als stützende Aktivität im Modell von Schmitz oder auch als Anreiz-Steigerung bei Zimmerman. Die Volition ist mit der Motivation eng verbunden, hat aber auch einen hohen, unabhängigen Stellenwert in der Selbstregulation, wie Corno und Randi verdeutlichen: „Whereas motivation denotes a process of goal setting lead- ing to commitment, volition denotes a process of implementation leading to goal accomplishment. (…) The key processes that define volition are the management, protection, and maintenance of attention, motivation, and emotion in tasks” (Corno & Randi, 2009, n.p.). Im Rubikonmodell bezieht sich die Volition auf Prozesse, die mit der konkreten Realisierung von Zielen (präaktionale und aktionale Phase) zu tun haben. Sokolowski (1999) bezweifelt diese sequentielle Abfolge von moti- vationalen und volitionalen Phasen und tritt für ein Modell motivationaler und volitionaler Handlungssteuerung ein, in dem die volitionale Steuerung immer dann aktiviert wird, wenn Widerstände auftreten (und eben nicht nur in bestimmten Phasen). Nach Sokolowski unterscheidet sich die volitionale Steuerungsphase von der motivationalen auch dadurch, dass sie der bewuss- ten Aktivierung bedarf, dass in ihr störende Emotionen und Gedanken kon- trolliert werden müssen, was auch mit Anstrengung verbunden ist und, dass in dieser Phase die Zeit langsamer vergeht (vgl. Sokolowski, 1999, S. 35ff., Deimann, 2006, S. 101ff), was vermutlich viele Schüler bestätigen können, die ungern an den Hausaufgaben sitzen. Nach Kehrs Kritik (2004) treten „sowohl motivationale als auch volitionale Phänomene regelmäßig (kursiv i.O. PW) in sämtlichen Handlungsphasen [auf]“ (ebenda, S.10). Dabei ist volitionale Steuerung immer dann erforderlich, „wenn die getroffene Hand- lungsabsicht trotz fehlender (i.O.) motivationaler Unterstützung (…) oder gegen (i.O.) die gerade angeregten Motivationslagen durchgesetzt werden soll (...)“ (ebenda, S. 13). Die Volition sorgt dann für einen reibungslosen Handlungsablauf – auch in Konfliktsituationen zwischen verschiedenen ak- tuellen Interessen oder Handlungsimpulsen. Unter Bezugnahme auf Corno
  • 25. 24 und Sokolowski erläutert Deimann, wann die Volition u.a. in der Schule von Bedeutung ist: „z.B. dann, wenn • der Lerner eine Aufgabe erledigen muss und dabei keine Entschei- dungsspielräume für alternative Handlungen hat und somit subjekti- ve Ziele mit der Intention, die Aufgabe zu erledigen, konkurrieren können. Dies betrifft insbesondere schulische Lernprozesse, bei de- nen Lernziele oftmals von Lehrern bzw. dem Lehrplan vorgegeben werden (...). • ein gewisses Ausmaß an Störreizen in der Lernumgebung (z.B. Klassenzimmer) vorherrscht und die Lerner von ihren Aufgaben ab- gelenkt werden können. • Aufgaben repetitiv sind und dabei die Vorstellung einer langweilen und enervierenden Ausführung die Performanz beeinträchtigen kann (...). Auch Lernprojekte, die länger dauern als ursprünglich ange- nommen, bergen die Gefahr von Ablenkungen.“ (Deimann 2006, S. 84). Ein Modell, das der Volition eine zentrale Position in der Gestaltung von Lernumgebungen gibt, ist das instruktionale volitionale Designmodell (VDM) von Deimann (2006). Aus der Verbindung verschiedener motivatio- naler und volitionaler Theorieansätze entwickelt Deimann einen Strategie- pool mit dem Schwerpunkt 'Volition'. Dieser Strategiepool „umfasst Strate- gien, die auf [die, PW] Förderung der zentralen volitionalen Kompetenzbe- reiche Emotion, Motivation und Kognition ausgerichtet sind“ (Deimann, Weber & Bastiaens, 2008, S. 21). Zu bedenken ist aber auch, dass volitiona- le Handlungssteuerung zeitlich befristet ist, da sie anstrengend ist und mit einem hohen Ressourcenverbrauch einhergeht (vgl. Deimann & Weber, 2009, S. 14). In der Praxis kommen – je nach aktuellem Bedarf – sowohl volitionale als auch motivationale Steuerungsmaßnahmen zum Einsatz. Emotion Obwohl Emotionen generell „von grundlegender Bedeutung für das psychi- sche Geschehen sind“ (Grawe, 2000, S. 285), werden sie in der Motivationspsychologie kaum thematisiert. „Affektive Regulationsmechanismen sind Teil unseres ererbten artspezifischen Gedächtnisses. Sie gehören zur Hardware des Gehirns (...)“ (ebenda, S.
  • 26. 25 285). Sie sind allgegenwärtig. Trotzdem werden sie wenig erörtert und sind nur in Ansätzen erforscht. So kommt zum Beispiel ein neueres 550-seitiges Lehrbuch zum Thema 'Motivation und Handeln' ohne einen eigenständigen Abschnitt zum Thema 'Emotion' aus (vgl. Heckhausen & Heckhausen, 2010). Pekrun und Schiefele definieren 'Emotion' sehr knapp als „subjektives Erleben“ (Pekrun & Schiefele, 1996, S. 155). Mit 'subjektivem Erleben' rea- gieren wir auf „wichtige Ereignisse und Lebenslagen“ (ebenda, S. 163), was für Jugendliche selbstverständlich die Themen Schule, Lernen, Hausaufga- ben oder Noten umfasst. Emotionen haben großen Einfluss: „Beginnend bei der Ausrichtung der Aufmerksamkeit, wirken sie auf die unwillkürlich ins Bewusstsein 'schießenden' Kognitionsinhalte und reichen schließlich bis zur Verhaltensenergetisierung“ (Sokolowski, 1993, S. V). Pekrun und Schiefele schlagen als eine grundlegende Klassifikation vor, Emotionen in positiv und negativ erlebte zu unterscheiden (vgl. Pekrun & Schiefele, 1996, S. 164f). Diese einfache Unterscheidung werde ich später im Lerntagebuch – insbe- sondere in den Gesprächen mit den Jugendlichen – übernehmen. Aus den im vorigen Abschnitt erwähnten Arbeiten von Corno und Sokolowski wird deutlich, dass bei der Regulation von Emotionen auch die Volition eine be- deutende Rolle spielt. „So wie angeregte Emotionen als die Voraussetzung für motivationales Handeln angesehen werden können, kann die Emotions- kontrolle als eine Voraussetzung volitionalen Handelns angenommen wer- den“ (Sokolowski, 1993, S. 182). Emotion, Motivation und Volition sind eng mit einander verflochten. Umso sinnvoller ist es, sie auch immer wieder als eigenständige Faktoren zu betonen. Leider kann das Thema hier nicht weiter vertieft werden. Offensichtlich ist, dass insbesondere Jugendliche der Haupt- und Werkre- alschule aufgrund ihrer sozialen (Familie, Schule, Peers) und individuellen Situation emotional belastet sein können (s. Kap. 2.3.2). Für erfolgreiches Lernen sind gerade sie auf Strategien zur emotionalen Selbstregulation an- gewiesen. Nach einer Untersuchung von Gläser-Zikuda stehen „Lernstrate- gien (…) in einem statistisch signifikanten Zusammenhang mit den Emoti- onsvariablen Interesse, Wohlbefinden und Schulzufriedenheit“ (Gläser- Zikuda, 2008, S. 76). Aber laut Pekrun „fehlt [es PW] an empirischem
  • 27. 26 Wissen, und erst recht fehlt es an Kenntnissen, wie denn Emotionen von Schülern und Studenten gefördert werden könnten“ (Pekrun, 1998, S. 231) und ergänzt später: „Zur Förderung von Lern- und Leistungsemotionen bei Schülern, also zur Optimierung von positiven Emotionen und Prävention von negativen Emotionen, ist kaum etwas bekannt“ (ebenda, S. 244). Im Training mit dem Lerntagebuch muss immer wieder auch die emotionale Verfassung der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden. Generell bedeutsam ist es auch, in welcher inneren Ausrichtung sich ein Lernender befindet. Ob Lernen wirksam sein kann, hängt unter anderem auch von der Orientierung des Lernenden ab. Kuhl hat hierfür die Unter- scheidung zwischen der Lage- und der Handlungsorientierung vorgenom- men. Lage- und Handlungsorientierung Im Zustand einer 'Lageorientierung' ist nach Kuhl die Handlungsbereitschaft gehemmt. Die Lageorientierung definiert er als einen Zustand, „in dem die Aufmerksamkeit auf eine vergangene Lage (z.B. einen Misserfolg) oder auf einen zukünftigen Zustand gerichtet ist, ohne dass irgendwelche Handlungs- pläne aktiviert sind, die eine Änderung (…) herbeiführen können“ (Kuhl, 1987, S. 106). Dem gegenüber stehen Aktivitäten, „die die Verhaltensaus- führung sichern. Sie sorgen dafür, dass das Verhalten trotz Widerständen, Unterbrechungen, Fehlschlägen aber auch konkurrierenden Verlockungen bis zur Zielerreichung auf Kurs bleibt“ (Rheinberg, 2006, S. 182). Personen mit dieser Ausrichtung nennt Kuhl 'handlungsorientiert'. Bei der Suche nach angemessenen Strategien für die Schülerinnen und Schüler ist die innere Ausrichtung von großer Bedeutung. Einen weiteren wichtigen Aspekt für erfolgreiches Lernen hat Bandura mit dem Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung erörtert. Auch die Selbstwirksamkeit hat eine starke emotionale Komponente. Selbstwirksamkeitserwartung – Perceived Self-efficacy Schon seit den 1970er Jahren forscht A. Bandura zum Thema 'Perceived self-efficacy' und betont, wie wichtig die Selbsteinschätzung für die Durch- führung von Aufgaben ist. In einer Zusammenfassung mehrerer Untersu- chungen schreibt er: People with high [perceived personal, P.W.] efficacy approach diffi-
  • 28. 27 cult tasks as challenges to be mastered rather than as threats to be avoided. (…) They set themselves challenging goals and maintain strong commitment to them. (…) They heighten and sustain their ef- forts in the face of failure. They attribute failure to insufficient effort or deficient knowledge and skills that are acquirable (Bandura, 1993, S. 144). Im Zentrum seines Konzepts steht die persönliche Überzeugung, eine kon- krete Situation angemessen einschätzen und aus eigener Kraft bewältigen zu können. Aussagekräftig können die eigenen Einschätzungen aber nur dann sein, „wenn sie im Zusammenhang mit genau formulierten Zielen oder Her- ausforderungen gesehen werden“ (Fuchs, 2005, S. 22). Nach Bandura gibt es vier Quellen der Selbstwirksamkeitserwartung: • Eigene Erfolgserlebnisse (performance accomplishments) stärken den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Sie sind „the most influen- tial source of efficacy belief because they are predicated on the out- comes of personal experiences“ (Zimmerman, 2000a, S. 88). • Stellvertretende Erfahrungen (vicarious experience) stehen an zwei- ter Stelle. Sie beruhen auf dem Vergleich mit einer als ähnlich wahr- genommenen Person. • Verbale Ermutigungen (verbal persuasion) haben einen schwächeren Einfluss, „because outcomes are described, not directly witnessed, and thus depend on the credibility of the persuader“ (ebenda). • Physiologische Reaktion (physiological reactions), wie Stress, Schweißausbrüche, Übelkeit werden oft als Indikatoren für eine (negative) Selbstbewertung herangezogen. In vielen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass die Selbstwirksamkeit ein verlässlicher Prädiktor für die Motivation und das Lernen an sich ist (vgl. Zimmerman, 2000a, Bandura, 1993). Somit erklärt es sich von selbst, dass zur Förderung selbstregulierten Lernens die Selbstwirksamkeitserwartung der Jugendlichen eine wichtige Rolle spielt. 4 Die Förderung der Selbstlernkompetenz Wie dargestellt, kann der schulische Bildungsweg gerade von Jugendlichen
  • 29. 28 an Haupt- oder Werkrealschulen durch eine hohe Selbstlernkompetenz ge- fördert werden. Den eigenen Lernprozess aktiv selbständig organisieren zu können, könnte auf der individuellen Ebene – zumindest ansatzweise – zur Kompensation der sozialen Benachteiligung beitragen. Leider ist für die Schullernzeit im Bildungsplan hierfür keine Zeit vorgesehen. So soll – wie erwähnt – begleitend zu dieser Arbeit an einer Werkrealschule ein mehrwöchiges Modellprojekt durchgeführt werden, das die Förderung der Selbstlernkompetenz anstrebt. Zu einem späteren Zeitpunkt könnte das Modell auch Lehrerinnen und Lehrern als Multiplikatoren vorgestellt werden. Um die Selbstlernkompetenz zu verbessern, werden in der Literatur viel- fältige Strategien angeboten. Hier kann nur eine kleine Auswahl zur Anwen- dung kommen. 4.1 Lernstrategien 4.1.1 Allgemeine Systematik Unter einer Strategie wird hier „eine prinzipiell bewusstseinsfähige, häufig aber automatisierte Handlungsabfolge [verstanden, PW], die unter bestimm- ten situativen Bedingungen aus dem Repertoire abgerufen und situationsad- äquat eingesetzt wird“ (Artelt, Demmrich & Baumert, 2001, S. 272). Die Systematik der Lernstrategien ist bei vielen Autoren unterschiedlich. Ein all- gemein gültiges System gibt es nicht. Schiefele und Pekrun trennen die Steuerungsmaßnahmen des Lernenden in kognitive, metakognitive, volitio- nale und verhaltensmäßige (vgl. Schiefele & Pekrun, 1996, S. 258); Nückles et al. (2010) unterscheiden kognitive, metakognitive und emotionale Prozes- se (s. Kap. 3.1). Schett wiederum unterscheidet kognitive, metakognitive und volitionale Aspekte (Schett, 2008, S. 26). In dieser Arbeit sollen Lern- strategien wie bei Schmitz (2001) und anderen Autoren unterschieden wer- den in • kognitive Strategien der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung • metakognitive Strategien des Planens, Überwachens, Auswertens und Regulierens von Lernschritten und • ressourcenbezogene Strategien – „die wiederum in interne (An- strengung, Aufmerksamkeit, Zeitmanagement) und externe (Lern-
  • 30. 29 umgebung, Lernen mit Studienkollegen, Umgang mit Literatur) Strategien untergliedert werden können“ (Schmitz, 2001, S. 182). Zusätzlich sollen – wie oben begründet – explizit auch volitionale, emotio- nale und motivationale Aspekte berücksichtigt werden. Die von Kuhl 1987 vorgelegten Handlungskontrollstrategien werden den metakognitiven und ressourcenbezogenen Strategien zugerechnet. Hier sollen sie etwas detaillierter erläutert werden. 4.1.2 Handlungskontrollstrategien Im Alltag sind wir die meiste Zeit „von einer Vielzahl von Wünschen, Nei- gungen und Handlungsimpulsen belagert“ (Kuhl, 1987, S. 104). Ohne eine stabilisierende Instanz, eben die willentliche „Handlungskontrolle“ (ebenda) wären wir den ständig konkurrierenden Handlungsimpulsen, einem ununter- brochenen „Verhaltensflimmern“ (ebenda) ausgeliefert, das uns handlungs- unfähig machen würde. Auf die Frage, wie diese Handlungskontrolle ver- mittelt wird, hat Kuhl sechs Strategien unterschieden: • Aufmerksamkeitskontrolle (bewusstes oder automatisiertes Ausblen- den von Ablenkungen) • Motivationskontrolle (gezielte Steigerung der eigenen Motivation) • Emotionskontrolle (Gefühle so beeinflussen, dass sie dem aktuellen Vorhaben dienen und es nicht behindern) • Bewältigung von Misserfolgen (Umgang mit Misserfolgen, Attribu- tierungen und eventuell Ziele korrigieren) • Umweltkontrolle (Veränderungen der Umgebung, so dass zielgerich- tete Aktivität möglich ist) • Sparsamkeit der Informationsverarbeitung (Vermeiden von langem Abwägen) (vgl. Kuhl, 1987, S. 108). Der Einsatz von Handlungskontrollstrategien wird in der aktionalen Phase des Trainingskurses wichtig und sie sollen im Lerntagebuch auch angewandt werden. Volitionale, motivationale und auch emotionale Strategien können als 'Querschnitt-Kategorien' der obigen Systematik betrachtet werden. Hier sol- len sie einzeln in den Fokus genommen werden. 4.1.3 Volitionale Aspekte der Selbststeuerung
  • 31. 30 In Folge der Forschung von Lyn Corno werden der Volition wie einem 'Steuermann' (Deimann, 2009) metakognitive, metamotivationale und me- taemotionale Kontrollstrategien zugeordnet (vgl. Lyn & Randi, 2009; Dei- mann & Weber 2009; Schett, 2008). Nach Schett sollen sie „die Konzentra- tion regeln und den Lernfortgang unterstützen – auch bei hemmenden Um- feldbedingungen oder hinderlichen persönlichen Faktoren im schulischen Lernprozess“ (Schett, 2008, S. 46). Wie erwähnt, hat Deimann ein volitiona- les Designmodell entwickelt, das sich dieser Aufgabe annimmt (vgl. Dei- mann, 2006). 4.1.4 Motivationale Aspekte der Selbststeuerung Zur Strukturierung unter motivationalen Gesichtspunkten eignet sich u.a. das ARCS-V-Modell von Keller (2010). Wie schon in Kapitel 3.2.3 erläu- tert, müssen nach Keller fünf Bedingungen für eine erfolgversprechende Lernmotivation erfüllt sein: die Aufmerksamkeit des Schülers für das The- ma, die Relevanz des zu lernenden Stoffes, das Vertrauen in die eigene Lernkompetenz, die Befriedigung über das eigene Lernergebnis und die vo- litionalen Strategien, die eingesetzt werden, wenn die Motivation absinkt. 4.1.5 Emotionale Aspekte der Selbststeuerung Emotionen wirken sich für Jugendliche im gesamten sozialen Umfeld aus, in Schule und Elternhaus, mit Freunden und Klassenkameraden – alle Berei- che sind miteinander verwoben. Die Hoffnung auf gute Noten, die Enttäu- schung über schlechte Ergebnisse, die Angst vor der nächsten Arbeit, die Er- fahrung von Langeweile, der Neid, der Ärger zu Hause, der Stress mit den Freunden, die Lernfreude, der Stolz: Jugendliche brauchen hohe Kompetenzen um die eigene Persönlichkeit zu stabilisieren und ihre Emo- tionen zu regulieren. Sie sollen, wie bereits erwähnt, ihre „Gefühle so be- einflussen, dass sie dem aktuellen Vorhaben dienen und es nicht behindern“ (Kuhl, 1987, S. 108). Nach Pekrun nehmen die Emotionen insbesondere „Einfluss auf die Wahl und Realisierung von kognitiven und metakognitiven Lernstrategien“ (Pekrun, 1998, S. 231) und nach Gläser-Zikuda ist beson- ders „der Zusammenhang von „Lernstrategien und Interesse hervorzuheben“ (Gläser-Zikuda, 2008, S 76). Hier sei auch auf den engen Bezug zwischen Emotionen und den fünf Faktoren des ARCS-V-Modells hingewiesen (s. Kap. 3.2.3). So weit es nötig und möglich sein wird, sollen alle oben erläu-
  • 32. 31 terten Aspekte im Lerntagebuch einen Niederschlag finden. 4.2 Das Lerntagebuch (LTB) 4.2.1 Allgemeine Gesichtspunkte Im LTB dokumentieren Lernende regelmäßig und parallel zum Unterricht den eigenen Lernprozess und die von ihnen eingesetzten Lernstrategien; sie verschriftlichen den eigenen Denk- und Entwicklungsprozess. Durch die re- gelmäßige Beschäftigung mit dem Lernstoff und dem eigenen Lernverhalten entstehen Bewusstheit und Wissen über individuell 'maßgeschneiderte' Lernstrategien. Kognitive, metakognitive und ressourcenbezogene Strategi- en (s. Kap. 4.1) können mittels geeigneter Interventionen des Lernbegleiters angeregt und gefördert werden. So können Jugendlichen ihre Selbstlern- kompetenzen weiter entwickeln. Die Darstellung des LTB folgt dem Prozessmodell der Selbstregulation (s. Kap. 3.2.1). In Tabelle 3 sind die verschiedenen Phasen, Strategien und psychologischen Aspekte des LTBs in einer Übersicht zusammengestellt. Phasen des selbstregulierten Lernens Stichworte Strategien Psychologische Aspekte Prädesizionale Phase Wünschen Abwägen Wählen metakognitiv ressourcen- bezogen Motivation Volition Emotion Präaktionale Phase Bedarf ermitteln, Ziele setzen aktuelle Verfassung Aufgabe verstehen Commitment Handlungsplanung Vorbereitung Ergebnis-Erwartungen Selbstmotivation metakognitiv ressourcen- bezogen Motivation Volition Emotion Aktionale Phase Handlungsbeginn zielgerichtetes Handeln Lernstrategien Zeiteinteilung Self-Monitoring Steuern Leistung Selbstkontrolle Überwachen Prompts, Ermutigung kognitiv metakognitiv ressourcenbezo gen Motivation Volition Emotion
  • 33. 32 Lernumgebung Postaktionale Phase (Selbst-) Reflexion Auswertung Zielrealisierung (Selbst-) Bewertung Vergleich Strategiemodifikation Zielmodifikation metakognitiv ressourcenbezo gen Motivation Volition Emotion Tab. 3: Stichworte zum LTB Zwar kann „das alleinige Ausfüllen (…) eines [Lern-, PW] Tagebuches be- reits zu Veränderungen des Verhaltens führen“ (Schmidt & Schmitz, 2010, S. 84), aber zur Steigerung des Erfolgs sollten einige Bedingungen beachtet werden. Felten und Stern betonen wiederholt, dass eine Methode noch kei- nen Lernfortschritt bringt. Methoden und Werkzeuge, wie auch das LTB, müssen ihrer Ansicht nach immer an konkreten Lernzielen und Lerninhalten ausgerichtet sein. Sie betonen, dass „Kenntnisse, Fertigkeiten und Strategien (…) in bestimmten Kontexten und abgestimmt auf die spezifischen Anfor- derungen erworben [werden, PW)“ (Felten & Stern, 2012, S. 46). Laut einer Studie von Hübner, Nückles und Renkl muss das Schreiben von LTBs ange- leitet und strukturiert angeboten werden, „damit das lernförderliche Potenzi- al (…) zum Tragen kommen kann“ (Hübner, Nückles & Renkl, 2007, S. 127). Ohne Anleitung führen LTBs zu suboptimalen Ergebnissen. Weiterhin belegen die Autoren auch die Bedeutung von Prompts für die Verbesserung des Lernens. Prompts sind „Aufforderungen und Leitfragen, die Lernende zu produktiven Lernaktivitäten anregen sollen, zu denen sie prinzipiell fähig sind, die sie jedoch von sich aus nicht oder nur in unzureichendem Maße zeigen“ (ebenda, S. 128). Wichtig ist es auch, dass Sprache und Inhalte des LTB den kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmer angemessen sind. Außer- dem bedarf der Einsatz des LTB auch einer gründlichen Einführung und ei- ner längeren Zeit zum Einüben. Insbesondere am Anfang ist eine direkte Be- treuung im Unterricht oder auch im Trainingskurs unerlässlich. Die Lernen- den „müssen hineinwachsen können, indem ihnen mehr und mehr Verant- wortung über ihre Lernfortschritte übertragen wird. Am besten scheinen da- für Konzepte des 'Scaffolding' (…) geeignet, wo die Anleitung mehr und mehr zugunsten von Coaching zurückgenommen wird“ (Schett, 2008, S. 31). Zu beachten ist auch, dass die Anwendung eines LTB nicht ein 'All-
  • 34. 33 heilmittel' sein kann. Löb, Perels und Schmitz belegen, „dass die Schüler sehr individuumsspezifisch auf ein solchen Tagebuch reagieren werden. So wird es Schüler geben, die auf das kontinuierliche Ausfüllen des Lerntagebuches mit positiven Entwicklungen auf Dimensionen des außerschulischen, selbstregulierten Lernens reagieren, während bei anderen Schülern negative Reaktionen auf das gleiche Tagebuch erwartet werden können“ (Löb, Perels & Schmitz, 2004, S. 23). Auch darauf ist in der Anwendung des LTB zu achten. 4.2.2 Entwurf des LTB Die Strategien, die den Schülern innerhalb des Lerntagebuchs vermittelt werden sollen, müssen zuvor systematisch entwickelt werden; sie sollen sich an den aktuellen Bedürfnissen jeden Schülers orientieren und auf klare Ziele ausgerichtet sein. Vorläufige Lernziele werden in Zusammenarbeit mit der Klassenlehrerin erstellt. Des weiteren müssen die Strategien von mittle- rem Schwierigkeitsgrad sein, um die Jugendlichen angemessen zu fordern und zu fördern. Weder dürfen die Übungen zu schwer und komplex, noch zu einfach und beliebig sein. Im Einzelnen lässt sich der angemessene Schwie- rigkeitsgrad nur in der praktischen Umsetzung und (formativen) Evaluation des LTBs bestimmen. Den jeweiligen Lern-Umständen entsprechend sollen kognitive, metakognitive oder ressourcenbezogene Strategien zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus sollen sowohl motivationale, volitionale als auch emotionale Aspekte der Handlungssteuerung berücksichtigt werden. Die verschiedenen Aspekte sind in der obigen Übersicht (Tab. 3) zusam- mengestellt. Die Entwicklung des LTB folgt grundsätzlich einem Basismodell des Instruktionsdesigns, in dem alle diese Aspekte berücksichtigt werden kön- nen, dem ADDIE-Modell. Es besteht aus den fünf Grundkomponenten Ana- lyse (A), Design (D), Development (D), Implementation (I) und Evaluation (E) und hat sich als ein fundiertes und wirkungsvolles Planungswerkzeug der didaktischen Entwicklungsarbeit erwiesen. Zwischen den einzelnen Pha- sen bestehen Rückkopplungsmöglichkeiten, so dass man sich im Entwick- lungsprozess des LTB je nach aktuellem Trainingsbedarf von einer Phase zur anderen bewegen kann, wie in Abbildung 4 ersichtlich. Im Laufe der Jahre hat das ADDIE-Modell viele Abwandlungen und
  • 35. 34 Weiterentwicklungen erfahren. Somit können hier bei Bedarf Elemente aus verschiedenen Erweiterungen, wie Kellers motivationalem Design-Modell (s. z.B. Keller, 2010) oder Deimanns volitionalem Design-Modell (s. Deimann, 2006) entnommen werden. Zunächst soll das ADDIE-Modell hier in der prädesizionalen Phase angewandt werden. Wie erwähnt, muss in dieser Phase zunächst geklärt werden, wer von den Jugendlichen an dem Training teilnehmen will. Abb. 4: Das ADDIE-Modell (aus: Deimann, 2006, S. 18) Prädesizionale Phase In der prädesizionalen Phase gilt als Ziel, „dass ein Handelnder sich zu- nächst darüber klar werden muss, welche seiner Wünsche und Anliegen er überhaupt in die Tat umsetzen möchte“ (Achtziger & Gollwitzer, 2010, S. 310). Diese Phase endet, mit der „Umwandlung des Wunsches in ein kon- kretes Ziel“ (ebenda, S. 311), dem 'Überschreiten des Rubikon'. Diese Phase muss in einer Einführungsveranstaltung sorgfältig vorbereitet werden, da zu vermuten ist, dass viele Schülerinnen und Schüler unsicher sind, ob sie die Anstrengung und den Aufwand des LTBs überhaupt auf sich nehmen wollen (s. Kap. 3.2.1). Deshalb sind hier die einzelnen Schritte und Maßnahmen ausführlicher dokumentiert. Die Stichworte wurden insbesondere unter Be- zugnahme auf Kellers motivationales Design (2010, S. 197ff) zusammenge- stellt. Einführungsveranstaltung Design der prädesizionalen Phase (Wünschen, Abwägen, Wählen)
  • 36. 35 ADDIE Analyse (Stichworte) Ziel des gesamten Trainings, möglicher Gewinn für die Schüler, Bezug zum Unterricht, Einstellung der Schüler zur Schule, Einstel- lung zu den Peers, Erwartungen der Schüler an das Training, ARCS-Dimensionen der Schüler im Unterricht, Material-Analyse, Formulierung von Lernzielen u.a., Motivation, Volition und emotio- nale Verfassung der Schüler, Lage- und Handlungsorientierung Maßnahmen 1. Befragung der Lehrerin zu den obigen Themen 2. Zusammenstellung der Ergebnisse der Befragung 3. Formulierung von Zielen Design (Stich- worte) Mögliche Strategien, Impulse und Übungen sammeln (Anfang, Mitte, Ende) unter ARCS-Gesichtspunkten, Auswahl von Strategi- en, Verbesserungsmöglichkeiten, motivationale, volitionale und emotionale Aspekte, metakognitive und ressourcenbezogene Aspekte, Expertise des Trainers Maßnahmen 1. Brainstorming: Strategien in der Literatur und im Internet sam- meln 2. Unter Berücksichtigung der obigen Stichworte und der Ergebnis- se der Analyse geeignete Strategien und Übungen auswählen. Development (Stichworte) Ziele (SMART) formulieren, Verfeinerung der Auswahl, Reihenfol- ge von Strategien, Erstellung von Ablaufplänen, Zeitplan, Materia- lien erstellen Maßnahmen Ablaufplan für die Einführungsveranstaltung erstellen Implementation (Stichworte) Einführungsveranstaltung durchführen und auf aktuelle Notwendig- keiten mit Programmänderungen reagieren Maßnahmen 1. Fragen zu: Ausbildungs- und Berufszielen, „Lernen lernen“, Be- deutung von Lernerfolgen und Misserfolgen, Selbstverantwort- lichkeit, Förderung durch Lehrkräfte, Lernhindernisse, Lernstrate- gien der Teilnehmer (TN), Zufriedenheit, Erfolgszuversicht, Self- efficacy, Selbstvertrauen, Volition und Motivation, Gefühle und Lernen 2. Erläuterung des LTB (Ablauf, Dauer, Technik u.a.) 3. Entscheidung der Teilnehmer nach 48 Stunden Bedenkzeit Evaluation (Stichworte) Anzahl der TN am LTB, Zufriedenheit, Erfolgszuversicht, Motiva- tion der TN, Verbesserungsvorschläge Maßnahmen 1. Fragebogen 2. Gesprächsrunde 3. Zielrealisierung 4. Ziel- und Strategiemodifikation Tab. 4: Design der prädesizionalen Phase An diesem Beispiel ist deutlich zu erkennen, wie bedeutsam die ARCS-
  • 37. 36 Komponenten für den gesamten Design-Prozess und die Durchführung sind. Sie „decken den gesamten Lehr-/Lernprozess ab. Zu Beginn ist die Aufmerksamkeit der Lerner zu gewinnen und aufrechtzuerhalten. Daran an- schließend soll die Bedeutsamkeit des zu lernenden Lehrstoffes vermittelt werden. Damit sich der Lerner auch ausdauernd mit einem Thema beschäf- tigt, soll Erfolgszuversicht ermöglicht werden. Abschließend ist Zufrieden- heit mit dem Erreichten herzustellen“ (Deimann, 2006. S. 56) und bei Be- darf muss der Wille des Einzelnen angeregt werden. Nachdem sich die Ju- gendlichen entschieden haben, ob sie an der Trainingsmaßnahme teilnehmen wollen, kann mit der konkreten Ausarbeitung des LTB begonnen werden. Bei Anwendung des ADDIE-Modell ist ein mehrfacher Blickwinkel zu be- rücksichtigen. Zum einen wird das Modell für den gesamten Lernprozess al- ler Teilnehmer über alle Module hinweg eingesetzt; zum anderen wird das Modell aber auch auf jedes einzelne Modul angewandt. Die Evaluation am Ende jedes einzelnen Moduls liefert wiederum den Ausgangspunkt für das nächste Modul. Zusätzlich soll – idealerweise - ab dem zweiten Modul jeder Jugendliche individuell mit den für ihn geeigneten Lernstrategien versorgt werden. LTB – Training A D D I E Modul 1 Modul 2 Modul 3 Modul 4 Modul 5 ….. Alle TN ADDIE → TN 1 A D D I E ADDIE → ADDIE → ADDIE → ADDIE → ….. TN 2 A D D I E ADDIE → ADDIE → ADDIE → ADDIE → ….. TN 3 A D D I E ADDIE → ADDIE → ADDIE → ADDIE → ….. ..... Tab. 5: Anwendung des ADDIE-Modells Präaktionale Phase In dieser Phase „soll die Realisierung verbindlich gewordener Ziele mithilfe
  • 38. 37 zielfördernder Handlungen vorangetrieben werden“ (Achtziger & Gollwit- zer, 2010, S. 312). Diese Phase umfasst die Komponenten 'Analyse', 'De- sign' und 'Development' des ADDIE-Modells. Bei der Entwicklung des LTB kann auf die Stichworte und die Untersuchung in der prädesizionalen Phase (siehe Tab. 4) zurückgegriffen werden. Viele Ergebnisse können von dort übernommen werden. Betont werden soll die präzise Zielformulierung, denn die Ziele „haben die Funktion von Standards, wobei konkrete, spezifische, zeitnahe, anspruchsvolle Ziele, für die ein hohes Commitment vorliegt, be- sonders geeignet sind, hohe Leistungen zu erreichen“ (Schmitz, 2001, S. 182). Diese Faktoren sollen in der Anwendung des LTB mögliches berück- sichtigt werden. Im Bereich der 'Analyse' werden die Maßnahmen aus der Einführungs- veranstaltung durchgeführt; zusätzlich müssen Informationen zu den Unter- richtsinhalten und -methoden erhoben werden, damit die Module des LTB sich an diese anschließen (vgl. Felten und Stern, 2010). Des Weiteren muss ein Zeitplan für das gesamte LTB erstellt werden. Zur Komponente 'Design' werden Übungen, Fragebögen und Reflexio- nen für den praktischen Einsatz im LTB gesammelt und in einem Strategie- pool mit den folgenden Stichworten markiert: • kognitiv, metakognitiv, Ressourcen, • Motivation, Volition, Emotion, • ARCS (Attention, Relevance, Confidence, Satisfaction), • Autonomie, Kompetenzerleben, Soziale Einbindung (Deci und Ryan), • Anfang, Mitte, Ende. Die möglichen Strategien werden in der Vorbereitung mit den Unterrichts- zielen und -plänen der Lehrerin abgeglichen und ihr Einsatz dem Ablauf des Unterrichts angepasst. Je nach Bedarf stehen sie zum Ausdruck oder zum Versand und zur Anwendung bereit. Diese Sammlung kann zu einem späte- ren Zeitpunkt interessierten Lehrkräften weitergegeben werden. Im Bereich 'Development' wird das erste grundlegende Modul (für alle Teilnehmer) vollständig durchgeplant. Es wird ein Ablaufplan unter Bezug- nahme auf den aktuellen Unterricht und die Ergebnisse aus der 'Analyse' –
  • 39. 38 einschließlich Zeitplan und Materialliste – erstellt. Die folgenden Module können im Detail erst nach der Evaluation des ersten Moduls fertiggestellt werden. Die vorbereitende Arbeit ist abgeschlossen und kann in der nächs- ten Phase umgesetzt werden. Aktionale Phase Nach der Vorbereitung kann das erste Modul des Lerntagebuches implemen- tiert werden. In dieser Phase versucht der Lernende seine Ziele auch tatsäch- lich umzusetzen. „Dies wird am besten durch ein beharrliches Verfolgen der Zielrealisierung ermöglicht, was eine Anstrengungssteigerung angesichts von Schwierigkeiten impliziert, sowie die konsequente Wiederaufnahme un- terbrochener Zielhandlungen erfordert“ (Achtziger & Gollwitzer, 2010, S. 312). In dieser Phase gewinnen „verstärkt volitionale Komponenten (…) und ressourcenorientierte Lernstrategien an Bedeutung“ (Schmitz, 2001, S. 182). Die Lernenden müssen sich selbst und ihren Lernprozess kontinuier- lich überwachen (Self-Monitoring, s. Kap. 3.2.1). Hier sei zusätzlich auf die Handlungskontrollstrategien von Kehr (s. Kap. 4.1.2) verwiesen, die in die- ser Situation zum Einsatz kommen können. In dieser Phase sollen die TN durch Prompts zum Beispiel zur Motivationsförderung per SMS oder WhatsApp-Nachricht unterstützt werden. Der Einsatz von Facebook ist hier keine Option, da Facebook in der Altersgruppe der Jugendlichen stark an Bedeutung verloren hat. Postaktionale Phase In der Evaluationsphase werden die 'Implementation' (ADDIE) reflektiert und Konsequenzen für die folgenden Module des Trainings gezogen. Gene- rell findet die Evaluation, wie auch aus Tabelle fünf ersichtlich, formativ statt. Die (Zwischen-) Ergebnisse jedes Evaluationsschrittes ermöglichen es, den weiteren Kursverlauf präzise den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler anzupassen. Eine Reihe von Stichworten zur Evaluation findet sich schon im Kapitel 4.2.1. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die ausgearbeite- ten Ziele erreicht worden sind und ob sie abgeändert werden müssen. Wich- tig ist auch, ob die vermittelten Strategien im Schulalltag anwendbar waren und welche Strategien für die nächsten Lernmodule passen. Darüber hinaus gilt der Blick auch der Effizienz der Instruktion, dem Unterrichtsstil und den eingesetzten Materialien (vgl. Keller 2006, S. 132f). Eine summative
  • 40. 39 Evaluation findet zum Ende des Trainingskurses statt. In Anlehnung an diese Struktur werden den Teilnehmern Fragebögen ausgegeben, kurze Gruppengespräche geführt oder auch nur ein kurzes 'Stimmungsbild' erhoben; ergänzend wird die Lehrerin ihre Einschätzung mitteilen. Ausdrücklich sei hier auf die hohe Bedeutung der emotionalen Zufrie- denheit der Jugendlichen für den weiteren Lernprozess hingewiesen. Gerade in der Evaluation tritt die Bedeutung der emotionalen Selbstregulation am deutlichsten hervor. Durch die Bewertung und Wertschätzung des individu- ell Erreichten kann die erfahrene Selbstwirksamkeit (Bandura) ein wesentli- cher Baustein für die weitere Lernmotivation (ARCS-Modell) sein, die Handlungsorientierung (Kuhl) verstärken, die intrinsische Motivation för- dern (Ryan & Deci) oder auch den Umgang mit zukünftigen Misserfolgen verbessern (Kuhl). 4.2.3 Einsatz des Lerntagebuchs Vorbereitung In den ersten Wochen des Jahres 2014 wurde das Lerntagebuch in einer siebten Klasse der Werkrealschule in einem sogenannten „Brennpunktge- biet“ Stuttgarts eingesetzt. In der Klasse sind 18 Schülerinnen und Schüler, deren Familien aus acht unterschiedlichen Ländern kommen; die Verteilung zwischen Mädchen und Jungen ist ausgeglichen. Die Lehrerin war an der Anwendung des Lerntagebuchs sehr interessiert. Sie steht mit den Jugendli- chen in intensivem Kontakt und unterstützt sie mit großer Empathie. Ich konnte die Jugendlichen schon mehrfach im Rahmen einer Konfliktmediati- on begleiten. In der Klasse gibt es verschiedene Gruppierungen, die teilwei- se ausgeprägte Konflikte miteinander austragen; drei Jugendliche haben wiederholt große Schwierigkeiten, sich an verbindliche Schulregeln zu halten. Das Leistungsniveau ist unterschiedlich. Nach Auskunft der Lehrerin kommen fast 90 % der Jugendlichen regelmäßig in die Schule; etwa die Hälfte der Klasse erledigt nahezu immer die Hausaufgaben und lernt auf Klassenarbeiten; 70 bis 80 % beteiligen sich aktiv am Unterricht; 3 – 4 Schüler sind meist passiv. Generell ist die Atmosphäre in der Klasse trotz alledem offen und meist freundlich. Folgende (langfristige) Ziele wurden vorläufig mit der Lehrerin vereinbart: Strategien zu selbstständigem
  • 41. 40 Arbeiten im Allgemeinen; Strategien zur Steigerung der Leistung im Einzelnen, Strategien für eine regelmäßigere Bearbeitung von Hausaufgaben, Strategien für mehr Selbstvertrauen und für eine höhere Fehlerfreundlichkeit (bei sich selbst und bei anderen). Unterziel des Trainingskurses sollte es sein, die Schüler und Schülerinnen mit ersten grundlegenden Lernstrategien vertraut zu machen und eine praktische Umsetzung anzuleiten. Die Einführungsveranstaltung wurde (mittels ADDIE-Modell, s.o.) vorbereitet und der Termin von der Lehrerin angekündigt. Für die insgesamt neun Module standen pro Woche jeweils ca. 45 Minuten zur Verfügung. Im Folgenden sollen die einzelnen Module grob skizziert werden. Insgesamt wurden in allen Modulen Notizen angefertigt, die später eine Grundlage für die summative Evaluation am Ende des Kurses darstellten. Einführungsveranstaltung An diesem ersten Tag wurde das Lerntagebuch vorgestellt. Im Mittelpunkt standen der mögliche 'Gewinn' für die Schülerinnen und Schüler und der Aufwand, den die Schüler mit der Bearbeitung des LTB hätten. Wichtig war ihnen auch, was ich „davon hätte“ (O-Ton, Teilnehmer). Fragen meinerseits nach Lernplanung und Lernstrategien begegneten die meisten Schülerinnen und Schüler mit Unverständnis. In einem Fragebogen wurden zudem Mei- nungen nach der Zufriedenheit der Klasse, dem Kontakt zur Lehrerin, Schulmotivation, Aufmerksamkeit im Unterricht, Hausaufgabenverhalten und der eigenen Lernleistung anonym abgefragt. In einem Schlusswort wur- de die Möglichkeit hervorgehoben, die eigene Leistung mit Hilfe des LTB deutlich verbessern zu können. Für die Entscheidung über eine Teilnahme sollten sich die Jugendlichen zwei Tage Zeit lassen. Die Option, die Teilnah- me jederzeit beenden zu können, wurde ihnen offen gelassen. Für eventuell nicht teilnehmende Jugendliche wurde Unterricht in einer Parallelklasse an- geboten. Nachbereitung der Einführungsveranstaltung Generell bestätigte sich im Fragebogen die Einschätzung der Lehrerin. Fast alle Jugendlichen waren mit der aktuellen Situation in der Klasse mehr oder weniger zufrieden, Schulmotivation und Wille differierten jedoch stark, die Aufmerksamkeit und die eigene Lernleistung beurteilten sie tendenziell eher
  • 42. 41 schlechter als die Lehrerin. Am dritten Tag bekam ich von der Lehrerin die Nachricht, dass alle Schülerinnen und Schüler am Programm teilnehmen wollten; drei TN eher zurückhaltend und nur probehalber, was von der Leh- rerin selbstverständlich akzeptiert wurde. Vorbereitung für Modul 1 Um die die oben angeführten Ziele zu erreichen, war es notwendig, zuerst den Bedarf der Schülerinnen und Schüler an Selbstlernstrategien herauszu- finden (Fragebogen) und einen Wochenplan mit den individuell möglichen Lernzeiten zu erstellen. Hierfür wurde ein Formular entworfen. 1. Modul Zunächst erstellten die Schülerinnen und Schüler einen individuellen Lern- zeitenplan. Die Entwürfe wurden gemeinsam besprochen; manche TN hat- ten sich nur sehr wenig Zeit für das Lernen reserviert. Manche änderten ih- ren Plan, andere behielten ihn bei. Im Anschluss füllten sie einen einfach formulierten Fragebogen zu kognitiven, metakognitiven und ressourcenbe- zogenen Strategien aus, um individuelle Defizite und Hindernisse auszuma- chen. Als Aufgabe für die kommende Woche sollten sie täglich das eigene Lernverhalten dokumentieren („Was fiel mir leicht?, Was war positiv?, Was war schwierig?, Was war negativ?“) und auf dem Wochenplan die individu- ellen Lernzeiten eintragen. Die TN erhielten als LTB einen Ordner für die einzelnen Arbeitsblätter. Abschließend wurden die Handynummern für indi- viduelle Nachfragen ihrerseits und Prompts, Erinnerungen oder Ermutigun- gen meinerseits ausgetauscht. Zu einer kurzen Auswertung wurde ein aktuelles Zufriedenheit per Hand- zeichen erhoben. Die Stimmung wurde mehrheitlich als „ok“ bis „gut“ ein- geordnet. Erinnerung Die Lehrerin bekam zur Wochenmitte eine Erinnerungsmail mit der Bitte, die Jugendlichen an die Aufgaben zu erinnern. Das hat sie auch getan. Nach- und Vorbereitung Anhand meiner persönlichen Kursnotizen und Fragebögen der Schülerinnen und Schüler wurde in einem neuen ADDIE-Zyklus das zweite Modul vorbe- reitet. Der zentrale Punkt für 'Design' und 'Development' war, dass die Ju-
  • 43. 42 gendlichen kaum über explizite Lernstrategien verfügen. Das Hauptziel für das folgende Modul sollte daher die Anwendung einiger ressourcenbezoge- ner Strategien sein. Die Lehrerin erklärte sich bereit, in Zukunft verstärkt kognitive Lernstrategien (Wiederholen, Elaborieren, Transformieren) im Unterricht einzubauen, so dass dieser Lernbereich aus den kommenden Trai- ningseinheiten ausgeklammert werden konnte. 2. Modul Alle TN waren anwesend und hatten die LTBs dabei. Etwa drei Viertel der Schülerinnen und Schüler hatten die Wochenpläne ausgefüllt, zwei Schüler teilweise, zwei überhaupt nicht. Die emotionale und motivationale Verfas- sung der meisten TN war gut (Ausnahme: Müdigkeit, Schulunlust). Alle überprüften die Lernzeiten in ihren Wochenplänen; manche änderten sie und trugen sich mehr oder weniger Lernzeit ein. Überprüft wurde, ob diejenigen TN, die die Pläne nicht bearbeitet hatten, mit Hindernissen zu kämpfen hat- ten (Zeitmanagement, Ablenkung, Lustlosigkeit) und ob sie weiter teilneh- men wollten (Stärkung von Motivation und Volition). Auf Grund der Frage- bögen zu den bereits vorhandenen Lernstrategien wurden Strategien zum externen Ressourcenmanagement (Lernort, Arbeitsplatz einrichten, Zeitplan einhalten, Pausen machen) besprochen. Die TN trugen sich ausgewählte Ressourcenstrategien in die LTBs ein. Sie bekamen die Fragebögen aus dem ersten Modul zurück und hefteten sie in die LTBs. Ziel für die kommende Woche war, weiterhin die Lernzeiten einzuhalten und die angewandten Res- sourcenstrategien täglich im LTB zu dokumentieren. Eine Differenzierung und Anpassung unterschiedlicher Lernstrategien für einzelne Teilnehmer – wie vorgesehen – war bisher nicht erforderlich. Zur Auswertung schrieben die TN zwei Sätze zu den Themen: „Wie war es heute für mich?“ und „Was erwarte ich von den zukünftigen Kursen?“. Impuls Zur Wochenmitte bekamen die TN eine allgemeine WhatsApp-Nachricht zur Verstärkung und Ermutigung geschickt (Wertschätzung, Selbstwirk- samkeit). Nach- und Vorbereitung Aus den Fragebögen ergab sich, dass viele TN die Stunde interessant fan- den. Manche hatten keine Erwartungen, andere erwarteten bessere Noten
  • 44. 43 und besseres Lernen. Ich erlebte die Schülerinnen und Schüler bisher als stark handlungsorien- tiert (Kuhl). Strategien für eher lageorientierte Jugendliche waren bisher nicht nötig. Für das dritte Modul wurde eine Wiederholung und Verstärkung des bisher Geübten geplant, um die Jugendlichen kognitiv nicht zu überfor- dern und ihnen Zeit zu geben, die neuen Lernstrategien zu vertiefen. Als weitere Aufgabe wurde das Thema 'Selbstwirksamkeit' vorbereitet. 3. Modul Zwei Teilnehmerinnen waren krank. Ihnen sollten die Inhalte von einer an- deren Schülerin mitgeteilt werden. Der Impuls (WhatsApp) wurde überwie- gend positiv beurteilt. Alle Schüler hatten die Wochenpläne bearbeitet. Die Lernzeiten schienen stabil zu sein; sie blieben unverändert. Ausführlich wurden die Erfahrungen mit dem Ressourcenmanagement jedes einzelnen Teilnehmers besprochen und zukünftige Strategien ausgewählt. Da in zehn Tagen eine Deutscharbeit anstand, was sie gerade erst erfah- ren hatten, ergab sich plötzlich ein neues Thema, das sofort bearbeitet wer- den musste. Alle Teilnehmer reservierten sich in den Wochenplänen nach Selbsteinschätzung täglich oder in größeren Abständen Lernzeit für die Klassenarbeit (Motivation). Sie baten mich, wieder eine WhatsApp zu schi- cken. Zur Steigerung von Konzentration und Motivation – gerade auch vor der Klassenarbeit – bekamen sie ein Übungsblatt aus dem Strategiepool für das LTB (s. Brohm, 2012, S. 77), das gemeinsam durchgesprochen und ein- zeln ausgefüllt wurde. Themen des Übungsblattes waren: Lernziel bestim- men, Wichtigkeit des Lernziels einschätzen, Engagement für das Lernziel beurteilen, Umgang mit Ablenkungen planen, volitionale Strategien bestim- men. Zur Vorbereitung des Themas 'Selbstwirksamkeit' im nächsten Modul wurde den Schülerinnen und Schülern ein Fragebogen ausgehändigt, den sie anschließend ausgefüllt zurückgaben (s. Fuchs, 2005, S. 79). In ihm wurde anonym nach dem Umgang mit unerwarteten Situationen, Schwierigkeiten, Problemen und Widerständen gefragt. Zur Auswertung wurde die Frage gestellt, „Was nimmst du heute mit?“ (Relevanz des Gelernten). Die Antworten entsprachen dem Gelernten: Sich besser konzentrieren können, „wie man mehr lernen kann“, „wie man sich die Zeit gut einteilen kann“. Die vorgesehene Zeit wurde weit überschritten.
  • 45. 44 Für die Trainingstage hatte die Lehrerin einen flexiblen Stundenplan vorbe- reitet. Impuls Zur Willensstärkung erhielten die TN per WhatsApp unterschiedliche moti- vierende Sätze zugesandt, wie z.B.: „Wenn ich etwas erreichen will, dann schaffe ich es auch! Oder?“. Nach- und Vorbereitung In einer kurzen gemeinsamen Reflexion mit der Lehrerin konnten wir über- einstimmend feststellen, dass die Jugendlichen stark motiviert waren, das Lernverhalten zu verbessern. Die Stimmung in der Klasse war, trotz der Anstrengung, meist fröhlich und etwas euphorisch. Die kommende Klassen- arbeit würde ein Prüfstein sein, ob ihnen das Training „etwas bringt“ (O- Ton, TN) oder nicht. Aus den Ergebnissen des Fragebogens zur Selbstwirksamkeit wurde er- sichtlich, dass etwa die Hälfte der Jugendlichen „oft“ bis „fast immer“ von der eigenen Kompetenz überzeugt sind, schwierige Situationen meistern zu können. Etwa ein Viertel hingegen glaubt „fast nie“ an seine Selbstwirksam- keit. Für die Zukunft war es deshalb dringend geboten, diesen Jugendlichen beim Lernen Erfolgserlebnisse zu vermitteln und sie weiter zu ermutigen (vgl. Kap. 2.3.2 und 3.2.2). Demzufolge wurde die Stärkung der Selbstwirk- samkeit im nächsten Modul tatsächlich zu einem vorrangigen Thema. 4. Modul Alle TN waren da; die im dritten Modul fehlenden TN waren auf dem neuesten Stand. Zum Ressourcenmanagement hatten einige wenige Jugend- liche Fragen, die von den Mitschülern gut beantwortet werden konnten (Lernerfolg). Die meisten von ihnen hatten sich im Wochenplan zusätzliche Zeit zum Lernen auf die Klassenarbeit eingerichtet und diese auch eingehal- ten. Zur Selbstwertschätzung dokumentierten die Jugendlichen zuerst alle Fortschritte, die sie in den letzten Wochen gemacht hatten. Auf eine Nach- frage der Jugendlichen, ob sie die Arbeitsblätter anmalen dürften, legten wir eine kreative Pause ein. Anschließend drückten sie sich gegenseitig Aner- kennung für ihre Leistungen aus (Einfluss der Peers); danach lobte auch die Lehrerin. Die TN mit ungünstiger Selbstwertschätzung wurden nicht beson-
  • 46. 45 ders hervorgehoben, um ihr Verhalten nicht zu verstärken. Zum Abschluss dieses Moduls schrieben sich alle Teilnehmer fünf 'Stark-mach-Sätze' in das LTB. („Was mir beim Lernen Power gibt!“) Auch diese Seite wollten einige zuhause kreativ gestalten. Im Vorfeld der anstehenden Klassenarbeit wurde das Thema 'Internes Ressourcenmanagement' bearbeitet. Im Mittelpunkt standen Umgang mit Angst, Unruhe, Stress und Anspannung. Im Gespräch erläuterten alle TN die Ressourcen, die sie selbst einsetzen. So konnten sie sich aus dem entstehen- den 'Ressourcen-Pool' taugliche Strategien für die nächsten Tage aussuchen und notieren. Zum Abschluss wurde ein Merkblatt zu den Themen 'sich ausruhen', 'sich entspannen', 'sich beruhigen' besprochen. Eine explizite Evaluation fand nicht statt; die TN zeigten sich sehr enga- giert und hochmotiviert. Die Zeit wurde überschritten. Impuls Am Tag der Klassenarbeit erhielten sie eine WhatsApp mit einem 'Daumen- drück'-Foto. Nach- und Vorbereitung Nach meiner Erwartung müsste das Hauptaugenmerk der Jugendlichen im nächsten Modul auf den Ergebnissen der Klassenarbeit und dem individuel- len Lerneinsatz liegen. Zusätzlich schien der Umgang mit Spannungs- und Angstgefühlen (Emotionskontrolle) vor und während der Klassenarbeit ein wichtiges Thema zu sein. Vermutlich würde auch bei der einen oder beim anderen die Bewältigung von Misserfolg von Bedeutung sein. Dazu wurde (vorsorglich) ein Arbeitsblatt entworfen. Als weiteres Thema war die selb- ständige Planung längerfristiger Ziele vorgesehen. Für die Evaluation wurde ein anonymer Fragebogen vorbereitet, in dem sie ankreuzen und beschrei- ben konnten, was ihnen im Training noch fehle und was zu viel sei. 5. Modul Für den Großteil der Klasse war die Arbeit gut verlaufen; sie hatten die glei- che oder eine bessere Note als in der vorhergegangenen Arbeit. Die Moti- vation, das Training fortzuführen, war hoch. Sie hatten sich 'selbstwirksam' erfahren und selbstverantwortliche Lernkompetenz erlebt (vgl. Felten & Stern). Sie baten die Lehrerin, auch weiterhin „mit den neuen Sachen“ (ko- gnitive Strategien) weiter zu machen. Drei Schüler hatten schlechte Noten
  • 47. 46 bekommen. Ihre Motivation, weiter zu machen war sehr gering. Zum Umgang mit der Enttäuschen wurden zuerst alle Schüler im Gesprächskreis befragt, wie sie mit Misserfolgen umgehen (Wirkung der Peergruppe). Im Anschluss bekamen sie ein Merkblatt mit zwei Abschnitten: Zum einen sollten sie versuchen, die Akzeptanz der aktuellen Situation gegenüber zu formulieren, was kognitiv sehr anspruchsvoll war. Hierbei durften sie sich – bei Bedarf – auch gegenseitig unterstützen (Peergruppe); zum anderen sollten sie gemeinsam Handlungspläne entwickeln, wie sie den Misserfolg in Zukunft vermeiden oder verringern könnten (nach einer Idee von Deimann, 2006, S. 155). Alle drei Schüler wurden ermutigt, neu zu prüfen, ob sie sich im Training weiterhin beteiligen möchten (Selbstverantwortlichkeit). Für sie wurde kein gesondertes Curriculum entwickelt, da ihnen ansonsten wieder die neuen Lerninhalte der anderen TN gefehlt hätten. In einer Zwischenreflexion wurde der Zusammenhang zwischen eigener Anstrengung und Erfolg hervorgehoben ('Confidence' und 'Satisfaction' im ARCS-Modell) und so auch die Volition und die intrinsische Motivation ge- stärkt. Die Lehrerin lobte explizit den Einsatz von Lernstrategien. Zum Umgang mit sich wiederholenden Misserfolgserlebnissen fand im Anschluss an das Modul ein Gespräch mit der Lehrerin statt. Dabei erhielt sie Informationen und Literaturhinweise zu den Aspekten 'erlernte Hilflo- sigkeit', 'Attribuierung', 'Lageorientierung' und 'Reattributtionstraining' (s. Kap. 3.2.1). Zusätzlich wurden die Faktoren 'Autonomie', 'Kompetenzerle- ben' und 'soziale Einbindung' betont, die u.a. auch von Felten und Stern her- vorgehoben werden (s. Kap. 3.2.2). Leider war im Training kein Raum mehr, das Thema mit allen TN zu vertiefen. Hier zeigte sich auch, dass die geplante individuelle Betreuung nicht wie vorgesehen durchgeführt werden konnte. Um das langfristige Zeitmanagement für die nächsten Monate zu be- sprechen, blieb keine Zeit; es wurde auf das nächste Modul verschoben. Der Fragebogen „Was fehlt noch für die nächsten Male?“ wurde ausge- teilt, von den TN ausgefüllt und wieder eingesammelt. Impuls Als Impuls wurde den TN eine WhatsApp-Nachricht mit vielen Emoticons
  • 48. 47 und einem Dank für die gute Mitarbeit geschickt. Nach- und Vorbereitung Auf dem Fragebogen „Was fehlt?“ wurden mehrfach Lernstrategien erwähnt und es tauchte immer wieder die Frage auf, wie es nach dem Training wei- terginge. Deshalb wurden in Zusammenarbeit mit der Klassenlehrerin meta- kognitive Lernstrategien vorbereitet. Die Lehrerin wählte verschiedene Lerntexte aus, an Hand derer metakognitive Lernstrategien geübt werden konnten. Diese folgten den oben beschriebenen Phasenmodellen. Stichworte waren: Überblick verschaffen, Ziele festlegen, Vorgehen planen, nur Rele- vantes bearbeiten, Verständnis überprüfen, Vorgehen kontrollieren, Endkon- trolle durchführen. Zu allen Schritten wurden einfache Leitfragen formu- liert. In der Evaluation sollte das einfache Verständnis dieser Lernstrategien überprüft werden. Dazu wurde ein Quiz vorbereitet. 6. Modul Eine der drei wenig motivierten Teilnehmerinnen war da, was hervorgeho- ben wurde. Den beiden fehlenden TN wurde – über die Lehrerin – freige- stellt, jederzeit wieder ins Training einzusteigen. Bezugnehmend auf den 'Was-fehlt'-Fragebogen wurde die Übung zu den metakognitiven Selbstlern- strategien vorgestellt und wie oben beschrieben durchgeführt. Es wurde schnell klar, dass an diesem Punkt noch häufiges Üben und viel Betreuung im zukünftigen Unterricht wichtig waren; die Lehrerin machte sich hierzu eine Notiz, um auch die Kolleginnen, die die Nebenfächer unterrichten, ein- zubeziehen. Die TN waren in allen 'ARCS'-Dimensionen motiviert. Die TN waren sehr interessiert und engagiert; für dieses Modul müsste in Zukunft mehr Zeit eingeplant werden. Zum Abschluss wurde ein Mannschaftswettbewerb durchgeführt, bei dem sie zu den Satzanfängen „vor dem Lernen“, während des Lernens“ und „am Ende des Lernens“ die Strategien in der richtigen Reihenfolge zusammen- stellen mussten. Die Siegergruppe bekam ein dickes Lob. Impuls Gegen Gewöhnungseffekte wurde diese Woche kein Impuls versandt. Es ka- men auch keine Anfragen der Teilnehmer. Nach- und Vorbereitung Nachdem die Jugendlichen sich mit den Lernstrategien etwas vertraut ge-