Im Rahmen eines Vorlageverfahrens hatte der EuGH zum ersten Mal Gelegenheit zur Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG (Urteil vom 17.03.2015 - Rs. C-533/13). Die lange erwartete Entscheidung enttäuscht. Es bleibt insb. offen, ob der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern neben Stammarbeitnehmern im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgaben nach der Richtlinie unzulässig ist.
Leiharbeitsrichtlinie - EuGH lässt Zulässigkeit des dauerhaften Einsatzes von Leiharbeit offen
1. Arbeitsrecht Kurz Kommentiert DB vom 08.05.2015 , Heft 19, Seite 1104 - 1105 DB0694938
Leiharbeitsrichtlinie - EuGH lässt Zulässigkeit des dauerhaften Einsat-
zes von Leiharbeit offen
RA/FAArbR Dr. André Zimmermann, LL.M.
Im Rahmen eines Vorlageverfahrens hatte der EuGH zum ersten Mal Gelegenheit zur
Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG (Urteil vom 17.03.2015 - Rs. C-533/13). Die
lange erwartete Entscheidung enttäuscht. Es bleibt insb. offen, ob der dauerhafte Einsatz von
Leiharbeitnehmern neben Stammarbeitnehmern im Rahmen der gewöhnlichen
Arbeitsaufgaben nach der Richtlinie unzulässig ist.
I. Einleitung und Sachverhalt
Der Tarifvertrag der Tankwagen- und Ölproduktebranche und ein Rahmentarifvertrag in Finnland sehen
Einschränkungen beim Einsatz von Leiharbeit vor: Der Einsatz von Leiharbeitnehmern muss sich auf
den Ausgleich von Arbeitsspitzen oder sonst begrenzten Aufgaben beschränken, die wegen der
Dringlichkeit, der begrenzten Dauer der Arbeit, erforderlicher beruflicher Kenntnisse und Spezialgeräte
oder aus vergleichbaren Gründen eigenen Arbeitnehmern nicht übertragen werden können. Nach den
Tarifverträgen ist der Einsatz von Leiharbeitnehmern "unlauter", wenn sie während eines längeren
Zeitraums normale Arbeiten des Unternehmens neben den Stammarbeitnehmern und unter derselben
Leitung ausführen.
Die Gewerkschaft der Transportarbeiter hat ein Transportunternehmen und einen Arbeitgeberverband
wegen der Verletzung dieser tarifvertraglichen Bestimmungen verklagt. Die Arbeitnehmervertreter
werfen dem Transportunternehmen vor, es setze seit mehreren Jahren in erheblichem Umfang
Leiharbeitnehmer zur Erledigung von Aufgaben ein, die identisch seien mit denen der eigenen
Arbeitnehmer des Unternehmens. Das sei nach den Tarifverträgen verboten.
Unternehmen und Arbeitgeberverband verteidigen hingegen den Einsatz. Die Leiharbeitnehmer
übernähmen im Wesentlichen Urlaubs- und Krankheitsvertretungen. I.Ü. enthielten die Tarifverträge
eine mit der Leiharbeitsrichtlinie unvereinbare Einschränkung des Einsatzes von Leiharbeit. Das ArbG
dürfe die tarifvertraglichen Regelungen daher nicht anwenden.
Gem. Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG sind Verbote oder Einschränkungen des
Einsatzes von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Explizit genannt
werden hier der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit
am Arbeitsplatz sowie die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts zu
gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten.
Das finnische ArbG hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Fragen vorgelegt, ob die
tarifvertraglichen Regelungen eine mit Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie unvereinbarte
Einschränkung des Einsatzes von Leiharbeit enthalten, die das Gericht verhindern muss, und ob der
längerfristige Einsatz von Leiharbeitnehmern neben Stammarbeitnehmern im Rahmen der
gewöhnlichen Arbeitsaufgaben verboten ist.
II. Stellungnahme des Generalanwalts
2. Der zuständige Generalanwalt betonte in seiner Stellungnahme vom 20.11.2014 die Pflicht der
Mitgliedstaaten, Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit aufzuheben, soweit sie nicht durch
Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind, wie sie in Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie
beispielhaft genannt sind.
Gleichzeitig hob er hervor, dass Leiharbeitsverhältnisse Arbeitsverhältnisse "vorübergehender Art"
seien, die sich nicht zum Nachteil von Stammarbeitnehmern auswirken dürften. Leiharbeit sei eine
atypische Arbeitsform, die den Regelfall der direkten Anstellung nicht verdrängen dürfe. Die
Mitgliedstaaten hätten bei der Erreichung dieses Regelungsziels aber einen großen Spielraum. Eine
missbräuchliche Nutzung von Leiharbeit sei anzunehmen und könne ohne Verstoß gegen die Richtlinie
von den Mitgliedstaaten verboten werden, wenn Leiharbeitnehmer bei dauerhaftem Bedarf neben
Stammarbeitnehmern für längere Zeit eingesetzt werden. Den Begriff "längere Zeit" präzisierte der
Generalanwalt allerdings nicht.
III. Die Entscheidung
Der EuGH beantwortete nur die Vorlagefrage, ob Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie nationale
Behörden und Gerichte verpflichtet, nationale Vorschriften unangewendet zu lassen, die gegen die
Richtlinie verstoßen. Das Gericht ließ damit insb. offen, ob der längerfristige Einsatz von
Leiharbeitnehmern neben Stammarbeitnehmern im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgaben nach
der Richtlinie verboten ist.
Anders als der Generalanwalt verneint der EuGH die Vorlagefrage: Art. 4 Abs. 1 der
Leiharbeitsrichtlinie richte sich nur an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. Eine
systematische Auslegung ergebe, dass es nur Aufgabe der national zuständigen Behörden sei, zu
prüfen, ob nationale Verbote oder Einschränkungen der Leiharbeit gerechtfertigt sind. Die Gerichte
könnten solche Verpflichtungen nicht erfüllen.
Die Mitgliedstaaten seien daher ggf. veranlasst gewesen, ihre nationalen Regelungen über Leiharbeit
anzupassen. Sie seien jedoch frei darin, nicht gerechtfertigte Verbote oder Einschränkungen
aufzuheben oder anzupassen. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie gebe den Mitgliedstaaten nicht den Erlass
einer bestimmten Regelung vor, sondern lege nur den Rahmen fest, in dem sich ihre
Regelungstätigkeit abspielen dürfe.
IV. Folgen für die Praxis und Ausblick
Anders als der Generalanwalt hat sich der EuGH nicht mehr mit der Frage auseinandersetzen müssen,
ob der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern statt Stammarbeitnehmern nach der
Leiharbeitsrichtlinie unzulässig ist. Viele Arbeitsrechtler hatten sich mehr vom Ausgang des Verfahrens
erhofft - etwa einen Hinweis darauf, welches zeitliche Moment in dem Wort "vorübergehend" steckt.
Welcher "längere Zeitraum" - so der Wortlaut des finnischen Tarifvertrags - angemessen sein soll,
bleibt aber auch in den Schlussanträgen des Generalanwalts offen.
Geklärt ist für die deutsche Rechtslage derzeit (nur), dass der zeitlich nicht begrenzte Einsatz eines
Leiharbeitnehmers statt eines Stammarbeitnehmers nicht mehr "vorübergehend” ist (BAG, Beschluss
vom 10.07.2013 - 7 ABR 91/11, DB 2013 S. 2629; vom 30.09.2014 - 1 ABR 79/12, DB 2015 S. 383).
Kurze Vertretungen (z.B. bei Auftragsspitzen und Krankheit) sind nach der Gesetzesbegründung
unkritisch. Dazwischen ist der [DB 2015 S. 1105]Einsatz von Leiharbeitnehmern für die Praxis unsicher,unkritisch. Dazwischen ist der [DB 2015 S. 1105]Einsatz von Leiharbeitnehmern für die Praxis unsicher,
wenn sich nicht aus dem Überlassungsvertrag ein befristeter Überlassungszeitraum - maximal zwei
Jahre, ideal nicht länger als 18 Monate - und ein Grund für den vorübergehenden betrieblichen Bedarf
an der Arbeitskraft (z.B. Krankheitsvertretung) ergeben.
Bei einem Verstoß kann der Betriebsrat beim Entleiher seine Zustimmung zum Einsatz wegen