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Haben Sie schon einmal versucht, über einen
Internet-Telefondienst wie Skype gemeinsam
Musik zu machen, z. B. ein kleines Duett zu
singen? Obwohl in einer Videokonferenz ohne
Weiteres fünf Teilnehmende miteinander dis-
kutieren können, endet das musikalische Ex-
periment selbst ohne Bildübertragung schon
im ersten Takt unweigerlich in einem Chaos.
Eine Zeitverzögerung, die beim Sprechen
kaum auffällt, macht das Musizieren unmög-
lich. Ähnlich unbefriedigend ist das Spielen
auf einer virtuellen Klaviertastatur, auf die
man über eine Webseite zugreifen kann.1 Eine
musikalische Artikulation lässt sich hier mit
dem Mausklick kaum realisieren. Vielleicht ist
es also kein Wunder, dass die Musikpraxis im
Internet bisher wenig Bedeutung hat, scheinen
doch keine Bedingungen für das Musizieren
gegeben zu sein.
Aus unserem Verständnis des Computers als
„Apparat der unbegrenzten Möglichkeiten“
heraus haben wir denAnspruch, dass beliebige
Systeme und Anwendungen gestaltet werden
können - auch solche, die in jenem Lebensbe-
reich, der als natürliche Realität verstanden
wird, nicht existieren. Wie aber kann das Inter-
net, das beinahe alles mit jedem interaktiv zu
verbinden scheint, für kreatives Gestalten von
Musik und gemeinsames Musizieren genutzt
werden? Hat Musikmachen neben den zahlrei-
chen anderen Funktionen des Internets über-
haupt Relevanz?
Ohne Zweifel ist Musik ein bedeutender Be-
standteil des Internets. Doch ist der Handel
mit Sound-Dateien dabei nur eine primitive
Form musikalischer Interaktion. Grundidee
ist, eine Technologie verfügbar zu machen,
die in der Lage ist, Menschen zu helfen, sich
musikalisch auszudrücken, und das Bewusst-
sein für den Computer als musikalisches Aus-
drucksmittel zu schärfen. Je alltäglicher und
selbstverständlicher kreative Gestaltung im
Netz wird, desto mehr bilden sich Freiräume
und Nischen, in denen sich Kunst, Kultur und
Individualität entfalten können. Aber welche
Kenntnisse sind für eine aktive Teilnahme an
einer wie auch immer gearteten digitalen Mu-
sikpraxis und der damit verbundenen Musik-
kultur notwendig?
Konflikte entstehen immer dann, wenn ver-
sucht wird, erfolgreiche traditionelle Werk-
zeuge eins zu eins auf neue Entwicklungen zu
übertragen, aber dabei neue Möglichkeiten
und Eigenschaften ignoriert werden. Das
Keyboard im Proberaum beispielsweise hat
gegenüber einem Konzertflügel eine ganze
Reihe von Nachteilen, z. B. bezüglich seines
Musikmachen
im Web 2.0
Neue Möglichkeiten, gemeinsam
im Internet zu musizieren
Matthias Krebs
Längst bietet das Internet mehr als nur den Vertrieb von Musik-Dateien.
Im so genannten „Mitmach-Internet“ (Web 2.0) treffen sich immer
mehr (vor allem junge) Menschen auf Social-Media-Plattformen, um
miteinander in Kontakt zu treten. Auch musikalische Aktivitäten können
zunehmend in Echtzeit ausgeführt werden, wodurch eine neue Form der
musikalischen Praxis entsteht.
18 Thema
Erschienen in:
nachahmenden Piano-Klangs oder in der ge-
ringeren Differenzierungsmöglichkeit beim
Tastenanschlag. Auf der anderen Seite hat
es aber auch viele Vorteile: den Preis, seine
Mobilität, die Klangauswahl, eine integrierte
Aufnahmefunktion etc. Die Relevanz des Ins-
truments entscheidet sich nach dem Kontext,
indemdieMusikentstehtsowievermitteltund
rezipiert wird. So ist der Konzertflügel für die
Musik auf der klassischen Konzertbühne von
Bedeutung, beim Live-Gig im Jazzclub kommt
das Keyboard zum Einsatz. Für das Anspielen
einer kurzen Melodie hat die oben vorgestellte
virtuelle Klaviertastatur im Internet den Vor-
teil, von überall erreichbar zu sein. Doch zum
gemeinsamen Musizieren bleiben bei diesem
Konzept entscheidende Möglichkeiten des
Internets als Kommunikations- und Hand-
lungsraum ungenutzt.
Umzuergründen,welchesmusikalischePoten-
zial das Internet hat und wie es gemeinsames
Musizieren unterstützen kann, bedarf es also
einer Betrachtung der spezifischen Bedingun-
gen und Möglichkeiten des Mediums.
NETZMUSIK
Wird über Musik im Internet gesprochen, so
beschränkt sich die Reflexion darüber häufig
auf die Verfügbarkeit gespeicherter Musik.
CharakteristischfürdieseFormderMediennut-
zung ist, dass das Netz auf etwa dieselbeWeise
wie die Massenmedien Radio und Fernsehen
verwendet wird: Es wird ein Programmange-
bot „angeschaltet“. Dabei bleiben wesentliche
Aspekte dieses Mediums jedoch unberücksich-
tigt.Auf das Musikmachen bezogen ist der ver-
netzte Computer zunächst als Sendekanal in
der Hand des Nutzers für die kommunikative
Nutzung des Internets interessant. Darüber
hinaus verfügt das Medium neben der Anwen-
dung zum gleichberechtigten Informations-
austausch aber auch über die Möglichkeit des
Prozessierens von Informationen. Letzteres
beinhaltet das aktive Gestalten, das heißt die
Steuerung, Modifikation oder Herstellung
musikalisch relevanter Daten, wobei das Inter-
net selbst Instrument mit charakteristischen
Klangeigenschaften sein kann.
Traditionellerweise liegt die Stärke von Kunst-
schaffenden im Entdecken neuer Mittel und
Wege, Medien und Materialien zu verwenden.
Durch das Auffinden neuer oder sogar wider-
sprüchlich erscheinender Interpretationen
für bestehende Systeme und Organisationen
sowie im Aufweichen traditioneller Strukturen
helfen Künstlerinnen und Künstler, einen
19Thema
Foto: Anja Schmidt
neuen Sinn für diese zu finden. Als erster mu-
sikwissenschaftlicher Ansatz zur Beschreibung
musikalischer Phänomene der Netzkunst, die
unter Einbeziehung der spezifischen Möglich-
keiten und Bedingungen in elektronischen
Netzen entsteht, gilt die Arbeit von Golo
Föllmer. Er definiert Netzmusik als Musik,
„die spezifische Eigenschaften des Internets
strukturell reflektiert“.2 Die Strukturen des In-
ternets dienen dabei nicht nur derVerbreitung
oder Darstellung von Musik, sondern finden in
ihr selbstAusdruck.
Dabei können die musikalischen Netzprojekte
als konsequente Fortsetzung der Ideen der
Avantgarde des 20. Jahrhunderts verstanden
werden. Grundmotivation für die kreative
Dynamik in der Frühzeit des Internets Anfang
der 90er Jahre war insbesondere die kollektive
Erforschung des „Cyberspace“. Angestrebt
wurde eine Medienästhetik elektronischer
Netze, die ein neues Musikverständnis und
einen neuen ästhetischen Kanal herausbildet.
Der öffentliche Raum des Internets bot sich
dafür an, wurde er doch kaum mit den altbe-
kannten Ritualen des Konzertsaals in Verbin-
dung gebracht. Er entwickelte sich damit zum
Experimentierfeld für die Neudefinition der
Beziehung zwischen Musiker und Zuhörer.
Leitmotiv ist dabei die Idee einer kollektiven
Kreativität, die sich von der Idee des Künstlers
als Einzelschöpfer abwendet, indem die Rezi-
pienten selbst zum Performer bzw. Co-Autor
werden. Netzmusik ist daher nicht Produkt,
sondern musikalische Aktivität. Wahrnehmen
wird zumTeilnehmen.3
Seit etwa 2005 ist eine Schwerpunktverlage-
rung in der Musikpraxis im Internet festzu-
stellen. Die Entwicklung bewegt sich von der
Experimentierphase der avantgardistischen
Netzmusik, in der die Eigenschaften des Inter-
nets im Mittelpunkt stehen, hin zu Konzepten
des Musikmachens, die das Netz zu Produk-
tions- und Distributionszwecken von Musik in
denVordergrund stellen und dabei stärker den
kommunikativen Aspekt des Internets nutzen.
Diese aktuellen musikalischen Projekte stehen
im Kontext des so genanntenWeb 2.0 und sind
mit dessen Eigenschaften ausgestattet.4
WEB 2.0
Vielen macht die rasante Entwicklung des
Internets, die durch den zunehmenden Ver-
netzungsgrad noch beschleunigt wird, Angst:
Sie fürchten die Orientierung und den An-
schluss zu verlieren. Bezeichnenderweise
bezieht sich jedoch der Begriff Web 2.0, der
signalisiert, dass es sich dabei um eine zwei-
te Version des Internets handelt, weder auf
spezifische Technologien oder Innovationen
noch auf eine bestimmte Software-Version.
Web 2.0 beschreibt vor allem eine veränderte
Nutzung undWahrnehmung des Internets und
steht für eine Reihe interaktiver und kollabo-
rativer Elemente. Daher wird in diesem Zu-
sammenhang auch häufig von einem Wandel
zum „Mitmach-Internet“ gesprochen. Inhalte
werden nicht mehr nur zentral von großen
Medienunternehmen erstellt und über das
Internet verbreitet, sondern inzwischen auch
von einer Vielzahl von Individuen, die sich mit
Hilfe so genannter Social Media untereinander
vernetzen.5 Aus Webseiten werden nun Inter-
netplattformen, die es den Nutzerinnen und
Nutzern ermöglichen, ohne besondere tech-
nische Fähigkeiten Inhalte in qualitativ und
quantitativ entscheidendem Maß selbst zu er-
stellen, zu bearbeiten und zu publizieren.
Social Media sind asymmetrisch und demo-
kratisch: Jeder kann, niemand muss daran
teilnehmen. Dies gilt beispielsweise dann,
wenn man eigene Musikproduktionen auf
Myspace veröffentlicht, einenArtikel zu einem
Musikbegriff bei Wikipedia bearbeitet oder
ein Konzertvideo bei Youtube kommentiert.
Dabei basieren die einzelnen Social-Media-
Angebote meist auf einer spezifischen, selb-
storganisierten Web-2.0-Sozialkultur, den so
genannten Social Communities bzw. sozialen
Netzgemeinschaften. Die Teilnahme daran
wird über ein persönliches Nutzerprofil gere-
gelt, wodurch auch derAufbau von Kontakten
auf Grundlage gemeinsamer Interessen und
ProjektesowieveröffentlichterInhalteermög-
licht wird. Die vielen Internetplattformen un-
terscheiden sich dabei thematisch: Die bedeu-
tendsten sind Kommunikationsplattformen
[Inhalte werden nicht mehr
nur zentral von großen
Medienunternehmen erstellt
und über das Internet verbreitet,
sondern inzwischen auch von
einer Vielzahl von Individuen.]
20 Thema
Unter www.noteflight.com hat
man Zugriff auf ein vollwertiges
Notensatzprogramm, mit dem
Noten für Soloinstrumente
sowie Band-Arrangements
und kleine Orchestersätze mit
Dynamikzeichen und Liedtexten
gesetzt werden können.
wie Facebook, daneben gibt es aber auch
Foto- und Videoplattformen sowie Musik-
plattformen.
Die Internetseite Noteflight ist ein charakteris-
tisches Beispiel für eine Web-2.0-Musikplatt-
form. Es handelt sich um eine kostenlose6
Notationsanwendung, bei der man Noten on-
line im Internet-Browser schreiben, anhören,
ausdrucken und sich mit anderen Nutzern
über Kompositionen austauschen kann. Im
Folgenden sollen die charakteristischen Merk-
male7 des Web 2.0 am Beispiel von Noteflight
vorgestellt werden. Diese Merkmale sollen
einerseits dabei helfen, sich in der aktuellen
Entwicklung des Internets zu orientieren.8 Auf
der anderen Seite sollen sie einen Überblick
über die Bedingungen und Möglichkeiten
verschaffen, die die kreative Gestaltung von
Musik beeinflussen.
• Netz als Programmplattform: Noch vor Kur-
zemwarenProgramme,dieimInternetbrowser
laufen und mit ähnlicher Funktionalität und
Performanz fest installierte Programme auf
dem eigenen Rechner überflüssig machen,
eine Innovation. Dadurch sind sie unabhängig
davon,welchesBetriebssystemmannutztund
ob man im Büro, in der Schule oder zu Hause
amComputer arbeitet.
Unter www.noteflight.com hat man Zugriff
auf ein vollwertiges Notensatzprogramm, in
dem Noten für Soloinstrumente sowie Band-
Arrangements und kleine Orchestersätze
mit Dynamikzeichen und Liedtexten gesetzt
werden können.
• „Mitmach-Internet“: Zur Partizipation sind
keine Programmierfähigkeiten nötig. Die
Möglichkeit, Internetseiten dynamisch in Ab-
hängigkeit von den Nutzern zu generieren,
macht eine einfache Interaktion zwischen
Nutzer undWebseite möglich.
Noten können in Noteflight direkt per Maus
oder Tastatur eingegeben werden, ebenso
werdenVeränderungen im Layout vorgenom-
men. Natürlich können die Notensätze auch
jederzeit angehört werden.
• Einzigartige Datenbasis: Den Nutzern wird
die Möglichkeit geboten, ihre Inhalte anderen
Nutzern zur Verfügung zu stellen. Bei großen
Nutzer-Gemeinschaften steigt die Anzahl von
Inhalten in kurzer Zeit enorm an. Typische
Beispiele dafür sind Youtube und Wikipedia.
Noteflightbietetaktuellfast50000Kreationen
im öffentlichenTeil der Notenbibliothek.
• Ständige Weiterentwicklung: Die Software
von Web-2.0-Anwendungen wird aufgrund
des Nutzer-Feedbacks permanent verbessert.
Auch bei Noteflight wird die Bedienung stän-
dig optimiert und kommen neue Funktionen
hinzu:Sokönneninzwischenz.B.Gitarrentabs
eingefügt oder Noten farblich markiert
werden. Bei der Weiterentwicklung wird ins-
besondere die Nutzung im Musikunterricht
berücksichtigt, da auch Musikpädagogen im
Noteflight-Team mitwirken.
• Wiederverwendbare Komponenten: Die In-
halte der einzelnen Internet-Plattformen sind
nicht auf diese Seiten beschränkt. Sie können
als Modul auch auf anderen Seiten angezeigt
werden, wobei die eigentlichen Daten auf der
ursprünglichen Seite bleiben.
Noteflighterlaubtesbeispielsweise,eineKom-
position mittels eines Codeschnipsels z. B. auf
dem eigenen Blog anzuzeigen, wo sie auch
abgespielt werden kann.
• Nutzergemeinschaften: Charakteristisch für
Social Media ist, dass die Internetseiten Funk-
tionen zur Kommunikation inGemeinschaften
anbieten.
Bei Noteflight können Nutzer über die Kom-
mentarfunktion der Notensätze mit anderen
Nutzern in Kontakt treten. Es ist auch mög-
lich, dass das Mitwirken an Kompositionen für
bestimmte Kontakte zugelassen wird, sodass
gemeinsame Kompositionen entstehen kön-
nen.
Die Bandbreite musikbezogener Internet-
plattformen deckt die gesamte Musikkultur
ab. Es gibt z. B. Veranstaltungsplattformen,
Kommunikationsplattformen wie Myspace,
Radio-Plattformen, Expertenblogs zu The-
men klassischer Musik, Plattformen für
Musikspiele sowie Plattformen, die direkt mit
einem Downloadshop verknüpft sind. Dabei
ist der Spielraum der musikalisch-kreativen
Aktivität groß. Er reicht von Plattformen, die
im engerenSinne Möglichkeiten bieten, Musik
kreativ zu gestalten oder gemeinsam zu musi-
zieren, über Plattformen, die ohne besondere
musikalischeKenntnissezumExperimentieren
einladen, bis hin zu Plattformen, die nur das
Abrufen von einzelnen Titeln zum Musikkon-
sum anbieten.
MUSIKPLATTFORMEN
Erst seit etwa zwei Jahren werden Musikplatt-
formen online gestellt, die dem Bereich der
Social Media im Sinne des Web 2.0 zuzuord-
nen sind und eine kreative Musikgestaltung
im engeren Sinne zulassen - also einen deut-
lichen Bezug zu einer aktiven Musikpraxis
haben. Im Rahmen zweier Hochschulseminare
im Fachbereich Musikpädagogik9 wurden ins-
gesamt über 30 Musikplattformen entdeckt.
In Gruppenprojekten wurden davon einige
Plattformen näher auf ihre gestalterischen
Möglichkeiten untersucht sowie Ideen für den
Musikunterricht entworfen und erprobt.
In Bezug auf das gemeinsame Musikmachen
bestand die Herausforderung insbesondere
darin, einen Rahmen zu formulieren, in
dem andere - nach vorher festgelegten
Regeln - musikalisch aktiv werden können.
Rahmen und Regeln müssen vom Initiator
sorgfältig aufeinander abgestimmt sein, soll
die ästhetisch-kommunikative Erfahrung
gelingen. Bei der Konversation auf Musikplatt-
formen ist auch sorgfältiges Zuhören Voraus-
setzung für das Gelingen der Interaktion. Bei
der musikpädagogischen Betrachtung wurden
eine ganze Reihe von Chancen, aber auch eini-
ge Schwierigkeiten für den Unterricht deutlich.
So ist z. B. die Ablenkung für die Lernenden im
Internetgroßundesmüssendatenschutzrecht-
liche Vorgaben beachtet werden. Außerdem
gibt es die meisten Musikplattformen nur auf
Englisch. Jedoch ist die Bedienung von Musik-
plattformen charakteristischerweise nicht sehr
komplex, sodass sich meist auf einfache Weise
bewusst gestaltete und gute Klangergebnisse
erzielen lassen. Als Ergebnis der Untersuchung
wurdenumfangreicheSkripteerstelltundunter
www.musiklernen.tumblr.com veröffentlicht.
Im Folgenden soll ein kleiner Überblick über
die verschiedenen Formen des Musikmachens
im Internet gegeben werden.
• Auf Thounds (www.thounds.com) können
Nutzer musikalische Gedanken (Melodien,
Riffs etc.) mit einem Mikrofon direkt ins Inter-
net aufnehmen und speichern. Werden diese
Aufnahmen veröffentlicht, so können Musiker
aus aller Welt weitereTonspuren (Gesang, Per-
cussion etc.) einspielen, sodass ein internatio-
nales Musikstück entsteht.
• Unter www.inudge.net findet man das sehr
reduzierte Musikprogramm iNudge, mit dem
auch Nutzer ohne musikalische Vorkenntnisse
experimentieren können. Die entstehenden
mehrstimmigen Kompositionen können an
Freunde verschickt werden, die ihrerseits
musikalisch antworten können.
[Viele Musikplattformen
kennzeichnet, dass die
Beziehungen innerhalb
von Nutzergruppen höchste
Priorität haben.]
21Thema
• Eine besondere Möglichkeit, selbst aufge-
nommene Musikstücke in einer Gemeinschaft
zu besprechen, bietet die Musikplattform
Soundcloud unter www.soundcloud.com. Der
Musikplayer ermöglicht das genaue Zuordnen
von Kommentaren im zeitlichen Ablauf der
Musik.
• Ein mehrspuriges Musikstudio bietet die
Musikplattform Myna (www.aviary.com/tools/
audio-editor). Nutzer können hier einzelne Se-
quenzen aufnehmen, bearbeiten und mit Ef-
fekten belegen.Außerdem steht eine umfang-
reiche Soundbibliothek zur Verfügung, sodass
man sofort mit der Musikproduktion beginnen
kann.
• Die Musikplattform ejAMMING AUDiiO
(www.ejamming.com) bietet einen virtuellen
Proberaum für Jamsessions an. Hier kann man
mit sehr geringer Verzögerung mit Musikern
auf der ganzenWelt live musizieren.
Diese Musikplattformen kennzeichnet, dass
die Beziehungen innerhalb von Nutzergrup-
pen höchste Priorität haben. Der Aufbau
realer Beziehungen zwischen Menschen und
die verschiedenen neuen Möglichkeiten, mit-
einander Musik zu machen, führen zu neuen
gestalterischen Erfahrungen, die die Vorlieben
der Musizierenden und die ihrer Freunde im
Netzwerk einbeziehen. Intention ist es hierbei,
aus der Orts- und Zeitunabhängigkeit sowie
durchVernetzungindividuelleProjektezuschaf-
fen. Dabei setzen die Nutzer von Musikplattfor-
men traditionelle Kriterien an die entstehende
Musik im elektronischen Raum an und nutzen
das Netz eher pragmatisch. Handlungsweisen
und Interaktionsprinzipien wie Proben oder
Jamming, Mischpulte oder Kompositionspro-
gramme werden hierbei auf das neue Medium
übertragen. Im Gegensatz zu den Phänome-
nen der Netzmusik wirkt das Medium Internet
nicht entscheidend in den gestalterischen Pro-
duktionsprozess von Musik ein, sondern dient
als Kommunikationsmedium, um innerhalb
von Interessengruppen Informationen auszu-
tauschen. Dabei bieten die Musikplattformen
durch die verschiedenen Gestaltungs-, Kom-
munikations- und Distributionsmöglichkeiten
Chancen für eine individuelle Perspektive der
kreativenArbeit.
KOLLEKTIVE KREATIVITÄT
Der inzwischen verstorbene Netzkünstler Max
Neuhaus formulierte als Vision einer neuen
Musikform: „Musik zählt nicht als Ergebnis,
sondern als Aktivität, nicht als rationaler, son-
dern als intuitiver, emotionaler und sinnlicher
Prozess; Musik ist nicht statisch, sondern ein
sich entwickelnder, sich selbst ständig neu
definierender Prozess.“10 Dabei zielen seine
Arbeiten auf eine Musik, die nicht als Ergebnis
hochentwickelter Fertigkeiten, „sondern viel-
mehr als Resultat eines Einverständnisses in-
nerhalb derGruppe entsteht“.
Es sind vor allem musikalische Projekte, die
versuchen, den Prozess einer gemeinsamen
Kommunikationsform im Internet zu ästhe-
tisieren und damit auf eine andere kreative
Ebene zielen: das Entstehen neuer Formen
kollektiver Kreativität, bei der sich Wissen-
schaft und Kunst von einer individualisierten
Kulturzueinerkooperativen,interdisziplinären
Kommunikationsstruktur entwickeln. Die Ver-
änderung der Möglichkeiten zur kreativen Ge-
staltung von Musik führt dazu, dass man nicht
mehr allein vor dem Computer sitzt, sondern
an einem sozialen Ereignis teilnimmt, bei dem
man mit anderen interagiert. Selbststeuerung
und aktivesGestalten stehen imVordergrund.
Noch nie wurde so viel Musik verbreitet wie
heute. Dabei geht es weniger um Kunst – im
Sinne von Kunstwerken –, sondern um musika-
lische Praxis. Es ist eine Musizierform, die nicht
das endgültigeWerk zum Ziel hat, sondern die
vor allem als Aktivität in Gemeinschaft dient.
Da immer mehr musikalische Aktivitäten in
Echtzeit durchgeführt werden können, erge-
ben sich hier immer neue Möglichkeiten der
Interaktion zwischen den aktiven Teilnehmern
bzw. Musikern auf den Plattformen.
Damit schließt sich der Kreis meiner Betrach-
tung, die versuchte, neue Möglichkeiten des
Musikmachens aufzuzeigen. Es existiert eine
kollaborative Musikpraxis im Internet. Musik
kann direkt im Internet-Browser oder (schon
in naher Zukunft) auf mobilen Endgeräten
gestaltet werden. Dabei entsteht diese Musik
in einem offenen Prozess. Musikplattformen
bieten die Möglichkeit, mit Menschen aus
anderen Kulturen inVerbindung zu treten oder
sich individuell weltweit zu präsentieren.
[Musikplattjormen bieten die
Möglichkeit, mit Menschen aus
anderen Kulturen in Verbindung
zu treten oder sich weltweit zu
präsentieren.]
22 Thema
1 z. B. unter www.virtualpiano.net
2Golo Föllmer: Netzmusik. Elektronische, ästhetische
und sozialeStrukturen einer partizipativen Musik,
Hofheim 2005, S. 1.
3 Unter derAdresse www.netzmusik.wordpress.
com wurde eine Sammlung von Internet-Links von
Projekten der Netzmusik mit einer Beschreibung der
Angebote zusammengestellt.
4Auch wenn die BezeichnungWeb 2.0 im Jahr 2004
zunächst als eineGeschäftsrevolution im Internet
infolge desCrash der New Economy deklariert
wurde und es einige Schwierigkeiten bereitet,
einen derart kommerziell belegten und unscharfen
Begriff zu verwenden, so dient dieses ideenleitenden
Schlagwort doch zur Beschreibung der vielschichtigen
Veränderungen im Internet.
5 Social Media (auch Soziale Medien) umfassen
webbasierteAnwendungen, die den Menschen beim
Informationsaustausch, Beziehungsaufbau und bei
der Kommunikation in sozialen Kontexten unterstützt.
Die BezeichnungenWeb 2.0 und Social Media
werden häufig synonym benutzt. Dabei wirdWeb
2.0 in wesentlich umfassenderen Zusammenhängen
verwendet. Der Begriff kann technische, ökonomische
und rechtliche sowie sozialeAspekte beinhalten.
6Wie für Social Media üblich, wird neben der
kostenlosenAnwendung auch eine Premium-Lösung
angeboten, die ein erweitertes Funktionsspektrum
bietet.
7 Diese Merkmale orientieren sich an einem
grundlegendenArtikel desVerlegersTimO‘Reilly aus
dem Jahr 2005, der dasWeb 2_0 als eine Entwicklung
hin zum Internet als Plattform beschreibt (vgl.Tim
O‘Reilly, http://oreilly_com/web2/archive/what-is-
web-20.html, Stand: 18.08.2010).
8 Sicher haben Sie bereits selbst Erfahrungen mit
typischenWeb-2.o-Anwendungen außerhalb von
musikbezogenen Nutzungsbereichen gemacht.
WichtigeVertreter sind neben Youtube und Wikipedia
z. B. die Fotoplattform flickr, aber auchWeblogs.
9 „Musiklernen imWeb 2.0“ imWintersemester
2009/10 an der Universität Potsdam und „Musik im
Internet“ im Sommersemester 2010 an der Universität
der Künste Berlin.
10 Max Neuhaus: „Audium: Projekt für eineWelt als
Hör-Raum“, in: Edith Decker/PeterWeibel (Hg.): Vom
Verschwinden der Ferne.Telekommunikation und Kunst,
Köln 1990, S. 122.
Matthias Krebs
ist Studienrat (Musik/Physik), Diplommusik-
und Medienpädagoge und hat als Tenor vor
Kurzem das Studium zum Opernsänger ab-
solviert. Er betreut als wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Zentralinstitut für Weiterbil-
dung an der UdK Berlin den Zertifikatskurs
„DigiMediaL – Strategisches Musikmarketing
imInternet“undistDozentfürMusikpädagogik
an der Universität Potsdam.

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Musikmachen im Web 2.0 (Üben & Musizieren 5/10)

  • 1. Haben Sie schon einmal versucht, über einen Internet-Telefondienst wie Skype gemeinsam Musik zu machen, z. B. ein kleines Duett zu singen? Obwohl in einer Videokonferenz ohne Weiteres fünf Teilnehmende miteinander dis- kutieren können, endet das musikalische Ex- periment selbst ohne Bildübertragung schon im ersten Takt unweigerlich in einem Chaos. Eine Zeitverzögerung, die beim Sprechen kaum auffällt, macht das Musizieren unmög- lich. Ähnlich unbefriedigend ist das Spielen auf einer virtuellen Klaviertastatur, auf die man über eine Webseite zugreifen kann.1 Eine musikalische Artikulation lässt sich hier mit dem Mausklick kaum realisieren. Vielleicht ist es also kein Wunder, dass die Musikpraxis im Internet bisher wenig Bedeutung hat, scheinen doch keine Bedingungen für das Musizieren gegeben zu sein. Aus unserem Verständnis des Computers als „Apparat der unbegrenzten Möglichkeiten“ heraus haben wir denAnspruch, dass beliebige Systeme und Anwendungen gestaltet werden können - auch solche, die in jenem Lebensbe- reich, der als natürliche Realität verstanden wird, nicht existieren. Wie aber kann das Inter- net, das beinahe alles mit jedem interaktiv zu verbinden scheint, für kreatives Gestalten von Musik und gemeinsames Musizieren genutzt werden? Hat Musikmachen neben den zahlrei- chen anderen Funktionen des Internets über- haupt Relevanz? Ohne Zweifel ist Musik ein bedeutender Be- standteil des Internets. Doch ist der Handel mit Sound-Dateien dabei nur eine primitive Form musikalischer Interaktion. Grundidee ist, eine Technologie verfügbar zu machen, die in der Lage ist, Menschen zu helfen, sich musikalisch auszudrücken, und das Bewusst- sein für den Computer als musikalisches Aus- drucksmittel zu schärfen. Je alltäglicher und selbstverständlicher kreative Gestaltung im Netz wird, desto mehr bilden sich Freiräume und Nischen, in denen sich Kunst, Kultur und Individualität entfalten können. Aber welche Kenntnisse sind für eine aktive Teilnahme an einer wie auch immer gearteten digitalen Mu- sikpraxis und der damit verbundenen Musik- kultur notwendig? Konflikte entstehen immer dann, wenn ver- sucht wird, erfolgreiche traditionelle Werk- zeuge eins zu eins auf neue Entwicklungen zu übertragen, aber dabei neue Möglichkeiten und Eigenschaften ignoriert werden. Das Keyboard im Proberaum beispielsweise hat gegenüber einem Konzertflügel eine ganze Reihe von Nachteilen, z. B. bezüglich seines Musikmachen im Web 2.0 Neue Möglichkeiten, gemeinsam im Internet zu musizieren Matthias Krebs Längst bietet das Internet mehr als nur den Vertrieb von Musik-Dateien. Im so genannten „Mitmach-Internet“ (Web 2.0) treffen sich immer mehr (vor allem junge) Menschen auf Social-Media-Plattformen, um miteinander in Kontakt zu treten. Auch musikalische Aktivitäten können zunehmend in Echtzeit ausgeführt werden, wodurch eine neue Form der musikalischen Praxis entsteht. 18 Thema Erschienen in:
  • 2. nachahmenden Piano-Klangs oder in der ge- ringeren Differenzierungsmöglichkeit beim Tastenanschlag. Auf der anderen Seite hat es aber auch viele Vorteile: den Preis, seine Mobilität, die Klangauswahl, eine integrierte Aufnahmefunktion etc. Die Relevanz des Ins- truments entscheidet sich nach dem Kontext, indemdieMusikentstehtsowievermitteltund rezipiert wird. So ist der Konzertflügel für die Musik auf der klassischen Konzertbühne von Bedeutung, beim Live-Gig im Jazzclub kommt das Keyboard zum Einsatz. Für das Anspielen einer kurzen Melodie hat die oben vorgestellte virtuelle Klaviertastatur im Internet den Vor- teil, von überall erreichbar zu sein. Doch zum gemeinsamen Musizieren bleiben bei diesem Konzept entscheidende Möglichkeiten des Internets als Kommunikations- und Hand- lungsraum ungenutzt. Umzuergründen,welchesmusikalischePoten- zial das Internet hat und wie es gemeinsames Musizieren unterstützen kann, bedarf es also einer Betrachtung der spezifischen Bedingun- gen und Möglichkeiten des Mediums. NETZMUSIK Wird über Musik im Internet gesprochen, so beschränkt sich die Reflexion darüber häufig auf die Verfügbarkeit gespeicherter Musik. CharakteristischfürdieseFormderMediennut- zung ist, dass das Netz auf etwa dieselbeWeise wie die Massenmedien Radio und Fernsehen verwendet wird: Es wird ein Programmange- bot „angeschaltet“. Dabei bleiben wesentliche Aspekte dieses Mediums jedoch unberücksich- tigt.Auf das Musikmachen bezogen ist der ver- netzte Computer zunächst als Sendekanal in der Hand des Nutzers für die kommunikative Nutzung des Internets interessant. Darüber hinaus verfügt das Medium neben der Anwen- dung zum gleichberechtigten Informations- austausch aber auch über die Möglichkeit des Prozessierens von Informationen. Letzteres beinhaltet das aktive Gestalten, das heißt die Steuerung, Modifikation oder Herstellung musikalisch relevanter Daten, wobei das Inter- net selbst Instrument mit charakteristischen Klangeigenschaften sein kann. Traditionellerweise liegt die Stärke von Kunst- schaffenden im Entdecken neuer Mittel und Wege, Medien und Materialien zu verwenden. Durch das Auffinden neuer oder sogar wider- sprüchlich erscheinender Interpretationen für bestehende Systeme und Organisationen sowie im Aufweichen traditioneller Strukturen helfen Künstlerinnen und Künstler, einen 19Thema Foto: Anja Schmidt
  • 3. neuen Sinn für diese zu finden. Als erster mu- sikwissenschaftlicher Ansatz zur Beschreibung musikalischer Phänomene der Netzkunst, die unter Einbeziehung der spezifischen Möglich- keiten und Bedingungen in elektronischen Netzen entsteht, gilt die Arbeit von Golo Föllmer. Er definiert Netzmusik als Musik, „die spezifische Eigenschaften des Internets strukturell reflektiert“.2 Die Strukturen des In- ternets dienen dabei nicht nur derVerbreitung oder Darstellung von Musik, sondern finden in ihr selbstAusdruck. Dabei können die musikalischen Netzprojekte als konsequente Fortsetzung der Ideen der Avantgarde des 20. Jahrhunderts verstanden werden. Grundmotivation für die kreative Dynamik in der Frühzeit des Internets Anfang der 90er Jahre war insbesondere die kollektive Erforschung des „Cyberspace“. Angestrebt wurde eine Medienästhetik elektronischer Netze, die ein neues Musikverständnis und einen neuen ästhetischen Kanal herausbildet. Der öffentliche Raum des Internets bot sich dafür an, wurde er doch kaum mit den altbe- kannten Ritualen des Konzertsaals in Verbin- dung gebracht. Er entwickelte sich damit zum Experimentierfeld für die Neudefinition der Beziehung zwischen Musiker und Zuhörer. Leitmotiv ist dabei die Idee einer kollektiven Kreativität, die sich von der Idee des Künstlers als Einzelschöpfer abwendet, indem die Rezi- pienten selbst zum Performer bzw. Co-Autor werden. Netzmusik ist daher nicht Produkt, sondern musikalische Aktivität. Wahrnehmen wird zumTeilnehmen.3 Seit etwa 2005 ist eine Schwerpunktverlage- rung in der Musikpraxis im Internet festzu- stellen. Die Entwicklung bewegt sich von der Experimentierphase der avantgardistischen Netzmusik, in der die Eigenschaften des Inter- nets im Mittelpunkt stehen, hin zu Konzepten des Musikmachens, die das Netz zu Produk- tions- und Distributionszwecken von Musik in denVordergrund stellen und dabei stärker den kommunikativen Aspekt des Internets nutzen. Diese aktuellen musikalischen Projekte stehen im Kontext des so genanntenWeb 2.0 und sind mit dessen Eigenschaften ausgestattet.4 WEB 2.0 Vielen macht die rasante Entwicklung des Internets, die durch den zunehmenden Ver- netzungsgrad noch beschleunigt wird, Angst: Sie fürchten die Orientierung und den An- schluss zu verlieren. Bezeichnenderweise bezieht sich jedoch der Begriff Web 2.0, der signalisiert, dass es sich dabei um eine zwei- te Version des Internets handelt, weder auf spezifische Technologien oder Innovationen noch auf eine bestimmte Software-Version. Web 2.0 beschreibt vor allem eine veränderte Nutzung undWahrnehmung des Internets und steht für eine Reihe interaktiver und kollabo- rativer Elemente. Daher wird in diesem Zu- sammenhang auch häufig von einem Wandel zum „Mitmach-Internet“ gesprochen. Inhalte werden nicht mehr nur zentral von großen Medienunternehmen erstellt und über das Internet verbreitet, sondern inzwischen auch von einer Vielzahl von Individuen, die sich mit Hilfe so genannter Social Media untereinander vernetzen.5 Aus Webseiten werden nun Inter- netplattformen, die es den Nutzerinnen und Nutzern ermöglichen, ohne besondere tech- nische Fähigkeiten Inhalte in qualitativ und quantitativ entscheidendem Maß selbst zu er- stellen, zu bearbeiten und zu publizieren. Social Media sind asymmetrisch und demo- kratisch: Jeder kann, niemand muss daran teilnehmen. Dies gilt beispielsweise dann, wenn man eigene Musikproduktionen auf Myspace veröffentlicht, einenArtikel zu einem Musikbegriff bei Wikipedia bearbeitet oder ein Konzertvideo bei Youtube kommentiert. Dabei basieren die einzelnen Social-Media- Angebote meist auf einer spezifischen, selb- storganisierten Web-2.0-Sozialkultur, den so genannten Social Communities bzw. sozialen Netzgemeinschaften. Die Teilnahme daran wird über ein persönliches Nutzerprofil gere- gelt, wodurch auch derAufbau von Kontakten auf Grundlage gemeinsamer Interessen und ProjektesowieveröffentlichterInhalteermög- licht wird. Die vielen Internetplattformen un- terscheiden sich dabei thematisch: Die bedeu- tendsten sind Kommunikationsplattformen [Inhalte werden nicht mehr nur zentral von großen Medienunternehmen erstellt und über das Internet verbreitet, sondern inzwischen auch von einer Vielzahl von Individuen.] 20 Thema Unter www.noteflight.com hat man Zugriff auf ein vollwertiges Notensatzprogramm, mit dem Noten für Soloinstrumente sowie Band-Arrangements und kleine Orchestersätze mit Dynamikzeichen und Liedtexten gesetzt werden können.
  • 4. wie Facebook, daneben gibt es aber auch Foto- und Videoplattformen sowie Musik- plattformen. Die Internetseite Noteflight ist ein charakteris- tisches Beispiel für eine Web-2.0-Musikplatt- form. Es handelt sich um eine kostenlose6 Notationsanwendung, bei der man Noten on- line im Internet-Browser schreiben, anhören, ausdrucken und sich mit anderen Nutzern über Kompositionen austauschen kann. Im Folgenden sollen die charakteristischen Merk- male7 des Web 2.0 am Beispiel von Noteflight vorgestellt werden. Diese Merkmale sollen einerseits dabei helfen, sich in der aktuellen Entwicklung des Internets zu orientieren.8 Auf der anderen Seite sollen sie einen Überblick über die Bedingungen und Möglichkeiten verschaffen, die die kreative Gestaltung von Musik beeinflussen. • Netz als Programmplattform: Noch vor Kur- zemwarenProgramme,dieimInternetbrowser laufen und mit ähnlicher Funktionalität und Performanz fest installierte Programme auf dem eigenen Rechner überflüssig machen, eine Innovation. Dadurch sind sie unabhängig davon,welchesBetriebssystemmannutztund ob man im Büro, in der Schule oder zu Hause amComputer arbeitet. Unter www.noteflight.com hat man Zugriff auf ein vollwertiges Notensatzprogramm, in dem Noten für Soloinstrumente sowie Band- Arrangements und kleine Orchestersätze mit Dynamikzeichen und Liedtexten gesetzt werden können. • „Mitmach-Internet“: Zur Partizipation sind keine Programmierfähigkeiten nötig. Die Möglichkeit, Internetseiten dynamisch in Ab- hängigkeit von den Nutzern zu generieren, macht eine einfache Interaktion zwischen Nutzer undWebseite möglich. Noten können in Noteflight direkt per Maus oder Tastatur eingegeben werden, ebenso werdenVeränderungen im Layout vorgenom- men. Natürlich können die Notensätze auch jederzeit angehört werden. • Einzigartige Datenbasis: Den Nutzern wird die Möglichkeit geboten, ihre Inhalte anderen Nutzern zur Verfügung zu stellen. Bei großen Nutzer-Gemeinschaften steigt die Anzahl von Inhalten in kurzer Zeit enorm an. Typische Beispiele dafür sind Youtube und Wikipedia. Noteflightbietetaktuellfast50000Kreationen im öffentlichenTeil der Notenbibliothek. • Ständige Weiterentwicklung: Die Software von Web-2.0-Anwendungen wird aufgrund des Nutzer-Feedbacks permanent verbessert. Auch bei Noteflight wird die Bedienung stän- dig optimiert und kommen neue Funktionen hinzu:Sokönneninzwischenz.B.Gitarrentabs eingefügt oder Noten farblich markiert werden. Bei der Weiterentwicklung wird ins- besondere die Nutzung im Musikunterricht berücksichtigt, da auch Musikpädagogen im Noteflight-Team mitwirken. • Wiederverwendbare Komponenten: Die In- halte der einzelnen Internet-Plattformen sind nicht auf diese Seiten beschränkt. Sie können als Modul auch auf anderen Seiten angezeigt werden, wobei die eigentlichen Daten auf der ursprünglichen Seite bleiben. Noteflighterlaubtesbeispielsweise,eineKom- position mittels eines Codeschnipsels z. B. auf dem eigenen Blog anzuzeigen, wo sie auch abgespielt werden kann. • Nutzergemeinschaften: Charakteristisch für Social Media ist, dass die Internetseiten Funk- tionen zur Kommunikation inGemeinschaften anbieten. Bei Noteflight können Nutzer über die Kom- mentarfunktion der Notensätze mit anderen Nutzern in Kontakt treten. Es ist auch mög- lich, dass das Mitwirken an Kompositionen für bestimmte Kontakte zugelassen wird, sodass gemeinsame Kompositionen entstehen kön- nen. Die Bandbreite musikbezogener Internet- plattformen deckt die gesamte Musikkultur ab. Es gibt z. B. Veranstaltungsplattformen, Kommunikationsplattformen wie Myspace, Radio-Plattformen, Expertenblogs zu The- men klassischer Musik, Plattformen für Musikspiele sowie Plattformen, die direkt mit einem Downloadshop verknüpft sind. Dabei ist der Spielraum der musikalisch-kreativen Aktivität groß. Er reicht von Plattformen, die im engerenSinne Möglichkeiten bieten, Musik kreativ zu gestalten oder gemeinsam zu musi- zieren, über Plattformen, die ohne besondere musikalischeKenntnissezumExperimentieren einladen, bis hin zu Plattformen, die nur das Abrufen von einzelnen Titeln zum Musikkon- sum anbieten. MUSIKPLATTFORMEN Erst seit etwa zwei Jahren werden Musikplatt- formen online gestellt, die dem Bereich der Social Media im Sinne des Web 2.0 zuzuord- nen sind und eine kreative Musikgestaltung im engeren Sinne zulassen - also einen deut- lichen Bezug zu einer aktiven Musikpraxis haben. Im Rahmen zweier Hochschulseminare im Fachbereich Musikpädagogik9 wurden ins- gesamt über 30 Musikplattformen entdeckt. In Gruppenprojekten wurden davon einige Plattformen näher auf ihre gestalterischen Möglichkeiten untersucht sowie Ideen für den Musikunterricht entworfen und erprobt. In Bezug auf das gemeinsame Musikmachen bestand die Herausforderung insbesondere darin, einen Rahmen zu formulieren, in dem andere - nach vorher festgelegten Regeln - musikalisch aktiv werden können. Rahmen und Regeln müssen vom Initiator sorgfältig aufeinander abgestimmt sein, soll die ästhetisch-kommunikative Erfahrung gelingen. Bei der Konversation auf Musikplatt- formen ist auch sorgfältiges Zuhören Voraus- setzung für das Gelingen der Interaktion. Bei der musikpädagogischen Betrachtung wurden eine ganze Reihe von Chancen, aber auch eini- ge Schwierigkeiten für den Unterricht deutlich. So ist z. B. die Ablenkung für die Lernenden im Internetgroßundesmüssendatenschutzrecht- liche Vorgaben beachtet werden. Außerdem gibt es die meisten Musikplattformen nur auf Englisch. Jedoch ist die Bedienung von Musik- plattformen charakteristischerweise nicht sehr komplex, sodass sich meist auf einfache Weise bewusst gestaltete und gute Klangergebnisse erzielen lassen. Als Ergebnis der Untersuchung wurdenumfangreicheSkripteerstelltundunter www.musiklernen.tumblr.com veröffentlicht. Im Folgenden soll ein kleiner Überblick über die verschiedenen Formen des Musikmachens im Internet gegeben werden. • Auf Thounds (www.thounds.com) können Nutzer musikalische Gedanken (Melodien, Riffs etc.) mit einem Mikrofon direkt ins Inter- net aufnehmen und speichern. Werden diese Aufnahmen veröffentlicht, so können Musiker aus aller Welt weitereTonspuren (Gesang, Per- cussion etc.) einspielen, sodass ein internatio- nales Musikstück entsteht. • Unter www.inudge.net findet man das sehr reduzierte Musikprogramm iNudge, mit dem auch Nutzer ohne musikalische Vorkenntnisse experimentieren können. Die entstehenden mehrstimmigen Kompositionen können an Freunde verschickt werden, die ihrerseits musikalisch antworten können. [Viele Musikplattformen kennzeichnet, dass die Beziehungen innerhalb von Nutzergruppen höchste Priorität haben.] 21Thema
  • 5. • Eine besondere Möglichkeit, selbst aufge- nommene Musikstücke in einer Gemeinschaft zu besprechen, bietet die Musikplattform Soundcloud unter www.soundcloud.com. Der Musikplayer ermöglicht das genaue Zuordnen von Kommentaren im zeitlichen Ablauf der Musik. • Ein mehrspuriges Musikstudio bietet die Musikplattform Myna (www.aviary.com/tools/ audio-editor). Nutzer können hier einzelne Se- quenzen aufnehmen, bearbeiten und mit Ef- fekten belegen.Außerdem steht eine umfang- reiche Soundbibliothek zur Verfügung, sodass man sofort mit der Musikproduktion beginnen kann. • Die Musikplattform ejAMMING AUDiiO (www.ejamming.com) bietet einen virtuellen Proberaum für Jamsessions an. Hier kann man mit sehr geringer Verzögerung mit Musikern auf der ganzenWelt live musizieren. Diese Musikplattformen kennzeichnet, dass die Beziehungen innerhalb von Nutzergrup- pen höchste Priorität haben. Der Aufbau realer Beziehungen zwischen Menschen und die verschiedenen neuen Möglichkeiten, mit- einander Musik zu machen, führen zu neuen gestalterischen Erfahrungen, die die Vorlieben der Musizierenden und die ihrer Freunde im Netzwerk einbeziehen. Intention ist es hierbei, aus der Orts- und Zeitunabhängigkeit sowie durchVernetzungindividuelleProjektezuschaf- fen. Dabei setzen die Nutzer von Musikplattfor- men traditionelle Kriterien an die entstehende Musik im elektronischen Raum an und nutzen das Netz eher pragmatisch. Handlungsweisen und Interaktionsprinzipien wie Proben oder Jamming, Mischpulte oder Kompositionspro- gramme werden hierbei auf das neue Medium übertragen. Im Gegensatz zu den Phänome- nen der Netzmusik wirkt das Medium Internet nicht entscheidend in den gestalterischen Pro- duktionsprozess von Musik ein, sondern dient als Kommunikationsmedium, um innerhalb von Interessengruppen Informationen auszu- tauschen. Dabei bieten die Musikplattformen durch die verschiedenen Gestaltungs-, Kom- munikations- und Distributionsmöglichkeiten Chancen für eine individuelle Perspektive der kreativenArbeit. KOLLEKTIVE KREATIVITÄT Der inzwischen verstorbene Netzkünstler Max Neuhaus formulierte als Vision einer neuen Musikform: „Musik zählt nicht als Ergebnis, sondern als Aktivität, nicht als rationaler, son- dern als intuitiver, emotionaler und sinnlicher Prozess; Musik ist nicht statisch, sondern ein sich entwickelnder, sich selbst ständig neu definierender Prozess.“10 Dabei zielen seine Arbeiten auf eine Musik, die nicht als Ergebnis hochentwickelter Fertigkeiten, „sondern viel- mehr als Resultat eines Einverständnisses in- nerhalb derGruppe entsteht“. Es sind vor allem musikalische Projekte, die versuchen, den Prozess einer gemeinsamen Kommunikationsform im Internet zu ästhe- tisieren und damit auf eine andere kreative Ebene zielen: das Entstehen neuer Formen kollektiver Kreativität, bei der sich Wissen- schaft und Kunst von einer individualisierten Kulturzueinerkooperativen,interdisziplinären Kommunikationsstruktur entwickeln. Die Ver- änderung der Möglichkeiten zur kreativen Ge- staltung von Musik führt dazu, dass man nicht mehr allein vor dem Computer sitzt, sondern an einem sozialen Ereignis teilnimmt, bei dem man mit anderen interagiert. Selbststeuerung und aktivesGestalten stehen imVordergrund. Noch nie wurde so viel Musik verbreitet wie heute. Dabei geht es weniger um Kunst – im Sinne von Kunstwerken –, sondern um musika- lische Praxis. Es ist eine Musizierform, die nicht das endgültigeWerk zum Ziel hat, sondern die vor allem als Aktivität in Gemeinschaft dient. Da immer mehr musikalische Aktivitäten in Echtzeit durchgeführt werden können, erge- ben sich hier immer neue Möglichkeiten der Interaktion zwischen den aktiven Teilnehmern bzw. Musikern auf den Plattformen. Damit schließt sich der Kreis meiner Betrach- tung, die versuchte, neue Möglichkeiten des Musikmachens aufzuzeigen. Es existiert eine kollaborative Musikpraxis im Internet. Musik kann direkt im Internet-Browser oder (schon in naher Zukunft) auf mobilen Endgeräten gestaltet werden. Dabei entsteht diese Musik in einem offenen Prozess. Musikplattformen bieten die Möglichkeit, mit Menschen aus anderen Kulturen inVerbindung zu treten oder sich individuell weltweit zu präsentieren. [Musikplattjormen bieten die Möglichkeit, mit Menschen aus anderen Kulturen in Verbindung zu treten oder sich weltweit zu präsentieren.] 22 Thema 1 z. B. unter www.virtualpiano.net 2Golo Föllmer: Netzmusik. Elektronische, ästhetische und sozialeStrukturen einer partizipativen Musik, Hofheim 2005, S. 1. 3 Unter derAdresse www.netzmusik.wordpress. com wurde eine Sammlung von Internet-Links von Projekten der Netzmusik mit einer Beschreibung der Angebote zusammengestellt. 4Auch wenn die BezeichnungWeb 2.0 im Jahr 2004 zunächst als eineGeschäftsrevolution im Internet infolge desCrash der New Economy deklariert wurde und es einige Schwierigkeiten bereitet, einen derart kommerziell belegten und unscharfen Begriff zu verwenden, so dient dieses ideenleitenden Schlagwort doch zur Beschreibung der vielschichtigen Veränderungen im Internet. 5 Social Media (auch Soziale Medien) umfassen webbasierteAnwendungen, die den Menschen beim Informationsaustausch, Beziehungsaufbau und bei der Kommunikation in sozialen Kontexten unterstützt. Die BezeichnungenWeb 2.0 und Social Media werden häufig synonym benutzt. Dabei wirdWeb 2.0 in wesentlich umfassenderen Zusammenhängen verwendet. Der Begriff kann technische, ökonomische und rechtliche sowie sozialeAspekte beinhalten. 6Wie für Social Media üblich, wird neben der kostenlosenAnwendung auch eine Premium-Lösung angeboten, die ein erweitertes Funktionsspektrum bietet. 7 Diese Merkmale orientieren sich an einem grundlegendenArtikel desVerlegersTimO‘Reilly aus dem Jahr 2005, der dasWeb 2_0 als eine Entwicklung hin zum Internet als Plattform beschreibt (vgl.Tim O‘Reilly, http://oreilly_com/web2/archive/what-is- web-20.html, Stand: 18.08.2010). 8 Sicher haben Sie bereits selbst Erfahrungen mit typischenWeb-2.o-Anwendungen außerhalb von musikbezogenen Nutzungsbereichen gemacht. WichtigeVertreter sind neben Youtube und Wikipedia z. B. die Fotoplattform flickr, aber auchWeblogs. 9 „Musiklernen imWeb 2.0“ imWintersemester 2009/10 an der Universität Potsdam und „Musik im Internet“ im Sommersemester 2010 an der Universität der Künste Berlin. 10 Max Neuhaus: „Audium: Projekt für eineWelt als Hör-Raum“, in: Edith Decker/PeterWeibel (Hg.): Vom Verschwinden der Ferne.Telekommunikation und Kunst, Köln 1990, S. 122. Matthias Krebs ist Studienrat (Musik/Physik), Diplommusik- und Medienpädagoge und hat als Tenor vor Kurzem das Studium zum Opernsänger ab- solviert. Er betreut als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Weiterbil- dung an der UdK Berlin den Zertifikatskurs „DigiMediaL – Strategisches Musikmarketing imInternet“undistDozentfürMusikpädagogik an der Universität Potsdam.