Wie eine nimmersatte Raupe frisst sich Google durch die Bibliotheken von Austin bis Tokio. Für sein Google Books Library Project scannt das Unternehmen sämtliche Buchbestände mit dem Ziel der totalen digitalen Verfügbarkeit. Gleichzeitig werden Urheberrechte von Piraten torpediert, die
mittlerweile selbst ins Europäische Parlament Einzug halten. Mit der Entwicklung von E-Book-Readern wird das digitale Lesen und Verbreiten zum Kinderspiel. 500 Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks stehen die Autoren, Verlagsmanager und Buchhändler vor der größten Veränderung
ihrer Geschichte. Stirbt das Buch? Oder sind die Kopfschmerzen der Branche vielleicht unbegründet?
1. dIe dIgItale verwüStUng
Von den Sorgen der Buchbranche
Wie eine nimmersatte Raupe frisst sich Google Von Freund und Feind
Albert Pusch
durch die Bibliotheken von Austin bis Tokio. Für
sein Google Books Library Project scannt das Unter- Amazon, Google und Apple sind die Großmächte, die
nehmen sämtliche Buchbestände mit dem Ziel dem Buchmarkt zusetzen – jedes der Unternehmen
der totalen digitalen Verfügbarkeit. Gleichzeitig auf seine Weise. Zusammengerechnet 77 Milliarden
werden Urheberrechte von Piraten torpediert, die Euro Umsatz erwirtschafteten die drei im Jahr 2008,
mittlerweile selbst ins Europäische Parlament Einzug dem gegenüber stehen die einhundert größten
halten. Mit der Entwicklung von E-Book-Readern deutschen Buchverlage mit einem Umsatz von weniger
wird das digitale Lesen und Verbreiten zum Kinder- als 7 Milliarden Euro. Bei diesen Summen wird klar, dass,
spiel. 500 Jahre nach der Erfindung des Buch- wenn sich Amazon, Google und Apple vornehmen,
drucks stehen die Autoren, Verlagsmanager das bestehende Geflecht aus Autoren, Verlagen und
und Buchhändler vor der größten Veränderung Endkunden zu verändern, sie es schaffen werden – ob die
ihrer Geschichte. Stirbt das Buch? Oder sind die Kopf- Manager der Verlagshäuser das nun wollen oder nicht.
schmerzen der Branche vielleicht unbegründet? Um Lösungen für die Probleme der Branche zu ermit-
teln, lohnt ein Blick auf die vier Marketing Ps. Product,
Price, Place und Promotion – jeder der vier Bereiche ver-
ändert sich.
Das Produkt „Buch“ im Wandel
Amazon hat sich darauf spezialisiert, dem Kunden
möglichst schnell und günstig die gewünschten Artikel
zu liefern. Preistransparenz und der Verzicht auf
Versandgebühren sichern dem Unternehmen
ein zuverlässiges Wachstum, auch in Krisenzeiten.
Seit über einem Jahr ist Amazons Kindle in
den USA zu haben und mit der Entwicklung
des E-Book-Readers stieg das Online-Versandhaus
erstmals in die Entwicklung von Hardware ein.
Unter dem Motto „Alles aus einer Hand“ wird
auf den Lesegeräten ausschließlich das Amazon-
eigene Format unterstützt, so dass der Kunde zwun-
gen ist, seine Bücher für das Kindle allesamt bei Ama-
So sahen Bücher früher aus
Deutschland ist das Land der Leser, romantisch
ausgedrückt, der Dichter und Denker, oder doch
eher der „Doofen und Dieter“, wie es kürzlich
der Moderator und Schriftsteller Jörg Thadeusz
ausdrückte? Fakt ist, Lesen stand bei der Frage nach
den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen im letzten
Jahr auf Platz 7, gleich hinter Auto fahren. 40 Pro-
zent der Bevölkerung haben im letzten Jahr kein
Buch gekauft und die Menschen, die täglich
oder zumindest mehrmals die Woche lesen,
beschränkt sich auf 45 Prozent bei den Frauen
und gerade einmal 35 Prozent bei den Männern.
Durch die Digitalisierung verbringen die Menschen
mehr Zeit im Internet, Zeit, die fürs Lesen fehlt. Im
Prinzip beginnen die Probleme genau an dieser
Stelle, nämlich mit der Frage, wie ein uraltes
Medium mit den multisensorischen Erlebniswelten
eines digitalen Umfelds mithalten kann? E-book Reader Kindle
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2. zon zu kaufen. Dank drahtloser Internetanbindung ist Und wieder Apple
der Kunde flexibel und kann seine Titel von jedem Ort
aus beziehen. Mit dieser Funktion ist das Kindel den Der Vergleich mit der Musikbranche ist für die
anderen Geräten von Sony und Co weit überlegen. Neugestaltung der Buchbranche unverzichtbar.
Denn als die Musikindustrie die dunkelsten Tage ih-
Die Lesegeräte legen ein enormes Wachstum im rer Existenz durchlitt, schaffte es Apple mit einer
dreistelligen Prozentbereich vor, dieses Wachstum Kombination aus Geschick und Glück, eine Markt-
wird allerdings durch die niedrige Ausgangsbasis nische zu erobern. Über den iTunes Store können
relativiert. Im Gegensatz zum amerikanischen Markt Millionen Nutzer, Musiktitel, Hörbücher und selbst
treffen die Geräte in Deutschland noch auf Wider- Filme herunterladen und sie sind „sogar“ bereit dafür
stände, sei es durch ihren geringen Leistungsum- zu zahlen. 2,2 Milliarden Euro erwirtschaftete Apple mit
fang oder einer gewissen Technikverdrossenheit dem Store 2008, das Wachstum gegenüber dem Vor-
der Deutschen. Scheinbar macht sich Apple bereits jahr betrug 49 Prozent, und das in einem Markt, der für
daran ersteres Problem zu beseitigen, indem sie klinisch tot gehalten wurde. Mit dem iTunes Store be-
die Vorteile eines lesefreundlichen Geräts mit der weist Apple etwas, das Joseph Schumpeter bereits 1912
Fähigkeit zur Multimedialität verbinden. „Apple beschrieb, nämlich die Fähigkeit eines Unternehmers,
Tablet“ heißt das Buzzword, das seit Wochen in den dort zu gehen, wo noch keiner ging und die „neuartigen
Gerüchteküchen des Webs brodelt. Kombinationen von Dingen und Kräften“ für
seinen Vorteil zu nutzen – als Pionier. Die Buchbranche
muss die ausgetretenen Pfade verlassen um den Wan-
del erfolgreich zu begehen.
Vertriebsplattformen wie iTunes werden für das
Verlagswesen eine wachsende Rolle spielen. Nicht
nur E-Books lassen sich online vertreiben, sondern
auch Hörbücher, die immerhin fünf Prozent des
Umsatzes der deutschen Verlage ausmachen. Mit
der Gründung von Libreka, einer verlagsüber-
greifende E-Commerce-Plattform für E-Books,
wurde der erste Schritt in diese Richtung getan.
Damit kommen wir auch zum dritten P, dem Preis.
Das Apple Tablet
Warum kostet ein E-Book genauso viel wie ein
Taschenbuch? Das E-Book muss weder versandt, noch
Anfang Januar wird es vermutlich auf der Keynote muss es von Mitarbeiter ausgepackt und ins Regal
des Unternehmens vorgestellt. Ob sich die gestellt werden, es erfordert keinen Lagerraum und
bisherigen Lesegeräte durchsetzen oder aber multi- nimmt auch keine kostbare Ladenfläche ein, dennoch
funktionale Geräte wie das Apple Tablet den Markt sind die Preise gleich. Fachlich ausgedrückt bedeutet
beherrschen werden, bleibt abzuwarten. das E-Book eine Minimierung der Transport-, Lager- und
Personalkosten. Grund am Preis ist das Festhalten an der
Die Entwicklung der Smartphones spielt ebenfalls Buchpreisbindung; wohl eine der absurdesten Ideen
eine gewichtige Rolle. Bereits jetzt nutzen Menschen der Branche.
ihre Smartphones als Lesegeräte. Applikationen für Eines der Keylearnings aus dem iTunes-Fall ist, dass der
iPhone und Android-Syteme optimieren E-Books Preis für ein digitales Produkt so gestaltet sein muss,
(PDF-Files) auf die kleinformatigen Displays. Die dass die Kunden nicht mehr bereit sind, den Aufwand
Hardware schafft die Nachteile der Software; die zu betreiben, sich Inhalte über File sharing-Portale he-
E-Books sind leicht zu kopieren und die Rechte runter zu laden. Es gibt keinen Grund, den Preis von
im Web nur schwer zu schützen. Piraterie der E-Books auf dem momentanen Niveau zu halten.
immateriellen Güter ist ein enormes Problem. Die
Versuche durch Digital Rights Management - also Auch bei den gedruckten Werken ist die Buchpreis-
Technologien, die den Nutzerkreis beschränken - eine bindung völlig überholt. Über Amazons Market-
Kontrolle über die Verbreitung einer Publikation zu place lassen sich Bücher „wie neu“ kaufen, diese
bekommen, sind kundenunfreundlich und mit Schwä- Verkäufe unterwandern die Buchpreisbindung und
chen behaftet. Außerdem sind die DRM-Ansätze einer untergraben damit das angestrebte Ziel, die
der Gründe, warum die Musikindustrie heute da steht, Meinungs- und kulturelle Vielfalt zu erhalten.
wo sie steht – am Ende der marktwirtschaftlichen Gleichzeitig lassen sich diese Ziele als überholt
Nahrungskette. bezeichnen, weil allein durch den Digitaldruck Klein-
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3. und Kleinstauflagen eine Chance haben, verlegt Momentan stellen Buchverlage noch zu oft die
zu werden – notfalls auch im Selbstverlag. Außer- Frage, wie sie ein zweiseitig bedrucktes Buch
dem hat jeder die Möglichkeit eigene Inhalte auf das 3,5 Zoll kleine Display eines iPhones
im Internet zu veröffentlichen und zu verbrei- bekommen, anstatt sich den wesentlichen Fragen
ten. Das Loslassen der Buchpreisbindung ist keine zu stellen. Die wirkliche Herausforderung ist es, wie
„Aldisierung“ des Verlagswesens, wie es in manchen wir ein Medium nutzen, das bereits drei unserer
Schriften genannt wird, sondern eine unvermeidbare fünf Sinne anspricht. Wie lässt sich gleichzeitig
Marktanpassung. das Buch gegen das Internet und die allgemeine
Digitalisierung verteidigen und müssen wir das
Neue, nicht traditionelle Partner in der Wert- überhaupt? Wie können wir diese beiden Welten
schöpfungskette sorgen dafür, dass die scheinbar miteinander Verbinden?
einzigartige Qualifikation der Verlage, diese
Rollen auszufüllen, immer mehr ins Wanken gerät. Zauberformeln zum neuen Buch
Für Verlage öffnet sich aber auch eine Vielfalt
an Veränderungsmöglichkeiten in den strate-
gischen Bereichen: Unternehmensstrategie, Kanäle,
Geschäftsmodelle, Technologie und Plattformen. Dass
sie dabei Fehler machen werden, ist unvermeidbar.
Entscheidungen in einer sich ändernden Welt sind
oft von Unsicherheit geprägt. Aber eines ist sicher:
über-eben werden nur die Verlage, die anfangen sich
mit der digitalen Welt anzufreunden, anstatt sie zu
verteufeln.
Doch werden Verlage gezwungen sein, einen
wesentlichen Teil ihrer Geschäfte mit nicht Mit Augmented Reality lassen sich
traditionellen Institutionen abzuwickeln. Die größ- Content Enrichment Ideen umsetzen
ten neuen Partner sind, neben den drei oben
genannten Spielern, alles Technologieunter-
Gerade im Bildungs- und Sachbuchbereich
nehmen, die im Netz zuhause sind und die nicht
können Bücher in Zukunft der Startpunkt für multi-
darauf angewiesen sind, veraltete Geschäfts-
sensorische Erlebnisse sein. Content Enrichment als
modelle am Leben zu erhalten.
Zauberformel für die nächste Stufe des Buches? So
ließen sich an den Erwerb eines Buches unzählige
Zusatzinformationen koppeln, die aus dem Web
abgerufen werden können: Video-Sequenzen zu
einzelnen Kapiteln einer medizinischen Abhand-
lung sind denkbar, genauso wie Animationen,
weiterführende oder ergänzende Quellen und
dynamisch aufbereitete Daten.
Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen und wird nur
von der Phantasie des einzelnen gebremst. Selbst
in der Belletristik ließe sich Content Enrichment
nutzen: Autorenlesungen mit persönlicher Frage-
runde via Livestream, die nur für die Buchkäufer
zugänglich sind oder Hintergrundinformationen
zur Entstehungsgeschichte eines Buches. Die Kunden
lieben Geschichten, diese müssen aber nicht
nur im Buch erzählt werden. Auch hier werden
Plattformen wieder eine bedeutende Rolle spielen.
Auch die Veredelung des Buches durch aus-
gefallene Drucktechniken und das Wiederbeleben von
Sammlereditionen könnte einen bibliophilen Markt
im Luxussegment neu entstehen lassen.
Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller auf der Frankfurter Buchmesse
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4. Konsumerlebnis für Leseratten:
Ein Schlussplädoyer
Als finaler Anstoß sei auch das letzte und vierte
P genannt – die Promotion. Wir leben in einem
Zeitalter in dem Kunden hungrig nach Konsumer-
erlebnissen sind. Nicht umsonst richten Hugendubel
und Thalia gemütliche Leseecken ein, lassen die
Kunden stundenlang in Büchern lesen während
sie in gemütlichen Sesseln sitzen und haben oft
sogar ein angeschlossenes Café im Haus. Damit wird
der Besuch in der Buchhandlung zum Event, das kein
Internetunternehmen zu leisten vermag.
Gleichzeitig aber bietet das Web einen anderen
Vorteil – die Vernetzung. Interaktion, Feedback
und Informationen waren niemals einfacher zu
erreichen als heute. Die Kommunikation zwischen
den Teilnehmern des Buchmarktes ist schnell und
direkt. Leser informieren sich in Buchblogs zu
neuen Titeln und es entstehen Meinungsführer, die
Unternehmen für ihre Kommunikation nutzen können.
Darüber hinaus gibt es unzählige neue Werbeformen,
soziale Netzwerke und Targeting-Lösungen, um Ziel-
gruppen genauer und kostengünstig zu erreichen.
Die neuen Technologien und Plattformen ziehen
nicht zuletzt auch Veränderungen in der Personal-
struktur der Verlage nach sich. Die Verlage
müssen in Leute investieren, die mit den
neuen Technologien ganz natürlich umgehen,
die veränderten Kommunikationsanforderungen
verstehen, neue Ideen entwickeln und umsetzen.
Eine Investition in diesen Umstrukturierungsprozess
wird elementar sein.
Die Digitale Revolution vollzieht sich nicht von
heute auf morgen, und dennoch müssen die
Verlage Druckwerke und Digitales miteinander
verbinden. Dafür müssen sie sich dem neuen
Umfeld anpassen und neue Fähigkeiten entwickeln.
Eine Frage wird sein, wie man mit innovativen
Monopolisten umgeht und wie die Veränderungen
in der Wertschöpfungskette vom Autor zum End-
kunden so beeinflusst wird, dass daraus Gewinne
erwirtschaftet werden. Die Veränderungen der
digitalen Welt passieren nicht über Nacht und es
wäre unrealistisch zu glauben, dass die digitale
Anpassung der Verlage sich auch umgehend
positiv auf die Umsätze auswirkt. Dennoch müssen
heute Entscheidungen getroffen werden, die helfen,
sich in einer neuen, digitalen Umwelt zurecht zu
finden.
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