Die Tarifverträge der CGZP haben nicht von Equal Pay befreit, weil sie von Anfang an unwirksam waren. In der Folge haben sich die Gerichte mit vielen Equal-Pay-Klagen von Leiharbeitnehmern beschäftigt. In der Praxis fällt auf, dass es Leiharbeitnehmern oft schwer fällt, die
Anspruchshöhe im Prozess schlüssig darzulegen. Die Anforderungen der Rechtsprechung an den Vortrag im Prozess sind recht hoch, wie die vorliegende Entscheidung des Fünften Senats
zeigt.
2. jurisPR-ArbR 6/2015
1
Die flankierenden Änderungen des ArbGG
zur Herstellung der Tarifeinheit
von Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
I. Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit
Der Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes ist nach der
Beschlussfassung im Kabinett am 29.12.2014 in
den Bundesrat eingebracht worden.1 Er enthält in
Art. 1 als Kern die Änderungen des TVG 2 und in
Art. 2 flankierende Änderungen des ArbGG.
II. Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssa-
chen
Der Katalog der Zuständigkeiten der Gerichte für
Arbeitssachen für Angelegenheiten, auf die das
Beschlussverfahren Anwendung findet, wird in
§ 2a Abs. 1 ArbGG um die folgende Nummer 6 er-
weitert:
„6. die Entscheidung über den nach § 4a Absatz
2 Satz 2 des Tarifvertragsgesetzes im Betrieb an-
wendbaren Tarifvertrag“.
Danach gilt:
1. Die Gerichte für Arbeitssachen werden aus-
schließlich zuständig.
2. Das Beschlussverfahren ist wegen der in die-
ser Verfahrensart geltenden Besonderheiten, ins-
besondere wegen der richterlichen Verpflichtung
zur Amtsermittlung, für diesen Verfahrensgegen-
stand vorgeschrieben.
Die gerichtliche Feststellung des nach § 4a Abs. 2
Satz 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifver-
trag unterliegt deshalb nicht dem im Urteilsver-
fahren geltenden Dispositionsgrundsatz, sondern
dem nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG im Be-
schlussverfahren geltenden Untersuchungsgrund-
satz. Dieser wird allerdings durch die in § 83 Abs. 1
Satz 2 ArbGG von der Rechtsprechung erweiternd
ausgelegte Mitwirkungspflicht der Beteiligten wie-
der spürbar eingeschränkt.
III. Notarielle Klärung der Mehrheit im Be-
trieb
In § 58 ArbGG soll folgender Absatz 3 angefügt
werden:
„(3) Insbesondere über die Zahl der in einem Ar-
beitsverhältnis stehenden Mitglieder oder das Ver-
tretensein einer Gewerkschaft in einem Betrieb
kann Beweis auch durch die Vorlegung öffentli-
cher Urkunden angetreten werden.“
Bereits nach geltendem Recht können sich die
Parteien auch bei vorhandenen unmittelbaren Be-
weismitteln auf die Benennung mittelbarer Be-
weismittel beschränken. Der neue Absatz 3 stellt
die Möglichkeit klar, im Wege des Urkundenbewei-
ses nach § 415 ZPO eine notarielle Erklärung ver-
werten zu können. Dies soll den Nachweis der Zahl
der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglie-
der einer Gewerkschaft in einem Betrieb in Verfah-
ren nach § 2a Abs. 1 Nr. 6 ArbGG und den Nach-
weis des Vertretenseins einer Gewerkschaft in ei-
nem Betrieb nach § 2 Abs. 2 BetrVG erleichtern.3
Zu beachten ist, dass der neue Absatz 3 aus-
drücklich nicht auf Verfahren nach § 2a Abs. 1
Nr. 6 ArbGG beschränkt ist. Das den Entwurf er-
stellende BMAS will somit die Möglichkeit, den Be-
weis über eine notarielle Erklärung zu führen, ge-
nerell zulassen. Das ist sinnvoll. So kann sicher-
gestellt werden, dass die Gewerkschaft die Na-
men ihrer im Betrieb des Arbeitgebers beschäf-
tigten Arbeitnehmer nicht dem Arbeitgeber ge-
genüber offenlegen muss.4 Gewerkschaftlich or-
ganisierte Arbeitnehmer können dadurch in ihrer
verfassungsrechtlich geschützten Rechtsposition
aus Art. 9 Abs. 3 GG sowie ihrem Recht auf infor-
mationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1,
Art. 2 Abs. 1 GG geschützt werden. Der Schutz
ergibt sich daraus, dass der beurkundende Notar
nach § 18 Abs. 1 BNotO über die Identität von Ge-
werkschaftsmitgliedern und Nichtgewerkschafts-
mitgliedern Stillschweigen zu bewahren hat.
Problematisch ist allerdings, ob die Notare für die-
se Aufgabe gerüstet sind. Es ist nämlich mehr
zu tun, als die Mitgliederausweise der Gewerk-
schaftsmitglieder zu zählen. Es geht um die Anzahl
der Mitglieder, die als Arbeitnehmer im Betrieb
beschäftigt werden. Preis weist zu Recht darauf
hin, dass die Feststellung der Betriebszugehörig-
keit gar nicht so leicht ist.5 Arbeitnehmer werden
vom Unternehmen eingestellt und werden den Be-
trieben durch eine Weisung des Arbeitgebers zu-
gewiesen oder später nicht selten versetzt. Des-
halb sind Arbeitsverträge kaum geeignete Unter-
3. jurisPR-ArbR 6/2015
lagen, aus denen sich die Betriebszugehörigkeit
ergibt. Schließlich kommt der Notar nicht umhin,
für seine Mehrheitsfeststellung auch Rechtsfragen
zu beantworten. Preis nennt als Beispiele6:
„Zählen eigentlich auch Gewerkschaftsmitglieder
mit, die gar nicht von dem Tarifvertrag erfasst
werden, wie außertarifliche Angestellte? Was ist
mit beurlaubten und ruhenden Arbeitsverhältnis-
sen sowie mit ins Ausland abgeordneten Arbeit-
nehmern?“
Damit das Gericht die notarielle Erklärung über-
haupt verwerten kann, darf der Notar nicht nur
eine Endzahl angeben, sondern muss auch seine
juristische Vorgehensweise und dabei anfallende
Zwischenergebnisse offenlegen.
IV. Besonderes Beschlussverfahren über den
im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag
§ 99 ArbGG wird nach dem Entwurf zu § 100
ArbGG. An die Stelle des bisherigen § 99 ArbGG
tritt folgende Fassung:
„§ 99 Entscheidung über den nach § 4a Abs. 2 Satz
2 des Tarifvertragsgesetzes im Betrieb anwendba-
ren Tarifvertrag
(1) In den Fällen des § 2a Abs. 1 Nr. 6 wird das
Verfahren auf Antrag einer Tarifvertragspartei ei-
nes kollidierenden Tarifvertrags eingeleitet.
(2) Für das Verfahren sind die §§ 80 bis 82 Abs. 1
Satz 1, §§ 83 bis 84 und §§ 87 bis 96a entsprechend
anzuwenden.
(3) Der rechtskräftige Beschluss über den nach
§ 4a Absatz 2 Satz 2 des Tarifvertragsgesetzes
im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag wirkt für und
gegen jedermann.
(4) In den Fällen des § 2a Abs. 1 Nr. 6 findet eine
Wiederaufnahme des Verfahrens auch dann statt,
wenn die Entscheidung über den nach § 4a Ab-
satz 2 Satz 2 des Tarifvertragsgesetzes im Betrieb
anwendbaren Tarifvertrag darauf beruht, dass ein
Beteiligter absichtlich unrichtige Angaben oder
Aussagen gemacht hat. § 581 der Zivilprozessord-
nung findet keine Anwendung.“
Im neuen § 99 ArbGG wird bestimmt, welche zu-
sätzlichen Besonderheiten für das besondere Be-
schlussverfahren mit dem Verfahrensgegenstand
„Entscheidung über den nach § 4a Abs. 2 Satz 2
TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag“ gelten.
Die Ausgestaltung des Verfahrens in § 99 Abs. 2
ArbGG n.F. lehnt sich bewusst an die Regelungen
in § 97 ArbGG zur Entscheidung über die Tariffä-
higkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung
und in § 98 ArbGG zur Entscheidung über die Wirk-
samkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung oder
einer Rechtsverordnung an.7 Ergeht in dem Ver-
fahren ein Beschluss, so wirkt er über den Kreis
der unmittelbar am Verfahren Beteiligten hinaus.
Wird der Beschluss rechtskräftig, so wirkt er nach
§ 99 Abs. 3 ArbGG n.F. erga omnes. Da abwei-
chend von den §§ 97 Abs. 5 und 98 Abs. 6 ArbGG
keine Pflicht zur Aussetzung anderer Rechtsstreite
besteht, bedarf es zur Verfahrenseinleitung nach
§ 81 Abs. 1 ArbGG eines Antrags. Die dazu erfor-
derliche Antragsbefugnis ist in § 99 Abs. 1 ArbGG
n.F. geregelt. Sie ist auf Tarifvertragsparteien be-
schränkt und setzt voraus, als Partei eines kol-
lidierenden Tarifvertrags von einer Entscheidung
über den nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG im Betrieb
anwendbaren Tarifvertrag betroffen zu werden.
Durch die entsprechende Anwendung des § 83
Abs. 3 ArbGG wird sichergestellt, dass das Gericht
alle Personen, Vereinigungen und Stellen zu betei-
ligen hat, die in ihrer Rechtsstellung vom Verfah-
rensausgang betroffen werden8.
Nach der Maßgabe in § 99 Abs. 2 ArbGG a.F., die
§§ 80 Abs. 2 und 79 ArbGG i.V.m. den §§ 578
bis 591 ZPO anzuwenden, ist eine Wiederaufnah-
me des Verfahrens auch nach rechtskräftigem Be-
schluss möglich. § 99 Abs. 4 ArbGG n.F. bestimmt
dazu nach dem Vorbild der §§ 97 Abs. 4 und 98
Abs. 5 ArbGG Erleichterungen für den Wieder-
aufnahmeantrag. Es findet ein Restitutionsverfah-
ren auch dann statt, wenn die Entscheidung dar-
über, welcher Tarifvertrag nach § 4a Abs. 2 Satz
2 TVG im Betrieb anwendbar ist, darauf beruht,
dass ein Beteiligter absichtlich unrichtige Anga-
ben oder Aussagen gemacht hat. Da § 581 ZPO
keine Anwendung findet, bedarf es dazu nicht der
in § 581 ZPO genannten einschränkenden Voraus-
setzungen wie z.B. einer rechtskräftigen Verurtei-
lung wegen einer Falschaussage. Dies soll das Ver-
fahren beschleunigen.
Tritt Tarifpluralität auf, so dient nach § 99 Abs. 1
ArbGG n.F. das in dessen Abs. 2 bis 4 geregelte be-
sondere Beschlussverfahren der Feststellung des
im Betrieb geltenden Mehrheitstarifvertrags. Es
wird jedoch nur auf Antrag einer Tarifvertragspar-
tei eines kollidierenden Tarifvertrages die Mehr-
heit im Betrieb ermittelt. Preis fragt zu Recht:
„Was geschieht eigentlich, wenn der Antrag nicht
4. jurisPR-ArbR 6/2015
gestellt wird?“9 Muss es dann zwangsläufig bei der
Tarifpluralität bleiben? Oder ist das Urteilsverfah-
ren, in dem ein Arbeitnehmer, der gestützt auf den
besseren Tarifabschluss der Minderheitsgewerk-
schaft, seinen Individualanspruch einklagt, dann
auszusetzen und das besondere Beschlussverfah-
ren nach den §§ 2a Abs. 1 Nr. 6, 99 ArbGG n.F. vom
Amts wegen einzuleiten? Antworten zu diesen Fra-
gen finden sich weder im Gesetzestext noch in der
Entwurfsbegründung.
1 BR-Drs. 635/14.
2 Hierzu bereits Düwell, jurisPR-ArbR 5/2015
Anm. 1.
3 Vgl. zu den Grenzen des Urkundsbewei-
ses BAG, Beschl. v. 25.03.1992 - 7 ABR
65/90; BVerfG, Beschl. v. 21.03.1994 - 1 BvR
1485/93.
4 BR-Drs. 635/14, S. 13.
5 Preis, Der Preis der Koalitionsfreiheit – Oder:
Weshalb das Tarifeinheitsgesetz scheitern
wird, Vortrag gehalten am 07.11.2014 in Köln
auf der 26. Jahresarbeitstagung des Deut-
schen Anwaltsinstituts e.V.
6 Preis, Der Preis der Koalitionsfreiheit – Oder:
Weshalb das Tarifeinheitsgesetz scheitern
wird, Vortrag gehalten am 7.11.2014 in Köln
auf der 26. Jahresarbeitstagung des Deut-
schen Anwaltsinstituts e.V.
7 BT-Drs. 635/14, S. 14.
8 Dazu BAG, Beschl. v. 06.06.2000 - 1 ABR
21/99.
9 Preis, Der Preis der Koalitionsfreiheit – Oder:
Weshalb das Tarifeinheitsgesetz scheitern
wird, Vortrag gehalten am 07.11.2014 in Köln
auf der 26. Jahresarbeitstagung des Deut-
schen Anwaltsinstituts e.V.
2
Verbot der Diskriminierung wegen einer
Behinderung - starkes Übergewicht
(Adipositas) als Behinderung ("FOA")
Orientierungssätze zur Anmerkung:
1. Das Unionsrecht enthält kein allgemeines
Verbot der Diskriminierung wegen Adiposi-
tas als solcher in Beschäftigung und Beruf.
2. Die Richtlinie 2000/78/EG ist dahin auszu-
legen, dass die Adipositas eines Arbeitneh-
mers eine Behinderung im Sinne der Richt-
linie darstellt, wenn sie eine Einschränkung
mit sich bringt, die u.a. auf physische, geisti-
ge oder psychische Beeinträchtigungen von
Dauer zurückzuführen ist, die ihn in Wech-
selwirkung mit verschiedenen Barrieren an
der vollen und wirksamen Teilhabe am Be-
rufsleben, gleichberechtigt mit den anderen
Arbeitnehmern, hindern können.
Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 18.12.2014, C-
354/13
von Dr. Anja Lingscheid, RA'in und FA'in für Ar-
beitsrecht, Norton Rose Fulbright LLP
A. Problemstellung
Mit der Frage, ob Übergewicht unter den Diskri-
minierungsschutz des AGG fallen kann, beschäf-
tigen sich deutsche Gerichte schon seit einiger
Zeit (vgl. ArbG Darmstadt, Urt. v. 12.06.2014
- 6 Ca 22/13; BVerwG, Beschl. v. 04.04.2013
- 2 B 87.12). Ca. 52% der erwachsenen Be-
völkerung in Deutschland sind übergewichtig,
ca. 16% stark übergewichtig (d.h. adipös). Auf-
grund der abschließenden Aufzählung der Dis-
kriminierungsmerkmale im AGG und in der zu-
grunde liegenden Richtlinie 2000/78/EG ist nur
ein mittelbarer Diskriminierungsschutz denk-
bar, nämlich wenn Übergewicht im Einzelfall
eine Behinderung darstellt (verdeckte unmit-
telbare Benachteiligung wegen einer Behinde-
rung). Hiermit musste sich nun auch der EuGH
befassen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Herr Kaltoft war seit 1996 bei der Billund Kom-
mune in Dänemark als Tagesvater tätig und
betreute Kinder bei sich zu Hause. Während
der gesamten Beschäftigungsdauer war er „adi-
pös“ im Sinne der Definition der WHO. Die Bil-
lund Kommune gewährte ihm 2008 einen fi-
nanziellen Zuschuss u.a. für die Teilnahme an
Sportkursen. Herr Kaltoft verlor zwar Gewicht,
nahm aber wieder zu. Nachdem Herr Kaltoft
nach einem Jahr Urlaub aus familiären Grün-
den im März 2010 seine Arbeit wieder aufge-
nommen hatte, besuchte ihn mehrmals unan-
gekündigt die für die Tagesbetreuer Verant-
wortliche und erkundigte sich nach seinem Ge-
wichtsverlust. Sein Gewicht war nahezu unver-
ändert geblieben. Ab September 2010 hatte
Herr Kaltoft aufgrund des Rückgangs der Kin-
derzahl in der Billund Kommune nur drei statt
vier Kinder zu betreuen, für die er eine Zulas-
5. jurisPR-ArbR 6/2015
sung erhalten hatte. Die pädagogischen Beauf-
tragten der Billund Kommune wurden um Vor-
schläge gebeten, welcher Tagesbetreuer ent-
lassen werden sollte. Die für die Tagesbetreuer
Verantwortliche entschied sich für Herrn Kaltoft.
Anfang November 2010 leitete die Billund Kom-
mune das Anhörungsverfahren für die Entlas-
sung eines Angestellten des öffentlichen Diens-
tes ein. Herr Kaltoft erkundigte sich bei der Ver-
antwortlichen, warum er als einziger der Tages-
betreuer entlassen werden solle. Die Adiposi-
tas von Herrn Kaltoft wurde bei diesem Treffen
erörtert. Streitig ist aber, wie das Thema zur
Sprache gekommen und inwieweit die Adiposi-
tas ein Gesichtspunkt gewesen war, der in den
zu der Entlassung führenden Entscheidungspro-
zess Eingang gefunden hat. Mit Schreiben vom
04.11.2010 teilte die Billund Kommune Herrn
Kaltoft mit, dass sie beabsichtige, ihn zu entlas-
sen und bat ihn um Stellungnahme. Die beab-
sichtigte Entlassung erfolge „nach einer konkre-
ten Prüfung vor dem Hintergrund eines Rück-
gangs der Kinderzahl und damit der Arbeits-
last, mit dem erhebliche finanzielle Auswirkun-
gen auf den Kinderbetreuungsdienst und des-
sen Organisation verbunden sind“. Mit Schrei-
ben vom 22.11.2010 kündigte die Billund Kom-
mune Herrn Kaltoft. Die Kündigung sei nach ei-
ner „konkreten Prüfung vor dem Hintergrund ei-
nes Rückgangs der Kinderzahl“ erfolgt.
Die Gewerkschaft „Fag og Arbejde“ (FOA) erhob
Klage beim Gericht in Kolding und machte gel-
tend, dass Herr Kaltoft Opfer einer Diskriminie-
rung wegen Adipositas geworden und ihm dafür
Schadensersatz zu leisten sei. Das Gericht setz-
te das Verfahren aus und legte dem EuGH Fra-
gen zur Diskriminierung wegen Adipositas zur
Vorabentscheidung vor.
Der EuGH stellte in seiner Entscheidung klar,
dass weder das Unionsrecht noch das abgeleite-
te Unionsrecht ein allgemeines Verbot der Dis-
kriminierung wegen Adipositas als solcher in Be-
schäftigung und Beruf enthalte. Zu den Grund-
rechten als integraler Bestandteil der allgemei-
nen Grundsätze des Unionsrechts gehöre u.a.
das allgemeine Diskriminierungsverbot. Weder
EU-Vertrag noch AEU-Vertrag enthielten aber ei-
ne Bestimmung, die eine Diskriminierung we-
gen Adipositas als solche verbiete. Ebenso we-
nig sei Adipositas in der Richtlinie 2000/78/EG
als Diskriminierungsgrund aufgeführt. Nach der
Rechtsprechung des EuGH dürfe der Geltungs-
bereich der Richtlinie 2000/78/EG auch nicht in
entsprechender Anwendung über die Diskrimi-
nierungen wegen der in Art. 1 der Richtlinie ab-
schließend aufgezählten Gründe hinaus ausge-
dehnt werden.
Die Richtlinie 2000/78/EG sei aber dahin aus-
zulegen, dass die Adipositas eines Arbeitneh-
mers eine „Behinderung“ im Sinne der Richtli-
nie darstelle, wenn sie eine Einschränkung mit
sich bringe, die u.a. auf physische, geistige oder
psychische Beeinträchtigungen von Dauer zu-
rückzuführen sei, die ihn in Wechselwirkung
mit verschiedenen Barrieren an der vollen und
wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichbe-
rechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hin-
dern könne. Der Begriff „Behinderung“ sei so
zu verstehen, dass er nicht nur die Unmög-
lichkeit erfasse, eine berufliche Tätigkeit aus-
zuüben, sondern auch eine Beeinträchtigung
der Ausübung einer solchen Tätigkeit. Eine an-
dere Auslegung sei mit dem Ziel der Richtli-
nie 2000/78/EG unvereinbar, die insbesonde-
re Menschen mit Behinderung Zugang zur Be-
schäftigung oder die Ausübung eines Berufs er-
möglichen solle. Für den Anwendungsbereich
der Richtlinie je nach Ursache der Behinderung
zu differenzieren, würde außerdem ihrem Ziel,
die Gleichbehandlung zu verwirklichen, wider-
sprechen. Der Begriff „Behinderung“ im Sinne
der Richtlinie 2000/78/EG hänge nicht davon ab,
inwieweit der Betreffende gegebenenfalls zum
Auftreten seiner Behinderung beigetragen ha-
be.
Die Adipositas als solche sei allerdings keine
„Behinderung“ im Sinne der Richtlinie 2000/78/
EG, weil sie ihrem Wesen nach nicht zwangs-
läufig eine der beschriebenen Einschränkungen
zur Folge habe. Die Adipositas eines Arbeit-
nehmers falle aber unter den Begriff „Behinde-
rung“, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner
Adipositas an der vollen und wirksamen Teilha-
be am Berufsleben, gleichberechtigt mit den an-
deren Arbeitnehmern, gehindert wäre, und zwar
aufgrund eingeschränkter Mobilität oder dem
Auftreten von Krankheitsbildern, die ihn an der
Verrichtung seiner Arbeit hinderten oder zu ei-
ner Beeinträchtigung der Ausübung seiner be-
ruflichen Tätigkeit führten.
Vorliegend stehe fest, dass Herr Kaltoft wäh-
rend der gesamten Zeit seiner Beschäftigung
bei der Billund Kommune – also über einen lan-
gen Zeitraum – adipös gewesen sei. Es sei Sa-
che des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob
6. jurisPR-ArbR 6/2015
diese Adipositas trotz des Umstands, dass Herr
Kaltoft seine Arbeit etwa 15 Jahre lang verrich-
tet habe, zu einer Einschränkung geführt habe,
die die genannten Voraussetzungen erfülle.
C. Kontext der Entscheidung
Bisher stellte starkes Übergewicht nach Auffas-
sung deutscher Gerichte allein keine Behinde-
rung dar, wenn nicht tatsächlich Folgeerkran-
kungen vorliegen, die die Teilhabe am Berufs-
leben einschränken. Das BAG hat aber zuletzt
entschieden, dass auch eine symptomlose HIV-
Infektion aufgrund des sozialen Vermeidungs-
verhaltens und der Stigmatisierung eine Be-
hinderung im Sinne des AGG ist (BAG, Urt. v.
19.12.2013 - 6 AZR 190/12 - NZA 2014, 372).
Insoweit könnte man an sich auch schwere For-
men von Adipositas als Behinderung bewerten.
Nach dem EuGH ist Adipositas als solche jedoch
keine „Behinderung“, weil sie nicht zwangsläu-
fig eine Einschränkung zur Folge habe, die den
Betroffenen an der Teilhabe am Berufsleben
hindere. Nicht jeder adipöse Arbeitnehmer ist
danach aufgrund seiner Adipositas an der vol-
len und wirksamen Teilhabe am Berufsleben
gehindert, z.B. aufgrund eingeschränkter Mobi-
lität, dem Auftreten von Krankheiten, die ihn
an der Ausübung seiner Arbeit hindern oder
ihn dabei beeinträchtigen. Adipositas ist aber
die Grundvoraussetzung dafür, dass bei Über-
gewicht überhaupt eine Behinderung vorliegen
kann, da der EuGH ausdrücklich nur von „Adi-
positas“ spricht. Die WHO stuft Erwachsene mit
einem Body-Mass-Index (BMI) über 25 als über-
gewichtig ein, mit einem BMI über 30 als stark
übergewichtig (adipös). Herr Kaltoft ist 1,72 m
groß ist und wog während seiner Beschäftigung
nie unter 160 kg (BMI 54 - Adipositas Grad III).
Nach dem EuGH kann Übergewicht erst dann
eine Behinderung darstellen, wenn es sich um
Adipositas (BMI > 30) handelt und nicht um blo-
ßes Übergewicht (BMI von 25 bis 29,9). Ob die
Adipositas dann tatsächlich eine Behinderung
ist, ist nach dem EuGH eine Frage des Einzel-
falls.
D. Auswirkungen für die Praxis
Da nun auch eine Adipositas eine Behinde-
rung i.S.v. den §§ 1, 4 AGG darstellen kann,
wird der Anwendungsbereich des AGG und da-
mit der Entschädigungs- und Schadensersatz-
ansprüche nach § 15 AGG durch die Entschei-
dung des EuGH erweitert. Auch bei Kündigun-
gen kann Adipositas eine Rolle spielen, sowohl
im Rahmen der Prüfung der Sozialwidrigkeit
der Kündigung als auch außerhalb des Anwen-
dungsbereichs des KSchG (während der Warte-
zeit und in Kleinbetrieben). Ein Verstoß gegen
das Benachteiligungsverbot wegen einer Behin-
derung (§§ 1, 4 AGG) kann zur Unwirksamkeit
der Kündigung führen.
In der Praxis dürfte die Abgrenzung zwischen
bloßem Übergewicht und Adipositas im Einzel-
fall schwer fallen, insbesondere weil der EuGH
sich in den Entscheidungsgründen nicht auf die
schwere Adipositas (Grad III, BMI > 40) gestützt
hat (wie von Generalanwalt Jääskinen in sei-
nen Schlussanträgen vorgeschlagen). Vor die-
sem Hintergrund sollten Arbeitgeber jegliche
Anknüpfung an oder Bezugnahme auf das Kör-
pergewicht von Bewerbern oder Mitarbeitern
unbedingt vermeiden. Eine Ausnahme kann gel-
ten, wenn arbeitstechnische oder medizinische
Erwägungen einer Beschäftigung entgegenste-
hen. Auf § 8 Abs. 1 AGG als Rechtfertigung
können sich Arbeitgeber dabei aber nur be-
rufen, wenn sie das Beschäftigungshindernis
nicht durch zumutbare „angemessene Vorkeh-
rungen“ beheben können.
3
Erstreckung einer formularmäßigen
Ausschlussfrist auf Haftung aus
vorsätzlicher Pflichtverletzung
Leitsatz:
Die in einem Formulararbeitsvertrag als
Allgemeine Geschäftsbedingung enthaltene
Ausschlussfrist von sechs Monaten für "ver-
tragliche Ansprüche aus dem Arbeitsver-
hältnis" erfasst auch einen vertraglichen
Anspruch des Arbeitgebers gegen den Ar-
beitnehmer wegen Haftung aus vorsätzli-
cher Pflichtverletzung (entgegen BAG v.
20.06.2013 - 8 AZR 280/12 - NZA 2013,
1265).
Anmerkung zu LArbG Hamm, Urteil vom
09.09.2014, 14 Sa 389/13
von Prof. Dr. Dirk Beckmann, RA, FA für Arbeits-
recht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht /
Claudia Hanisch, RA'in
7. jurisPR-ArbR 6/2015
A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob
eine formularmäßige Ausschlussfrist, nach der
vertragliche Ansprüche verfallen, auch Ansprü-
che aus vorsätzlicher Pflichtverletzung erfasst.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war langjährig als selbstständiger
Versicherungsvertreter als Geschäftsstellenlei-
ter für die Versicherung P. tätig. Der Beklag-
te war bei ihm als Kundenbetreuer angestellt.
Nach dem Inhalt des der AGB-Kontrolle unter-
liegenden Arbeitsvertrages sollten vertragliche
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfal-
len, sobald sie nicht spätestens innerhalb von
sechs Monaten nach jeweiliger Fälligkeit des An-
spruchs schriftlich geltend gemacht werden.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch
Aufhebungsvertrag mit sofortiger Wirkung. Hin-
tergrund war, dass die P. erhebliche Unregel-
mäßigkeiten bei dem Abschluss und der Durch-
führung von Versicherungsverträgen aufgefal-
len waren, für die insbesondere auch der Be-
klagte verantwortlich war. Die P. kündigte den
Geschäftsstellenleitervertrag fristlos. Nach vor-
angegangenem Zivilrechtsstreit des Klägers ge-
gen die P., der mit einem Prozessvergleich
endete, macht der Kläger knapp zwei Jahre
nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ei-
nen Schadensersatzanspruch gegen den Be-
klagten wegen entgangener Provisionszahlun-
gen geltend. Die Klage blieb in beiden Instanzen
erfolglos.
Das LArbG Hamm hat zur Begründung ausge-
führt, dass vertragliche Haftungsansprüche in
Anwendung der vertraglichen Regelung verfal-
len seien. Die in dem Arbeitsvertrag verwendete
Formulierung erfasse alle auf Vorsatz oder Fahr-
lässigkeit beruhenden vertraglichen Haftungs-
ansprüche der einen Vertragspartei gegen die
andere. Wer als Arbeitgeber eine für „alle An-
sprüche“ geltende Ausschlussfrist vorformulie-
re, meine dies auch so. Besonderer Hinweise
oder Besonderheiten dafür, dass auch für die
Fälle, die durch zwingende gesetzliche Verbote
oder Gebote geregelt sind, eine Anwendung der
Ausschlussfrist gewollt sei, bedürfe es nicht.
Das Gericht hat dem Kläger auch Ansprüche auf
gesetzlicher Grundlage versagt. Ein Anspruch
aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Eigentumsverlet-
zung scheitere daran, dass Forderungen und
andere Vermögensrechte bzw. reine Vermö-
gensschäden von der Norm nicht erfasst sei-
en. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Ver-
bindung mit einem Schutzgesetz scheitere dar-
an, dass ein strafbares Verhalten des Beklag-
ten gegenüber der P. kein für den Kläger gelten-
des Schutzgesetz verletzt habe. Eine Haftung
aus § 826 BGB sei mangels erforderlichen Schä-
digungsvorsatzes nicht gegeben. Im Anwen-
dungsbereich dieser Norm müsse sich der Vor-
satz auch auf den Eintritt des Schadens erstre-
cken. Hierfür fehle es hinsichtlich der konkreten
Schädigung, nämlich dem Verlust von Provisi-
onszahlungen durch die außerordentliche Kün-
digung des Agenturvertrages, an Anhaltspunk-
ten. Weder habe der Beklagte bewusst noch ge-
wollt durch sein Verhalten gegenüber der P. ei-
ne Beendigung des Vertragsverhältnisses zwi-
schen dieser und dem Kläger herbeiführen wol-
len. Für einen Schadensersatzanspruch auf der
Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB wegen Ver-
letzung des Rechts am ausgeübten und einge-
richteten Gewerbebetrieb fehle es an einem be-
triebsbezogenen Eingriff.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des LArbG Hamm steht der
vorangegangenen Entscheidung des BAG zur
Frage der Reichweite der Formulierung in ei-
ner Vertragsklausel, wonach „alle Ansprüche“
verfallen, wenn sie nicht rechtzeitig geltend ge-
macht werden, entgegen. Das Gericht tritt der
insoweit wohl als gefestigt zu bezeichnenden
Rechtsprechung des BAG, wonach es nahelie-
ge, dass für die Parteien Ansprüche aus vorsätz-
lichen Vertragsverstößen und vorsätzlichen un-
erlaubten Handlungen nicht einbezogen hätten
(BAG, Urt. v. 25.05.2005 - 5 AZR 572/04 - NZA
2005, 1111, sowie BAG, Urt. v. 28.09.2005 - 5
AZR 52/05 - NZA 2006, 149), ausdrücklich ent-
gegen. Auch widerspricht die Entscheidung dem
BAG insoweit, als dieses annimmt, dass eine
Vertragsklausel wirksam sei, die nur in außer-
gewöhnlichen, von den Vertragsparteien nicht
für regelungsbedürftig gehaltenen Fällen gegen
das Gesetz verstoße. Das BAG steht auf dem
Standpunkt, dass solche Ausnahmefälle nicht
erfasst würden, da die Parteien die in § 309 Nr. 7
BGB genannten besonderen Ansprüche (wegen
Haftung für Vorsatz und Fahrlässigkeit) nicht ei-
gens erwähnt und offenbar auch nicht bedacht
hätten (BAG, Urt. v. 25.05.2005 - 5 AZR 572/04).
8. jurisPR-ArbR 6/2015
Im Ergebnis nimmt das Landesarbeitsgericht
den Klauselverwender hinsichtlich der von ihm
gewählten Wortwahl, dass „alle Ansprüche“ er-
ledigt seien sollen, beim Wort. Dies müsse je-
denfalls im Hinblick auf die hier vorliegende
Klausel gelten, wonach „vertragliche Ansprü-
che aus dem Arbeitsverhältnis“ erfasst werden
sollten. Die vom Landesarbeitsgericht gewählte
Auslegung entspreche Sinn und Zweck der Aus-
schlussklausel innerhalb eines überschaubaren,
kurzen Zeitraums, Rechtssicherheit und Rechts-
frieden zu schaffen. Dieses Ziel liege im typi-
schen Interesse der am Abschluss von Arbeits-
verträgen beteiligten Verkehrskreise. Es sei mit
Blick auf die Rechtsprechung des BAG unerheb-
lich, dass der Arbeitgeber grundsätzlich kein In-
teresse habe, einen gesetzwidrigen Haftungs-
ausschluss (z.B. für vorsätzlich verursachte Per-
sonenschäden) zu vereinbaren, der in jedem
Fall nach § 134 BGB nichtig und bei Formular-
arbeitsverträgen nach § 309 Nr. 7 unwirksam
wäre. Ein solches Interesse müsse für den Ar-
beitnehmer als typischerweise beteiligten Ver-
kehrskreis erkennbar sein, damit es berücksich-
tigt werden könne. Dass sei aber schon auf-
grund des umfassenden und im Hinblick auf die-
ses Arbeitgeberinteresse intransparenten Wort-
lauts der vom Arbeitgeber umfassend formulier-
ten Ausschlussfrist ausgeschlossen. Um rege-
lungsbedürftige, außergewöhnliche oder fern-
liegende Fälle müsse man sich vor dem Hin-
tergrund keine Gedanken machen, da die Par-
teien regelmäßig den Begriff „Ansprüche“ oh-
ne Einschränkung in ihrer Reichweite erfassen.
Schadensersatzansprüche im Arbeitsverhältnis
seien im Übrigen weder außergewöhnlich noch
fernliegend oder zahlenmäßig belanglos. Entge-
gen BAG, Urt. v. 20.06.2013 - 8 AZR 280/12 be-
dürfe es besonderer Hinweise oder Besonder-
heiten dafür, dass auch auf die Fälle, die durch
zwingende gesetzliche Verbote oder Gebote ge-
regelt sind, eine Anwendung der Ausschlussfrist
gewollt sei. Die Auffassung, die – vermeintliche
– Absicht gesetzeskonformen Verhaltens, selbst
nur einer Seite, schließe im Wege der Ausle-
gung einen gesetzeswidrigen Inhalt der Ver-
tragsklausel aus, blende das typische Verwen-
derinteresse aus, nämlich den einseitigen Ver-
such des Verwenders, bis zum Rand des Ge-
setzes und ggf. darüber hinaus seine Interes-
sen durchzusetzen. Schließlich werde der Aus-
legungsansatz des BAG (Urt. v. 06.05.2014 -
9 AZR 678/12) dem bestehenden strukturellen
Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Ar-
beitnehmer nicht gerecht, wie es im Falle von
vom Arbeitgeber vorformulierten und gestellten
Klauseln regelmäßig vorliege. Ebenso wie Rei-
sende (vgl. BGH, Urt. v. 26.02.2009 - Xa ZR
141/07) oder Käufer (BGH, Urt. v. 19.09.2007 -
VIII ZR 141/06) müsse auch der Arbeitnehmer
bei einer umfassend formulierten Ausschluss-
frist nicht erkennen, dass diese nicht umfas-
send, sondern lediglich gesetzeskonform ge-
meint sei.
D. Auswirkungen für die Praxis
Das Gericht hat wegen der Divergenz zu der bis-
herigen BAG-Rechtsprechung die Revision zu-
gelassen. Diese ist beim BAG anhängig (Az.: 8
AZR 753/14).
Wenngleich die Argumente des LArbG Hamm
nicht von der Hand zu weisen sind, ist nicht zu
erwarten, dass das BAG die wohl insoweit als
gefestigt zu bezeichnende Rechtsprechung auf-
gibt.
4
AGB-Kontrolle eines
Arbeitnehmerüberlassungsvertrags
Leitsatz:
Eine Klausel in den AGB eines Arbeitneh-
merüberlassungsvertrags über die Entrich-
tung einer allein an das Überlassungsentgelt
zwischen Entleiher und Verleiher gekoppel-
ten Vermittlungsvergütung für den Fall der
Übernahme des Arbeitnehmers durch den
Entleiher ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
§ 310 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 9 Nr. 3
AÜG wegen unangemessener Höhe der Ver-
mittlungsvergütung unwirksam. Dies gilt je-
denfalls dann, wenn die sich daraus erge-
bende Vermittlungsvergütung das Zweifa-
che des vom Entleiher nach der Übernah-
me gezahlten Bruttomonatsgehaltes über-
steigen kann.
Anmerkung zu OLG Oldenburg (Oldenburg), Ur-
teil vom 30.10.2014, 1 U 42/14
von Dr. Alexander Bissels, RA und FA für Ar-
beitsrecht, CMS Hasche Sigle, Köln
9. jurisPR-ArbR 6/2015
A. Problemstellung
Wieder einmal erregt die für die tägliche Pra-
xis in der Zeitarbeit wesentliche Frage der AGB-
rechtlichen Wirksamkeit einer zwischen dem
Personaldienstleister und dessen Kunden ver-
einbarten Vermittlungsprovision die „gerichtli-
chen“ Gemüter.
Das OLG Oldenburg hat sich in einer aktuellen
Entscheidung mit einer Klausel befassen müs-
sen, die vorsieht, dass die Höhe der Vergütung
(degressiv gestaffelt nach Überlassungsdauer)
ausschließlich an den zwischen dem Personal-
dienstleister und dem Kunden vereinbarten St-
undenverrechnungssatz anknüpft. Im Ergebnis
ist es davon ausgegangen, dass die Regelung
unzulässig ist mit der Folge, dass der Perso-
naldienstleister letztlich mit leeren Händen da-
stand.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Personaldienstleister setzte bei dem be-
klagten Kundenunternehmen im Wege der Ar-
beitnehmerüberlassung Mitarbeiter ein. Der
Kunde übernahm nach dem streitigen Vortrag
des Klägers drei der betreffenden Zeitarbeit-
nehmer und begründete mit diesen ein Arbeits-
verhältnis. Auf Grundlage der AGB verlangte der
Personaldienstleister eine Vermittlungsprovisi-
on. Die streitgegenständlich Klausel war dabei
wie folgt formuliert:
„Übernimmt der [Entleiher] oder ein mit ihm
rechtlich, wirtschaftlich oder persönlich verbun-
denes Unternehmen den [Mitarbeiter der Kläge-
rin] oder Bewerber von [der Klägerin] vor oder
während eines bestehenden Arbeitnehmerüber-
lassungsverhältnisses bzw. bis zu 12 Wochen
nach Ablauf des AÜ-Vertrages, so gilt dies als
Vermittlung. Für diese Vermittlung wird eine Be-
arbeitungsgebühr in Höhe von
a) 200 Stunden bei Überlassung von bis zu 3 Mo-
naten
b) 175 Stunden bei Überlassung von bis zu 6 Mo-
naten
c) 150 Stunden bei Überlassung von bis zu 9 Mo-
naten
des vereinbarten Stundenverrechnungssatzes
dieses Überlassungsvertrages in Rechnung ge-
stellt.
Nach einer ununterbrochenen Überlassungs-
dauer von mehr als 9 Monaten wird keine Be-
arbeitungsgebühr berechnet. Der Anspruch auf
die Vermittlungsgebühr entsteht unabhängig
davon, ob zum Zeitpunkt der Übernahme des
Mitarbeiters noch ein Arbeitsverhältnis mit [der
Klägerin] besteht. (…)“
Der Personaldienstleister berechnete dem Kun-
den nach den obigen AGB eine Vermittlungsge-
bühr für drei Arbeitnehmer in Höhe von insge-
samt 17.112,20 Euro. Der Beklagte leistete hier-
auf keine Zahlungen.
Im Ergebnis hat das Gericht – wie die Vorinstanz
– die Wirksamkeit der Klausel und damit auch
den von dem Personaldienstleister geltend ge-
machten Anspruch auf die Vermittlungsprovisi-
on abgelehnt.
Während das OLG Oldenburg die vorliegende
Regelung mit der darin vorgesehenen degressi-
ven Staffelung der Vermittlungsgebühr je nach
der Dauer der Überlassung für sich gesehen
noch als zulässig qualifiziert, beanstandet der
1. Zivilsenat, dass die AGB-rechtliche Angemes-
senheit der Vergütung (§ 307 Abs. 2 BGB) nach
dem Regelungszweck des § 9 Nr. 3 AÜG auch
davon abhänge, dass diese verkehrsüblich sei
und das Marktniveau einer funktionsgleichen
Vermittlungsleistung sowie die Qualifikation des
betroffenen Arbeitnehmers hinreichend berück-
sichtige (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2011 - III ZR
77/11). Diesen nach § 9 Nr. 3 AÜG ebenfalls
maßgeblichen Kriterien trage die hier in Re-
de stehende Vergütungsregelung nicht, jeden-
falls in nicht ausreichendem Maße Rechnung.
Denn darin werde ausschließlich auf den zwi-
schen dem Personaldienstleister und dem Kun-
den vereinbarten Stundenverrechnungssatz für
die Überlassung abgestellt. Damit bleibe der
„Marktwert“ des vom Kunden übernommenen
Mitarbeiters und des damit von diesem gewon-
nenen wirtschaftlichen Vorteils bei der Bemes-
sung der Höhe Provision völlig außer Betracht.
Der BGH habe betont, dass sich der wirtschaft-
liche „Wert“ der Arbeitskraft des jeweiligen Ar-
beitnehmers in dem Einkommen aus dem durch
die Überlassung angebahnten Arbeitsverhältnis
mit dem Kunden, das dieser mit dem Arbeitneh-
10. jurisPR-ArbR 6/2015
mer selbst aushandeln könne, niederschlage.
Denn hierdurch werde ein Bezug zum Wert der
Arbeitsleistung, zur Qualifikation und zur bishe-
rigen Tätigkeit des Mitarbeiters hergestellt. Das
jeweilige Bruttoeinkommen korrespondiere mit
dem wirtschaftlichen Wert des mit dem Wechsel
des Arbeitnehmers einhergehenden wirtschaft-
lichen Nachteils für den Personaldienstleister,
des entsprechenden Vorteils für den Kunden
und einer funktionsgleichen Vermittlungsleis-
tung (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2011 - III ZR 77/11).
Die betreffende Regelung sehe eine Koppe-
lung oder Begrenzung der Vergütungshöhe, die
sich auf das jeweilige Bruttoeinkommen des be-
troffenen Arbeitnehmers nach der Übernahme
durch den Kunden beziehe, aber nicht vor. Eine
solche undifferenzierte Vergütungsklausel oh-
ne eine am Einkommen des Zeitarbeitnehmers
orientierte Beschränkung ermögliche eine un-
angemessen hohe Vergütung i.S.d. § 9 Nr. 3
AÜG. Für die Angemessenheit einer Provisions-
regelung reiche es nicht aus, eine degressive
Staffelung – wie vorliegend – vorzunehmen und
für die Höhe der Vergütung allein an den St-
undenverrechnungssatz anzuknüpfen. Gemes-
sen an den vom BGH in der Entscheidung vom
10.11.2011 (III ZR 77/11) aufgestellten Kriteri-
en wäre die streitgegenständliche Klausel allen-
falls dann als noch angemessen zu beurteilen,
wenn sich die danach bestimmte maximale Ver-
gütung innerhalb der branchenüblichen Sätze,
gemessen am Bruttoeinkommen des Zeitarbeit-
nehmers, bewege. Insoweit habe der BGH ei-
ne Provisionsregelung mit einer Begrenzung auf
jedenfalls zwei Bruttomonatsgehälter für noch
zulässig erachtet. Vorliegend führe die Klausel
aber zu einer Vermittlungsprovision, die das
zweifache Bruttomonatseinkommen des Zeitar-
beitnehmers generell deutlich übersteigen kön-
ne. Das zeige sich gerade auch an den von
dem Personaldienstleister klageweise geltend
gemachten Provisionen, die diese Grenze klar
überschritten hätten.
C. Kontext der Entscheidung
Der Entscheidung des OLG Oldenburg ist nicht
zu folgen, verkennt diese – wie auch LG Flens-
burg (Urt. v. 06.12.2013 - 2 O 89/13) bei einer
vergleichbaren Klausel – die in dem Urteil des
BGH vom 10.11.2011 (III ZR 77/11) festgelegten
Grundsätze.
Der III. Zivilsenat hat dort ausdrücklich die Wirk-
samkeit einer Provisionsregelung bestätigt, die
an das Einkommen des übernommenen Zeitar-
beitnehmers bei dem Kunden anknüpft, damit
aber nicht gleichzeitig andere Gestaltungsmög-
lichkeiten als unzulässig verworfen. Der BGH
weist ausdrücklich drauf hin, dass nach dem
Willen des Gesetzgebers bei der Entscheidung
der Frage, ob die Vergütungsvereinbarung zwi-
schen Verleiher und Entleiher angemessen sei,
die Dauer des vorangegangenen Verleihs, die
Höhe des vom Entleiher für den Verleih be-
reits gezahlten Entgelts und der Aufwand für
die Gewinnung eines vergleichbaren Arbeitneh-
mers berücksichtigt werden sollen (vgl. BT-Drs.
15/1749, S. 29; BT-Drs. 15/6008, S. 11). Damit
wird ausdrücklich das Kriterium des Stunden-
verrechnungssatzes als möglich benannt. So-
weit das OLG Oldenburg darauf abstellt, dass
dabei der „Marktwert“ des übernommenen Ar-
beitnehmers vollkommen außer Betracht blei-
ben soll, verkennt es schlichtweg, dass sich die-
ser natürlich auch durch den zwischen dem Per-
sonaldienstleister und dem Kundenunterneh-
men vereinbarten Verrechnungssatz manifes-
tiert, da sich dieser insbesondere an der Qua-
lifizierung und der Erfahrung des eingesetzten
Mitarbeiters orientiert. Der Kunde zahlt für ei-
nen Facharbeiter (selbstverständlich) einen hö-
heren Verrechnungssatz als für eine ungelernte
Hilfskraft.
Zudem übersieht das Gericht, dass der BGH kei-
ne fixen Höchstgrenzen für eine Vermittlungs-
provision festgelegt hat. In der Entscheidung
vom 11.10.2011 (III ZR 77/11) heißt es wörtlich:
„Die für eine Übernahme nach bis zu dreimo-
natiger Überlassungsdauer vorgesehene – ma-
ximale – Vergütungshöhe von 15% des Jah-
resbruttoeinkommens (zuzüglich Umsatzsteu-
er) hält sich – noch – im Rahmen des Angemes-
senen. Ausgehend von einer Spanne branchen-
üblicher Sätze von ein bis zu drei Bruttomonats-
gehältern werden im Schrifttum als allgemei-
ne Obergrenze für eine ‚angemessene‘ Vermitt-
lungsvergütung ein Bruttomonatsgehalt, 15%
des Jahresbruttogehalts [= 1,8 Bruttomonats-
gehälter], zwei Bruttomonatsgehälter oder drei
Bruttomonatsgehälter genannt. Die im Streitfall
verwendete Klausel bewegt sich mit einer Ma-
ximalvergütung von 15% des Jahresbruttoein-
kommens (= 1,8 Bruttomonatsgehälter) sonach
etwa im Mittelfeld der Bandbreite der im Wirt-
schaftsverkehr verwendeten und vom Schrift-
tum vertretenen Höchstsätze. Eine solche Maxi-
malvergütung ist auch unter gebotener Berück-
11. jurisPR-ArbR 6/2015
sichtigung der Schutzzwecke des § 9 Nr. 3 AÜG,
insbesondere der Berufsfreiheit des Arbeitneh-
mers und der Förderung des Wechsels in norma-
le Arbeitsverhältnisse unbedenklich. Ein derar-
tiger, die Grenze von zwei Bruttomonatsgehäl-
tern nicht überschreitender Provisionshöchst-
satz hält sich dabei selbst dann noch im Rah-
men des Angemessenen im Sinne von § 9 Nr. 3
Halbsatz 2 AÜG, wenn die Vergütungsregelung
– wie hier – undifferenziert und ohne Beschrän-
kung auf bestimmte Tätigkeitsbereiche sämtli-
che Segmente des Arbeitsmarkts erfasst.“
Der BGH erkennt damit an, dass eine Begren-
zung der Provision auf 1,8 Monatsgehälter AGB-
rechtlich wirksam ist, stellt aber damit nicht
gleichzeitig fest, dass eine höhere Vergütung
per se unzulässig sein soll. Dies zeigt sich ins-
besondere daran, dass der BGH auch Stimmen
in der Literatur nennt, die eine Provision von
bis zu drei Monatsgehältern als möglich anse-
hen, und das Gericht diese Ansicht nicht ver-
wirft. In dem vom OLG Oldenburg entschiede-
nen Fall belief sich die Vergütung für die vermit-
telten Arbeitnehmer auf 2,3 bzw. 2,4 Bruttomo-
natseinkommen und damit noch in einer Band-
breite, die sich auf Grundlage der Rechtspre-
chung des BGH in einem grundsätzlich akzepta-
blen Bereich bewegt. Zumindest hätte das OLG
Oldenburg die Unwirksamkeit der Klausel nicht
pauschal aus der Höhe der zu gewährenden Ver-
mittlungsprovision herleiten können. Hier wä-
re eine differenzierte Argumentation angezeigt
gewesen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Bedauerlicherweise hat das OLG Oldenburg die
Revision zum BGH nicht zugelassen, obwohl die
streitgegenständliche Frage, ob die Höhe der
Vermittlungsprovision im Wesentlichen an den
Stundenverrechnungssatz anknüpfen kann, bis-
lang nicht höchstrichterlich geklärt ist, so dass
– anders als das Gericht meint – sehr wohl von
einer grundsätzlichen Bedeutung ausgegangen
werden kann. Interessant ist zudem, dass der
11. Zivilsenat des OLG Oldenburg in einem äl-
teren Urteil zu einer wortgleich gefassten Klau-
sel noch von deren Wirksamkeit ausgegangen
ist (OLG Oldenburg, Urt. v. 14.12.2012 - 11 U
4/13). In der vorliegenden Entscheidung teilt je-
doch der 1. Zivilsenat mit, dass der 11. Zivilse-
nat an dieser Ansicht nicht mehr festhält – auch
dies ist bedauerlich, da eine entsprechende Ab-
weichung ein zwingender Grund gewesen wäre,
die Revision zum BGH zuzulassen (§ 542 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; dazu: Musielak/Ball, ZPO,
§ 542 Rn. 8, m.w.N.). Diese Chance ist zunächst
(bewusst?) vertan worden.
Damit verbleibt bei der Klauselgestaltung (und
damit insbesondere mit Blick auf die „rich-
tige“ Bezugsgröße) eine nicht unerhebliche
Rechtsunsicherheit. Der etwas „konservative-
re“ Personaldienstleister wird sich vor diesem
Hintergrund besser an den vom BGH bereits
„abgesegneten“ Klauseln orientieren, der et-
was „experimentierfreudige“ Zeitarbeitsunter-
nehmer kann die entsprechenden Regelungen
abwandeln und auf seine Bedürfnisse zuschnei-
den, läuft dann aber Gefahr, im Konfliktfall –
wie das Verfahren vor dem OLG Oldenburg an-
schaulich zeigt – am Ende mit leeren Händen
dazustehen.
5
Darlegungslast bei Equal-Pay-Klagen
Orientierungssätze:
1. Der Leiharbeitnehmer kann der Darle-
gungslast zur Höhe des Anspruchs auf Dif-
ferenzvergütung nach § 10 Abs. 4 AÜG nicht
durch die bloße Bezugnahme auf den Schrift-
sätzen als Anlagen beigefügte Unterlagen
genügen. Die Darlegung der Höhe der Ver-
gütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer
und die Berechnung der Differenzvergütung
durch den Leiharbeitnehmer hat entspre-
chend § 130 Nr. 3 ZPO schriftsätzlich zu er-
folgen.
2. Durch die Aussage, der Entleiher vergü-
te seine Stammarbeitnehmer nach den Tarif-
verträgen der IG Metall, legt der Leiharbeit-
nehmer die Höhe der Vergütung vergleich-
barer Stammarbeitnehmer nicht substanti-
iert dar.
Anmerkung zu BAG, Urteil vom 23.10.2013,
5 AZR 667/12
von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und
FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,
Frankfurt am Main
12. jurisPR-ArbR 6/2015
A. Problemstellung
Die Tarifverträge der CGZP haben nicht von
Equal Pay befreit, weil sie von Anfang an un-
wirksam waren. In der Folge haben sich die Ge-
richte mit vielen Equal-Pay-Klagen von Leihar-
beitnehmern beschäftigt. In der Praxis fällt auf,
dass es Leiharbeitnehmern oft schwer fällt, die
Anspruchshöhe im Prozess schlüssig darzule-
gen. Die Anforderungen der Rechtsprechung an
den Vortrag im Prozess sind recht hoch, wie die
vorliegende Entscheidung des Fünften Senats
zeigt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten über Differenzvergütung
unter dem Gesichtspunkt des Equal Pay.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Schlosser tä-
tig. Er war vom 01.02.2006 bis zum 31.07.2009
der L.W.-GmbH & Co. KG zur Arbeitsleistung
überlassen. Der Arbeitsvertrag verweist auf die
jeweils gültigen Tarifverträge des Arbeitgeber-
verbandes Mittelständischer Personaldienstleis-
ter (AMP) und der Tarifgemeinschaft Christliche
Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP).
Der Kläger hat unter Berufung auf § 10 Abs. 4
AÜG die Differenz zwischen der von der Beklag-
ten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsent-
gelt verlangt, das die L.W.-GmbH & Co. KG ver-
gleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt ha-
ben soll. Der Kläger hat weder eine Auskunft der
Entleiherin nach § 13 AÜG in den Prozess einge-
führt noch vergleichbare Stammarbeitnehmer
benannt. Er hat sich lediglich darauf berufen,
die bei der Entleiherin tätigen Schlosser würden
„nach den Tarifverträgen der IG Metall bezahlt“.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung
dem Klageantrag für Dezember 2006 bis Juli
2009 stattgegeben und im Übrigen die Berufung
des Klägers wegen Verjährung des Anspruchs
zurückgewiesen.
Das BAG hat die Klage für insgesamt unbe-
gründet gehalten mangels hinreichend substan-
tiierter Darlegung der Höhe der Differenzver-
gütung. Der Leiharbeitnehmer sei für die Hö-
he des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt
darlegungs- und beweispflichtig. Seiner Darle-
gungslast könne er zunächst dadurch genü-
gen, dass er sich auf eine ihm nach § 13 AÜG
erteilte Auskunft berufe und sie in den Pro-
zess einführe. Tue er das nicht, müsse er alle
für die Berechnung der Differenzvergütung er-
forderlichen Tatsachen vortragen. Dazu gehör-
ten vorrangig die Benennung eines vergleich-
baren Stammarbeitnehmers und des diesem
vom Entleiher gewährten Arbeitsentgelts. Be-
rufe sich der Leiharbeitnehmer alternativ auf
ein allgemeines Entgeltschema (z.B. Entgelt-
tarifvertrag), habe er nicht nur dessen Inhalt
darzulegen, sondern auch, dass das allgemei-
ne Entgeltschema im Betrieb des Entleihers im
Überlassungszeitraum tatsächlich Anwendung
gefunden habe und wie er danach aufgrund wel-
cher Tatsachen fiktiv einzugruppieren gewesen
wäre. Außerdem umfasse die Darlegungslast
des Leiharbeitnehmers den zur Ermittlung der
Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt
erforderlichen Gesamtvergleich der Entgelte im
Überlassungszeitraum und die Berechnung der
Differenzvergütung. Der Leiharbeitnehmer kön-
ne im Prozess seiner Darlegungslast nicht durch
bloße Bezugnahme auf den Schriftsätzen als
Anlagen beigefügte Unterlagen genügen. Anla-
gen könnten nur zur Erläuterung oder Belegung
schriftsätzlichen Vortrags dienen, ihn aber nicht
ersetzen. Die Darlegung der Höhe der Vergü-
tung vergleichbarer Stammarbeitnehmer und
die Berechnung der Differenzvergütung durch
den Leiharbeitnehmer habe vielmehr entspre-
chend § 130 Nr. 3 ZPO schriftsätzlich zu erfol-
gen.
Diesen Anforderungen genüge der Vortrag des
Klägers nicht. Er habe sich lediglich pauschal
darauf berufen, die bei der Entleiherin tätigen
Schlosser würden „nach den Tarifverträgen der
IG Metall bezahlt“. Hieraus werde nicht deutlich,
welches Entgeltschema im Betrieb der Entlei-
herin auf welcher Rechtsgrundlage (z.B. Tarif-
bindung, arbeitsvertragliche Vereinbarung) im
Überlassungszeitraum zur Anwendung gekom-
men sein soll. Außerdem fehle es an substan-
tiiertem Vortrag dazu, aufgrund welcher Tatsa-
chen der Kläger in welche Lohn-/Entgeltgruppe
welches Tarifvertrags einzugruppieren gewesen
wäre. Er habe insoweit lediglich auf als Anlagen
zur Akte gereichte, mit handschriftlichen Kreuz-
chen versehene Entgelttabellen verwiesen, die
nicht selbsterklärend seien. Auch wiesen die Ta-
bellen Monatsentgelte aus, während der Kläger
seiner Differenzberechnung Stundenlöhne zu-
grunde gelegt habe.
13. jurisPR-ArbR 6/2015
C. Kontext der Entscheidung
Der Senat hatte bereits mit Urteil vom
23.03.2011 (5 AZR 7/10) entschieden, dass der
Leiharbeitnehmer für die Höhe des Anspruchs
auf gleiches Arbeitsentgelt darlegungs- und be-
weispflichtig ist. Er bestätigt vorliegend sei-
ne Folgerechtsprechung zur Darlegungslast in
Equal-Pay-Klagen (vgl. BAG, Urt. v. 13.03.2013
- 5 AZR 146/12; BAG, Urt. v. 13.03.2013 - 5 AZR
294/12). „Geborenes“ Mittel zur Darlegung der
Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer
und zur Berechnung der Höhe des Anspruchs
aus § 10 Abs. 4 AÜG ist der Auskunftsanspruch
gegen den Entleiher nach § 13 AÜG: Der Leih-
arbeitnehmer kann seiner Darlegungslast da-
durch genügen, dass er eine ihm erteilte Entlei-
her-Auskunft in den Prozess einführt. Es obliegt
dann im Rahmen der abgestuften Darlegungs-
last dem Verleiher, die maßgeblichen Umstän-
de der Auskunft zu bestreiten. Trägt er nichts
vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein,
gilt der Inhalt der vom Leiharbeitnehmer vorge-
tragenen Auskunft als zugestanden. Gelingt es
dem Verleiher, die Auskunft des Entleihers zu
erschüttern, bleibt es bei dem Grundsatz, dass
der Anspruchsteller die anspruchsbegründen-
den Tatsachen darlegen und beweisen muss.
Stützt sich der Leiharbeitnehmer im Prozess
nicht auf eine Auskunft nach § 13 AÜG, muss
er alle für die Berechnung der Differenzvergü-
tung erforderlichen Tatsachen vortragen. Da-
zu gehören vorrangig die Benennung eines ver-
gleichbaren Stammarbeitnehmers und des die-
sem vom Entleiher gewährten Arbeitsentgelts.
Beruft sich der Leiharbeitnehmer alternativ auf
ein allgemeines Entgeltschema (z.B. Entgeltta-
rifvertrag), hat er nicht nur dessen Inhalt, son-
dern auch darzulegen, dass ein solches im Be-
trieb des Entleihers im Überlassungszeitraum
tatsächlich angewendet wurde und wie er da-
nach aufgrund welcher Tatsachen fiktiv einzu-
gruppieren gewesen wäre. Letzteres bereitet
Leiharbeitnehmern in der Praxis oft Schwierig-
keiten. Außerdem umfasst die Darlegungslast
des Leiharbeitnehmers den zur Ermittlung der
Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt
erforderlichen Gesamtvergleich der Entgelte im
Überlassungszeitraum und die Berechnung der
Differenzvergütung. Zur Berechnung des Equal-
Pay-Anspruchs ist ein Gesamtvergleich der ge-
samten Vergütung und nicht nur des laufenden
Arbeitsentgelts im Überlassungszeitraum anzu-
stellen.
Ungeklärt war bis Anfang 2013, ob bei die-
sem Gesamtvergleich auch ein dem Leihar-
beitnehmer gewährter Aufwendungsersatz (z.B.
vom Verleiher gewährter Fahrtkostenersatz) zu
berücksichtigen ist (dafür: LArbG Düsseldorf,
Urt. v. 18.03.2013 - 9 Sa 1585/12; dagegen
LArbG München, Urt. v. 13.03.2013 - 10 Sa
960/12). Das BAG hat das abgelehnt, soweit es
sich bei dem Aufwendungsersatz nicht um „ver-
schleiertes“ Arbeitsentgelt handelt (BAG, Urt. v.
13.03.2013 - 5 AZR 294/12).
Unter Hinweise auf seine Rechtsprechung zur
Darlegung von Überstunden betont der Se-
nat, dass die Darlegung der Höhe der Vergü-
tung vergleichbarer Stammarbeitnehmer und
die Berechnung der Differenzvergütung durch
den Leiharbeitnehmer schriftsätzlich zu erfol-
gen hat (vgl. auch BAG, Urt. v. 23.10.2013 - 5
AZR 556/12). Anlagen allein (hier: Entgelttabel-
len mit handschriftlichen Kreuzchen) genügen
nicht.
D. Auswirkungen für die Praxis
In der Praxis spielt nicht selten die prozes-
suale Darlegungslast eine entscheidende Rol-
le bei der Durchsetzung von Equal-Pay-Ansprü-
chen. In seiner Entscheidung konkretisiert das
BAG die Anforderungen an den Vortrag des dar-
legungspflichtigen Leiharbeitnehmers: Er wird
seiner Darlegungslast nur gerecht, wenn er Hö-
he des Entgelts, Gesamtvergleich und Berech-
nung der Differenzvergütung schriftsätzlich im
Einzelnen darlegt. Das bloße Beifügen entspre-
chender Dokumente als Anlagen (z.B. Geltend-
machungsschreiben, Lohnabrechnungen, Ent-
gelttabellen) reicht ebenso wenig wie der pau-
schale Verweis auf beim Entleiher geltende
Tarifverträge (hier: „Tarifverträge der IG Me-
tall“). Wenn die vergleichbaren Stammarbeit-
nehmer Monatsgehälter beziehen, richten sich
auch Equal-Pay-Ansprüche auf ein Monatsge-
halt. Ein Herunterrechnen auf einen fiktiven St-
undenlohn ist dann nicht zulässig. Ausgangs-
punkt für die Berechnung der Differenzvergü-
tung ist vielmehr das Monatsgehalt, das der
Leiharbeitnehmer im Beschäftigungszeitraum
erhalten hätte, wenn er unmittelbar bei dem
Entleiher beschäftigt gewesen wäre (vgl. BAG,
Urt. v. 23.10.2013 - 5 AZR 556/12).
14. jurisPR-ArbR 6/2015
6
Rechtsweg für Kündigungsschutzklage
eines Fußballtrainers
Leitsatz:
Wehrt sich der Trainer einer Fußballmann-
schaft gegen die fristlose Kündigung sei-
nes Vertragsverhältnisses mit dem Antrag
festzustellen, dass diese unwirksam ist und
nicht zu einer Beendigung seines "Arbeits-
verhältnisses" geführt hat, handelt es sich
um einen sic-non-Fall im Sinne der Recht-
sprechung des Fünften Senates des BAG, für
den der Rechtsweg zu den Gerichten für Ar-
beitssachen eröffnet ist.
Anmerkung zu LArbG Rostock, Beschluss vom
07.07.2014, 3 Ta 21/14
von Dr. Leona Sofie Sixtus, RA'in und FA'in für
Arbeitsrecht, Sixtus & Partner Rechtsanwälte, Ber-
lin
A. Problemstellung
Das LArbG Rostock hatte im Vorabverfahren
über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den
Gerichten für Arbeitssachen zu entscheiden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Hintergrund des Verfahrens war eine Kündi-
gungsschutzklage des im Nebenberuf als Ama-
teurtrainer für die Beklagte tätigen Klägers so-
wie darauf aufbauende Zahlungsanträge.
Das ArbG Neubrandenburg hatte die Zulässig-
keit des Rechtsweges für Arbeitssachen bejaht.
Hiergegen richtete sich die sofortige Beschwer-
de des beklagten Vereins. Das ArbG Neubran-
denburg hat der sofortigen Beschwerde nicht
abgeholfen und das Verfahren dem LArbG Ros-
tock zur weiteren Entscheidung vorgelegt.
Die sofortige Beschwerde des beklagten Ver-
eins war zulässig, aber nicht begründet. Hin-
sichtlich des Kündigungsschutzantrages sei ein
sog. sic-non-Fall gegeben. Denn die beantrag-
te Feststellung setze voraus, dass im Zeitpunkt
der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen
den Parteien bestanden habe.
Hinsichtlich der weiterhin geltend gemachten
Zahlungsanträge sei ebenfalls der Rechtsweg
zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Insoweit hät-
te ein sog. aut-aut-Fall vorgelegen. Der dies-
bezügliche Anspruch des Klägers hätte also so-
wohl auf eine arbeitsrechtliche als auch auf ei-
ne allgemein zivilrechtliche Anspruchsgrundla-
ge gestützt werden können – wobei sich diese
gegenseitig ausschließen. Vorliegend habe der
Vortrag der Parteien aber ergeben, dass zwi-
schen ihnen ein Arbeitsverhältnis geschlossen
worden sei. Dies folge zunächst schon daraus,
dass der Vertrag explizit für den Fall des Aus-
scheidens „aus dem Arbeitsverhältnis“ einen
Anspruch des Klägers auf Erteilung eines qua-
lifizierten Zeugnisses vorsehe. Zudem sei die
Beklagte – bis zu ihrer Unzuständigkeitsrüge –
selbst von dem Bestehen eines Arbeitsverhält-
nisses ausgegangen, da sie selbst einen Auf-
lösungsantrag nach dem KSchG gestellt hatte.
Auch die Praxis der Abrechnung des Klägers als
geringfügig Beschäftigten spreche für das Vor-
liegen eines Arbeitsverhältnisses. Hinzu kom-
me, dass der Kläger seitens der Beklagten fes-
te wöchentliche Trainingszeiten vorgeschrieben
bekam, mithin Weisungen hinsichtlich der Zeit,
Dauer und des Ortes der Tätigkeitsausführung.
Nach alledem war vom Vorliegen eines Arbeits-
verhältnisses zwischen den Parteien auszuge-
hen, so dass auch hinsichtlich des Zahlungsan-
spruchs des Klägers der Rechtsweg zu den Ar-
beitsgerichten eröffnet war.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung bietet Anlass, sich der Grund-
sätze des BAG zur Frage der Rechtswegzustän-
digkeit gewahr zu werden. Dass diese keines-
falls bloß „graue Theorie“ ist, zeigt die Recht-
sprechung des BAG der jüngeren Vergangen-
heit. Denn insbesondere im Rahmen der Ab-
berufung und Kündigung von Geschäftsführern
kommt es immer wieder zu Streitigkeiten über
die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte. Insoweit
gilt:
Enthält die Klage ausschließlich Klageanträge,
die nur dann begründet sein können, wenn das
Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuord-
nen ist, handelt es sich um einen sog. sic-non-
Fall. Bereits die bloße Rechtsansicht der Klage-
partei, es handele sich um ein Arbeitsverhält-
nis, eröffnet dann den Rechtsweg zu den Ar-
beitsgerichten (BAG, Beschl. v. 15.11.2013 - 10
15. jurisPR-ArbR 6/2015
AZB 28/13; BAG, Beschl. v. 03.12.2014 - 10 AZB
98/14).
Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in de-
nen ein Anspruch entweder auf eine arbeits-
rechtliche oder eine bürgerlich-rechtliche An-
spruchsgrundlage gestützt werden kann, die
in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen
sich aber gegenseitig ausschließen (sog. aut-
aut-Fall).
Weiter gibt es Fälle, in denen ein einheitli-
cher Anspruch widerspruchslos sowohl auf ei-
ne arbeitsrechtliche als auch auf eine nicht
arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage gestützt
werden kann (sog. et-et-Fall). Anders als im Fall
des sic-non reicht in diesen Fällen die bloße
Rechtsansicht des Klägers, er sei Arbeitnehmer,
nicht aus, die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit
zu begründen (BAG, Beschl. v. 31.08.1998 -
5 AZB 21/98). Allerdings hat das BAG bislang
aber offengelassen, ob es für die Eröffnung des
Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten ausreicht,
wenn der Kläger das Bestehen eines Arbeits-
verhältnisses schlüssig vorträgt, oder ob be-
reits im Rechtswegbestimmungsverfahren die
Arbeitnehmereigenschaft des Klägers bewiesen
werden muss.
D. Auswirkungen für die Praxis
Folgte man der ersteren Ansicht, wäre in ei-
nem entsprechenden Fall zumindest erforder-
lich, dass der Kläger schlüssig zu dem nach sei-
ner Auffassung bestehenden Arbeitsverhältnis
vorträgt, mithin also vor allem zu seiner per-
sönlichen Abhängigkeit durch Weisungsgebun-
denheit und Eingliederung in den Betrieb seines
Vertragspartners. Anderenfalls droht die Abwei-
sung der Klage bereits als unzulässig.