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     PORTFOLIO | JUNGE TALENTE




                                          Karin Jobst

                                          Grenzgängerin
                                          in Sachen Farbe




     54         PHOTO International 1 | 2012
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       Eine Fotografin, die längst die Grenze der
       dokumentarischen Fotografie überschritten hat
       und die Sehgewohnheiten, auch ihre eigenen,
       erweitern will. Die Arbeitsweise von Karin Jobst
       fordert dem Betrachter wie dem Filmmaterial
       einiges ab. Das geht nur analog.

            Vor mehr als fünfzig Jahren ist in Grundremmigen das erste Kern-
        kraftwerk Deutschlands in Betrieb gegangen. Seitdem wird über Ri-
        siken und Nutzen der Kernkraft diskutier t. Man dar f annehmen,
        dass die Problematik auch Karin Jobst als politisch engagierte Frau
        bewegt hat. Zumal sie in der Nähe des KKWs aufgewachsen ist. Mit
        ihrer ersten großen, fotografischen Arbeit „Atomar – Zone 1“ hat sie
        sich dem Thema genähert, wie sie gleichzeitig ein Stück der eigenen
        Vergangenheit im Nichtsichtbaren der Bilder verarbeitet hat. In gera-
        dezu ästhetischen Bildern zeigte sie die cleane Welt eines Hightec-
        Betriebes und konfrontier te diese mit den Landschaften der un-
        mittelbaren Umgebung. Die Serie, heute mehr fach ausgestellt –
        zuletzt im Sommer in der Galerie von Robert Morat in Hamburg – war
        zugleich die Diplomarbeit, die das Fotografiestudium 2007 bei Prof.
        Katharina Bosse an der Fachhochschule Bielefeld abschloss und in
        ein Künstlerbuch mündete.

        Langzeitbeobachtungen
            In dieser Arbeit zeigt sich der bewusste und gezielte Einsatz von
        Farbe, wie er später das bestimmende Stilmittel bei Karin Jobst wer-
        den soll. Die gesättigten Farben der Innenräume mit dem etwas dif-
        fusen Farbstich des Kunstlichts schaffen, so die Fotografin, „eine la-
        tente Uneindeutigkeit in der Wahrnehmung, eine Empfindung, die durch
        die formale Komposition (stürzende Linien, angeschnittene Flächen,
        die die Sicht in den Raum hinein behindern) verstärkt wird.“ Karin Jobst
        bleibt am Thema, wenn sie von ihrem Langzeitprojekt des Umstruk-
        turierungsprozesses rund um Wackersdor f berichtet. Ehemals ein
        Gebiet mit Braunkohletagebau, war das Dorf in den achtziger Jahren
        in den Schlagzeilen, als der politische Kampf um den Bau der ato-
        maren Wiederaufbereitungsanlage das Leben der dortigen Bürger
        bestimmte. Seit 2007 begleitet Karin Jobst den Wandel des Geländes
        zu einem modernen Industriestandort: „Auf den ehemaligen Industrie-
        flächen sehe ich heute Freizeitanlagen und Seengebiete.“
            In zwei weiteren Arbeiten entwickelt die Fotografin ihre Formen-
        sprache der weichen Farbräume weiter. Zum einen, wenn sie den New
        Yorker Stadtteil Brooklyn aus ungewohnten Blickachsen betrachtet
        und Versatzstücke von willkürlich abgelegten oder installier ten           Seit Beginn der Arbeiten zur Hamburger Elbphilharmonie fotografiert Karin Jobst vor Ort.




                                                                                                               1 | 2012 PHOTO International                             55
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     PORTFOLIO | JUNGE TALENTE




     56         PHOTO International 1 | 2012
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        Gegenständen zum gestalterischen Element erklärt. Dieselbe Vor-
        gehensweise dann auch bei einer weiteren Langzeitstudie: Seit Bau-
        beginn der Elbphilharmonie in Hamburg – Karin Jobst lebt vor Ort –
        besucht sie regelmäßig die (wohl nie endende) Baustelle, um dort
        zu filmen und zu fotografieren. Die Filmsequenzen verarbeitet sie
        dann im eigenen, analogen Farblabor wiederum zu Fotografien.

        Belastbarkeit des Materials
            Wie überhaupt ihre Vorgehensweise die analoge Fotografie vor-
        aussetzt. Seit ihrem Studium, als sie für die Diplomarbeit von Kodak
        mit Filmmaterial unterstützt wurde, ist sie dem Verfahren, auch der
        Marke, treu geblieben: „Bei meiner Arbeitsweise brauche ich einen
        belastbaren Farbfilm, weil ich mit meiner Mamiya RZ 67 bei Spiegel-
        vorauslösung lange Belichtungszeiten habe. Das war der VC 400 oder
        160, heute benutze ich den Portra 160 oder 400.“ Und sie fordert
        dem Film wirklich einiges ab, wenn sie damit experimentiert. So hat
        sie die Kassette ihrer Kamera derart manipuliert, dass gezielt Licht
        einfallen darf. Das verursacht eine latente Vorbelichtung, die Farben
        verändern sich, Streifen markieren das Bild wie grafische Muster,
        seltsame „Farbtemperaturen“ entstehen. All das ist kalkuliert. „Es
        ist wie beim Autofahren, wenn man den Gang beinahe automatisch
        einlegt,“ sagt Karin Jobst, „ich weiß genau, wie ich die Kassette ein-
        setzen kann und auch wie der Portra-Film auf Licht und Bewegung
        (denn manchmal wird auch die Kamera bewegt) reagiert.“ Schließlich
        tut sie ein Übriges und fertigt die Farbabzüge selbst an: „Nur ich weiß,
        dass alle und welche Farbinformationen auf dem Film sind.“ Und die
        bestimmen schließlich das fertige Bild.
            Ihr Anliegen ist, herkömmliche Wahrnehmungsstrukturen in Frage
        zu stellen, auf fotografischer Ebene zu forschen (sowohl bei der Auf-
        nahme als auch im Farblabor) und den bildgebenden Rahmen auf vi-
        sueller Ebene zu erweitern. Mit anderen Worten: Karin Jobst ist eine
        passionierte Gratwanderin zwischen Dokumentarismus und freier
        Interpretation.                                                      eh


                                 Karin Jobst, 1973 in Landshut geboren, lebt und
                                 arbeitet in Hamburg.
                                 Fotografenlehre im Werbestudio Graggo in Neutraubling.
                                 2002 – 2007 Studium der Fotografie an der
                                 FH Bielefeld, Diplom bei Katharina Bosse.
                                 2008 – 2010 Masterstudium an der Hochschule für
                                 Bildende Künste Hamburg bei Silke Grossman und
                                 Wim Wenders.
                                 Berufung in die Fotografische Akademie GDL.
                                 Verschiedenen Ausstellungen u. a. in London, bei den
                                 Darmstädter Fototagen, Stadtmuseum München,
                                 Kunsthaus Hamburg, Galerie Robert Morat Hamburg.
                                 Z. Zt. Arbeit an einem Projekt in den USA.
                                                                                          Fahle Farben und technische Makel sind wohlkalkuliert. Aus der Serie zu Brooklyn, N.Y.




                                                                                                                       1 | 2012 PHOTO International                            57

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Young Talent: Karen Jobst

  • 1. 54-57_PI_1-12_JungeTalente 09.12.2011 0:04 Uhr Seite 54 PORTFOLIO | JUNGE TALENTE Karin Jobst Grenzgängerin in Sachen Farbe 54 PHOTO International 1 | 2012
  • 2. 54-57_PI_1-12_JungeTalente 09.12.2011 0:04 Uhr Seite 55 Eine Fotografin, die längst die Grenze der dokumentarischen Fotografie überschritten hat und die Sehgewohnheiten, auch ihre eigenen, erweitern will. Die Arbeitsweise von Karin Jobst fordert dem Betrachter wie dem Filmmaterial einiges ab. Das geht nur analog. Vor mehr als fünfzig Jahren ist in Grundremmigen das erste Kern- kraftwerk Deutschlands in Betrieb gegangen. Seitdem wird über Ri- siken und Nutzen der Kernkraft diskutier t. Man dar f annehmen, dass die Problematik auch Karin Jobst als politisch engagierte Frau bewegt hat. Zumal sie in der Nähe des KKWs aufgewachsen ist. Mit ihrer ersten großen, fotografischen Arbeit „Atomar – Zone 1“ hat sie sich dem Thema genähert, wie sie gleichzeitig ein Stück der eigenen Vergangenheit im Nichtsichtbaren der Bilder verarbeitet hat. In gera- dezu ästhetischen Bildern zeigte sie die cleane Welt eines Hightec- Betriebes und konfrontier te diese mit den Landschaften der un- mittelbaren Umgebung. Die Serie, heute mehr fach ausgestellt – zuletzt im Sommer in der Galerie von Robert Morat in Hamburg – war zugleich die Diplomarbeit, die das Fotografiestudium 2007 bei Prof. Katharina Bosse an der Fachhochschule Bielefeld abschloss und in ein Künstlerbuch mündete. Langzeitbeobachtungen In dieser Arbeit zeigt sich der bewusste und gezielte Einsatz von Farbe, wie er später das bestimmende Stilmittel bei Karin Jobst wer- den soll. Die gesättigten Farben der Innenräume mit dem etwas dif- fusen Farbstich des Kunstlichts schaffen, so die Fotografin, „eine la- tente Uneindeutigkeit in der Wahrnehmung, eine Empfindung, die durch die formale Komposition (stürzende Linien, angeschnittene Flächen, die die Sicht in den Raum hinein behindern) verstärkt wird.“ Karin Jobst bleibt am Thema, wenn sie von ihrem Langzeitprojekt des Umstruk- turierungsprozesses rund um Wackersdor f berichtet. Ehemals ein Gebiet mit Braunkohletagebau, war das Dorf in den achtziger Jahren in den Schlagzeilen, als der politische Kampf um den Bau der ato- maren Wiederaufbereitungsanlage das Leben der dortigen Bürger bestimmte. Seit 2007 begleitet Karin Jobst den Wandel des Geländes zu einem modernen Industriestandort: „Auf den ehemaligen Industrie- flächen sehe ich heute Freizeitanlagen und Seengebiete.“ In zwei weiteren Arbeiten entwickelt die Fotografin ihre Formen- sprache der weichen Farbräume weiter. Zum einen, wenn sie den New Yorker Stadtteil Brooklyn aus ungewohnten Blickachsen betrachtet und Versatzstücke von willkürlich abgelegten oder installier ten Seit Beginn der Arbeiten zur Hamburger Elbphilharmonie fotografiert Karin Jobst vor Ort. 1 | 2012 PHOTO International 55
  • 3. 54-57_PI_1-12_JungeTalente 09.12.2011 0:04 Uhr Seite 56 PORTFOLIO | JUNGE TALENTE 56 PHOTO International 1 | 2012
  • 4. 54-57_PI_1-12_JungeTalente 09.12.2011 0:04 Uhr Seite 57 Gegenständen zum gestalterischen Element erklärt. Dieselbe Vor- gehensweise dann auch bei einer weiteren Langzeitstudie: Seit Bau- beginn der Elbphilharmonie in Hamburg – Karin Jobst lebt vor Ort – besucht sie regelmäßig die (wohl nie endende) Baustelle, um dort zu filmen und zu fotografieren. Die Filmsequenzen verarbeitet sie dann im eigenen, analogen Farblabor wiederum zu Fotografien. Belastbarkeit des Materials Wie überhaupt ihre Vorgehensweise die analoge Fotografie vor- aussetzt. Seit ihrem Studium, als sie für die Diplomarbeit von Kodak mit Filmmaterial unterstützt wurde, ist sie dem Verfahren, auch der Marke, treu geblieben: „Bei meiner Arbeitsweise brauche ich einen belastbaren Farbfilm, weil ich mit meiner Mamiya RZ 67 bei Spiegel- vorauslösung lange Belichtungszeiten habe. Das war der VC 400 oder 160, heute benutze ich den Portra 160 oder 400.“ Und sie fordert dem Film wirklich einiges ab, wenn sie damit experimentiert. So hat sie die Kassette ihrer Kamera derart manipuliert, dass gezielt Licht einfallen darf. Das verursacht eine latente Vorbelichtung, die Farben verändern sich, Streifen markieren das Bild wie grafische Muster, seltsame „Farbtemperaturen“ entstehen. All das ist kalkuliert. „Es ist wie beim Autofahren, wenn man den Gang beinahe automatisch einlegt,“ sagt Karin Jobst, „ich weiß genau, wie ich die Kassette ein- setzen kann und auch wie der Portra-Film auf Licht und Bewegung (denn manchmal wird auch die Kamera bewegt) reagiert.“ Schließlich tut sie ein Übriges und fertigt die Farbabzüge selbst an: „Nur ich weiß, dass alle und welche Farbinformationen auf dem Film sind.“ Und die bestimmen schließlich das fertige Bild. Ihr Anliegen ist, herkömmliche Wahrnehmungsstrukturen in Frage zu stellen, auf fotografischer Ebene zu forschen (sowohl bei der Auf- nahme als auch im Farblabor) und den bildgebenden Rahmen auf vi- sueller Ebene zu erweitern. Mit anderen Worten: Karin Jobst ist eine passionierte Gratwanderin zwischen Dokumentarismus und freier Interpretation. eh Karin Jobst, 1973 in Landshut geboren, lebt und arbeitet in Hamburg. Fotografenlehre im Werbestudio Graggo in Neutraubling. 2002 – 2007 Studium der Fotografie an der FH Bielefeld, Diplom bei Katharina Bosse. 2008 – 2010 Masterstudium an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg bei Silke Grossman und Wim Wenders. Berufung in die Fotografische Akademie GDL. Verschiedenen Ausstellungen u. a. in London, bei den Darmstädter Fototagen, Stadtmuseum München, Kunsthaus Hamburg, Galerie Robert Morat Hamburg. Z. Zt. Arbeit an einem Projekt in den USA. Fahle Farben und technische Makel sind wohlkalkuliert. Aus der Serie zu Brooklyn, N.Y. 1 | 2012 PHOTO International 57