Simulationen und simulierte Welten - Lernen in immersiven Lernumgebungen
Human- und Tiermedizin Technologieeinsatz im Gesundheitswesen
1. Kai
Sostmann,
Jacqueline
Henning
und
Jan
Ehlers
Human- und Tiermedizin
Technologieeinsatz im Gesundheitswesen
In
der
human-‐
und
Cermedizinischen
Bildung
spielt
E-‐Learning
bei
der
VermiElung
prakCscher
und
theore-‐
Cscher
Kompetenzen
eine
zentrale
Rolle.
AuWauend
auf
begleitenden
E-‐Learning-‐Modulen
stellen
die
Ein-‐
führung
virtueller
PaCenten
und
die
Weiterentwicklung
von
Simulatoren
die
wichCgsten
Neuerungen
technologiebasierten,
kontextorienCerten
Lernens
für
die
Gesundheitsberufe
dar.
Virtuelle
PaCenten
er-‐
lauben
neben
der
Entlastung
schwerkranker
und
schutzbedürHiger
Menschen
eine
intensivere
theore-‐
Csche
Vorbereitung
der
Lernenden
auf
den
Alltag
in
der
klinischen
Praxis.
Karteikartenbasiert
oder
in
si-‐
mulaCven
3-‐D-‐Umgebungen
durchlaufen
die
Lernenden
alle
Stadien
ambulanter
und
klinischer
Behand-‐
lungsszenarien
und
erwerben
so
Kompetenzen
in
klinischem
Denken
und
Handeln.
Simulatoren
stellen
die
nächste
Trainingsstufe
dar,
um
prakCsche
und
theoreCsche
Kompetenzen
zu
verCefen.
Die
Trainingssze-‐
narien
werden
durch
computergestützte
Prüfungsszenarien
vervollständigt,
die
die
Einführung
inhaltlich
neuer
und
nur
computerbasiert
einsetzbarer
mulCmedialer
Prüfungsformate
ermöglichen.
Für
die
Quali-‐
tätssicherung
der
Angebote
ist
eine
auf
anerkannten
Qualitätsicherungsstandards
basierende
Akkredi-‐
Cerung
und
eine
logisCsche
und
didakCsche
Unterstützung
durch
hochschulübergreifende
InsCtuConen
notwendig.
Quelle:
Universitätsmedizin
Berlin
#medizin
#spezial
#fachgegenstand
Version
vom
1.
Februar
2011
Für
dieses
Kapitel
wird
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2. 2
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
steigende Realitätsnähe eine zunehmende Ver-
1. Einleitung
breitung. Innovative elektronische Prüfungsformate
Man kann die Aufgaben, die für die Ausbildungen ermöglichen die Überprüfung des kognitiven Wissens
und Studiengänge in den Gesundheitsberufen vorbe- und klinisch-praktischer Handlungs- und Entschei-
reiten sollen wie folgt zusammenfassen: Medizini- dungskompetenzen. Gleichbleibend hohe inhaltliche,
scher Fachmann, Teamworker/in, Gesundheitsbe- didaktische und technische Qualität der Lernsze-
rater/in für die Gesellschaft, Manager/in, Standes- narien sowohl im Bereich der universitären Aus-
vertreter/in und lebenslang Lernende (Öchsner & bildung als auch in der beruflichen Qualifikation,
Forster, 2005). In der Tiermedizin werden die klini- wurden mit der Übertragung medizinischer Qualitäts-
schen Tätigkeiten durch die Bereiche Forschung, Le- kriterien, die eine hochwertige medizinische Versor-
bensmittelüberwachung und staatliche Aufgaben er- gungsqualität gewährleisten sollen, institutionell für
weitert. Neben den diagnostisch- therapeutischen technologiegestützte Lernszenarien etabliert.
Kompetenzen, sind auch Kompetenzen im Bereich
2. Strukturelle
Rahmenbedingungen
für
den
Technolo-‐
der Selbstreflexion, des lebenslangen Lernens, der
gieeinsatz
Selbsteinschätzung, des wissenschaftlichen Denkens
und Arbeitens, der Kommunikation und Teamarbeit, In der tiermedizinischen Aus- und Fortbildung ist
sowie Gesundheitsförderung, Wissen weitergeben zum Beispiel in Deutschland laut §2 TAppV (BGBl,
und medizinische Entscheidungsfindung unmittelbar 2006) es möglich, Teile der Lehrveranstaltungen
durch den Einsatz innovativer Lerntechnologien för- durch E-Learning zu ersetzen. Bis zu 25% der erfor-
derbar. (EAEVE, 2009). derlichen Fortbildungspunkte dürfen durch
E-Learning-Maßnahmen erworben werden. Alle
Die
medizinische
Ausbildung
muss
aufgrund
der
viel-‐ deutschsprachigen tiermedizinischen Bildungsstätten
! fälCgen,
auf
die
Studierenden
zukommenden,
Auf-‐
gaben
sowohl
Fachkompetenz
als
auch
hohe
Sozial-‐
treffen sich halbjährlich, um eine gemeinsame
E-Learning-Strategie festzulegen, Lernmedien aus-
kompetenz
und
prakCsche
FerCgkeiten
vermiEeln. zutauschen und gemeinsam die elektronische Lehre
fortzuentwickeln (Koch et al., 2008). In Österreich
Seit 1999 sind zahlreiche Curricula humanmedizi- und der Schweiz entwickeln sich ähnliche Konzepte
nischer Studiengänge umstrukturiert worden. Ziel der (Veterinärakademie, 2007). E-Learning spielt im
Veränderungen war die Umsetzung kompentenzori- Studium der Tiermedizin eine wichtige Rolle. Die Zu-
entierter Ausbildungsziele und der patientennahe Un- sammenlegung der Fakultäten in Bern und Zürich
terricht. Diese Rahmenbedingungen sowie der mit zur VetSuisse wäre zum Beispiel ohne eine Internet-
ihrer Einführung verbundene Innovationsschub er- übertragung von Vorlesungen von einem Hörsaal
weitern die Möglichkeiten für den Einsatz innova- zum anderen (siehe Kapitel #videokonferenz) nicht
tiver, technologiegestützter Lernszenarien. Die klas- möglich gewesen.
sische Trennung der „patientenfreien Vorklinik“ von In der Humanmedizin existiert eine derartig
der klinischen Ausbildung wird zugunsten einer inter- grundsätzliche Regelung nicht. Da zusätzliche (auch
disziplinären und problemorientierten Wissensver- elektronische) Lehrangebote die gerichtliche Vergabe
mittlung aufgegeben. Praktisches und theoretisches weiterer Studienplätze nach sich ziehen, werden
Wissen werden durch Kleingruppenunterricht E-Learning-Angebote in den humammedizinischen
anhand von typischen und häufigen Krankheits- Studiengängen momentan vor allem ergänzend einge-
bildern während des gesamten Studienverlaufes selb- setzt. Dies erschwert die Umsetzung von E-Learning-
ständig erworben und vertieft (Lernspirale). Fallbei- Angeboten, sofern diese nicht gefördert werden (zum
spiele werden sowohl in der Tier- als auch in der Hu- Beispiel wird der Austausch von Lernmedien durch
manmedizin ergänzend zum Präsenzunterricht als Verbundprojekte wie k-MED und Caseport ge-
standardisierte elektronische, respektive als virtuelle fördert, die überregional Hochschulen miteinander
Lernfälle angeboten. Der Erwerb der unbedingt er- vernetzen). Damit soll die aufwendige Erstellung und
forderlichen theoretischen und naturwissenschaft- der Austausch von fakultativen elektronischen Lehr-
lichen Grundkenntnisse wird mit der Entwicklung materialen erleichtert werden (Zimmer et al., 2005).
übergreifender Kompetenzen (zum Beispiel Diffe- Das erste humanmedizinische Curriculum, das eine
rentialdiagnostisches Denken) und klinischen auf das Lehrdeputat anrechenbare Integration von
Aspekten der Ausbildung verknüpft. Simulationen er- E-Learning als eigenständiger Unterrichtsveran-
leben durch die ständige Weiterentwicklung und Ver- staltung vorsieht, ist der Modellstudiengang Medizin
billigung der zugrundeliegenden Technik und ihrer der Charité in Berlin (ab Wintersemester 2010/2011).
3. Human-‐
und
Tiermedizin.
Technologieeinsatz
im
Gesundheitswesen—
3
Im ärztlichen Fort- und Weiterbildungsbereich ist und die so erworbenen Kenntnisse in praktischen
als Beispiel für den gelungenen informellen Informa- Kursen und mit realen Patienten/innen zu vertiefen
tionsaustausch das Netzwerk Allgemeinmedizin zu (Woltering et al., 2009).
nennen (Waldmann et al., 2008; Fischer, 2004). Der Rapid-Learning-Techniken wie Vodcast oder Pod-
freie Austausch von Daten, obwohl technisch casts (als Vorlesungsaufzeichnungen, siehe #educast)
durchaus möglich, wird zusätzlich durch patienten- werden den Studierenden zur Ergänzung von klassi-
rechtliche Datenschutzfragen erschwert. schen Frontalveranstaltungen für das Selbststudium
Das lebenslange Lernen der medizinischen Fach- angeboten (Schreiber et al., 2010). Diese Angebote
kräfte wird durch den Begriff „Continuing Medical haben eine große Bedeutung in der Vorbereitung auf
Education“ (kurz CME) beschrieben. Ziel der Fort- das sogenannte „Hammerexamen“, das zweite Staats-
bildung ist die qualitativ hochwertige medizinische examen (vier Studienjahre Lerninhalte), das am Ende
Versorgung der Bevölkerung auf dem jeweils aktu- des Studiums von allen Studierenden absolviert
ellen medizinischen Wissensstand. Das Angebot der werden muss. Einige Fakultäten befinden sich mit
Veranstaltungen muss sich in den Berufs- und Leben- einem breiten Angebot in iTunes-University (zum
salltag der medizinischen Fachkräfte integrieren Beispiel Ludwigs-Maximilian-Universität München).
lassen, der durch eine starke Verdichtung der Arbeits- Bei hochschulübergreifenden Angeboten oder in der
abläufe geprägt ist. Die Berufsordnung verpflichtet Fortbildung werden zusätzlich Veranstaltungen in vir-
zur Fortbildung durch den vorgeschriebenen Erwerb tuellen Klassenräumen angeboten. Ein besonderes
von CME Punkten, bei Ärztinnen und Ärzten 250 in Format sind die in diesem Rahmen eingesetzten Live-
fünf Jahren, andernfalls drohen Sanktionen. Die ak- Übertragungen von Patientenvisiten, da hier be-
tuellen E-Learning-Angebote bieten zunehmend die sondere datenschutzrechtliche hohe Anforderungen
Möglichkeit, kleinere Lerneinheiten entsprechend an die Übertragungssicherheit der Online-Veran-
einem Lernportfolio zu absolvieren. Meistens handelt staltung stellen (Jones et al., 2009).
es sich um reine Online-Angebote, selten werden
4. ProblemorienCertes
und
fallbasiertes
Lernen
Blended-Learning-Veranstaltungen mit interaktiven
Komponenten (skriptbasierte Diskussionsforen, Die Untersuchung realer Patienten/innen soll und
Webinare, Chats) angeboten. Die für die Nutzung der kann nicht durch E-Learning ersetzt werden. Vir-
dargestellten Szenarien erforderliche Medienkom- tuelle Fallbeispiele ermöglichen aber den Lehrenden
petenz muss während der Hochschulzeit vermittelt eine größere Anzahl von Patienten/innen zu zeigen,
werden. Gewünscht werden mehrheitlich barrie- sie größeren Gruppe von Lernenden gleichzeitig an-
rearme Angebote mit entsprechender Bediener- zubieten und die Belastung von schwerstkranken
freundlichkeit (Henning & Schnur, 2009; Ehlers et al.; Menschen aller Altersgruppen durch den für eine
2007). hochwertige Ausbildung unbedingt notwendigen Un-
terricht zu vermindern.
3. Technologiebasierte
formale
Lernszenarien
in
der
Tier-‐
und
Humanmedizin
Fallbasiertes
E-‐Learning
mit
dem
Schwerpunkt
auf
vir-‐
Medizinische Curricula sind seit der Einführung des
Reformstudiengangs Medizin in Berlin 1999 einem ! tuellen
PaCenten
wird
in
der
Medizin
etabliert,
um
das
konstrukCve
Erlernen
der
DiagnosCk
zu
ver-‐
ständigen Reformprozess unterworfen, der die Um- bessern.
setzung innovativer technologiegestützter Unter-
richtsformate begünstigt (Weninger et al., 2009). Die Die charakteristische Form des curricular inte-
Mehrheit der medizinischen Hochschulen bieten Stu- grierten E-Learning in den medizinischen Fächern ist
dierenden und Dozierenden klassische Lernplatt- das problemorientierte, fallbasierte Lernen mit virtu-
formen an, auf denen die begleitenden Unterrichts- ellen Krankheitsfällen. Hier geht es um den selbstge-
materialien und E-Learning-Module angeboten steuerten Wissenserwerb an konkreten, impliziten
werden. Durch die Modularisierung der Studienab- und mehrfach interpretierbaren Fallbeispielen unter
schnitte wird das Angebot ergänzender E-Learning- Vermeidung von „trägem Wissen“. Im Sinne von fall-
oder Blended-Learning-Szenarien vereinfacht. Die basierten Schlussfolgerungen soll Erfahrungswissen
traditionellen E-Learning-Techniken wie Web-Based mit hohem Praxisbezug erworben werden. Dafür hat
Training (WBT) und Computer-Based Training sich die Arbeit mit den bereits beschriebenen virtuali-
(CBT) werden zunehmend in Blended-Learning-Sze- sierten echten Patientenfällen als Möglichkeit zur
narien integriert, um Grundlagenwissen zu vermitteln Vorstellung typischer nicht ad hoc durch Patien-
ten/innen repräsentierter Krankheitsbilder und ihrer
4. 4
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
In der Praxis: Pflegeausbildung
In
Hessen
wurde
unter
dem
Titel
InnovaConsverbund
Pflege-‐ dungswissenschaHen
und
Management
für
Pflege-‐
und
Ge-‐
wissen
(Kobbert,
2007)
Lernprogramme
zur
VermiElung
von sundheitsberufe
an
der
FH
Hannover
ist
ein
eigenes
Modul
komplexen
Pflegehandlungen
entwickelt,
die
sich
über „Lehren
und
Lernen
mit
neuen
Medien“
integriert.
mobile
Endgeräte
abrufen
lassen.
Im
Masterstudiengang
Bil-‐
Symptome als nützlich erwiesen. Ziel des Einsatzes modell. Ein an einen Mundhöhlensimulator ange-
dieses Werkzeuges ist es aufgrund der Diagnose- schlossenes Computerprogramm misst die Fort-
stellung die geeignete Behandlung festzulegen und schritte bei der Geschicklichkeit des Studierenden,
mit den Vorschlägen der Experten und Expertinnen sowie den Behandlungserfolg direkt. Bei ihrer Arbeit
abzugleichen, so als würde die Lernenden direkt an werden die Studierenden von erfahrenen Tutorinnen
einer Visite teilnehmen. Es werden den zu vermit- und Tutoren begleitet, die die erforderlichen Hand-
telnden Kompetenzen entsprechend Systeme mit un- griffe und Behandlungen erklären. Die verschiedenen
terschiedlich starkem Simulationsgrad eingesetzt. Zu- genannten Trainingsangebote werden mit ihren
sätzlich wird Verknüpfung von Grundlagenwissen Präsenz- und Online-Anteilen miteinander ver-
mit dem simulativen Training des klinischen, diffe- bunden. Die Präsenzphasen finden zum Teil zentral
rentialdiagnostischen Denkens angeregt (Huwendiek in Trainingszentren statt, die mittlerweile von fast
et al., 2009). Das Spektrum reicht von einer sehr jeder Universität vorgehalten werden.
starken Führung entlang eines Expertenweges (ge- In der Pflegeausbildung spielt E-Learning vor
nannt „Scaffolding“ wie zum Beispiel bei CASUS, allem in den Studiengängen zum Pflegemanagement
CAMPUS), bis zu vollständigen diagnostischen Simu- eine Rolle. Aber auch in der Fortbildung werden elek-
lationen wie zum Beispiel Inmedea. Die Anwendung tronische Lehr- und Lernmedien inzwischen einge-
der virtuellen Fallbeispiele kann in Präsenz, zum setzt, vor allem in der ambulanten Pflege.
Selbstlernen, für kollaboratives oder problemorien-
5. Spezielle
E-‐Learning-‐Angebote
tiertes Lernen in einem Blended-Learning-Szenario
oder als „Task-Based Learning“ also als Lernen an Virtuelle
PaCenten(VIP)
einer Aufgabe erfolgen. Auch von Studierenden ge- Die Innovationen und der Mehrwert durch den
nerierte Fälle im Sinne eines „Lernen durch Lehren“ Einsatz von E-Learning in der Humanmedizin er-
sind eine Variante des Lernens mit virtuellen Fällen geben sich aus der Möglichkeit, physikalische und
(Ehlers, 2009). biologische Prozesse als Modelle der Entstehung von
Simulatoren und haptische Werkzeuge bilden die Krankheiten in Form von eigenständigen Lernmo-
Brücke zwischen den rein virtuellen E-Learning-Si- dulen anzubieten. In diesem Kapitel wird als eine Be-
mulationen und dem Lernen im Umgang mit echten sonderheit der medizinischen Ausbildung der Einsatz
Patienten/innen. Vorrangig besteht das Ziel ihres virtueller Patientinnen und Patienten (fallbasierte
Einsatzes in der Virtualisierung diagnostischer und Lernprogramme) beschrieben. Diese Programme
therapeutischer Interventionen. Sie haben einen haben durch kontinuierliche Weiterentwicklung der
festen Platz in der Ausbildung zur minimal invasiven Virtualisierungstechniken und Abstimmung der In-
Chirurgie, bei Schulung an Ultraschallgeräten, bis hin halte und Prüfungsformate auf die Anforderungen
zum Training der rektalen Untersuchung bei der Kuh kompetenzorientierter Curricula einen großen Stel-
erlangt (Baillie et al., 2005). Augmented-Reality- lenwert in den medizinischen Curricula erlangt. Fall-
Training wird beim Einüben basischer Nahttechniken basierte Lernprogramme (Casus, CAMPUS, Prome-
ebenso eingesetzt, wie im Training komplexer chirur- theus, Inmedea) virtualisieren zu diesem Zweck di-
gischer Eingriffe (Botden et al., 2009). Kritische daktisch verkürzt komplette klinische und ambulante
Notfall-Situationen können ohne Risiko für Pati- Verläufe von realen Patientinnen und Patienten Den
enten/innen an Fullscale-Simulatoren mit einem Nutzern wird ein echter Patient oder eine echte Pati-
ähnlich hohen Standard wie dem Training von Pi- entin vorgestellt, deren gesamte Falldaten multi-
loten/innen in Flugsimulatoren eingeübt werden. medial aufbereitet wurden. Fotos, Videos und Audio-
In der Zahnmedizin lernen Studierende an den materialien dokumentieren die wichtigsten klinischen
Universitäten Heidelberg und Ulm nach der theoreti- Befunde und Symptome, beispielsweise können Hus-
schen Grundausbildung zunächst an einem Kopf- tengeräusche mit dem klinischen Zustand des Pati-
5. Human-‐
und
Tiermedizin.
Technologieeinsatz
im
Gesundheitswesen—
5
enten oder der Patientin durch Videos in Einklang
Was
versteht
man unter
virtuellen
PaCenten/innen?
gebracht werden. Die Anwender/innen führen eine
virtuelle Anamnese durch, erheben körperliche Be- ? Recherchieren
Sie
und
beschreiben
Sie
welche
Vor-‐
teile
der
Einsatz
virtueller
PaCenten/innen
mit
sich
funde und ordnen gezielt Untersuchungen an, mit bringt?
Stellen
Sie
Ihr
Ergebnis
möglichen
Nachteilen
dem Ziel, wichtige weiter in Frage kommende Dia- gegenüber.
gnosen (Differentialdiagnosen) kritisch zu reflek-
tieren. In dem Moment, in dem die Studierenden den Wissensmanagement
echten Patient oder die echte Patientin am Kran- Informelles Lernen findet in allen medizinischen
kenbett antreffen, weist er oder sie die für das Ver- Fachbereichen momentan vor allem im direkten kol-
ständnis und das Erkennen der Erkrankung notwen- legialen Austausch statt. Spezielles patientenbezo-
digen Symptome (beispielsweise Hautausschlag, genens Ergänzungswissen wird vor allem mündlich
Luftnot) oft nicht mehr auf. weiter gegeben. Nicht standardisierte elektronische
Darüberhinaus ermöglichen standardisierte vir- Werkzeuge für eine solche Form des Wissensmanage-
tuelle Lernfälle eine realitätsnahe Darstellung (zu- ments sind derzeit Wikis, Soziale Netzwerke, Foren
meist durch ergänzende Videos, Bild- und Tonmate- und Medienaggregatoren (Youtube, e-meducati-
rialien, Animationen, sowie Labor- und Bildgebungs- on.org) (Kim et al., 2010). Diese Elemente können
befunde) schwerstkranker Patienten. Sie helfen diese durch gezielte Moderation einen ähnlich hohen Lern-
zu entlasten und Studierenden wie auch Ärzten und effekt erzielen, wie reine Präsenzveranstaltungen.
Ärztinnen besser vorbereitet mit Patienten zu prakti- Ansätze dazu finden sich im Helios Kliniken-
zieren. Simulatoren erlauben das kontextnahe verbund oder im Network of Veterinary ICT in Edu-
Training hochkomplexer praktischer Fertigkeiten cation (NOVICE). Auch Blogs, Microblogging und
komplexer operativer Eingriffe, die an echten Pati- RSS-Feeds können zu einem solchen Austausch bei-
enten nicht trainierbar sind (Schout et al, 2009). tragen und finden zunehmend Verbreitung unter Me-
Blended-Learning-Szenarien werden über die Vor- dizinern/innen. Das Hauptproblem solcher Res-
und Nachbereitung von Trainingssituationen hinaus, sourcen liegt in der fehlenden oder unstandardi-
beispielsweise bei der Simulation geburtshilflicher sierten Qualitätssicherung. Diese ist ein zentrales An-
Notfälle durch den Einsatz von Schauspieler-Pati- liegen der Nutzer/innen und Fachvertreter/innen
enten in Verbindung mit einem geburtshilflichen Si- und muss in den Ausschüssen der Standesorganisa-
mulator oder bei der präventiven Erkennung von Be- tionen durch entsprechende Regelungen standardi-
handlungsfehlern eingesetzt (Ellaway et al, 2008). siert werden. Der Zugewinn besteht in der Mög-
Serious Games (siehe #virtuellewelt, #game) ge- lichkeit der Intensivierung der Kommunikation mit
hören zu den Lehrkonzepten, deren Nutzen im Patientinnen und Patienten.
Rahmen neuer didaktischer Lehrszenarien evaluiert
wird (Sostmann et al., 2011). Innovative Interaktions-
systeme, basierend auf großen Multitouchdisplays, Welche
Werkzeuge
eignen
sich
zum
AuWau
von
Fach-‐
die Berührungen von einem oder mehreren Be- ? informaConsnetzwerken?
Recherchieren
Sie
die
Nutzung
von
Blogs,
Mircoblogs
in
medizinischem
nutzern gleichzeitig als Eingabe entgegennehmen wie Kontext
und
beurteilen
Sie
diese
in
Hinblick
auf
Infor-‐
sie im Kleinen bereits in den Smartphones der maConsgehalt
und
Qualitätssicherung.
neuesten Generation eingesetzt werden (Android,
IOS), werden zukünftig die medizinischen Lernum- Elektronische
Prüfungen
gebungen auf der Hardwareseite prägen. Sie können
helfen die Lücke zwischen kostenintensiven Fullscale- Die beschriebenen fallbasierten Lernsysteme bieten
Simulatorpuppen (reagieren auf Gabe von echten auf den Lernfällen basierende digitale Prüfungs-
Medikamenten und manuelle Interventionen, im Hin- systeme an, die den staatsexamensrelevanten Anfor-
tergrund von Experten/innen ferngesteuert) und derungen gerecht werden (Rothoff et al., 2006; siehe
karteikartenbasierten virtuellen Patientenlehrsys- Kapitel #assessment). Die Vorteile elektronischer
temen zu schließen (Wang, 2008; Kaschny et al., Prüfungen in der Medizin ergeben sich dabei aus den
2010). Möglichkeiten, im Verbund mit den neuen Lerntech-
nologien, den Erfolg der Vermittlung der Kompe-
tenzen überprüfen zu können. Zusätzlich ist der
Einsatz der elektronischen Prüfungen mit einer er-
6. 6
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
heblichen Aufwandsreduktion gegenüber der Prä- bereiten. Sie recherchieren und lesen die offiziellen
senzprüfungen verbunden (nach Schaffung der ent- Richtlinien zum Einsatz von Antibiotika in diesem
sprechenden Prüfungspoolkapazitäten). Fall, tauschen sich zu den Neuerungen aus, treffen
In der Tiermedizin werden Prüfungen häufig im dann den/die Patientin am Krankenbett an und
Sinne eines Blended-Assessment als schriftliche mit stellen wichtige Anamnesefragen. Anschließend be-
mündlich-praktischen Prüfungen kombiniert (Ehlers sprechen Sie mit den Lehrenden die Befunde und
et al., 2009). E-Assessment kann in diesem Rahmen vergleichen vor Ort und im virtuellen Lernraum
diagnostisch, formativ oder summativ eingesetzt Röntgenbilder von unterschiedlichen Patienten/innen
werden. Diagnostische Prüfungen werden im und Lungenentzündungstypen. Sie lernen die Leit-
Rahmen psychologischer Motivationstests als Teil des linien (Empfehlungen der Fachgesellschaften) auf die
Auswahlverfahrens der Hochschulen oder am Ende jeweiligen Patienten/innen anzuwenden. In der
eines E-Learning-Moduls vor Eintritt in die Präsenz- Klausur erhalten Sie dann einen virtuellen Patienten
phase einer Blended-Learning-Veranstaltung einge- oder eine virtuelle Patientin mit einer dieser Erkran-
setzt. Formatives Prüfen dient der Selbstüberprüfung kungen und müssen selbständig und schrittweise
und der Vermittlung von Feedback an die Studie- weitere diagnostische und therapeutische Schritte ein-
renden. Zu diesem Zweck werden virtuelle Krank- leiten. Ein Zukunftsvision könnte die adaptive An-
heitsfälle, Feedbacksysteme im Präsenzunterricht passung des Schwierigkeitsgrades der Prüfungsfragen
(zum Beispiel mobile Abstimmungssysteme) oder an das Niveau der jeweiligen Prüfungskandidatinnen
E-Portfolios im klinisch-praktischen Jahr eingesetzt. und kandidaten während der Prüfung durch das Prü-
Beispielsweise müssen die Studierenden die Durch- fungssystem sein.
führung bestimmter praktischer Untersuchungen mit
den Bildern der Patienten elektronisch unter Aufsicht
verschiedener Tutorinnen und Tutoren dokumen- Elektronische
Systeme
in
der
Human-‐
und
Tiermedizin
tieren, um ein bestimmtes praktisches Leistungszerti- ! ermöglichen
ein
effizientes
und
effekCves
Prüfen
unter
Beachtung
der
Gütekriterien
und
werden
flä-‐
fikat zu erhalten. chendeckend
eingesetzt.
Summative elektronische Prüfungen werden über-
wiegend unter Anwesenheitsbedingungen durchge- 6.
Problemfeld
Qualitätssicherung
führt. Die am häufigsten verwendeten Fragetypen
sind bei den summativen Prüfformaten Multiple Grundsätzlich ist für den nachhaltigen Erfolg der
Choice und Bildanalysefragen. In laufenden Pro- elektronischen Lernszenarien in den medizinischen
jekten wird die Nutzung neuer Fragetypen und Prü- Fachdisziplinen eine zertifizierte Qualitätssicherung
fungsformate entwickelt, mit denen die klinische Ent- der technischen und didaktischen Qualität elektroni-
scheidungskompetenz formativ durch die Studie- scher Lernangebote im Rahmen der curricularen Ein-
renden selbst bestimmt getestet werden kann bindung entscheidend. Die Qualitätssicherung kann
(Möltner et al., 2006). Diese Fragen-Formate bieten über universitätsinterne Gremien organisiert werden,
sich in Kombination mit den beschriebenen fallba- die ein Gütesiegel vergeben oder über eine externe
sierten VIP-Fällen als Prüfungswerkzeuge mit multi- Zertifizierung. Ein Gütesiegel für die Humanmedizin
medialem Mehrwert an. Der Vorteil liegt in der adap- wurde von der Charité-Universitätsmedizin entwi-
tiven Prüfbarkeit des kognitiven Wissens und der Er- ckelt. Es wurde von der Bundesärztekammer durch
weiterung der prüfbaren Kompetenzen auf den klini- weitere Standards ergänzt und wird als Rahmenricht-
schen Bereich und der Ergänzung der Fragen durch linie für Fortbildungsanbieter empfohlen (Borg et al.,
interaktive und multimediale Inhalte. Beispielsweise 2010). Dieses Zertifikat kann gleichzeitig als
können lebensbedrohliche Hautausschläge, die an vir- Grundlage für ein Anreizsystem, wie es die Vergabe
tuellen Patienten demonstriert wurden, mit diesem von leistungsorientierten Mitteln darstellt, dienen.
Format auch in der Prüfung von nicht lebensbedroh- Ein weiteres Muster für Qualitätssicherungsmaß-
lichen unterschieden werden. Auf der Ebene der nahmen in den Gesundheitsberufen könnten die Ber-
Entscheidungskompetenz können den Studierenden liner Multimedia-Kriterien oder das Gütesiegel des
dann weitere diagnostische oder therapeutische VEBN sein (IB&M-Projekt ETHIKMEDIA, 2008;
Schritte abverlangt werden. VEBN, 2010). Deutlich umfangreicher ist eine Quali-
Ein Blended-Learning-Prüfungsszenario könnte tätssicherung nach DIN PAS 1032-1/2, die im medi-
so aussehen, dass die Studierenden sich vorab online zinischen Bereich aus logistischen Gründen bisher
mit dem virtuellen Patienten oder der virtuellen Pati- kaum durchgeführt wird.
entin auf das Krankheitsbild Lungenentzündung vor-
7. Human-‐
und
Tiermedizin.
Technologieeinsatz
im
Gesundheitswesen—
7
Als direkte Konsequenz der Förderprojekte des ▸ EAEVE - European Association of Establishments for Vete-
Bundes wurde die Einrichtung von zentralen rinary Education (2009). Annex IV: List of Recommended Es-
E-Learning-Beratungsstellen an medizinischen Fakul- sential Competencies at Graduation: "Day-one-Skills". In:
täten empfohlen. Momentan ist dies in einigen deut- EAEVE Standard Operating Procedures, May 2009, URL:
schen Bundesländern fakultätsübergreifend (Berlin, http://www.eaeve.org/fileadmin/downloads/sop/SOP_An-
Baden-Württemberg), fakultätsintern aber nur an we- nex4to8_Hanover09.pdf [2010-12-28].
nigen, großen medizinischen Fakultäten umgesetzt. ▸ Ebert, M. (2006). Konzeption und Implementierung einer
Die Weiterentwicklung der Kriterien für qualitativ policy-basierten Privacy Management Architektur für föderierte
hochwertige medizinische E-Learning-Szenarien ist Identitätsmanagementsysteme am Beispiel Shibboleth.
über die Fachgesellschaften, wie die Deutsche Gesell- München: LMU München, Diplomarbeit, URL: http://ww-
schaft für Medizinische Ausbildung (GMA), die euro- w.mnm-team.org/proj/www/mnm/htdocs/pub/Diplomar-
päische Fachgesellschaft für medizinische Ausbildung beiten/eber06/PDF-Version/eber06.pdf [2010-12-28].
(AMEE) oder deren tiermedizinischen Ableger ▸ Ehlers, J.P. (2009). Peer-to-Peer-Learning in der tiermedizini-
ViEW gewährleistet. schen Lehre : Am Beispiel von CASUS-Fällen. Bremen: Di-
In Österreich ist es möglich bis zu zwei Drittel der plomica Verlag.
geforderten ärztlichen Fortbildungspunkte durch ▸ Ehlers, J.P.; Carl, T.; Wind, K-H., Möbs, D.; Rehage, J. &
qualitätsgesicherte E-Learning-Angebote zu erlangen Tipold, A. (2009). Blended Assessment: Mündliche und elek-
(Arztakademie, 2010). Die Schweizer Fortbildungs- tronische Prüfungen im klinischen Kontext. In: Zeitschrift für
ordnung sieht E-Learning ebenfalls als reguläres Hochschulentwicklung 4, 3, URL: http://www.fnm-
Fortbildungsformat vor. austria.at/zfhe/xowiki/264786 [2010-12-28], 24-36.
Tiermedizinische Bildungsstätten werden euro- ▸ Ehlers, J.P.; Wittenberg, B.; Fehrlage, K.F. & Neumann, S.
paweit vergleichend regelmäßig von der European (2007). VETlife - continuing veterinary education arranged by
Association of Establishments for Veterinary Edu- eLearning. In: D. Remenyi (Hrsg.), ECEL 2007 - 6th European
cation (EAEVE) evaluiert und im Hinblick auf ihr Conference on e-Learning, Reading: Academic Conferences,
Qualitätsmanagement in der Lehre akkreditiert. Der 2007, 183-187.
Einsatz elektronischer Lehr- und Lernmedien wird ▸ Ellaway, R.; Poulton, T.; Fors, U.; McGee J.B. & Albright, S.
durch diese Institution wertgeschätzt. Dies hat den (2008). Building a virtual patient commons. In: Med Teach.
Stellenwert der E-Learning-Angebote in dieser Dis- 2008, 30(2), 170-4.
ziplin deutlich gesteigert und damit direkte Auswir- ▸ Fischer, M.R. (2004). Caseport. URL:
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Erst
eine
funkConierende
Qualitätssicherung
ist
die der Vleuten, C.P.; Haag, M.; Hoffmann, G.F. & Tönshoff, B.
! Voraussetzung,
dass
E-‐Learning-‐Module
sinnvoll
ein-‐
gesetzt
werden
können.
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und
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