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Prof. Dr. Gernot Wolfram: Die Bedeutung der Creative Industries für internationale Vernetzungen im Kulturbereich
1. A 2.3
Zwischen Aufbruch und Hybris
Die Bedeutung der Creative Industries für internationale Vernetzungen
im Kulturbereich
Prof. Dr. Gernot Wolfram
Seit einigen Jahren ist der Begriff „Creative Industries“ bzw. „Kreativwirtschaft“ ein zentraler Dis-
kursgegenstand für die Entwicklung von neuen Berufs- und Arbeitschancen in den zahlreichen
Feldern der kreativen Branchen. Besonders vor dem Hintergrund der im Kulturmanagement viel
diskutierten ökonomischen Zwänge erschien über einen langen Zeitraum das Konzept der Kreativ-
wirtschaft als eine Art Wundermittel, zumindest ein verheißungsvolles Instrument, um hier neue
Lösungen anzubieten.
Gliederung Seite
1. Vorbemerkungen 2
2. Kreativwirtschaft – ein politischer Begriff? 2
3. Zum problematischen Selbstverständnis der Kreativwirtschaft 4
4. Narrative als Integrationsfaktor für unterschiedliche Projektformate 6
5. Kreativwirtschaft und internationale Netzwerkentwicklung 8
6. Kommunikationsformen 10
7. Zusammenfassung 11
1
2. A 2.3 Kultur und Management
Kulturmanagement im internationalen Vergleich
1. Vorbemerkungen
Zum Begriff der Zurückgehend auf Richard Floridas1 Buch“ The rise of the creative
Kreativwirtschaft class“ (Florida 2002) wurde und wird dabei der Begriff Kreativwirt-
schaft folgendermaßen definiert: „Die schöpferischen und gestalten-
den Menschen sind die Basis der Kultur- und Kreativwirtschaft: Auto-
ren, Filmemacher, Musiker, bildende und darstellende Künstlerinnen
und Künstler, Architekten, Designer und die Entwickler von Compu-
terspielen schaffen künstlerische Qualität, kulturelle Vielfalt, kreative
Erneuerung und stehen zugleich für die wirtschaftliche Dynamik einer
auf Wissen und Innovation basierenden Ökonomie. Die Kultur- und
Kreativwirtschaft wird insbesondere von Freiberuflern sowie von
Klein- und Kleinstbetrieben geprägt. Sie sind überwiegend erwerbs-
wirtschaftlich orientiert und beschäftigen sich mit der Schaffung, Pro-
duktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen
oder kreativen Gütern und Dienstleistungen.“2
Kreativwirtschaft Hierbei wird deutlich, dass der Projektcharakter innerhalb der ange-
geprägt durch sprochenen Branchen im Vordergrund steht, da gerade in der Kreativ-
Projektcharakter wirtschaft die Beschäftigung mit einzelnen Projekten und ihrer erfolg-
reichen Realisierung der zentrale Bestandteile des jeweiligen Selbst-
verständnisses darstellt.
Neue Viele Agenturen, freiberufliche Unternehmer, Künstler und freie
Herausforderungen Gruppen sind ständig damit beschäftigt, neue Kooperationen, Förde-
rungen und Projektmittel zu organisieren. Diese mittlerweile staatlich
geförderte und fokussierte Konzentration auf Branchen mit einer star-
ken Affinität zu Projekten stellt neue Herausforderungen an die Netz-
werkbildung, vor allem im internationalen Bereich dar. Gleichzeitig ist
er wahrscheinlich einer der kulturpolitisch genutzten Ausreden, um
institutionelle Förderung und langfristige nachhaltige Planungen in
einen Bereich zu verschieben, der dafür nicht geeignet ist. Der vorlie-
gende Beitrag erhellt anhand einiger grundsätzlicher Überlegungen die
Chancen und Risiken dieser Entwicklung und untersucht die Potenzia-
le der bestehenden Netzwerkangebote.
2. Kreativwirtschaft – ein politischer Begriff?
Um den Begriff Kreativwirtschaft sinnvoll einzuordnen, ist es wichtig,
zunächst nach der Bedeutung seiner sehr breit aufgestellten Defini-
tionen zu fragen. In einem Städtevergleich zwischen Wien, Barcelona,
Berlin, London, Mailand und Paris zur Entwicklung der Kreativwirt-
schaft, erstellt von der „Österreichischen Kulturdokumentation“
(Häfele et. al 2005) heißt es: „Kultur spielt als Wirtschaftsfaktor und
identitätsstiftendes Merkmal einer Region eine immer größere Rolle.
(…) Die Reputation von Regionen und Städten auf Grund dieses
kreativen Potentials ist selbst schon zu einem Wirtschaftsfaktor ge-
worden.“ (Häfele et. al 2005: 3)
2
3. Kultur und Management A 2.3
Kulturmanagement im internationalen Vergleich
Hier zeigt sich eine erste Problematik: Kreativität und kulturelle Re- Kultur als
präsentationen werden als Beitrag zu einer spezifischen Ökonomie- Wirtschaftsfaktor
Logik herangezogen, ohne dass hier in jedem Fall eine explizite
Reflektion dieser Vereinahmung erfolgt. Gleichwohl zeigt sich, dass
es ganz faktische Gründe gibt, kulturelle und kreative Prozesse zu-
mindest von dieser Seite zu beleuchten. Die bereits erwähnte Studie
zeigt auf, dass die Kulturausgaben der benannten Städte eine ganz
wesentliche Rolle bei der Positionierung als jeweilige Metropolen für
Kreative spielen. So betrugen etwa die Kulturausgaben der Stadt
Barcelona für das Jahr 2002 96,8 Millionen Euro, für Berlin 720
Millionen Euro, für London 230,17 Euro, für Mailand 93,121 Euro,
für Paris 253 Millionen Euro und für Wien 227,86 Millionen Euro.
(Häfele et al. 2005: 9)
Freilich ließe sich hier einwenden, dass diese Zahlen heute schon als
obsolete Daten angesehen werden können, da sie keinen hohen Aktua-
litätswert mehr haben. Für die hier gestellte Thematik sind sie aber
insofern interessant, da sie in eine wichtige Entwicklungsphase des
Bewusstseins für die Kreativwirtschaft fallen und somit entscheidende
Faktoren waren, den Stellenwert der Kreativbranchen für Stadt- und
Regionenentwicklung zu verstehen. Die häufig von der Politik als
subventionsbelastete Branchen verstandenen Arbeitsfelder wurden
plötzlich zu zentralen Fokussierungen, um Städte und Regionen neu in
einem internationalen Kontext zu positionieren. Zugleich wurden die
projektbezogenen Arbeitsansätze vieler Branchen häufig dazu genutzt,
eine Verschiebung der Aufmerksamkeit von festen, dauerhaften Ar-
beitsplätzen auf temporär angelegte Berufsengagements politisch so
zu nutzen, dass sie als Positiveffekt beschrieben werden konnten.
Hierin liegt mit Sicherheit einer der problematischen gesellschaftli-
chen Entwicklungen innerhalb der Kreativwirtschaft.
Dennoch versuchen die offiziellen staatlichen Seiten genau diesem Kreativwirtschaft stabil
Eindruck zu widersprechen, wie etwa ersichtlich wird auf dem in der Wirtschaftskrise
Informationsportal des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie: „Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist deutlich mo-
derater durch die Wirtschaftskrise gekommen als andere Wirtschafts-
branchen. Im Vergleich zum Jahr 2008 stieg die Zahl der Erwerbstäti-
gen in der Branche leicht von einer Million auf rund 1,024 Millionen
(1,8 Prozent). Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
erhöhte sich von 763.000 auf rund 787.000. Der Umsatz in der Bran-
che ist zwar – um 3,5 Prozent – auf 131,4 Milliarden Euro gesunken,
damit war der Umsatzrückgang allerdings deutlich geringer als in der
Gesamtwirtschaft (dort 8,5 Prozent). Der Umsatzanteil der Kultur-
und Kreativwirtschaft an der Gesamtwirtschaft lag im Jahr 2009 bei
2,7 Prozent. In Folge der wirtschaftlich schwierigen Gesamtentwick-
lung in 2009 sank der Beitrag der Kultur- und Kreativwirtschaft zur
Bruttowertschöpfung (BIP) auf knapp 63 Milliarden Euro im Ver-
gleich zu geschätzten 65 Milliarden Euro in 2008.“3
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4. A 2.3 Kultur und Management
Kulturmanagement im internationalen Vergleich
3. Zum problematischen Selbstverständnis
der Kreativwirtschaft
Aufgrund der Diversität von ganz unterschiedlichen Akteuren inner-
halb der Kreativwirtschaft lassen sich keine generellen Charakteristika
festhalten, sehr wohl jedoch spezifische Tendenzen und Trends. Im
Zentrum der Überlegungen steht hier die unreflektierte Inanspruch-
nahme des Begriffes „Kreativität“ für das strukturelle Funktionieren
von geistigen Leistungen.
Problematisch: Kreativität Problematisch ist bereits der einigende Begriff „Kreativität“, der an-
als Industriebereich ders als der Begriff der Kultur klar die Orientierung auf ökonomisch
messbare Ergebnisse und Resultate impliziert. Die gesellschaftliche
Verwendung des Begriffes „kreativ“ intendiert im Kontext der Krea-
tivwirtschaft eine klare Erwartungshaltung, die durch neue Zusam-
menschlüsse und Kooperationen einen „Industriebereich“ erschaffen
soll, der sich mit anderen Industriebereichen vergleichen lassen muss.
Hierbei ist festzustellen, dass dieser Ansatz kaum Faktoren wie Zeit,
Experiment, Verwerfen von Ideen, Neuprobieren und vor allem Wan-
del durch Rezeption angemessen berücksichtigt.
Kultur- und Kreativwirt- So beschreibt etwa der „Kultur- und Kreativwirtschaftsindex 2011
schaftsindex 2011 Berlin Berlin Brandenburg“ (KKI)4 die verschiedenen Vor- und Nachteile
Brandenburg von Standorten. Der Report erhebt in den verschiedenen Sparten Pro-
bleme, etwa was Akzeptanz von kreativer Arbeit in der Gesellschaft
und die Entwicklung von Absatzmärkten betrifft, geht aber nicht auf
die Schwierigkeiten des Selbstverständnisses von Branchen ein, die
eben naturgemäß nicht darüber definiert werden können, welche Pro-
duktionszahlen sie liefern, es sei denn man lässt als Parameter Fragen
nach Qualität und künstlerischer Innovation weg. Im Gegenteil be-
schreibt die IHK Berlin die Förderung der Kreativwirtschaft als ein
Prozess mit einer klaren Gewinnorientierung: „Diese Entwicklung gilt
es zu manifestieren, auszubauen und das noch längst nicht ausge-
schöpfte Potenzial zu nutzen. Zum Wohl Berlins, für die Außenwir-
kung Berlins und für eine zukunftsträchtige und gewinnorientierte
Branche.“ (IHK Berlin/Creative Industries)
Kreativität unterliegt Freilich ist grundsätzlich nichts gegen eine Gewinnorientierung ein-
anderer Produktionslogik zuwenden, wenn sie jedoch in den Mittelpunkt einer Definition rückt,
ergibt sich eine Problematik hinsichtlich der Besonderheiten kreativer
Arbeit, die ja gerade in einer genuin anderen Produktionslogik ent-
springen als etwa die Herstellung von Schuhen, Parfüms oder Autos.
Insofern lässt sich festhalten, dass ein zentraler Widerspruch innerhalb
der Kreativwirtschaft bereits in der Wahl von Definitionen besteht, die
an den spezifischen Produktionsbedingungen von kreativen Prozessen
vollkommen vorbei geht. Nicht ohne Grund wählt hier das Kulturma-
nagement andere Positionen. Statt auf projektbezogene Zusammen-
schlüsse zu setzen, werden im Kulturmanagement mittlerweile länger-
fristige Perspektiven diskutiert, um mit dem Druck schwieriger Markt-
verhältnisse zurecht zu kommen.
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