2. Vorgeschichte der Deutschen. Geschichte
germanischer Stämme
• Herkunft und Definitionen der Begriffe
„Germane“, „Germanien“
• Wandelprozesse im germanisch-deutschen Konsonantismus
(Grimmsches Gesetz,
Zweite Lautverschiebung, (Ur-)Germanisch,
Gotisch)
• Klassifikation der germanischen Stämme
• Germanische Großstämme
(Sachsen, Franken, Alemannen, Thüringer, Bayern,
Friesen)
• Römer und Germanien
(Kaiser Julius Cäsar / Tacitus, Kaiser Augustus / Arminius /
Varusschlacht / Kalkriese / Teutoburger Wald,
Völkerwanderung / Limes / Fall Roms / Ende der Antike)
3.
4. Der Weg germanischer Stämme zur ersten staatlichen Bildung
Germanische Großstämme der Alemannen (Schwaben), Franken,
Bayern, Sachsen, Thüringer
Eingliederung der Stämme ins Fränkische Reich (ab 6. Jh. bis 814,
von Chlodwig I. bis Karl den Großen)
Teilung des Fränkischen Reichs (Vertrag von Verdun 843)
Ostfränkisches Reich (Ludwig der Deutsche)
(Heiliges) Römisches Reich (deutscher Nation) (962)
Genannt auch: Das Erste Reich (962 – 1806).
6. Die Begründung Europas. Das Frankenreich (5. – 9. Jh.)
Das Mittelalter (476 – 1492)
- Frühmittelalter (6. – 9. Jh.)
- Hochmittelalter (10. – 13. Jh.)
- Spätmittelalter (Mitte 13. – Ende 15. Jh.).
Frühes Mittelalter . Die Geschichte des
Frankenreichs (5. – 9. Jh.)
Bedeutendste Reichsbildung des frühen Mittelalters,
die romanische und germanische Völker umfasste.
Franken an den Anfängen zweier europäischer
Staaten: Frankreichs und Deutschlands.
7. Perioden in der Geschichte des Frankenreichs:
1. Reich der Merowinger (481 – 751);
2. Reich der Karolinger (768 – 814);
3. karolingische Reichsteilungen (843, 870, 880).
Das Reich der Merowinger (481 – 751)
Bedeutendster Vertreter: Chlodwig I. (482 – 511), eigentlich
Stammesführer der Franken, Begründer des Reichs:
- ermordet alle Verwandten;
- unterwirft gewaltsam und einigt alle anderen fränkischen
Teilkönigreiche (z.B. Burgund) sowie weitere germanische
Stämme (z.B. Alemannen);
- macht Paris zur Hauptstadt ;
- lässt sich 496 zum Christentum bekehren / taufen (beginnt
mit dem Schwert das Christentum zu verbreiten);
8. • ermöglicht die Verschmelzung der römischen mit der
germanischen Bevölkerung;
• legt den Grundstein für das christliche Abendland.
Infolge der „Inkompetenz“ und Schwäche weiterer
merowingischer Herrscher kommt es zu deren Ablösung auf
dem Thron durch die Pippiniden (später: Karolinger), die bis
dahin Palastchefs (Hausmeier / Majordomus) waren,
vertreten von:
- Karl Martell (717 – 741), genannt der Hammer / Hausmeier;
- Dessen Sohn Pippin III., der Jüngere (751 – 768), Hausmeier,
seit 751 der König / Ende der Merowinger;
- Dessen Sohn Karl der Große (768 – 814), Enkel Karl Martells;
10. Karolingische Bildungsreform / Renaissance
• Entstehung des Kulturraums „Europa“
• Ausschlaggebende Rolle der christlichen Kirche mit deren
Einrichtungen (Bischofssitze, Klöster, Pfarreien), des
Bollwerks für die Kontinuität der Kultur, für die Kunst des
Lesens und Schreibens , der Verbreiterin des Lateinischen ,
der Sprache des Römischen Reichs, des Römischen Rechts.
• Karl macht Latein zur Amtssprache des Reichs / Lingua
Franca, zur Sprache des gesamten Schriftwesens, der
Gesetzgebung und Verwaltung, der Wissenschaft und
Literatur und wird zum Schöpfer des mittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Bilinguismus.
11. • Einführung des einheitlichen Schulwesens, Einrichtung der
Schulen an Bischofskirchen und Klöstern.
• Entwicklung der Wissensgesellschaft, Berufung der
Gelehrten von den britischen Inseln und aus dem
Langobardenreich.
• Verbreitung der karolingischen Minuskel im ganzen Reich
durch Alkuin (730 – 804, angelsächsischer Gelehrter,
Ratgeber Karls des Großen in kirchlichen und kulturellen
Belangen) mit dem Ziel, ein Dokument überall lesbar zu
machen.
12. Karls Vermächtnis an Europa: der Feudalismus
• Karl der Große wird groß, weil er rings um das Frankenreich
ein Randgebiet nach dem anderen erobert. Er überzieht es
mit Feudalismus und Christentum und schafft so die
Basislager, von denen aus die europäischen Staaten neu
gegründet werden konnten.
• Er erobert das Langobardenreich in Italien; das bringt die
Dauer-Verbindung mit dem Papst.
• Er erobert die nördlichen Provinzen Spaniens, Sizilien,
England, unterwirft die heidnischen Sachsen.
• Das führt zur Schaffung der Grundlagen für die Entstehung
der wichtigsten europäischen Länder und auch dafür, was
später Deutschland heißen wird.
13. Feudalismus
• Karl Martell musste die Araber abwehren und somit das
Militär wie folgt organisieren.
• Wer sich militärisch mit seinem Gefolge engagierte, bekam
Land zum eigenen Gebrauch geliehen, das er zum Teil wieder
schon an sein Gefolge weiterverleihen konnte. Damit stärkte
Karl Martell die Abwehr und stoppte die Araber um 732.
Gesellschafts- und Wirtschaftsform des europäischen
Mittelalters auf der Grundlage des Lehnswesens (ленная
система, система вассалитета)
feodum, feudum (mlat.) – Lehnsgut (ленное поместье)
s Lehen (vom Verb „leihen“) – zur Nutzung verliehener Besitz
r Lehnsherr – сеньор, сюзерен, феодал
r Lehnsmann, r Vasall – ленник, вассал
14. Merkmale des Feudalismus
• Die Produktion war stark von der Naturalwirtschaft geprägt.
• Der überwiegende Teil der Bevölkerung bestand aus Bauern. Sie
waren aber nicht Eigentümer des von ihnen bestellten Landes.
Dieses Land war Eigentum des Grundherrn. Die Bauern befanden
sich im Zustand der Hörigkeit, sie waren also persönlich abhängig
vom Grundherrn und unfrei. Das bedeutete:
• Sie waren an die Scholle (das zu bestellende Land) gebunden und
hatten nicht das Recht, es zu verlassen.
• Sie waren der Rechtsprechung ihres Herrn unterworfen.
• Sie schuldeten den Grundherren Abgaben, sowohl in Form von
Arbeitsleistungen auf dem direkt vom Grundherren bestellten Land,
als auch in Form von Naturalabgaben, die aus demjenigen Stück
Land aufgebracht werden mussten, das sie selbst bewirtschafteten
(Fron, Zehnt). Die Frondienste oder die Naturalabgaben konnten im
Verlauf der Entwicklung auch durch Geldabgaben abgelöst werden.
15. • Das Eigentum des Grundherrn war auch nur bedingt, denn er hatte
es als Lehen von einem höhergestellten Adligen erhalten, dem er
dafür Kriegsdienste (Heeresfolge) schuldete. Er war also sein Vasall.
• Heeresfolge (auch Heerfolge) ist ein Begriff aus dem
mittelalterlichen Lehnswesen und bezeichnet die Pflicht, seinen
Lehnsherren im Kriegsfall militärisch unterstützen zu müssen.
• Zur damaligen Zeit war das Bedürfnis des Königs nach einer
Kontrolle des Adels sehr groß, deshalb band man ihn an das
Königshaus. Man gewährte ihm Schutz und Sicherheit und gab ihm
ein Stück Land (Beneficium, dingliches Lehen) zur freien Verfügung.
Im Gegenzug musste er dem König Treue schwören und in
Friedenszeiten zur Beratung zur Verfügung stehen, in Kriegszeiten
für die Heeresfolge.
• So wurden die Adligen zu sogenannten Kronvasallen, die das Recht
hatten, einen Teil ihres Landes an Untervasallen zu verleihen, die
wiederum Bauern darauf wirtschaften ließen und ihnen Schutz
gewährten. Aus den Reihen der Untervasallen und Bauern (die an
ihren Beschützer den Zehnten zahlen mussten) stammten die
Männer zur Führung von Kriegen, sie leisteten Heeresfolge.
16. • Das Lehnswesen ist eine besondere Beziehung zwischen dem
König und seinen Fürsten. Der König (Lehnsherr) gab den
Fürsten (Lehnsleuten, Vasallen) zur Bewirtschaftung das Land
(Lehnsvergabe). Im Gegenzug mussten die Fürsten für den
König Kriegsdienste leisten und ihm Vasallentreue schwören.
Das heißt Heeresfolge leisten. So musste der Vasall dem
Lehnsherrn zum Kriegsdienst zur Verfügung stehen. Damit
wurden Adlige zu Kronvasallen des Königs, die ihr Land
wiederum an Untervasallen zur Bewirtschaftung verliehen.
Die Untervasallen waren damit ebenso zur Heeresfolge
verpflichtet.
Lehnswesen = Vasallentreue + Lehensvergabe.
Wer aber den Treueeid brach, wurde bestraft, aus der feudalen
Gemeinschaft ausgestoßen.
17. So kam es zu so einer sozialen Lehnspyramide:
Ein höherer Lehnsmann (ein König, ein Herzog),
hat durch Vergabe von Lehen und Lehnseid/Heeresfolge
einen Lehnsmann (einen Herzog, einen Reichsgrafen),
der auch durch Vergabe weiterer Lehen und Treueid / HF
seine eigenen Lehnsleute / Untervasallen (z.B. Landgrafen)
hat.
18. Karls Vermächtnis an die Deutschen: die
Kaiserkrone
• Krönung Karls 800 zum Kaiser (in Rom vom Papst) –
Wiederbelebung der Idee des Römischen Reichs (800 / 962 – 1806),
sieht sich als dessen Nachfolger .
• Nach Karls Tod 814 - Dauerstreit um das Erbe.
• Das Ergebnis - die Spaltung des Reiches in Deutschland und
Frankreich.
• Streit um den Rest: nämlich Italien, in dem Deutschland gewann.
• Das wurde Deutschlands Fluch, es wurde „Heiliges Römisches Reich
Deutscher Nation“ seit 962 (Otto I.). Seitdem wurde das Kaisertum
den Deutschen zum Verhängnis.
• Ergebnis: Ständig prügelten sich die deutschen Fürsten darum,
Kaiser zu werden. Das verhinderte, dass rechtzeitig eine
Erbmonarchie entstand, die das Land einigen konnte: Zum
deutschen Kaiser wurde man gewählt (Wahlmonarchie).
19. So wechselte die Kaiserkrone immer wieder die Besitzer in folgender
Reihenfolge:
1. im 10. Jh. regierten die Sachsen-Herzöge (Ottonen) als Kaiser
(kennzeichnende Vornamen Heinrich und Otto);
2. im 11. Jh. waren es die Franken-Herzöge (Salier)
(kennzeichnende Vornamen Heinrich und Konrad);
3. im 12. Jh. waren die Schwaben-Herzöge an der Macht (Staufer)
(kennzeichnende Vornamen Heinrich und Friedrich);
4. im 13. Jh. herrscht Durcheinander – generelle Rivalität und
Interregnum;
5. in den 14.-15. Jh. / 90 Jahre lang, von 1347 bis 1437 regierten
der Luxemburger Karl IV. und seine Söhne aus Prag;
6. von 1438 bis 1806 ist die Kaiserkrone im Hause österreichischer
(und somit aus Wien regierender) Habsburger erblich.
21. Karolinger (843 – 911), Ludwig der Deutsche (843 –
876), Enkel Karls des Großen
• Vereinigung germanischer Großstämme der Bayern,
Franken, Sachsen, Thüringer und Alemannen
(Schwaben) im Fränkischen Reich, nach dem Vertrag
von Verdun 843 im Ostfränkischen Reich.
• Bewusstmachung erster einzelner Gemeinsamkeiten:
Sprache, Religion, Alltagssitten (etwa Trinksitten etc.)
• Verwendung des Begriffs „theodiscus“ von den
anderen nichtostfränkischen Stämmen und Völkern
fördert über weitere Jahrhunderte die
Identitätsstiftung der Deutschen.
22. 10. Jh.: Ottonen / Liudolfinger / Sachsenkönige
(919 – 1024), Otto I. /der Große (936 – 973)
• Krönung zum deutschen König (regnum teutonicum) 936 im
Aachener Dom.
• Schlacht auf dem Lechfeld 955 gegen die Magyaren.
Auswirkung als Einigungsfaktor auf die Stämme im
Ostfränkischen Reich.
• Krönung zum Kaiser des Römischen Reichs (imperium
romanum) 962, Anknüpfung an die Kaiseridee Karls des
Großen.
• Folgen: Entstehung des Überlegenheitsgefühls, Anspruch
über andere Herrscher Europas zu stehen, häufige
jahrelange Aufenthalte deutscher Könige und (designierter)
römischer Kaiser in Italien, währenddessen
Vernachlässigung des eigentlichen deutschen Königtums
23. • Entstehung des Deutschen Reiches als einer
Wahlmonarchie (der König wird von den
Reichsfürsten – später Kurfürsten – gewählt).
Folgen:
- Eine herausragende Rolle der Fürsten und
Geistlichen,
- Adlige und Klerus agieren selbständig,
- Schaffung der Grundlage für föderale
Strukturen auf deutschem Boden, für
kommende politische Zerrissenheit und
Kleinstaaterei
24. Begriffe zum Film „Otto und das Reich“
• Karolingische Vorgeschichte
• Begriffe aus dem Prozedere der Königserhebung, feudale Strukturen
• Zur Geschichte des Deutschen und des Wortes „deutsch“. Bedeutung
der deutschen Sprache für die Ethnogenese der Deutschen, das
älteste deutsche Buch
• Reisekönigtum, Ottos Pfalzen
• Schlacht auf dem Lechfeld, Magyaren, der Faktor „Außenfeind“
• Italienzüge, Orientierung des Reichs nach Italien und deren Folgen
• Kaiserkrönung , Bedeutung und Nachwirkung der Reichsidee, Mythos
„Kaiserreich“, Reichsinsignien
• Meilensteine der Regierungszeit Ottos I.
• Erinnerungsorte und -gegenstände der Regierungszeit Ottos I.
• Besonderheiten der Ethnogenese der Deutschen
25. Besonderheiten der Ethnogenese der Deutschen
im Mittelalter
Ethnogenese: Verschmelzung einzelner Stämme zum Volk
innerhalb eines Kunststaates
Fördernde Faktoren für die Herausbildung des Wir-Gefühls,
die Stärkung des Zusammenhalts
• Sprache, Begriffe „Theodisci“ / „Teutonici“.
• Religion, Kirche als Klammer des Reichs.
• Heiraten über Stammesgrenzen hinweg.
• Krönung Heinrichs I. 919 als ersten Sachsen auf
deutschem Thron (Folge: Entstehung der Einsicht, dass
verschiedene Dynastien den Thron besteigen können.)
• Schlacht auf dem Lechfeld 955.
• Italienzüge deutscher Herrscher, Kreuzzüge.
26. Politische Besonderheiten der Geschichte der Deutschen
führten zur mittelalterlichen und neuzeitlichen
politischen Zerrissenheit / zur Kleinstaaterei und zuletzt
zum gegenwärtigen deutschen Föderalismus
Hemmende Faktoren
• Wahlmonarchie statt Erbmonarchie. Angewiesensein auf
den Konsens der Fürsten. Der König ist kein
absolutistischer Herrscher. Im Prinzip beschränkte sich
seine Macht nur auf Hausgüter. Fürsten (Kurfürsten) sind
eigentliche Machtträger. So haben die Fürsten das Reich
zum Fürstenreich gemacht.
• Zwang, mannigfaltige Interessen des Adels und der
Kirche zu berücksichtigen. So kommt es oft zur
Abtretung der Privilegien an Reichsfürchten und Bischöfe
27. • Reisekönigtum und Italienfahrten. Das Fehlen
einer Zentrallandschaft
• Verwaisung des Reichs durch langjährige
Aufenthalte der Kaiser in Italien,
währenddessen können die Fürsten ihre
Macht ungehindert ausbauen.
31. Ständesystem
Im Mittelalter und der frühen Neuzeit gliederte sich die
Gesellschaft Europas in mehrere Stände.
• Der 1. Stand – Angehörige der hohen Geistlichkeit
wie des niederen Klerus.
• Der 2. Stand – der Adel (Hochadel, Niederer Adel /
Edler).
• Der 3. Stand – freie Bauern und Bürger.
• Die meisten Menschen (Gesinde,Händler, Bettler) –
kein Stand.
33. Der Klerus
• Geistliche / Geistliche Fürsten / r Klerus
Römische-katholische Kirche
1. Papst, Pontifex (in Rom) / „Heiliger Vater“, „Eure Heiligkeit“
2. Kardinal / „(Euer) Eminenz“
3. Erzbischof / „Hochwürdigste Exzellenz“ (dazu: s Bistum)
4. Bischof /„Exzellenz“ oder „Euer Bischöfliche Gnaden“
5. Pfarrer / „Hochwürden“ oder „Hochwürdiger Herr Pfarrer“ (dazu: e
Pfarrei)
6. Diakon
Vorsteher(in) eines katholischen Klosters / einer Abtei
• r Abt, e Äbtissin / „euer Gnaden“, „hochwürdigster Herr Prälat“
Orthodoxe Kirche
1. Patriarch
2. Metropolit
3. Erzbischof, Bischof, Erzpriester, Priester, Diakon
34. Fünf Weltreligionen
1. Das Christentum (2,1 Mrd. Anhänger)
2. Der Islam (1,3 Mrd.)
3. Hinduismus (850 Mio.)
4. Buddhismus (375 Mio.)
5. Das Judentum (15 Mio.)
35. Das Christentum
1. Römisch-katholische Kirche („allumfassend“)
2. Griechisch-orthodoxe Kirchen (ab 1054,
„rechtgläubig“)
3. Evagelische Kirche (ab 1517, nach Luthers
Reformation)
4. Freikirchen
37. Das Wort „deutsch“ und seine Wurzeln
• Das Bewusstsein einer kulturellen oder gar nationalen
Zusammengehörigkeit war den germanischen und
frühdeutschen Einwohnern Mitteleuropas weitgehend fremd.
Das Reich Karls des Großen vereinte ihre Stämme zwar
erstmals unter einer politischen Herrschaft, aber daraus
erwuchs noch keine »deutsche» Identität. Man fühlte sich als
Thüringer oder Sachse, Baiuware (Männer aus Böhmen),
Franke (Freie) oder Alemanne (Gesamtheit der Männer).
• Die Herausbildung einer deutschen Identität ging langsam und
verwickelt vonstatten. Keinem bewussten PIan entsprungen, fand
die Genese der Sprach- und Kulturnation gewissermaßen hinter
dem Rücken der Beteiligten statt. Wie bei kaum einem anderen
europäischen Volk war die Sprache der entscheidende
Geburtshelfer. Dieser Prozess spiegelt sich in der Metamorphose,
die das Wort «deutsch» durchlief.
38. • Der Begriff deutsch leitet sich vom althochdeutschen diutisc
(westfränkischen *Þeodisk) ab, was ursprünglich „zum Volk
gehörig“ bedeutete (germanisch Þeudā, althochdeutsch
diot[a], Volk). Mit diesem Wort wurde vor allem die
Volkssprache aller Sprecher eines germanischen Idioms
bezeichnet, in Abgrenzung zum Welschen der romanischen
Nachbarvölker, dem Französischen oder Italienischen, und
auch in Gegensatz zum Latein der christlichen Priester im
eigenen Gebiet der germanischen Völker.
• Das Adjektiv diutisc oder theodisk bedeutete also
ursprünglich soviel wie „zum Volk gehörig“ oder „die Sprache
des Volkes sprechend“ und wurde seit spätkarolingischer Zeit
zur Bezeichnung der nicht-romanischsprechenden
Bevölkerung des Frankenreichs aber auch der Angelsachsen
benutzt. Es entstand in Abgrenzung zum Latein der Priester
wie auch zum walhisk, der Bezeichnung für die Romanen, aus
der das Wort Welsche entstanden ist.
39. • Der erste wichtige Beleg ist eine Textstelle aus dem 4.
Jahrhundert, eine Passage in der gotischen Bibelübersetzung
des Bekehrers Wulfila. In seiner griechischen Vorlage fand er
als Gegenbegriff zu jüdisch den Begriff ethnikos, „zum Heiden-
Volk gehörig“. Wulfila übersetzt ihn ins Gotische mit dem
Wort thiudisko. Die nichtjüdischen Völker, die noch christlich
bekehrt werden sollten, wurden so zusammengefasst. Wulfila
schrieb für seine gotischen Stammesgenossen, er musste
einen Begriff verwenden, den sie verstehen und auf sich
beziehen konnten: þiudisko als das dem (eigenen) Volk
Zugehörige.
40. • Während die einzelnen Sprachen und Dialekte der germanischen
Völker eigene Namen trugen – „Fränkisch“, „Gotisch“ usw. –, wurde
das althochdeutsche Wort diutisc als Gesamtbegriff für diese
Mundarten erfolgreich, weil man einen gemeinsamen Kontrast zu
anderen Sprachen sah. Dieses Gegenüber bildeten die romanischen
Sprachen in den Ländern, in die man durch die Völkerwanderung
gekommen war, bzw. im romanisch gebliebenen „Frankreich“ sowie
das Latein der Kleriker. Die Sprache des eigenen Volkes (theut) bzw.
der Völkergruppe, innerhalb derer man sich verständigen konnte,
war demnach die theudische Sprache, die deutsche Sprache. Zum
ersten Mal erwähnt wurde die deutsche Sprache als Volks-Sprache in
einem Brief des päpstlichen Nuntius Gregor von Ostria an Papst Hadrian I.
über zwei Synoden, die 786 in England stattgefunden hatten. Im Brief hieß
es wörtlich, dass die Konzilsbeschlüsse tam latine quam theodisce („auf
Latein wie auch in der Volkssprache“) mitgeteilt wurden, „damit alle es
verstehen könnten“ (quo omnes intellegere potuissent).
• In seiner (althoch-)deutschen Form diutsch bzw. tiutsch lässt es sich zuerst
in den Schriften Notkers des Deutschen belegen.
41. • Erst seit dem 10. Jahrhundert bürgerte sich die Anwendung des
Wortes diutisc auf die Bewohner des Ostfrankenreichs ein, von dem
heute der flächenmäßig größte Anteil zu Deutschland gehört.
• In Ostfranken, aus dem sich Deutsch-Land = deutschsprachiges Land
entwickelte, hatte die Mundart des Stammes noch eine größere
Bedeutung, da dort die Abgrenzung auch zwischen den einzelnen
germanischen Stämmen verlief. Otfrid von Weißenburg verwendete
865 in seinem Evangelienbuch das lateinische Wort theodisce und
verdeutlichte es mit frenkisg.
• Die Funktion der Zusammenfassung wird in der Dichtung des
Mittelalters deutlich, aber auch im Sachsenspiegel von 1369, wo es
heißt: „Iewelk düdesch lant hevet sinen palenzgreven: sassen,
beieren, vranken unde svaven“ („Jegliches deutschsprachige (bzw.
deutsche) Land hat seinen Pfalzgrafen: Sachsen, Baiern, Franken
und Schwaben“).
• Fremdbezeichnungen. In anderen Sprachen werden die Namen für das
Deutsche von einer Vielzahl anderer Grundwörter neben dem
althochdeutschen diutisc abgeleitet.
42. Etymologie des Wortes „deutsch“ (Zusammenfassung)
• Nicht von einem Volks- oder Stammesnamen abgeleitet,
• sondern geht auf ein altes Substantiv der Bedeutung „Volk, Stamm“
zurück.
• mhd. diut[i]sch, tiu[t]sch, ahd. diutisc, „deutsch“, seit dem 10. Jh.
bezeugt und steht neben dem schon im 8. Jh. belegten mlat.
theodiscus „zum Volk gehörig, volksgemäß“ (mlat. 'theodisca
lingua' war die amtliche Bezeichnung der germanischen
[altfränkischen] Sprache im Reich Karls des Großen).
• Zugrunde liegt ein westfränk. Adjektiv *peodisk (als Gegenwort zu
*walhisk „romanisch").
• Es ist mithilfe des Suffixes -isc (nhd. -isch) zu dem später
untergegangenen gemein-germ. Substantiv mhd. diet, ahd. diot[a],
got. piuda, aengl. deod, aisl. pjöd „Volk" gebildet, das auch im
ersten Glied germ. Personennamen wie Dietrich, Dietmar erscheint
und außerdem der Sippe von tdeuten zugrunde liegt.
43. • In der Geschichte des Wortes 'deutsch' spiegelt sich die
Herausbildung des deutschen Sprach- und Volksbewusstseins
gegenüber den romanischen und romanisierten Teilen der
Bevölkerung im Frankenreich und gegenüber dem
Lateinischen.
• In der Auseinandersetzung zwischen West- und Ostfranken ist
das Wort „deutsch“ zur Gesamtbezeichnung der
Stammessprachen im Osten des Frankenreichs, dem späteren
Deutschland, geworden.
• Abl.: verdeutschen „ins Deutsche übersetzen" (im 15. Jh.
vertutschen, dafür mhd. diutschen „auf Deutsch sagen,
erklären"); Deutschtum „deutsche Eigenart" (Anfang des 19.
Jh., zuerst ironisch gebraucht, ersetzt es dann das ältere
„Deutschheit“), dazu mit abschätzigem Sinn Deutschtümelei
(1. Hälfte des 19. Jh.). Zus.: Deutschland (seit dem 15. Jh.
neben der Fügung „das deutsche Land“, mhd. daz. tiutsche
lant, Plural tiutschiu lant).
44. Materialien zur Vorlesung
• Donhauser K., Fischer A., Mecklenburg L. Interaktive Einführung in die
historisches Linguistik des Deutschen. – Berlin, New Yourk: Mouton de
Gruyter, 2007.
• Geschichte und Geschehen. Atlas digital. Ernst Klett Verlag.
• Н. Басовская. Зарождение средневековой цивилизации Западной
Европы в 2-х частях. Видеолекция. www.tvkulture.ru
• Ю. Латынина. Код доступа от 23.10.2010 (фрагмент о германцах и
абсолютном насилии, 1:17). www.echo.msk.ru
• www.diedeutschen.zdf.de / Römer in Germanien
• Н.Басовская. Radioprogramm «Все так» / www.echo.msk.ru:
- Хлодвиг - основатель королевства франков;
- «Был ли великим Карл Великий?
• Ф.Энгельс. Происхождение семьи, частной собственности и
государства