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6. Der Mantel der Königin

Die schäbige Jugendstilvilla war bloß eine Fassade. Ihr
Inneres machte ein einziger Raum aus, dessen Kuppel
aus milchigem Kristallglas lichtdurstig anstelle der
Decke schwebte. Zuerst fühlte sich Max wie in einem
Gewächshaus, bald durchbrachen aus einem bestimmten
Blickwinkel heraus die sanften Lichtkolonnen
würdevoll die schlichte Architektur des Raums, als
würde er sich spontan in einen gläsernen Dom
verwandeln.

Max atmete tief auf und hielt kurz die Luft an, als würde
er die Luftprobe degustieren. Hier herrschte ein
überraschend anderes Mikroklima. Es war wie eine
Mischung aus einem Biosaunarium und einer Orangerie,
gefüllt mit nach Magnolienblüte riechendem Dampf. Im
Hintergrund tönte leise Orgelmusik, die der
benachbarten Kirche entstammen konnte.

Wie auf der schwimmenden Burg des Alten Enya Anki
gingen die wackeren Töchter der Dämmerung auch hier
ihren rätselhaften Vorbereitungen nach und entfalteten
dabei eine verwickelte Gruppendynamik, die Max’s
musische Natur sogleich mit Eintracht erfüllte. Sie
bewegten sich in einer Ordnung, die keiner erkennbaren
Choreografie, aber einer besonderen jenseitigen
Ästhetik verpflichtet schien.

Nur eine von ihnen saß in der Mitte des Raums. Bei ihr
fielen neben farblosem Haar rötlich blinzelnde Augen
auf, als wäre sie ein Albino. Andächtig massierte sie
ihren etwas verwelkten Fuß. Max fühlte sich angezogen,
ihr zuzuschauen. Nicht deshalb, weil ihr Körper wie
eine frisch aufgegangene Lotusblüte aus dem
Botanischen Garten wirkte – so waren die anderen auch.
Doch spürte Max, wie die Kraft ihrer Einkehr die
matten Zehen speiste. Es floss etwas hinein, was keine
Merkmale offenbarte, aber ungeheuer satt schien.
Infosomatische Medizin? Könnte sein, denn eine
gewöhnliche Therapie war es nicht. Diese hatte mehr
mit Selbstheilung als mit Behandlung zu tun.

„Ein Unfall?“ – fragte Max wortkarg. Aufgewühlt wie
er war, wusste er nicht, wie man mit einer
paramilitärischen Einheit aus einer anderen Welt
spricht, deren Befehlshaber er spielen sollte. Auf jeden
Fall schien ihm eine profane Begrüßung nicht
angebracht zu sein, zu alltäglich für den Anlass.

Max’s Ansprechpartnerin wirkte so, als verkörpere sie
eine Wesenheit, die in dieser Welt längst verloren
schien. In ihrem Gang kam sie ganz ohne diesen
maskulinen Schwung aus, der die weiblichen Körper
dieser Welt mittlerweile wie ein Systemvirus infizierte.
Im Gegenteil, strahlte sie die Süße einer verschlafenen
Weiblichkeit aus, wie sie von der Popkultur gerne
zelebriert wurde, nur hatte sie diesen Glamour des
lieblosen Machtanspruchs nicht. Ihre Füße saugten die
Kraft des Bodens auf. Ihre Magie war die vollkommene
Präsenz.
Bald meldete sich mit einer akademischen
Ernsthaftigkeit die Puppe des Namenlosen Magisters
kreischend aus der Hosentasche. Anscheinend fühlte sie
sich an dieser Stelle verpflichtet, Max aufzuklären:
„Sie hat Machtsymbole nicht verdient, die in deiner
Welt jene Tugenden kompensieren, die den weiblichen
Wesen anerzogen werden, damit sie die Königin mit der
Energie der verlorenen Gegenwart speisen.“

Angeheitert von der sprechenden Hosentasche, ohne
auch nur höflichkeitshalber den Versuch zu
unternehmen, sie aus dem Stegreif zu verstehen,
lächelte Max die Frau an. Sie erwiderte mit einer
würdevollen Augenwärme. Doch für einen Augenblick
fluteten ihre Pupillen mit gesättigter Schwärze ihre
Augen, was Max bis in das Knochenmark erschreckte.
Nur war der Augenblick so außerordentlich und so kurz,
dass sein Gedächtnis sich weigerte, ihn zu behalten.

 „Entschuldigt uns, Eure Potenzialität Gebieter,
Magister von Tausend Namen, der Schicksalslose unter
den Lebenden…“
Ihre Sprechweise war langsam und wirkte eben so
verschlafen, besonders herzlich und leicht eindringlich,
außerdem klang ihr Akzent leicht französisch.
Trotzdem verzerrte Max instinktiv seine Lippen, als
schluckte er versehentlich ein Glas Zitronensaft. Die
Ansprache klang so unpassend, dass er überraschend für
sich selbst aus dem Gleichgewicht geriet:
„Bitte... Keine Floskeln! Stell dir einfach vor, dass in
dem Namen ‚Max’ die ganzen großartigen Titel quasi
eingebaut sind… Einverstanden?“
Doch ein Mensch, dessen Kultur fern von
Autofetischismus war, konnte diese Metapher kaum
einordnen.
Dessen ungeachtet lächelte die Frau und zuckte
gleichgültig mit den Achseln:
„Also, um deine Frage von vorhin zu beantworten...
Die Silberne Dantanga hat gestern gleich nach dem
entsetzlich roten Untergang hiesiger Sonne eine
vermeintlich durchsichtige Tür eingeschlagen.
Sie tat es bei voller Gewissheit aus einem sehr
kostbaren Einfall heraus, der in der Welt der Dunklen
Sonne niemals einen Fehler verbirgt. Aber die Tür war
fest, mehr als fest, außerordentlich unnatürlich fest…“
„Panzerglas? Hm.. Habt ihr etwa eine Bank überfallen?“
„Es ist so, Max… Bei uns wird keinem etwas
beigebracht, denn wir lernen autonom. Also wollten wir
checken, ob wir an diesen allmächtigen Fetisch dran
kommen, der diese rätselhafte Lebenswelt vollkommen
zu beherrschen scheint… Und die durchsichtige Tür
schien so brüchig, wie die feinste Arbeit des Silbernen
Magisters, des Großmeisters der Wandweberei…“

„Meinst Du mit dem Fetisch etwa Geld?“
Sie dachte kurz nach und nickte entschieden.
„Aber als wir Gestalten, die hier rumlaufen, daraufhin
gelesen haben, verstanden wir die ganze Tragik des
hiesigen Mysteriums: Die Armen werden gezwungen,
ihre ganze Lebensenergie in diesen Fetisch zu stecken.
Es diesem Bankspeicher zu entnehmen würde bedeuten,
ihnen Leben zu nehmen. Ein merkwürdiges Leben, das
von einem Fetisch beherrscht wird. Also beschlossen
wir, dieses Geltungsäquivalent auf eine andere Weise zu
besorgen. Deshalb die Idee mit der Girlband, denn für
bestimmte Klänge scheint man hier eine Menge
Aufmerksamkeit zu bekommen. Und Aufmerksamkeit
ist die Quelle aller Geltung. Stimmt’s?“
„Na ja, diese Bankspeicher sind eh eine Attrappe… aber
Aufmerksamkeit ist mittlerweile goldwert.“
„Diese Welt scheint ihren Fetisch so tief in ihrer Seele
zu hüten, dass er nicht ohne weiteres angetastet werden
darf... Doch Aufmerksamkeit würde uns reichen! Sie
können wir dann in jeden beliebigen Fetisch
verwandeln.“
Sie sprach so sicher, als wäre sie eine anerkannte
Medienexpertin. Offenbar zweifelte sie niemals. Warum
sollte sie auch? Ihr Wissen erarbeitete sie sich selbst,
durch Orientierung, also musste sie ihre momentane
Wahrheit nicht anzweifeln. Eine andere konnte sie nicht
erlangen, denn alles andere wären Geltungen gewesen,
die eine freie Kriegerin nicht weiter gebracht hätten.

Max schmunzelte:
„Na ja, allein für die Klänge wird man hier auch nicht
belohnt. Aber wenn sie von infantil wirkenden und dazu
noch spärlich gekleideten Damen erzeugt werden,
entfalten sie hier eine durchaus magische Wirkung.“
„Magie… oder Manipulation?“
Sie fragte mehr oder weniger rhetorisch, schaute dabei
jedoch sehsüchtig in Max’s Augen. Offenbar wusste sie,
dass Max sie an dieser Stelle nicht verstehen würde.
Noch nicht. Aber sie pflanzte einen Zwiespalt in seine
Seele ein, in der Hoffnung, dass er aufginge.
Und er tat es.
Bald verspürte Max die beinahe physische Lust aufs
Dichten. Mit der Bemerkung, dass es der Auftakt ihrer
ersten Hip-Hop-Ballade sein würde, rezitierte er bereits
in wenigen Minuten ein wenig nachdenklich und mit
längeren Pausen die ersten Strophen aus seinem frisch
verdichteten Reim. Eigentlich dichtete er noch beim
lesen, was seinen Ausdruck etwas unsicher machte. Die
leise, aber eindringliche Orgelmusik von Außen
schattierte sein Rezitativ mit mürrischen Harmonien:

               Die wahre Welt – getriebefrei.
             Vergeht wie Zeit – sind wir dabei?
               Systeme strecken Fühler weit,
             Man wird nie wieder mehr befreit.
            Die Wacht der Wächter läuft Amok,
            Es dröhnt entstellter Kuschelrock.

             Die Sonne – drohend schattenlos,
               Die Köpfe – weniger als bloß.
             Der wahre Grund versinkt im Lob
               Und ewig waltet wieder Mob:
               Archaisch wie Behördensinn,
              Anarchisch wie ein Fass Benzin.

            Die Macht verdichtet – steuerfrei –
                 Gewalt befreiter Innerei.
            Nachtwandler stopfen Tag mit Blei.
             Athleten räuchern sich mit Weih.
               Längst keine Seele ist dabei,
Systeme stiften Barbarei.

             Subjekt vergeht, sein Sinn erstickt.
               Der Reiter ist ein Cyberfreak,
              Sein Trampel endet ohne Fraß,
              Der neue wandert bald ins Glas.
             Das Messer trennt den Geistesblitz
               Und ewig grüßt der alte Witz.

Die Frau zelebrierte ihre Begeisterung ein paar
Sekunden, bevor sie wieder die Augen öffnete.
„Darf ich vollenden?“ – fragte Sie plötzlich.

Max wusste, dass sie in diesen Moment seine ganze
Gestalt aufnimmt, um an seinen Wortschatz zu kommen
und nickte. Denn er wusste auch, dass sie es in seinem
Sinne tun würde. Einen Augenblick später setzte sie das
Gedicht erstaunlich sensibel fort, als wäre es seine
eigene Fortsetzung.

             Der wahre Grund - viel zu brutal,
             Die Gegners Gegner zu konfus.
             Mach’ Anderssein zu deiner Wahl
              Und hoffe nicht auf Überfluss.
             Dein Aufschrei erstarrt im Wind,
             Verwalter willig, Freunde – blind.

              Die wahre Angst ist alter Gral,
              Die Gegner üben sich in Kunst.
           Die Wahl der Wähler – Schweinestahl,
            Gewalt der Wächter – Aktendunst.
            Die Macht der Liebe – alte Pracht,
               Gewalt der Leere ist erwacht.
Max war zutiefst berührt und erstaunt. Die
infosomatische Magie kannte in der Tat keine Grenzen.
„Wie heißt du eigentlich?“ – fragte er nach einer
längeren Pause. Eigentlich wollte er wissen, was sie
war, falls sie in seiner seltsamen Truppe eine besondere
Rolle zu spielen hatte. So verspielt wie Tanga wirkte sie
nicht, denn etwas lastete auf ihrer Seele, eine besondere
Pflicht, nicht von Außen anvertraut, sondern aus ihrer
eigenen Orientierung schöpfend. Eine Sehsucht, die
ihren aktuellen Lebensabschnitt antreibt.
„Antanganta. Ich spreche für die Mädels mit dir, Max,
weil ich deine Sprache als erste kapiert habe. Die
anderen brauchen Zeit, denn deine Sprache ist
verzweigt. Aber du wirst deine Truppe schon
verstehen…“
„Meine Sprache? Verzweigt? Obwohl - stimmt…“
Max wusste schon längst, dass eine Sprache immer die
Sprache eines bestimmten Menschen war, der Rest –
eine Volks- oder eine Kultursprache – war immer
Illusion, die von Institutionen verwirklicht wurde. Ihre
Wörterbücher, Grammatiken und Floskeln waren
Konstrukte, die von Organisationen unterhalten wurden,
um bestimmte Interessen zu versprachlichen.
Und seine Sprache wirkte deshalb verzweigt, weil er
entführt wurde und bis vor kurzem in einer Welt lebte,
in der nichts eine wirkliche Bedeutung hatte.

Max fühlte sich dringend verpflichtet, Verantwortung
zu übernehmen.
„Jetzt kümmere ich mich um die Mission. Also keinen
Einfällen mehr trauen, solange wir hier sind.
Versprochen? Hier ist alles anders, meistens unecht,
daher werden euch eure kultivierten Instinkte nur
irreführen. Und das kann dramatische Folgen haben. In
einer Kurzschlusskultur verhält man sich rational. Man
zertrennt alles, was man nicht kennt, und bastelt daraus
etwas anderes. Dann kennt man’s. Verstanden?“
„Jawohl, mein lieber Meister der Verantwortung! Aber
du darfst unsere Instinkte doch nicht unterschätzen.
Denn auch diese Welt hat noch intakte Ebenen, die sind
nur weniger offensichtlich. Außerdem haben wir dich!“
Sie schaute Max begeistert an, mit leuchtenden und
leicht feuchten Augen, als wäre sie in diesen Moment
vollkommen glücklich.
„Wie geht es Tangakanta?“ – fragte Max unerwartet.
„Oh, prächtig! Unsere Walterin des fremden Willens
bereitet deine Rückkehr vor… Aber wir haben hier noch
einiges zu erledigen. Und dabei sind die Zahlungsmittel
das kleinste Problem.“
Max war nicht nach Sorge. Trotzdem quetschte er eine
ernste Miene und sprach mit bekümmerter Stimme:
„Irgendwie leuchtet mir unsere Mission bis jetzt kaum
ein, außer dass wir Bhagyalakshmi, die düstere
Pupillenfrau suchen und ihr Geheimnis lüften?“
„Das ist das Mittel, Max. Der Zweck ist ein anderer.
Wir müssen die Entscheidung treffen, ob diese Welt
gehoben werden kann oder sie muss untergehen.“

Aus der Hosentasche kreischte es mit einer überheblich
anmutenden Expertenstimme: „Wollt ihr einen
Hinweis? Lasst euch von Geld, Wissenschaft und
Volksherrschaft nicht irreführen. In dieser Welt der
Systeme gilt die infosomatische Magie genau wie bei
uns. Nur gelten hier nicht die Menschen, sondern sie.
Die Königin waltet und ihre Priester wissen Bescheid.
Sucht Hinweise, und ihr werdet erstaunt sein, wie leicht
sich eine Geltungsschleife, der Sichtbare Mantel der
Königin… Was soll der Lärm?“
Der prophetische Wortklang stürzte abrupt in einen
hysterischen Abgrund, überwältigt von der Gewalt
entfesselter Freude, die flutartig den Raum füllte: In
diesen Augenblick sprangen bereits etliche Mädels mit
geöffneten Armen aus dem dichten Dampfklumpen im
Inneren des Raums heraus. Nachdem sie inzwischen
ihre geheimnisvollen Vorbereitungen absolviert hatten,
erkannten sie ihren ahnungslosen Gebieter und strömten
wie ein Schwarm von frisch verwandelten Lotusblüten
einen dampfenden Bergfluss entlang:
‚Jetzt findet hier eine Begrüßung statt…’, konnte Max
gerade noch denken, bevor sein von üppigen
Umarmungen zerkneteter Leib in die feuchte Wonne der
duftenden Dampforangerie hineingezerrt wurde.

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  • 1. 6. Der Mantel der Königin Die schäbige Jugendstilvilla war bloß eine Fassade. Ihr Inneres machte ein einziger Raum aus, dessen Kuppel aus milchigem Kristallglas lichtdurstig anstelle der Decke schwebte. Zuerst fühlte sich Max wie in einem Gewächshaus, bald durchbrachen aus einem bestimmten Blickwinkel heraus die sanften Lichtkolonnen würdevoll die schlichte Architektur des Raums, als würde er sich spontan in einen gläsernen Dom verwandeln. Max atmete tief auf und hielt kurz die Luft an, als würde er die Luftprobe degustieren. Hier herrschte ein überraschend anderes Mikroklima. Es war wie eine Mischung aus einem Biosaunarium und einer Orangerie, gefüllt mit nach Magnolienblüte riechendem Dampf. Im Hintergrund tönte leise Orgelmusik, die der benachbarten Kirche entstammen konnte. Wie auf der schwimmenden Burg des Alten Enya Anki gingen die wackeren Töchter der Dämmerung auch hier ihren rätselhaften Vorbereitungen nach und entfalteten dabei eine verwickelte Gruppendynamik, die Max’s musische Natur sogleich mit Eintracht erfüllte. Sie bewegten sich in einer Ordnung, die keiner erkennbaren Choreografie, aber einer besonderen jenseitigen Ästhetik verpflichtet schien. Nur eine von ihnen saß in der Mitte des Raums. Bei ihr fielen neben farblosem Haar rötlich blinzelnde Augen
  • 2. auf, als wäre sie ein Albino. Andächtig massierte sie ihren etwas verwelkten Fuß. Max fühlte sich angezogen, ihr zuzuschauen. Nicht deshalb, weil ihr Körper wie eine frisch aufgegangene Lotusblüte aus dem Botanischen Garten wirkte – so waren die anderen auch. Doch spürte Max, wie die Kraft ihrer Einkehr die matten Zehen speiste. Es floss etwas hinein, was keine Merkmale offenbarte, aber ungeheuer satt schien. Infosomatische Medizin? Könnte sein, denn eine gewöhnliche Therapie war es nicht. Diese hatte mehr mit Selbstheilung als mit Behandlung zu tun. „Ein Unfall?“ – fragte Max wortkarg. Aufgewühlt wie er war, wusste er nicht, wie man mit einer paramilitärischen Einheit aus einer anderen Welt spricht, deren Befehlshaber er spielen sollte. Auf jeden Fall schien ihm eine profane Begrüßung nicht angebracht zu sein, zu alltäglich für den Anlass. Max’s Ansprechpartnerin wirkte so, als verkörpere sie eine Wesenheit, die in dieser Welt längst verloren schien. In ihrem Gang kam sie ganz ohne diesen maskulinen Schwung aus, der die weiblichen Körper dieser Welt mittlerweile wie ein Systemvirus infizierte. Im Gegenteil, strahlte sie die Süße einer verschlafenen Weiblichkeit aus, wie sie von der Popkultur gerne zelebriert wurde, nur hatte sie diesen Glamour des lieblosen Machtanspruchs nicht. Ihre Füße saugten die Kraft des Bodens auf. Ihre Magie war die vollkommene Präsenz.
  • 3. Bald meldete sich mit einer akademischen Ernsthaftigkeit die Puppe des Namenlosen Magisters kreischend aus der Hosentasche. Anscheinend fühlte sie sich an dieser Stelle verpflichtet, Max aufzuklären: „Sie hat Machtsymbole nicht verdient, die in deiner Welt jene Tugenden kompensieren, die den weiblichen Wesen anerzogen werden, damit sie die Königin mit der Energie der verlorenen Gegenwart speisen.“ Angeheitert von der sprechenden Hosentasche, ohne auch nur höflichkeitshalber den Versuch zu unternehmen, sie aus dem Stegreif zu verstehen, lächelte Max die Frau an. Sie erwiderte mit einer würdevollen Augenwärme. Doch für einen Augenblick fluteten ihre Pupillen mit gesättigter Schwärze ihre Augen, was Max bis in das Knochenmark erschreckte. Nur war der Augenblick so außerordentlich und so kurz, dass sein Gedächtnis sich weigerte, ihn zu behalten. „Entschuldigt uns, Eure Potenzialität Gebieter, Magister von Tausend Namen, der Schicksalslose unter den Lebenden…“ Ihre Sprechweise war langsam und wirkte eben so verschlafen, besonders herzlich und leicht eindringlich, außerdem klang ihr Akzent leicht französisch. Trotzdem verzerrte Max instinktiv seine Lippen, als schluckte er versehentlich ein Glas Zitronensaft. Die Ansprache klang so unpassend, dass er überraschend für sich selbst aus dem Gleichgewicht geriet:
  • 4. „Bitte... Keine Floskeln! Stell dir einfach vor, dass in dem Namen ‚Max’ die ganzen großartigen Titel quasi eingebaut sind… Einverstanden?“ Doch ein Mensch, dessen Kultur fern von Autofetischismus war, konnte diese Metapher kaum einordnen. Dessen ungeachtet lächelte die Frau und zuckte gleichgültig mit den Achseln: „Also, um deine Frage von vorhin zu beantworten... Die Silberne Dantanga hat gestern gleich nach dem entsetzlich roten Untergang hiesiger Sonne eine vermeintlich durchsichtige Tür eingeschlagen. Sie tat es bei voller Gewissheit aus einem sehr kostbaren Einfall heraus, der in der Welt der Dunklen Sonne niemals einen Fehler verbirgt. Aber die Tür war fest, mehr als fest, außerordentlich unnatürlich fest…“ „Panzerglas? Hm.. Habt ihr etwa eine Bank überfallen?“ „Es ist so, Max… Bei uns wird keinem etwas beigebracht, denn wir lernen autonom. Also wollten wir checken, ob wir an diesen allmächtigen Fetisch dran kommen, der diese rätselhafte Lebenswelt vollkommen zu beherrschen scheint… Und die durchsichtige Tür schien so brüchig, wie die feinste Arbeit des Silbernen Magisters, des Großmeisters der Wandweberei…“ „Meinst Du mit dem Fetisch etwa Geld?“ Sie dachte kurz nach und nickte entschieden. „Aber als wir Gestalten, die hier rumlaufen, daraufhin gelesen haben, verstanden wir die ganze Tragik des hiesigen Mysteriums: Die Armen werden gezwungen, ihre ganze Lebensenergie in diesen Fetisch zu stecken.
  • 5. Es diesem Bankspeicher zu entnehmen würde bedeuten, ihnen Leben zu nehmen. Ein merkwürdiges Leben, das von einem Fetisch beherrscht wird. Also beschlossen wir, dieses Geltungsäquivalent auf eine andere Weise zu besorgen. Deshalb die Idee mit der Girlband, denn für bestimmte Klänge scheint man hier eine Menge Aufmerksamkeit zu bekommen. Und Aufmerksamkeit ist die Quelle aller Geltung. Stimmt’s?“ „Na ja, diese Bankspeicher sind eh eine Attrappe… aber Aufmerksamkeit ist mittlerweile goldwert.“ „Diese Welt scheint ihren Fetisch so tief in ihrer Seele zu hüten, dass er nicht ohne weiteres angetastet werden darf... Doch Aufmerksamkeit würde uns reichen! Sie können wir dann in jeden beliebigen Fetisch verwandeln.“ Sie sprach so sicher, als wäre sie eine anerkannte Medienexpertin. Offenbar zweifelte sie niemals. Warum sollte sie auch? Ihr Wissen erarbeitete sie sich selbst, durch Orientierung, also musste sie ihre momentane Wahrheit nicht anzweifeln. Eine andere konnte sie nicht erlangen, denn alles andere wären Geltungen gewesen, die eine freie Kriegerin nicht weiter gebracht hätten. Max schmunzelte: „Na ja, allein für die Klänge wird man hier auch nicht belohnt. Aber wenn sie von infantil wirkenden und dazu noch spärlich gekleideten Damen erzeugt werden, entfalten sie hier eine durchaus magische Wirkung.“ „Magie… oder Manipulation?“ Sie fragte mehr oder weniger rhetorisch, schaute dabei jedoch sehsüchtig in Max’s Augen. Offenbar wusste sie,
  • 6. dass Max sie an dieser Stelle nicht verstehen würde. Noch nicht. Aber sie pflanzte einen Zwiespalt in seine Seele ein, in der Hoffnung, dass er aufginge. Und er tat es. Bald verspürte Max die beinahe physische Lust aufs Dichten. Mit der Bemerkung, dass es der Auftakt ihrer ersten Hip-Hop-Ballade sein würde, rezitierte er bereits in wenigen Minuten ein wenig nachdenklich und mit längeren Pausen die ersten Strophen aus seinem frisch verdichteten Reim. Eigentlich dichtete er noch beim lesen, was seinen Ausdruck etwas unsicher machte. Die leise, aber eindringliche Orgelmusik von Außen schattierte sein Rezitativ mit mürrischen Harmonien: Die wahre Welt – getriebefrei. Vergeht wie Zeit – sind wir dabei? Systeme strecken Fühler weit, Man wird nie wieder mehr befreit. Die Wacht der Wächter läuft Amok, Es dröhnt entstellter Kuschelrock. Die Sonne – drohend schattenlos, Die Köpfe – weniger als bloß. Der wahre Grund versinkt im Lob Und ewig waltet wieder Mob: Archaisch wie Behördensinn, Anarchisch wie ein Fass Benzin. Die Macht verdichtet – steuerfrei – Gewalt befreiter Innerei. Nachtwandler stopfen Tag mit Blei. Athleten räuchern sich mit Weih. Längst keine Seele ist dabei,
  • 7. Systeme stiften Barbarei. Subjekt vergeht, sein Sinn erstickt. Der Reiter ist ein Cyberfreak, Sein Trampel endet ohne Fraß, Der neue wandert bald ins Glas. Das Messer trennt den Geistesblitz Und ewig grüßt der alte Witz. Die Frau zelebrierte ihre Begeisterung ein paar Sekunden, bevor sie wieder die Augen öffnete. „Darf ich vollenden?“ – fragte Sie plötzlich. Max wusste, dass sie in diesen Moment seine ganze Gestalt aufnimmt, um an seinen Wortschatz zu kommen und nickte. Denn er wusste auch, dass sie es in seinem Sinne tun würde. Einen Augenblick später setzte sie das Gedicht erstaunlich sensibel fort, als wäre es seine eigene Fortsetzung. Der wahre Grund - viel zu brutal, Die Gegners Gegner zu konfus. Mach’ Anderssein zu deiner Wahl Und hoffe nicht auf Überfluss. Dein Aufschrei erstarrt im Wind, Verwalter willig, Freunde – blind. Die wahre Angst ist alter Gral, Die Gegner üben sich in Kunst. Die Wahl der Wähler – Schweinestahl, Gewalt der Wächter – Aktendunst. Die Macht der Liebe – alte Pracht, Gewalt der Leere ist erwacht.
  • 8. Max war zutiefst berührt und erstaunt. Die infosomatische Magie kannte in der Tat keine Grenzen. „Wie heißt du eigentlich?“ – fragte er nach einer längeren Pause. Eigentlich wollte er wissen, was sie war, falls sie in seiner seltsamen Truppe eine besondere Rolle zu spielen hatte. So verspielt wie Tanga wirkte sie nicht, denn etwas lastete auf ihrer Seele, eine besondere Pflicht, nicht von Außen anvertraut, sondern aus ihrer eigenen Orientierung schöpfend. Eine Sehsucht, die ihren aktuellen Lebensabschnitt antreibt. „Antanganta. Ich spreche für die Mädels mit dir, Max, weil ich deine Sprache als erste kapiert habe. Die anderen brauchen Zeit, denn deine Sprache ist verzweigt. Aber du wirst deine Truppe schon verstehen…“ „Meine Sprache? Verzweigt? Obwohl - stimmt…“ Max wusste schon längst, dass eine Sprache immer die Sprache eines bestimmten Menschen war, der Rest – eine Volks- oder eine Kultursprache – war immer Illusion, die von Institutionen verwirklicht wurde. Ihre Wörterbücher, Grammatiken und Floskeln waren Konstrukte, die von Organisationen unterhalten wurden, um bestimmte Interessen zu versprachlichen. Und seine Sprache wirkte deshalb verzweigt, weil er entführt wurde und bis vor kurzem in einer Welt lebte, in der nichts eine wirkliche Bedeutung hatte. Max fühlte sich dringend verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen.
  • 9. „Jetzt kümmere ich mich um die Mission. Also keinen Einfällen mehr trauen, solange wir hier sind. Versprochen? Hier ist alles anders, meistens unecht, daher werden euch eure kultivierten Instinkte nur irreführen. Und das kann dramatische Folgen haben. In einer Kurzschlusskultur verhält man sich rational. Man zertrennt alles, was man nicht kennt, und bastelt daraus etwas anderes. Dann kennt man’s. Verstanden?“ „Jawohl, mein lieber Meister der Verantwortung! Aber du darfst unsere Instinkte doch nicht unterschätzen. Denn auch diese Welt hat noch intakte Ebenen, die sind nur weniger offensichtlich. Außerdem haben wir dich!“ Sie schaute Max begeistert an, mit leuchtenden und leicht feuchten Augen, als wäre sie in diesen Moment vollkommen glücklich. „Wie geht es Tangakanta?“ – fragte Max unerwartet. „Oh, prächtig! Unsere Walterin des fremden Willens bereitet deine Rückkehr vor… Aber wir haben hier noch einiges zu erledigen. Und dabei sind die Zahlungsmittel das kleinste Problem.“ Max war nicht nach Sorge. Trotzdem quetschte er eine ernste Miene und sprach mit bekümmerter Stimme: „Irgendwie leuchtet mir unsere Mission bis jetzt kaum ein, außer dass wir Bhagyalakshmi, die düstere Pupillenfrau suchen und ihr Geheimnis lüften?“ „Das ist das Mittel, Max. Der Zweck ist ein anderer. Wir müssen die Entscheidung treffen, ob diese Welt gehoben werden kann oder sie muss untergehen.“ Aus der Hosentasche kreischte es mit einer überheblich anmutenden Expertenstimme: „Wollt ihr einen
  • 10. Hinweis? Lasst euch von Geld, Wissenschaft und Volksherrschaft nicht irreführen. In dieser Welt der Systeme gilt die infosomatische Magie genau wie bei uns. Nur gelten hier nicht die Menschen, sondern sie. Die Königin waltet und ihre Priester wissen Bescheid. Sucht Hinweise, und ihr werdet erstaunt sein, wie leicht sich eine Geltungsschleife, der Sichtbare Mantel der Königin… Was soll der Lärm?“ Der prophetische Wortklang stürzte abrupt in einen hysterischen Abgrund, überwältigt von der Gewalt entfesselter Freude, die flutartig den Raum füllte: In diesen Augenblick sprangen bereits etliche Mädels mit geöffneten Armen aus dem dichten Dampfklumpen im Inneren des Raums heraus. Nachdem sie inzwischen ihre geheimnisvollen Vorbereitungen absolviert hatten, erkannten sie ihren ahnungslosen Gebieter und strömten wie ein Schwarm von frisch verwandelten Lotusblüten einen dampfenden Bergfluss entlang: ‚Jetzt findet hier eine Begrüßung statt…’, konnte Max gerade noch denken, bevor sein von üppigen Umarmungen zerkneteter Leib in die feuchte Wonne der duftenden Dampforangerie hineingezerrt wurde.