Poser: Rechtsprechungsübersicht zu Verkehrssicherungs- und Betreiberpflichten...
Rinsche, Damm: Persönlichkeitsrechte im Kulturbetrieb
1. G Presse- und Persönlichkeitsrecht
G2 Persönlichkeitsrecht
Persönlichkeitsrechte im Kulturbetrieb
Grundlagen des Persönlichkeitsrechts nach dem Caroline-Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und den Bü-
cherverboten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
Dr. Karen Rinsche
Verlagsjustitiarin und Rechtsanwältin in Düsseldorf; Lehrbeauftragte der Konrad-
Adenauer-Stiftung, St. Augustin, und des Instituts zur Förderung Publizistischen
Nachwuchses (IFP) in München
Renate Damm
Rechtsanwältin in Hamburg
Inhalt Seite
1. Einleitung 2
2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht 2
2.1 Entwicklung 2
2.2 Umfang des Persönlichkeitsschutzes 5
2.3 Kein absoluter Schutz 12
3. Besondere Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts 14
3.1 Urheberpersönlichkeitsrecht 15 G
3.2 Postmortales Persönlichkeitsrecht 17 2.1
S. 1
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat für den Kunst- und Kulturschaffenden
eine große und sogar doppelte Bedeutung: Zum einen steht der Künstler selbst im
Blickpunkt der Öffentlichkeit. Er wird in den Medien zunehmend über seine
private Persönlichkeit und nicht nur über seine Kunst wahrgenommen. Zum
anderen muss der Künstler – vor allem der Autor oder Theater - bzw. Filmregis-
seur – immer häufiger damit rechnen, dass seine dem realen Leben entstammen-
den (Haupt-)Figuren es mit Blick auf ihre Persönlichkeitsrechte nicht hinnehmen,
als Vorlagen zu dienen und – oft erfolgreich – gerichtlich dagegen vorgehen. Die
Folge ist im schlimmsten Fall ein Verbot, z. B. einen Roman vertreiben zu dürfen.
Der Beitrag informiert Sie, inwieweit dieser rechtliche Schutzumfang nach der
neuen Rechtsprechung den Betroffenen umgibt und welchen Einschränkungen er
unterliegt. Anhand von Beispielen werden u. a. Teilbereiche des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts, wie z. B. Namens-, Urheberpersönlichkeitsrecht und das
Recht am Bild, vorgestellt.
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2. G Presse- und Persönlichkeitsrecht
G2 Persönlichkeitsrecht
1. Einleitung
Der Kulturbetrieb ist im Wesentlichen öffentlich. Er sucht naturgemäß die Öffent-
lichkeit und spielt sich auch größtenteils in der Öffentlichkeit ab. Damit interes-
siert sich auch die Öffentlichkeit für die Menschen, die im Kulturbetrieb tätig
sind. Schauspieler, Sänger, Regisseure sind längst nicht nur wegen ihres künstle-
rischen Schaffens, sondern auch – oder sogar vor allem – als Prominente wegen
ihres Privatlebens interessant. Die außereheliche Affäre einer Fernsehmoderato-
rin, die Schwangerschaft einer Opernsängerin, der Streit zwischen Publizisten –
Zeitungen, Zeitschriften, das Fernsehen und auch das Internet sind täglich voller
Meldungen, Berichte, Fotos und Filmchen von Stars der Kulturszene.
Was müssen sich Künstler von den Medien gefallen lassen? Müssen Kulturschaf-
fende es hinnehmen, dass man ihren Namen, ihre Stimme und ihr äußeres Erschei-
nungsbild karikierend herabwürdigt? Autoren verarbeiten in ihren Werken häufig
Autobiografisches: In welchem Ausmaß muss die ehemalige Freundin es dulden,
die Beziehung mit dem Autor vor der Öffentlichkeit seziert zu sehen („ESRA“)?
Darf ein Roman die Planung und Ausführung der Tötung des Bundeskanzlers be-
schreiben („Das Ende des Kanzlers“)? Das Fernsehen arbeitet in Dokumentationen
auch zeitgeschichtliche Skandale auf: Muss ein Beteiligter, muss ein von einem
solchen Skandal Betroffener zusehen, wie sein Fall vor einem Millionenpublikum
aufgearbeitet wird („Contergan – Eine einzige Tablette“)?
Dieses ist nur ein kleiner Abriss möglicher Konflikte zwischen der Öffentlichkeit,
dem öffentlichen Interesse an Künstlern und ihrem Leben. Die Darstellung des
G menschlichen Lebens in der Kunst spielt naturgemäß eine große Rolle. Die Frei-
2.1 heit der Kunst ist in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ausdrücklich gewähr-
S. 2 leistet. Das bedeutet jedoch nicht, dass, quasi unter dem Mäntelchen der Kunst-
freiheit, jede Darstellung privater Bereiche anderer Menschen zulässig ist. Das
Regulativ ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR). Dieses hat in unserem
Rechtssystem einen hohen Stellenwert.
Die Akteure des Kulturbetriebes sind immer wieder und immer häufiger mit dem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht konfrontiert. Daher sollte der rechtliche Schutz-
umfang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch den Kulturschaffenden ein
Begriff sein. Diesem Ziel dient die nachfolgende Darstellung.
2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
2.1 Entwicklung
Die wichtigste rechtliche Grundlage für Auseinandersetzungen im Zusammen-
hang mit dem Schutz der menschlichen Persönlichkeit, das sogenannte allgemei-
ne Persönlichkeitsrecht, ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, sondern wurde
von der Rechtsprechung entwickelt.
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3. G Presse- und Persönlichkeitsrecht
G2 Persönlichkeitsrecht
Erstmalig wurde der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vom Bundes-
gerichtshof (BGH) in der Leserbrief-Entscheidung im Jahre 19541 unter Bezug-
nahme auf Art. 1 GG, dem Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde und
dem Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, als privates, von jedermann
zu achtendes Recht anerkannt. Es wurde festgestellt, dass das allgemeine Persön-
lichkeitsrecht als ein verfassungsgemäß gewährleistetes Grundrecht anzusehen
ist. Bei dieser Entscheidung verlangte ein Rechtsanwalt für einen Mandanten
vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel die Veröffentlichung einer presserechtli-
chen Gegendarstellung. Der Spiegel druckte den Anwaltsbrief einfach als Leser-
brief, noch dazu in gekürzter Form ab. Dieser verlangte daraufhin, dass Der Spie-
gel die Tatsache widerrufe, der Rechtsanwalt habe einen Leserbrief an das Nach-
richtenmagazin geschickt. Der BGH gab dem Rechtsanwalt Recht und stellte fest,
dass Der Spiegel das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Anwaltes dadurch ver-
letzt hatte, dass das anwaltliche Aufforderungsschreiben für seinen Mandanten als
Leserbrief, quasi in eigener Sache, noch dazu in gekürzter Form veröffentlicht
wurde.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht setzte sich in Rechtsprechung und Schrift-
tum rasch durch. Wie in der Leserbrief-Entscheidung des BGH2 geht es bei dem
Schutz durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht um eine abstrakte rechtli-
che Konstruktion, sondern darum, dass bei seiner Verletzung bestimmte Ansprü-
che gegen den Verletzer geltend gemacht werden können. Bei der Leserbrief-
Entscheidung war dies der Anspruch auf Veröffentlichung eines Widerrufs in Der
Spiegel. Sehr häufig löst die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Ansprüche auf Unterlassung und insbesondere auf materiellen, aber auch immate-
riellen Schadensersatz aus3. Es war wiederum die Rechtsprechung, die bei Verlet- G
zung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Ersatz in Geld „auch für immateriel- 2.1
le Schäden“ zusprach. Eine derartige Geldentschädigung wurde vom BGH be- S. 3
reits im Jahre 1958 ausdrücklich in der Herrenreiter-Entscheidung4 anerkannt, bei
der es um die Veröffentlichung eines Fotos mit einem bekannten Turnierreiter für
die Werbung eines männlichen Potenzmittels ging. Das Bundesverfassungsge-
richt (BVerfG) hat diese Rechtsentwicklung der Zivilgerichte in der Soraya-
Entscheidung5 als mit dem Grundgesetz vereinbar bestätigt. Der Fall betraf ein
erfundenes Interview mit der persischen Ex-Kaiserin, bei dem das BVerfG aus-
drücklich feststellte, dass der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in
unserer Rechtsordnung verankert ist.
Dabei wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht heute insbesondere auf Art. 2
Abs. 1 GG, also auf das Recht der freien Entfaltung gestützt, wobei die Gewährleis-
tung der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht auf den Kernbereich der Persönlich-
keit begrenzt ist, sondern die Lebensführung in ihrer Gesamtheit erfasst. Das allge-
meine Persönlichkeitsrecht ist daher nur ein Element des Art. 2 Abs. 1 GG und
hängt eng mit der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde zusammen.6
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4. G Presse- und Persönlichkeitsrecht
G2 Persönlichkeitsrecht
Zivilrechtlich hätte es bei der Schaffung des bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
nahegelegen, das Persönlichkeitsrecht in die von § 823 Abs. 1 BGB geschützten
Lebens- und Persönlichkeitsgüter einzubeziehen. Obgleich ursprünglich vom
Gesetzgeber anders beabsichtigt, taucht die Persönlichkeit als solche bei den in
§ 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechten (Eigentum, Körper, Gesundheit, Leben,
Freiheit) nicht auf. Dabei hätte es der Tradition der um die Mitte des 19. Jahrhun-
derts in Deutschland geltenden Rechtslage nach Ansicht einiger Autoren durchaus
entsprochen, das Persönlichkeitsrecht in stärkerem Maße in den ausdrücklichen
Schutzbereich dieses Paragrafen einzubeziehen.7 So sah etwa der damals im
Rheinland geltende Code Civil vor, dass auch ideelle Interessen schutzwürdig
seien und im Falle der Verletzung zu Ersatzansprüchen führen. Letztlich scheiter-
te die Aufnahme eines umfassenden persönlichkeitsrechtlichen Tatbestands in
§ 823 BGB. Dagegen spräche, dass Ehre und Persönlichkeit Lebensgüter seien,
die in ihrem Ausmaß ständiger Veränderung unterlägen, weswegen ein genereller
Schutz ausscheiden müsse.8 Außerdem bestehe die Gefahr, der Entfaltung anderer
Persönlichkeiten könnten „schwere Hemmnisse“ auferlegt werden.9
Nachdem sich die Absicht, die Ehre in den Katalog der geschützten Rechtsgüter
des § 823 Abs. 1 BGB aufzunehmen, nicht durchsetzen ließ, erkannte man, dass
der zivilrechtliche Ehrenschutz lückenhaft blieb. Nur solche Ehrverletzungen, die
in den Bereich der Strafbarkeit fielen, waren über den Verweis des BGB (§ 823
Abs. 2) auf die Beleidigungstatbestände des Strafgesetzbuches zivilrechtlich
angreifbar. Obgleich man vor diesem Hintergrund mit dem in § 824 BGB nor-
mierten Tatbestand der Kreditgefährdung, wonach eine wahrheitswidrige Tatsa-
chenbehauptung im Hinblick auf die wirtschaftliche Wertschätzung von Personen
G und Unternehmen zum Schadensersatz berechtigt, den Ehrenschutz erweiterte,
2.1 war hiermit noch immer kein Schutz der Persönlichkeit als solcher geschaffen,
S. 4 weil die Kreditgefährdung allein den wirtschaftlichen Bereich umfasst. Den Ge-
setzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber den Kreis der
Schadensersatzberechtigten auf alle in irgendeiner Weise durch eine Tatsachen-
behauptung nachteilig betroffenen Personen ausdehnen wollte.10
Die obengenannten Bedenken gegen die Aufnahme eines allgemeinen Persön-
lichkeitsrechts in § 823 BGB oder gegen die gesetzliche Normierung überhaupt
waren von Anfang an nicht unumstritten. Erst das Grundgesetz verankerte also
die Menschenwürde und die sich frei entfaltende Persönlichkeit. Damit war der
Weg frei für einen stärkeren Persönlichkeitsschutz.
Nach heutigem allgemeinen Verständnis ist als Teilbereich der in Art. 2 Abs. 1
GG normierten Handlungsfreiheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht besonders
geschützt, wobei es um Verhaltensweisen geht, die in besonderem Zusammen-
hang mit der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Würde des Menschen stehen und
daher sogar eines stärkeren Schutzes bedürfen als sonstige Verhaltensweisen.11
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