1. Das Polynomproblem
Heinrich Hartmann
November 2003
Satz. Sei f ∈ C∞(R) mit der Eigenschaft, dass ∀ x ∈ R ∃ n ∈ N mit f(n)(x) = 0. Dann ist f ein
Polynom.
F¨ur den Beweis ist es n¨utzlich, zuerst einige Aussagen separat zu beweisen.
Definition 1. Sei X ⊂ R, f : X → R:
• f heißt polynomiell in x, falls es eine Umgebung U von x gibt mit f|U ist ein Polynom.
• f heißt lokal polynomiell, falls f in jedem Punkt polynomiell ist.
Lemma 2. Ist f : (a, b) → R, a, b ∈ R, a < b lokal polynomiell, so ist f (= f|(a,b)) ein Polynom.
Beweis. Sei c ∈ (a, b) beliebig aber fest, betrachte
I := sup{(k, l) ⊂ (a, b) | k < c < l, f|(k,l) ist Polynom} (= ∅) (1)
=
”
Das gr¨oßte Intervall um c, auf dem f ein Polynom ist“ (2)
Angenommen I =: (k, l) = (a, b), dann ist a < l oder b > l. Sei nun o.E. b > l (anderer Fall genauso).
Da f lokal polynomiell in l existiert eine offene ε-Umgebung U von l, sodass f|U ein Polynom ist.
Wir m¨ussen nun noch sicherstellen, dass f|U und f|I dasselbe Polynom repr¨asentieren. Das folgt
jedoch sofort, da das Polynom f|U durch seinen Verlauf auf U ∩ (a, l) eindeutig festgelegt ist (Satz
von Taylor). Also ist (a, l) U ein gr¨oßeres Intervall um c, auf dem f ein Polymon ist. Widerspruch
zu (1).
Lemma 3. Sei U ⊂ R ein offenes Intervall, n ∈ N. Ist f(n) : U → R ein Polynom, so ist auch f
ein Polynom.
Beweis. F¨ur d ∈ U l¨asst sich f(n) in der Form
f(n)
(x) =
m
k=0
f(k+n)(d)
k!
(x − d)k
(3)
schreiben. Integrieren wir nun diese endliche Summe, erhalten wir
f(n−1)
(x) =
m
k=0
f(k+n)(d)
k!(k + 1)
(x − d)k+1
+ f(n−1)
(d) =
l
i=1
aixi
(4)
f¨ur geeignete (ak)k∈N, l ∈ N also ist f(n−1) wieder ein Polynom. Die Behauptung folgt nun sofort
durch Induktion nach n.
2. Lemma 4. Sei U ⊂ R offen, f ∈ C∞(U, R) lokal polynomiell auf (a, b) und (b, c),
a, b, c ∈ R, (a, c) ⊂ U, dann ist f auf (a, c) ein Polynom.
Beweis. Nach Lemma 2, sind f|(a,b) und f|(b,c) Polynome. Dann sind f|(a,b] und f|[b,c) auch Poly-
nome (Stetigkeit). Entwickeln wir beide in b folgt Gleichheit.
Satz von Bair 5. Sei E ein vollst¨andiger metrischer Raum, und An ⊂ E, n ∈ N abgeschlossene
Mengen mit der Eigenschaft, dass E = n∈N An. Dann enth¨alt mindestens eines dieser An eine
offene ε-Kugel.
Zum Beweis dieses Satzes vgl. z.B. H.Heuser, Funktionalanalysis.
Beweis des urspr¨unglichen Satzes. Wir beweisen den Satz in mehreren Schritten:
1. Zun¨achst brauchen wir zwei Bezeichnungen:
C := {x ∈ R | f nicht lokal polynomiell in x}
Mn := {x ∈ R | f(n)
(x) = 0} = (f(n)
)−1
({0})
2. Eigenschaften von C und Mn:
R =
n∈N
Mn (5)
Das Komplement von C ist offen, da es Umgebung aller seiner Punkte ist, also ist C abge-
schlossen.
Als Urbild der abgeschlossenen Menge {0} unter der stetigen Abblidung f(n) sind alle Mn
abgeschlossen.
3. C enth¨alt keine isolierten Punkte, denn w¨are y ∈ C ein solcher Punkt, so w¨urden Intervalle
(x, y) und (y, z) exsitieren, mit f|(x,y) und f|(y,z) Polynom. Nach Lemma 4 ist nun f auf der
Umgebung (x, z) von y ein Polynom. Widerspruch zu y ∈ C.
4. C ist als abgeschlossene Teilmenge von R vollst¨andig und mit der Standardmetrik auch ein
metrischer Raum. Nehmen wir also an, C sei nicht leer, dann liefert der Satz von Bair f¨ur C:
(Mn) ist eine abgeschlossene ¨Uberdeckung von R, also auch von C ⊂ R. Es folgt:
∃ k ∈ N, t ∈ C, ε > 0 so, dass
Uε(t) ∩ C ⊂ Mk (6)
5. Wir betrachten nun ein beliebiges (aber festes) x ∈ Uε(t)∩C. Wir wissen aus (3), dass x kein
isolierter Punkt von C ist, also muss x ein H¨aufungspunkt von C sein. Damit h¨auft sich auch
Uε ∩ C und somit Mk also die Nullstellen der k-ten Ableitung in x.
Mit dem Satz von Rolle 1 folgt zun¨achst dass sich die Nullstellen von f(n+1) in x h¨aufen und
weiter per Induktion:
f(n)
(x) = 0 ∀ n ≥ k (7)
Da jedoch x ∈ Uε ∩ C beliebig war, ist diese Aussage auch f¨ur alle Punkte aus Uε ∩ C wahr:
f(n)
|Uε(t)∩C = 0 ∀ n ≥ k (8)
1
Zwischen zwei Nullstellen einer stetig differenzierbaren Funktion liegt auch immer eine Nullstelle der Ableitung.
3. 6. Nun wollen wir noch eine Aussage f¨ur das Komplement von C in Uε gewinnen. Sei jetzt
x ∈ Cc ∩ Uε. Wir betrachten nun die Zusammenhangskomponente (r, s) von x, also das
gr¨oßte Intervall in Cc das x enth¨alt. Klar: f|(r,s) ist ein Polynom.
Da nach wie vor der Mittelpunkt t von Uε in C liegt, ist sichergestellt, dass wir mit (r, s) ⊂ Cc
nicht an beiden Seiten aus Uε herauslaufen. Sei also o.E. r als Randpunkt von Cc Element
von C ∩ Uε
2. Wir k¨onnen das Polynom f|(r,s) um r entwickeln:
f|(r,s)(x) =
m
k=1
f(k)(r)
k!
(x − r)k
(9)
Da jedoch r ∈ Uε(t) ∩ C ⊂ Mk, wissen wir, dass f(n)(r) = 0 ∀ n ≥ k. Es folgt:
f(n)
|(r,s) = 0 ∀ n ≥ k (10)
7. Damit haben wir nun alles, was wir brauchen: x war aus Cc ∩ Uε beliebig gew¨ahlt, damit ist
f(k)
|Cc∩Uε = 0 (11)
und f¨ur C ∩ Uε haben wir diese Aussage schon in (5) gewonnen. Wir haben also
f(k)
|Uε = 0 (12)
Nach Lemma 3 ist dann f|Uε ein Polynom, also ein Widerspruch zu t ∈ Uε ∩ C.
C musste also leer sein.
2
Zur Erinnerung: C abgeschlossen, Cc
offen vgl. (2).