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dIe dIgItale verwüStUng
         Von den Sorgen der Buchbranche


                       Wie eine nimmersatte Raupe frisst sich Google                 Von Freund und Feind
        Albert Pusch




                       durch die Bibliotheken von Austin bis Tokio. Für
                       sein Google Books Library Project scannt das Unter-           Amazon, Google und Apple sind die Großmächte, die
                       nehmen sämtliche Buchbestände mit dem Ziel                    dem Buchmarkt zusetzen – jedes der Unternehmen
                       der totalen digitalen Verfügbarkeit. Gleichzeitig             auf seine Weise. Zusammengerechnet 77 Milliarden
                       werden Urheberrechte von Piraten torpediert, die              Euro Umsatz erwirtschafteten die drei im Jahr 2008,
                       mittlerweile selbst ins Europäische Parlament Einzug          dem gegenüber stehen die einhundert größten
                       halten. Mit der Entwicklung von E-Book-Readern                deutschen Buchverlage mit einem Umsatz von weniger
                       wird das digitale Lesen und Verbreiten zum Kinder-            als 7 Milliarden Euro. Bei diesen Summen wird klar, dass,
                       spiel. 500 Jahre nach der Erfindung des Buch-                 wenn sich Amazon, Google und Apple vornehmen,
                       drucks stehen die Autoren, Verlagsmanager                     das bestehende Geflecht aus Autoren, Verlagen und
                       und Buchhändler vor der größten Veränderung                   Endkunden zu verändern, sie es schaffen werden – ob die
                       ihrer Geschichte. Stirbt das Buch? Oder sind die Kopf-        Manager der Verlagshäuser das nun wollen oder nicht.
                       schmerzen der Branche vielleicht unbegründet?                 Um Lösungen für die Probleme der Branche zu ermit-
                                                                                     teln, lohnt ein Blick auf die vier Marketing Ps. Product,
                                                                                     Price, Place und Promotion – jeder der vier Bereiche ver-
                                                                                     ändert sich.

                                                                                     Das Produkt „Buch“ im Wandel
                                                                                     Amazon hat sich darauf spezialisiert, dem Kunden
                                                                                     möglichst schnell und günstig die gewünschten Artikel
                                                                                     zu liefern. Preistransparenz und der Verzicht auf
                                                                                     Versandgebühren      sichern     dem     Unternehmen
                                                                                     ein zuverlässiges Wachstum, auch in Krisenzeiten.
                                                                                     Seit über einem Jahr ist Amazons Kindle in
                                                                                     den USA zu haben und mit der Entwicklung
                                                                                     des E-Book-Readers stieg das Online-Versandhaus
                                                                                     erstmals in die Entwicklung von Hardware ein.
                                                                                     Unter dem Motto „Alles aus einer Hand“ wird
                                                                                     auf den Lesegeräten ausschließlich das Amazon-
                                                                                     eigene Format unterstützt, so dass der Kunde zwun-
                                                                                     gen ist, seine Bücher für das Kindle allesamt bei Ama-

                                                        So sahen Bücher früher aus


                       Deutschland ist das Land der Leser, romantisch
                       ausgedrückt, der Dichter und Denker, oder doch
                       eher der „Doofen und Dieter“, wie es kürzlich
                       der Moderator und Schriftsteller Jörg Thadeusz
                       ausdrückte? Fakt ist, Lesen stand bei der Frage nach
                       den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen im letzten
                       Jahr auf Platz 7, gleich hinter Auto fahren. 40 Pro-
                       zent der Bevölkerung haben im letzten Jahr kein
                       Buch gekauft und die Menschen, die täglich
                       oder zumindest mehrmals die Woche lesen,
                       beschränkt sich auf 45 Prozent bei den Frauen
                       und gerade einmal 35 Prozent bei den Männern.
                       Durch die Digitalisierung verbringen die Menschen
                       mehr Zeit im Internet, Zeit, die fürs Lesen fehlt. Im
                       Prinzip beginnen die Probleme genau an dieser
                       Stelle, nämlich mit der Frage, wie ein uraltes
                       Medium mit den multisensorischen Erlebniswelten
                       eines digitalen Umfelds mithalten kann?                                                              E-book Reader Kindle
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Buch_MD_einzelseiten.indb 32                                                                                                                  08.12.09 11:59
zon zu kaufen. Dank drahtloser Internetanbindung ist       Und wieder Apple
          der Kunde flexibel und kann seine Titel von jedem Ort
          aus beziehen. Mit dieser Funktion ist das Kindel den       Der Vergleich mit der Musikbranche ist für die
          anderen Geräten von Sony und Co weit überlegen.            Neugestaltung der Buchbranche unverzichtbar.
                                                                     Denn als die Musikindustrie die dunkelsten Tage ih-
          Die Lesegeräte legen ein enormes Wachstum im               rer Existenz durchlitt, schaffte es Apple mit einer
          dreistelligen Prozentbereich vor, dieses Wachstum          Kombination aus Geschick und Glück, eine Markt-
          wird allerdings durch die niedrige Ausgangsbasis           nische zu erobern. Über den iTunes Store können
          relativiert. Im Gegensatz zum amerikanischen Markt         Millionen Nutzer, Musiktitel, Hörbücher und selbst
          treffen die Geräte in Deutschland noch auf Wider-          Filme herunterladen und sie sind „sogar“ bereit dafür
          stände, sei es durch ihren geringen Leistungsum-           zu zahlen. 2,2 Milliarden Euro erwirtschaftete Apple mit
          fang oder einer gewissen Technikverdrossenheit             dem Store 2008, das Wachstum gegenüber dem Vor-
          der Deutschen. Scheinbar macht sich Apple bereits          jahr betrug 49 Prozent, und das in einem Markt, der für
          daran ersteres Problem zu beseitigen, indem sie            klinisch tot gehalten wurde. Mit dem iTunes Store be-
          die Vorteile eines lesefreundlichen Geräts mit der         weist Apple etwas, das Joseph Schumpeter bereits 1912
          Fähigkeit zur Multimedialität verbinden. „Apple            beschrieb, nämlich die Fähigkeit eines Unternehmers,
          Tablet“ heißt das Buzzword, das seit Wochen in den         dort zu gehen, wo noch keiner ging und die „neuartigen
          Gerüchteküchen des Webs brodelt.                           Kombinationen von Dingen und Kräften“ für
                                                                     seinen Vorteil zu nutzen – als Pionier. Die Buchbranche
                                                                     muss die ausgetretenen Pfade verlassen um den Wan-
                                                                     del erfolgreich zu begehen.

                                                                     Vertriebsplattformen wie iTunes werden für das
                                                                     Verlagswesen eine wachsende Rolle spielen. Nicht
                                                                     nur E-Books lassen sich online vertreiben, sondern
                                                                     auch Hörbücher, die immerhin fünf Prozent des
                                                                     Umsatzes der deutschen Verlage ausmachen. Mit
                                                                     der Gründung von Libreka, einer verlagsüber-
                                                                     greifende     E-Commerce-Plattform       für   E-Books,
                                                                     wurde der erste Schritt in diese Richtung getan.

                                                                     Damit kommen wir auch zum dritten P, dem Preis.
                                                  Das Apple Tablet
                                                                     Warum kostet ein E-Book genauso viel wie ein
                                                                     Taschenbuch? Das E-Book muss weder versandt, noch
          Anfang Januar wird es vermutlich auf der Keynote           muss es von Mitarbeiter ausgepackt und ins Regal
          des Unternehmens vorgestellt. Ob sich die                  gestellt werden, es erfordert keinen Lagerraum und
          bisherigen Lesegeräte durchsetzen oder aber multi-         nimmt auch keine kostbare Ladenfläche ein, dennoch
          funktionale Geräte wie das Apple Tablet den Markt          sind die Preise gleich. Fachlich ausgedrückt bedeutet
          beherrschen werden, bleibt abzuwarten.                     das E-Book eine Minimierung der Transport-, Lager- und
                                                                     Personalkosten. Grund am Preis ist das Festhalten an der
          Die Entwicklung der Smartphones spielt ebenfalls           Buchpreisbindung; wohl eine der absurdesten Ideen
          eine gewichtige Rolle. Bereits jetzt nutzen Menschen       der Branche.
          ihre Smartphones als Lesegeräte. Applikationen für         Eines der Keylearnings aus dem iTunes-Fall ist, dass der
          iPhone und Android-Syteme optimieren E-Books               Preis für ein digitales Produkt so gestaltet sein muss,
          (PDF-Files) auf die kleinformatigen Displays. Die          dass die Kunden nicht mehr bereit sind, den Aufwand
          Hardware schafft die Nachteile der Software; die           zu betreiben, sich Inhalte über File sharing-Portale he-
          E-Books sind leicht zu kopieren und die Rechte             runter zu laden. Es gibt keinen Grund, den Preis von
          im Web nur schwer zu schützen. Piraterie der               E-Books auf dem momentanen Niveau zu halten.
          immateriellen Güter ist ein enormes Problem. Die
          Versuche durch Digital Rights Management - also            Auch bei den gedruckten Werken ist die Buchpreis-
          Technologien, die den Nutzerkreis beschränken - eine       bindung völlig überholt. Über Amazons Market-
          Kontrolle über die Verbreitung einer Publikation zu        place lassen sich Bücher „wie neu“ kaufen, diese
          bekommen, sind kundenunfreundlich und mit Schwä-           Verkäufe unterwandern die Buchpreisbindung und
          chen behaftet. Außerdem sind die DRM-Ansätze einer         untergraben damit das angestrebte Ziel, die
          der Gründe, warum die Musikindustrie heute da steht,       Meinungs- und kulturelle Vielfalt zu erhalten.
          wo sie steht – am Ende der marktwirtschaftlichen           Gleichzeitig lassen sich diese Ziele als überholt
          Nahrungskette.                                             bezeichnen, weil allein durch den Digitaldruck Klein-
                                                                                                                                 MD 53
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und Kleinstauflagen eine Chance haben, verlegt                            Momentan stellen Buchverlage noch zu oft die
                   zu werden – notfalls auch im Selbstverlag. Außer-                         Frage, wie sie ein zweiseitig bedrucktes Buch
                   dem hat jeder die Möglichkeit eigene Inhalte                              auf das 3,5 Zoll kleine Display eines iPhones
                   im Internet zu veröffentlichen und zu verbrei-                            bekommen, anstatt sich den wesentlichen Fragen
                   ten. Das Loslassen der Buchpreisbindung ist keine                         zu stellen. Die wirkliche Herausforderung ist es, wie
                  „Aldisierung“ des Verlagswesens, wie es in manchen                         wir ein Medium nutzen, das bereits drei unserer
                   Schriften genannt wird, sondern eine unvermeidbare                        fünf Sinne anspricht. Wie lässt sich gleichzeitig
                   Marktanpassung.                                                           das Buch gegen das Internet und die allgemeine
                                                                                             Digitalisierung verteidigen und müssen wir das
                   Neue, nicht traditionelle Partner in der Wert-                            überhaupt? Wie können wir diese beiden Welten
                   schöpfungskette sorgen dafür, dass die scheinbar                          miteinander Verbinden?
                   einzigartige Qualifikation der Verlage, diese
                   Rollen auszufüllen, immer mehr ins Wanken gerät.                          Zauberformeln zum neuen Buch
                   Für Verlage öffnet sich aber auch eine Vielfalt
                   an Veränderungsmöglichkeiten in den strate-
                   gischen Bereichen: Unternehmensstrategie, Kanäle,
                   Geschäftsmodelle, Technologie und Plattformen. Dass
                   sie dabei Fehler machen werden, ist unvermeidbar.
                   Entscheidungen in einer sich ändernden Welt sind
                   oft von Unsicherheit geprägt. Aber eines ist sicher:
                   über-eben werden nur die Verlage, die anfangen sich
                   mit der digitalen Welt anzufreunden, anstatt sie zu
                   verteufeln.

                   Doch werden Verlage gezwungen sein, einen
                   wesentlichen Teil ihrer Geschäfte mit nicht                                          Mit Augmented Reality lassen sich
                   traditionellen Institutionen abzuwickeln. Die größ-                                  Content Enrichment Ideen umsetzen
                   ten neuen Partner sind, neben den drei oben
                   genannten      Spielern,    alles  Technologieunter-
                                                                                             Gerade     im   Bildungs-    und   Sachbuchbereich
                   nehmen, die im Netz zuhause sind und die nicht
                                                                                             können Bücher in Zukunft der Startpunkt für multi-
                   darauf angewiesen sind, veraltete Geschäfts-
                                                                                             sensorische Erlebnisse sein. Content Enrichment als
                   modelle am Leben zu erhalten.
                                                                                             Zauberformel für die nächste Stufe des Buches? So
                                                                                             ließen sich an den Erwerb eines Buches unzählige
                                                                                             Zusatzinformationen koppeln, die aus dem Web
                                                                                             abgerufen werden können: Video-Sequenzen zu
                                                                                             einzelnen Kapiteln einer medizinischen Abhand-
                                                                                             lung sind denkbar, genauso wie Animationen,
                                                                                             weiterführende oder ergänzende Quellen und
                                                                                             dynamisch aufbereitete Daten.


                                                                                             Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen und wird nur
                                                                                             von der Phantasie des einzelnen gebremst. Selbst
                                                                                             in der Belletristik ließe sich Content Enrichment
                                                                                             nutzen: Autorenlesungen mit persönlicher Frage-
                                                                                             runde via Livestream, die nur für die Buchkäufer
                                                                                             zugänglich sind oder Hintergrundinformationen
                                                                                             zur Entstehungsgeschichte eines Buches. Die Kunden
                                                                                             lieben Geschichten, diese müssen aber nicht
                                                                                             nur im Buch erzählt werden. Auch hier werden
                                                                                             Plattformen wieder eine bedeutende Rolle spielen.


                                                                                             Auch die Veredelung des Buches durch aus-
                                                                                             gefallene Drucktechniken und das Wiederbeleben von
                                                                                             Sammlereditionen könnte einen bibliophilen Markt
                                                                                             im Luxussegment neu entstehen lassen.
                    Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller auf der Frankfurter Buchmesse
 MD 53
       34


Buch_MD_einzelseiten.indb 34                                                                                                                     08.12.09 11:59
Konsumerlebnis für Leseratten:
          Ein Schlussplädoyer
          Als finaler Anstoß sei auch das letzte und vierte
          P genannt – die Promotion. Wir leben in einem
          Zeitalter in dem Kunden hungrig nach Konsumer-
          erlebnissen sind. Nicht umsonst richten Hugendubel
          und Thalia gemütliche Leseecken ein, lassen die
          Kunden stundenlang in Büchern lesen während
          sie in gemütlichen Sesseln sitzen und haben oft
          sogar ein angeschlossenes Café im Haus. Damit wird
          der Besuch in der Buchhandlung zum Event, das kein
          Internetunternehmen zu leisten vermag.

          Gleichzeitig aber bietet das Web einen anderen
          Vorteil – die Vernetzung. Interaktion, Feedback
          und Informationen waren niemals einfacher zu
          erreichen als heute. Die Kommunikation zwischen
          den Teilnehmern des Buchmarktes ist schnell und
          direkt. Leser informieren sich in Buchblogs zu
          neuen Titeln und es entstehen Meinungsführer, die
          Unternehmen für ihre Kommunikation nutzen können.
          Darüber hinaus gibt es unzählige neue Werbeformen,
          soziale Netzwerke und Targeting-Lösungen, um Ziel-
          gruppen genauer und kostengünstig zu erreichen.
          Die neuen Technologien und Plattformen ziehen
          nicht zuletzt auch Veränderungen in der Personal-
          struktur der Verlage nach sich. Die Verlage
          müssen in Leute investieren, die mit den
          neuen Technologien ganz natürlich umgehen,
          die    veränderten    Kommunikationsanforderungen
          verstehen, neue Ideen entwickeln und umsetzen.
          Eine Investition in diesen Umstrukturierungsprozess
          wird elementar sein.

          Die Digitale Revolution vollzieht sich nicht von
          heute auf morgen, und dennoch müssen die
          Verlage Druckwerke und Digitales miteinander
          verbinden. Dafür müssen sie sich dem neuen
          Umfeld anpassen und neue Fähigkeiten entwickeln.
          Eine Frage wird sein, wie man mit innovativen
          Monopolisten umgeht und wie die Veränderungen
          in der Wertschöpfungskette vom Autor zum End-
          kunden so beeinflusst wird, dass daraus Gewinne
          erwirtschaftet werden. Die Veränderungen der
          digitalen Welt passieren nicht über Nacht und es
          wäre unrealistisch zu glauben, dass die digitale
          Anpassung der Verlage sich auch umgehend
          positiv auf die Umsätze auswirkt. Dennoch müssen
          heute Entscheidungen getroffen werden, die helfen,
          sich in einer neuen, digitalen Umwelt zurecht zu
          finden.




Buch_MD_einzelseiten.indb 35                                    08.12.09 11:59

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Die Digitale Verwüstung

  • 1. dIe dIgItale verwüStUng Von den Sorgen der Buchbranche Wie eine nimmersatte Raupe frisst sich Google Von Freund und Feind Albert Pusch durch die Bibliotheken von Austin bis Tokio. Für sein Google Books Library Project scannt das Unter- Amazon, Google und Apple sind die Großmächte, die nehmen sämtliche Buchbestände mit dem Ziel dem Buchmarkt zusetzen – jedes der Unternehmen der totalen digitalen Verfügbarkeit. Gleichzeitig auf seine Weise. Zusammengerechnet 77 Milliarden werden Urheberrechte von Piraten torpediert, die Euro Umsatz erwirtschafteten die drei im Jahr 2008, mittlerweile selbst ins Europäische Parlament Einzug dem gegenüber stehen die einhundert größten halten. Mit der Entwicklung von E-Book-Readern deutschen Buchverlage mit einem Umsatz von weniger wird das digitale Lesen und Verbreiten zum Kinder- als 7 Milliarden Euro. Bei diesen Summen wird klar, dass, spiel. 500 Jahre nach der Erfindung des Buch- wenn sich Amazon, Google und Apple vornehmen, drucks stehen die Autoren, Verlagsmanager das bestehende Geflecht aus Autoren, Verlagen und und Buchhändler vor der größten Veränderung Endkunden zu verändern, sie es schaffen werden – ob die ihrer Geschichte. Stirbt das Buch? Oder sind die Kopf- Manager der Verlagshäuser das nun wollen oder nicht. schmerzen der Branche vielleicht unbegründet? Um Lösungen für die Probleme der Branche zu ermit- teln, lohnt ein Blick auf die vier Marketing Ps. Product, Price, Place und Promotion – jeder der vier Bereiche ver- ändert sich. Das Produkt „Buch“ im Wandel Amazon hat sich darauf spezialisiert, dem Kunden möglichst schnell und günstig die gewünschten Artikel zu liefern. Preistransparenz und der Verzicht auf Versandgebühren sichern dem Unternehmen ein zuverlässiges Wachstum, auch in Krisenzeiten. Seit über einem Jahr ist Amazons Kindle in den USA zu haben und mit der Entwicklung des E-Book-Readers stieg das Online-Versandhaus erstmals in die Entwicklung von Hardware ein. Unter dem Motto „Alles aus einer Hand“ wird auf den Lesegeräten ausschließlich das Amazon- eigene Format unterstützt, so dass der Kunde zwun- gen ist, seine Bücher für das Kindle allesamt bei Ama- So sahen Bücher früher aus Deutschland ist das Land der Leser, romantisch ausgedrückt, der Dichter und Denker, oder doch eher der „Doofen und Dieter“, wie es kürzlich der Moderator und Schriftsteller Jörg Thadeusz ausdrückte? Fakt ist, Lesen stand bei der Frage nach den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen im letzten Jahr auf Platz 7, gleich hinter Auto fahren. 40 Pro- zent der Bevölkerung haben im letzten Jahr kein Buch gekauft und die Menschen, die täglich oder zumindest mehrmals die Woche lesen, beschränkt sich auf 45 Prozent bei den Frauen und gerade einmal 35 Prozent bei den Männern. Durch die Digitalisierung verbringen die Menschen mehr Zeit im Internet, Zeit, die fürs Lesen fehlt. Im Prinzip beginnen die Probleme genau an dieser Stelle, nämlich mit der Frage, wie ein uraltes Medium mit den multisensorischen Erlebniswelten eines digitalen Umfelds mithalten kann? E-book Reader Kindle MD 53 32 Buch_MD_einzelseiten.indb 32 08.12.09 11:59
  • 2. zon zu kaufen. Dank drahtloser Internetanbindung ist Und wieder Apple der Kunde flexibel und kann seine Titel von jedem Ort aus beziehen. Mit dieser Funktion ist das Kindel den Der Vergleich mit der Musikbranche ist für die anderen Geräten von Sony und Co weit überlegen. Neugestaltung der Buchbranche unverzichtbar. Denn als die Musikindustrie die dunkelsten Tage ih- Die Lesegeräte legen ein enormes Wachstum im rer Existenz durchlitt, schaffte es Apple mit einer dreistelligen Prozentbereich vor, dieses Wachstum Kombination aus Geschick und Glück, eine Markt- wird allerdings durch die niedrige Ausgangsbasis nische zu erobern. Über den iTunes Store können relativiert. Im Gegensatz zum amerikanischen Markt Millionen Nutzer, Musiktitel, Hörbücher und selbst treffen die Geräte in Deutschland noch auf Wider- Filme herunterladen und sie sind „sogar“ bereit dafür stände, sei es durch ihren geringen Leistungsum- zu zahlen. 2,2 Milliarden Euro erwirtschaftete Apple mit fang oder einer gewissen Technikverdrossenheit dem Store 2008, das Wachstum gegenüber dem Vor- der Deutschen. Scheinbar macht sich Apple bereits jahr betrug 49 Prozent, und das in einem Markt, der für daran ersteres Problem zu beseitigen, indem sie klinisch tot gehalten wurde. Mit dem iTunes Store be- die Vorteile eines lesefreundlichen Geräts mit der weist Apple etwas, das Joseph Schumpeter bereits 1912 Fähigkeit zur Multimedialität verbinden. „Apple beschrieb, nämlich die Fähigkeit eines Unternehmers, Tablet“ heißt das Buzzword, das seit Wochen in den dort zu gehen, wo noch keiner ging und die „neuartigen Gerüchteküchen des Webs brodelt. Kombinationen von Dingen und Kräften“ für seinen Vorteil zu nutzen – als Pionier. Die Buchbranche muss die ausgetretenen Pfade verlassen um den Wan- del erfolgreich zu begehen. Vertriebsplattformen wie iTunes werden für das Verlagswesen eine wachsende Rolle spielen. Nicht nur E-Books lassen sich online vertreiben, sondern auch Hörbücher, die immerhin fünf Prozent des Umsatzes der deutschen Verlage ausmachen. Mit der Gründung von Libreka, einer verlagsüber- greifende E-Commerce-Plattform für E-Books, wurde der erste Schritt in diese Richtung getan. Damit kommen wir auch zum dritten P, dem Preis. Das Apple Tablet Warum kostet ein E-Book genauso viel wie ein Taschenbuch? Das E-Book muss weder versandt, noch Anfang Januar wird es vermutlich auf der Keynote muss es von Mitarbeiter ausgepackt und ins Regal des Unternehmens vorgestellt. Ob sich die gestellt werden, es erfordert keinen Lagerraum und bisherigen Lesegeräte durchsetzen oder aber multi- nimmt auch keine kostbare Ladenfläche ein, dennoch funktionale Geräte wie das Apple Tablet den Markt sind die Preise gleich. Fachlich ausgedrückt bedeutet beherrschen werden, bleibt abzuwarten. das E-Book eine Minimierung der Transport-, Lager- und Personalkosten. Grund am Preis ist das Festhalten an der Die Entwicklung der Smartphones spielt ebenfalls Buchpreisbindung; wohl eine der absurdesten Ideen eine gewichtige Rolle. Bereits jetzt nutzen Menschen der Branche. ihre Smartphones als Lesegeräte. Applikationen für Eines der Keylearnings aus dem iTunes-Fall ist, dass der iPhone und Android-Syteme optimieren E-Books Preis für ein digitales Produkt so gestaltet sein muss, (PDF-Files) auf die kleinformatigen Displays. Die dass die Kunden nicht mehr bereit sind, den Aufwand Hardware schafft die Nachteile der Software; die zu betreiben, sich Inhalte über File sharing-Portale he- E-Books sind leicht zu kopieren und die Rechte runter zu laden. Es gibt keinen Grund, den Preis von im Web nur schwer zu schützen. Piraterie der E-Books auf dem momentanen Niveau zu halten. immateriellen Güter ist ein enormes Problem. Die Versuche durch Digital Rights Management - also Auch bei den gedruckten Werken ist die Buchpreis- Technologien, die den Nutzerkreis beschränken - eine bindung völlig überholt. Über Amazons Market- Kontrolle über die Verbreitung einer Publikation zu place lassen sich Bücher „wie neu“ kaufen, diese bekommen, sind kundenunfreundlich und mit Schwä- Verkäufe unterwandern die Buchpreisbindung und chen behaftet. Außerdem sind die DRM-Ansätze einer untergraben damit das angestrebte Ziel, die der Gründe, warum die Musikindustrie heute da steht, Meinungs- und kulturelle Vielfalt zu erhalten. wo sie steht – am Ende der marktwirtschaftlichen Gleichzeitig lassen sich diese Ziele als überholt Nahrungskette. bezeichnen, weil allein durch den Digitaldruck Klein- MD 53 33 Buch_MD_einzelseiten.indb 33 08.12.09 11:59
  • 3. und Kleinstauflagen eine Chance haben, verlegt Momentan stellen Buchverlage noch zu oft die zu werden – notfalls auch im Selbstverlag. Außer- Frage, wie sie ein zweiseitig bedrucktes Buch dem hat jeder die Möglichkeit eigene Inhalte auf das 3,5 Zoll kleine Display eines iPhones im Internet zu veröffentlichen und zu verbrei- bekommen, anstatt sich den wesentlichen Fragen ten. Das Loslassen der Buchpreisbindung ist keine zu stellen. Die wirkliche Herausforderung ist es, wie „Aldisierung“ des Verlagswesens, wie es in manchen wir ein Medium nutzen, das bereits drei unserer Schriften genannt wird, sondern eine unvermeidbare fünf Sinne anspricht. Wie lässt sich gleichzeitig Marktanpassung. das Buch gegen das Internet und die allgemeine Digitalisierung verteidigen und müssen wir das Neue, nicht traditionelle Partner in der Wert- überhaupt? Wie können wir diese beiden Welten schöpfungskette sorgen dafür, dass die scheinbar miteinander Verbinden? einzigartige Qualifikation der Verlage, diese Rollen auszufüllen, immer mehr ins Wanken gerät. Zauberformeln zum neuen Buch Für Verlage öffnet sich aber auch eine Vielfalt an Veränderungsmöglichkeiten in den strate- gischen Bereichen: Unternehmensstrategie, Kanäle, Geschäftsmodelle, Technologie und Plattformen. Dass sie dabei Fehler machen werden, ist unvermeidbar. Entscheidungen in einer sich ändernden Welt sind oft von Unsicherheit geprägt. Aber eines ist sicher: über-eben werden nur die Verlage, die anfangen sich mit der digitalen Welt anzufreunden, anstatt sie zu verteufeln. Doch werden Verlage gezwungen sein, einen wesentlichen Teil ihrer Geschäfte mit nicht Mit Augmented Reality lassen sich traditionellen Institutionen abzuwickeln. Die größ- Content Enrichment Ideen umsetzen ten neuen Partner sind, neben den drei oben genannten Spielern, alles Technologieunter- Gerade im Bildungs- und Sachbuchbereich nehmen, die im Netz zuhause sind und die nicht können Bücher in Zukunft der Startpunkt für multi- darauf angewiesen sind, veraltete Geschäfts- sensorische Erlebnisse sein. Content Enrichment als modelle am Leben zu erhalten. Zauberformel für die nächste Stufe des Buches? So ließen sich an den Erwerb eines Buches unzählige Zusatzinformationen koppeln, die aus dem Web abgerufen werden können: Video-Sequenzen zu einzelnen Kapiteln einer medizinischen Abhand- lung sind denkbar, genauso wie Animationen, weiterführende oder ergänzende Quellen und dynamisch aufbereitete Daten. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen und wird nur von der Phantasie des einzelnen gebremst. Selbst in der Belletristik ließe sich Content Enrichment nutzen: Autorenlesungen mit persönlicher Frage- runde via Livestream, die nur für die Buchkäufer zugänglich sind oder Hintergrundinformationen zur Entstehungsgeschichte eines Buches. Die Kunden lieben Geschichten, diese müssen aber nicht nur im Buch erzählt werden. Auch hier werden Plattformen wieder eine bedeutende Rolle spielen. Auch die Veredelung des Buches durch aus- gefallene Drucktechniken und das Wiederbeleben von Sammlereditionen könnte einen bibliophilen Markt im Luxussegment neu entstehen lassen. Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller auf der Frankfurter Buchmesse MD 53 34 Buch_MD_einzelseiten.indb 34 08.12.09 11:59
  • 4. Konsumerlebnis für Leseratten: Ein Schlussplädoyer Als finaler Anstoß sei auch das letzte und vierte P genannt – die Promotion. Wir leben in einem Zeitalter in dem Kunden hungrig nach Konsumer- erlebnissen sind. Nicht umsonst richten Hugendubel und Thalia gemütliche Leseecken ein, lassen die Kunden stundenlang in Büchern lesen während sie in gemütlichen Sesseln sitzen und haben oft sogar ein angeschlossenes Café im Haus. Damit wird der Besuch in der Buchhandlung zum Event, das kein Internetunternehmen zu leisten vermag. Gleichzeitig aber bietet das Web einen anderen Vorteil – die Vernetzung. Interaktion, Feedback und Informationen waren niemals einfacher zu erreichen als heute. Die Kommunikation zwischen den Teilnehmern des Buchmarktes ist schnell und direkt. Leser informieren sich in Buchblogs zu neuen Titeln und es entstehen Meinungsführer, die Unternehmen für ihre Kommunikation nutzen können. Darüber hinaus gibt es unzählige neue Werbeformen, soziale Netzwerke und Targeting-Lösungen, um Ziel- gruppen genauer und kostengünstig zu erreichen. Die neuen Technologien und Plattformen ziehen nicht zuletzt auch Veränderungen in der Personal- struktur der Verlage nach sich. Die Verlage müssen in Leute investieren, die mit den neuen Technologien ganz natürlich umgehen, die veränderten Kommunikationsanforderungen verstehen, neue Ideen entwickeln und umsetzen. Eine Investition in diesen Umstrukturierungsprozess wird elementar sein. Die Digitale Revolution vollzieht sich nicht von heute auf morgen, und dennoch müssen die Verlage Druckwerke und Digitales miteinander verbinden. Dafür müssen sie sich dem neuen Umfeld anpassen und neue Fähigkeiten entwickeln. Eine Frage wird sein, wie man mit innovativen Monopolisten umgeht und wie die Veränderungen in der Wertschöpfungskette vom Autor zum End- kunden so beeinflusst wird, dass daraus Gewinne erwirtschaftet werden. Die Veränderungen der digitalen Welt passieren nicht über Nacht und es wäre unrealistisch zu glauben, dass die digitale Anpassung der Verlage sich auch umgehend positiv auf die Umsätze auswirkt. Dennoch müssen heute Entscheidungen getroffen werden, die helfen, sich in einer neuen, digitalen Umwelt zurecht zu finden. Buch_MD_einzelseiten.indb 35 08.12.09 11:59